Malen nach Zahlen

  • 13.07.2012, 18:18

Schon bei den Revolutionen der 68er Jahre wurde mit einem wirksamen Mittel gekämpft: der Kunst. Seit dieser Zeit wird sie mehr als je zuvor als ein Zeichen des Protests genutzt und erreicht bei den Hochschulprotesten einen neuen Höhepunkt.

Schon bei den Revolutionen der 68er Jahre wurde mit einem wirksamen Mittel gekämpft: der Kunst. Seit dieser Zeit wird sie mehr als je zuvor als ein Zeichen des Protests genutzt und erreicht bei den Hochschulprotesten einen neuen Höhepunkt.

We don’t need no education“ tönt es im Kinderchor aus den Lautsprechern in das besetzte Audimax der Universität Wien. Eine kleine Gruppe Spielwütiger hat sich dem aktuellen Thema des Studierendenstreiks und den Ergebnissen der bisherigen Verhandlungen angenommen und versucht nun, gemeinsam mit dem überwiegend studentischen Publikum nach Lösungsansätzen zu suchen. Auf der „Bühne“ verzieren nach Graffiti Art gestaltete, übermenschenhohe Bilder den sonst neutralen Vorlesungssaal. Sie karikieren den maroden Bildungszustand auf den Universitäten und die dafür verantwortlichen PolitikerInnen auf äußerst kreative Weise.
Seit über einem Monat wird das Audimax als alternativer Ausstellungs- und Veranstaltungsort für Konzerte, Filmabende, politische Diskussionen und Plena genutzt. Ebenso lang vereinigen sich schon Kreative in vielseitigen Arbeitsgruppen, um dem Protest ein künstlerisches Gesicht zu geben.  Ganz dem basisdemokratischen Leitgedanken der über Wikipedia solidarisierten StudentInnen-Generation „Niemand tritt in den Vordergrund – jedeR ist wichtig“ folgend und entgegen des am Profit orientierten Kunstmarktes, wird in den besetzten Hörsälen momentan eine Kunst produziert und konsumiert, welche sich am weltweiten Protest orientiert. 

Zeichen des Protests. In Arbeitsgruppen aufgeteilt, werden Transparente mit einschlägigen Bannern gestaltet und Buttons mit dem Logo der „brennenden Uni“ gebastelt. LiedermacherInnen schreiben Protestlieder. Es werden Filmabende veranstaltet und öffentliche Aktionen geplant. Alles in allem bieten die besetzten Unis ein breit gefächertes Angebot an Kunst und Kultur. Und all das passiert im Zeichen des Widerstands. In Frankreich werden als Blockade Skulpturen aus Stühlen und Tischen gestapelt, in anderen Ländern werden Banken und Theateraufführungen gestürmt. AktivistInnen schlafen aus Protest in den Eingangsbereichen von Schulen und Universitäten, spielen in U-Bahnen den Fahrgästen den Platzmangel an den Lehranstalten vor und tragen T-Shirts bedruckt mit grinsenden Credit Points oder einfach nur mit der Aufschrift „Elite StudentIn“. Doch wären es nur die StudentInnen die protestieren und wäre das Ziel zu konfus, hätte das Lauffeuer, entzündet an der Uni der Bildenden Künste, nicht in so kurzer Zeit einen der größten internationalen Protestbrände entfacht. Ein Katalog an Forderungen wurde nach nur einer Woche erstellt. Das Ziel ist keine Auktion, bei der mit dem niedrigsten Gebot begonnen wird, sondern richtige Verhandlungen. 

Weiteres Wichtiges: Solidaritätsbekundungen von Gewerkschaften, Schulen, Kindergärten und vor allem von Seiten der Kunst, die das Problem der Präkarisierung seit längerem kennen und mit den StudentInnen teilt. Im Zuge der Privatisierung der Kunst und finanzieller Kürzungen für öffentliche Ausstellungen können viele Museen nur noch das ausstellen, was ihnen als Leihgabe von privater Hand zur Verfügung gestellt wird. Der Kunstmarkt ist auf der von Sinneskälte vereisten  Autobahn ins finanzielle Schleudern geraten und mitten in den Crash seiner Financiers geprallt – ohne staatlichen Aushilfsairbag. ARCO-Direktorin Lourdes Fernández über die in Madrid platzierte, Preis angebende Kunstmesse: „Wir arbeiten das Doppelte, um am Ende die Hälfte zu erreichen.“  Mehr als sonst gelte das Prinzip, dass vor allem Qualität und Innovation zum Überleben notwendig seien. „Wenn wir die Verkäufe des Vorjahres erreichen, können wir zufrieden sein“, sagte der Chef der Messegesellschaft, Luis Eduardo Cortés. Es ist ergo nicht die freie Kunst, die sich vielfältiger denn je in diesen Tagen dem öffentlichen Auge präsentiert, sondern der Kunstmarkt, der mit seinen Elite-Mäzenen in deren Blase geplatzt ist. 

Kunst und Bildung. Früher wurde die Kunst bemüht, um Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen. Heute lebt sie ihre Aufgabe wieder und läuft Seite an Seite mit StudentInnen, Gewerkschaften und anderen Bildungsdialogbeteiligten. Denn so unterschiedlich ihre Meinungen voneinander auch sind, haben sie ihren kleinsten gemeinsamen Nenner gefunden: den kapitalorientierten Neoliberalismus samt seinen AnhängerInnen. Dies befördert den Titel Studierendenprotest zur Protestbewegung und in manchem Munde sogar zur Revolution.
Die Protestierenden von heute scheinen die Revolutionsversuche der 68er, 76er und 89er analysiert und ihnen eine Fehlerdiagnose unterzogen zu haben. Heraus kam ein basisdemokratisches Modell, welches spielerisch versucht, die Öffentlichkeit zu finden und sie nicht nur zu provozieren. Es gibt kein Alphatier, das die Politik symbolisch enthaupten kann.

Der wohl signifikanteste Vorteil gegenüber anderen Bewegungen in der Geschichte sind die Neuen Medien und die Kunst, sich derer zu bedienen.  In unfassbarer Geschwindigkeit erschaffen die Studierenden Webseiten, um den besetzten Hochschulen eine Internetpräsenz zu erstellen und sich über Foren digital zu vernetzen. Die unlängst als neue Kunstform gehandelte Kommunikationsguerilla stellt Videospiele her, in denen ECTS-Punkte gejagt und die letzte Demo auf Videoplattformen angeschaut werden können. Das Internet bringt auch eine gewisse Notwendigkeit mit sich, Meldungen und Aufrufe auf die Monitore zu posten, welche sich in den letzten Hinterstübchen der jungen MeinungspartizipantInnen befinden. Darüber hinaus soll es auch die Scham entkräften, welche entstehen kann, wenn man sich über den Individualisierungsdruck einer Bewegung anschließt.
Doch um die Empathie der Gesellschaft zu gewinnen, bedarf es immer noch einer alten authentischen Demonstration und einer haptischen Form des Protests auf der Straße. So hat die Aktion „Licht ums Dunkel“ als Lichterkette, bestehend aus mit Fackeln bewaffneten Menschen, das Parlament umstellt und somit wieder für eine Schlagzeile in der Presse und für Gesprächsstoff in Büros gesorgt. 

Es wird keine Kunst erschaffen, die man Generationen später in Museen besichtigen kann. Vielmehr wird ein Gesamtkunstwerk von Performances, Theaterstücken und all den unsammelbaren Werken kreiert, derer sich schon die 68er-KünstlerInnen bedienten. Diese konnten mit Hilfe eben dieser Kunstwerke einen Teil des  konservativen BürgerInnentums auf Dauer entstauben.

AutorInnen: Caro Narr