Luxemburg

Studierendenvertretung à la Luxembourgeoise

  • 12.08.2014, 17:00

Sie hat nur wenige aktive Mitglieder und die sind dazu noch über den Globus verstreut. Dennoch gelingt es der UNEL, tausende Studierende für Demonstrationen zu mobilisieren. Wir werfen einen Blick auf die luxemburgische Studierendenvertretung.

Sie hat nur wenige aktive Mitglieder und die sind dazu noch über den Globus verstreut. Dennoch gelingt es der UNEL, tausende Studierende für Demonstrationen zu mobilisieren. Wir werfen einen Blick auf die luxemburgische Studierendenvertretung.

In einer Artikelserie wollen wir verschiedene Studierendenvertretungen, die neben der ÖH in der gemeinsamen europäischen Studierendenorganisation European Student‘s Union (ESU) vertreten sind, vorstellen. Wir fangen mit einem Land an, das bis vor zehn Jahren noch überhaupt keine Uni hatte: Luxemburg. Die Studierendenvertretung Union Nationale des Étudiant-e-s du Luxembourg (UNEL) ist dennoch schon beinahe ein Jahrhundert alt.

25. April 2014, Luxemburg-Stadt. 17.000 Studierende und Schüler_innen demonstrieren gegen die geplanten Kürzungen der Studienbeihilfe. Innerhalb weniger Wochen wurde in sozialen Netzwerken und in Schulen für den „Streik“ mobilisiert. Die Demonstration ist ein voller Erfolg, die pittoreske Altstadt Luxemburgs platzt aus allen Nähten. Aus dem ganzen Land sind Schüler_innen und Studierende angereist, um ihren Unmut gegen die Reform der Studienbeihilfen, die im Gesetz mit der Nummer 6670 beschlossen werden sollen, kundzutun. Sprüche wie „Dir soot kierzen, mir soe stierzen“ (Ihr sagt kürzen, wir sagen stürzen) oder „Wem seng Bildung? – Eis Bildung!“ (Wessen Bildung – Unsere Bildung!) lassen erkennen, dass die Demonstrierenden von den #unibrennt-Protesten inspiriert wurden. Die ehemals großzügige Beihilfe, die fast alle Studierenden beziehen konnten, soll von der neuen sozialdemokratisch- liberal-grünen Regierung massiv gekürzt und in ein bürokratisches Ungetüm verwandelt werden. Es ist die erste Sparmaßnahme der Regierung, sie findet ausgerechnet im Bildungsbereich statt. Hinter den Protesten steht das „Streikkomitee 6670“, ein Zusammenschluss aus verschiedenen Studierenden- und Schüler_innenorganisationen. Eine der wichtigsten Organisationen in diesem Bündnis ist die UNEL, die nationale Union der luxemburgischen Studierenden.

Einzigartige Situation. „Unsere Situation ist einzigartig. Nur 20 Prozent der luxemburgischen Studierenden bleiben in ihrem Heimatland, alle anderen studieren im Ausland“, erklärt Pol Reuter, Präsident der UNEL. Er selbst studiert Politikwissenschaften in Nancy. „Wir kümmern uns aber nicht nur um Studierende aus Luxemburg, sondern auch um jene aus der Grenzregion. Außerdem vertreten wir die Rechte von Schüler_innen in Luxemburg“, ergänzt Reuter. Viele Bewohner_innen der grenznahen Gebiete in Deutschland, Frankreich und Belgien pendeln jeden Tag nach Luxemburg, um dort zu arbeiten. Damit haben sie und ihre Kinder auch Anrecht auf luxemburgische Sozialhilfen, zum Beispiel auch Studienbeihilfen. Deswegen ist es der UNEL wichtig, auch deren Rechte zu vertreten: „Wenn wir über Studienbeihilfen reden, müssen wir auch über die Kinder der Pendler_innen reden. Ihre Eltern tragen zum Reichtum Luxemburgs bei, also sollten sie auch von den Beihilfen profitieren können!“, meint Reuter. Der EuGH hat der UNEL Recht gegeben: 2013 erklärte er die Regelung, dass die Kinder von Pendler_innen keine Studienbeihilfen erhalten, für rechtswidrig.

Turbulente Geschichte. Die Universität Luxemburg ist erst zehn Jahre alt, die UNEL vertritt die Rechte der luxemburgischen Studierenden aber schon viel länger, wie Pol Reuter erzählt: „Wir wissen gar nicht, wie alt die UNEL wirklich ist, die ganzen Einträge im Vereinsregister sind verloren gegangen. Es müssen aber schon mehr als 90 Jahre sein.“ In den 1960ern erlebte die UNEL turbulente Zeiten: „Es gab Flügelkämpfe zwischen verschiedenen linken Gruppierungen wie Leninist_innen, Trotzkist_innen und Sozialdemokrat_innen. Die UNEL war damals in verschiedene Ortsgruppen unterteilt, von denen sich einige abspalteten und einen eigenen Verein gründeten, die ACEL.“ Die Association des Cercles d‘Étudiants Luxembourgeois (ACEL) sei als Vertretung der Vereine luxemburgischer Studierender in Hochschulstädten aber seit jeher sehr unpolitisch und beschränke sich beinahe ausschließlich auf die Organisation von Partys. „Die UNEL war damals auch Teil der Friedensbewegung und hat es geschafft, dass die Wehrpflicht 1967 in Luxemburg abgeschafft wurde. In den 1980ern waren hingegen eher konservative Kräfte in der UNEL aktiv. Heute sind wir eine progressive Bewegung und arbeiten neben den Studierenden- und Schüler_innenrechten auch zu Themen wie Gender, Rassismus und Jugendarbeitslosigkeit“, fasst Reuter die Geschichte der Studierendenvertretung zusammen.

International vernetzt. Die unpolitische ACEL ist nicht in der ESU vertreten, dennoch ist die UNEL nicht die einzige luxemburgische Organisation dort: Die Luxembourg University Students’ Organization (LUS) ist als eigene Vertretung der Studierenden der Universität Luxemburg seit einigen Jahren ebenfalls Mitglied in der europäischen Studierendenorganisation. „In den letzten Jahren ist die LUS merklich weniger aktiv. Wir sind oft gleicher Meinung und stimmen in der ESU auch in den meisten Fällen gleich ab“, so Reuter, der auch im Rahmen des Streikkomitees mit Aktivist_innen der LUS zusammengearbeitet hat. Eine Vertretung zu organisieren, deren Mitglieder in ganz Europa und der halben Welt verstreut sind, ist keine leichte Aufgabe. „Wir sehen uns vielleicht vier Mal im Jahr. In den Weihnachtsferien organisieren wir unseren Kongress, auf dem die Vorstandsmitglieder gewählt werden. Auf dem Papier sind das neun Leute, in Wirklichkeit können aber alle kommen, die interessiert sind, die UNEL aktiv mitzugestalten“, erklärt Pol Reuter. Die Kommunikation zwischen den rund 20 aktiven Mitgliedern läuft vor allem online ab, in sozialen Netzwerken oder per Skype werden die nächsten Kampagnen geplant. Je nach Thema verwendet die UNEL verschiedene Taktiken, um ihr Ziel zu erreichen: „Wir fangen meist mit Unterredungen mit Politiker_innen an. Wenn solche Verhandlungen zu nichts führen, beginnen wir mit Protesten oder anderen Aktionsformen“, so Reuter. Bisher haben jedoch weder die Proteste noch Verhandlungen die Kürzung der Studienbeihilfen kippen können. Nun soll eine selbst durchgeführte Studie, in der erstmals die Lebenshaltungskosten luxemburgischer Studierender erfasst wurden, Argumente liefern, um den Gesetzesvorschlag doch noch in ihrem Sinne zu ändern.

Nachtrag: Nach Redaktionsschluss teilte uns Pol Reuter mit, dass die UNEL erstmals 1920 von der linken Studierendenvertretung ASSOSS und der rechten Studierendenvertretung AV gegründet wurde.
Die Kürzungen der Studienbeihilfen wurden am 10. Juli 2014 von den Abgeordneten der Regierungsparteien im luxemburgischen Parlament beschlossen. Die Opposition stimmte geschlossen dagegen.

Linktipps:

http://www.unel.lu
http://www.streik.lu

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenma­nagent an der Universität für Bodenkultur Wien.

Von Eichhörnchen und Igeln – Mehrsprachigkeit in Luxemburg

  • 21.10.2013, 16:52

Neben Banken und Tankstellen ist Luxemburg bekannt für seine mehrsprachigen Einwohner_innen, sprechen doch die meisten von ihnen drei bis vier Sprachen. Ist das Großherzogtum ein Eldorado der Vielsprachigkeit?

Neben Banken und Tankstellen ist Luxemburg bekannt für seine mehrsprachigen Einwohner_innen, sprechen doch die meisten von ihnen drei bis vier Sprachen. Ist das Großherzogtum ein Eldorado der Vielsprachigkeit?

Luxemburg hat drei offizielle Sprachen: Luxemburgisch, Deutsch und Französisch. Ihr Gebrauch ist nicht, wie etwa in der Schweiz oder in Belgien, regional begrenzt, sondern hängt sehr stark von den Sprechenden und dem jeweiligen Kontext ab. Luxemburgisch ist eine stark mit dem Deutschen verwandte Ausbausprache, das heißt eine sich momentan weiterentwickelnde Sprache, die aus einem moselfränkischen Dialekt entstanden ist. Deutschsprachige verstehen Luxemburgisch zwar zum Teil, aber spätestens bei Sätzen wie „d' Kaweechelchen an de Kéiseker frupse Quetschegebeess“ (Das Eichhörnchen und der Igel futtern Powidl.) müssen sie passen. Seit 1984 hat Luxemburg ein eigenes Sprachengesetz, in dem Luxemburgisch als Nationalsprache definiert und neben Deutsch und Französisch als Amtssprache eingeführt wurde. Der Text des Gesetzes ist dabei – wie alle luxemburgischen Gesetze – auf Französisch verfasst.  

Neben den Amtssprachen werden in Luxemburg aber auch noch andere Sprachen gesprochen: 45 Prozent der Bevölkerung besitzt keinen luxemburgischen Pass und stammt zum Großteil aus Portugal, Frankreich, Italien, Belgien und Deutschland. Zur Sprachenvielfalt tragen außerdem die vielen europäischen Institutionen, wie etwa der Europäische Gerichtshof oder das Sekretariat des Europäischen Parlaments bei, die vor allem in der Hauptstadt Englisch zu einer viel verwendeten Sprache gemacht haben. Aber nicht alle Sprachen sind gleich gut angesehen.

Segregierende Schule. „Wir sind uns alle einig, dass wir an der Art und Weise, wie Französisch unterrichtet wird, etwas ändern müssen, aber wie, weiß niemand so genau“, schreibt eine Studierende als Kommentar auf einen Artikel mit der Überschrift „Luxemburger Schüler hassen Französisch“ auf Facebook. Das Schulsystem ist derzeit auf Luxemburger_innen ausgerichtet, die Luxemburgisch als Erstsprache sprechen und durch den alltäglichen Medienkonsum auch Deutsch verstehen. Die Alphabetisierung auf Deutsch stellt für sie somit kein großes Problem dar. Dies trifft auf 48 Prozent der Schüler_innen zu. Mehr als die Hälfte hat jedoch Luxemburgisch nicht als Erstsprache, bei einem Viertel ist es Portugiesisch. Schüler_innen beenden mit zwölf Jahren die Volksschule mit dem Wechsel auf Lycée classique (Gymnasium/AHS) oder Lycée technique (Hauptschule). Da in der Volksschule alle Fächer auf Deutsch unterrichtet werden, haben es nicht-luxemburgische Schüler_innen dort schwerer als ihre Kolleg_innen. Aufgrund schlechterer Noten werden sie dann aufs Lycée technique geschickt. Dort ist Deutsch meistens bis zum Abschluss die Unterrichtssprache, während im Lycée classique mit ungefähr 16 Jahren auf Französisch gewechselt wird. Die Folge: Der Großteil der Nicht-Luxemburger_innen hat in vielen Fällen nie die Chance, eine Hochschule zu besuchen, da sie nur wegen ihrer Deutschkenntnisse mit zwölf nicht die Möglichkeit erhalten, den Weg Richtung Hochschulreife einzuschlagen.

Symbol der Nation. Luxemburgisch als Schriftsprache wird kaum unterrichtet, oft wird im Luxemburgischunterricht nur gelesen. Dabei war Luxemburgisch noch nie so beliebt wie heute. Luxemburgischkurse sind regelmäßig ausgebucht, durch soziale Medien wurde auch der schriftliche Gebrauch wieder angekurbelt und eine beliebte spell-checker-App lässt nachholen, was in der Schule versäumt wurde. Die sehr junge Universität Luxemburg bietet seit einigen Jahren einen Master in Luxemburgistik an und forscht aktiv zur Entwicklung der Sprache und zur Mehrsprachigkeit im Großherzogtum.

Bei einer Diskussionssendung im Fernsehen zu den Parlamentswahlen Ende Oktober waren sich alle Parteien einig, dass Luxemburgisch bereits in der Vorschule und im Kindergarten gelehrt werden sollte. Bei der Frage, auf welcher Sprache alphabetisiert werden soll, scheiden sich jedoch die Geister.

Sprachen wird meistens eine verbindende Wirkung zugesagt, aber gerade Luxemburgisch wird von rechten Politiker_ innen gerne als kostbares, aber bedrohtes Symbol der nationalen Identität gesehen, das vehement verteidigt werden muss. Ausdruck davon sind etwa die heftigen Forderungen nach luxemburgischsprachigem Servicepersonal, denn viele der vermeintlich polyglotten Luxemburger_innen sind nicht bereit, ihr Croissant auf Französisch zu bestellen.

Komplexe Dreisprachigkeit. Der Umgang mit den beiden „offiziellen Fremdsprachen“ Deutsch und Französisch ist komplex: Die Bedeutung des Deutschen sank, etwa in der Verwaltung, nach dem Zweiten Weltkrieg rapide, der Ruf des Französischen als Bildungssprache der bürgerlichen, urbanen Gesellschaft war besser. Deutsch blieb als Schriftsprache, insbesondere in der Presse, erhalten, während Einladungen und Briefe an Behörden auf Französisch verfasst werden. Allerdings werden etwa Todes- oder Hochzeitsanzeigen in Zeitungen eher auf Luxemburgisch verfasst, weil sie so persönlicher wirken. Die drei Sprachen sind eigenen Sphären zugeordnet, wobei sich der Gebrauch gerade durch das Internet und den erhöhten schriftlichen Gebrauch von Luxemburgisch ändert. Für das Wechseln der Sprache, gerade bei Unterhaltungen, muss allerdings ein konkreter Grund vorhanden sein, etwa die Anwesenheit eine Person, die des Luxemburgischen nicht mächtig ist.

Menschen, die im Alltag oft die Sprache wechseln müssen, sind da Ausnahmen. Sie neigen sogar oft zu Sprachwechseln innerhalb eines Satzes. Gaston Vogel, bekannter Strafverteidiger in Luxemburg, zieht einen Teil seiner Beliebtheit bei Medienvertreter_innen daraus, dass er seine mit französischen Begriffen ausgeschmückten Sätze mit vulgären luxemburgischen Phrasen unterbricht. „Dat ass mir esou schäissegal, wéi dat mir nëmme schäissegal ka sinn. Ech affrontéieren déi Citatioun mat vill Heiterkeit (Das ist mir so scheißegal, wie es mir nur scheißegal sein kann. Ich begegne dieser Zitation mit viel Heiterkeit)“, antwortete er Ende September auf eine Verleumdungsklage gegen ihn.

Junge luxemburgische Blogger_innen sehen sich mit ihrer Sprachenvielfalt in einer Zwickmühle. Eigentlich wäre es „schäissegal“, welche Sprache sie benutzen: Mit Deutsch, Französisch oder Englisch erreichen sie tendenziell mehr Menschen, aber andererseits: „Wer sollte auf Luxemburgisch schreiben, wenn nicht wir?“

 

Joël Adami stammt aus Luxemburg und studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.