Natalie Bühl

Uns Reicht’s!

  • 29.02.2020, 22:44
Was für viele nichtsahnend mit einer Kundgebung begann, endete in einer halbtägigen Besetzung des Festsaals der Technischen Universität Wien.

Den prestigeträchtigen Festsaal der Uni bekommt man als Student_in in der Regel frühestens bei der akademischen Abschlussfeier zu sehen. Schade eigentlich, denn mit der nötigen Ausstattung würde der Saal sicher auch einen geeigneten Lernraum bieten. Das stellten auch die Aktivist_innen der Bewegung „Uns Reicht’s“ im Dezember bei ihrer Besetzung des Saals fest.

Schon im November wurde mit der Besetzung der ungenutzten ehemaligen Cafeteria Nelson’s auf das Raumproblem an der TU aufmerksam gemacht. Die Forderung nach mehr Raum bildete den Ausgangspunkt für die Protestbewegung „Uns Reicht’s“, die sich daraufhin entwickelte. Mittlerweile stehen zehn Forderungen im Katalog, die die gesamte österreichische Hochschulpolitik betreffen.

Die Bewegung sieht sich als überparteiliches, selbstverwaltetes, universitätsübergreifendes Kollektiv, das sich für eine soziale, gerechte und diskriminierungsfreie Hochschule einsetzt. Gefordert wird die Ausfinanzierung der Hochschulen, welche es erst ermöglichen würde, viele der unterliegenden Anliegen der Bewegung anzupacken. Neben dem Recht auf konsumzwangsfreie Räume für Arbeit und Austausch stehen die Aktivist_innen für den offenen und freien Hochschulzugang ein, also eine Abschaffung der sozialen Selektion durch Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen, welche dazu führen, dass viele Studieninteressierte es sich gar nicht erst leisten können, ein Studium anzutreten. Dazu zählt auch die Verbesserung der Konditionen von Familien- und Studienbeihilfe, sowie mehr Unterstützung für Drittstaatsangehörige, die aktuell durch doppelte Studiengebühren und erschwerte Bedingungen am Arbeitsmarkt bestraft werden. Auch die Forderung nach mehr Bildung statt Ausbildung kritisiert das wirtschaftsliberale System, in das die Studierenden möglichst schnell entlassen werden sollen, statt umfassend gebildet zu werden.

Damit verbunden ist ein enormer Leistungsdruck durch die geringe Mindeststudiendauer. Für die Studierendenvertretungen wird ein echtes Mitspracherecht verlangt, da seit der Abschaffung der Drittelparität – also einer jeweiligen 1/3-Repräsentation von Studierenden, Professor_innen und Assistent_innen – in den Gremien der Hochschulen von einer entscheidungsfähigen Studierendenschaft kaum die Rede sein kann.

Doch die Forderungen beschränken sich nicht auf Studierende allein – für das Hochschulpersonal werden ebenfalls bessere Bedingungen gefordert. Das bedeutet auf allen Ebenen eine gendergerechte Hochschule. Diese ist im Jahr 2020 noch immer keine Realität, da beispielsweise Professorinnen zu selten eingestellt werden und Frauen noch immer vorwiegend in administrativen Berufen beschäftigt sind. Die Forderung inkludiert aber auch Maßnahmen für Menschen mit Behinderung, das nichtakademische Personal sowie Kinderbetreuungsplätze für Menschen mit Betreuungspflichten. Auch klimagerechte Hochschulen stehen im Programm der Bewegung, die sich für die Verankerung der Klimakrise in den Curricula, Förderung von Klimaforschungsprojekten und leistbare Tickets für den öffentlichen Verkehr einsetzt. Schließlich soll ein eigenes Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung beibehalten werden, damit die Wissenschaft nicht wirtschaftlichen Interessen unterliegt. Anlass für die Ausarbeitung dieses umfangreichen Katalogs bot einerseits das zehnjährige Jubiläum des Studierendenprotests #unibrennt, andererseits die damals noch anstehenden Koalitionsverhandlungen zwischen der ÖVP und den Grünen. Das neue Bildungspaket stand noch zur Debatte, und so kam es zu der lautstarken Aktion des studentischen Kollektivs.

Der Verlauf der Besetzung.

Am 10. Dezember meldete „Uns Reicht’s“ eine Kundgebung vor der Technischen Universität an. Die noch recht unbekannte Bewegung erregte die Aufmerksamkeit einer Schar von Studierenden, die sich durch die Reden von Aktivist_innen der Gruppe und verschiedener solidarischer Organisationen mitreißen ließen. Nicht alle Teilnehmer_innen wussten im Vorhinein, dass die Kundgebung lediglich ein Vorwand war – das eigentliche Ziel war die Besetzung des Festsaals der TU, ein Vorhaben, das schließlich Erfolg hatte, wenn auch unter unerwartet erschwerten Voraussetzungen.

Der Plan, den Prestigeraum zu stürmen, verbreitete sich durch Mundpropaganda wie ein Lauffeuer, auch die Anspielung auf #unibrennt war unübersehbar und sorgte schon im Vorhinein für Gerüchte. So hatten auch die Sicherheitskräfte der TU bereits etwas geahnt und standen positioniert vor den Türen des Festsaals, in dem kurz zuvor eine Veranstaltung des Wissenschaftsfonds zu Ende gegangen war. Schnell füllten sich der Gang und das Stiegenhaus vor den Eingängen mit Protestierenden, die mit Sprechchören Einlass in den bewachten Saal verlangten. Als die Securitys sich schließlich mit aller Wucht gegen die Türe warfen, um einen Catering-Mitarbeiter daran zu hindern, den Raum zu verlassen, kippte die Stimmung. Aufgebrachte Rufe, niemanden im Raum einzusperren, wurden laut und im Flur kam es zu einem Gedränge. Der Bewegung der Masse konnte niemand mehr etwas entgegenhalten. Die unmittelbar neben den zwei Sicherheitskräften stehenden Aktivist_innen erhoben zwar als Zeichen der Gewaltlosigkeit die Hände über den Kopf, wurden aber dennoch zusammen mit den beiden machtlosen Security-Mitarbeitern beiseite geschoben. Den Nachrückenden gelang es in Folge, die Türen zu öffnen und die ca. 100 Aktivist_innen strömten schließlich in den Festsaal.

Ein großes Banner mit dem Schriftzug „Besetzt die Unis – #wiederbrennen für freie Bildung“ wurde direkt am Balkon des Festsaals angebracht. Das Adrenalin und die Aufregung saßen vielen noch in den Gliedern, als schon die Sprecherin von Uns reicht's am Redner_innenpult das Wort ergriff, um die Anwesenden über die Absichten und das geplante Vorgehen während der Besetzung aufzuklären. Ein erstes Plenum wurde einberufen, bei dem beschlossen wurde, dass der Saal solange besetzt bleiben würde, bis Vertreter_innen der Koalitionsverhandlung zu Bildung, Wissenschaft und Forschung sich bereit erklärten, mit den Studierenden in Dialog zu treten. Anschließend begaben sich die Besetzer_innen in verschiedene Arbeitsgruppen, um z.B. an den Forderungen, der externen Kommunikation oder der Versorgung im Festsaal zu arbeiten. Dies sollte sich als schwieriger erweisen als gedacht, da bereits wenige Minuten nach der Besetzung die Polizei vor Ort war, um zusammen mit dem Sicherheitsdienst den Raum abzuriegeln. Es wurde niemand mehr rein oder raus gelassen und damit auch die Möglichkeit der Lebensmittelversorgung unterbunden. Später wurde ein System mit Garderobenzetteln eingeführt, das den Besetzer_innen zwar die Möglichkeit gab, auf die Toilette zu gehen und wieder in den Saal zurück zu kehren, die prekäre Versorgungslage aber dennoch bestehen ließ.

Unter den Anwesenden befanden sich unter anderem auch Vertreter_innen verschiedener ÖH-Fraktionen und anderer studentischer Organisationen, der Donnerstagsdemo oder der Klimabewegung. Es war ein ziemlich bunter Haufen zusammengekommen und dennoch waren ein echtes Gemeinschaftsgefühl und Zusammenhalt zu spüren. So wurde schnell arrangiert, dass Garderobenzettel an solidarische Studierende weitergegeben wurden, um diese auch in den Raum zu schleusen. Immer wieder wurden auch Speisen und Getränke in den Saal geschmuggelt und dort miteinander geteilt. Auf dem Vorplatz der TU fanden sich gegen Abend solidarische Protestierende ein und wurden vom Balkon aus per Megafon von den Besetzer_innen angefeuert.

Das Rektorat weigerte sich, direkt mit dem Uns reicht's-Plenum zu verhandeln, und ließ nur eine Delegation von drei Vertreter_innen in Begleitung mehrerer Polizeibeamt_innen zu Wort kommen. Verschiedene als zu schwach empfundene Angebote des Rektorats wurden daraufhin vom Plenum abgelehnt. Als die Anspannung vor der erwarteten Räumung stieg, wurde ein spontanes Aktionstraining abgehalten, um die Sicherheit der Aktivist_innen zu gewährleisten und sie auf mögliche Szenarien vorzubereiten.

Die Räumung und das Nachspiel. Die Befürchtung einer langanhaltenden Besetzung á la #unibrennt stand Security und Rektorat ins Gesicht geschrieben. Seit der erfolgreichen studentischen Raumnahme im Audimax vor zehn Jahren hat sich die politische Atmosphäre in Österreich allerdings geändert und die Bedrohung polizeilicher Repression ist gestiegen. Die vielbeklagte Politikverdrossenheit unter Studierenden scheint wieder Realität geworden zu sein, politischer Aktivismus zur bedauernswerten Seltenheit. Anders als bei #unibrennt wurden die Besetzer_innen nicht geduldet, sondern noch am selben Abend polizeilich geräumt. Dabei kam es zu einem Großeinsatz, bei dem alle sich noch im Gebäude befindlichen Student*innen die Technische Universität verlassen mussten und sämtliche Eingänge von außen versperrt wurden. Dieses Vorgehen steht im krassen Widerspruch zur Aussage einer Sprecherin der TU, die dem STANDARD gegenüber verlauten ließ, dass Universitäten Orte der freien Meinungsäußerung seien und sogar die Besetzung als gewählte Protestform für legitim erklärte. Wenn eine Uni ihre eigenen Studierenden von je zwei Polizist_innen zur Tür hinaus tragen lässt, bis sich nur mehr Uniformierte im Haus befinden, ergibt dies ein einprägsames Bild, das so auch von den Medien rezipiert wurde. Den Protestierenden half auch nicht mehr, dass sie währenddessen „Power to the People“ sangen.

Die Forderungen der „Uns Reicht’s“-Aktivist_innen sind beinahe deckungsgleich mit denen von #unibrennt. Zehn Jahre nach der zweimonatigen Besetzung des Audimax der Universität Wien hat sich kaum etwas getan. Dabei bestand die Hoffnung mit der ehemaligen #unibrennt-Aktivistin Sigrid Maurer in den Koalitionsverhandlungen für Bildung, Wissenschaft, und Forschung eine echte Chance auf Verankerung der Forderungen im neuen Bildungspaket zu haben. Doch obwohl Sigi auf die Protestaktion und einen Besuch der Aktivist_innen im Nationalrat reagierte und sich sogar mit einem Presseteam von Uns Reicht’s zu einem Gespräch traf, konnte sie die Forderungen lediglich gutheißen, aber nicht umsetzen. Die Klimapolitik sei aktuell wichtiger als die Abschaffung von Studiengebühren und diese somit kein Ausschlusskriterium für eine Koalition, sagte sie den Studierenden. Diese Aussage wird durch das mittlerweile veröffentlichte schwarz-grüne Regierungsprogramm bestätigt. Statt einer Abschaffung werden die Studiengebühren an die Inflation angepasst und Zugangsbeschränkungen verschärft, die soziale Selektion an den Hochschulen wird somit weiter verstärkt.

Die frisch gebackene Regierung schafft es also nicht, den Studierenden entgegenzukommen – und kann dafür sicher noch mit Gegenwind rechnen. Mit dem Anbringen von Bannern an verschiedenen Wiener Unis kündigte „Uns Reicht’s“ bereits weitere Aktionen an: „Wir kommen wieder!“