Everything is going to be alright

  • 28.09.2012, 17:55

Laut The Economist ist Vancouver neuerdings die teuerste Stadt Nordamerikas. Auch bislang als Problembezirke geltende Stadtteile werden zum Exerzierfeld profitorientierter Stadtentwicklung.

Laut The Economist ist Vancouver neuerdings die teuerste Stadt Nordamerikas. Auch bislang als Problembezirke geltende Stadtteile werden zum Exerzierfeld profitorientierter Stadtentwicklung.

Lange Zeit galt Vancouver als verschlafenes Nest – trotz seiner Rolle als größte Stadt des kanadischen Westens. In den 1960er- Jahren wandelte sich die Provinz British Columbia mehr und mehr zu einem Rückzugsgebiet für US-amerikanische Wehrdienstverweigerer, die in einer Flucht nach Kanada die einzige Alternative zum Einsatz im Vietnamkrieg sahen. Und so ähnelt die politische Tradition Vancouvers jener der als liberal geltenden US-Bundesstaaten des pazifischen Westens, Oregon und Washington State.

Besonders bemerkenswert ist der liberale Umgang mit dem Konsum von Marihuana: Vancouver duftet mancherorts wie die touristischen Gegenden Amsterdams. British Columbia gilt trotz seines rauen Klimas als eines der weltweit größten Anbaugebiete. Für kanadische Verhältnisse ist das Klima ungewöhnlich mild. Dass die Wintertemperaturen als erträglich gelten, ist mitunter Grund für die große Anzahl von Obdachlosen in Vancouver. Besonders der östliche Teil der Innenstadt, der Stadtbezirk Downtown Eastside (DTES), ist ein Zentrum der sichtbaren Obdachlosigkeit und gilt als einer der ärmsten innerstädtischen Bezirke Kanadas.

Bedrohte Heterogenität. Die geographische Nähe zu Asien und der zweitgrößte Hafen an der nordamerikanischen Pazifikküste machen Vancouver zu einem attraktiven Handelsplatz. Die daraus resultierende Nachfrage nach Arbeitskräften hat viele Menschen aus Asien in die Stadt gelockt. Heute sprechen 52 Prozent der Bevölkerung eine andere Muttersprache als Englisch, gut ein Drittel der Bevölkerung stammt aus China. Nicht-kanadische Herkunft wird in einem Einwanderungsland wie es Kanada ist, in dem nur wenige Menschen leben, deren kanadischer Pass schon auf mehr als zwei Generationen zurückgeht, nicht als Manko gesehen. Die Postleitzahl teilt sich DTES mit dem historischen Stadtviertel Gastown. Noch zu Beginn des neuen Jahrtausends galt auch Gastown als Problemviertel. Nach und nach revitalisierten vereinzelt kleine Geschäfte und Boutiquen das Antlitz der fünf bis sechs Straßenzüge. Das geschah freilich nicht, ohne auch größere Unternehmen und Immobilienfirmen auf den Plan zu rufen. Heute ist Gastown hip. Die billigsten Wohnungen gibt es dort heute für circa 40 Euro pro Quadratmeter. Auf Craigslist finden sich 35 m2 für $CA 1100, also um 900 Euro. Damit konkurrieren die Wohnungspreise in Downtown Vancouver mit denen Manhattans. Problematisch ist diese Preissteigerung vor allem für die ursprünglich in Gastown und DTES lebenden Menschen. Für diese werden der zunehmende Zuzug von Besserverdienenden und die damit einhergehende Verdrängung aufgrund der Preissteigerung zur existenziellen Bedrohung. Gentrifizierung bezeichnet den Prozess, im Zuge dessen traditionelle ArbeiterInnenviertel mit  BewohnerInnen mit niedrigem Medianeinkommen und oft auch niedrigem Bildungsniveau, nach und nach zu Stadtteilen der gut ausgebildeten Besserverdienenden werden, wobei die weniger privilegierte Bevölkerung verdrängt wird. Dies passiert mithilfe von finanziellen Ressourcen sowie oft mit Unterstützung durch die Immobilienbranche und die Stadtverwaltung. Das soziologische  Phänomen Gentrifizierung wird daher meist mit der Marketing-Umschreibung „Revitalisierung“ verschönt.

Immobilien-Hot-Spot Vancouver. Die Immobilienindustrie wurde erst verhältnismäßig spät auf Vancouver aufmerksam. Begonnen hatte die „Aufwertung“ mit der Weltausstellung, die 1986 hier Station machte. Mit der Annektierung Hong Kongs durch die Volksrepublik China im Jahr 1997, wurde Vancouver für zahlreiche Vermögende aus Hong Kong attraktiv, die Enteignungen durch die neue kommunistische Führung fürchteten. Mit der Vergabe der Olympischen Spiele für 2010, die 2003 erfolgte und in der sich Vancouver auch gegen Salzburg in der Endauswahl durchsetzen konnte, setzte eine weitere Preisexplosion am Immobilienmarkt
ein, Grundstücke wurden zum Spekulationsobjekt und für ein Vielfaches des ursprünglichen Kaufpreises verkauft. Während ein kleines Grundstück mit Einfamilienhaus im Vorort West Vancouver, das als kanadische Gemeinde mit dem höchsten Medianeinkommen gilt, zu Beginn des Jahrtausends schon stolze zwei Millionen Dollar einbrachte, hat sich der Marktpreis bis 2012  auf acht Millionen Dollar vervierfacht. Zu den bekanntesten Anwesen Vancouvers zählt etwa jenes der US-Talkmasterin OprahWinfrey. Nach und nach wurde die Innenstadt Vancouvers von Immobilienfirmen aufgekauft und saniert. Dem südlich der Downtown gelegenen Yaletown, das heute als Inbegriff von Neureichtum gilt, folgte Gastown als Schwerpunkt von innerstädtischer Revitalisierung.

Anders als in Yaletown ist die soziale Demographie Gastowns, das vor allem für Menschen mit Bildungs- und Kunsthintergrund attraktiv ist, allerdings noch wesentlich heterogener. Als weitere Beispiele von Gentrification in Vancouver können auch das Stadtviertel South Main und ein Abschnitt am Commercial Drive genannt werden. Hier sind es aber vor allem Studierende und vereinzelte Boutiquen, die die Straßenzüge revitalisieren. Eine Vermarktung durch die Immobilienbranche ist dort noch weitgehend ausgeblieben. Gleichzeitig werden einst als unerschwinglich geltende Gebiete, etwa im Stadtteil West End, heute wieder preiswert – preiswert im Verhältnis zu im Galopp steigenden Mieten in Gastown, wohlgemerkt.

Konflikte und Gentrification. Bis vor kurzem galt die DTES als letztes innerstädtisches Viertel mit erschwinglichen Mieten, wo auch sozial benachteiligte Gruppen noch Platz in der Stadt hatten. Durch die Vermarktung des Straßenabschnitts zwischen Abbott Street und Gore Avenue, wo die Stadtverwaltung Bauplätze lieber für die Errichtung teurer Kondominien zur Verfügung stellt, statt leistbare Sozialwohnungen zu bauen, reduziert sich dieser Platz jedoch zunehmend. NGOs wie das Carnegie Community Action Project (CCAP) protestieren gegen diese Entwicklung und treten als Interessensvertretung für die in den städtischen Vertretungsgremien stark unterrepräsentierten BewohnerInnen der DTES auf. Einzelne Gruppierungen helfen, indem sie leerstehende Häuser aufkaufen, sanieren und zu niedrigen Preisen vermieten. Die DTES bietet mittlerweile ein soziales Kontrastprogramm, das schwer zu übersehen ist: Schicke Coffeeshops teilen sich die Fassade mit halbverfallenen Stundenhotels: Neben einer mit der neuenAcne-Kollektion ausgestatteten Boutique können Abhängige von der Stadtregierung subventioniertes Methadon beziehen. Dass dieses Kontrastprogramm nicht immer im Ausstechen der finanziell Schwächeren enden muss, beweist der Unternehmer Mark Brand: Im Herbst 2011 hat er das Diner Save on Meats saniert und wiedereröffnet und bietet dort neben günstigem Frühstück für die hiesigen Bobos auch vergünstigte Sandwiches und eine Suppenküche für die Obdachlosen der Hastings Street an. Dennoch stößt  Brands Geschäftsaktivität auf den Widerstand einiger in der DTES tätigen Aktionsgruppen, wie etwa der DTES not for DevelopersCoalition. Diese sprach sich im Februar dieses Jahres für einen Boykott des Diners als Gentrifier Landmark aus.

Weiterführende Informationen:
http://thedependent.ca/featured/gentrifiers
http://ccapvancouver.wordpress.com
http://saveonmeats.ca

AutorInnen: Vinzent Rest