Kreiskys Außenpolitik

  • 13.07.2012, 18:18

Rezension

Rezension

Die deutsche Zeithistorikerin Elisabeth Röhrlich zeichnet in ihrem umfassenden Erzählband Kreiskys Außenpolitik. Zwischen österreichischer Identität und internationalem Programm die persönlichen Ambitionen und Erlebnisse des „Politikgenies“ über die gelungene Außendarstellung von Österreich nach. Kreiskys Politik erklärt sich aus seiner Biographie. Die Autorin folgt diesen Stationen und setzt sie unmittelbar in einen breiten nationalen wie internationalen Kontext. Um Geschichte handhabbar zu machen, ist es verlockend, sie zu periodisieren. Die Ideengeschichte ist als Hilfswissenschaft für eine Biographie besonders geeignet. Röhrlich bedient sich der Methode der Ideengeschichte, die in der deutschsprachigen Forschung eine lange Tradition hat. Sachlich und objektiv zeichnet die Autorin Kreiskys Lebensweg nach.
Das 20. Jahrhundert war ein „Zeitalter der Extreme“ – unfassbare Verbrechen stehen neben Wohlstand und Demokratie in seiner Bilanz. Kreisky erlebte diese „Extreme“ hautnah. 

Österreichische Vergangenheit. Seine frühe Kindheit war noch von der Monarchie geprägt, er erlebte die krisengeschüttelte Erste Republik und das autoritäre Dollfuß-Schuschnigg-Regime. 1938 wurde er ins schwedische Exil gezwungen und kehrte erst spät nach Österreich zurück. „Sechs Österreich und ein Leben – so könnte es über Kreisky heißen“, schreibt Röhrlich in Anlehnung an eine Aussage des Europapolitikers Erhard Busek. Personen, welche ein Jahrhundert fast vollständig erlebt und mit ihrem politischen Wirken geprägt haben, faszinieren. Auch Kreisky dachte weit voraus, denn bereits im Jahr 1964 schrieb er sein Plädoyer für eine gesamteuropäische Integration, welche den gesamten Kontinent umfassen sollte. Bei seiner Nachbarschaftspolitik argumentierte er historisch-geographisch: Lage und Geschichte Österreichs verbinde das Land mit der EU. Erst nach schweren innenpolitischen Bemühungen und der notwendigen Unterstützung einer Massenzeitung trat Österreich 1995 der Europäischen Union bei. Das Verhältnis der ÖsterreicherInnen zur österreichischen Vergangenheit ist und bleibt zwar so, dass sie sich ihr lieber gar nicht erst stellen, die offiziöse Deutung leuchtet ihnen aber ohne weiteres ein: Austria Erit In Orbe Ultima – zu allerletzt wird es nur mehr Österreich geben. Es hat seinen Reiz, wieder einmal in europäischen Dimensionen zu denken. Kreiskys internationales Programm war identitätsstiftend für Österreich. Aber die eigene Unsterblichkeit ist wahrscheinlich das Einzige, woran ÖsterreicherInnen nicht zweifeln oder verzweifeln. Der Sonnenkanzler dürfte manchmal noch ein Auge auf „sein“ Österreich haben. 

Elisabeth Röhrlich: „Kreiskys Außenpolitik. Zwischen österreichischer Identität und internationalem Programm“ Zeitgeschichte im Kontext, Band 2, 1. Auflage. Vienna University Press bei V&R unipress 2009. 437 S., 57.90 €

 

AutorInnen: Alexander Lass