Queer-Feminismus

Wie viel Pop verträgt Feminismus?

  • 11.05.2017, 20:30
„Feminismus ist in!“, schreien uns Werbekampagnen und Stars entgegen. Was passiert mit der Frauenbewegung, wenn Feminismus zu einem Konsumgut wird?

„Feminismus ist in!“, schreien uns Werbekampagnen und Stars entgegen. Was passiert mit der Frauenbewegung, wenn Feminismus zu einem Konsumgut wird?

Wenn sich Unternehmen feministische Ästhetik für Verkaufszwecke ausborgen, dann ist das durchaus irritierend. Vor allem, weil nicht immer klar ist, ob nun Umsatzsteigerung oder offene Unterstützung frauenpolitischer Agenden im Vordergrund stehen. Ebenso ist es mit Promis, für die Feminismus in ihrer Kommunikationsstrategie eine Rolle spielt. Im Oktober 2016 referierte Bitch- Media-Chefredakteurin Andi Zeisler im Rahmen des Business Riot zum Thema „Marketplace Feminism“. Dieser Feminismus kommt unpolitisch daher und will vor allem eines: Feminismus als Lifestyle mit entsprechend käuflich erwerbbarer Produktpalette feilbieten. Mit ihrem Buch „We Were Feminists Once“, das gerade auf Deutsch erschienen ist, hat sie den Kern der Debatte getroffen. Wenn sie die Umweltbewusstseins- Kampagnen der Hollywood-Stars der 90er und frühen 2000er mit der Vereinnahmung des feministischen Diskurses durch Prominente und Turnschuhhersteller vergleicht, dann wird klar, dass Feminismus derzeit schlichtweg im Trend liegt.

Andi Zeisler kommt zum Schluss, dass wir aufmerksam und behutsam mit Feminismus umgehen müssen, um hohle Marketingstrategien rund um Girlpower und Girlgang zu enttarnen: Ein Hashtag alleine ist kein politischer Akt. Damit hat sie recht: Wenn ein Label vordergründig politische Anliegen unterstützt und ich deshalb seine Produkte kaufe, unterstütze ich noch immer die Firma und nicht die politische Bewegung.

FEMINISMUS SCHLÄGT ZURÜCK. Wie geht man mit Initiativen um, die zwar breit mobilisieren können, aber bestehende bzw. feministische Diskurse vernachlässigen und Begrifflichkeiten einführen, die nichts mit kollektiven Unrechtserfahrungen zu tun haben? Leonie Karpfer, Redakteurin des feministischen Magazins an.schläge, betont die Ambivalenzen, die eine kritisch-feministische Aneignung popkultureller Strömungen in sich birgt: „Popfeminismus darf nicht inhaltslos bleiben, sondern muss klar gesellschaftliche Missstände anprangern. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, auf die kapitalistische und neoliberale Vereinnahmung von popfeministischen Strömungen aufmerksam zu machen.“

Was wäre nun, wenn der Feminismus quasi dem Kapitalismus eins auswischt, und sich Marktstrategien aneignet, um seine Agenden zu verbreiten? Das ist wissentlich oder unabsichtlich die Strategie vieler junger Initiativen, die vor allem die Funktionsmechanismen der sozialen Medien zu nutzen wissen. Kapitalismus und seine Kritik tanzen immer Tango und besonders ersterer eignet sich findig die Strategien seiner Gegner_innen an, wie Luc Boltanski und Ève Chiapello in ihrem Buch „Der neue Geist des Kapitalismus“ Anfang der 2000er Jahre herausstellten. Was aber, wenn sich nicht nur der Kapitalismus die Modi seiner Kritik aneignen kann, sondern auch umgekehrt die Kritik die kapitalistischen Kommunikationsstrategien?

Diese Vorgehensweise birgt einige Gefahren. Beispielsweise, in feministische Belanglosigkeit abzudriften.

MARKENBOTSCHAFTLER_INNEN. Besonders gefährlich ist Popfeminismus dann, wenn die Gesichter, über die er kommuniziert wird, einem dominanten Schema entsprechen, das sich grob als weiß, heterosexuell und privilegiert beschreiben lässt und in Modelmaßen daherkommt. Wenn (sozialisierte) Ästhetik über Inhalt steht, bzw. der Inhalt gar nicht mehr erkennbar ist vor lauter Glamour, dann wird kein Dienst an feministischen Bestrebungen geleistet. Zwar können solche Bilder durchaus als disruptiv gegenüber diskriminierenden und klischeehaften Bildern von Feminist_innen gewertet werden; da das Aufbrechen solcher Stereotype aber meist nicht das Ziel von Werbekampagnen ist, werden hier schlichtweg Bilder ausgetauscht. Die Feministin von damals ist von Kopf bis Fuß behaart und frisst im Kurzhaarschnitt die Männer um sich herum, die Feministin des 21. Jahrhunderts posiert auf Instagram mit Schmollmund im „The Future is Female“-Shirt.

Beide Stereotype sind gleichsam gefährlich, spaltend und werden der Diversität der Akteur_innen nicht gerecht. Wenn sich die Werbeindustrie am feministischen Diskurs bedienen will, dann wäre es wünschenswert, sie würde das in der Verantwortung machen, die so eine Aneignung mit sich bringt – oder sie lässt es bleiben. Umgekehrt steht es feministischen Initiativen frei, sich diese Öffentlichkeit kritisch anzueignen, lautstark Inhalte einzufordern, wo sie nicht vorhanden sind, und Werbegags zu enttarnen. Wer sich seitens der Werbeindustrie aufdrücken lässt, wie Feminismus auszusehen hat, hat womöglich nicht die nötigen Instrumente, sich gegen so eine Vereinnahmung zu wehren. In diesem Sinne braucht es Aufklärungsarbeit von inhaltsstarken Initiativen. Denn unterm Strich bleibt: Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass sich die feministische Bewegung durch Marketingstrategien spalten lässt, denn gerade in Zeiten des Aufschwungs der konservativen, antifeministischen Rechten braucht es eine breite, gemeinsame Lobby, die kritischen Diskurs zwar nach innen betreibt, aber nach außen mit gemeinsamer Stimme spricht.

Therese Kaiser ist Co-Geschäftsführerin des Business Riot Festivals und ist in verschiedenen feministischen Initiativen aktiv. Sie hat Politikwissenschaft an der Universität Wien studiert.

Feminismus, wir müssen reden

  • 19.11.2016, 21:51
Die politische Sichtbarkeit von trans Personen macht nicht nur Konservative nervös. Auch einige Feminist_innen fürchten um ihr Weltbild.

Die politische Sichtbarkeit von trans Personen macht nicht nur Konservative nervös. Auch einige Feminist_innen fürchten um ihr Weltbild.

Im angloamerikanischen Raum sind transfeindliche Feminist_innen schon länger unter dem Akronym TERFs bekannt. In Wien ist beispielsweise das autonome Frauenzentrum ein Residuum transausschließender Politik, die auf Ansichten der Frauenbewegung der 1970er und 80er Jahre gründet. Die Haltung des FZs zeigt sich in seiner Selbstbeschreibung, aber auch in dem jährlich erneuerten Credo, trans Personen (üblicherweise meinen sie trans Frauen) sollten nicht an der 8. März Demonstration oder feministischen Selbstverteidigunskursen (WENDO) teilnehmen. Transfeindlicher Feminismus ist nun auch mitten in der queer-feministischen Szene angekommen.

TERFs. TERF steht für Trans Exclusionary Radical Feminism/Feminist. Dabei handelt es sich nicht um eine stolze Selbstbezeichnung, sondern um den Versuch von außen, die Transfeindlichkeit mancher feministischer Bewegungen sichtbar zu machen. Für TERFs ist die Welt einfach: Die Menschheit teilt sich in Frauen und Männer, die in einem Unterdrückungsverhältnis zueinander stehen. Wer zu welcher Gruppe gehört, bestimmen die TERFs, pardon, die Biologie. In dieser Wahrnehmung existieren trans Personen, also Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, einfach nicht. Weil sie aber eben doch existieren, belegen TERFs sie mit Vorwürfen: So hätten trans Männer – aber auch nicht binäre Personen – Verrat am weiblichen Geschlecht begangen und sich mit dem Patriarchat gut gestellt. Trans Frauen hingegen können in dieser Denkweise nie wirkliche Frauen sein. Die Argumentation stützt sich im Wesentlichen auf zwei Punkte: Biologie und Sozialisation.


Biologie. Das Argument, Geschlecht sei biologisch bestimmt, ist nicht neu. Überraschend ist jedoch, aus welcher Ecke es neuerdings vorgetragen wird. Seit vier Jahren kommentiert der popkulturelle Blog Sugarbox das „queere Wien“. Im Sommer stellte sich eine Blogautorin die Frage „Was ist eigentlich Geschlecht?“ und löste mit ihrem Artikel eine heftige Diskussion um Feminismus und Transfeindlichkeit aus. Ihr Resümee: Die Begriffe „Mann“ und „Frau“ seien neutrale Körperbeschreibungen. Ein politischer Affront gegen trans Personen, denen durch die „objektive“ Beurteilung angeblicher biologischer Tatsachen ihr Recht auf Selbstbestimmung genommen wird.

„Your tells are so obvious, shoulders too broad for a girl“, singt Laura Jane Grace in ihrem Lied transgender dysphoria blues und beschreibt damit die schmerzhafte Erfahrung, in den Augen von anderen nicht als Frau erkannt zu werden. Viele trans Personen haben tagtäglich damit zu kämpfen, dass ihnen ihr Geschlecht abgesprochen wird. Es stimmt, dass wir gewohnt sind, in einfachen Dichotomien zu denken und wahrzunehmen. Aber diese Gewohnheit ist nicht objektiv richtig und schon gar nicht sollte es ein feministisches Ziel sein, sich ihrer Beibehaltung zu verschreiben.

Ist Geschlecht also ein Konzept der Natur zur Fortpflanzung? Ist nicht die Beschränkung von (cis) Frauen auf ihre Gebärfunktion auch für (cis) Feminist_innen riskant? Mit Recht wehren sie sich gegen die Reduktion des Körpers auf die Reproduktionsfähigkeit. Es gilt, sich von der Verfügungsgewalt durch Staat und Ehemann zu befreien und endlich durchzusetzen, dass eine Frau keine Gebärmutter ist. Es ist heuchlerisch, dann zum Zweck des Ausschlusses von trans Frauen die Gebärmutter als Kriterium wieder ins Spiel zu bringen. Ja, der Körper spielt eine Rolle. Und ja, es ist wichtig für trans Personen, Zugang zu medizinischen Leistungen zu haben, die sogenannte „geschlechtsangleichende Maßnahmen“ ermöglichen. Aber: Nicht alle trans Personen streben eine Hormontherapie oder OPs an und sie werden dadurch auch nicht erst männlich, weiblich oder nicht binär. Sie sind es schon davor und müssen sich in ihrer Entscheidung auch nicht von normativen Vorstellungen über das Aussehen von Männern und Frauen leiten lassen.

Auch der konservativen Medizin gelingt keine fein säuberliche Zuordnung von Körpern. Am stärksten von dieser Zwangseinteilung betroffen sind intergeschlechtliche Menschen. „Was wir heute unter weiblichen oder männlichen Körpern verstehen, ist gesellschaftliche Übereinkunft und Halbwissen, das wissenschaftlich längst überholt ist. Beispielsweise sind Chromosome, Hormonwerte oder Körperteile individuell extrem unterschiedlich und verlaufen nicht an der Grenzlinie ‚Frau‘/ ‚Mann‘“, sagt Njan Völker, Referentin_in im queer_referat der ÖH-Bundesvertretung.


 

Sozialisation. Sozialisation ist ein in der feministischen Theorie gebrauchtes Modell, das erklärt, wie Geschlechterrollen erlernt werden. Indem bei Mädchen andere Eigenschaften gezielt gefördert werden als bei Jungen, wird geschlechterkonformes Verhalten ausgebildet. TERFs nutzen dieses Konzept zum Ausschluss von trans Frauen, denen angeblich die weibliche Sozialisierung mit der in ihr angelegten Erniedrigung fehle.

Susanne Hochreiter vom Germanistikinstitut der Uni Wien hält von dem Konzept nicht viel: „Die Vorstellung von der gleichen Sozialisation ist ein dermaßen übler Blödsinn, dass man weinen könnte.“ Die gemeinsamen Erfahrungen, die angeblich alle Frauen teilen, spiegelt tatsächlich die Perspektive der weißen Mittelschichtsfrau zu einer bestimmten Zeit wieder. Denn es macht einen Unterschied, ob ein Mädchen am Bauernhof im ländlichen Österreich aufwächst oder in Wien als Tochter türkischer Gastarbeiter_innen. Nicht alle Frauen erleben die selbe Art von Diskriminierung – Stichwort Intersektionalität. Vielmehr werden Lebensrealitäten von verschiedenen Faktoren geprägt. Zu diesen Faktoren zählen beispielsweise Antisemitismus, Rassismus, Armut oder Behinderung. Es ist eine wesentliche politische Einsicht, dass Diskriminierungsstrukturen vielschichtig und nicht aus einem einzigen Prinzip heraus erklärbar sind.

Auch in der Diskussion auf Sugarbox wird trans Frauen unterstellt, sie seien nicht als Mädchen erzogen worden und daher nicht wirklich von Sexismus betroffen. Diese Unterscheidung funktioniert nicht. In vielen Fällen merken Kinder schon früh, dass sie sich nicht in das Geschlecht einleben können/wollen, in dem sie angesprochen werden. Weibliche/männliche Sozialisation ändert daran nichts: „Ich habe auch während meiner Jugendzeit schon offen trans gelebt“, sagt Njan. „Welche Sozialisation habe ich demnach genossen?“ Aktivistin Lena Pöchtrager fügt hinzu: „Die Frage ist: Welche Vorbilder hatte ich, mit wem habe ich mich identifiziert? Insofern war meine Sozialisation nicht männlich, sondern die eines trans Mädchens. Sozialisation ist keine Einbahnstraße.“

„Klassische“ Frauenfeindlichkeit erleben trans Frauen genau wie cis Frauen, sobald sie von anderen als Frauen gelesen werden: „Wenn ich auf der Straße gecatcalled werde, fragt doch niemand davor: ‚Hast du eine weibliche Sozialisation?‘ oder: ‚Hast du eine Gebärmutter?‘“, sagt Lena.
 

Was nun? Solidarität ist auch dann gefragt, wenn man nicht genau dasselbe erlebt hat. Indem TERFs kundtun: „Wir verstehen transgender nicht“, werden sie kein Problem lösen. „Außerdem muss man schon zur Kenntnis nehmen, dass Pionier_innen der lesbischen und feministischen Bewegung, wie Leslie Feinberg, zugleich trans Pionier_innen waren. Alles andere hieße, einen Teil der eigenen Geschichte negieren“, sagt Hochreiter. (Queer-)Feminist_innen müssen Transfeindlichkeit mit ihren tödlichen Auswirkungen endlich als Problem erkennen – auch als ihr eigenes. Queer ist eben keine Partyattitüde, sondern ständiger Widerstand gegen ein System, das Körper und Begehren gewaltvoll reguliert.

„Ich würde mich freuen über einen progressiven Pragmatismus“, sagt Hochreiter, Mitgründerin des Gender Initiativ Kollegs: „Vor allem angesichts der Renationalisierung, die gerade stattfindet. Wir werden wieder auf der Straße stehen und uns fürs Abtreibungsrecht einsetzen. Das wird ein Rückzugsgefecht.“

Angesichts der politischen Umstände ist es an der Zeit, aus der Eitelkeit herauszufinden, die Feminist_innen nur um die eigene Achse kreisen lässt. Das heißt auch, Verantwortung zu übernehmen, anstatt den eigenen Problemfokus auf Kosten anderer zu verteidigen. „My body my choice“ ist nach wie vor ein wichtiger feministischer Slogan, der eben nicht nur cis Frauen betrifft. Hochreiter sieht nicht notwendig einen Widerspruch zwischen den Positionen: „Ich kann auf eine Demo für gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit gehen und ich kann auf eine Demo gehen für freie Entscheidung von Personen, was ihre Möglichkeiten ihr Geschlecht zu definieren anlangt.“ Wenn es feministischen Bewegungen gelingt, verschiedene Lebensrealitäten und deren spezifische Bedürfnisse einzubinden, statt zu negieren, können wir auch wieder gemeinsam auf die Straße gehen. Because nobody wants to be walking the streets all alone.

Kaddy Kube studiert Geschichte an der Universität Wien.

Mariage pour tout le monde? Ehe für Alle?

  • 17.07.2014, 20:18

Die Publizisten Tjark Kunstreich und Joel Naber haben sich in den letzten Jahren intensiv mit der Bewegung gegen die Legalisierung von homosexuellen Ehen und Lebenspartnerschaften in Europa beschäftigt und schrieben über die vielfältigen gesellschaftlichen und psychologischen Formen des Homosexuellenhasses rund um die „mariage pour tous“ in Frankreich. David Kirsch hat sie dazu für progress online interviewt.

Anmerkung der Redaktion:
Wir bedaueren sehr, dass es zu Unklarheiten rund um dieses veröffentlichtes und dann wieder gelöschtes Interview gekommen ist. Diese Situation war die Folge von Meinungsverschiedenenheiten in der Online-Redaktion. Dafür, dass nicht sofort eine adäquate und professionelle Vorgangsweise im Umgang damit gefunden wurde, möchten wir uns entschuldigen.

Uns ist klar, dass sich über das betreffende Interview zumindest stellenweise streiten lässt. Es spiegelt auch nicht unbedingt die (durchaus heterogenen) Meinungen der Redaktion und der ÖH wider, wie Artikel und insbesondere Interviews allgemein nicht immer die Meinung der ÖH widerspiegeln. In folgendem Punkt sind wir uns allerdings einig: Wir trauen unseren LeserInnen zu, dass sie sich eine eigene Meinung bilden können. Sie können und sollen selbst entscheiden, ob sie die Positionen der Interviewten teilen oder nicht.

Wir werden organisatorische Konsequenzen ziehen, um solche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden. Im progress muss Platz für Meinungsvielfalt, kritische Debatten und konstruktiven Dialog sein.

Die Publizisten Tjark Kunstreich und Joel Naber haben sich in den letzten Jahren intensiv mit der Bewegung gegen die Legalisierung von homosexuellen Ehen und Lebenspartnerschaften in Europa beschäftigt und schrieben über die vielfältigen gesellschaftlichen und psychologischen Formen des Homosexuellenhasses rund um die „mariage pour tous“ in Frankreich. David Kirsch hat sie dazu für progress online interviewt.

progress online: Wann begannen die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen rund um die "mariage pour tous" in Frankreich und wie entwickelten sie sich?

Kunstreich und Naber: Beim Amtsantritt der Regierung Hollande 2012 hatten viele Linke und Linksliberale in Frankreich das Gefühl, dass sich alle linken Essentials in der Anpassung an die Mitte in Luft aufgelöst hatten und dass als einziges genuin linkes Projekt im Vergleich zur vorangegangenen Sarkozy-Regierung die „mariage pour tous“ verblieben war. Dieses Gesetzesprojekt bekam damit wohl für Befürworter wie Gegner der sozialdemokratischen Regierung einen starken Symbolcharakter. Daraus allein aber lässt sich die Massenmobilisierung gegen dieses Gesetz nicht erklären. Vielmehr scheint es uns so zu sein, dass mit diesem Thema die Mehrheit des rechten Spektrums endlich „ihr“ Thema gefunden hatte, das an symbolischer Kraft dem Antirassismus und Antikolonialismus der Linken gleichkommt. Es sollte unterstrichen werden, dass es bürgerliche Rechte gibt, auch innerhalb von Sarkozys UMP, die diese Gegnerschaft zur „mariage pour tous“ nicht teilen. Aber diese sind aus taktisch-politischen Gründen bei der Verurteilung dieser Massenbewegung ähnlich zaghaft wie israelfreundliche Sozialdemokraten bei der Kritik des linken Antizionismus. Und daneben geht die Begeisterung für den Hass auf die „loi Taubira“, das Gesetz zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, das nach Hollandes Justizministerin Christiane Taubira benannt ist, weit ins bürgerliche Lager hinein. Die „manif pour tous“ – zu deutsch: Demo für alle –  die Aktionsbewegung, die 2013 in Frankreich den Widerstand gegen die „Ehe für Alle“ organisiert hat ist zugleich ein Klima der Enthemmung entstanden, in dem zum einen die Gewalt gegen Homosexuelle wieder hoffähig geworden ist und zum anderen ein gewisses rechtes Spektrum sich auf einmal ermutigt fühlt, sich vom linken ‚Joch des Antirassismus’ zu befreien – indem sie die schwarze Christiane Taubira mit Bananenschalen bewerfen und dabei die „quenelle“-Geste des antisemitischen und rechtsextremen Komikers Dieudonné zeigen, eine neue Variante des Hitlergrußes. Damit wird dann auch der Haken geschlagen, der die politisch rechte Identität dieser Bewegung wieder auflöst: Die „mariage pour tous“ war gewissermaßen nur der Anlass, das bürgerliche Lager, das mit Antirassismus, Antikolonialismus und Antizionismus in den letzten Jahren in der Mehrheit nie so recht zu locken war, in eine faschistische Massenbewegung einzugemeinden. Das ist geglückt.

Wie entstand die die Gegenbewegung zur "mariage pour tous", was sind ihre Besonderheiten und aus welchen Persönlichkeiten setzt sie sich zusammen?

Losgetreten hat die Bewegung Virginie Tellenne, die unter dem Namen Frigide Barjot in Frankreich als Komikerin bekannt ist. Sie gehört zu einem Spektrum, das zwischen rechtsextrem und faschistisch changiert, aber bislang sein Milieu in den verschiedenen kulturellen Erscheinungsformen antibürgerlicher Provokation gefunden hatte, die landläufig eher als ‚links’ angesehen wurde, ohne dass man sich genauer angesehen hätte, was da verhandelt wurde. In den 2000ern hatte Barjot ihr katholisches Coming Out, während sie sich zuvor als Touristin in der schwulen Sub von Paris verlustiert hatte. Mit ihrer Bewegung der „Manif pour tous“ brachte sie dann aber mehr ins Rollen, als sie selbst wahrscheinlich je zu hoffen gewagt hatte. In Gestalt des „Französischen Frühlings“ wuchs ihr ein von Béatrice Bourges geführter, offen faschistischer Flügel als Konkurrent heran, der sie inzwischen an Popularität überholt hat und effektiver als sie die Verschmelzung von Links und Rechts besorgt.

Womit wird gegen das Recht Aller auf Ehe argumentiert? Kann man Analogien zu anderen regressiven Ideologien entdecken?

Das ist schwer zu sagen, denn im eigentlichen Sinne handelt es sich nicht um Argumente, sondern um Glaubensbekundungen: etwa für den natürlichen Geschlechtsunterschied, für die Notwendigkeit von Mama und Papa, für die Natürlichkeit der Familie, der Abstammung und des Zustandekommens des Lebens ... Der psychologische Hintergrund ist unseres Erachtens, dass viele Menschen auf einmal merken, dass sie sexuelle Minderheiten brauchen, um auf sie herabblicken zu können, weil die Herrschaftsverhältnisse anders nicht zu ertragen sind. Deswegen werden folglich in der Begründung der Ablehnung der „mariage pour tous“ diese Verhältnisse affirmiert und als Garant alles wahrhaft Menschlichen beschworen. Das erinnert an die arabische Bevölkerung, die in den zwanziger und dreißiger Jahren im Mandatsgebiet Palästina Pogrome gegen Juden veranstalteten und dabei die Parole skandierten: „Die Juden sind unsere Hunde!“ Sie konnten und wollten nicht akzeptieren, dass die Juden nicht länger ihre Hunde sein würden und das zionistische Projekt ihnen die Möglichkeit ihrer eigenen Emanzipation vor Augen führte.

 

Wie ist die allgemeine Rechtslage für Homosexuelle in Frankreich momentan?

Homosexualität wurde im Zuge der Revolution in Frankreich bereits 1791 entkriminalisiert. Im 19. Jahrhundert wurde Homosexualität im Zuge der Restauration nicht wieder verboten, was Frankreich zu einem Asylland für verfolgte Homosexuelle machte – der bekannteste Asylbewerber war Oscar Wilde, der nach seiner Haftentlassung 1897 nach Paris ging. Seit 1985 gibt es eine Antidiskriminierungsgesetzgebung und seit 1999 den Pacte civil de solidarité, kurz PACS, eine Art Zivilehe, die zwischen beliebigen Menschen geschlossen werden kann. Galt der PACS zunächst als eine Art eingetragene Partnerschaft, ist er seit einigen Jahren vor allem für heterosexuelle Paare eine Alternative zur Ehe geworden, weil sie vertragliche Regelungen erlaubt, die in der Ehe nicht vorgesehen sind, und leichter zu beenden ist. Mit der Einführung der Ehe für alle, inklusive des Adoptionsrechts, im Frühjahr 2013 hat Frankreich sich dem europäischen Mainstream – mit Ausnahme der deutschsprachigen Länder – angeglichen.

Woraus speist sich die spezielle Ablehnung der Homosexualität bzw. des Rechts homosexueller Paare auf Heirat seitens rechter Organisationen in Frankreich? Was für Positionen hat die Linke in Frankreich hierbei?

Frankreich ist ein Beispiel dafür, wie sich trotz Entkriminalisierung das Ressentiment gegen die Homosexualität halten kann. Solange die Homosexuellen, wie die Juden im Übrigen auch, die Plätze einnehmen, die ihnen zugewiesen werden, können sie damit rechnen, zu überleben und toleriert zu werden. Dafür gibt die Literatur von Marcel Proust ein beredtes Beispiel. Im Unterschied zu deutschen und österreichischen Nazis sind französische Faschisten allerdings nicht an sich homophob: Sie dulden die Homosexualität als Markenzeichen eines intellektuellen Grand-Seigneurs, der sich über Klassenschranken hinwegsetzt und sich zu Kommunismus und Faschismus gleichermaßen bekennen kann, wie ihn etwa der Schriftsteller André Gide verkörperte. Außerdem gibt es die Fraktion der katholischen extremen Rechten und die Überbleibsel des Monarchismus, die klassische konterrevolutionäre Gegenaufklärung, die die Entkriminalisierung der Homosexualität auch nach über zweihundert Jahren noch bedauern. Sie sind nicht mit den Faschisten zu verwechseln – nicht wenige von ihnen kämpften gegen die deutsche Besatzung –, ihre Gemeinsamkeit liegt jedoch darin, dass sie die Homosexualität straffrei im übertragenen Sinn nur dem Adel zugestehen wollen. In diesem Sinne argumentieren manche Intellektuelle gegen die „mariage pour tous“ mit dem Verweis auf die großen homosexuellen Dichterfürsten, was aber in dem Moment albern wird, wenn man sich auf Amerikaner wie den Dichter Walt Whitman bezieht, der eine Poetik der Individualität in der Gleichheit und der Demokratie geschaffen hat.

Eine Mehrheit der Linken hat in französisch- republikanischer Tradition die „mariage pour tous“ unterstützt. Auch linksradikale Gruppierungen, wie die verschiedenen trotzkistischen Parteien, haben sich angesichts der wachsenden rechten Bewegung schließlich für die Ehe für alle ausgesprochen. Wobei es nie eine Massenbewegung für die Ehe für alle gegeben hat – sie ist, wie in anderen europäischen Staaten und den USA, das Ergebnis des jahrzehntelangen Ringens einer klugen Lobby. Die Demonstrationen für die „mariage pour toues“ waren eine Reaktion auf die „Manif pour tous“ und die mit ihr einhergehenden Angriffe auf Homosexuelle und ihre Treffpunkte.

Daneben gibt es aber noch jene Linke, die das Rechtsinstitut der Ehe für überholt hält und nicht verstehen kann, was der Staat in privaten Beziehungen zu suchen hat. Mit ihrem Ideal der offenen Zweierbeziehung perpetuieren sie die Illusion der autonomen Linken vom kollektiven Leben jenseits von Staat und Gesellschaft – die Ideologie des Freiraums. Für sie gilt, was der neokonservative Publizist Alain Finkielkraut, der selbst die Ehe für alle ablehnt, vor kurzem in einer Fernsehsendung im Hinblick auf die liberalen Kritiker des vom französischen Innenminister Manuel Valls durchgesetzten Verbots der Auftritte des Nazi-Komikers Dieudonné diagnostizierte: „Sie wünschen sich einen Rechtsstaat ohne Staat und eine Justiz ohne Schwert.“

 

„Liebe ist das Erstrebenswerte, Normalität ihr Schatten“

  • 06.11.2012, 01:50

Im Zuge des rampenfiber-Festivals traf Progress die Berliner Band Normal Love. Mit Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner sprachen die Bandmitglieder Paula P., Inka Kamp und Ben Kaan über gesellschaftliche Normen, Feminismus und natürlich über die Liebe.

Im Zuge des rampenfiber-Festivals traf Progress die Berliner Band Normal Love. Mit Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner sprachen die Bandmitglieder Paula P., Inka Kamp und Ben Kaan über gesellschaftliche Normen, Feminismus und natürlich über die Liebe.

progress: Normal Love, was ist für euch diese normale Liebe?

Inka Kamp: Ja, das ist doch auch die Frage. Ich finde, der Name ist so schön, weil er so offen ist. Ab dem Moment, wo man den Fokus auf die Normalität lenkt, wird es interessant. Weil das ist genau das, worüber man sonst nicht spricht. Man fragt sich, was ist die Norm, was ist normal oder normale Liebe.

progress: Wie kam es zu dem Namen Normal Love?

Inka Kamp: Er ist eine Referenz zu einem Film von Jack Smith aus den 1960er Jahren, der ebenfalls Normal Love hieß. In diesem Film ist sehr unklar, was Normalität ist.

progress: Wie kann man dem gesellschaftlichen Bild von Normalität entgegenwirken?

Pauline P: Das ist eine taktische Frage. Ich denke, man muss sich selbst fragen: Warum gibt es diese Normen, wie sehen diese aus und wie werden sie gemacht? Wer gehört zu dieser Norm und wer nicht? Manchmal ist es lustiger zu sagen, dass etwas, das nicht als eine Norm wahrgenommen wird, jetzt die Norm ist, anstatt sich selbst immer nur zu marginalisieren.

progress: Fließt das Spiel mit den Normen auch in euer Band-Konzept hinein?

Ben Kaan: Das ist einfach auch die Erfahrung, die wir jetzt mit unserem Namen gemacht haben. Ich denke, jede_r würde die eigenen Erfahrungen, die gemacht wurden, als normal setzen. Es gibt aber auch in Berlin gerade diesbezüglich einen kleinen Diskurs: Christiane Rösinger hat auch dieses Buch Liebe wird oft überbewertet herausgebracht und ist damit aufgetreten. Ich denke, Liebe mit einem Adjektiv wie normal zu paaren ist eine gewisse Provokation. Weil die Liebe ist ja gemeinhin das total Erstrebenswerte und die Normalität wird immer als ihr Schatten unter den Tisch gekehrt.
Die Leute reagieren eigentlich sehr positiv auf unseren Namen. Es ist ein Name, den jede und jeder für sich selbst interpretieren kann. Da wollen wir auch gar nicht zu viel vorgeben.

P: Das ist auch das, was interessant wird. Wenn man über Normalität spricht, wird es sehr offen. Wer kann sich damit identifizieren und wer nicht. Für uns ist dieser offene Name sehr schön.

progress: Was sind eure Einflüsse?

P: Wir haben unglaublich viele Einflüsse. Einerseits gibt es unsere Vorliebe für Discomusik und andererseits eben diese mit Indie-Elementen zu verbinden. Also so etwas wie Disco zu machen mit analogen Instrumenten, gefällt uns sehr gut. Dabei wollen wir auch unkonventionelle Songstrukturen haben wie zum Beispiel Zweigesänge, das ist sonst eher nicht so verbreitet. Aber auch feministische Bands haben uns beeinflusst.

B: Visuelle Faktoren spielen bei uns ebenso eine große Rolle. Inka, Pauline und ich haben auch viel mit Film zu tun. Wir haben beim Songwriting nicht immer nur die Musik im Kopf, sondern eben auch visuelle Elemente, die uns inspirieren. Viele Songs sind Szenen, die wir selber mit Kreuzberg, als Lebensmittelpunkt assoziieren. Das ist ja nicht nur eine musikalische Kultur, sondern da steckt das Konzept Popkultur dahinter. Gerade die beiden Ecken – elektronische Einflüsse und das, was wir analog machen, greift eben die beiden Schienen auf, wo wir uns nicht eindeutig für eine entscheiden wollen. Also auf der einen Seite die Club-Tradition mit der elektronischen Musik aus Berlin und gleichzeitig ein bisschen Kreuzberg mit seiner Kellerraumromantik und dem Punk.

P: Wir spielen auch in dem Proberaum, in dem Nina Hagen in den 1980er Jahren geprobt hat. Vielleicht gibt uns das auch ein bisschen Punk-Spirit.

progress: Ihr tretet auf queer-feministischen Festivals auf, was bedeutet Queer-Feminismus für euch?

P: Für mich war das schon immer wichtig in allen Sachen, die ich gemacht habe. Aber nicht nur Queer und Feminismus, sondern auch andere Politiken oder generell kritische Positionen zu beziehen. Feminismus ist immer essentiell gewesen für die Musik, die mir wichtig war. Ich denke nicht, dass ich in meiner eigenen Biografie einen Begriff von Musik oder Kunst von Feminismus trennen kann. Das heißt einerseits, Role-Models zu haben und sich auf eine Geschichte zu beziehen, die noch nicht so bekannt ist. Aber auch versuchen, diese sichtbar zu machen und in einer Diskussion mit anderen Frauen stehen. Das ist wichtig für die Band, auch wenn es nicht der einzige Kontext ist, in dem wir uns bewegen.

B: Soweit ich das erlebt habe, seit ich mit Pauline und Inka zusammen spiele und wir auch gemeinsam auftreten, ist Feminismus ein Begriff, den man nicht zu sehr verschlagworten sollte. Für uns ist wichtig, dass wir über diesen Zusammenhang auf Tuchfühlung gehen können mit anderen Leuten, die aktiv werden, wo wir dann wieder spielen können. Das ist so ein Ding, wo man sich einer gemeinsamen Sache verschreiben kann, ohne das endgültig zu beschreiben.

P: Ein wichtiger Aspekt für mich ist auch, dass ein großer Teil der Leute, für die ich eben Musik mache, Frauen sind. Das spielt für mich eine so große Rolle. Es gab so wichtige Frauen und ich sehe mich in einer Geschichte, einer Tradition. Ich möchte Sachen mitentscheiden, mitbestimmen und das eben auch weiter geben.

progress: Auf eurer Myspace-Seite findet man Fotos, die sehr mit Geschlechterrollen spielen, beispielsweise schminkt ihr euch gegenseitig alle mit Lippenstift, was hat es damit auf sich?

P: Bei diesem Bild ist vor allem lustig, dass nicht nur Ben, sondern auch Inka und ich normalerweise keinen Lippenstift tragen. Also sind wir alle so ein bisschen in Drag. Das fanden wir sehr lustig. Es ist ein Bild aus einem Film von Jack Smith, in dem  nur Männer das mit dem Lippenstift machen. Daraufhin dachten Inka und ich, dass wir beide auch in Drag gehen mit dem Lippenstift. Die Normalität wäre wohl, dass Männer das machen und darum machen wir das jetzt auch.

progress: Wie lässt sich eure politische Einstellung mit Party vereinbaren; ist das überhaupt notwendig?

P: Das ist sehr wichtig. Ich denke, das hat etwas mit Begehren zu tun. Es geht um Lust und darum, Sachen miteinander zu teilen. Und das geht nicht nur auf der Straße oder an der Uni, sondern auch in einem Partyraum. Das gehört zusammen.

B: Natürlich ist es eine Gratwanderung, aber wir wollen eben nicht auf diesen Unterhaltungsaspekt reduziert werden. Genauso wenig wollen wir, dass man jetzt bei all dem das vergisst, was als Stimmung oder Lust und Begehren passiert. Wie gesagt, eine Gratwanderung, aber es ist gut, dass man zwischen diesen beiden Ebenen hin und her wechseln kann. Man kennt das ja: Oft gibt es diese Metaebene nicht und dann ist es schön, auch mal unbewusst eben dort erwischt zu werden. In genau dem Moment, in dem klar ist: „Cool, ich kann also gleichzeitig tanzen und denken“. Vielleicht ist das ein bisschen arrogant. Aber darauf läuft es irgendwie hinaus, sich nicht ganz da drinnen zu verlieren aber sich schon gehen zu lassen.

Feuer und Flamme für Sprache

  • 06.11.2012, 01:31

Sookee, Quing of German Hip Hop, erzählt im Gespräch mit Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner von ihrer Faszination an Sprache, über Geschlechternormen und politisches Engagement.

Sookee, Quing of German Hip Hop, erzählt im Gespräch mit Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner von ihrer Faszination an Sprache, über Geschlechternormen und politisches Engagement.

progress: Woher kommt eigentlich dein Künstlerinnenname Sookee?

Sookee: Den hab ich in alten Graffiti-Zeiten gewählt. Ich war auf der Suche nach einem Namen, den man möglichst unterschiedlich schreiben kann. Bei Graffitis geht es ja darum, Buchstaben zu gestalten und dass es nicht immer das gleiche, sondern abwechslungsreich ist. Mein Wunsch war, unterschiedliche Schreibungen zu ermöglichen. „Sookee“ hab ich außerdem von dem Film „Die Hexen von Eastwick“ geklaut: Michelle Pfeiffer spielt dort eine Rolle, die heißt Suki. Graffiti war dann irgendwann für mich kein Thema mehr, aber der Name war da. 

progress: Wie empfindest du die Wechselwirkung von deinem akademischen Hintergrund und Hip Hop?

Sookee: Hip Hop ist eigentlich das Gegenteil von Universität, wo die Straße als Ort des Lernens inszeniert wird. Student_innenrap ist eher ein diffamierender Begriff für langweiliges unmännliches Zeug. Es ist also ein recht großes Spannungsfeld. Ich kriege oft die Rückmeldung, meine Texte wären zu schwierig und anspruchsvoll. Man kenne verschiedene Wörter nicht und die müsste man dann erst googlen. Das finde ich aber gar nicht schlimm, dafür gibt es ja so etwas wie Google. Du musst dich eben nicht erst an eine Uni setzen, um dich mit bestimmten Begriffen zu befassen. Du setzt dich hin, googlest die Scheiße und kriegst die Antwort ausgespuckt. Wenn du Bock hast, dann setzt du dich halt hin und lernst etwas dazu – oder eben nicht. Ich habe aber auch oft Workshops mit Kindern und Jugendlichen, wo ich gemerkt habe, dass das auch ein Gesprächsanlass ist.

progress: Wie sieht das aus?

Sookee: Zum Beispiel letztens in der Schule, in der ich seit drei Jahren arbeite (lacht), jetzt kommt eine Geschichte: Wir sind eine alternative Grundschule, so ein linkes Bildungsprojekt in Kreuzberg, wo die Leute von den Hausprojekten und vom Wagenplatz ihre Kinder hinschicken. Uns werden gerade die Räume gekündigt, darum haben wir uns an diese Kotti (Kottbuser Toor, Anm.) und Co. Initiative angeschlossen.  Es gab von der Initiative eine Demo, an der wir als Schule mit unseren kleinen Leuten teilgenommen haben. Im Vorfeld hab ich mit den Kindern das Positionspapier durchgenommen und eine grammatische Übung mit Lückentexten gemacht. Darin kam der Begriff „Solidarität bekunden“ vor. Ein Mädchen fragte mich: „Du sagst doch auch immer ‚Ich zeig mich solidarisch mit dem Regenbogen‘, ist das damit gemeint?“ Und da merkt man, dass es eben auch um diese Umwege geht, zu lernen. Das finde ich spannend. Ich google ja auch Sachen, die ich nicht verstehe. Letzten Endes schreibe ich meine Texte aber so wie ich will; und so kann ich das am besten. Die Uni hat mich verpflichtet, mich mit Sachen zu beschäftigen und das ist auch gut so.

progress: Du hast Gender Studies und Linguistik studiert …

Sookee: Die Studienwahl hat mich enorm politisiert, die Entscheidung für diese Fächer war total wichtig für mich. Sie hat mich verändert und noch ein Stück vorne geschubst. Das schlägt sich dann natürlich thematisch in meinen Texten nieder. Und wiederum komme ich mit den Inhalten, die ich an der Uni gelernt habe, zurück zu ihr mit meinen Vorträgen, die ich zu Gender und Pop-Kultur halte. Das ist also eine ziemlich große Wechselwirkung.

progress: Auf deinem zweiten Album findet sich der Track Qunig. Wie kam es zu diesem Konstrukt und was hat Quing für eine Bedeutung für dich?

Sookee: Quing habe ich aus der Notwendigkeit heraus entwickelt, dass ich nicht wusste, wie ich mich einordnen soll. Es gibt im Rap bestimmte Image-Angebote und Identifikationsfelder für Frauen, mit denen ich allen nicht glücklich war. Es gibt diese Schubladen, die schon vorgefertigt sind, in die Frauen reingeworfen werden: die Sisters, Bitches, Gangstagirls. Das war alles nicht meins. Da war für mich die Frage „was machst du jetzt?“ Du brauchst schon irgendwas, um dich mit einer Identität in diesem ganzen Feld auszustatten. Du brauchst irgendwas, auch für dich selbst zur Orientierung.

progress: Und wieso gerade Quing?

Sookee: Im Rap gibt es ganz royal diese Angewohnheit, sich mit King oder Queen auszustatten – auch im Namen. Es bot sich für mich an, das zu verschmelzen und die sprachliche Mitte zu wählen. Das ist eine schöne positive Irritation in Bezug auf Geschlechter und stellt meiner Meinung nach eine Öffnung her. Da war ich glücklich, dass das plötzlich durch Quing so einfach da war.

Es ist aber auch der Versuch, eine Möglichkeit für Hip-Hop-affine Leute, aber auch Leute in anderen Subkulturen, zu eröffnen einen Bezug haben, in dem sie sich wohl fühlen und ein Feld haben, in dem sie sich aufhalten können. Eine Referenz. Es geht darum, sich gegen Hierarchien und Normen zu wenden und in Frage zu stellen, wie denn alles zu sein hat. Es geht nicht nur um Antisexismus und gegen Homophobie, es geht auch um Körpernormen, Nationalität … es geht darum, sich ein bisschen im Dekonstruieren auszuprobieren. Neue Sachen für sich zu eröffnen und die Dinge nicht so hinzunehmen, wie sie halt erscheinen, sondern Gegenrealitäten zu schaffen.

progress: Und davon erzählt der Song?

Sookee: Der Track erzählt von verschiedenen Aspekten dessen. Aber auch zu sich selbst gut zu sein, sich selbst zu lieben. Du rennst halt ein ganzes Leben lang mit dir herum. Wenn dich irgendwer anderer nervt, kannst du sagen „Tschüss, ich bin raus. Alles Gute noch im Leben.“ Aber du bist ja immer da. Wenn man es schafft, sich gegen bestimmte Normen zu wehren und sich nicht mehr so sehr davon einnehmen zu lassen, ist das jedenfalls ein guter Schritt in Richtung Selbstanerkennung und bietet viel Entwicklungsfreiheit.

progress: Quing ist eine Sprachkreation von dir, auf deiner Homepage verwendest du geschlechtergerechte Sprache usw. Wie wichtig ist Sprache für dich, wie machtvoll ist sie? 

Sookee: Es ist der Wahnsinn, dass Menschen die Münder aufmachen und andere beginnen zu lachen, zu weinen oder nachzudenken. Ich finde es faszinierend, dass so etwas wie Kommunikation auf so vielen unterschiedlichen Levels stattfinden kann. Auch Gebärdensprache, ist für mich unglaublich spannend. Was Menschen alles auf die Reihe kriegen, um zu kommunizieren. Ich bin da Feuer und Flamme, ich könnte heulen. Ich stehe wie ein kleines Kind da und will davon ganz viel mitkriegen. Ich habe ein großes Vertrauen in Sprache und es ist Teil unseres sozialen Handelns, sonst würde es sich ja nicht so in unserer Realität auswirken. Ich muss manchmal darauf achten, dass ich auch nicht überreagiere, wenn Leute bestimmte Begriffe verwenden. Ich will auch keine Maulklappen verteilen. Ich fände es eben schön, wenn Menschen verstehen würden, warum mir das so wichtig ist und warum ich diese Begriffe nicht verwende. Weil ich auch nicht Teil dieser Reproduktion sein möchte, die wieder zu der Normalisierung von Konzepten und Ideologien und Menschenbildern wird. Auch was Gedanken sprachlich erfassen.

progress: Woher kommt das?

Sookee: Ich hab das schon als Kind immer gemocht, wenn Leute toll erzählen können. Meine Mutter ist eine großartige Erzählerin und sie hat nie eine Uni von innen gesehen. Der Bildungsweg wurde ihr in der DDR verbaut, weil sie nicht in der FDJ (Freie Deutsche Jugend, Anm.) war. Deswegen ist sie einfach in die Berufspraxis gegangen. Es braucht einfach keinen akademischen Background, damit Leute mit Sprache umgehen können. Ich habe das geliebt. In der Schule waren dann natürlich alle Fächer, die was mit Sprache zu tun hatten, meine liebsten. Ich habe sehr viel gelesen und geschrieben. Ich war auch immer so stolz, wenn ein Text oder ein Brief geglückt war.

progress: Du bist in der DDR geboren. Welchen Einfluss hatte der Realsozialismus auf dich?

Sookee: Meine Eltern waren in der DDR sogenannte Oppositionelle und die Kirche hat damals Leuten, die widerständig waren, einen Schutz geboten. Meine Eltern waren über die Kirche organisiert und mein Vater musste in den Knast, weil er den Dienst an der Waffe verweigert hat. Aus dieser Version des Sozialismus wollten meine Eltern dann auch fliehen vor der ganzen Repression, die dahinter stand; auch wenn es eine unglaublich traurige Geschichte ist, dass der Sozialismus an der Stelle nicht funktioniert hat. Irgendwann wurde unser Ausreiseantrag bestätigt und wir hatten 24 Stunden Zeit, das Land zu verlassen, oder mussten für immer dort bleiben. Ich war damals Zweieinhalb, ich hab nicht viel davon mitbekommen, aber das Thema schlägt sich dann natürlich im Familiengefüge nieder. Nur weil du weg bist, ist es ja noch nicht vorbei. Da hängt biografisch einfach viel zu viel dran. Darum war es auch ein hochpolitischer Teil meiner Familienbiografie, der auch mein politisches Bewusstsein relativ früh angefüttert hat. Dadurch, dass meine Eltern dann plötzlich demonstrieren gehen konnten bei der Volkszählung oder Öl-Krisen. Sie konnten dann viel öffentlicher über Politik reden, weil es machbar war und ich habe das als Kind schon mitbekommen und war auch auf relativ vielen Demos und hatte früh ein Verständnis davon, wie sich Politik anfühlt, selbst wenn man nicht Berufspolitiker_in ist. Dass der Sozialismus in der Form und an der Stelle so sehr gescheitert ist, ist halt Scheiße. Es bleibt eben noch Utopie.

progress: Wie lässt sich Politik mit Musik verbinden?

Sookee: Das klingt vielleicht ein bisschen größenwahnsinnig, aber soziale Bewegungen waren immer mit Musik begleitet. Du musst ja auch beispielsweise auf einer Demo zwischen den Redebeiträgen mal Musik spielen. Wie andere auch kulturelle Produkte wie Film oder Fotografie oder Tanz  hat Musik einen gewissen Raum, um Inhalte rauszureichen. Diese können unbedarft sein und nur von der Feierei berichten oder sich einfach inhaltlich anders ausstatten. Und damit unterstützend in einen realpolitischen Bereich eingreifen. Ich glaube Musik ist eine gute Ergänzung. Ich könnte über diese ganzen Dinge auch Bücher schreiben, aber das ist mir viel zu aufwendig und das kann ich auch nicht so gut. Diese Songs sind Versuche, das was diskursiv gerade durch die Szene oder die Gesellschaft bewegt, einzufangen und in eine Dreieinhalb-Minuten Version zu verpacken. Es sind kleine Zusammenfassungen dessen, woran ich gerade herumgrübel.

progress: Und worüber grübelst du gerade?

Sookee: Auf der nächsten Veröffentlichung wird es einen Track geben, der sich mit Intersektionalität befasst. Das klingt total theoretisch, aber ich glaube, das ist möglich.
Ein Song auf dem aktuellen Album handelt von männlicher Dominanz in vermeidlich emanzipatorischen Szenen. Gerade dieser Song ist ein Beispiel, dass Leute mit ihrer konkreten Politik eine Unterstützung erhalten durch meine Songs. Ich habe ganz viele Rückmeldungen erhalten, dass sie durch meinen Song plötzlich darüber sprechen können, dass Frauen genervt sind, immer nur protokollieren zu müssen. Wo klar ist, Jungs haben in einer linken Politik bestimmte Aufgaben und Mädchen ebenso und es gibt ein Unbehagen darüber – das wurde lange hingenommen. Da gibt es dann schon einen Einfluss.