Italien, ein Land ohne Linke.
Italien war immer schon ein politisches Labor, heute greift der Neoliberalismus erneut Verfassung und ArbeiterInnenrechte an.
Die italienische Regierung besteht gerade aus einer Koalition zwischen Partito Democratico (PD) und Mitterechtspartei Alternativa Popolare. In den letzten Jahren wurde das Arbeitsrecht eingeschränkt und eine unternehmensfreundliche Wirtschaftspolitik betrieben. Italiens Politik hat sechs turbulente Jahre hinter sich. 2011 wurde Berlusconi gezwungen zurückzutreten, die Expertenregierung Monti wurde vom Staatsoberhaupt eingesetzt, die Wahlen 2013 brachten keine eindeutige Mehrheit und seitdem gab es drei verschiedene Ministerratspräsidenten des PD und unzählige Reformen: Arbeitsrecht (Jobs Act), Schulsystem (La Buona Scuola) und öffentlicher Dienst (Madia-Reform).
Arbeitsrecht und Prekarisierung. Die Monti-Regierung hatte die Arbeitsrechte eingeschränkt und durch den Jobs Act wurden alte Forderungen Berlusconis umgesetzt. Die Macht in der Schule wurde zentralisiert aufgelegt und die Reformen des öffentlichen Dienstes hatten das Ziel, Entlassungen von ineffizienten und fahrlässig handelnden Angestellten zu vereinfachen.
Diese Flexibilisierung hat die Situation der arbeitenden Schichten weiterhin verschlechtert, während Unternehmen von Steuerentlastungen und vom Regierungskampf gegen Gewerkschaften profitieren. Renzi galt 2013 als große Hoffnung des progressiven Lagers, um dann die Parteipolitikin der politischen Mitte bzw. Mitterechts zu verankern. Auslandsinvestoren hätten Arbeitsplätze schaffen müssen, aber bislang ist es nur bedingt gelungen, weil Probleme wie Korruption, Bürokratie und Infrastrukturen weiterhin bestehen.
Neoliberale Agenda. Die Verfassungsreform vom 4. Dezember 2016 galt als ein Wendepunkt der Innenpolitik. Die Reform der Verfassung wird seit Jahrzehnten erwartet, aber konnte nie umgesetzt werden. Wie so oft war das Thema der perfekte Bikameralismus – wenn beide Kammern gleichermaßen an der Gesetzgebung beteiligt sind –,der angeblich zu einem langsamen und ineffizienten Gesetzgebungsprozess geführt hat. Seit Anfang des Jahrhunderts wird aber massiv mittels Gesetzesdekreten regiert – rechtssetzende Akte, die sofort in Kraft treten, aber innerhalb von 60 Tagen in ein Gesetz umgewandelt werden müssen, um weiterhin aufrecht erhalten zu bleiben. Diese Akte werden von der Regierung und nicht vom Parlament erlassen und wären nur für Sonderfälle oder Krisensituationen gedacht.
Die italienische Verfassung, die als großer Kompromiss zwischen allen antifaschistischen Kräften 1948 in Kraft getreten ist, steht längst unter großem Druck, weil sie nicht mehr als zeitgemäß empfunden und als zu stark sozialistisch wahrgenommen wird. Bei der Volksbefragung 2006 scheiterte Berlusconis Versuch, ein semi-präsidentielles System zu etablieren. Sein Wirtschaftsminister Tremonti versuchte Jahre später aus Art. 41 die sozialen Aspekte herauszustreichen. Dieser besagt:„Die Privatinitiative in der Wirtschaft ist frei. Sie darf sich aber nicht im Gegensatz zum Nutzen der Gesellschaft oder in einer Weise, die die Sicherheit, Freiheit und menschliche Würde beeinträchtigt, betätigen. Das Gesetz legt die Wirtschaftsprogramme und geeignete Kontrollen fest, damit die öffentliche und private Wirtschaftstätigkeit nach dem Allgemeinwohl ausgerichtet und abgestimmt werden kann.“
M(atteo) wie Machtrausch Der Finanzberater JP Morgan hatte sich schon 2013 offen für einen Umbau der Staatsform und eine Reform der Verfassung geäußert, 2016 wurde eine Verfassungsreform geplant. Ähnlich wie bei der Verfassungsreform 2006 sollte der Ministerratspräsident gestärkt, das perfekte Zweikammernsystem abgeschafft und der Senat in eine Kammer der Regionen umgewandelt werden. Die stimmenstärkste Partei hätte die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament bekommen – ohne ein starkes Oppositionsrecht vorzusehen. Die fehlenden checks and balances hätten dazu führen können, dass die Regierung Staatoberhaupt und Verfassungsrichter (ein Drittel davon werden vom Staatsoberhaupt selbst ernannt) hätte stellen können. Herabwürdigung von Kritikern und populistische Aussagen zu den Folgen der negativen Abstimmung ersetzten die Debatte. Am 4. Dezember 2016 bekam das „Ja“ nur knapp 40 Prozentder Stimmen. Viele WählerInnen haben auch eher gegen Renzi als gegen die Reform gestimmt.
Wenige Monate nach seinem Rücktritt wurde Renzi erneut von der Parteibasis mit 70 Prozent Vorzugsstimmen gewählt und arbeitet nun an seiner Rückkehr. Die Partei wird jetzt bloß als instrumentum regni benutzt, obwohl sie 2007 als großer politischer Kompromiss zwischen den katholisch-progressiven und den postkommunistischen Kräften ins Leben gerufen wurde. Renzi verändert die Partei sehr tief: viele Kernpunkte von Berlusconis Programm wurden umgesetzt und ihre historische Wählerschaft betrogen. Der ex-linke Flügel hat inzwischen die Bewegung Movimento Progressisti e Democratici gegründet, die laut Wahlumfragen nicht über 3 Prozent geschätzt wird.
Matteo Renzi ist ein talentierter Performer. Er bezog sich kommunikationstechnisch auf Obama, Blair und Macron, übernahm aber auch wesentliche Aspekte Berlusconis Regierungsstils. Dadurch verschob sich der gesellschaftliche Diskurs nach rechts und davon profitierten(Rechts)Populisten wie Salvini und Grillo, die angeblich eine Kooperation bei der nächsten Wahl anstreben. Somit entpuppte sich das „weder rechts noch links“ des M5S als ein bloßes Mittel, um Stimmen aus den linken Lager zu ködern und gleichzeitig einen rechtspolitischen Kurs zu betreiben.
Matteo Da Col hat Politikwissenschaft und Translation an der Universität Wien studiert und arbeitet als Übersetzer.