„Unser Veränderungsdrang wird sich nicht abstellen lassen“

  • 04.05.2013, 18:42

Vom 14. bis 16. Mai finden die ÖH-Wahlen statt. Im Gespräch mit progress ziehen Martin Schott (FLÖ), Angelika Gruber (VSStÖ), Janine Wulz GRAS) und Christoph Huber (FEST) vom Vorsitz-Team Bilanz über die vergangenen zwei Jahre.

Vom 14. bis 16. Mai finden die ÖH-Wahlen statt. Im Gespräch mit progress ziehen Martin Schott (FLÖ), Angelika Gruber (VSStÖ), Janine Wulz GRAS) und Christoph Huber (FEST) vom Vorsitz-Team Bilanz über die vergangenen zwei Jahre.

progress: Ihr müsst bald das Feld für die neue Exekutive räumen. Was waren für euch die schönsten und schwierigsten Momente der vergangenen zwei Jahre?

Gruber: Einer der schönsten Momente für mich war, als wir das Forum Hochschule (Alternativer Hochschulplan, Anm. d. Red.) fertig hatten und präsentieren durften.

Wulz: Für mich war der vergangene Frühling schwierig, als es harte Angriffe gegen mich gegeben hat (Anm. d. Red.: im Zuge der Diskussion um das Café Rosa). Am schönsten fand ich die Begeisterung der Studierenden, die bei ÖH-Projekten wie Hochschulen im Nationalsozialismus mitgewirkt haben.

Schott: Schönster Moment war, als ich gewählt wurde. Am meisten enttäuscht hat mich der verlorene Kampf für die Wiedereinführung der Direktwahl.

Huber: Ich bin ja erst seit Dezember im Vorsitz-Team. Mich freut vor allem zu sehen, dass es eine nächste Generation von Menschen gibt, die motiviert und mit Elan dabei ist.

progress: Die Beteiligung an den ÖH-Wahlen ist mit rund 30 Prozent immer sehr gering. Denkt ihr, dass die ÖH als Interessensvertretung der Studierenden dennoch legitim ist?

Schott: Die Wahlbeteiligung ist definitiv zu gering. Trotzdem gibt es Unis und Standorte, wo viele Studierende wählen. Das hängt wahrscheinlich mit der ÖH-Arbeit vor Ort zusammen und damit, was die Studierenden von der ÖH mitbekommen. Es gibt auch Standorte, die sich einigeln und ein bisschen Angst vor den Studierenden haben. Die wollen sich dann hauptsächlich selbst erhalten und lassen nicht alle mitmachen, die wollen. Wenn Studierende das Gefühl haben, dass die ÖH etwas Elitäres und Abgehobenes ist, dann wird bei ihnen nichts ankommen.

Wulz: Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass es – im internationalen Kontext betrachtet, fast nirgends eine so stark verankerte Studierendenvertretung gibt wie in Österreich. Für uns selbstverständliche Dinge, wie beispielsweise, dass wir Stellungnahmen zu Gesetzen schreiben und ein Stimmrecht im Senat haben, müssen sich andere StudierendenvertreterInnen in Europa erst mühsam erkämpfen.

Huber: Problematisch ist, dass es eine ÖH nach drei Gesetzen gibt. Unis, FHs und PHs werden jeweils separat geregelt. Hier müsste der Gesetzgeber handeln und ein einheitliches Gesetz schaffen.

progress: Bei Forum Hochschule hat die ÖH ein alternatives Konzept für den Hochschulplan entworfen und dabei auch komplexe Formeln zur Errechnung des Finanzbedarfs der Hochschulen erarbeitet. Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie der bildenden Künste, hat in einem Interview mit derStandard.at den Ansatz der ÖH als ökonomistisch und zu wenig visionär bezeichnet. Wie seht ihr das?

Gruber: Der ÖH wird immer Utopie und Realitätsferne vorgeworfen. Mit diesem Konzept haben wir das Gegenteil bewiesen. Gerade wenn es um die Finanzierungsfrage geht, bin ich zutiefst von diesem Modell überzeugt. In einer Budgetierung braucht es Transparenz.

Wulz: Die Kritik richtet sich weniger an das Modell an sich, sondern wirft die Frage auf, wie viel Realpolitik eine ÖH machen muss. Natürlich kann man als ÖH ein Bildungssystem fordern, das grundsätzlich anders ist. Das ist bei Forum Hochschule in allen anderen Kapiteln ja auch passiert. Für uns ist es notwendig, etwas auf den Tisch legen zu können, das jetzt umsetzbar ist. Das soll aber nicht heißen, dass wir nicht genauso Ideen haben, wie eine utopische Uni in 100 Jahren aussehen könnte.

Gruber: Aber auch die beste Utopie kommt nicht ohne Geld aus. Ich finde unsere Forderung, dass sich das Budget nach den Studierenden richtet und mitwächst, sehr visionär.

progress: Wie wahrscheinlich ist es, dass die nächste Exekutive wieder in dieser Konstellation zusammenarbeitet? Gibt es Fraktionen, mit denen ihr eine Koalition ausschließt?

Huber: Eine Zusammenarbeit mit dem RFS wird von uns allen ausgeschlossen. Meiner Einschätzung nach kann es nach der Wahl in dieser Konstellation weitergehen. Eine Alternative wäre, dass eine der vier Fraktionen mit der AG koaliert. Die hat aber aus meiner Sicht in den letzten zwei Jahren nicht mit Verlässlichkeit gepunktet.

Schott: Das ist Sache meiner NachfolgerInnen. Außer dem RFS werden wir aber nach der Wahl niemanden von Gesprächen ausschließen. Dass es mit der AG in puncto Zugangsbeschränkungen schwierig werden kann, ist kein Geheimnis. Andererseits gibt es eine Koalition mit der AG an einem lokalen Standort.

Wulz: Ich empfehle meinen NachfolgerInnen, in einer ähnlichen Konstellation weiterzuarbeiten. Die vier Fraktionen haben in den vergangenen zwei Jahren für einen freien Hochschulzugang und soziale Absicherung gekämpft. Es gibt einen breiten Konsens darüber, wofür die ÖH stehen muss. Die AG hingegen arbeitet in Richtung einer elitären Hochschule. Damit ist für mich vollkommen klar, dass es mit der AG niemals möglich sein wird, inhaltlich gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

progress: Ab dem Wintersemester müssen viele Studierende – darunter zum Beispiel ausländische Studierende – wieder Studiengebühren bezahlen. Durch den Beschluss der Studienplatzfinanzierung wird in 28 Studienfächern die Mindestzahl der StudienanfängerInnen gesetzlich festgelegt. Was sagt ihr zu diesen Maßnahmen?

Wulz: Wären wir nicht zum Verfassungsgerichtshof gegangen und hätten mit einer Klage über eine Million Euro gedroht, wäre es viel schlimmer gewesen. Ginge es nach Töchterles Plan, hätten wir flächendeckende Studiengebühren von mindestens 500 Euro für alle Studierenden und Zugangsbeschränkungen an allen Unis. Mit der Salami-Taktik, die diese Regierung angewandt hat, wurden einige Verschlechterungen nach und nach beschlossen, aber das Worst-Case-Szenario konnte verhindert werden.

Schott: Weder Zugangsbeschränkungen noch Studiengebühren sind wirklich eingeführt worden. Bei den Studiengebühren gilt nun wieder die gleiche Regelung wie zuvor. Dass ausländische Studierende doppelt bezahlen müssen, ist eine Katastrophe. Die Reform der Studienplatzfinanzierung findet außer der Regierung niemand gut. Wir haben versucht, unser Angebot von Konzepten lautstark zu kommunizieren. Offensichtlich aus Angst vor unserer Kompetenz ist das Ministerium daran aber nicht interessiert.

progress: Was wird eurer Prognose nach bildungspolitisch in den nächsten Jahren in Österreich passieren?

Wulz: Das hängt davon ab, was politisch passiert. Existiert weiterhin ein ÖVP-Wissenschaftsministerium, kann es nur schlimmer werden.

Vor allem seit dem Universitätsgesetz 2002 wurden die Mitsprachemöglichkeiten für Studierende zurückgedrängt, die Familienbeihilfe gekürzt, die Studieneingangs- und Orientierungsphase eingeführt und die Zugangshürden verschärft. Es wurden im Halbjahrestakt Verschlechterungen beschlossen, die dazu dienen, möglichst viele Menschen aus den Hochschulen auszuschließen.

Schott: Ich glaube noch immer daran, dass die Politik irgendwann einsehen wird, dass im Hochschulraum – egal mit welchem System – mehr Geld benötigt wird.

progress: Seid ihr traurig oder froh darüber, dass die Exekutivperiode bald vorbei ist?

Gruber: Es war sehr viel Arbeit, aber auch eine tolle Erfahrung. Ich freue mich aber schon darauf, wieder Vollzeitstudierende zu sein und mein Studium beenden zu können.

Wulz: Es ist beides. Wir haben jetzt zwei Jahre durchgearbeitet und es ist an der Zeit, einmal eine Pause einzulegen und etwas anderes zu machen. Wenn ich mir aber vorstelle, dass dieser Lebensabschnitt nun vorbei ist, bin ich schon auch ein bisschen traurig.

Huber: Hier arbeiten über 80 Leute ehrenamtlich. Da findet man Freunde, die man fast jeden Tag sieht. Von heute auf morgen aufzuhören, ist dann ein Abschied mit einem weinenden Auge.

Schott: Ich freue mich auf ein Leben mit weniger Geschwindigkeit und darauf, nicht immer sofort zu allem etwas sagen können zu müssen.

Wulz: Ich freue mich darauf, mein Handy wieder auszuschalten (Zustimmung und Gelächter von allen).

progress: Was möchtet ihr euren NachfolgerInnen mit auf den Weg geben?

Gruber: Einen langen Atem (lacht).

Wulz:  Nicht zu vergessen, für wen sie das machen. Man ist in der Bundesvertretung oft auf einer Ebene, die von einzelnen Leuten ziemlich weit weg ist. Trotzdem sollte man sich vor Augen halten, dass es darum geht, dass jedeR Einzelne studieren kann. Oder, dass eine einzelne Person eine Prüfung angerechnet bekommt, mit der sie ihren Abschluss machen kann.

progress:  Strebt jemand von euch eine Karriere in der Politik an?

Wulz: Ich werde mein Leben lang politisch aktiv bleiben, denn das war ich auch, bevor ich in der ÖH war. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich mir das jemals wieder antun werde, in so einer Funktion zu leben und damit auf vieles andere zu verzichten.

Gruber: Der Veränderungsdrang wird sich bei uns vieren nicht abstellen lassen. Es ist wirklich toll, wenn ein eigener Vorschlag mit ins Gesetz aufgenommen wird – und sei es nur eine Kleinigkeit. Es ist wichtig, dass junge Menschen nicht verdrossen aus der ÖH rausgehen und denken, dass Politik anstrengend ist, sondern sehen, dass Politik wirkt.

progress:  Die Aktionsgemeinschaft hat vor kurzem gefordert, ÖH-Ausgaben über 100.000 Euro vom Wissenschaftsministerium kontrollieren zu lassen. Was haltet ihr davon?

Huber: Wenn man überlegt, dass die ÖH eine verankerte Körperschaft ist, die sowieso schon interne Aufsichtsgremien und Grenzen hat und Beschlüsse auf verschiedenen Ebenen braucht, ist diese Forderung komplett wahnsinnig. Man müsste dann immer den politischen Gegenspieler anbetteln, um Geld ausgeben zu dürfen.

Gruber: Ich finde es gefährlich für eine Interessensvertretung, die schlagkräftig agieren soll. Das ist wie eine Zwangsjacke für sich selbst. Man wird handlungsunfähig, wenn der Minister, den man in vielen Situationen kritisiert, der Kritik zustimmen müsste. Außerdem schießt die Forderung am Ziel vorbei: Schon jetzt müssen alle Rechtsgeschäfte über rund 7000 Euro im Wirtschaftsausschuss, in dem sowieso alle Fraktionen mit Klubstatus vertreten sind, beschlossen werden. Die Kontrolle ist also schon gegeben – auch die durch die politische Gegnerin.

Schott: Die Forderung ist eine Wahlkampfforderung, die nicht sehr sauber formuliert ist. Die AG fordert eine Genehmigung von Rechtsgeschäften über 100.000 Euro. Außer der Überweisung von Studierendenbeiträgen an die lokalen Vertretungen gibt es aber auch jetzt keine Rechtsgeschäfte über 100.000 Euro. In Hinblick auf die Diskussion um das Café Rosa kommt die Forderung wahrscheinlich gut an. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir mit diesem offensichtlichen Misstrauen umgehen, denn es steckt nun einmal etwas dahinter. Es ist Aufgabe der ÖH, Geld so einzunehmen und auszugeben, dass niemand auf die Idee kommt, eine solche politische Forderung zu stellen.

Foto: Luiza Puiu

Foto: Luiza Puiu

 

AutorInnen: Elisabeth Mittendorfer