Leonhard Weese

Zelten gegen Unterdrückung

  • 11.12.2014, 22:53

In Hongkong blockieren seit mehreren Monaten tausende Studis friedlich Autobahnen und Straßen. Die Regenschirm-Revolution, der „höflichste Protest der Welt“, fordert freie Wahlen für die ehemalige Kolonie.

In Hongkong blockieren seit mehreren Monaten tausende Studis friedlich Autobahnen und Straßen. Die Regenschirm-Revolution, der „höflichste Protest der Welt“, fordert freie Wahlen für die ehemalige Kolonie.

Am 1. Juli 1997 gab die Kolonialmacht Großbritannien die Souveränität über Hongkong an China zurück. Dies geschah mit der Aussicht, dass sich die Stadt mindestens 50 Jahre lang selbst verwalten dürfe. Auf der Basis einer starken Verfassung sollten Bürger*innenrechte wie Versammlungs- und Redefreiheit sowie freie Wahlen des Parlaments und der Regierung garantiert sein. Eine der wichtigsten Neuerungen, nämlich die Wahl des „Chief Executive“ (höchster Beamt*innenposten Hongkongs), war bereits mehrmals hinausgezögert worden, als am 31. August 2014 viele Hongkonger*innen ihre Hoffnungen auf Demokratie erschlagen sahen: Peking stellte klar, dass man zwar Wahlen zulassen, alle Kandidat*innen aber vorher selber auswählen würde. An diesem Abend kamen im Tamar-Park nahe des Regierungsviertels mehrere hundert Menschen zusammen, um unter dem Motto „Occupy Central with Love and Peace“ eine Ära des zivilen Ungehorsams auszurufen.

Am Anfang der Schulstreik. Schüler*innen und Student*innen, die 2011 als Reaktion auf die geplante Einführung des „patriotischen“ Schulfachs „Nationalkunde“ den Verein Scholarism gegründet hatten, hatten bereits zuvor einiges bewegt. Dass die Einführung dieses Fachs nach einem Hungerstreik und der wochenlangen Besetzung des Vorplatzes des Regierungsgebäudes aufgegeben werden musste, gilt noch heute als beeindruckender Erfolg.

Unmittelbar nach der Entscheidung der Kommunistischen Partei, keine freien Wahlen zuzulassen, riefen Student*innen Mitte September zu einem fünftägigen Streik auf. Die Schüler*innen schlossen sich diesem für einen Tag an. Am letzten Abend des Streiks, dem 26. September 2014, war den etwa 5.000 anwesenden Student*innen jedoch keine Genehmigung für die Benutzung des Parks erteilt worden. Diese erging stattdessen an eine kleine Gruppe älterer Menschen, die unter chinesischen Flaggen zur Nationalhymne tanzten und Chinas Einheit feierten – eine Demütigung der Student*innen, die eingepfercht auf einer zweispurigen Straße unter massiver Polizeipräsenz demonstrieren mussten. Am selben Abend jedoch gelang es der Scholarism-Gruppe dennoch, in eben jenes Areal vorzudringen, wo sie zwei Jahre zuvor ihre Proteste gegen das Fach „Nationalkunde“ abgehalten hatten – damals noch legal. Die von der Situation völlig überforderte Polizei entschied, das gesamte Areal unter Einsatz von Pfefferspray und Schlagstock weitgehend zu räumen. Die ebenso überraschten wie unvorbereiteten Student*innen hielten ihren Protest jedoch auch gegen den Willen der Regierung aufrecht, und am nächsten Abend waren die Menschenmassen bereits auf etwa 25.000 Personen angewachsen.

Am Morgen des 28. September entschloss sich die Polizei, die noch anwesenden Protestierer*innen einzukesseln und das Gelände weiträumig abzusperren. Als sich die Nachricht von dieser Protestsperre über soziale Netzwerke verbreitete, besetzten circa 200.000 Menschen zwei der drei Transitstraßen der Hauptinsel Hongkongs. Als die Polizei versuchte, diese Blockaden mit insgesamt 87 Kanistern Tränengas zu räumen, kam es an mindestens vier Hauptverkehrsadern der Stadt zu Blockaden durch Demonstrant*innen. Es wird geschätzt, dass sich an ihrem Höhepunkt bis zu 500.000 Menschen diesen Blockaden anschlossen, etwa sieben Prozent der Hongkonger Bevölkerung.

Sorry for the inconvenience. Dass die jungen Menschen in der Lage sind, drei dieser Blockaden seit inzwischen mehr als zwei Monaten nicht nur gänzlich friedlich gegen Polizei und kriminelle Organisationen zu verteidigen, sondern sie zu mustergültigen Beispielen partizipatorischer Demokratie zu machen, ist ein beeindruckender internationaler Einzelfall. Müll wird getrennt, die Zelte werden in einem effizienten Untereinander geteilt, die Areale sind aufgeräumt und die Toiletten werden sauber gehalten. Wo vor den Protesten Sprinkleranlagen künstlich Rasenflächen bewässerten, werden lokale Pflanzen eingesetzt, anderswo werden Bibliotheken und Studierzelte aufgebaut.

Die „Regenschirm-Revolution“ – benannt nach dem Werkzeug, mit dem sich Protestierende gegen Pfeffersprayeinsätze wehrten – bricht trotz der vielen verschiedenen Gruppen und Meinungen und trotz Jobs und Studium der Aktivist*innen nicht auseinander. Dass sie sich dank breiter Unterstützung aus der Bevölkerung noch Monate aufrecht erhalten konnte, ist alleine der gemeinsamen Überzeugung geschuldet, dass sich soziale und politische Probleme am besten in einer robusten Demokratie lösen lassen. Es bleibt die Hoffnung, dass sich auch das autokratische China dem gesellschaftlichen Wandel unter den Augen der Weltöffentlichkeit nicht verschließen kann.

Leonhard Weese hat Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und Statistik an der Universität Hongkong studiert und arbeitet als Analyst in Hongkong.