Simon Gansinger

Waffen der Kritik

  • 20.06.2017, 22:36
Der Behemoth, Franz Neumanns umfassende Studie über das NS-Regime, beginnt mit einer simplen Einsicht: Der Nationalsozialismus lässt sich nicht mit Argumenten und Propaganda bekämpfen – adäquat ist allein seine gewaltsame Zerstörung.

Der Behemoth, Franz Neumanns umfassende Studie über das NS-Regime, beginnt mit einer simplen Einsicht: Der Nationalsozialismus lässt sich nicht mit Argumenten und Propaganda bekämpfen – adäquat ist allein seine gewaltsame Zerstörung. Neumann selbst hat seine Arbeit diesem Ziel verschrieben. Er gehörte zu jenen TheoretikerInnen, die nach ihrer Beschäftigung am exilierten Institut für Sozialforschung in den Dienst des Office of Strategic Services (OSS) traten, um in der Abteilung für Forschung und Analyse dem amerikanischen Geheimdienst zuzuarbeiten. Der nun auf Deutsch erschienene Band Im Kampf gegen Nazideutschland dokumentiert neben den internen Berichten von Franz Neumann auch jene von Otto Kirchheimer und Herbert Marcuse. Die Lektüre der Texte ist so spannend wie aufschlussreich: Sie zeigen die Machtkämpfe zwischen den herrschenden Cliquen in Deutschland auf, insistieren auf der Mitschuld der Führer der Industrie an den Nazi- Verbrechen, statten die Anklage der späteren Nürnberger Prozesse mit Argumenten aus.

Der alte Kalauer von der Praxisferne der Kritischen Theorie war schon immer falsch – doch vor dem Hintergrund der Tätigkeit der Kritischen Theoretiker im OSS wird er zur blanken Lüge. Bedauerlich ist an manchen Stellen die Zurückhaltung des Herausgebers. Gerade dort, wo die Analysen den üblichen Weitblick vermissen lassen, wäre viel gewonnen, sie mit dem Lauf der Geschichte zu konfrontieren. Neumann schreibt etwa 1944, dass das deutsche Volk angesichts der drohenden Niederlage dem Regime letztendlich die Kooperation verweigern würde. Das Gegenteil ist eingetreten: Die Heimatfront blies noch munter zur Jagd auf russische Kriegsgefangene, als die Rote Armee bereits vor Berlin stand. Die marxistische Provenienz der Berichte, die ihnen oft Schärfe verleiht, macht sich leider auch in der Verklärung der deutschen Massen bemerkbar. Die grundlegende Erkenntnis des Behemoth, dass der NS-Staat nur durch den Kampf gegen den Feind, zuvorderst den jüdischen, bestehen kann, wird in den versammelten Texten anschaulich. Die Berichte von Neumann, Kirchheimer und Marcuse waren nicht der „Einsatz [der Kritischen Theorie] als praktisch gewendetes Analyseinstrument“, wie Axel Honneth im Vorwort meint. Vielmehr waren sie nichts anderes als das: Kritische Theorie selbst.

Franz Neumann, Herbert Marcuse und Otto Kirchheimer: Im Kampf gegen Nazideutschland. Die Berichte der Frankfurter Schule für den amerikanischen Geheimdienst 1943–1949.
Hrsg. von Raffaele Laudani. Aus dem Englischen von Christine Pries.
Frankfurt/ New York: Campus Verlag 2016, 812 Seiten, 39,95 Euro (E-Book 35,99 Euro).

Simon Gansinger studiert Philosophie an der Universität Wien.

Bekenntnisse gegen den jüdischen Staat

  • 12.05.2017, 21:58
Ziva ist seit Jahrzehnten in linken Gruppen engagiert. Doch ihre politische Heimat wird ihr zunehmend fremd

Ziva ist seit Jahrzehnten in linken Gruppen engagiert. Doch ihre politische Heimat wird ihr zunehmend fremd: „I hear so much hatred of Israel, so much hatred of Jews, and I feel like leaving the country. In a way I feel like I can’t be here.“ Ziva ist eine von 30 linken AktivistInnen, die Sina Arnold für ihr Buch über Antisemitismus in der USamerikanischen Linken interviewte. Zivas Position ist außergewöhnlich: Typisch für die Linke in den USA, so Arnold, sei vielmehr eine „Gleichgültigkeit und Empathielosigkeit gegenüber Antisemitismus“. Es gibt kein Problem mit Antisemitismus, lautet der linke Tenor – Antisemitismusvorwürfe seien bloß Versuche, Israelkritik zu diff amieren. Antizionismus, das wird aus Arnolds Studie deutlich, ist für viele amerikanische Linke zum politischen Bekenntnis geworden. Wer dazugehören will, muss sich gegen den jüdischen Staat stellen.

Arnold leitet ihre empirische Forschung mit einem ausführlichen Überblick zur Geschichte des Antisemitismus in den USA, insbesondere in der Linken ein. Ein entscheidender Wandel hat in den 1960ern stattgefunden: Mit dem Aufkommen der New Left, die den traditionellen Marxismus der Old Left gegen Identitäts- und Diskurspolitik eintauschte, wurde Israel als Hassobjekt fi xiert. Die Etablierung des Antizionismus als „ehrbarer Antisemitismus“, die Jean Améry in den 1960ern in der deutschen Linken beobachtete, hat sich in dieser Zeit auch jenseits des Atlantiks vollzogen.

Aus 30 Interviews mit Mitgliedern von 16 politischen Gruppen lässt sich kaum eine lückenlose Analyse der amerikanischen Linken erstellen. In Verbindung mit der historischen Darstellung gibt Arnolds Studie jedoch einen guten und plausiblen Eindruck, wie es die US-Linke mit dem Antisemitismus hält. Befremdlich ist lediglich Arnolds Schluss: Linke Positionen seien bloß „Ermöglichungsbedingungen“ für antisemitische Diskurse. Wer sich antirassistisch und antiimperialistisch betätigt, dem könne schon einmal ein antisemitisches Versehen passieren. Dass es sich vielleicht umgekehrt verhält, dass sich also das Engagement gegen Israel aus dem Antisemitismus ergibt, bestreitet Arnold – obwohl ihr Material diese Vermutung durchaus nahelegt.

Simon Gansinger studiert Philosophie an der Universität Wien.

Fußnoten zum Wahn

  • 22.06.2016, 12:02
Nach dem Ablauf des Urheberrechts für Mein Kampf bemühen sich die Herausgeber der kritischen Edition darum, die Ausstrahlung des Originaltexts auf 2.000 Seiten zu zerstören

Nach dem Ablauf des Urheberrechts für Mein Kampf bemühen sich die Herausgeber der kritischen Edition darum, die Ausstrahlung des Originaltexts auf 2.000 Seiten zu zerstören. Das gelingt in der typographischen Gestaltung durchaus: Hitlers Erzählung wird vom wissenschaftlichen Apparat richtiggehend umklammert. Erfolgreich ist ebenso das Unternehmen, Hitlers fantastische Schilderung seines Lebens gegen den tatsächlichen biographischen Hintergrund zu kontrastieren.

Doch der Wahn, den Hitler in „Mein Kampf“ ausbuchstabiert, lässt sich nicht durch penible Faktenrecherche widerlegen. Allzu oft schrecken die Herausgeber davor zurück, die ideologischen Abgründe und nicht bloß die historische Landschaft auszuleuchten. Auf Hitlers Litanei, dass die „jüdische Bastardierung“ die deutschen Städte dorthin bringe, „wo Süditalien heute bereits ist“, reagieren sie etwa mit dem Hinweis, dass Hitler hier falsch liege, da im Süden Italiens seit Jahrhunderten nur eine winzige jüdische Gemeinde existierte. An solchen Stellen wird der Kommentar zu Besserwisserei. Wer Hitlers Wahn konsequent wie eine Ansammlung von Irrtümern behandelt, vermittelt den Eindruck, statt „Mein Kampf“ zu kommentieren, den Führer belehren zu wollen.

Am tiefsten schürft der Kommentar dort, wo er am nächsten an der textlichen Oberfläche bleibt. Über die Armut, die er in Wien erlebt hat, schreibt Hitler etwa: „Wer nicht selber in den Klammern dieser würgenden Natter sich befindet, lernt ihre Giftzähne niemals kennen.“ Das Bild ist als Ganzes verunglückt, wird in der Fußnote bemerkt: Nattern würgen nicht, und wen sie dennoch würgen, der kann ihre Giftzähne nicht sehen. Stürzt die Metapher ins Leere, befindet sich häufig auch der Gedanke im freien Fall.

In tausenden anderen Fußnoten und Einleitungen erfährt man mehr oder häufig auch weniger Bedeutendes. Sei es über Hitlers Diät in der Festungshaft in Landsberg („Eier, Butter, Zitronen“), sei es über das Lieblingshobby von Hitlers Vater („Bienenzucht“). Wer so etwas wissen will, verwechselt das Interesse an der Person Hitler mit der Begeisterung für des Führers Privatleben. Es steht zu befürchten, dass der riesige Zuspruch für das Buch – mehr als 60.000 verkaufte Exemplare – nicht zuletzt auf diesem Missverständnis beruht. Den Herausgebern ist der Erfolg nicht vorzuwerfen: Ihre Edition ermöglicht das Studium des Textes, verhindert aber seine ungestörte Lektüre.

Christian Hartmann, Othmar Plöckinger, Roman Töppel, Thomas Vordermayer (Hg.):
Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition.
Institut für Zeitgeschichte München- Berlin 2016. 1.966 Seiten, 59 Euro.

Simon Gansinger studiert Philosophie an der Universität Wien.

Ich mach meinen Master bei Humboldt

  • 28.09.2012, 10:47

Beliebt bei Unibrennt und Rektorat, Grünen und ÖVP, in der Werbung und bei Protesten – Wilhelm von Humboldt bringt Gegensatzpaare auf einen Nenner. Unsere Autoren allerdings sind sich nur in ihrer Skepsis an diesem Hype einig. Ihre Meinungen gehen auseinander.

Beliebt bei Unibrennt und Rektorat, Grünen und ÖVP, in der Werbung und bei Protesten – Wilhelm von Humboldt bringt Gegensatzpaare auf einen Nenner. Unsere Autoren allerdings sind sich nur in ihrer Skepsis an diesem Hype einig. Ihre  Meinungen gehen auseinander.

Pro: Was noch nicht ist

Humboldt ist also wieder en vogue. Besonders in den Stoßzeiten sogenannter Bildungsproteste begegnet man der Beschwörung Humboldts als akademischer Säulenheiliger auf Flugblättern wie in Seminaren, auf Plakaten wie im Feuilleton. Für eine Auseinandersetzung mit seiner Theorie ist in der Hitze des Gefechts freilich selten Zeit. Und wenn sie doch passiert, steht neben vollmundigen Ratschlägen und bildungspolitischen Weisheiten meist entweder die Meinung „Humboldt ist schlicht veraltet“ oder die Forderung „Zurück zu Humboldt!“. Als letzte Weisheit untermauert die eine wie die andere das eigene Argument und damit scheint dann auch schon alles gesagt.

Dass der Bezug auf Humboldt immer recht instrumentell daherkommt,  überrascht nicht. Humboldt ernst zu nehmen, würde bedeuten, sich mit jenem idealistischen Gelehrtendeutsch zu befassen, dem man als kritischeR StudentIn am liebsten die Diskursberechtigung entzöge. Anstatt einer solchen Auseinandersetzung werden zentrale Konzepte in Humboldts Werk wie Freiheit, Kraft und Ich, allerdings meist situationselastisch an die Bedürfnisse des zeitgenössischen Publikums angepasst und letztlich auf den Slogan von der Unabhängigkeit der Universität reduziert. Humanistische Bildung heißt für Humboldt jedoch mehr als das obligatorische „Bildung für alle“: Ihr Zweck ist der Zustand der „ungebundensten Freiheit“, der denkbar größten Autonomie und Individualität des Menschen. Die Verhältnisse, die von den Einzelnen Selbstzurichtung und Einpassung ins gesellschaftliche Ganze einfordern, tangieren Humboldts idealistische Freiheit nicht: Seine Ideen zielen auf die Erziehung der Menschen zu freien BürgerInnen ab. Durch Bildung, so der Impetus von Humboldts Humanismus, sollen die Menschen in ein freies Verhältnis zur Welt treten, zu einer kapitalistischen Welt wohlgemerkt, deren Zusammenhalt durch verborgenen Zwang und Wertverwertung garantiert wird.

Was aber, wenn die Verwirklichung dieses Humboltschen Ziels zwangsläufig scheitert, wenn die Welt, zu der sich das Individuum in Freiheit stellen soll, ihm ies verweigert? Die zuweilen schmerzhafte Erfahrung, dass der Begriff und die Sache, die Möglichkeiten und die Realität, unsere Bedürfnisse und ihre Erfüllung unversöhnlich auseinanderklaffen, birgt das Potenzial, den Mangel infrage zu stellen. Nicht das Bedürfnis nach Freiheit trägt die Schuld am Widerspruch, sondern deren gesellschaftlich verursachte Abwesenheit. Humboldts großes Projekt zielt auf die Freiheit der Menschen, total und kompromisslos. An diesem Anspruch an Bildung gilt es trotzig festzuhalten, solange seine Einlösung nur im deutschen Ideenhimmel, nicht aber in der gesellschaftlichen Wirklichkeit gelungen ist.

Simon Gansinger

Contra: Hohle Parole

„Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“ steht über der Haupttreppe zu lesen, die in die oberen Stöcke des Neuen Institutsgebäudes der Universität Wien führt. Dieser Satz geht auf Gedankengut zurück, das schon Wilhelm von Humboldt vor über 200 Jahren umzusetzen versuchte. Die damals durchgeführte Staatsreform reagierte auf den Gebietsverlust, den der preußische Staat durch die Niederlage gegen Napoleon erleiden musste. Die Forderung nach Einheit von Forschung und Lehre zielte auf eine Beteiligung der ausschließlich männlichen Studenten an der Forschung.* Es ging dabei um die Bildung des gesamten Menschen im Sinne eines humanistischen Ideals.

Heute hingegen ist diese Vorstellung zu einer Art Lehrverpflichtung für ForscherInnen geraten, das Recht auf Ausschlachtung der Arbeit der von ihnen abhängigen Studierenden mitinbegriffen. Aber der Fehler liegt nicht in erster Linie darin, dass die einst so hehren Ideale Humboldts heute heruntergekommen wären oder im Grunde mit jenen der heutigen Zeit, die unter Berufung auf ihn kursieren, gar nicht vergleichbar sind. Eine Reihe von Problemen sind bereits dem Humanismus selbst und dem entsprechenden Bildungsideal inhärent. Der Humanismus geht davon aus, dass der Mensch sich entfalten und zu seinem wahren Wesen gedeihen soll und dazu einer gewissen Förderung bedarf.

Der Mensch wird also erst zweitrangig als soziales Wesen verstanden, das sich in seiner je spezifischen Gesellschaft zu dem entwickelt, was es ist. Im humanistischen Ideal schwingt zunächst ein relativ starres Bild davon mit, wie ein Mensch zu sein hat. Die Erziehung macht sich nun daran, dieses Bild aus den Individuen heraus zu meißeln. Das Ergebnis, schon zu Humboldts Zeiten, war ein von pädagogischer Strenge geprägter Elitarismus, der gedanklich einen großen Teil der Menschen überhaupt vom Menschsein ausschloss: eben jene, die diesem Bild nicht entsprechen wollten oder nicht entsprechen konnten. Der Zugang zu Gymnasien war damals schließlich begrenzt – und ist es aufgrund sozialer Selektion noch immer. Jetzt ließe sich freilich einwenden, das wäre gar keine Kritik am Humboldtschen Bildungsideal, sondern an den gesellschaftlichen Bedingungen, die seine Realisierung verunmöglichen. Und der Einwand gilt sogar. Nur zeigt sich an ihm, dass der Humanismus, nimmt man ihn ernst, sofort auf die Gesellschaft als Ganzes verweist. Und deshalb erscheint das humanistische Ideal auch schief, falsch und rückwärts orientiert, wird der Hinweis auf das Privileg vergessen. Ein solcher Humanismus ist ein mit großen Parolen geführter Abwehrkampf. Er versucht, die Oberfläche zu bewahren, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass der Untergrund längst weggeschwemmt wurde – und deshalb tönt er so hohl.

* Frauen durften in Preußen erst ab 1896 maturieren und ihnen war somit der Zugang zur Universität bis dahin verwehrt.

Autor Simon Sailer