Grüne

Karrieresprungbrett ÖH

  • 12.05.2017, 22:39
Die ÖH bietet das einzigartige Erlebnis, in einer Koalition mit höchst unterschiedlichen Leuten zu arbeiten: ein kurzer Einblick in eine Institution mit Karrierist*innen, Nachwuchspolitiker*innen und engagierten Studierenden.

Die ÖH bietet das einzigartige Erlebnis, in einer Koalition mit höchst unterschiedlichen Leuten zu arbeiten: ein kurzer Einblick in eine Institution mit Karrierist*innen, Nachwuchspolitiker*innen und engagierten Studierenden.

Räumen wir gleich zu Beginn mit einem Vorurteil auf, welches der ÖH-Arbeit oft unterstellt wird: Es ist Arbeit! Und zwar viel Arbeit, undankbare Arbeit und unterbezahlte Arbeit. In meiner langen ÖH-Karriere durfte ich vor allem großartige ÖH-Frauen kennen lernen, die für eine Aufwandsentschädigung von 360 Euro 30 bis 40 Stunden die Woche gearbeitet haben. Viele stellten ihr Studium und ihr Sozialleben hinten an, um sich für bessere Studienbedingungen für alle Studierenden einzusetzen. Die Studierenden danken es oft mit Ignoranz, Abneigung oder gar off ener Feindschaft. Von der Opposition bekommt man noch ständig an den Latz geknallt, dass man sich nur um die „Weltrevolution“ kümmere und nicht um studienrelevante Themen und Service. Nur wird verkannt, dass die meisten Studienvertretungen eben beides machen.

Und dabei zerreiben sie sich zwischen dem Anspruch, bessere Bedingungen an Hochschulen zu schaff en, und der Realität, ein System mitzutragen, das in den letzten Jahren immer mehr Verschlechterungen in diesem Bereich brachte, gerade für nicht privilegierte Studierende.

REALISMUS UND SEILSCHAFT. Dass man nach Jahren zermürbender ÖH-Arbeit dann auch einen Nutzen ziehen oder wenigstens keinen Nachteil daraus haben möchte, ist verständlich. So sagte mir eine ÖH-Kollegin vor einiger Zeit, als eine sehr gut bezahlte Stelle in einer parteinahen Organisation ausgeschrieben wurde: „Jetzt habe ich mir jahrelang den Arsch aufgerissen für die Fraktion und die Partei, jetzt will ich dann auch einen Posten von denen haben.“ Diese Erwartungshaltung wirkt auf den ersten Blick vielleicht etwas präpotent, doch sie ist realistisch. Bei einer Stelle in der Partei oder deren Vorfeldorganisationen spielt die Mitgliedschaft und die Linientreue mindestens eine genauso große Rolle wie die Qualifikation.

Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass nicht wenige Parteigranden ihre politische Karriere in der ÖH begannen. Schaut man sich die Liste der ehemaligen ÖH-Vorsitzenden (und damit den prestigeträchtigsten Posten innerhalb der ÖH) an, dann finden sich die Namen einiger prominenter Politiker*innen: Sigrid Maurer, der während ihrer Zeit als ÖH-Vorsitzende der GRAS noch Hausverbot im Parlament wegen Störung erteilt wurde, sitzt jetzt eben dort. Wer in der SPÖ Karriere machen will, sollte sich ein Beispiel an Heinz Fischer (Vorsitzender der Bundesvertretung) und Michael Häupl (VSStÖ-Vorsitzender) nehmen und die politische Karriere bereits im Studium in Angriff nehmen. Im Übrigen war es Michael Häupl als VSStÖ-Vorsitzender, der Peter Pilz aus dem VSStÖ ausschloss. Das hat dessen Karriere nach einem Parteiwechsel wohl nicht geschadet. Auch bei den Konservativen ist ÖH-Arbeit gern gesehen – Reinhold Lopatka war Studienvertreter der Jurist*innen in Graz – allerdings ist die Mitgliedschaft im erzkonservativen Cartellverband wohl noch karrierefördender.

Die ÖH-Politik ist hier sowohl Ochsentour als auch Politkindergarten, wo Nachwuchspolitiker*innen schon mal Erfahrungen am parteipolitischen Parkett sammeln können. Gleichzeitig gibt es Vorgaben der Partei, die auch hier umgesetzt werden müssen. Kostspieligen Projekten oder Rücklagenauflösungen steht man zögerlich gegenüber, will man sich doch nicht mit einem zweiten „Café Rosa“ die politische Karriere verbauen.

Wer sich also in der ÖH abgearbeitet hat, kann bei manchen Fraktionen zurecht auf einen der hochdotierten Parteijobs hoffen. ÖH-Arbeit wird aber nicht nur in der Bewerbung zur/m Parlamentsmitarbeiter*in gerne gesehen, sondern auch in staatsnahen Betrieben helfen ÖH-Erfahrung und das richtige Parteibuch. Bundeskanzler Christian Kern kann ein Lied davon singen, sein Weg führte über den VSStÖ zu den ÖBB.

Wenn die „parteiunabhängige“ ÖH-Fraktion keinen Posten abwirft, dann kann man immer noch seine politische Meinung mir nichts dir nichts wechseln, so geschehen bei Kilian Stark, der noch 2013 für die FLÖ in der Bundesvertretung arbeitete und 2014 schon für die Grünen Penzing tätig war.

REBELLION UND QUALIFIKATION. Gerne wird die Studienzeit dann rückwirkend als rebellische Phase imaginiert, in der man noch aufmüpfi g und idealistisch war. Doch selbst diesen Anspruch haben einige in der ÖH wohl nicht an sich selbst. Denn nicht nur die Parteien wissen von der nützlichen Erfahrung, die man in der ÖH sammeln kann. Wer in der ÖH tätig war, weiß, wie man Veranstaltungen organisiert, Texte schreibt und redigiert, Verhandlungen führt und im Team zusammenarbeitet. Das sind alles Skills, die auch auf dem freien Markt gerne gesehen sind – und deshalb ist die ÖH im Lebenslauf ein großes Plus. Gerade im Öffentlichkeitsreferat lernt man all die nützlichen Tools, die man später in jeder PR-Firma und Werbeagentur einsetzen kann. Und inzwischen wissen auch Studierende, dass es kaum ein Manko ist, ein wenig länger fürs Studium zu brauchen, aber durch die ÖH schon Berufserfahrung auf dem Buckel zu haben.

Bei all dem darf nicht vergessen werden, dass die ÖH-Arbeit nicht allen offensteht. Natürlich gibt es redliche Bemühungen, gerade von Basisgruppen, so inklusiv und off en wie möglich zu sein. Doch nicht alle Studierenden haben die Zeit und die Ressourcen, sich der ÖH-Arbeit zu widmen. Hat man zum Beispiel Betreuungspflichten, wird die Teilnahme an abendlichen Plena, die sich bis in die Nacht ziehen, nahezu unmöglich. Auch sind nicht alle Studierenden entsprechend gut vernetzt, um einen Posten in Hochschul- oder gar Bundesvertretung zu ergattern. Auch wenn ÖH-Arbeit aufwendig und wichtig ist und Respekt verdient, so ist sie gleichzeitig ein Privileg.

Anne Marie Faisst studiert Internationale Entwicklung in Wien und ist seit Jahren politisch in der ÖH aktiv.

Anmerkung der Redaktion: In der Print-Version dieses Artikels stand fälschlicherweise, der Grüne Nationalratsabgeordnete Julian Schmid sei bei der GRAS gewesen. Es handelte sich um eine Verwechslung. Wir bitten dies zu entschuldigen.

Dreh das Fernsehen ab, Mutter, es zieht!

  • 22.05.2016, 02:31
Die Stichwahl zwischen Alexander van der Bellen und Norbert Hofer polarisiert. Aber ist es wirklich nur eine Wahl zwischen zwei Kandidaten mit unterschiedlichen Positionen?

Die Stichwahl zwischen Alexander van der Bellen und Norbert Hofer polarisiert. Aber ist es wirklich nur eine Wahl zwischen zwei Kandidaten mit unterschiedlichen Positionen?

Sieht man sich die österreichische Berichterstattung über den Wahlkampf im Fernsehen an, muss man auf jeden Fall diesen Eindruck bekommen. Daran änderte auch das bestürzende Wahlergebnis nichts, das den grünen Kandidaten in einem Augenblick vom Favoriten zum Underdog verwandelte.

Meinungsforschung. Nachdem zuletzt bei der Gemeinderatswahl in Wien das Ergebnis der FPÖ im Vorhinein viel zu hoch eingeschätzt wurde, sahen im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl alle Institute den Kandidaten der Grünen in Führung. In beiden Fällen lagen die Meinungsforscher*innen falsch. Die Schwierigkeit, verlässliche Vorhersagen zu treffen, ergibt sich aus der unzuverlässigen Bekenner*innenquote. Nicht nur sind Wähler*innen verschiedener Parteien unterschiedlich gewillt, ihr Wahlvorhaben in Umfragen anzugeben, die Bereitschaft dazu, hängt auch vom gerade vorherrschenden gesellschaftlichen Klima ab. Die spezifischen Dynamiken, die dabei letztlich entscheiden, sind im Vorfeld aber kaum einzuschätzen und selbst im Nachhinein oft schwierig zu verstehen. Tiefergehenden Überlegungen zu Wahlmotiven und dem Wahlverhalten der Stimmberechtigten bewegen sich notgedrungen im Bereich der Spekulation, taugen auch nicht für handfeste Prognosen und spielen deshalb in der modernen Sozialforschung nur eine untergeordnete Rolle.

Skandal: Die FPÖ ist rassistisch. Seltsamerweise werden die Gründe, warum die FPÖ gewählt wird, aber sogar dort, wo sie auf der Hand liegen und offen zugegeben werden, in der Berichterstattung übergangen. Der ORF und sein sich niemals ändernder Expert*innenstab diagnostizieren regelmäßig andere Ursachen für den Erfolg der FPÖ als den Rassismus in der Bevölkerung. Die Menschen wären von der Regierung enttäuscht, weil diese Probleme nicht effektiv lösen würde. Außerdem steige die Arbeitslosigkeit und die Menschen hätten weniger Geld. Besonders beliebt ist die Aussage, niemand würde die Sorgen der Menschen ernstnehmen, welche regelmäßig dazu verwendet wird, Rassismus als Angst zu beschönigen.

Fragt sich nur, wieso die Konsequenz all dieser Gründe sein soll, die FPÖ zu wählen. Soziale Themen sind schließlich Kernkompetenz der SPÖ und wie sehr man sich um die Sorgen der Bevölkerung kümmern wolle, wird keine Partei müde zu betonen. Diese Analysen klingen dann – ungewollt – fast wie eine Wahlempfehlung. Der FPÖ wird implizit zugestanden, wirklich ein glaubwürdiges Konzept zur Lösung von Problemen in petto zu haben. Wer aber das Offensichtliche beim Namen nennt, dass, wer eine rassistische Partei wählt, Rassist*in ist, sieht sich schnell mit dem Vorwurf der Überheblichkeit konfrontiert.

Kein normaler Kandidat. Dass jemand mit einem deutschnationalen Hintergrund, der immer wieder offen die Möglichkeit ins Spiel bringt das Parlament zu entlassen, behandelt wird, wie jeder andere auch, ist ein kleiner Skandal. Der große ist, dass es offenbar als polarisierende aber legitime Position verstanden wird, wenn ein Kandidat der in der Nachfolge der NSDAP stehenden FPÖ unterschwellig mit einem Putsch liebäugelt: „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist.“

Vielleicht ist alles halb so schlimm und Hofer wäre ein Präsident, der seinen Vorgängern an Bedeutungslosigkeit um nichts nachsteht. Doch wenn das Schlimmste wirklich eintreten sollte und Hofer nach einer beim erstbesten Anlass provozierten Neuwahl einen blauen Kanzler angelobt, kann jedenfalls niemand sagen, man habe nichts gewusst oder damit nicht rechnen können.

Bei diesen Aussichten erscheint das infantile Getue, zu dem die Kandidat*innen bei Hanno Setteles Wahlfahrt angehalten wurden, als ein Stück gute alte Zeit, in der der Präsident vor allem ein zur Satire tauglicher Kauz war. Vielleicht leistet aber gerade diese Art der Berichterstattung jener Harmlosigkeit Vorschub, mit der sich Hofer präsentieren will. Fragt sich, ob die FPÖ gewählt wird, weil sie sich als zahm und ungefährlich gibt oder weil sie zugleich andeutet: Wartet's nur ab. Gegen letzteres wäre kein Kraut gewachsen. Falls ersteres zutrifft, wäre die FPÖ zu demaskieren. Allerdings scheint der ORF wenig bemüht, das zu versuchen.

Simon Sailer studierte Philosophie an der Universität Wien sowie Art & Science an der Universität für angewandte Kunst.