Gebündelte Wirklichkeit

  • 05.02.2015, 13:13

Ausstellungs-Rezension

Ausstellungs-Rezension

Es könnte ein griechischer Mythos sein: Unfähig seine Flügel zu schließen, treibt Walter Benjamins „Engel der Geschichte“ mit dem Rücken voran in Richtung Zukunft, den Blick gerichtet auf die Vergangenheit als unaufhörlich wachsender Trümmerhaufen. Anzutreffen ist die geknechtete Himmelsbotin in einem Film von Aura Rosenberg in der Ausstellung „Memory Lab“ im Wiener MUSA. Eröffnet im Rahmen des letztjährigen Europäischen Monats der Fotografie, fragt die Schau nach dem Stellenwert des fotografischen Bildes in der (Re-)Konstruktion von Geschichte und Erinnerung. Aber nicht nur der Vergangenheit selbst, sondern vor allem ihrer steten Präsenz in der Gegenwart widmen sich die gezeigten Werke, die zwischen offizieller Historie und persönlichen Geschichten des 20. Jahrhunderts changieren. So etwa Tanja Boukals „Rewind: Obersalzberg“. Die Künstlerin montierte Tourist_innen neben einen schwarz-weißen Adolf Hitler auf vor Ort gesammelte Schieferplatten. Oder Noro Knaps gespenstisch anmutende Installation „20. April“, in der eine im Jahr 2011 entstandene Videoaufnahme des Platzes vor dem Nationaltheater in Bratislava mit einem Propagandafoto aus 1941 überblendet wird. In Lina Scheynius Fotoserie „Sarajevo“ scheint die Vergangenheit ihren Bildern schon im Moment des Auslösens eingeschrieben zu sein. Und bei Anna Jermolaewa liegt der Beweis einer nicht-eingelösten Zukunftsvision in der Gegenwart: Durch ein zufällig gefundenes Foto erinnert sich die Künstlerin an ein jugendliches Versprechen und macht sich daraufhin auf die Suche nach ihren Kompliz_ innen, mit denen sie damals auf einen kollektiven Selbstmord zum 40. Geburtstag geschworen hat. „Vielleicht hindert uns ein unbezwinglicher Widerstand, an die Vergangenheit, an die Geschichte zu glauben, es sei denn in der Form des Mythos. Die Photographie hat, zum ersten Mal, diesen Widerstand zum Schwinden gebracht“, schrieb Roland Barthes 1980 in „Die helle Kammer“. Eben das, aber vor allem welch vielfältiger Wirklichkeitsgenerator die Fotografie sein kann, zeigt die Ausstellung in eindrucksvoller Weise.

„Memory Lab. Photography Challenges History“ bis 21.3.2015 MUSA Museum Startgalerie Artothek, Wien Kuratorin: Gunda Achleitner

 

Flora Schausberger studiert Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

AutorInnen: Flora Schausberger