Das Recht auf Faulheit

  • 21.03.2015, 15:05

Paul Lafargues 1880 veröffentlichte Streitschrift „Das Recht auf Faulheit“ provozierte damals wie heute. Vor kurzem neu aufgelegt, scheint sie sogar noch an Aktualität und subversivem Potential gewonnen zu haben.

Paul Lafargues 1880 veröffentlichte Streitschrift „Das Recht auf Faulheit“ provozierte damals wie heute. Vor kurzem neu aufgelegt, scheint sie sogar noch an Aktualität und subversivem Potential gewonnen zu haben.

Massenelend, Kinderarbeit und ein Leben in unvorstellbaren Ausbeutungsverhältnissen – vor diesem Hintergrund entsteht dieser ebenso kurze wie polemische Essay. Der französische Sozialist Paul Lafargue ist kein Freund der leisen Zwischentöne: Schon der Titel ist eine provokative Umkehrung des Rechts auf Arbeit, das während der Revolution 1848 gefordert wurde. Lafargue attackiert den Arbeitskult des Proletariats, der doch immer nur der Bourgeoisie zugutekommt. Hirngewaschen von puritanischer Moral und kapitalistischer Propaganda werden die ArbeiterInnen zu den TotengräberInnen ihrer eigenen Unabhängigkeit und Selbstachtung.  

3 STUNDEN ARBEIT. Lafargues Utopie ist simpel: drei Stunden Arbeit pro Tag sind ausreichend, Mehrarbeit soll sogar unter Strafe stehen. Die Paläste der Reichen bleiben ungebaut und unnütze Warenanhäufungen gehören der Vergangenheit an. Durch ein verbessertes Arbeitsklima bleibt trotzdem mehr als genug für alle. Beschleunigt wird dieser Umschwung durch zwei Entwicklungen: einerseits durch eine Übersättigung des Arbeitsmarktes, andererseits durch die zunehmende Mechanisierung, die den Menschen von unangenehmer Arbeit befreit. In den ArbeiterInnen selbst kann Lafargue kein revolutionäres Potential erkennen – durch ihre Arbeitssucht sind sie zu starren Maschinenmenschen geworden.

Wenig überraschend stießen diese Thesen überwiegend auf Ablehnung. Es waren jedoch nicht nur die KapitalistInnen, die im „Recht auf Faulheit“ einen Affront sahen: Lafargues Werk widersprach in grundsätzlichen Fragen den Theorien seines streitbaren Schwiegervaters Karl Marx. In der Sowjetunion war das „Das Recht auf Faulheit“ lange verboten, in der DDR unveröffentlicht. „Untergrabung der Arbeitsmoral“, so lautete der Befund.

Die zwischen Tirade und Satire angesiedelte Schrift ist dabei mehr als ein Zeitdokument. Die Maschine wurde nicht zum „Erlöser der Menschheit“ und die Arbeitsbedingungen haben sich seit der Zeit Lafargues grundlegend gewandelt. Sieht man sich die gegenwärtige Situation jedoch genauer an, drängen sich einige Fragen auf: Kann man steigende Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig wachsender Produktivität nicht auch als Erfolg sehen? Wäre eine radikale Neubewertung und Umverteilung der Arbeit nicht genau im Sinne Lafargues? Haben sich die Arbeitsbedingungen wirklich verbessert oder sind die Arbeitshäuser des 19. Jahrhunderts zu den heutigen Sweatshops in Bangladesch geworden?

ERSATZRELIGION. An der gesellschaftlichen Bewertung der Lohnarbeit hat sich wenig geändert: Sie ist eine Ersatzreligion, die keinen Widerspruch duldet. Egal wie sinnlos uns unsere Tätigkeiten auch vorkommen mögen, sollen sie uns Identität und Halt geben. Während ein Teil der Bevölkerung unter Zeitdruck, Burnout und Überstunden leidet, wird ein anderer Teil vom Arbeitsprozess ausgeschlossen. Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum – zwei Slogans, die unhinterfragt von PolitikerInnen wiederholt werden, während man gleichzeitig Arbeitslose als SchmarotzerInnen stigmatisiert.

Mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen oder der Wachstumskritik gibt es jedoch auch aktuelle Konzepte, die in der Tradition Lafargues stehen. Die Neuauflage von „Das Recht auf Faulheit“ von 2014 schließt an die gegenwärtigen Diskurse an: Im Vorwort klopft der deutsche Soziologe Stephan Lessenich das Werk auf seine heutige Relevanz ab, während im Anhang ein Interview mit dem sozialkritischen Filmemacher Konstantin Faigle zu finden ist („Frohes Schaffen – Ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral“).

„Das Recht auf Faulheit“ ist vielleicht kein theoretisches Meisterwerk und Paul Lafargue mag die systemischen Zwänge der ArbeiterInnenklasse ausgeblendet haben – seinen eigentlichen Zweck erfüllt das 95 Seiten dünne Büchlein jedoch auch heute noch: Es ist die geistreiche, anregende und provokante Demontage einer kaum hinterfragten Ideologie.

Stephan Lessenich, Paul Lafargue: „Das Recht auf Faulheit"
LAIKA-Verlag, 96 Seiten
9,90 Euro

 

Dieter Diskovic studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien.

AutorInnen: Dieter Diskovic