Transsexualität

Feine Differenzierungen

  • 30.09.2012, 22:21

Eingeengt. Wer die Rollen neu schreibt. Auf den Spuren einer vielschichtigen Verweigerung.

Eingeengt. Wer die Rollen neu schreibt. Auf den Spuren einer vielschichtigen Verweigerung.

Transidentitäten

Wenn von trans*, Transgender oder Transidentität gesprochen wird, kann sehr Unterschiedliches gemeint sein. Der feinen Differenzierung geschlechtlicher Selbstverortungen steht hier die große Unwissenheit der breiteren Gesellschaft gegenüber. Wo hierzulande bis vor kurzem noch meist von „Transvestiten“ gesprochen wurde, und damit grob „Männer” in „Frauen“kleidern gemeint waren, wurden inzwischen zumindest Konzepte wie „Transsexualität“ und „Intersexualität“ durch die Medien aufgegriffen. In vielen  Darstellungen werden dennoch exotisierende Bilder bemüht, und wenn Trans*personen in den Medien vorkommen, dann oft auf stereotype Weise. Generell orientieren sich die Mediendiskurse dabei weniger an den Bedürfnissen von Betroffenen, als vielmehr an gesellschaftlichen Normvorstellungen. Wird Intersexualität nun aufgrund biologischer Ursachen zumindest formal teils anerkannt, so wird Intersex-Personen dennoch oft die Einordnung in ein klassisch zweigeschlechtliches Modell abverlangt. Bei Transsexuellen wird der Wunsch, im „anderen“ Geschlecht zu leben, häufig überhaupt infrage gestellt. Oft ist klischeehafte Überzeugungsarbeit von Transpersonen nötig, um anerkannt zu werden. Trans* ist ein sehr breites und meist allzu reduziert betrachtetes Label, das nichtzuletzt auch von vielen Menschen als Bezeichnung bewusst abgelehnt wird. Die angeführte Literaturversucht weitere Einblicke zu geben.

Transsexualität

Der Begriff „Transsexualismus“ wurde 1923 vom deutschen Arzt Magnus Hirschfeld eingeführt, um zu beschreiben, wie Personen sozial und physisch eine Transition in das „andere“ Geschlecht anstreben. Hirschfeld hat dabei bereits in den 1920er-JahrenTranssexuelle in ihrem Geschlechtswechsel unter stützt und begleitet. Faschismus und Nationalsozialismus haben allerdings der fortschrittlichen Geschlechterpolitik und -praxis ein Ende bereitet. Erst über Harry Benjamin wurde in den USA der 1950er-Jahre Transsexualität auch wissenschaftlich wieder wohlwollend aufgegriffen, wenn auch in patriarchalpaternalistischer Weise. Inzwischen ist die Existenz von Transfrauen (Mann-zu-Frau-Transsexuelle, MzF, MtF) und Transmännern (Mann-zu-Frau-Transsexuelle, FzM, FtM) akzeptierter. Dennoch wird Transsexualität auch nach wie vor medial sowie in der Mehrheitsgesellschaft als krankhaft angesehen und in Medien exotisiert.

Geschworene Jungfrauen

Die einzige institutionalisierte Form des Gender-Crossings in Europa finden wir in Albanien: die Tobelja („die, die einen Schwur abgelegt hat“). Eine Frau übernimmt dabei jegliche Tätigkeiten, die in der Regel „Männern“ vorbehalten bleiben, und legt jene Tätigkeiten ab, die „Frauen“ zugeschrieben werden. Eine körperliche Transition wird zumeist nicht angestrebt. Tobeljas entscheiden sich oft nicht selbst zu diesem Weg, sondern werden von der Familie in diese Rolle gedrängt. Sie werden oft stereotype, teils misogyne – also frauenverachtende – Männer. Dieses Modell stabilisiert rigide Geschlechternormen und wurzelt vor allem in sozialen Notlagen in einer traditionellen Gesellschaft. Als Folge der Gleichstellungsbestrebungen zwischen „Frau“ und „Mann“ imjugoslawischen Sozialismus ist dieses Modell inzwischen kaum noch verbreitet.

Gender Queer

Nicht in das vorgefertigte Rollenbild passen, das uns von der Gesellschaft vorgegeben wird: Das passiert oft leichter als man glaubt. Gender Queer oder Gender Fluid sind Identitätsbezeichnungen, die viele Menschen anwenden, um den engen Kategorien zu entfliehen. Beide Ausdrücke sind Überbegriffe, die verschiedenste Assoziationen zulassen. Es kann sich dabei um Menschen handeln, die sich mal mehr als Mann, mal mehr als Frau fühlen, oder sich in gar keiner geschlechtlichen Identität wohlfühlen. Aber es kann auch nur die sogenannte gender expression gemeint sein, also die typischen sozialen Verhaltensweisen, die sich nicht mit den Stereotypen decken. Nichts zu tun hat der Begriff mit sexueller Orientierung. (red)

Hijras und andere Konzepte

Außerhalb Europas gab und gibt es verschiedenste institutionalisierte Formen von Gender-Crossing und alternativen Geschlechtern: brasilianische Travestis, indische Hijras, „weibliche Ehemänner“ in verschiedenen afrikanischen Gesellschaften, oder verschiedene ambivalente Geschlechter in indigenen Gesellschaften in Nordamerika. Diese Beispiele zeigen, wie unterschiedlich Transgender-Identitäten sein können. Können manche davon identitätspolitisch inspirieren, warnen andere davor, dass eine großteils  geschlechterbinäre Hetero-Gesellschaft durch ein exotisiertes, ausgebeutetes „drittes Geschlecht“ auch stabilisiert werden kann.

Feministische Science-Fiction

Für eine emanzipatorische Geschlechterpolitik können gerade auch fiktive Geschlechterkonzeptionen sehr brauchbar und motivierend sein. So finden wir in verschiedenen feministischen Science-Fiction- Werken reichhaltige Überlegungen über alternativeModelle – von solchen, in denen Geschlecht keine Rolle mehr spielt, bis zu solchen, in denen es fünf oder mehr Geschlechter gibt. Ausgehend von dort verhandelten Konflikten lässt sich auch über die eigenen Praktiken und Möglichkeiten reflektieren. Zugleich bieten Science-Fiction-Romane auch einen Raum, sich selbst erst einmal mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, außerhalb politisch verfahrener Kontexte.

Weitere Infos
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Empfohlene Lektüre:
Schröter, Susanne. 2002. FeMale. Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern. Fischer Taschenbuch Verlag.

Serano, Julia. 2007. Whipping Girl: A Transsexual Woman on Sexism and the Scapegoating of Femininity. Seal Press.

Voß, Heinz-Jürgen. 2010. Geschlecht: Wider die Natürlichkeit. Schmetterling Verlag.

Science-Fiction:
Piercy, Marge. 1985. Woman on the Edge of Time. Women’s Press. Delany, Samuel R. 1996. Trouble on Triton: An Ambiguous Heterotopia. Wesleyan University Press. Scott, Melissa. 2009. Shadow Man. Lethe Press.

Organisationen/Links:
http://www.transx.at
http://www.intersexualite.de

Mehr als eine

  • 30.09.2012, 21:49

Das Transgender Equality Network Ireland (TENI) tritt für eine rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Transgender-Personen in Irland ein. progress sprach mit dem TENI-Aktivisten Broden Giambrone über die Herausforderungen einer Bewegung.

Das Transgender Equality Network Ireland (TENI) tritt für eine rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Transgender-Personen in Irland ein. progress sprach mit dem TENI-Aktivisten Broden Giambrone über die Herausforderungen einer Bewegung.

progress: Der Begriff Transgender wird sehr unterschiedlich verwendet. Was bedeutet Transgender für TENI?

Broden Giambrone: Alle Menschen, deren Geschlechtsidentität von jener abweicht, die ihnen bei ihrer Geburt zugewiesen wurde fallen für uns unter den Begriff Transgender. Konkret: Crossdressing, Transsexualität, Travestie, Gender-Queer oderGender-Fluid  und viele mehr, aber auch Menschen, die sagen, dass sie gar keine Geschlechtsidentität haben.

Wie würdest du die Wahrnehmung von Transgender-Personen in Irland beschreiben?

Diskriminierung von Trans-Personen ist ein großes Problem. Viele Menschen realisieren überhaupt nicht, dass es Trans-Menschen gibt. Ein gutes Beispiel dafür war ein Interview, zu dem ich letztes Jahr von einem der großen Radiosender eingeladen wurde. Nachdem das Interview vorbei war, kam der Moderator zu mir und sagte: „Ich habe ja gar nicht realisiert, dass es mehr als eine Trans-Person in Irland gibt.“ (lacht) Wir kämpfen also in erster Linie mit dieser Unsichtbarkeit. Von dieser Unwissenheit leiten sich viele der Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, wie etwa Transphobie, ab. Das Sereotyp ist eine Trans-Frau in ihren Fünfzigern.

Welche Unterstützung können sich Transgender-Personen erwarten, wenn sie zu TENI kommen?

Viele sind arbeitslos oder haben Probleme, das Haus zu verlassen, manche wollen sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen oder sie haben ganz einfach Probleme mit ihren Gefühlen in Bezug auf ihre Geschlechtsidentität. Die Anfragen reichen vom Wunsch nach einem Kontakt zu Gleichgesinnten, etwa in einer Peer-Support-Group, über das Bedürfnis, anonym mit einem/einer TherapeutIn sprechen zu können, bis hin zu Fragen rund um intraspezifische Gesundheitsversorgung.

Ihr haltet Workshops an Schulen, für Gewerkschaften oder andere Interessierte. Was vermittelt ihr hier?

Wenn wir mit Gruppen aus dem Gewerkschaftsbereich arbeiten, reden wir vor allem über Diskriminierungen am Arbeitsplatz. Da die Gleichbehandlungsgesetze in Irland Trans-Menschen nicht explizit erwähnen, kommt es für sie am Arbeitsplatz immer wieder zu Problemen, wenn es etwa um Mobbing oder Kündigungen geht. Wir bekommen selten die Möglichkeit, in den Schulen Workshops zu  halten, weil das Schulsystem sehr katholisch geprägt ist.

Welche Reaktionen bekommt ihr auf die Workshops?

Die Reaktionen sind meist positiv, aber auch sehr unterschiedlich. Ich würde nicht sagen, dass die irische Gesellschaft inhärent  transphob ist. Oft ist es einfach Unwissenheit. Wenn wir mit Jüngeren sprechen, sind sie zwar meist recht schüchtern, dafür fehlen ihnen viele der Vorurteile die ältere Generationen haben.

Wie funktioniert eure Zusammenarbeit mit der Politik beziehungsweise der Gesetzgeberin als Interessensvertretung?

Wir versuchen in erster Linie Bewusstsein zu schaffen. Wir reden mit den PolitikerInnen über negative Erfahrungen, die Trans-Menschen in den verschiedenen Lebensbereichen machen müssen, wie etwa den schwierigen Zugang zur Gesundheitsversorgung, Diskriminierung am Arbeitsmarkt oder die hohe Selbstmordrate. Wir bemühen uns auch das Thema positiv zu besetzen. Aber die Politik agiert in diesem Bereich nicht proaktiv. Zum Beispiel ist Irland eines der letzten Länder, in dem man die eigene  Geburtsurkunde immer noch nicht ändern kann. Und das, obwohl ein Gericht bereits 2007 entschieden hat dass eine entsprechende  Änderung möglich sein muss. Wir arbeiten an einem entsprechenden Gesetz, aber der Prozess schreitet sehr langsam voran.

Wie sieht die Situation in Irland in Bezug auf den Zugang zum Gesundheitssystem für Transpersonen aus?

Um in Irland etwa eine Geschlechtsumwandlung oder einfach nur einzelne geschlechtsspezifische Operationen machen zu können, muss man zuerst mit einer sogenannten „Geschlechtsidentitätsstörung“ identifiziert werden. Im staatlichen Gesundheitssystem gibt  es aber nur sehr wenige PsychologInnen oder PsychiaterInnen, die sich damit auskennen oder Erfahrungen mit Trans-Menschen haben. Das führt dazu, dass Menschen in das teure private System wechseln, sofern sie sich das überhaupt leisten können. Es hängt also davon ab, ob man das Geld hat, um sich die entsprechende Gesundheitsversorgung leisten zu können.

Wie  gehen die Menschen damit um, dass sie mit einer Geschlechtsidentitätsstörung identifiziert werden müssen, um Anspruch auf gewisse Leistungen bekommen zu können?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt einige, die sich sehr stark damit identifizieren. Für sie bietet ein „Geschlechtsidentitätsstörung“ eine Erklärung für ihre Gefühle sowie eine Möglichkeit, zu ihren KollegInnen, FreundInnen oder ihrer Familie gehen und sagen zu  können: Schaut ich habe diese Störung, ich kann nichts dafür. Ich denke aber, dass wir uns langsam in eine Richtung entwickeln die diese Diagnose überflüssig macht.

Arbeitet ihr auch mit anderen europäischen oder internationalen Transgender-Organisationen zusammen?

Ja. Derzeit mit verschiedenen europäischen Organisationen gemeinsam an dem Projekt Page One, das sich mit der Sichtbarkeit und Repräsentation von Trans-Menschen in den Medien beschäftigt. Europaweit erleben wir einen sehr ähnlichen Umgang der Medien mit Trans-Themen, entweder sie finden gar keine Beachtung, oder es werden Sensations-Stories gebracht. Ziel des Projekts ist es, mehr Sichtbarkeit und eine positivere Berichterstattung in den Medien zu erreichen. Oft wird in Interviews danach gefragt, ob man  eine Operation hatte oder wie man früher geheißen hat. Unvorbereitet kann es in solchen Situationen passieren, dass man plötzlich  über Sachen spricht, die man gar nicht erzählen wollte. Wir wollen, dass sich Trans-Menschen dabei wohl fühlen, ihre eigene Geschichte so zu erzählen, wie sie es wollen und nicht, wie sie die JournalistInnen oftmals hören wollen.

Wie würdest du die Repräsentation von Trans-Menschen in den Medien generell beschreiben?

Wenn darüber überhaupt berichtet wird, dann fast ausschließlich in Form von Klatsch- und Tratsch- Geschichten. Themen, über die eigentlich berichtet werden sollte, wie Transphobie, Diskriminierungen, Gewaltverbrechen oder die rechtliche Situation, kommen praktisch nicht vor. Die Medien sind mehr daran interessiert, ob du operiert wurdest, oder an Vorher-nachher-Bildern. Unsere Vorsitzende bei TENI, die auch als Lektorin für die Trinity Universität in Dublin arbeitet, musste vor einiger Zeit eine besondersschlimme Erfahrung im Umgang mit den Medien machen. Die irische Sun, eine der größten Boulevard- Zeitungen, die von Millionen Menschen gelesen wird, hat ein Foto von ihr auf dem Cover abgedruckt und getitelt: „Trinity's sex swap proof. Greek Lecturer was a man“. Sie haben sie einfach so geoutet. Auf der Titelseite! Sie hat weder ihr Einverständnis zu einem Interview gegeben, noch dazu, dass ein Foto von ihr gemacht wird und schon gar nicht, dass es abgedruckt wird. Wir waren erschüttert.

Habt ihr geklagt?

Nein, aufgrund einer Reihe von persönlichen Gründen hat sie sich entschieden, keine rechtlichen Schritte einzuleiten.

Irgendwo dazwischen

  • 30.09.2012, 21:20

Mann oder Frau, entweder–oder: In unserer Gesellschaft herrscht der Zwang zur Zweigeschlechtlichkeit. Menschen, die diese Geschlechtergrenzen überschreiten, stehen dabei nicht nur vor juristischen Hürden.

Mann oder Frau, entweder–oder: In unserer Gesellschaft herrscht der Zwang zur Zweigeschlechtlichkeit. Menschen, die diese Geschlechtergrenzen überschreiten, stehen dabei nicht nur vor juristischen Hürden.

„Wann lässt du dich operieren?“ – „Nimmst du Hormone oder so?“ Diese Fragen werden Jolly (siehe Porträt, Anm.), Student_in der  Materialwissenschaften in Jena, häufig gestellt, wenn er_sie mit anderen Personen darüber spricht, dass er_sie trans* ist. Beim Thema Transgender haben die meisten eine Metamorphose von Frau zu Mann oder umgekehrt vor Augen. Trans* beziehungsweise Transgender ist aber ein Überbegriff, den einerseits Menschen verwenden, die sich auch mit Begriffen wie Transsexuelle, FTM (Female to Male) oder MTF (Male to Female) beschreiben und sich damit klar als Mann beziehungsweise Frau identifizieren. 

Andererseits gibt es viele Personen, die sich erst gar nicht in dieses Schema einpassen wollen, und für die eine geschlechtliche „Uneindeutigkeit“ Grundlage ihres trans*-Seins bedeutet. Die Frage, wo Transgender anfängt und aufhört, lässt sich somit nicht eindeutig beantworten. „Trotzdem gibt es eine Gemeinsamkeit, nämlich Geschlechternormen teilweise abzulehnen und sich selbst nicht mit dem Geschlecht zu  identifizieren, das einem nach der Geburt zugeordnet wurde“, sagt Jolly.

Status Quo. In Österreich ist seit einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofes aus dem Jahre 2009 der Operationszwang für  Trans*Personen gefallen. Das heißt, dass eine geschlechtsanpassende Operation für eine Personenstandsänderung, durch die das gelebte Geschlecht offiziell anerkannt wird, nicht mehr verpflichtend ist. Diese Änderung muss beim Standesamt des Geburtsortes  beantragt werden. Allerdings lässt der Gesetzestext noch immer Raum für Interpretationen, weshalb bezüglich  Personenstandsänderungen keine Rechtssicherheit besteht. Eine Ablehnung des Ansuchens liegt im Ermessen des oder der jeweiligen BeamtIn. Je nach Bundesland gibt es hier Unterschiede. „Es geht in Wien und in Salzburg relativ problemlos, in Kärnten und der Steiermark gibt es ziemliche Schwierigkeiten“, erklärt Andrea von TransX, einem Verein für Transgender-Personen.

Kranke Klassifikation. Eine weitere Hürde bei der Personenstandsänderung ist für viele Trans*Personen die Forderung nach einem psychiatrischen Gutachten, in dem explizit die Diagnose „Transidentität“ gestellt wird. Laut der WeltgesundheitsorganisationWHO sind Trans*Personen krank. Mann oder Frau, entweder–oder: In unserer Gesellschaft herrscht der Zwang zur Zweigeschlechtlichkeit. Menschen, die diese Geschlechtergrenzen überschreiten, stehen dabei nicht nur vor juristischen Hürden. Im Diagnosekatalog ICD (International Classificationof Disease) wird Transsexualität als eine „Persönlichkeits- und Verhaltensstörung“ geführt, wodurch Trans*Personen pathologisiert werden. „Viele Transgender-Personen finden es diskriminierend, dass sie die Krankheitswertigkeit nachweisen müssen. Wenn eine Transgender-Person den Personenstand dem anpassen will, was er_sie empfindet, und dann den ganzen Zinober machen muss, fühlt er_sie sich natürlich nicht gut“, sagt Angela Schwarz von der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Die Pathologisierung garantiert im Moment jedoch, dass beispielsweise genitalanpassende Operationen von der Krankenkasse übernommen werden. „Die Sorge ist, dass, wenn die Einstufung als Krankheit weg ist, medizinische Systeme nicht mehr zahlen wollen“, sagt Schwarz.

Dabei gäbe es durchaus internationale Richtlinien für die Behandlung von Transgender-Personen – die sogenannten Standards Of Care – die von der WPATH, der internationalen Gesellschaft für Transgender Gesundheit, formuliert wurden. Doch anstatt diese anzuerkennen, wird in Österreich eine Kommission eingesetzt, die eigene Empfehlungen entwickelt.

Recht auf freie Namenswahl. Ein weiterer Missstand in Österreich ist, dass es derzeit nicht möglich ist, einen Vornamen zu wählen, der dem staatlich zugewiesenen Geschlecht widerspricht. Im Bundesgesetzblatt Nummer 195/1988 steht in Paragraph drei  geschrieben, dass die Änderung des Vornamens nicht bewilligt werden darf, wenn dieser „nicht dem Geschlecht des Antragsstellers entspricht“. Bisher können Menschen, die in einem anderen Geschlecht leben wollen als dem, das ihnen bei der Geburt zugewiesen worden ist, ihren Vornamen folglich erst dann offiziell tragen, wenn eine Personenstandsänderung bewilligt worden ist. Dafür brauchen sie aber jenes psychiatrische Gutachten, das ihnen eine psychische Störung bescheinigt. Damit werden Menschen für krank erklärt, obwohl diese weder den Wunsch noch Bedarf nach medizinischer Behandlung haben. „Das ist vor allem für die Personen eine Hürde, die gerade damit beginnen, im anderen Geschlecht zu leben“, sagt Heike Keusch vom Vorstand des Vereins TransX. Daher fordert TransX das Recht auf freie Namenswahl. Das heißt, dass die Geschlechtszugehörigkeit beim Namen nicht mehr zwingend sein soll. Bislang stelle sich die Politik in dieser Causa aber völlig quer.

Zwar können die Personen für sich selbst – etwa im Alltag – ihren Namen wechseln, aber bei offiziellen Angelegenheiten bleibt der unpassende Name bestehen. Eine Option für eine Namensänderung ist im Moment die Wahl eines geschlechtsneutralen Vornamens. Das kostet in etwa 500 Euro, die sich nicht jedeR leisten kann. Aus verschiedenen Gründen kann diese Gebühr erlassen werden. „Ein weiterer Grund für einen Erlass wäre für uns, dass eine Transgender- Person einen geschlechtsneutralen Vornamen haben will“, erklärt Schwarz.

Ähnliche Situation. In Deutschland ist eine Namensänderung nur nach einer einjährigen Psychotherapie und der Vorweisung von zwei verschiedenen Gutachten möglich. Ein Preis, den Jolly nicht bezahlen will, auch wenn er_sie gerne den im Pass eingetragenen Namen ändern möchte: „Wenn sich die Regelung nicht verbessert, dann würde ich lieber darauf verzichten und den schmalen Grat  dazwischen für mich selbst finden, als dieses Prozedere über mich ergehen zu lassen. Dabei geht’s für mich auch ums Prinzip und die Anerkennung, dass es so, wie es jetzt ist, gar nicht geht.“ Progressiver ist da Argentinien: Dort wurde vor kurzem ein  fortschrittliches Transgender-Gesetz  verabschiedet, mit dem eine Namensänderung und Geschlechtseintragung in Dokumenten nur mehr  einen Gang zum Amt braucht. Für Jolly ist das eine klare Lebensverbesserung. Trotzdem stellt er_sie klar: „Solange die gesellschaftliche Akzeptanz nicht da ist, sind alle gesetzlichen Regelungen nur halb so viel wert.“

Coming-Out. Laut Andrea haben sich die Reaktionen auf Coming-Outs im familiären Umfeld in den vergangenen Jahren verbessert, weil die Leute besser aufgeklärt seien: „Dass die Eltern und Verwandten in der Regel nicht glücklich sind, ist klar. Die ganz großen Katastrophen habe ich in den letzten Jahren aber nicht mehr erlebt.“ Dass es für Familienangehörige dennoch oft schwierig ist, mit der Situation umzugehen, hat auch Jackie erlebt. Er*sie schreibt in Wien derzeit an ihrer*seiner Masterarbeit
und ist in einer katholisch geprägten Familie aufgewachsen, die eine sehr konservative Vergangenheit hat: „Meine doch eher aufgeschlossene Mutter meinte, ich solle mit meiner Identität nicht hausieren gehen und dass meine Großeltern ‚das’ nichtverkraften würden. Und weil ich meine Mutter mag, hab ich das dann im Dorf nicht so rumerzählt, weil sie im Endeffekt diejenige ist, die dem Dorf dann ausgesetzt ist und nicht ich.“ „Die Leute fallen nicht mehr in Ohnmacht, wenn sie Transen sehen“, sagt Andrea, die bei TransX in der Beratung tätig ist und lacht.

Offene Diskriminierung würde es in unserer Gesellschaft kaum mehr geben – unterschwellig jedoch sehr wohl. Das bekommen viele Trans*Personen vor allem im Berufsleben zu spüren. „Ich habe in der Firma getransed und dann nicht mehr Fuß fassen können und  bin dann fünf Jahre lang herumgeschoben worden, bis ich aufgegeben habe“, erzählt Andrea. Rund 50 Prozent können laut Heike  Keusch ihren Job behalten. „Das geht aber oft mit viel Bauchweh und anderen Geschichten einher“, sagt sie. Laut Schwarz sind Bildung und Aufklärung in diesem Zusammenhang wesentliche Aufträge. Die Haltung „Ich verstehe nicht, warum dieser Mann plötzlich eine Frau sein will, und weil ich es nicht verstehe, kann ich darüber stänkern“ ist ihrer Meinung nach sehr wohl noch  verbreitet. Auch Jolly stößt auf der Uni des Öfteren auf diese Art von Unverständnis: „Das Problem beispielsweise bei meinen Kommiliton_innen ist, dass ich versucht habe, Gespräche zu führen und von ihnen keine Bereitschaft da war, auch nur ansatzweise darüber zu reden“, erzählt er_sie.

Verfolgung. Als großes Thema in Zusammenhang mit Transgender sehen Keusch und Andrea in Zukunft die Betreuung von Trans*Personen, die in Österreich um Asyl ansuchen, weil sie in ihrer Heimat aufgrund ihrer Transsexualität verfolgt werden. Ein bekannter Fall ist jener von Yasar Öztürk, die in der Türkei von der Polizei misshandelt wurde. Ihre Abschiebung konnte zwar verhindert werden, ein positiver Asylbescheid fehlt aber bis heute. „Dabei geht es nicht nur darum, dass diese Leute Asylstatus bekommen, sondern dass diese Leute, wenn sie in der Grundversorgung sind, in Wien leben können, da sie in Flüchtlingsheimen außerhalb ebenfalls mit Diskriminierung zu kämpfen haben“, erklärt Schwarz.

Zwang zur Zweigeschlechtlichkeit. Viele Trans*Personen sehen sich nicht als strikt männlich oder weiblich, sondern bewegen sich in einem Feld dazwischen. „Zweigeschlechtlichkeit an sich ist kein großartiges Konzept“, sagt Jolly. „Für mich bedeutet Trans*, dass ich mich selbst nicht als eines der beiden von der Gesellschaft vorgegebenen Geschlechter definieren möchte.“ So von anderen Menschen wahrgenommen zu werden, gestalte sich aber auch als schwierig, weil die Möglichkeit, weder als „Frau“ noch als „Mann“ verstanden zu werden, in deren Köpfen gar nicht existiere. „Die Leute tun sich leichter, wenn sie andere in zwei Schachteln einordnen können. Wenn es in die Bandbreite der Identitäten geht, wird es schwierig“, sagt Schwarz. „Dass für manche die Zuordnung zu einem Geschlecht unerträglich ist, ist zu akzeptieren. Wie man das jetzt im Detail umsetzen kann, weiß ich aber  nicht“, fährt sie fort. Die kritische Frage, in welchen offiziellen Papieren das Geschlecht überhaupt aufscheinen muss, stellt Schwarz ebenso wie Jolly.

Dennoch hält Schwarz es für unwahrscheinlich, dass es im westeuropäischen Rechtssystem etwas anderes als Mann und Frau geben  wird. „Geschlechtsidentitäten völlig auszuheben, wäre ein bisschen wie das Kind mit dem Bade auszuschütten, weil es im  negativen Sinne Diskriminierung auf Basis des Geschlechts gibt. Diese wäre dann nicht mehr feststellbar. Außerdem ist Geschlecht für viele schon auch ein Teil der Identität. Es wäre nicht in Ordnung, das als null und nichtig wegzuwischen.“ Abseits der  Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung, freier Personenstandsänderung und freier Wahl des Vornamens geht es bei der  Verbesserung der Lebensrealitäten von Trans*Personen auch um eine gesellschaftliche Veränderung. Die Geschlechtsidentitäten von  Personen als ihre eigene Wahl zu akzeptieren und anzuerkennen, sei dabei der erste Schritt, meint auch Jolly: „Das Wichtigste ist, dass sich Leute darauf einlassen können. Dass sie Identitäten auch mal akzeptieren, auch wenn sie diese gerade nicht  nachvollziehen können. Dass sie beispielsweise gewünschte Pronomen verwenden und versuchen, den anderen Namen zu verwenden und darin zu denken.“

* Die Verwendung von Personalpronomen in unterschiedlichen Schreibweisen entspricht den Selbstbezeichnungen der Interviewten.

Info: Jeden zweiten und vierten Donnerstag wird von 20:00 bis 22:00 Uhr von TransX persönliche Beratung in der Rosa Lila Villa angeboten. Nähere Informationen gibt es unter www.transx.at.