Paul Pumsenberger

Babysteps zur elitären Hochschule

  • 17.04.2018, 13:25
Ab Herbst 2018 müssen ca 30.000 erwerbstätige Studierende Studiengebühren zahlen. Wie ist es dazu kommen? Warum hat die Politik nicht gehandelt?

Arbeiten und Studieren.

Trotz immer stärkerer Verschulung, höheren Anwesenheitsquoten und dem Druck, ein Studium schnell abzuschließen, ist die Quote der Studierenden, die neben ihrem Studium einer Lohnarbeit nachgehen, konstant sehr hoch. Das war nicht immer so: Bevor 1998 erstmals Studiengebühren eingeführt wurden ging knapp die Hälfte der Studierenden arbeiten. Nach Einführung der Gebühren im Jahr 2000 stieg diese Quote um 20 Prozent, seitdem blieb sie mehr oder weniger unverändert, obwohl es nun ja keine Gebühren mehr gibt. Wie das ist, wenn man als Studierende_r einer Erwerbstätigkeit nachgehen muss, erzählt Melanie: „Studium und Arbeit sind schon vereinbar miteinander, aber das ist nicht ganz leicht. Es kommt teilweise auf die Flexibilität des_der Arbeitgeber_in an. Bei meinem derzeitigen Job muss ich mir für Prüfungen oder Blockseminare Urlaub nehmen. Es fällt auch viel Auswahl vom Studienangebot weg, einfach weil es zeitlich nicht möglich ist, und das ist schon manchmal sehr schade, wenn mich eine LV total interessieren würde, aber es sich einfach nicht ausgeht.“ Melanie arbeitet neben ihren beiden Bachelor-Studien Politikwissenschaft und Publizistik zwischen 15 und 25 Stunden und ist als Praktikantin angestellt, was natürlich arbeitsrechtliche und finanzielle Einbußen mit sich bringt. Während der Durchschnitt der Studierenden laut Studierendensozialerhebung 2015 knapp 20 Stunden in der Woche arbeitet, geht ein Fünftel sogar einer Vollzeitbeschäftigung nach. Nur zur Erinnerung: ein normales Bachelor-Studium sieht 1.500 Arbeitsstunden, aufgeteilt auf 180 ECTS, also 30 pro Semester, vor. Das bedeutet umgerechnet ein Arbeitspensum von sechs Stunden pro Werktag (auch in der vorlesungsfreien Zeit), oder 30 Stunden in der Woche. Arbeiten und in Mindeststudienzeit studieren geht sich also wohl nur für die Allerwenigsten aus. Das Gesetz sieht für uns (österreichische und EU-) Studierende zwei Toleranzsemester vor, dann stehen wir plötzlich vor dem Problem Studiengebühren. Bis vor kurzem konnten erwerbstätige Studierende sich das noch ersparen, doch mittlerweile hat sich hier einiges getan. Wie konnte es dazu kommen und warum? Ein kleiner Rück- und Ausblick:

Back to the roots?

Es war in jener Nacht, die vor allem für die rechtsliberale Medienelite (von Krone über Kurier bis Presse sind sich die Kolumnen hier einig) als „Nacht der Wahlzuckerl“ in die österreichische Geschichte eingegangen ist: eine ungewöhnliche Koalition aus SPÖ, Grünen und FPÖ schaffte die Studiengebühren am 24. September 2008 ab. Eine Rückkehr zum gänzlich freien Zugang, der von der Regierung Kreisky 1975 angedacht war, gab es aber nicht: So blieben die Gebühren zum Beispiel für Drittstaatsangehörige (die sogar den doppelten Betrag bezahlen müssen) und für alle Studierenden, die die Mindeststudiendauer um mehr als zwei Semester überschreiten. Dieses Überschreiten – so dachten die handelnden Personen damals – würde wohl vor allem jene Studierende betreffen, die entweder mehr als ein Studium belegen oder einer zeitintensiven Erwerbstätigkeit nachgehen. Für Erstere wurde eine Rückerstattungsregelung getroffen. Wenn man zum Beispiel zwei Studien belegt und im neunten Semester 363,33 Euro zahlen müsste, werden diese Gebühren vom zuständigen Ministerium bei entsprechender Prüfungsleistung rückerstattet. Dieser Teil wäre also geklärt. Doch wie wurde das Problem der erwerbstätigen Studierenden gelöst? Alle, die das 14-fache der gesetzlich vorgeschriebenen monatlichen Geringfügigkeitsgrenze pro Jahr verdienen, können sich von den Gebühren befreien lassen. Das Einkommen, das hierfür herangezogen wird, kann logischerweise nicht nur aus der klassischen unselbstständigen Lohnarbeit stammen, sondern auch aus einer selbstständigen Einnahmequelle. Wer also zum Beispiel im Jahr 2017 Illustrationen verkauft und damit mehr als 5.959,8 Euro im Jahr verdient hat, kann sich auch befreien lassen. Das Ganze wird jetzt aber ein bisschen komplizierter: wenn du dir für deine Tätigkeit als Illustrator_in ein Pinselset kaufst, kannst du das von deinem Einkommen abziehen, und zahlst so natürlich weniger Steuern. Du kannst also weniger Einkommen vorweisen, fällst vielleicht unter die Einkommensgrenze und musst Studiengebühren zahlen. So etwas ist einer Wiener Studentin passiert, die dann beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) gegen ihre Gebühren geklagt und auch recht bekommen hat: der VfGH urteilte, dass das Gesetz ungültig sei, da es nicht sinnvoll ist, dass nicht das richtige Einkommen, sondern das steuerliche Einkommen herangezogen wird. So weit, so logisch. Doch was dann geschah, klingt eher nach Kafka. Der VfGH weist in seinem Urteil deutlich darauf hin, dass die Gesetzesreglung nur repariert werden müsse, um eine sinnvolle Handhabung zu gewährleisten. Die neue Regierung hat dieser Empfehlung aber eine endgültige Absage erteilt. Und stellt somit bis zu 30.000 Studierende vor das Problem ‚Studiengebühren’. Dabei hat der neue Bildungs- und Wissenschaftsminister Heinz Faßmann (ÖVP) sogar einen Initiativantrag zur Reparatur des Gesetzes vorliegen. Die Bundesvertretung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH) hat bereits Anfang Dezember gemeinsam mit einer Kanzlei einen verfassungskonformen Gesetzesentwurf vorgelegt, der im Wissenschaftsausschuss im Nationalrat behandelt, allerdings von der Regierung abgelehnt wurde. Der mittlerweile berüchtigte §92 (genauer §92 Abs. 1 Z 5) des Universitätsgesetzes sollte so abgeändert werden, dass durch eine Präzisierung des Einkommensbegriffs und der heranzuziehenden Einkommen und Zahlungen bei selbständiger Beschäftigung das verhindert wird, was der oben erwähnten Studentin passiert ist. Also wenn man zum Beispiel ein Nachhilfeinstitut gründet und sich dafür einen Drucker kauft, dann drücken die Ausgaben für diesen Drucker nicht das Einkommen unter die Geringfügigkeitsgrenze. Der konkrete Gesetzesentwurf war zwar vorrangig als verfassungskonforme Reparatur für §92 konzipiert, jedoch kann dieser auch als Vorlage für eine lokale Lösung, also eine Lösung durch die Hochschule selbst, dienen. Da die Regierung den Reparaturvorschlag, welcher durch die SPÖ in den Nationalrat eingebracht wurde, abgelehnt hat sind nun die Hochschule am Zug. Eine einfache und verfassungskonforme Lösung des Problems läge also auf dem Tisch, eine Umsetzung könnte rasch durchgeführt werden und eine Rückkehr zum Status quo wäre ohne neue Kosten oder anderen Aufwänden erreicht.

Warum also weigern sich die beiden Regierungsparteien, den Paragraph zu reparieren?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, muss man einen Blick ins Regierungsprogramm von Schwarz-Blau wagen. Dort findet sich neben anderen klassisch neoliberalen Maßnahmen, wie der Entpolitisierung der Studierendenvertretungen, nämlich auch die Wiedereinführung von „moderaten Studienbeiträgen“. Eine konkrete Summe wird zwar nicht genannt, von Minister Faßmann werden aber circa 500 Euro pro Semester angedacht. Wenn eine Regierung also sowieso von allen Student_innen einen Studienbeitrag einheben will, der noch dazu noch höher ist als bisher, dann wird diese Regierung auch keine Regelung aufheben wollen, die sowieso bald obsolet ist. Um trotzdem einen freien und offenen Hochschulzugang zu bewahren, brauchen wir Studierende Strategien und Verbündete. Ein Ansatz könnte sein, bundesweite Kämpfe auf lokale Ebenen zu tragen: denn einerseits kann das jeweilig entscheidende Personal der Universitäten hier deutlich progressiver als die Regierung agieren, andererseits können so flexiblere Lösungen getroffen werden, die zumindest einigen Studierenden Studiengebühren ersparen. Eva Blimlinger, seit Jänner Vorsitzende der Universitätenkonferenz, sieht nicht ein, warum die Universitäten die Studiengebühren für erwerbstätige Studierende nun lokal rückerstatten müssen. Außerdem kann und will sie sich Studiengebühren – egal für wen – nicht vorstellen. Besonders unter den aktuellen Voraussetzungen: „Wissenschaftsminister Heinz Faßmann sieht Studiengebühren als Steuerungsinstrument. Er meint, dass Studierende ihr Studium ernster nehmen, wenn sie dafür zahlen. Davon bin ich nicht überzeugt. Das unterstellt ja, dass Studierende ihr Studium nicht ernst nehmen.“ Für Melanie, die ihre beiden Studien sehr ernst nimmt, würden 500 Euro im Semester eine große Zusatzbelastung darstellen: „Ich bin jetzt schon froh, wenn neben den Ausgaben für meine Lebenskosten dann am Ende des Monats noch was übrigbleibt, die 500 Euro würden mir zusätzlichen Druck aufladen.“ Vielen Studierenden wäre dieser finanzielle Druck sogar zu viel. Als im Jahr 2002 Studiengebühren wiedereingeführt wurden, mussten ungefähr 45.000 Studierende ihr Studium abbrechen. Ein ebenso großer Rückgang (von damals knapp 20 Prozent der Studierenden) würde aktuell einer Zahl von fast 70.000 entsprechen. Am meisten davon betroffen waren bereits 2001 Studierende mit sozioökonomisch schwachem Hintergrund, Erwerbstätigkeit und/oder Betreuungspflichten. Benjamin, 21, studiert Wirtschaftswissenschaften an der WU in Wien. Er ist der Erste in seiner Familie, der studiert, für ihn wären die drohenden Gebühren existenzbedrohend: „Wenn es die 500 Euro schon vor zwei Jahren gegeben hätte, weiß ich nicht, ob meine Eltern mich ein Studium anfangen hätten lassen. Jetzt bin ich im vierten Semester und versuche, noch fertig zu werden, bevor ich zahlen muss.“ Ansonsten könnte er gezwungen sein, das Studium abzubrechen.

Lehren für die Zukunft.

Der Kampf für eine freie Universität, die auch für jene zugänglich ist, deren Eltern keinen akademischen Hintergrund haben, muss also auf vielen Ebenen stattfinden. Es gilt einerseits, sich solidarisch mit jenen Studierenden zu zeigen, die vom Auslaufen des Paragraphen 92 des UG betroffen sind. Einzelne Universitäten – zum Beispiel die JKU in Linz und die Uni Wien – haben bereits angekündigt, die Gebühren möglicherweise einfach nicht einzufordern. Andererseits heißt es, aufmerksam und widerständig zu bleiben. Zahlreiche Ankündigen der Regierung und vor allem des Bildungsministers zeigen schon jetzt, in welche Richtung sich die Hochschulpolitik entwickeln wird: Mehr Zugangsbeschränkungen, der Fokus auf ‚prüfungsaktive’ Studierende und natürlich die Drohung einer Einführung von allgemeinen Studiengebühren sind die Vorschläge, welche die aktuelle Bildungsdebatte beherrschen. Alles Vorschläge, die den realen Uni-Alltag mit den vielen Schwierigkeiten ignorieren: um eine studierendenfreundlichere Bildungspolitik umzusetzen, muss daher einerseits von uns Studierenden regelmäßig auf diese wirklichen Probleme hingewiesen werden und andererseits müssen andere Vorschläge präsentiert werden, um eine Alternative zur elitären und ausschließenden Politik der schwarz-blauen Regierung aufzuzeigen. Aus der politischen Auseinandersetzung um die Studiengebühren für erwerbstätige Studierende könnten einige Lehren für zukünftige Widerstände gezogen werden.

Vom Dummstellen und Ignorieren - Geschichten der österreichischen Gedenkpolitik

  • 18.07.2018, 11:42
Viele Österreicher_innen kennen das KZ Mauthausen. Aber nur wenige wissen von den unterschiedlichen Geschichten aus den Außenlagern. Ein Versuch, etwas Licht in die dunkle Geschichte Österreichs zu bringen.

Am 5. Mai 1945 befreiten die alliierten Truppen das Hauptlager des Konzentrationslagers Mauthausen. Davor litten über 190.000 Gefangene aus ganz Europa und Afrika dort unter der Schreckensherrschaft der Nazi-Aufsehenden. Diese Tatsache ist den meisten Österreicher_innen bewusst. Doch neben dem Hauptlager in Oberösterreich gab es noch über 40 Neben- oder Außenlager. Diese wurden teilweise früher befreit oder kurz vor der Kapitulation der Wehrmacht aufgelöst und zerstört, um die Verbrechen zu vertuschen.

Der Verantwortung gerecht werden.

Nach der Waldheim-Affäre und der langsam anlaufenden Beschäftigung Österreichs mit der eigenen Täter_innenrolle wurde auch der Gedenkdienst eingeführt. Dieser Ersatzdienst zum Zivildienst ist eine wichtige Institution, um Österreichs Verantwortung am Holocaust immer wieder ins Gedächtnis zu rufen und Aufklärungsarbeit zu leisten. Ich selbst habe meinen Gedenkdienst bei der Amicale de Mauthausen, der französischen Überlebendenorganisation, geleistet. Die Amicale veranstaltet jährlich Reisen nach Österreich und ich durfte als Übersetzer und Helfer mit dabei sein. Während ich von den Zuständen im KZ schon oft gehört und gelesen hatte, waren es die Erlebnisse, die die ehemaligen Gefangenen nach 1945 machen mussten, die mich oft wirklich aus der Fassung brachten. Das Hauptlager in Mauthausen ist heute eine Gedenkstätte, die dazu genutzt wird, Menschen über die Verbrechen der Nazis aufzuklären und jährlich eine internationale Befreiungsfeier auszurichten. In den kleineren Nebenlagern stellt sich die Situation sehr unterschiedlich dar. An manchen Stätten wird ebenfalls jährlich der Verbrechen gedacht und es gibt Museen oder Informationstafeln, an anderen Orten gibt es nahezu keine Hinweise auf die grausame Geschichte innerhalb des NS-Systems und die ansässige Bevölkerung tut oft noch immer, was sie auch schon damals tat: sie schweigt und verdrängt.

Zwischen Erinnerung und Ignoranz.

Doch zunächst ein kleiner historischer Überblick über das Hauptlager nach der Befreiung. Zwar wurde das Lager selbst von der US-Armee befreit, das umliegende Gebiet fiel jedoch, so wie ganz Oberösterreich, in die sowjetische Besatzungszone. Die Befreier _innen nutzten dies auch gleich und verwendeten den Steinbruch, in dem die Gefangenen zu harter körperlicher Arbeit gezwungen wurden, noch bis 1947 weiter. Danach wurde das Lager an die österreichische Regierung zurückgegeben mit der Auflage, es als Gedenkstätte zu erhalten, dabei sollte auch mit den ehemaligen Gefangenen zusammengearbeitet werden. Bertrand Perz, Historiker am Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien, berichtet in einer Studie zur Gedenkstätte in Mauthausen davon, dass es den Überlebenden vor allem wichtig war, die Orte zu erhalten und darzustellen, wo sie wie gelitten hatten. Diese Entwicklung begegnet Besucher_innen der Gedenkstätte bis heute: die Perspektive der Täter_innen wird in den Führungen oft nur angeschnitten, die Orte, die vor allem die Opfer betreffen, nehmen mehr Raum in der Erzählung ein. Eine weitere Entwicklung aus der damaligen Zeit prägt das Gedenken bis heute: die Opfer wurden anhand der Nationalität kategorisiert, wodurch zum Beispiel nicht gesondert kundgemacht wurde, wer aufgrund jüdischer Herkunft und wer als politische_r Gefangene_r nach Mauthausen deportiert wurde. Die Kontinuität des nationalen Gedenkens wurde dann auch konsequent verfolgt: 1949 wurde von der Amicale de Mauthausen ein Mahnmal für die französischen Opfer gebaut, in den Jahren darauf folgten fast alle restlichen Länder. Neben dieser „Nationalisierung“ des Gedenkens merkt Perz auch noch einen anderen Aspekt der Mahnmäler an: „Das vorherrschende Erinnerungsnarrativ in Mauthausen – national, männlich, heroisch – wurde erst sehr spät und auch nur in Ansätzen durchbrochen. Erst 1970 wurde eine Gedenktafel für alle weiblichen Häftlinge […] enthüllt.“ Während also bald nach der Befreiung von Hinterbliebenen mit der Aufarbeitung und dem Gedenken an die Verbrechen begonnen wurde, war der Umgang der – von den Gräueltaten nicht betroffenen – Österreicher_ innen mit dem Ort des Verbrechens von Ignoranz geprägt. Schon bei den Vorbereitungen zur ersten internationalen Befreiungsfeier 1947 wurde bemerkt, dass Anwohner_innen im Teich beim ehemaligen Steinbruch badeten. Und auch der in Mauthausen aufgewachsene Professor für Ästhetik des Nationalsozialismus, Terrence E. Hoffer, berichtet, dass er noch in den 70ern als Kind dort „etwas Abkühlung im kühlen Nass im Teich des Steinbruches“ suchte. Doch nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Politik schien die Schrecken der Vergangenheit einfach vergessen zu wollen. Während die Opfergemeinschaften das Lager erhalten wollten, um es als Mahnmal und Gedenkstätte zu nutzen, kam von den Konservativen des Landes ein anderer Vorschlag: komplette Schleifung des Geländes und Errichtung eines riesigen Kreuzes. Die ÖVP wollte also damals das Gedenken an den Holocaust vereinnahmen, indem ein ihr zugehöriges christlich Symbol an der Stelle der zentralen Verbrechen stehen sollte. Die SPÖ war ebenfalls für den Abriss eines Großteils des Geländes, allerdings ‚nur‘ aus Kostengründen.

Tödlich, aber vergessen: Außenlager in Oberösterreich.

Vollständige Verwahrlosung und Versuch des Verdrängens gab es im Außenlager Gusen. Man kann im Fall von Gusen auch nur schwer von einem ‚klassischen’ Außenlager sprechen, da dort zeitweise mehr Gefangene zur schweren Stollenarbeit gezwungen wurden und mehr Menschen dabei getötet wurden, als im Hauptlager Mauthausen. Teilweise wurden die Bedingungen in Nebenlagern wie Gusen als noch schlimmer als in Mauthausen selbst beschrieben und von den Gefangenen gefürchtet. Die Lager Gusen I, II und III lagen in Oberösterreich, dort wurden zwischen 1940 und 1945 über 80.000 Menschen festgehalten, die schwerste Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie leisteten. Mehr als die Hälfte von ihnen starb. Alle Überreste von Gusen II wurden von den US-Truppen aufgrund von Seuchengefahr vollständig niedergebrannt. Das ehemalige Areal von Gusen I ist Mitte der 50er-Jahre ebenfalls fast verschwunden, am unteren Fuße der Stollen, in denen die Gefangenen ihre Zwangsarbeit verrichteten, entstanden langsam wieder Wohngebäude. Heute ist hier eine Siedlung. Als ich mit den Mitgliedern der Amicale zum ersten Mal auf diesem Gelände spazierte, lief mir ein Schauer den Rücken hinab. Wie konnten sich die Leute hier einfach so wieder ansiedeln? Wie kann man heute noch dort wohnen? Irgendwann standen wir vor einer Villa und ein Sohn eines mittlerweile verstorbenen ‚Ehemaligen‘ erzählte mir davon, dass wohl hier früher der SS-Kommandant gelebt haben musste. Heute kann man nicht in das große Anwesen hineinblicken: ein riesiger Zaun und Überwachungskameras beschützen die Bewohner_innen. 1961 errichteten ehemalige Häftlinge mitten in der Wohnsiedlung, am ehemaligen Platz des Krematoriums, ein Mahnmal. Seit 2001 ist dort auch ein Museum untergebracht. Ein sehr ähnliches Bild ergibt sich auch in Ebensee, das ebenfalls in Oberösterreich liegt. Wenn man mit einer Gruppe das ehemalige Areal des Lagers besuchen will, muss man zuerst durch eine Wohnsiedlung marschieren. Früher waren hier die Gefangenen untergebracht, heute stehen an der Stelle Familienhäuser, Besucher_innen treffen auf zugezogene Vorhänge, hohe Zäune und wenig Freundlichkeit. 2009 gab es sogar einen rechtsextremen Angriff auf ein Mitglied der Amicale: Jugendliche schossen mit einer Soft-Gun und schrien dabei „Sieg Heil, ihr Schweine!“

Wo Österreich auch heute noch von Zwangsarbeit profitiert.

Doch nicht nur in Oberösterreich, auch in anderen Bundesländern ging und geht man mit der Geschichte des Nationalsozialismus recht sorglos um. In Kärnten gab es zum Beispiel ein Außenlager am Loibl-Pass an der Grenze zu Slowenien. Das Lager war ein Doppellager, da von beiden Seiten des Berges ein Tunnel gegraben werden sollte. Die Gefangenen mussten unter schwersten Bedingungen an diesem Prestige-Projekt des Nazi-‚Gauleiters’ Friedrich Rainer arbeiten. Als Jugoslawien kommunistisch wurde, wurde der Grenzübergang vorerst gesperrt. Erst 1964 wurde der Tunnel eröffnet. Die überlebenden ehemaligen Zwangsarbeiter wurden nicht eingeladen. Die Mitglieder der Amicale kamen jedoch trotzdem und eine Frau eines ehemaligen Gefangenen berichtet 1964 von dem großen Unterschied der Empfänge in Österreich und Jugoslawien: „Auf der österreichischen Seite gab es zwar eine höfliche, aber sehr formelle Feierlichkeit, gedämpfte nette Worte, ein Versprechen auf ein Denkmal von drei Offiziellen. Auf der jugoslawischen Seite hingegen hunderte Menschen […], der Bürgermeister, ehemalige Partisan_innen und alle singen sie inbrünstig die Marseillaise als wir ankommen!“ Österreich hat aber auch nicht dazugelernt. Im Jahr 2017 gab es am Nordlager am Loibl-Pass eine Kontroverse um den Besitzer des Grundstücks, der nicht verstehen konnte, warum der auf dem ehemaligen Gelände des Lagers errichtete Jäger-Hochsitz den ehemaligen Gefangenen unpassend erschien. Ich könnte hier noch viel mehr Geschichten anführen, wie zum Beispiel die ‚Serbenhalle‘ in Wiener Neustadt, die ebenfalls von KZ-Gefangenen errichtet wurde und wo mittlerweile Opern stattfinden. Der Besitzer der Halle weigerte sich, eine Gedenktafel aufstellen zu lassen oder Besucher_innen über die Geschichte des Ortes zu informieren. All diese Geschichten zeigen, wie ignorant die österreichische Bevölkerung und wie verständnislos und unsensibel die österreichische Politik handelte und handelt. Die Ignoranz, die sich bis heute in Teilen der Bevölkerung findet, hat viele Gründe. Die Generation der Täter_innen verschwieg meist die Teilnahme an den Verbrechen. (Vor kurzem lief hierzu etwa der Film über den Altnazi und späteren ÖVPler Franz Murer in den Kinos.) Die Kinder jener Kriegsgeneration wurden außerdem oft nicht ausreichend innerhalb des Schulsystems aufgeklärt. Zuhause hörten viele nur die Leidens-, also Frontgeschichten der Väter, die sich als ehrbare Soldaten darstellten, die bloß loyal ihren Dienst verrichteten. Erst mit der Affäre um Kurt Waldheim, ehemaliges SA-Mitglied und späterer ÖVP-Bundespräsident, sollte sich dies ändern. Langsam begann das offizielle Österreich, Entschädigungen auszuzahlen und sich mit seiner Mittäter_innenschaft zu beschäftigen. Der Verantwortung dieser Verbrechen muss aber auch heute noch nachgekommen werden, ganz im Sinne eines „Nie wieder!“

Paul Pumsenberger studiert Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien und Philosophie an der Universität Wien.