Claus Pándi ist ein böser Mensch

  • 13.07.2012, 18:18

Die belgische Dokumentarfilmerin Nathalie Borgers, Produzentin der Krone-Doku „Tag für Tag ein Boulevardstück“, spricht mit PROGRESS zum einjährigen Todestag von Hans Dichand über die Ängste und den Obrigkeitswahn der ÖsterreicherInnen, den „bösen Menschen“ Claus Pándi und den persönlichen Umgang mit Hans Dichand.

Progress: In Ihrer Dokumentation ist die Rede davon, dass die Kronen Zeitung einen großen Teil der österreichischen Seele repräsentiert. Was sagt das über das Land aus?

Borgers: Es geht hier immer um den gleichen Vergleich: Wir und die anderen. Dazu kommt dann noch die Angst. Die Angst davor, überschwemmt zu werden, und dadurch Werte, Lebensqualität, schlichtweg alles, was man erreicht hat, zu verlieren. Daher muss immer Ordnung herrschen. Befehlen hat man zu gehorchen. Man ist in diesem Land zu Recht stolz auf die beste Lebensqualität in Europa. Aber wo bleibt dabei das Leben? Was ist das für eine Lebensqualität, wenn für Ordnung jegliche Lebendigkeit geopfert wird? Ein bisschen mehr Mut! Ein bisschen mehr Fantasie!

Sie haben auch mit überzeugten LeserbriefschreiberInnen der Kronen Zeitung gedreht. Wie ticken diese HobbykolumnistInnen?

Es war leicht, mit ihnen zu reden. Sie sind einfach Fans der Zeitung. Sie identifizieren sich sehr mit der Krone und die Zeitung benutzt die Leserbriefschreiber.

Dichand sagt im Film relativ trocken: „Das sind Seiten, die uns nichts kosten.“ Zu Dichands Lebzeiten gab es in Österreich immer auch den Witz, der Herausgeber schreibe die Leserbriefe selber.

Vielleicht hat er das getan. Das weiß ich nicht. Angesichts der großen Anzahl an Zuschriften hätte er das aber nicht nötig gehabt. Da genügte schon die richtige Auswahl. Ich habe auch Gerüchte gehört, dass er die nackte Frau auf Seite sieben persönlich ausgewählt hat. Das habe ich leider auch nicht in Erfahrung gebracht.

Neben den LeserbriefschreiberInnen und der Nackten prägen vor allem die „Krone-StarkolumnistInnen“ das Gesicht der Zeitung.

Dichands Konstruktion der Zeitung ist wirklich unglaublich schlau. Durch diese Kolumnisten hat er eine weitere Form der Identifikation geschaffen. Es gibt Leute, die sind immer da. Sie stellen eine Art Familie dar. Damit nimmt man die Leser mit. Dichand hat das wirklich gut geplant: Ich bin der Vater aller Österreicher. Ihr seid alle meine Kinder. Ich schütze euch und bringe euch eine klare Linie.

Gibt es unter den KolumnistInnen überhaupt eine klare, gemeinsame Linie?

Natürlich sind das alles Individuen, aber die Zeitung macht sie zu einer Familie. Günther Nenning und Andreas Mölzer hatten sicherlich unterschiedliche Werte. Aber alle Kolumnisten einte eine Tatsache: Hans Dichand bedeutete für sie Ruhm und Geld. Vor allem Geld ist sehr wichtig. Sie sind alle sehr gut bezahlt. Dafür müssen sie aber auch stets loyal sein, Widerspruch wird nicht geduldet.

Lassen Sie uns über einzelne „Familienmitglieder“ sprechen. Claus Pándi inszeniert sich etwa seit geraumer Zeit als Videoblogger, der die Mächtigen vorführt. Sie haben Pándi während ihrer Dreharbeiten kennengelernt. Welchen Eindruck hat er bei Ihnen hinterlassen?

Ich mag ihn überhaupt nicht. Ich habe mich bei ihm sehr schlecht gefühlt. Er ist kein guter Mensch. Es gibt in der Kronen Zeitung auch gute Menschen, aber Claus Pándi ist ein böser Mensch.

Ist er intelligent?

Er ist wahrscheinlich sehr klug. Aber intelligent im Sinne von Analysen tätigen und Feinheiten erkennen? Das glaube ich nicht. Er spielt sehr stark mit der Angst der Bevölkerung: Die Anderen sind schlecht, sie haben Werte, die nicht richtig sind. Er drückt das sehr gut und sehr schnell aus. Außerdem weiß er, wie Macht funktioniert.

Wie denken Sie über den Radaupoeten und Volksdichter Wolf Martin?

Wolf Martin war noch schlimmer, er war der schlimmste von allen. Bei ihm herrscht so eine negative Atmosphäre. Eine Atmosphäre, bei der man denkt, diese Person hat nie etwas Positives in ihrem Leben erlebt. Alles ist dunkel, negativ und traurig. Egal ob beim Rauchen oder Trinken, überall herrscht Exzess. Alles ist sehr extrem. Irgendwas in ihm ist entweder kaputt oder schon gefressen worden.

Wie erklären Sie sich das?

Diese Einstellung muss aus einer Zeit stammen, in der Strafe ein sehr großer Teil der Erziehung war, in der Mütter und Frauen sehr schlecht angesehen wurden. Also aus einer sehr patriarchalen und autoritären Gesellschaft. Man kann sich die Stimmung bei Wolf Martin wie in einem Werk von Elfriede Jelinek oder Thomas Bernhard vorstellen.

Es gibt in der Krone aber auch weit weniger düstere Facetten, die Tierecke etwa.

Sich für Wesen zu interessieren, die nichts zu sagen haben, passt sehr gut zur Kronen Zeitung. Es herrscht dort im Allgemeinen eine Kleingeistigkeit.
Alles ist klein, nichts ist offen. Das ist für mich so erstaunlich an der Krone. Die Redakteure könnten jederzeit mit Menschen aus aller Welt, aus den verschiedensten Kulturen, in Kontakt treten. Dennoch verschließen sie sich lieber und kümmern sich um Problemchen wie Hunde und Katzen.

Man könnte den Einsatz der Kronen Zeitung für gewisse Anliegen ihrer LeserInnenschaft doch auch positiv sehen.

Durchaus, das hat aber mit Journalismus nichts zu tun. Die Krone benutzt ihre Macht, um etwas im Parlament zu ändern. Das ist nicht der Job einer Zeitung. Vor allem: Wer entscheidet darüber, was richtig ist und was falsch? Einzig und allein die Krone – und das hieß bis vor einem Jahr einzig und allein Hans Dichand.

Wer die notorische Verschlossenheit der Kronen Zeitung kennt, der weiß zu schätzen, welche tiefen Einblicke Sie sich verschafft haben. Wieso hat Dichand das überhaupt zugelassen? Bei einem ARTE- Dokumentarfilm konnte er doch damit rechnen, dass es sich um einen kritischen Film handeln würde.

Am Anfang wusste ich gar nicht, für welche Fernsehstation der Film sein würde. Die Tatsache, dass sich jemand aus dem Ausland für seine Zeitung interessiert hat, muss Dichand wohl sehr gefallen haben. Mein französischer Akzent hat wohl auch geholfen, Dichand liebte Frankreich. Als er dann erfuhr, dass ARTE bei dem Film involviert war, hat er mir erstmals Geld angeboten, damit der Film dort nicht erscheint. Ich habe das natürlich abgelehnt. Dichand hat sich dann wohl gedacht, wenn schon ein Film entsteht, ist es für die Krone besser, offen zu sein, damit nicht nur Feinde der Zeitung zu Wort kommen.

Und danach gab es keine Momente mehr, bei denen die Dokumentation hätte scheitern können?

Einen Moment gab es noch. Dichand hat erfahren, dass ich mit Heide Schmidt und Erhard Busek gedreht habe. Er hat mir sofort vorgeworfen, dass ich mit der Tageszeitung Der Standard einen Komplott vorbereite. Das war natürlich überhaupt nicht wahr. Ich musste daraufhin zusichern, Dichand den Film vor seiner Ausstrahlung zu zeigen. Das habe ich dann auch gemacht.

Waren Sie bei dieser Vorführung dabei?

Ja.

Wie unangenehm war das?

(lacht) Das war natürlich sehr unangenehm. Leider saß Dichand hinter mir. Ich konnte also nicht abschätzen, wie er reagierte. Nach der Vorführung hat er geschwiegen. Der Finanzdirektor der Kronen Zeitung, der auch anwesend war, hat sich hingegen beschwert: „Wir fühlen uns in die rechte Ecke gedrängt.“

Wie war Dichand im persönlichen Umgang?

Er war eine recht angenehme Person. Natürlich nur solange man machte, was er wollte. Er war sehr gut erzogen. Er konnte mit Frauen und hätte eine Frau wohl auch nie angeschrien. Wie gesagt, als ich ihm den fertigen Film gezeigt habe, hat er geschwiegen. Das wäre vielleicht anders gewesen, wenn ich ein Mann gewesen wäre.

Dichand war ja nicht nur ein mächtiger Herausgeber, sondern auch ein gewiefter Journalist. Wie schwierig war es, ihn zu interviewen und mit ihm zu drehen?

Er hat sich selbst inszeniert und somit war es sehr einfach für mich. So einen Charakter bekommt man nicht für jeden Film. Die unangenehmen Fragen habe ich hauptsächlich gegen Ende der Dreharbeiten gestellt. In der Zwischenzeit hat sich Stück für Stück gezeigt, was er wirklich mit seiner Zeitung macht, wie er funktioniert, was er denkt. Er hat das alles von sich aus preisgegeben. Das ist natürlich „sugar“ für einen Film.

Wie haben Sie eigentlich von Hans Dichands Tod erfahren?

Die Austria Presse Agentur hat mich angerufen und wollte ein Statement von mir haben. Ich habe nicht gewusst, was ich sagen sollte. Natürlich ist es keine gute Nachricht, selbst wenn ein Mann wie er stirbt. Es ist aber auch keine schlechte Nachricht. Das ist das Leben.


Das Gespräch führten Markus Kiesenhofer und David Donnerer.