Antisemitische Stereotype

Blut und Boden gegen Israel

  • 11.05.2017, 09:00
Die antisemitische internationale Bewegung BDS – Boycott, Divestment, Sanctions – delegitimiert Israel mit Lügen und Halbwahrheiten. Auch in Österreich hat sie einen Ableger.

Die antisemitische internationale Bewegung BDS – Boycott, Divestment, Sanctions – delegitimiert Israel mit Lügen und Halbwahrheiten. Auch in Österreich hat sie einen Ableger.

„Was ist eigentlich Apartheid?“, fragten AktivistInnen von BDS Österreich bei ihrem letzten Flashmob in Wien. Der Ableger der internationalen Kampagne für den Boykott des einzigen jüdischen Staates warb anlässlich der sogenannten „Israeli Apartheid Week“ im März 2017 unter anderem vor der Synagoge am Campus der Uni Wien für Veranstaltungen. Deren Durchführung aber war schwierig: Unter anderem kündigte das linke Wiener Kulturzentrum WUK schon gebuchte Räume, als man dort auf den Charakter von BDS aufmerksam wurde.

Bewegungsgeschichte. International gibt es BDS seit 2005, in Österreich seit 2014, stets in enger Verbindung zum Verein Dar al-Janub. Der entstand 2003 im Umfeld der offen antisemitischen Gruppe „Sedunia“, die im selben Jahr eine Gedenkveranstaltung zu den Novemberpogromen im zweiten Wiener Gemeindebezirk angegriffen hatte. Im November 2008 distanzierte sich Dar al-Janub online von diesem „sinnlosen“ Angriff, und offener Antisemitismus ist bei ihnen nicht zu beobachten. Auch BDS Österreich vermeidet zunehmend allzu offensichtliche Nähe zum offenen Antisemitismus: Auf früheren Kundgebungen etwa gehörten häufig noch Fotos ungeklärter Herkunft von toten Kindern zur Propaganda, die an das antisemitische Motiv des kindermordenden Juden erinnerten. Solche Fotos findet man heute kaum noch bei BDS Österreich.

Analysiert man aber die drei Forderungen von BDS, tut sich eine Mischung aus ,alternativen Fakten‘ und dem Willen auf, Israel als jüdischen Staat abzuschaffen. Diese jüdische Souveränität allein aber ist es, die Juden und Jüdinnen auch mit Waffengewalt vor den Angriffen von AntisemitInnen verteidigen kann und leider bis heute auch andauernd muss. Sie ist der Kern des Zionismus als emanzipatorischer politischer Bewegung, die den Staat Israel errichtet und so hunderttausenden Juden und Jüdinnen das Leben gerettet hat – zum Teil sehr direkt. Bei Militäroperationen Mitte der 1980er Jahre und 1991 etwa wurden rund 20.000 äthiopische Juden und Jüdinnen nach Israel ausgeflogen. Wer Israel abschaffen will, nimmt potentiell den Tod von Juden und Jüdinnen in Kauf.

„Das Ende der Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes und ein Abriss der Mauer“, die erste Forderung von BDS, lässt tief in die Blut-und-Boden-Ideologie der Bewegung blicken, die „arabisch“ mit Land verknüpft. Im heutigen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten haben seit Jahrhunderten die unterschiedlichsten Gruppen – und eben nicht nur AraberInnen – gelebt, politisch war es unter anderem unter osmanischer Herrschaft, später unter britischer Verwaltung und seit dem Unabhängigkeitskrieg, der dem jungen jüdischen Staat von seinen Nachbarn aufgezwungen wurde, unter israelischer, jordanischer, ägyptischer und syrischer Kontrolle. Es „arabisches Land“ zu nennen suggeriert, nur AraberInnen hätten ein historisches Recht, hier zu leben, weil allein sie es „immer schon“ getan hätten. Zudem lässt der Begriff „Kolonisation arabischen Landes“ die Interpretationsmöglichkeit offen, auch Israel selbst in den Grenzen von vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 sei ein koloniales Projekt gewesen und müsse also mit dem geforderten Ende weg.

Die „Mauer“, die abgerissen werden soll, ist eine Sicherheitsbarriere, die nach langem Für und Wider in Israel gegen tödliche Anschläge palästinensischer TerroristInnen aus dem Westjordanland gebaut wurde – erfolgreich. Zur Illustration, wie genau BDS es mit Fakten nimmt: Die „Mauer“ besteht zu etwa 95 Prozent aus Zaun, der ähnliche Zwecke erfüllt, aber mit Bildern von Beton lässt sich das Ressentiment besser bedienen.

Auch die zweite Forderung, „die vollkommene rechtliche Gleichstellung der arabisch-palästinensischen BürgerInnen Israels“, basiert auf Unwahrheit, denn sie ist längst israelische Realität – mit einer Ausnahme: Die meisten der etwa 20 Prozent nichtjüdischen Israelis müssen anders als jüdische nicht zum Militär, können sich aber freiwillig melden.

Die dritte Forderung schließlich, die nach der „Anerkennung der Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren“, ist in mehrerlei Hinsicht merkwürdig: Palästinensische Flüchtlinge sind weltweit die einzigen, deren Flüchtlingsstatus sich vererbt und deren Probleme von der für sie zuständigen UN-Agentur UNRWA nach deren eigener Auskunft nicht dauerhaft gelöst werden sollen. Die UNRWA wurde 1949 als temporäres Hilfsprogramm gegründet und ihr Mandat seither regelmäßig um drei Jahre verlängert. So hart Flucht individuell ist, so alltäglich ist sie global, und kaum jemand käme etwa auf die Idee, ein Rückkehrrecht für die rund 850.000 nach 1948 aus arabischen Staaten geflohenen Juden und Jüdinnen zu fordern – geschweige denn für ihre Nachkommen.

Aus den etwa 750.000 AraberInnen, die aus dem heutigen Israel im Bürger- und Unabhängigkeitskrieg um 1948 geflohen sind, vertrieben wurden oder freiwillig gingen, sind mittlerweile knappe 5,3 Millionen Menschen geworden, die bei der UNRWA als „Flüchtlinge“ registriert sind. Von ihnen ist kaum noch jemand selbst geflohen, sondern, so das Kriterium der UNRWA, männliche Vorfahren von ihnen. Die Forderung, 5,3 Millionen nichtjüdische Menschen nach Israel mit seinen acht Millionen EinwohnerInnen einwandern zu lassen, kann Israel unmöglich erfüllen, würde es doch damit sein vitales Charakteristikum aufgeben, ein demokratischer und jüdischer Staat mit gleichen Rechten für alle seine BürgerInnen zu sein.

Diese Forderung also läuft nicht nur auf die Abschaffung des jüdischen Staates hinaus. Durch ihre Verbreitung weit über BDS hinaus trägt sie auch dazu bei, dass diese 5,3 Millionen Menschen in Flüchtlingslagern in den Nachbarstaaten Israels unter oft schlechten Bedingungen leben müssen und eben dort keine Bürgerrechte genießen – würden diese Staaten sie ihnen zuerkennen, gäben sie das Druckmittel auf, als das sie diese Menschen bei Verhandlungen mit Israel immer wieder verwendet haben. Die Leidtragenden sind PalästinenserInnen, BDS trägt dazu bei.

Ersatzhass. Was ist also Apartheid? Die israelische Situation, in der Juden und Jüdinnen, AraberInnen und andere mit gleichen Rechten leben, hat damit jedenfalls nichts zu tun. Gleiches gilt für den von BDS gegen Israel erhobenen Vorwurf der „ethnischen Säuberungen“. Dass BDS so erfolgreich ist, liegt wohl eher daran, dass Antisemitismus zwar nicht gesellschaftsfähig ist, solange er offen sagt: „Ich hasse die Juden.“ Die zugrundeliegende Struktur ist aber gesellschaftlich nach wie vor stark und richtet sich in Form von so genannter „Israelkritik“ – ein Terminus, dessen Absurdität am Vergleich zu nicht existenten Begriffen wie „Schwedenkritik“ oder „Chinakritik“ offenbar wird – in erster Instanz oft nicht mehr offen gegen Juden und Jüdinnen, sondern gegen den jüdischen Staat.

 

Nikolai Schreiter studiert Politikwissenschaft in Wien und Jerusalem.

Gegenöffentlichkeit, die keine ist

  • 23.02.2017, 20:45
AJ+ präsentiert sich auf den ersten Blick wie ein progressives, alternatives Medium. Doch hinter den eingängigen Kurzvideos steht ein global agierender Medienkonzern mit antisemitischer Agenda.

AJ+ präsentiert sich auf den ersten Blick wie ein progressives, alternatives Medium. Doch hinter den eingängigen Kurzvideos steht ein global agierender Medienkonzern mit antisemitischer Agenda.

AJ+ gibt vor, ein Medium „für die vernetzte Generation“ zu sein, das ein „Licht auf soziale Kämpfe wirft und Stimmen stärkt, die den Status Quo bekämpfen“. Finanziert wird der Kanal von Al Jazeera. Der global agierende Medienkonzern aus Katar möchte mit AJ+ ein neues Publikum ansprechen. Ein Schönheitswettbewerb für Meerschweinchen in Peru; Schüler*innen, die vor dem Krankenhaus für ihren krebskranken Lehrer singen; jesidische Frauen, die gegen ISIS kämpfen und ein Clip über die USA, die den Israelis 38 Millarden Dollar Militärhilfe überweisen, damit sie noch mehr palästinensische Kinder töten können. Wait, what? Das alles sind Videos, die AJ+ innerhalb einer Woche auf Facebook veröffentlicht hat. AJ+ gestaltet seine Videos so, dass in den ersten drei bis fünf Sekunden eine eyecatching Überschrift und interessante Bilder zu sehen sind: Clickbait, das dank Facebook-Autoplay funktioniert. Die Videos sind meist nicht länger als eine Minute, untertitelt, ohne Voiceover und am Ende immer mit dem schwarz-gelben AJ+-Logo versehen.

EMSIGE ANTISEMITISCHE BIENE. AJ+ hat über sechs Millionen Likes auf Facebook und mehr als eine Milliarde Views. Seit Juni 2014 online, war das Portal bereits 2015 der zweitgrößte Videoproduzent im Facebook-Nachrichtensektor. Die Themen sprechen ein globales, vernetztes Publikum an: BlackLivesMatters, der Syrienkonflikt, feministische Themen wie sexualisierte Gewalt an US-Colleges, gemischt mit süßen Videos von Tieren und den neuesten Grausamkeiten der Israelis. AJ+ betont, trotz der hundertprozentigen finanziellen Abhängigkeit von Al Jazeera völlige Freiheit bei der Contentauswahl zu haben. Das scheint zum Teil auch zu stimmen: AJ+ setzt sich für die Rechte der LGBTIQ-Community ein und äußert sich klar feministisch. Im nun zweijährigen Bestehen hat AJ+ fast überall von sozialen Missständen berichtet. Über die Proteste im Zuge der Sommerspiele in Rio, die Festung Europa und politische Unruhen in Indien – doch bestimmte Teile der arabischen Halbinsel werden in der Berichterstattung ausgespart. Kein einziger Post über die schrecklichen Arbeitsbedingungen beim WM-Stadionbau in Katar oder über sonstige Missstände in den Golfstaaten. Während AJ+ sich mit seinem westlichen Publikum freut, dass Schwule und Lesben in den USA nun heiraten dürfen, wird in Katar Homosexualität mit fünf Jahren Gefängnis und 90 Peitschenhieben bestraft. Darüber verliert AJ+ ebenfalls kein Wort.

DER VERBINDENDE FAKTOR. Bis zur Absetzung von Al Jazeera America teilte man sich mit AJ+ die Büros. Wie es dort zugegangen ist, beschrieben ehemalige Angestellte, die Al Jazeera wegen Sexismus und Antisemitismus verklagten und zum großen Teil recht bekamen. Während AJ+ empowernde feministische Clips produzierte, wurden Frauen in den gleichen Büros diskriminiert und waren sexistischen Übergriffen ausgesetzt. Antisemitische Äußerungen standen an der Tagesordnung, der CEO von Al Jazeera America tätigte vor versammelter Belegschaft Aussagen wie „whoever supports Israel should die a fiery death in hell“. Das stellt jedoch keinen Kontrast zu AJ+ dar, sondern kann als verbindender Faktor zu Al Jazeera gesehen werden. Nur verzuckert AJ+ seinen Antisemitismus und kleidet ihn in das Mäntelchen der Israelkritik.

Nun ist eine Unterscheidung zwischen legitimer Kritik an der Politik Israels, Antizionismus und Antisemitismus nicht immer leicht. Der Politiker und Aktivist Naran Sharansky hat dazu den 3-D-Test entworfen und meint, antisemitische Kritik könne daran erkannt werden, dass sie Israel „delegitimiert, dämonisiert und mit doppeltem Standard“ misst. AJ+ teilt jede Woche mindestens zwei bis drei Videos zum Thema Israel, keinem anderen Land außerhalb der USA widmet der Kanal dermaßen viel Aufmerksamkeit. Ein Beispiel für dämonisierende Berichterstattung ist der Fall Dima al Wawi. Dima war 12 Jahre, als sie von israelischen Soldaten festgenommen und am Kopf getreten wurde. Sie musste als jüngste weibliche Gefangene in einem israelischen Gefängnis ausharren und durfte keinen Kontakt zu ihren Eltern haben, so AJ+. Warum Dima im Gefängnis war, wird verschwiegen: Sie stach mit einem Messer mehrmals auf einen israelischen Soldaten ein. Gefragt, ob sie ihre Tat bereue, meinte sie, das Einzige, was sie bereue, wäre, dass der Mann nur verletzt, aber nicht tot sei. Der Kontakt zu ihren Eltern wurde ihr verboten, weil sie für die Radikalisierung ihrer Tochter mitverantwortlich waren. Damit sei nicht bestritten, dass die Unterbringung einer 12-Jährigen in einem Gefängnis unvertretbar ist. Illustriert sei an diesem Beispiel jedoch die verzerrende Berichterstattung durch das bewusste Weglassen bestimmter Informationen.

In einem für AJ+-Verhältnisse recht langen Video besucht eine Reporterin die AIPAC (American Israel Public Affairs Committee) Konferenz. Der Text liest sich wie eine Undercover Story: „Dena went inside the pro-Israel lobby AIPAC“. Den Juden und Jüdinnen auf dem Kongress wird vorgeworfen, sie kümmerten sich mehr um Israel als um die USA. Unterschwellig bedient AJ+ das antisemitische Klischee, dass „die Juden kein Vaterland“ kennen würden. Im Video heißt es, Menschen seien zum Kongress gekarrt worden, um bei ihren Repräsentant*innen für Israel zu lobbyieren, und sogar Schüler*innen würden dazu benutzt. In Palästina ist eine 12-jährige eine Heldin, weil sie („allegedly“) versucht hat, einen Soldaten umzubringen – in den USA ist es moralisch verwerflich, wenn eine wahlberechtigte Schülerin mit ihrem Abgeordneten über Israel spricht. Diese Clips sind kurz, pointiert und werden als unbedenklich konsumiert, geshared und geliked. AJ+ schafft es, einem riesigen, sich tendenziell progressiv verstehenden Publikum antisemitische Inhalte leicht bekömmlich zu servieren.

Anne Marie Faisst ist Buchhändlerin und studiert nebenbei Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

Antisemitische Kapitalismuskritik am Linzer "Burschenbundball"

  • 07.02.2014, 13:49

Am 8. Februar diesen Jahres propagieren deutschnationale Burschenschaften am Linzer Burschenbundball den Kampf gegen „egoistische Selbstverwirklichung“ und „Entwurzelung“. Sämtliche Motive ihres reaktionären Antikapitalismus sind durchzogen von antisemitischen Stereotypen. Ressentimenthaltige Kapitalismuskritik ist jedoch keine Eigenheit des österreichischen „nationalen“ Lagers.

Am 8. Februar diesen Jahres propagieren deutschnationale Burschenschaften am Linzer Burschenbundball den Kampf gegen „egoistische Selbstverwirklichung“ und „Entwurzelung“. Sämtliche Motive ihres reaktionären Antikapitalismus sind durchzogen von antisemitischen Stereotypen. Ressentimenthaltige Kapitalismuskritik ist jedoch keine Eigenheit des österreichischen „nationalen“ Lagers.

Jedes Jahr feiern deutschnationale Burschenschaften im „Palais des Kaufmännischen Vereins“ den sogenannten „Burschenbundball“. Er stellt damit neben dem Akademikerball (vormals WKR-Ball) für Antisemiten, Frauenfeinde und Rassisten sämtlicher Couleur eine der wichtigsten Festlichkeiten im Jahr dar. Maßgeblich verantwortlich für die Durchführung und Organisation der Feierlichkeiten zwischen Männerbündelei und Deutschtümelei ist die Burschenschaft Arminia Czernowitz, auf deren Homepage man gegen „egoistische Selbstverwirklichung“ ankämpft und sich in einer „staatenübergreifenden, deutschen (...) Volksgemeinschaft“ verwurzelt sieht.

Auf der Homepage des deutschnationalen Balls findet sich - neben einer Werbeanzeige der „Akademischen Burschenschaft Oberösterreicher Germanen“ - ein weiteres sehr typisches Motiv reaktionärer, antikapitalistischer Rhetorik: (siehe Bild) FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache wettert in einem Inserat gegen „Entwurzelung und Beliebigkeit“. Was aber meint diese Parole?

Antisemitische Kapitalismuskritik

Der Kampf gegen „Entwurzelung“ ist ein oft bemühtes Motiv antisemitischer Globalisierungskritik, das eine Rückkehr zum Natürlichen anstrebt und den Globalisierungsprozess aufgrund seiner internationalisierenden Tendenzen ablehnt. Nach dem Politmagazin „profil“ konnte man bereits 2003 in der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift der Freiheitlichen Partei Österreichs „Zur Zeit“ genauestens nachverfolgen, was sich dort der österreichische Ökonom Friedrich Romig, der das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes als „kommunistische Tarnorganisation“ titulierte und dafür wegen übler Nachrede teilweise schuldig gesprochen wurde, unter dem Begriff „Globalisierung“ versteht: „als Weg, auf dem das Judentum (...) weltweite Dominanz erlangt.“

In vorkapitalistischen Gesellschaften beruhte Ausbeutung auf einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis: der leibeigene Bauer etwa war an den Grundherren gebunden. Seit der Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse im 19. Jahrhundert sind keine direkten, personengebundenen Abhängigkeitsverhältnisse mehr gegeben (wie etwa im Feudalismus). Es dominieren „unpersönliche“ und undurchschaubare Zwänge zur individuellen Sicherung des eigenen Lebensabends. Angesichts der krisenhaften, für die einzelnen menschlichen Existenzen oft tragischen Entwicklungen des Kapitalismus, kommt es zu immer neuen Formen von Personalisierungen der kapitalistischen Verhältnisse. „Personalisierungen“ meint, dass gesellschaftliche Strukturen auf das bewusste Wirken von einzelnen Personen zurückgeführt werden.

Der Antisemitismus ist also eine besondere Form der Personalisierung des Kapitalismus – und wurde in den „Rassetheorien“ des 19. Jahrhunderts beschrieben . Es wird „dem Juden“ per se eine ökonomische Orientierung an Geld und Gewinn zugeschrieben, die in ihrer Wesensart und somit in ihrer „Rasse“ wurzeln soll. Ebenso soll in ihnen ein unbedingter Wille zum Erstreben der Weltherrschaft schlummern. Zugleich erscheinen diese auch als übermächtig: Über Banken und Börse beherrschen sie die großen Unternehmen der Welt. Gleichzeitig gelten die Juden jedoch als „heimatlos“ und „entwurzelt“, aber mit weltweiten Verbindungen zu ihresgleichen.

Diese beiden Stereotypen führen konsequenterweise zur paranoiden Wahnvorstellung der „jüdischen Weltverschwörung“, der Antisemiten wie Romig verfallen sind. Diese Stereotypen finden sich am deutlichsten im wohl bekanntesten antisemitischen Pamphlet – den Protokollen der Weisen von Zion – das als einflussreiche Programmschrift antisemitischer Verschwörungsideologie gilt und 1929 im Parteiverlag der NSDAP publiziert wurde.

Brothers in Arms

Solche antisemitischen Wahngebilde kann man auch bei der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ feststellen. Jürgen Gansel, der seit 2004 Abgeordneter im Sächsischen Landtag ist und seine Magisterabschlussarbeit nicht zufällig über „Antikapitalismus in der konservativen Revolution“ schrieb, definiert die Globalisierung als das „planetarische Ausgreifen der kapitalistischen Wirtschaftsweise unter der Führung des Großen Geldes.“ Dieses habe, so zitiert man Gansel im Buch „Neonazis in Nadelstreifen“ von Andreas Speit und Andrea Röpke, „obwohl seinem Wesen nach nomadisch und ortlos, seinen politisch-militärisch beschirmten Standort vor allem an der Ostküste der USA.“

Diese Ausführungen enthalten freilich ein kaum verhülltes Bündel antisemitischer Stereotypen, wobei hier das Wort „nomadisch“ als Synonym für „heimatlos“ fungiert und die „Ostküste“ der USA ein Synonym für die jüdische Weltverschwörung ist. Das ehemalige SS-Mitglied Franz Schönhuber brachte 2002 in „Nation & Europa“ (Nr. 9/02) den Kern des antisemitischen Antikapitalismus auf den Punkt: „Die Fronten sind klar: Besorgte Menschen in der ganzen Welt von links bis rechts versuchen, sich im Kampf gegen die Globalisierung zu einigen. Sie wissen, was Globalisierung bedeutet, nämlich Amerikanisierung plus Judaisierung.”

Das deutlichste Beispiel für antisemitischen Antikapitalismus als Konnex linker und rechter Agitation ist Jürgen Elsässers „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“.  Das ehemalige Mitglied des Kommunistischen Bundes Jürgen Elsässer rief 2009 zur Gründung dieser auf, da sie ein „bewusster Angriff des anglo-amerikanischen Finanzkapitals“ sein sollte, den es abzuwehren gelte. Hauptaufgabe der Initiative sei „die entschädigungslose Nationalisierung des Finanzsektors“. Kurz nach der Gründung der Initiative ließ der damalige NPD-Vorsitzende Holger Apfel über den Pressesprecher der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag verlautbaren, die Volksinitiative solidarisch zu begleiten. 2010 brachte Elsässer, nach Ausschluss aus der linken Zeitung „Neues Deutschland“, in der er bisher publizieren durfte, ein eigenes Magazin namens „Compact“ auf den Markt. Seit August 2011 erscheint das Blatt in der Compact-Magazin GmbH, die dafür von Elsässer zusammen mit seinen Genossen Kai Homilius und Andreas Abu Bakr Rieger gegründet wurde.

Andreas Abu Bakr Rieger ist deutscher Konvertit, der 1990 zum „Jihad gegen die Marktwirtschaft“ aufrief,  und 1993 betörte, dass die Nationalsozialisten für eine „gute Sache“ gekämpft hätten, bei ihrem Hauptfeind allerdings „nicht ganz gründlich“ gewesen seien. Abu Bakr ist Herausgeber der „Islamischen Zeitung“ und hat – welch Überraschung – 2011 sein Buch „Weg mit dem Zins!“ im Kai Homilius Verlag herausgebracht. Neben Hans Modrow, dem Ehrenvorsitzenden der deutschen Linkspartei, ist auch der österreichische Historiker Hannes Hofbauer zu erwähnen, der für seine Tätigkeit als Chef des linken Promedia-Verlages bekannt ist und ebenfalls für „junge welt“, „analyse und kritik“ und das „Neue Deutschland“ schreiben darf.

Dass auch namhafte Linke in Elsässers Querfront-Blättchen schreiben, ist kein Zufall, hat sich doch beispielsweise auch die österreichische Sozialdemokratie dieses Gedankengut zu eigen gemacht. Alfred Gusenbauer, anno dazumal Vorsitzender der SPÖ, erklärte gegenüber dem „profil“ (Nr. 15/02) den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital für „überholt“: „Der wahre Widerspruch liegt heute zwischen dem Realkapital und dem Finanzkapital, also dem Zusammenwirken von Unternehmern und Arbeitnehmern einerseits und den Mechanismen der Finanzmärkte andererseits.“ Diesen personalisierenden Antikapitalismus kann man bereits bei den anti-marxistischen, anarchistischen Theoretikern wie Michail Bakunin sowie bei manchen Sozialdemokraten wie Ferdinand Lassalle erkennen, deren Theorie ebenfalls auf der Ebene der Zirkulation verharrt.

Die Vertreter des antisemitischen Antikapitalismus, ob sie sich nun rechts oder links sehen, haben also eines gemeinsam: Man unterscheidet zwischen dem produktiven, heimatverbundenen Industriekapitalisten und gierigen Finanzhaifischen mit kosmopolitischer Orientierung. Es ist die Unterscheidung zwischen „schaffendes“ und „raffendes Kapital“ in neuer Terminologie, wodurch man alte antisemitische Ressentiments im Stil des nationalsozialistischen Gottfried Feders bedient, der einst die „jüdische Zinsknechtschaft“ brechen wollte. Wie Stephan Grigat bereits 2009 in der „Wiener Zeitung“ vom 19.03.2012 feststellte, hinkt die FPÖ allerdings zumindest terminologisch noch etwas hinterher: Vor einigen Jahren noch bezeichnete man dort die grüne und linke Opposition in klassischer Nazidiktion als „Handlanger der Amerikaner“.

Wenn Heinz-Christian Strache also in diesen Tagen in einem Inserat gegen „Entwurzelung“ wettert, so darf jedenfalls kein Zweifel daran bestehen, wer damit gemeint ist: Der Jude als Personalisierung der kapitalistischen Ökonomie.

 

David Kirsch studiert in Wien und schreibt auf exsuperabilis.blogspot.com