Festung Familie

  • 20.02.2013, 15:54

Die Familie erlebt bei den Jungen ein Revival. Anstelle des romantischen Ideals tritt eine Mischung aus Pragmatismus und Unsicherheit. Die Familie dient immer mehr als Festung, zum Schutz vor der Gesellschaft. Ein Kommentar von Simone Grössing.

Die Familie erlebt bei den Jungen ein Revival. Anstelle des romantischen Ideals tritt eine Mischung aus Pragmatismus und Unsicherheit. Die Familie dient immer mehr als Festung, zum Schutz vor der Gesellschaft. Ein Kommentar von Simone Grössing.

Seit geraumer Zeit fallen sie auf: Vom Laptop grinsen sie auf uns herab und winken uns zu – es sind strahlende Gesichter beim Familienessen, bei der gemeinsamen Weihnachtsfeier oder beim Familienurlaub.

Es sind Fotos, die von jungen Social-Media-UserInnen in Umlauf gebracht werden. Es handelt sich um Bilder von intakten, harmonischen Familien, deren Mitglieder sehr gerne Zeit miteinander verbringen zu scheinen. Was zu anderen Zeiten für viele junge Menschen als peinlich und weniger wichtig galt, scheint wieder verstärkt ein Statussymbol und Teil der eigenen Identität zu sein: die Familie.

Auch Statistiken belegen das Comeback familiärer Werte unter den Jungen. So auch die umfangreiche, vom Institut für Jugendkulturforschung Wien durchgeführte Jugendwerte-Studie aus dem Jahr 2011. Für 81 Prozent der befragten 16- bis 24Jährigen ist die Familie „sehr wichtig“, für 77 Prozent FreundInnen und Bekannte. Damit hat der Lebensbereich „Freunde und Familie“ in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen.

Gesellschaft vs. Familie. Dass zwischenmenschliche Beziehungen wieder eine wichtigere Rolle im Leben junger Menschen spielen, sehen viele als positive Entwicklung.  Aber wird die Jugend wirklich wieder sozialer? Angesichts der Vielen, die sich im Online-Chat mehr zu sagen haben als im realen Leben, oder weit verbreiteter politischer Verdrossenheit, erscheint diese Interpretation realitätsfern. Der Zweifel ist gerechtfertigt, zeigt die Jugendwerte-Studie: Zu den Ursachen für das Comeback der Familie zählen eher Faktoren wie ein erhöhtes Bedürfnis nach Sicherheit und zunehmender Individualismus als ein wachsendes soziales Bewusstsein. Ironischerweise scheint der Rückzug in die Familie einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur gesellschaftlichen Individualisierung zu leisten, während sie gleichzeitig eine der Ursachen für diese Entwicklung ist. Indizien dafür finden sich in Statistiken, die belegen, dass bei den Jungen eine starke Individualisierung stattgefunden hat, die mit dem Verlust von Vertrauen in Zusammenhalt und Politik einhergeht. „Von der Gesellschaft erwartet man sich kaum noch etwas“ und „die  Orientierung im sozialen Nahbereich“ sei die Konsequenz – so die Jugendwerte-Studie.

Pragmatisch und individualistisch. Von der Familie erhoffen sich viele Sicherheit und Rückhalt. Man wendet sich aber nicht nur mit emotionalen Bedürfnissen an sie, sondern die Familie soll auch in finanziellen Angelegenheiten unter die Arme greifen. Während in skandinavischen Ländern wie etwa Dänemark der Staat für die Finanzierung von Studierenden aufkommt, muss man sich in Österreich auf die Familie verlassen. Hier kann man etwa, wenn keine Unterstützung von den eigenen Eltern kommt, diese auf Unterhalt klagen, oder muss sich selbst über Wasser halten. Wo der Sozialstaat nicht mehr greift, muss man sich verstärkt auf die Familie verlassen und ist so an sie gebunden. Diese Abhängigkeitsverhältnisse gehen oft über die Studienzeit hinaus. Viele werden lebenslang von ihren Eltern finanziell unterstützt, bekommen Häuser und Autos vererbt – anders könnten sie von ihren Jobs kaum leben. Geredet wird darüber aber nur selten. Trotz der zunehmenden Relevanz der Familie hat sich über die Jahre hinweg der Zugang zu ihr verändert.

Das zeigt sich auch am steigenden Heiratsalter, späteren Schwangerschaften oder dem Rückgang von Geburten. Auch der Umgang mit Konventionen ist anders als vor etwa zehn Jahren. Beispielsweise wird das traditionelle Familienbild heute von vielen als ein „romantisch verklärtes Ideal“ betrachtet, das laut den Jungen als „erstrebenswert, aber nur mehr schwer zu realisieren“ gilt. Es scheint, als wüssten sie, dass sie hart und lange arbeiten werden müssen, und sie haben gesehen, dass dabei kaum Zeit für die Kinder bleibt  und Ehen immer wieder unter diesen Umständen auseinanderbrechen. Sie sind  realistisch und pragmatisch. Am Boden bleiben und sich keine großen Illusionen machen – so lautet die Devise.

Politisches Potenzial? Angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise und des damit  einhergehenden Abbaus des Sozialstaates ist es wahrscheinlich, dass sich der Trend zurück zur Familie verstärken wird. Die Gefahr besteht nun, dass sich eine ganze Generation in die Familie flüchtet, um sich dort von der Gesellschaft zu erholen, anstatt sie aktiv mitzugestalten und sich für andere Lebensentwürfe stark zu machen. Vielen Linken ist die bürgerliche Familie deswegen schon lange ein Dorn im Auge – sie gilt für sie als Basis des kapitalistischen Systems.

Dennoch scheint die Verteufelung der Retrowelle von Familien- und Kinderwunsch eine schlechte Antwort auf diese Entwicklung zu sein. Denn diese sind nicht das Problem,  sondern vielmehr Ausdruck einer Zeit, die von Unsicherheiten bestimmt wird. Junge zweifeln an ihrer Zukunft, und fragen sich, was aus ihnen werden soll. Die Angst schreit dabei oft lauter in ihren Köpfen als so manches in ihnen schlummernde Bedürfnis. Natürlich würde es vor allem für junge Frauen einen enormen Rückschritt bedeuten, wenn die Fixierung auf die Familie als Herz der Gesellschaft noch stärker zunehmen würde. Aber  diese Ausdrücke zu verurteilen, wäre der falsche Weg. Vielmehr gilt es gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die uns furchtloser leben lassen, uns den Rücken stärken und das „da draußen“ weniger nach Schlachtfeld aussehen lassen. Wir müssen die verstärkten Wünsche nach Sicherheit und Geborgenheit also nicht bekämpfen, wie manche glauben, sondern in eine andere Richtung lenken. In ihnen steckt eine wichtige  Voraussetzung für Gemeinschaft und Zusammenleben und somit auch ein großes politisches Potenzial. Anstatt diese Bedürfnisse aber (nur) auf die Familie zu projizieren, sollten wir sie auch in Richtung Gesellschaft lenken, so könnten sie zu einer Politisierung und Stärkung eines gesellschaftlichen Bewusstseins führen. Denn warum diese Politisierung bis heute nicht eintritt, bleibt eine wichtige Frage, die wir uns unbedingt  stellen sollten.

AutorInnen: Simone Grössing