Eine Frage der Zeit

  • 07.04.2013, 22:47

Was Zeit mit Prestige, Genuss und Freiheit zu tun hat, erklärt die Philosophin Gabriele Geml bei einem ausgedehnten Spaziergang durch Wien. Ganz ohne Stress.

Was Zeit mit Prestige, Genuss und Freiheit zu tun hat, erklärt die Philosophin Gabriele Geml bei einem ausgedehnten Spaziergang durch Wien. Ganz ohne Stress.

15.10 Uhr. Safari kann die Seite nicht öffnen, weil keine Verbindung zum Internet besteht. Ich sitze im Cafe Schottenstift, warte auf  meine Interviewpartnerin, Gabriele Geml und auf Empfang.

16.35 Uhr. Philosophie, Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft und Geschichte hat sie studiert, lese ich von meinem Notizblock  ab. Zeit. Was ist das überhaupt und warum habe ich sie nie, frage ich mich schließlich mit dem Blick auf die digitale Handuhr.

17.00 Uhr. Schließlich kommt sie, jene Frau, die all unsere Fragen zum Thema Zeit beantworten soll. Zeit. Zerrinnt in unseren Händen, aber was sie ist, wissen wir nicht, obwohl sie doch ständiger Wegbegleiter ist. Dauer, nennt Philosophin Gabriele Geml es.

Gabriele Geml: Es ist augenfällig, dass Zeit in unserer gegenwärtigen Gesellschaft primär unter dem Aspekt der Dauer in den Blick  gerät. Wir fragen uns, wie viele Termine sich an einem Nachmittag ausgehen oder wie viel Zeit ein bestimmtes Studium in Anspruch nehmen wird. Was Zeit heute für uns bedeutet, ist untrennbar mit der Ökonomisierung des Lebens verbunden.
Wie das Geld ist die Zeit ein Symbol geworden, das unterschiedlichste Leistungen miteinander vergleichbar macht. In möglichst wenig Zeit möglichst viel zu schaffen, ist unsere Devise und eine Grundformel für soziale Anerkennung. Das mündet zwangsläufig  in einen Beschleunigungswahn. Vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit widmen wir einem anderen Aspekt von Zeit, nämlich der  Vergänglichkeit. Endlichkeit und Tod werden in der leistungsorientierten Gesellschaft verdrängt, sie rentieren sich nicht.

17.30 Uhr. Wir verlassen das Café, schlendern Richtung Volksgarten. Woher kommt die Sehnsucht nach Entschleunigung?

Man spürt, dass es einem nicht gut tut, wenn man von einer Sache zur nächsten hetzt und keinen zeitlichen Raum mehr zum  Genießen und Verweilen findet. Genuss ist langsam. Es sind gegenwärtig allerdings zwei gegenläufige Tendenzen beobachtbar: Auf  der einen Seite scheint es eine tiefe Sehnsucht nach Entschleunigung zu geben, zugleich aber eine erhebliche Angst vor ihr. Dass  wir Zeiten, in denen der Ereignisdruck nachlässt, als eine Art Drohung wahrnehmen, zeigt sich darin, dass wir eigentlich gar nicht  mehr zur Ruhe kommen können. Das hat natürlich mehrere Ursachen. Hervorheben möchte ich ein eher nebensächliches Phänomen,  nämlich dass es zu einem Statussymbol geworden ist, keine Zeit zu haben. Symptomatisch ist der Griff zum Handy,  sobald sich die geringste Ereignispause einstellt. Entscheidend dafür, dass es so schwer ist, zur Ruhe zu kommen, ist natürlich der  gesellschaftlich auf uns lastende Druck, die Zeit möglichst effizient zu nutzen.

17.40 Uhr. Geht das nicht auch sehr gegen unsere inneren Bedürfnisse?

Ja. Es ist ja heute viel diskutiert, dass Stress pathogen und ein Faktor für depressive Erkrankungen ist. Die Weltgesundheitsorganisation spricht von der Depression bereits als Volkskrankheit in den Industrieländern. Das ist indirekt ein  recht ernüchterndes  Urteil über die sogenannte „Freiheit“ in unserer Gesellschaft. Einer Praxis, die aus der Einsicht, dass Stress  krank macht, Konsequenzen zieht, steht allerdings die Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Prestigeverlust entgegen.

17.50 Uhr. Würden Sie sagen, dass der Stress durch die Medien zugenommen hat?

Der Stress hat durch unsere gesamte Lebensform zugenommen. Das ist mit anderen Aspekten des Lebens, vor allem mit  ökonomischen Motiven verflochten und lässt sich schwer isolieren.

18.00 Uhr. Sind die Veränderungen der Kommunikationswege wirklich eine Erleichterung?

Angesichts unserer technischen Hilfsmittel stellt sich die Frage, wo ist die Zeit, die ich mir durch sie erspart habe? Mit den Haushaltsgeräten fängt es an. Sie nehmen uns Arbeit ab, wir brauchen weniger Zeit für gewisse Arbeiten – doch inwiefern kommen  wir wirklich in den Genuss dieser sogenannten Zeitersparnis? Die Erleichterung durch die veränderten  Kommunikationsmöglichkeiten ist zwiespältig: Die Zeitersparnis, die sie zweifelsohne gewährleisten, wird relativiert durch eine  Verdichtung der Kommunikation. Es ist weniger aufwändig, eine Email zu schreiben als einen Brief, also schreiben wir mehr. Hinzu  kommt der psychische Druck, der durch die dauernde Erreichbarkeit entsteht.

18.10 Uhr. Wie sehen Sie den Umgang mit Zeitstrukturen in der Zukunft?

 Sehr ambivalent. Durch die gegebene Arbeitsunsicherheit ist einerseits der Leistungsdruck immens, das verstärkt die  Beschleunigungslogik. Man muss auch einmal darauf achten, wie wichtig Begriffe wie „Vorankommen“, „Fortschritte-Erzielen“  „Vorwärtsgehen“ und so weiter in der gegenwärtigen Rhetorik von Unternehmen sind. Die damit verbundenen Vorstellungen nehmen  den Charakter eines Selbstzwecks an. Gerade auch Universitäten sind vom Beschleunigungsdruck betroffen, etwa indem  die Kürze der Studiendauer ein wesentlicher Erfolgsindikator ist. Auf der anderen Seite gibt es aber – und zwar in einem zunehmenden Maß, wie ich hoffe – jene Sehnsucht nach Entschleunigung, die Sie angesprochen haben. Man will nicht nur Erfolg,  sondern irgendwann auch einmal Erfüllung. Erfolg ist eine gewisse Voraussetzung für Erfüllung, kann aber auch zu einer Methode werden, sich um selbige zu bringen. Analog ist es wichtig, Fortschritte zu machen, aber es bedarf auch der Zeit, sich ihrer zu  vergewissern und sie sinnvoll zu organisieren, so dass sie den Menschen zuträglich werden. Mitunter ist es gut, einmal stehen zu bleiben und innezuhalten. Dann sieht man, dass eigentlich schon ziemlich viel da wäre, wofür man sich einmal die Zeit nehmen  können sollte.

AutorInnen: Mara Malischnig