Geschlechterrollen

Von Prinzen und Superheldinnen

  • 12.05.2017, 21:53
Am Anfang steht die Frage: Wisst's ihr schon was es wird? Bub oder Mädchen?

Am Anfang steht die Frage: Wisst's ihr schon was es wird? Bub oder Mädchen?

Dieser Frage wird große Bedeutung beigemessen, geht es doch darum, ob eine süße Prinzessin oder ein wilder Rabauke auf die Welt kommen wird, eine Ballerina oder ein Fußballer, ein Stammhalter oder nur ein Mädchen, kurz: Rosa oder Blau? Diese Frage ist essenziell, man stelle sich vor, ein Bub in einem rosafarbenen Tragetuch, oder ein Mädchen im hellblauen Strampler? Da kennt sich doch niemand mehr aus.

Warum sind es genau Hellblau und Rosa? War das immer so? Wer profi tiert von der strikten Trennung in Buben- und Mädchensachen eigentlich, und was kostet es unsere und alle anderen Kinder und späteren Erwachsenen? Wie ist das eigentlich mit dem Testosteron? Und wie (un)beeinfl usst sind die Kleinsten wirklich? Welche Rolle spielt dabei Sprache? Doch am wichtigsten: Was können wir alle, ganz praktisch gesehen, tun, um den Nachwuchs möglichst wenig den Geschlechterklischees unserer Urgroßelterngeneration auszusetzen?

Unter anderem diese Fragen beantworten Almut Schnerring und Sascha Verlan ausführlich und trotzdem auf den Punkt gebracht, großteils durch umfangreiche Recherchen, teilweise aber auch aus dem Leben mit drei Kindern. Ohne Vorwissen zu Kindern oder Geschlechtertheorie gut lesbar, bietet es aber auch Menschen, die in einem oder beiden Themen bereits eingearbeitet sind, noch viel Informationen und Anregungen zum Weiterdenken.

Negativ ist mir hauptsächlich aufgefallen, dass der gesamte, für mich untrennbar verbundene, LGBTI-Themenkomplex weitgehend ausgeblendet wird, während so ziemlich jedes andere Thema, das in diesem Zusammenhang genannt werden könnte, in das Buch Eingang findet. Das passt anscheinend noch nicht in ein Buch, das Anschluss an den Mainstream möchte.

Trotzdem ein großartiges Geschenk statt Strampler oder Babydecke Nummer 62, an (werdende) Eltern oder gleich sich selbst. Wahlweise um es der nächsten Person an den Kopf zu werfen, die bereits Babys in Zicken und Machos einteilt.

Andrea Reisinger lebt ohne Kinder und Studium in Wien.

Not your Manic Pixie Dream Girl

  • 20.08.2014, 09:46

Was auf den ersten Blick nach einer starken Frauenfigur aussieht, entpuppt sich schnell als sexistische Fantasie männlicher Filmemacher. Seit Jahren füllen Manic Pixie Dream Girls ganze Kinosäle.

Was auf den ersten Blick nach einer starken Frauenfigur aussieht, entpuppt sich schnell als sexistische Fantasie männlicher Filmemacher. Seit Jahren füllen Manic Pixie Dream Girls ganze Kinosäle.

Kaum ein Indie-Film mit männlichem Protagonisten und romantischen Plot-Lines kommt ohne diese Trope aus. Sei es Natalie Portman in „Garden State“ oder Zooey Deschanel in so gut wie jeder ihrer Rollen: Dem Manic Pixie Dream Girl zu entkommen, wird zur Herausforderung.

Indie-Chicks wie aus dem Bilderbuch. Der Begriff „Manic Pixie Dream Girl“ (MPDG) stammt vom US-amerikanischen Journalisten Nathan Rabin und kam zum ersten Mal 2007 in seiner Rezension von Cameron Crowes Indie-Klassiker „Elizabethtown“ vor. Das MPDG hat im Film die Funktion, dem verbitterten, desillusionierten Protagonisten die schönen Seiten des Lebens zu zeigen. Sie weckt in ihm den Hunger auf Abenteuer, Sorglosigkeit und gleichzeitig hilft sie ihm bei der Suche nach einem Lebenssinn. Stets tritt sie als attraktive, frappante, künstlerisch angehauchte Twenty-Something mit einem Hang zur Impulsivität und Verträumtheit auf. Ihre Garderobe ist Vintage, ihre Haare trägt sie in unkonventionellen Farben oder mit schickem Pony, ihr Musikgeschmack ist etwas off-beat – so außergewöhnlich, wie The Shins oder The Smiths eben sein können. Im Prinzip verkörpert sie das Gegenteil von Spießigkeit, gerne spielt sie mitten im mit Familien gefüllten Park das „Penis-Spiel“ oder „Mutter-Vater-Kind“ bei Ikea. Selbst labelt sie sich häufig als Feministin.

Sie kann sehr vieles sein, was sie aber definitiv nicht ist, ist ein mehrdimensionaler, durchdachter Charakter, dessen Funktion über den Bruch der Alltagsmonotonie des Protagonisten hinausgeht. Außerdem wird die Figur in der Regel von weißen Schauspielerinnen gespielt, was die stereotype Verknüpfung von Hipness mit Weißsein reproduziert. Während tätowierte, flamboyante Weiße als edgy und alternativ gelesen werden, werden People of Colour in selbiger Montur als „ghetto“ beschimpft.

Wrong on so many levels. Dabei wirkt das MPDG zunächst einmal autonom, selbstbestimmt und stark – sie verkörpert damit all jene Eigenschaften, die Frauen in Hollywoodstreifen oft abgesprochen werden. Doch das Einzige, was sie tatsächlich tut, ist Männern die Augen zu öffnen. Von ihren eigenen Erfolgen, Zielen oder ihrem Hintergrund erfahren wir wenig bis nichts. Stattdessen wird sie zum „Missing Piece“ idealisiert, ihre Makel und Macken werden romantisiert und eventuelle Hinweise auf Mental Health Issues werden banalisiert. Die unkritische Rezeption macht es schwer, die Problematik offenzulegen.

In Michel Gondrys „Eternal Sunshine Of The Spotless Mind“ geht es hoch auf die Meta-Ebene. Auch hier gibt es ein MPDG. Clementine, die von Kate Winslet gespielt wird, passt in die typische Schablone der Trope, klärt den Protagonisten aber auch darüber auf, dass sie keine Lust hat, Typen aus ihrer Trübsal zu retten. Sie sagt im Film: „Too many guys think I'm a concept, or I complete them, or I'm gonna make them alive. But I'm just a fucked-up girl who's lookin' for my own peace of mind; don't assign me yours.“

Dass die Figur des MPDG eine Illusion ist, wird selten verstanden. So überträgt sich die Sehnsucht nach einer solchen Person von der Leinwand ins Leben. Die einen versuchen, in das Muster der MPDGs zu passen und sie zu imitieren, die anderen suchen nach ihrem MPDG – oder vielmehr ihrer Manic Pixie Dream Person.

Anspruch und Realität. Die britische Journalistin Laurie Penny schreibt in ihrer Kolumne „I was a Manic Pixie Dream Girl“ für New Statesman darüber, auf eine sexuelle Fantasie reduziert und wie eine seltene Pokémon-Karte gejagt zu werden. In der Vergangenheit passte sie selbst in das Klischee des MPDG. Es war keine Ausnahme, dass sie im Supermarkt oder auf Partys von wildfremden Typen angesprochen wurde. Spannenderweise verloren diese das Interesse, sobald sich herausstellte, dass sie eine erfolgreiche Autorin mit Ambitionen ist und kein planloses Mädchen, das gerne Joy Division-Lieder auf der Gitarre covert. Es ist nichts Schlimmes daran, eine solche Person zu sein. Aber Laurie Pennys Erfahrungen machen sexistische Ansprüche sichtbar: Solange der Typ erfolgreicher als sein MPDG ist, läuft alles nach seinen Vorstellungen. Sie bleibt ein hübsches Anhängsel, ein Prestige-Objekt zur Vervollständigung seines artsy Lifestyles. Könnte sie mit ihrer Karriere die seinige überschatten, ist sie allerdings instantly dismissed.

Diese Verhaltensmuster zeigten sich jahrelang in den Romanzen der Autorin, sodass sie es in Erwägung zog, ihren Intellekt und ihren Erfolg vor Typen nicht vollständig zu enthüllen, aus Angst, ihr würden ihre Weiblichkeit und ihre Attraktivität abgesprochen. Die Technik, „sich dumm zu stellen“, ist nichts Neues. Genau jene, die ein MPDG suchen, verachten sie gerne. Emanzipation schreiben sie sich dick auf die Fahnen, in der Praxis taucht sie nicht auf. Von Selbstreflexion keine Spur.

Durch die Reproduktion dieses Klischees verfestigt sich das Bild, Frauen seien stets zweitrangig und niemals mehr als eine Vervollständigung von Männern. Wie die Autorin Chimamanda Ngozi Adichies das in jenem Zitat formuliert, das auch Beyoncé aufgegriffen hat: „We say to girls: ‚You can have ambition, but not too much. You should aim to be successful, but not too successful. Otherwise, you will threaten the man.“

Kekse für den Typen, Knäckebrot für das Girl. Außerdem ist die Fantasie vom MPDG sehr heterosexuell geprägt. Obwohl einige MPDGs in der Vergangenheit auch lesbische Beziehungen geführt haben – sei es die College-Flamme Charlie von Zooey Deschanel in „(500) Days of Summer“ oder Ramona Flowers Exfreundin Roxie, die eine der sieben bösen Exe in „Scott Pilgrim vs. The World“ ist – werden diese nur als Phasen abgestempelt, der Begriff der Bisexualität fällt nie. Vielmehr sind diese „Eskapaden“ Ausdruck der Abenteuerlichkeit des MPDG und regen die männliche Fantasie weiter an.

Ein MPDG erscheint oft in Begleitung eines Nice Guys, eines leicht nerdigen Typen, der ein Frauenversteher™ ist und im Gegensatz zu Bad Boys stets in der Dauerschleife von Friendzones hängt – einfach, weil er zu „nett“ ist. „(500) Days of Summer“ ist ein Paradebeispiel dafür. Summer ist an keiner festen Beziehung interessiert und lässt trotzdem ein sexuelles Verhältnis zu. Für den Protagonisten ist das unlogisch, scheinbar kennt er nur die Dichotomie zwischen platonischer und romantischer_sexueller Beziehung. Als Summer letztlich einen anderen Mann heiratet, wird sie automatisch als kaltherzige „Bitch“ abgestempelt. Das typische Nice Guy-Denkmuster, in dem alle, die nicht an ihm interessiert sind, „Schlampen“ sind. Ihm wird von vielen Seiten applaudiert, das MPDG geht hingegen, dank tief verankerter Misogynie, leer aus. Offensichtlich muss noch viel getan werden, bis alle verstehen, dass Frauen nicht dafür da sind, die Schlüppis irgendwelcher Nerds nasswerden zu lassen.

Hengameh Yaghoobifarah studiert Medienkulturwissenschaft an der Universität Freiburg.

Wer schön sein will, muss leiden

  • 10.07.2014, 13:06

Während sich Frauen daran abrackern, anerkannte Sportlerinnen zu werden, wird es für Männer immer schwieriger, selbstbewusste Sportmuffel zu sein. Auch sie geraten immer mehr unter Druck, Schönheitsidealen zu entsprechen.

Während sich Frauen daran abrackern, anerkannte Sportlerinnen zu werden, wird es für Männer immer schwieriger, selbstbewusste Sportmuffel zu sein. Auch sie geraten immer mehr unter Druck, Schönheitsidealen zu entsprechen.

Es ist Cristiano Ronaldo, der sich nach seinem Elfmetertor sein Trikotleiberl von Real Madrid über den Kopf zieht. Muskeln kommen darunter zum Vorschein. Ronaldo zeigt, wer hier das Sagen hat. Trotz seiner schwachen Performance im Finalspiel, ist er der König, nämlich Torschützenkönig der UEFA Champions League.

Goldener Sixpack. Ronaldo zeigt der Welt, wie ein „richtiger Mann“ auszusehen hat. Er repräsentiert, dass Männer mit breiten Schultern, Sixpack, Bizeps und Trizeps viel Geld machen und Erfolg haben können. Seine Botschaft: Seht her, dieser Körper ist Gold wert. Wenn ihr Männer da draußen nur wollt, könnt ihr so sein wie ich. Moritz Ablinger, Redakteur beim Fußballmagazin Ballesterer, ist überzeugt, dass sich der Fußballer David Beckham bereits um die Jahrtausendwende mit seinem sehr gepflegten und präsenten Körper extrem gut vermarktet hat. „Beckham wurde zum prägenden Fußballstar seiner Zeit und das, obwohl er kein großer Fußballer war.“ Ab diesem Zeitpunkt rückte ein durchtrainierter, modellierter Körper für Fußballspieler immer mehr ins Zentrum. Rosa Diketmüller, Professorin am Institut für Sportwissenschaften an der Uni Wien, beobachtet diese Entwicklung: „Es reicht nicht mehr, nur gut Fußball zu spielen, auch der Körper muss perfekt passen.“ Wer nicht gesund oder sportlich genug aussieht, dem hilft auch oft das Können nicht weiter.

Am Beispiel der Entwicklung des Fußballs lassen sich gesellschaftliche Umbrüche eindrücklich nachskizzieren. Der deutsche Männerforscher Klaus Theweleit behauptet sogar, wer den Fußball verfolgt, werde fast zeitgleich darüber informiert, wie sich die Gesellschaft verändert. Und die Geschichte des Fußballs scheint ihm retrospektiv Recht zu geben. Im Mittelalter war Fußball ein tagelanges, regelloses Spiel, das keine Unterscheidung zwischen Spieler_innen und Zuschauer_innen kannte. Mit der Industrialisierung verlor Fußball in England als Volkssport seine Bedeutung, fand seine neue Heimat in den Privatschulen und wurde dort kultiviert und diszipliniert. Eva Kreisky, emeritierte Professorin für Politikwissenschaften an der Uni Wien, sieht darin einen Bruch in der Rolle des Sportlers und Spielers. Von nun an ging es nicht mehr nur um spielerische Fähigkeiten, sondern auch um den Ethos des Spielers. Einen guten Spieler zeichneten ab diesem Zeitpunkt „Mut, Uneigennützigkeit, Fähigkeit zur Arbeit im Team und Härte gegen sich selbst“ aus.

Eiserner Wille. Angesichts der eisernen Disziplin, sich selbst und seinem Körper gegenüber, gewinnt das alte Sprichwort „Wer schön sein will, muss leiden“ wieder an Aktualität. Denn der Körper ist oft widerspenstig. Er ist nicht der erhoffte Verbündete im Wettkampf um die schönste Frau, den besten Job oder engsten Kumpel. Er sabotiert mit Bierbauch, Schwabbeloberarmen oder Hühnerbeinchen. Unzählige Fitness- und Gesundheitsratgeber sollen Männern helfen, ihren unfitten Körper zu überwinden. In dem heuer erschienenen Ratgeber „Sixpack in 66 Tagen“ gilt Selbstdisziplin als der Schlüssel zum Erfolg. Das Buch ist eines der Produkte des Muskeltrends. Autor Andreas Troger dokumentiert darin seinen Selbstversuch, sich innerhalb kurzer Zeit einen fitten, muskulösen Körper zuzulegen. Strikt werden Nahrung, Trainingsübungen und Erholungsphasen geplant und strukturiert. Der Sportwissenschaftler Werner Schwarz schreibt in „Sixpack in 66 Tagen“ zufrieden: „Als Experte stelle ich fest: Training gut geplant und ausgezeichnet umgesetzt; Ernährung optimal bilanziert und eingehalten; Zusatzernährung bedarfsgerecht auf Training, Zusatzbelastungen aus Beruf und Alltag sowie den Ernährungsplan abgestimmt.” Das klingt wie eine Analyse zur Wartung und Instandhaltung einer Maschine. Immer wieder wird betont, dass Troger eher ein Gelegenheitssportler sei, der gerne zum Fast Food greift und auch mal raucht und trinkt. Aber mit genügend Disziplin kann es selbst für den schlimmsten Sportmuffel noch ein glückliches Ende geben.

Der Körper wird zum sozialen Kapital, indem er wie ein Gegenstand behandelt und perfektioniert wird, um sich auf dem Markt als begehrte Ware verkaufen zu können. Unternehmen wie Coca Cola, Giorgio Armani oder Nike setzen in ihren Werbungen auf männerkörperbetonte Bilder, um ihre Produkte zu bewerben. Andere Firmen wie Red Bull setzen mit einem Extremsportprogramm weniger auf „Sex sells“, sondern auf Sport und Spannung. Die Sportler_ innen sollen den „Spirit“ der Marke vertreten. Und welcher Sport passt besser zum Slogan „Red Bull verleiht Flügel“ als Extremsport? Mit der Austragung von Sportevents erreicht Red Bull breite Medienpräsenz und schafft einen Wiedererkennungseffekt. Allein der Stratosphärensprung von Felix Baumgartner wurde von 200 Millionen Menschen weltweit mitverfolgt.

Im Gegenzug bekommen Sportler_innen Sponsor_ innenverträge. In medial sehr präsenten Sportarten, wie im Fußball, wird es daher für die Spieler zunehmend wichtig, sich als Marke zu etablieren. Laut Rosa Diketmüller setzen vor allem männliche Sportler ihre Körper gezielt für Marketingzwecke ein: „Ideale Kombinationen aus Bewegungsformen, die mit Geschlechterrollen und gesellschaftlichen Körperbildern übereinstimmen, sind gewinnbringend. Dass vor allem männliche Sportler viel mehr Geld bekommen, zeigt, wo das System verankert ist.“ Eva Kreisky hat in dem Sammelband „Arena der Männlichkeit. Über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht“ gezeigt, dass Sport, und im besonderen Fußball, ein wichtiger Herrschaftsstabilisator ist, der Bilder von Männlichkeit herstellt und institutionalisiert.

Die Konstruktion unterschiedlicher Körperbilder der Geschlechter ist auch in den Medien nicht zu übersehen. Während Männer am Cover von Men’s Health mit Versprechen wie „Breite Brust + starker Bizeps in nur 28 Tagen!“ geködert werden, ist es die „Last minute zur Bikini-Figur“-Formel im Women’s Health-Magazin, die Frauen ansprechen soll. Die Coverfotos sind ebenfalls repräsentativ dafür, wie das jeweilige Ideal aussieht. Der Mann trägt ein enges T-Shirt, unter dem sich deutlich die breiten Schultern und die muskulösen Arme abzeichnen. Die Frau zeigt ihren nackten, flachen Bauch, der unter dem kurzen Top sichtbar wird. Die beiden Bilder illustrieren, dass zu einem sportlichen Männerkörper Muskeln gehören, während Frauen, die Sport betreiben, vor allem schlank, aber nicht durchtrainiert aussehen sollen.

In einer Gesellschaft, in der sich jede_r über Selfies oder Social Media präsentiert, wird das Aussehen immer zentraler. Die ständige Sorge um den eigenen Körper ist für Männer eine paradoxe Entwicklung. Auf der einen Seite werden Männlichkeitsideale über durchtrainierte Körper definiert, andererseits sind Männer Hohn ausgesetzt und werden als verweiblicht und verweichlicht empfunden, wenn sie sich zu sehr um ihr Äußeres bemühen. Nicht ohne Grund wird Cristiano Ronaldos intensives Verhältnis zu seinem Körper in der Sportgemeinschaft auch zur Projektionsfläche für spöttische Kommentare. So kursierte beispielsweise im Internet ein Bild von einem rosa Spielzeugbeautyset mit einem Emblem von Ronaldo darauf.

Muskelpaket statt Stangensellerie. Die Gender- und Männerforschung verortet in dieser Diskrepanz einen neuen, extremen Druck auf Burschen und Männer. Gerade im Sport müssen Burschen den Überlegenheitsimperativ, also zumindest nicht schlechter als ein Mädchen zu sein, erfüllen, aber sie müssen nun auch gut dabei aussehen. „Der Schönheitszwang, mit dem Frauen konfrontiert sind, kommt jetzt auf die Burschen massiv und schlagartig zu. Junge Burschen sind oft gut durchtrainiert, viele gehen in die Kraftkammer und nehmen Muskelpräparate, damit sie mithalten können. Ein Stangensellerie zu sein, das geht nicht mehr. Die Burschen zupfen, werken, inszenieren und formen den Körper. Was gut und schlecht ist.“ Diketmüller ist überzeugt, dass Burschen durch die sportliche Bewegung durchaus auch ihr Selbstwertgefühl steigern und ein positives Körpergefühl bekommen können.

Bei Mädchen und Frauen hingegen sieht es bei der Motivation, Sport zu betreiben, meist doch ein wenig anders aus. Die Scham, resultierend aus Diskriminierungen, wie Pfiffen, abfälligen Bemerkungen oder auch nur Blicken, drängt sie in Fitnessstudios und zu „Speck-weg“-Trainingsprogrammen. Denn oft üben Frauen Sport – vor allem im öffentlichen Raum – erst aus, wenn sie die gesellschaftlich anerkannte, schlanke Figur bereits haben. Wenn sich das „Speckweg“- Motiv jedoch nicht in einen lustvollen Umgang mit Sport umwandelt, gibt es wenig Chance auf eine längerfristige sportliche Betätigung. Diketmüller sieht darin kein Eigenverschulden: „Ob ich als Frau Fußball spiele oder nicht, ist gesellschaftlich bedingt. Ob man Sport betreibt und welchen, sollte aber nichts mit dem Geschlecht zu tun haben.“ Dass Frauenfußball in den USA viel populärer als Männerfußball ist, zeigt für Diketmüller, dass die Wahl der Sportart hauptsächlich damit zusammenhängt, was in einer Kultur als „Männersport“ oder „Frauensport“ präsentiert wird. Eine wichtige Rolle spielen auch dabei die Medien, und die assoziieren Sport klar mit Männern. Nur 10 bis 15 Prozent aller Personen, die im Sport medial sichtbar sind, sind Frauen. Und die sind meist besonders attraktiv. Diketmüller erinnert sich an die ehemalige russische Tennisspielerin Anna Kurnikowa, die mit ihrem Aussehen bei den Medien punktete. Sie sieht jedoch die Gefahr, dass es jene Frauen, die nicht dem Schönheitsideal entsprechen (wollen), dadurch schwerer haben, erfolgreich im Profi-Sport Karrieren zu machen, oder sie überhaupt aus gewissen Sportarten ausgeschlossen werden.

Um der Sexualisierung des Frauenkörpers im Sport entgegenzuwirken, kämpfen beispielsweise Volleyballer_ innen oder Tennisspieler_innen für längere Röcke, weitere Hosen und stoffreichere Tops. Denn in erster Linie soll der Sport zählen, nicht wie sexy die Sportlerin aussieht.

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

Nackte Männer

  • 04.01.2013, 13:11

Das Wiener Leopold-Museum hat unter den Kuratoren Tobias Natter und Elisabeth Leopold eine kontrovers diskutierte Ausstellung initiiert. Noch bis um 28. Jänner werden Skulpturen, Bilder und Installationen nackter Männer gezeigt.

Das Wiener Leopold-Museum hat unter den Kuratoren Tobias Natter und Elisabeth Leopold eine kontrovers diskutierte Ausstellung initiiert. Noch bis zum 28. Jänner werden Skulpturen, Bilder und Installationen nackter Männer gezeigt.

Sogar die deutsche Tagesschau hat dieser Tage aus Wien berichtet. An manchen Straßenecken und Litfaßsäulen der Stadt sieht man die mögliche Ursache dafür. Es sind drei Männer auf einem Plakat. Vielleicht sind sie Fußballer, denn sie tragen Stollen und Schoner in den Farben der französischen Flagge. Die drei unterscheiden sich voneinander durch ihre unterschiedliche Hautfarbe und repräsentieren damit die kulturelle Diversität Frankreichs, so die ursprüngliche Intention der Fotografen Blanchard und Commoy. Der Stein des Anstoßes lag jedoch woanders: Die drei Männer sind nackt. Eine merkwürdige Begebenheit, bedenkt man, dass die Nacktheit letztlich ja den natürlichsten Zustand des Menschen darstellt. Und sprach nicht auch schon Heinrich Heine in seinen Reisebildern: „Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern?“ Und dennoch scheiden sich dieGeister an dieser Ausstellung. Eine ältere Passantin drohte in einem Bericht des Standard sogar damit, die Genitalien der Fotografierten „eigenhändig“ zu überpinseln. Und so sah sich die Museumsleitung letztlich in einem überraschenden Schritt der Selbstzensur dazu genötigt, einige der Plakate mit einem Klebestreifen zu versehen, wohl um den Fußballern, die in diesen kalten Wintertagen die Herzen so mancher ZuseherInnen nicht erwärmen konnten, wenigstens ein wenig Schutz der Intimsphäre zugewähren. Eine seltsame Wendung, denn schließlich haben es nur wenige Ausstellungen der Wiener Kunstmuseen fertig gebracht, innerhalb so kurzer Zeit eine derartige Responsivität in der Öffentlichkeit hervorzurufen.

Spiegelbild. Nun ist Kunst als Reflexionsmittel realgesellschaftlicher Zusammenhänge schon per se widersprüchlich und darin liegt  auch der interessante Ansatz, den das Museum mit dieser Ausstellung verfolgt. Denn die Nacktheit des Mannes, im Gegensatz zu jener der Frau, gehört nicht zu jenen visuellen Eindrücken, mit denen wir medial täglich konfrontiert werden. So sind auch die  Reaktionen der BesucherInnen, sobald sie an dem übergroßen männlichen Akt „Mr. Big“ – eine begehbare Installation vor dem  LeopoldMuseum, vorbeiflanieren, ein Spiegelbild gesellschaftlicher Meinungsbilder. Die Reaktionen reichen von Belustigung bis  Irritation.

Und auch die Werbeplakate haben polarisiert. In einigen Wiener Gemeindebezirken soll es sich zum Volkssport der BürgerInnen  entwickelt haben, die Zensurkleber der Museumsleitung abzureißen oder wieder anzubringen. Je nach Gesinnung. Es ist spannend zu sehen, inwieweit die Ausstellungsmacher dieses gesellschaftliche Ringen in ihr Projekt selbst impliziert haben. Um die Exponate zu erreichen, muss man in das Untergeschoss des LeopoldMuseums hinabsteigen. Die Räume sind abgedunkelt. Es wird Intimität hergestellt. Das Sendungsbewusstsein der Ausstellung ist subtil; nach außen hin herausfordernd, im Inneren spiegelnd. Dabei geht sie auf das Gefühl des Verbotenen  ein, des Voyeuristischen. Und sie zeigt auch die mögliche Verletzlichkeit des sogenannten „starken Geschlechts“, wenn sie ein Exponat der Künstlerin Louise Bourgeois zeigt, eine Latexkonstruktion des männlichen  Geschlechtsteils – an einem Haken hängend.

Dieser Zugang stellt die Fassade einer tradierten männlichen Geschlechterrolle in Frage. Er schockiert. Und er rüttelt dabei auch an den Orten, die dem Männlichen vorbehalten sind, wenn in einem abgesonderten Raum die Aufnahmen einer ungarischen Aktionskünstlerin gezeigt werden, die sich, als Mann verkleidet, in ein Badehaus für Männer begibt. Und immer wieder stellt sich  abei die Frage, warum es so „delikat“ ist, den männlichen Körper nackt zu zeigen, wenn dies beim weiblichen zur Alltagsnormativität gehört. Die Kuratoren stellen die „nackten Männer“ dabei – als Teil des Diskurses dieser Frage – in direkten Zusammenhang mit der  feministischen Forschung und den Gender Studies, ohne deren „Erfahrung und Anregung das Projekt nicht denkbar gewesen wäre“, und sehen ihre Ausstellung als Spiegelbild einer gesellschaftlichen Entwicklung, welche die „vordem scheinbar festgefügten  Kategorien wie ‚Männlichkeit‘, ‚Körper‘ und ‚Nacktheit‘“ auf breiter Basis ins Wanken gebracht hat.

Roter Faden. Diese Perspektive ist erfreulich, wenn es auch merkwürdig erscheint, dass, nur durch einen Vorhang getrennt, hinter einem der Ausstellungsräume ein Durchgang zu einer Auswahl hell-erleuchteter Klimt-Bilder führt, darunter einige nackte Frauen.  Dass selbiger mit Männer-Akten (darunter Selbstporträts) auch in der Ausstellung zu finden ist, zeigt auch eine profanere Seite der Schau. Zwar versuchen die Kuratoren einen roten Faden durch das Projekt zu ziehen, doch wird der für den öffentlichen Diskurs so wichtige Haupteffekt letztlich dadurch erzielt, dass eine große Anzahl an Ausstellungsstücken zusammengezogen wird. Vielen wird  man im Alltag begegnen, so in den verschiedensten Galerien, aus denen Teile des Bestandes entliehen sind. Und letztlich findet sich die männliche Nacktheit auch an Orten, die nicht gerade für ihre Freizügigkeit bekannt sind. Die Rede ist hier von Engelsstatuen in der Kirche.

Viel scheint also vom Kontext abzuhängen, in dem sich Menschen mit Nacktheit oder Körperästhetik befassen. Während die Sexualisierung innerhalb der Medien, hier ist vor allem Werbung zu nennen, zur Normativität gehört, scheinen Schamgrenzen  überschritten zu sein, wenn eine Kunstausstellung mehr oder weniger lebensnahe Gemälde und Exponate ausstellt. Gerade deshalb scheint sie notwendig. Direktor Natter antwortete auf die Frage nach dem „Warum“ dieser Ausstellung: „ … weil sie überfällig ist.“Im  Nachhinein betrachtet mutet die Zensur der Werbeplakate umso seltsamer an. Dabei zeigen die Ausstellungsmacher jedoch einen feinen Hauch von Ironie. Im gleichen Ausstellungsraum, in dem sich auch das Originalbild der drei nackten Fußballer findet, hängt das Plakat einer längst vergangenen Kunstausstellung. Neben der zensierten Version, die aufgrund der vermeintlichen  Anstößigkeit des Originals den Vorzug erhielt.

Der Autor Rudolf Bede studiert Soziologie und Psychologie an der Uni Wien.

Schön, schöner, Lillifee

  • 26.12.2012, 14:32

Schönheit spielt schon für die Kleinsten eine große Rolle. Ein Kindergartenbesuch zeigt den richtigen Umgang mit einem sensiblen Thema.

Schönheit spielt schon für die Kleinsten eine große Rolle. Ein Kindergartenbesuch zeigt den richtigen Umgang mit einem sensiblen Thema.

Wer sich in diesem Jahrhundert mit einem vierjährigen Mädchen unterhält, wird kaum etwas verstehen, wenn er oder sie  grundlegende Begriffe wie Tinker Bell, Hello Kitty und Prinzessin Lillifee nicht kennt. Nomingoa, Maija und Amina – alle vier Jahre alt – malen im Kindergarten und besprechen dabei wichtige Themen: „Ich schau Tinker Bell im Kino“, erzählt Nomingoa. Amina lässt sich davon nicht beeindrucken,denn sie mag lieber „die Lillifee“. Unter ihrem rosafarbenen Pulli trägt sie ein Unterhemdchen mit einem großen Bild von ihr. „Das ist meine Lieblingspuppe“, sagt sie. Im Fasching wollen sich die drei Mädchen als Prinzessinnen verkleiden. Weil Prinzessinnen schön sind.

Bin ich schön? Schönheit bedeutet in unserer Gesellschaft viel mehr als ein ansprechendes Äußeres: Wer schön ist, verlangt sich selbst etwas ab und ist diszipliniert. Wer schön sein will, leidet. Und wird auch Erfolg haben: Studien zeigen, dass schöne Menschen  mehr verdienen und schneller Karrieremachen. Wer aber schön ist, liegt gar nicht so sehr im Auge des einzelnen Betrachters – oder der Betrachterin. Schönheitsideale gibt zu einem großen Teil die Gesellschaft vor, in der wir leben. Und die färbt schon die Blicke von jungen Mädchen wie Nomingoa, Maija und Amina. „Diese Werthaltungen – was ist schön, was ist nicht schön –, da haben Kinder oft wenig Chancen, das aus sich heraus zu entwickeln. Da kommt sehr viel von der Erwachsenenwelt“, sagt Daniela  Cochlár, Leiterin der MA 10, der Abteilung für die Wiener Kindergärten.

Zur Frage, woher Schönheitsideale kommen, scheint es ebenso viele Theorien wie Wissenschaften zu geben. Evolutionspsychologisch betrachtet wird uns das Streben nach Schönheit angeblich schon in die Wiege gelegt: Ein Experiment zeigte, dass Babys attraktive Menschen länger ansehen als solche, die als weniger attraktiv gelten. Das soll damit zu tun haben, dass schöne Menschen körperlich robuster, also gesünder und damit fortpflanzungsfähiger sind. Auch unterschiedliche Ideale für Männer und Frauen werden damit auf zweifelhafte Weise erklärt: Während Männer zwecks Reproduktion und Fruchtbarkeit schöne Frauen suchen, ginge es den Frauen eher darum, einen ökonomischen „Erhalter“ für ihre Kinder zu finden. Der muss nicht zwangsläufig gut aussehen. „Diese Theorien erklären aber nur den Ist-Zustand. Und wenn der genau umgekehrt wäre, würden sie   ihn eben andersrum erklären“, sagt Elisabeth Ponocny-Seliger, Psychologin und Lehrbeauftragte für Gender Research an der Uni Wien.

Foto: Linnea Jänen

Bewusster Umgang mit Unterschieden. Die vermeintlich evolutionspsychologisch vorgegebene Rollenteilung bemerkt auch Sandra Haas. Sie leitet den Bildungskindergarten Fun&Care im 15. Wiener Gemeindebezirk, den Nomingoa, Maija und Amina besuchen.  „Mädchen werden dafür gelobt, dass sie schön sind. So lernen sie, dass es ihre wichtigste Kompetenz ist, süß zu sein. Buben lobt man hingegen für ihre Fähigkeiten“, sagt sie. Der Fun&Care Kindergarten wurde 1999 eröffnet und war damals der erste  geschlechtssensible Kindergarten Wiens. Zentrales Anliegen der geschlechtssensiblen Pädagogik ist es, den Kindern Raum für  Entwicklung abseits von gesellschaftlich vorgegebenen Rollenbildern zu geben. Buben und Mädchen soll Chancengleichheit in allen Lebensbereichen ermöglicht werden: Mädchen können Pilotinnen werden und Buben Stewards, wenn sie das wollen. „Das Besondere  an Fun&Care war, dass wir ein Gesamtkonzept gemacht haben. Wir haben es auf vier Säulen gestellt: das Raumkonzept, die  Bildungsarbeit, die Elternarbeit und das Personalkonzept“, erklärt Daniela Cochlár. Sie war die erste Leiterin des Fun&Care  Kindergartens. 2008 wurde das Konzept der geschlechtssensiblen Pädagogik erstmals in einem öffentlichen Kindergarten der Stadt Wien eingeführt und dann allmählich in allen Kindergärten der Stadt Wien übernommen. „Schönheitsideale spielen im Kindergarten eine sehr große Rolle“, sagt Cochlár. „Ab drei, vier Jahren oder spätestens im Vorschulalter ist das ein sehr großes Thema. Das ist auch nachvollziehbar: Wer von uns möchte denn nicht hübsch sein? Das hat ja auch viel mit Wertschätzung, Anerkennung und  Akzeptanz zu tun.“

Im Fun&Care Kindergarten wirkt auf den ersten Blick alles wie in jedem anderen Kindergarten. Wer die kleinen Unterschiede erkennen will, muss genauer hinsehen – und auch hinhören: Wenn Pädagogin Katharina ihrer Gruppe etwas vorliest, sucht nicht nur der Tiger nach Futter, sondern auch die Tigerin. Wenn die Kinder Fußball spielen und Katharina im Tor steht, ist sie automatisch füralle die Torfrau, und nicht der Tormann. Wird im Kindergarten etwas kaputt, versucht Leiterin Sandra Haas es zuerst selbst zu reparieren, damit die Kinder sehen, dass auch Frauen handwerkliche Aufgabenmeistern können. In jeder Gruppe sollte es einen
Kindergartenpädagogen mit einer Assistentin oder eine Kindergartenpädagogin mit einem Assistenten als Rollenvorbilder geben. Ein weiteres wichtiges Element im geschlechtssensiblen Kindergarten ist die Raumteilung. Im Unterschied zum herkömmlichen Kindergarten findet man bei Fun&Care weder eine rosarote Puppenecke noch eine traditionelle Bauecke. Das Spielzeug soll für alle Kinder gleichermaßen bereitstehen. Dazu gehört auch die bewusste Auswahl von Spielmaterialien. Aus durchsichtigen Plastikcontainern können sich die Kinder bunte Soft-Bausteine, Puppen oder Spielfiguren holen. In jeder Gruppe steht auch ein Kosmetikkorb bereit: Mit Schminkpinseln, Haarbürsten und leeren Haarshampooflaschen, die beim Öffnen noch nach Seife duften.

Auch dieses Spielzeug ist für Buben und für Mädchen. Und tatsächlich ist es ein Bub, der als erstes zur Bürste greift. Fest  entschlossen fährt David progress- Autorin Julia durch ihr langes, rot-braunes Haar: „Wenn ich fertig bin, werden deine Haare so lang und schön sein, wie die von der Rapunzel“, sagt er. Sekunden später ist Julia von vier Kindern umringt. Ihre Haare werden in Bereiche eingeteilt, sodass man sich beim Frisieren nicht allzu sehr in die Quere kommt. Ein anderer kleiner Junge beginnt ihr  Gesicht mit dem Schminkpinsel zu pudern. Zwei Mädchen leeren fiktives Shampoo auf ihren Kopf – die Kinder machen Julia schön. Vielleicht wolle er selbst irgendwann so lange Haare haben, überlegt David; da verwirft er den Gedanken auch schon wieder: Bei Mädchen sind lange Haare ja schön. Aber bei einem Buben? Da geht das nicht, stellt David fest.

Foto: Linnea Jänen

Verschiedene Einflüsse. Selbst wenn Eltern darauf achten, ihre Kinder fernab von Rollenklischees zu erziehen, werden sie spätestens im Kindergarten davon eingeholt. „Auch bei uns sind 90 Prozent der Mädchen rosa gekleidet. Das wollen wir den Kindern auch nicht wegnehmen – sie sollen sich aber nicht über die Farbe definieren“, sagt Kindergartenleiterin Haas. Bis zum Kindergartenalter  wird fast jedes Kind sagen, dass „die Mama“ die schönste Frau sei. „Das ist wirklich lieb und da antworten fast alle gleich“, erklärt Psychologin Ponocny-Seliger. Dann sind plötzlich Prinzessin Lillifee und Barbie schön und bei Buben ist vor allem Superman cool. Plötzlich gibt es eine Reihe von Einflussfaktoren: die Eltern, die KindergartenpädagogInnen oder andere Kinder, die ein Vorbild sein können. Wenn ein Mädchen dann ein rosafarbenes Röckchen anhat, wollen es die anderen auch. Und sie fordern es zu Hause auch ein. „Die Kinder dürfen hübsch sein, Prinzessin sein, ein Röckchen anhaben; es gibt aber adäquate Kleidung für bestimmte Zwecke. Wenn man in die Sandkiste spielen geht, ist eine Gatschhose wesentlich hilfreicher als einRock“,  sagt Cochlár.

In der Praxis des Kindergartens ist es nicht immer einfach, das Konzept der geschlechtssensiblen Pädagogik umzusetzen. „Natürlich wird niemand gezwungen. Wenn ein Mädchen rosa tragen will, ist das vollkommen in Ordnung. Die Farbe an sich ist ja nicht das Problem. Man muss den Kindern nur aufzeigen, dass es auch anders geht“, sagt Fun&Care- Leiterin Haas. Im Fasching versucht sie das Klischeeproblem geschickt zu umgehen: Damit es nicht nur Prinzessinnen und Cowboys gibt, werden immer wieder andere  Themen ausgewählt. Nicht nur Personen im direkten Umfeld beeinflussen die Kinder – im Fernsehen oder online sehen sie täglich, was schön ist: Barbies für Mädchen, Roboter für Jungen. „Kinder im Kindergartenalter wissen unterbewusst, welche Eigenschaften und Fähigkeiten sie ausbilden sollen, damit sie für ihr Geschlecht passend wahrgenommen werden“, sagt Claudia Schneider. Sie ist Leiterin des Vereins Efeu, der sich mit geschlechtssensibler Pädagogik beschäftigt. Kürzlich ist sogar eine neue Lego-Edition für Mädchen herausgekommen: Sie ist rosa, enthält fünf „Freundinnen“ als Spielfiguren, die ihre Zeit im Schönheitssalon, im Kaffeehaus und auf dem Reithof verbringen; bauen kann man damit kaum mehr etwas. „Begriffe wie ‚schön‘ oder ‚stark‘ sind sogenannte ‚Gender Codes‘, Eigenschaften, durch die eine von den zwei in unserer Gesellschaft verfügbaren Kategorien, nämlich männlich oder weiblich, ausgedrückt werden. Wir können diese Begriffe schnell einordnen, weil wir in diesem dualen Zweigeschlechtersystem  denken“, erklärt Schneider. Freiräume, in denen Kinder vieles ausprobieren können, hält sie für besonders wichtig. Sie erzählt von einem Kindergarten, wo ein männlicher Pädagoge mit den Buben der Gruppe Schönheitssalon spielte. „Das sind Erfahrungen, die Kinder oft so nicht machen können. Dafür einen geschützten Rahmen anzubieten, kann sehr produktiv sein.“

Zurück im Kindergarten wird ein Bub von den Mädchen zum Mutter-Vater-Kind-Spielen in die obere Etage eines einstöckigen Spielhauses  beordert. Er erhält Anweisungen, wie er das Puppenbaby richtig pflegen muss. Seit der eigenen Kindergartenzeit hat sich ja doch nicht alles geändert; nur wird heute viel bewusster mit den Kindern und den Rollen, in die sie gedrängt werden, umgegangen. Das tut den künftigen Astrophysikerinnen und Hausmännern gut.

Sich selbst lieben lernen

  • 24.12.2012, 12:57

Die Energien fürs Schlankbleiben können Frauen für Sinnvolleres verwenden. Die ARGE Dicke Weiber erklärt im Interview, wie man als Dicke Diskriminierung begegnen kann.

Die Energien fürs Schlankbleiben können Frauen für Sinnvolleres verwenden. Die ARGE Dicke Weiber erklärt im Interview, wie man als Dicke Diskriminierung begegnen kann.

Dickendiskriminierung betrifft besonders Frauen. Einige dicke Frauen haben sich deshalb 2009 zur Arbeitsgemeinschaft Dicke Weiber zusammengeschlossen. Christine, Patricia, Bernadett und fünf weitere Frauen treffen sich seither jeden zweiten und vierten Freitag im Monat in der FZ-Bar (Frauenzentrum Wien), um Erfahrungen auszutauschen, sich selbst zu empowern und sich gesellschaftspolitisch zu positionieren. Sie sind links, feministisch, autonom. Sie setzen Aktionen wie ein Picknick am Antidiät-Tag, um zu zeigen, dass dicke Frauen sich nicht einschränken müssen, sondern alles dürfen, was sie machen wollen – auch in der Öffentlichkeit essen. Im Interview mit Martina Madner zeigen sie, wo man überall ansetzen muss, um das Bild von dicken Frauen zu verändern. Und dabei sind alle dicken Frauen herzlich willkommen.

progress: Es gibt Sängerinnen wie Beth Ditto von Gossip, Komikerinnen wie Hella von Sinnen oder Moderatorinnen wie Tine Wittler – sind dicke Frauen mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert?

Patricia: Nein, sie sind in erster Linie Showfiguren. Sie erfüllen einen Zweck: Hella von Sinnen ist zum Beispiel die komische Figur. Sie ist lustig, man darf über sie Witze machen. Humor ist schon okay, aber: Man sollte sich selbst ernst nehmen, Frauen werden ohnehin viel zu oft lächerlich gemacht. Und Beth Ditto ist ein Showgirl, das auf der Bühne steht. Da ist viel erlaubt, teilweise ist es
sogar notwendig, zu überzeichnen, um Aufmerksamkeit zu erlangen.
Bernadett: Beth Ditto ist sicher eine Ausnahmeerscheinung. Sie macht vieles, was dicke Frauen und Mädchen sonst nicht können oder dürfen. Insofern hat sie eine Vorbildfunktion. Das ist ganz wichtig. Wenn junge Menschen keine Vorbilder haben, sehen sie weniger, was möglich ist.
Patricia: Dicke Frauen haben eingeschränkte Lebensbedingungen. Es wird ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass wir manches nicht machen können: Querstreifen oder Miniröcke tragen, baden gehen oder Sport betreiben. Wir sollen nichts machen, wo das Körperfett sichtbar ist oder zu sehr wackelt. Für das Selbstvertrauen ist es deshalb wichtig, zu sehen, dass ich alles darf.

Wie würdet ihr das Lebensgefühl als Dicke beschreiben?

Christine: Ich habe mich lange Zeit überhaupt nicht gemocht und als hässlich und unförmig empfunden. Das ist eine Phase, die sehr viele dicke Frauen haben. Da erzeugt jede Werbung oder Zeitschrift, die zeigt, du kannst schlank und schön sein, bei dicken Frauen das Gefühl, versagt zu haben, und es entsteht ein sehr negatives Körpergefühl. Jetzt bin ich darüber hinweg, akzeptiere mich, so wie ich bin. Nicht jede Frau kann Kleidergröße 36 haben, weil wir einen unterschiedlichen Körperbau und Stoffwechsel haben.
Bernadett: Ich bin nicht nur dicke Frau, sondern auch noch ganz viel anderes, deshalb ist das Dicksein alleine gar nicht so ausschlaggebend für mein Lebensgefühl.
Patricia: Der Frauenkörper wird generell gerne als Problemfeld gesehen: Dabei geht es nicht nur um Körperfett, sondern auch um die Behaarung, das Alter, alles, was mit dem Menstruationszyklus zusammenhängt. Man gewinnt den Eindruck, der Frauenkörper an sich ist abnorm. Bei dicken Frauen ist es nochmals sichtbarer. Ich habe mich sehr lange geschämt. Man versucht, sich vielen  Situationen nicht auszusetzen. Mit der ARGE Dicke Weiber wollen wir das verändern und gehen deshalb gemeinsam essen, baden oder tanzen, was dicke Frauen sonst alleine nicht machen.

Ihr beschreibt dick als dick – auch in der ARGE Dicke Weiber, warum?

Christine: Wir wollen „dick“ nicht umschreiben, sondern dem Wort seine negative Bedeutung nehmen. Dick ist ein Eigenschaftswort wie groß oder klein und als solches wollen wir es wieder gesellschaftsfähig machen.

Hohes Gewicht wird oft als Übergewicht bezeichnet, was bringt das mit sich?

Bernadett: Wir wehren uns gegen den Begriff Übergewicht, weil wer bestimmt, über welchem Gewicht wir nicht drüber sein dürfen? Wir ziehen deshalb keine Gewichtsgrenzen.
Christine: ÄrztInnen behandeln dicke Frauen schon alleine wegen ihres Gewichts wie Kranke. Oft wird gar nicht der Ursache der Gelenksschmerzen oder der Grippe nachgegangen. Man hört erst mal nur: „Nehmen Sie ab.“ So kommt es, dass manche gar nicht mehr zu ÄrztInnen gehen und das ist dann wirklich gefährlich. Wir wollen deshalb eine Liste mit dickenfreundlichen ÄrztInnen erstellen und freuen uns über jedes Mail, das uns dabei weiterhilft.
Patricia: Es ist auch schlichtweg falsch, vorzugaukeln, dass es nur ein normiertes Gewicht gibt, mit dem man krank oder gesund ist.

Kann Dicksein keine Krankheiten mit sich bringen?

Patricia: Gesundheit hat mit dem Gewicht nichts zu tun. Gesundheit hängt von ganz vielen Faktoren ab, in hohem Maße von Stress, schlechten Lebensbedingungen oder einfach auch von der Genetik. Krankheit trifft dicke genauso wie dünne Menschen.
Bernadett: Es wird uns vorgelogen, dass eine gesunde Ernährung auch gleichzeitig schlank macht. Diese Zusammenhänge werden oft von jenen hergestellt, die ästhetische Probleme mit Dicken haben und sich von Vorurteilen leiten lassen. Das gibt es auch bei MedizinerInnen und ForscherInnen.
Patricia: Forschung ist nicht neutral, sondern oft bezahlt. Man muss deshalb sehr genau schauen, wer von den Ergebnissen profitiert und ob mit Pillen oder Diäten Geschäft gemacht werden soll. Dabei gibt es längst Forschung zu „Health at every size“. ÄrztInnen könnten sich also von der Meinung, dick bedeutet krank zu sein, befreien. Stattdessen wächst der Bereich in der Medizin, der sich  rein mit Ästhetik beschäftigt, wie Schönheitsoperationen. Und das hat überhaupt nichts mehr mit Gesundheit zu tun.
                                                                                                                                                                                                                                     
Manche  meinen, alle wollen schlank sein, Dicke würden sich nur selbst belügen.

Christine: Nein, es wird uns suggeriert, dass alle schlank sein wollen müssen. Dicke werden als dumm, faul, unbeherrscht, ...
Bernadett: … dreckig und krank bezeichnet.

Christine: Gerade junge Frauen können deshalb oft gar nicht sagen, dass sie nicht schlank sein wollen.
Patricia: Solange man Diäten macht, heißt es: „Du bemühst dich.“ Sobald man aber offen sagt, ich bleibe so wie ich bin, merkt man, wie stark der Druck ist. Dann heißt es: „Du hast dich abgeschrieben, du lässt dich gehen, du schadest dir.“ Deshalb haben viele eine Hemmschwelle, zu uns in die Gruppe zu kommen, weil sie von anderen hören, dass sie sich aufgeben, wenn sie sich als dick  akzeptieren.
                                                                                                                                                                                                          
Wo macht sich Dickenfeindlichkeit besonders negativ bemerkbar?

Christine: In der Arbeitswelt werden vor allem junge, schlanke, schöne Frauen eingestellt – insbesondere dort, wo Frauen gesehen werden. Dicke Frauen dürfen in den Augen vieler Unternehmen offenbar nicht Repräsentantinnen sein.
Patricia: Auch im pädagogischen Bereich heißt es, dass dicke Frauen zum Beispiel als Kindergärtnerinnen keine guten Vorbilder sind.
Bernadett: An Dicken fehlt es auch im Gesundheitsbereich, es gibt keine dicken Trainerinnen.
Patricia: Ich habe mich früher mal als Kosmetikerin in einem Fitnesscenter beworben. Der Leiter hat mir gesagt, dass ich kein gutes Vorbild sei, weil ich nicht gesund sei. Auf meinen Einwand, dass ich ihm gerne meinen Gesundheitsstatus nachweise, hat er dann doch offen gesagt, dass es rein ums Optische gehe,  Gesundheit also nur ein Vorwand gewesen sein.

Disqualifizieren sich jene mit solchen Vorurteilen nicht selbst?

Christine: Leider ist diese Art von Vorurteilen gesellschaftlich anerkannt.
Patricia: Wir alle wachsen mit dieser  Ästhetik auf, bekommen vorgesagt, was gut aussieht und was nicht. Gerade, wenn man noch nicht gefestigt ist, sollte man sich beispielsweise Austria’s Next Topmodel nicht anschauen, weil es Ästhetik formt. Ich habe bemerkt, dass sich, wenn ich mir Bilder von starken, schönen, dicken Frauen ansehe, das, was ich schön finde, verändert. Vielfalt wird normal.
Bernadett: Es geht dabei auch um die Eigen- und Fremdsicht, die oft miteinander einhergehen. Deshalb versuchen wir das wieder voneinander zu trennen. Es ist wichtig, dass man sich selbst, wenn man in den Spiegel schaut, schön findet. Es geht nicht darum, sich von außen sagen zu lassen, dass man schön sei. Diese Bewertung „Du bist attraktiv oder nicht attraktiv“ steht anderen gar nicht zu.

Welchen Unterschied macht es, ob man dicke Frau oder dicker Mann ist?

Christine: Dicke Männer werden noch eher akzeptiert. Sie kommen zum Beispiel in Filmen öfter und auch mit attraktiven  Partnerinnen vor. Dicke Frauen dagegen sind oft dünne mit Fettanzug, sie sind eher Witzfiguren oder sie leiden unglaublich unter ihrem Gewicht.
Patricia: Im Bullen von Tölz sollte zum Beispiel die Kommissarin ausgetauscht werden, weil sie zugenommen hatte. Jung, erfolgreich, attraktiv und dick geht nicht zusammen. Auch in der Politik gibt es dicke Männer, aber kaum dicke Frauen.

Ändert sich das Schönheitsideal nicht laufend?

Patricia: Ja, aber es geht in Richtung Unisex und Einheitsmensch. Ich habe nicht den Eindruck, dass Vielfalt mehr Platz bekommt. PolitikerInnen sprechen immer öfter von Vielfalt, es gibt Gesetze gegen Diskriminierung.

Sorgt das für mehr Akzeptanz?

Christine: Ob sich PolitikerInnen gegen eine Art der Diskriminierung engagieren, hängt davon ab, wie modern oder schick die sogenannte Andersartigkeit ist.

Ist MigrantIn- oder Lesbischsein also cooler als Dicksein?

Patricia: Nicht für alle und es kommt darauf an, um wie viele MigrantInnen oder Lesben es sich handelt. (Lacht) Für eine einzelne  oder wenige setzt man sich ein. Aber Dicksein ist sicher nicht schick.
Christine: Witze bilden Gesellschaft sehr gut ab und zeigen den Unterschied: Witze über MigrantInnen oder Homosexualität sind in politisch reflektierten Kreisen verpönt, Witze über Dicke gelten aber durchaus als salonfähig.

Wo überschneiden sich Frauen- und Dickendiskriminierung?

Christine: Schlanke und dicke Frauen werden auf ihren Körper reduziert. Dickenfeindlichkeit wirkt sich also auch auf dünne aus,  weil diese oft in Panik leben, einmal dick zu werden. Und damit wird ein großer Teil der Energie ans Schlankbleiben gebunden, die Frauen für Sinnvolleres nutzen könnten.
Patricia: Dickendiskriminierung ist ein Teil des Schönheitsterrors, der betrifft alle, insofern ist es ein feministisches Thema. Bei der Diskriminierung durch Infrastruktur geht es auseinander: Wenn in U-Bahnstationen oder Cafés zu schmale Sessel ein normales Sitzen für Dicke verunmöglichen, schließt sie das speziell aus. Aber bei beidem gilt: Frau muss die Attraktivität und Lebenslust, die  in einer steckt, entdecken und sich lieben lernen. Ich bin das ja schon, ich muss es nur wissen.

Weitere Infos: argedickeweiber.wordpress.com

Martina Madner ist Journalistin und Moderatorin und hat Politik- und Kommunikationswissenschaft an der Uni Wien studiert.