Mara Otterbein

Inklusion braucht Werkzeuge

  • 15.02.2017, 19:35
Der Alltag von Frauen mit geistiger Behinderung ist geprägt von Fremdbestimmung und Einteilung unter finanziellen Gesichtspunkten. Dies führt dazu, dass auch politische Teilhabe von Frauen mit geistiger Behinderung durch die verwehrte Selbstbestimmung versperrt bleibt.

Der Alltag von Frauen mit geistiger Behinderung ist geprägt von Fremdbestimmung und Einteilung unter finanziellen Gesichtspunkten. Dies führt dazu, dass auch politische Teilhabe von Frauen mit geistiger Behinderung durch die verwehrte Selbstbestimmung versperrt bleibt. Obwohl die UN-Behindertenrechtskonvention (in Österreich 2008 in Kraft getreten) gesetzlich gilt, ist deren Verwirklichung noch in vielen Punkten unerreicht. Oft fehlt es am Willen politischer Instanzen. Auch an Maßnahmen und Konzepten, welche politische Teilhabe von Frauen mit geistiger Behinderung vorantreiben und bewerkstelligen könnten.

Die Autorin, Karoline Klamp-Gretschel, setzt hier an und legt ein von ihr neu entwickeltes Bildungskonzept vor. Dieses richtet sich gezielt an Frauen und Mädchen mit geistiger Behinderung, um die Vermittlung politischer Kenntnisse zu begünstigen. Begleitet durch Interviews in der Zielgruppe entstehen Handlungsempfehlungen, die eine Grundlage für gender-spezifische Bildungs-Konzepte zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation bilden sollen. Gesetze können inklusivere Gesellschafts-Strukturen ebnen, jedoch braucht Inklusion auch Werkzeuge zur Partizipation, das heißt: Gesetze allein bringen noch keine politische Teilhabe. Denn nur wenn Fremdbestimmung entfällt oder zumindest maximal reduziert wird, können Menschen auch selbstbestimmt und Akteur*innen ihrer eigenen Lebensläufe sein.

Obgleich es bei wissenschaftlichen Arbeiten oft viel zu wenig der Fall ist, reflektiert Karoline-Klamp-Gretschel die verwendeten Begrifflichkeiten und Konzepte in ihrem Buch gekonnt. So beschreibt sie beispielsweise Unzulänglichkeiten im Terminus „geistige Behinderung“, welcher eine Spanne an diversen Menschen umfasst. Die Problematik liegt genau darin: Durch die Verwendung eines Begriffes für eine heterogene Gruppe kommt es zu Stereotypisierung. Trotzdem verwendet Klamp-Gretschel diesen Begriff, allerdings kritisch, um davon ausgehend differenzieren zu können. Stärken des Buches liegen auch im Aufgreifen von bestürzenden Diskursen um die vermeintliche „Bildungsfähigkeit“ von Personen mit geistiger Behinderung. Dem gegenüber stellt Klamp-Gretschel Erläuterungen von den realen Lebensbedingungen und -Situationen von Frauen und Mädchen mit geistiger Behinderung. So veranschaulicht sie die Diskrepanz zwischen ableistischen/behindertenfeindlichen Diskursen und den tatsächlichen Realitäten und Perspektiven der Frauen und Mädchen.

Unterm Strich ergibt sich ein umfassendes fachwissenschaftliches Buch, dessen Vorschläge für eine inklusivere Zukunft hoffentlich Beachtung und Umsetzung finden wird.

Mara Otterbein studiert Soziologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen und beschäftigt sich vor allem mit intersektionalen Perspektiven der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen.