Blindes Vertrauen

  • 15.11.2012, 18:52

Ein Stückchen Utopie und Kindheit steckt in jeder Freundschaft. Drei Portraits über Geborgenheit , Sicherheit und Glück – und was passiert, wenn Freundschaften in die Brüche gehen.

Ein Stückchen Utopie und Kindheit steckt in jeder Freundschaft. Drei Portraits über Geborgenheit , Sicherheit und Glück – und was passiert, wenn Freundschaften in die Brüche gehen.

 

Schule verbündet. Claudia Wltavsky und Ella Gregori sehen sich jeden Tag. Langweilig wird ihnen miteinander trotzdem nicht.

„Es hört sich vielleicht ungewöhnlich an, aber so richtig kennen gelernt haben wir uns wohl, weil wir gleich groß sind“, sagt die AHS-Schülerin Claudia Wltavsky (14) über ihre Freundschaft mit Ella Gregori (14). „Besonders in der ersten Klasse waren alle anderen viel kleiner als wir“, erklärt sie. Und Ella: „So etwas verbündet.“

Ella und Claudia haben sich vom ersten Tag an in der neuen Umgebung des Gymnasiums blendend miteinander verstanden. Zuvor sind sie einander nie über den Weg gelaufen – und das, obwohl ihre beiden Wohnzimmer nur eine kleine Gasse voneinander entfernt sind. Auch in der Klasse sitzen sie gemeinsam mit vier weiteren Freundinnen in der letzten Reihe nah beieinander. Die hinterste Bank versteht sich selbst auch als Clique – „aber das merkt man eigentlich nur im Privaten“, betont Claudia. „In der Schule sind die Gruppen nicht so getrennt voneinander.“

Auch sonst trennt die beiden nicht sehr viel: Sowohl Ellas als auch Claudias Eltern streben eher nach einer liberalen Erziehung und sind nicht so streng wie die Eltern anderer KlassenkollegInnen. Und sie haben schon häufig festgestellt, dass sie Probleme im Alltag und schwierige Situationen in der Schule und im Freundeskreis gleich einschätzen und bewerten. Aber das Wichtigste: „Wir können ehrlich zueinander sein und uns immer alles direkt sagen.“ „Nur unsere Lieblingsfarbe ist eine andere“, meint Claudia. „Aber das ist ja nicht so wichtig“, sagt Ella.

Eine knifflige Konstellation hätte sich nur einmal ergeben, als Ella mehr Zeit mit einer anderen guten Freundin verbrachte, die aber in der Klasse nicht bei allen beliebt war. „Es war, als müsste ich mich immer zwischen ihr oder den anderen entscheiden, wie eine Wahl“, erzählt sie. Dadurch sei es ein wenig zu Eifersüchteleien auf beiden Seiten gekommen. Die hätten sich aber mittlerweile gelegt.

Gerade die vierte Klasse der Unterstufe ist oft eine Bewährungsprobe für junge Freundschaften – nicht selten trennen sich die Lebenswege der SchulkollegInnen aufgrund unterschiedlicher Schulzweige. Und auch für Ella kommt in Frage, sich andere Schulen anzusehen – „sonst würde es ja langweilig werden“, meint sie. Claudia hingegen ist mit dem Gymnasium ganz zufrieden. „Aber sollte ich wirklich die Schule wechseln, bedeutet das nicht, dass ich meine FreundInnen verlieren werde“, ist sich Ella sicher, „weil Freunde und Familie kommen bei mir immer an erster Stelle. Alles andere ist da ganz weit hinten“.

FreundInnen seien daher auch ein großes Kriterium für die Schulwahl. Denn ohne Freundin mit an Board kann es sich keine der beiden vorstellen, einen neuen Schulweg zu beschreiten. Gerade in Momenten, wo es Unsicherheiten und vielleicht auch weniger Halt als sonst gibt, seien FreundInnen besonders wichtig – sie geben Geborgenheit, Zuversicht und Vertrauen. Und was Ella an Claudia besonders gut gefällt? „Wir sind ein bisschen wie Puzzlesteine – es passt einfach.“ 

Gmeinsam bis an die Grenzen gehen

Mit allen Wassern gewaschen: Seit 15 Jahren sind die beiden Seglerinnen Hannelore Zehetbauer und Daniela Klinka unzertrennlich.

Dani und Hanni gab es lange Zeit nur im Doppelpack. Wo auch immer sie hinkamen, ihr gemeinsamer Name war „DaniundHanni“. Aber wer denkt, das erinnerte an ein bekanntes Zwillingspaar, irrt: Die beiden zu verwechseln, ist unmöglich. Denn Daniela Klinka (25) ist die ruhige, bedachte Beobachterin im Hintergrund, Hannelore Zehetbauer (25) der quirrlige und impulsive Gegenpol, der abendelang ganze Tischrunden unterhalten kann. Und auch in puncto Lebensstil ziehen sich hier die Gegensätze an: „Ich bin zum Beispiel immer mit dem Auto, Dani immer mit dem Rad unterwegs“, sagt Hanni. Dani ergänzt: „Und du gehst ständig shoppen – ich schnorre hingegen viel lieber.“ Trotzdem: Wer die beiden kennenlernt, sieht auf den ersten Blick, dass es wohl kaum zwei Menschen gibt, die mehr Sympathie füreinander hegen.

„Dani und ich haben eben Dinge miteinander erlebt, die ich mit niemandem sonst durchgemacht habe“, erklärt Hanni. Die beiden waren gemeinsam ein Team im Jugendleistungssport- Segeln. Sie haben in Wettkämpfen gemeinsam gewonnen und verloren, sind gemeinsam gekentert, haben sich gestritten, das Boot wieder aufgestellt, haben sich versöhnt und dann sofort weiter für ein gemeinsames Ziel gekämpft. Und sie haben tausende Kilometer zu den unterschiedlichsten Wettkampforten gemeinsam zurückgelegt. „Wir sind also gemeinsam an unsere Grenzen gegangen und das hat uns zusammengeschweißt“, sagen sie.

Einen weiteren Unterschied zu anderen Freundschaften mache auch die ausgesprochen familiäre Atmosphäre aus – ihre beiden jeweils zwei Jahre jüngeren Brüder waren ebenfalls jahrelang eng miteinander befreundet. „Meine Oma hat die beiden, Christian und Toni, sogar immer verwechselt“, erinnert sich Hanni. „Aber kennengelernt haben sie sich schon über uns“, betont Dani. Dadurch sind auch die beiden Familien eng aneinandergewachsen. „DaniundHanni“ waren ab dem elften Lebensjahr unzertrennlich.

Hier kommt wohl auch die Vertrautheit her, die die beiden an ihrer Freundschaft so schätzen: Nicht nachdenken zu müssen, wie eine Aussage ankommt und interpretiert werden könnte, weil man sich sicher ist, richtig verstanden worden zu sein. Aber auch, einmal ohne Grund und „einfach so“ zu telefonieren oder sich zu treffen – „und wenn wir dann auch nur zwei Stunden auf einer Couch herumliegen: Was wir in der Zeit tun, ist egal, Hauptsache, wir sehen uns“, sagt Hanni.

Das mache auch im Allgemeinen eine gute Freundschaft aus, sind sich die beiden einig: Vertrautheit, Offenheit, Ehrlichkeit. Das besondere aber an einer Freundschaft, die man noch aus der gemeinsamen Kindheit mitnimmt: „All jene Freundinnen, die ich früh kennengelernt habe und die mir bis heute geblieben sind, sind wesentlich unterschiedlicher als ich“, meint Hanni. Heute würde sich nämlich kaum mehr eine Gelegenheit ergeben, dass sich die beiden kennenlernen könnten – hätte das nicht in früheren Zeiten Hannis Mutter eingefädelt, die wollte, dass sich ihre Tochter in der Sommersegelwoche wohl fühlt und eine Freundin findet. Als Kind ist man eben noch offener und zugänglicher für verschiedenste Menschen. „Genau die vielen Unterschiede und die Vertrautheit, die trotzdem da ist: Das ist das, was es interessant macht“, sagt Hanni, während ihr Dani gespannt lauscht. Ob es sich eigentlich negativ auf die Freundschaft auswirke, dass Hanni merkbar mehr spricht als Dani? „Nein, nein, ich gebe ihr in allen Punkten Recht“, meint Dani. Beide lachen und Hanni ergänzt augenzwinkernd: „Es wäre sowieso unmöglich, dass jeder so viel redet wie ich.“

„Jetzt stehe ich alleine da.“

Hossain Mirzaie (57) ging einen langen steinigen Weg. Politische wie auch private Freundschaften hatte er dabei immer viele – doch fast alle sind im Laufe seines Lebens in die Brüche gegangen.

Hossain Mirzaies Leben ist anders verlaufen, als er es sich gewünscht hätte. Mit 22 Jahren, 1977, ist er aus politischen Gründen aus dem Iran geflüchtet und nach Österreich gekommen. Es war eine politisch turbulente Zeit im Iran, die in der Gründung einer islamischen Republik endete: Terror und Massenhinrichtungen standen auf der Tagesordnung, die politische Grundlage waren und sind religiöser Fundamentalismus und antiwestliche Doktrin. Etliche Menschen waren auf der Flucht und auf der ganzen Welt entstanden iranische Widerstandsorganisationen, die sich gegen die Politik des iranischen Regimes formierten.

So auch in Wien – und unter den zahlreichen iranischen Studierenden, die sich hier Ende der 1970er-Jahre engagierten, war auch Hossain, der damals Politikwissenschaft und Völkerkunde an der Universität Wien studierte. „Tag und Nacht war ich mit meinen Genossen und Genossinnen politisch aktiv“, erinnert er sich. „Fünf Jahre lang bin ich diesen Weg gemeinsam mit linken und extrem linken Gruppen gegangen – und davon gab es einige in Wien: Die marxistisch-leninistische Linke verteilte sich auf zahlreiche Lager, die alle nicht miteinander zusammenarbeiteten“, sagt Hossain. Als sich dann abzeichnete, dass der Widerstand gegen das iranische Regime und die islamische Revolution gescheitert war, habe ein Umdenkprozess bei ihm stattgefunden: „Seither bin ich der Meinung, man sollte seine politischen GegnerInnen eben als GegnerInnen sehen – und nicht als FeindInnen.“ Konkret bedeute das für ihn: Offene Diskussionen und freie Meinungsäußerung auf demokratischer Basis und Legitimation. „Doch die Gruppen waren damals noch nicht so weit. Ich war der einzige mit dieser Position.“

Und so kam es, dass aus GenossInnen, die Tag und Nacht miteinander arbeiteten, FeindInnen wurden. „Ich wurde als Spion des iranischen Regimes verunglimpft – auf der Straße angespuckt, beschimpft und teilweise auch handgreiflich angegangen“, erzählt Hossain. Und dieser Bruch mit den ehemaligen politischen FreundInnen wirkt bis heute nach – obwohl mittlerweile 30 Jahre vergangen sind. Hossain trennt streng zwischen privaten und politischen FreundInnen: Ein Resultat aus der starken Repression des iranischen Regimes. „Die Familie wollten wir immer schützen, und in der Öffentlichkeit lieber gar nicht als solche erkennbar sein“, sagt er. Gerade wenn der politische, autoritäre Druck, der vor Terror nicht zurückschreckt, auf Widerstand stößt, entstünden mehrere Phänomene: stärkere Verbindungen unter Gleichgesinnten, aber auch die stärkere Unterscheidung zwischen politischen und privaten Kontakten – genauso wie eine grundlegende Skepsis, die schnell auch gegen Verbündete umschlagen kann. Genau das ist Hossain widerfahren.

Private Freundschaften hat er vor allem mit Schulkollegen, die im Iran geblieben sind. Nachdem aber auch sie im iranischen Widerstand aktiv waren, sind viele mittlerweile nicht mehr am Leben. „Meine iranischen Freunde kann ich leider nur mehr an einer Hand abzählen – früher waren es viel mehr“, sagt Hossain. Mit ihnen wird dafür aber umso häufiger telefoniert, „wir vertrauen einander blind.“ Man hält zueinander und steht mit Ratschlägen, aber auch mit finanzieller Unterstützung bei Seite. Letzteres wurde Hossain bei seinen Wiener FreundInnen zum Verhängnis – er ist jahrelang für sie finanziell geradegestanden, und wurde zum Zeitpunkt des Zurückzahlens der Schulden stehen gelassen. „Meine finanzielle Unterstützung belief sich wohl auf rund 50.000 Euro – die ich nie wieder gesehen habe. Genauso wenig wie die Freunde“, sagt Hossain.

Trotzdem: Hossain ist weiter offen für neue Freundschaften. „Jeder Mensch ist anders und es stecken in allen Menschen auch gute Eigenschaften. Eine gute Freundschaft braucht Zeit, man muss sie aufbauen.“ Derzeit versucht er, seine Zeit jungen IranerInnen zu schenken, die ein offenes Ohr und eine Ecke zum Ausweinen brauchen, wenn sie nach ihrer Flucht neu in Wien angekommen sind. „Aber das sind eher Begegnungen und keine richtigen Freundschaften. Ich stehe alleine da.“ 

AutorInnen: Flora Eder