Katrin Seifried

Alles für Alle.

  • 14.06.2020, 22:47
Wie ein kleiner Kostnix-Laden in Wien-Meidling versucht, Antworten auf ganz große Fragen zu geben.

Geldlose Gesellschaft - ein theoretisches Konzept der solidarischen Ökonomie oder: Was seid ihr denn nun?

Gibt es etwas, was in unserer Gesellschaft selbstverständlicher ist als die Existenz des Geldes? Im Kostnix-Laden sind wir der Meinung, dass die Art, wie wir Gesellschaft gestalten wollen, unsere eigene Aufgabe und Chance ist. Wir wollen mit unserem Laden einen Vorschlag bieten, unsere Gesellschaft und Wirtschaft anders zu denken, das gute Leben für alle in den Mittelpunkt zu rücken, sowie eine Möglichkeit aufzeigen, innerhalb ökologischer Grenzen Dinge des täglichen Bedarfs zu erwerben und abzugeben. Und das ganz ohne Geldmittel.

In unseren gesellschaftlichen Strukturen ist tief verankert, dass nur wer über ausreichend Geldmittel verfügt auch vollkommen am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Die geldlose Gesellschaft als Synonym für Umsonst- oder Schenkökonomie versucht, alternative Lösungsansätze zu bieten. Bei den Ökonominnen Habermann und Möller und der Soziologin Peters (https://www.vsa-verlag.de/uploads/media/VSA_Giegold_ua_Solidarische_Oekonomie_komplett.pdf, S. 54–56) wird diese Form des Wirtschaftens als solidarisch bezeichnet, da es sich um ein basisdemokratisch organisiertes, bedürfnisorientiertes und vorsorgendes Wirtschaften handelt.

„Solidarische Ökonomie würde ich beschreiben als Versuch das bestehende Wirtschaftssystem, das wir von oben nicht ändern können, von unten ein bisschen zu beeinflussen“, sagt Mary*, Aktivistin im Kostnix-Laden. Im Kostnix-Laden verlieren die Gegenstände durch die Abgabe ihren Geldwert – und erhalten einen Gebrauchswert: eine „individuelle oder gemeinschaftliche Nützlichkeit eines Gutes“, wie es der Philosoph und Ökonom Adam Smith 1990 beschrieb.

Die gelebte Utopie der geldlosen Gesellschaft – der Kostnix-Laden oder: Wie geht das denn nun?

Der Kostnix-Laden in Wien Meidling ist ein Ort, an dem Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie Kleidung, Haushaltsgegenstände, Bücher, Elektrogeräte, Spielzeug, Sportartikel etc. gratis von Menschen, die diese nicht mehr benötigen, zur Verfügung gestellt werden. Die Zielgruppe dabei ist grundsätzlich die gesamte Bevölkerung. Oberflächlich betrachtet ist der Kostnix-Laden also ein Ort, an dem Waren gratis „eingekauft“ und/oder zur Weiterverwendung bereitgestellt werden können. Blickt man genauer hin, erkennt man den Ansatz für eine solidarische, nachhaltige Gesellschaftsentwicklung, der gelegt wird bzw. bereits im Aufgehen begriffen ist. „Ich sehe den Kostnix-Laden in der Zukunft als Teil von einem großen solidarischen Netzwerk aus verschiedensten Initiativen, die sich selbst organisieren und nicht hierarchisch ablaufen. Wo wir gemeinsam selbstbestimmt und selbstorganisiert handeln“, sagt Sandra*, Teammitglied des Kostnix-Ladens.

Ein Kerngedanke des Projekts ist das solidarische, also kooperierende, Wirtschaften innerhalb ökologischer Grenzen in einer zunehmend instabiler werdenden Welt. Anhand der stetig wachsenden Umweltzerstörung und Vermögensungleichheit zeigt sich, dass unser Wirtschaftssystem in seinem momentanen Bestand nicht auf das Wohl aller ausgelegt ist. Zwei Hauptproblematiken des 21. Jahrhunderts wollen wir mit zwei Lösungsansätzen begegnen. Laut Österreichischer Nationalbank verfügt das reichste 1 % der österreichischen Haushalte über rund 40 % des gesamten Nettovermögens, während die ärmeren 50 % der österreichischen Haushalte insgesamt gerade einmal 2,5 % besitzen; es ist daher angebracht, Lösungen zu schaffen.

Der Kostnix-Laden versteht sich als kleiner zivilgesellschaftlicher Beitrag dazu. Geld als notwendiges „Lebensmittel“ kann, wenn ausreichend Menschen das Vorhaben mittragen und die Wohnzimmer und Supermärkte einer (ungleichen) Wohlstandsgesellschaft übervoll sind, umgangen werden. „Ich finde, dass es natürlich für Menschen ist, solidarisch zu sein. Um sich dessen bewusst zu werden, müssen sie in Kontakt mit ihrer verletzlichen Seite sein: Sie müssen erkennen, dass sie nicht alleine unabhängig von anderen Menschen leben können. Die Wirtschaft, die wir kennen, lässt uns das vergessen. Die Angewiesenheit wird negativ konnotiert. Ich denke gerne darüber nach, warum ich andere Menschen brauche – was sie mir geben können, was ich ihnen geben kann. Diese Beziehungen sind die Essenz des Lebens für mich“, sagt Mary*. Einer ungeachtet der Klimakrise voranschreitenden Überproduktion und damit verbundenen Ressourcenverschwendung inklusive Müllproblematik uvm. wollen wir durch die kostenfreie Verteilung von weggelegten Gütern begegnen.

Der Kostnix-Laden ist mehr als ein Laden.

Marius*, Teammitglied im Kostnix-Laden, sagt: „Mir hat eine Freundin vom Kostnix-Laden erzählt. Ich bin reingekommen und hab' mir gedacht: Das ist genau, wie ich es mir vorstelle. Genau, wo ich hin wollte.“ Der Laden versteht sich nicht nur als Ort, an dem man Dinge ohne Erwartung einer Gegenleistung weiter in Umlauf bringen kann. Das Ziel ist es, sowohl für das Konsumverhalten als auch für das soziale Miteinander einen Raum zu öffnen, geprägt von Wertschätzung, Menschen wie Produkten gegenüber. Wir wollen zeigen, dass Kooperation uns weiterbringt, dass Teilen das neue Tauschen, Kooperieren das neue Konkurrieren ist. Dazu wollen wir als Teil einer breiten sozialen Bewegung beitragen. Das wahrlich Schöne am Kostnix-Laden sind letztlich die Menschen, die ihn am Leben halten, Besucher_innen und Unterstützer_innen. Das Konzept funktioniert nur durch ausreichende und ausgewogene Teilhabe bzw. Teilnahme, mit Menschen, die gleichermaßen geben & nehmen. Wir sind stolz auf die bunten Menschen und wechselnden Dinge, die Teil des Ladens sind. Sie gestalten durch ihr reges Kommen und Gehen, wie der Laden läuft.

Es sind die kleinen Projekte, die uns Platz geben, um ein gemeinschaftliches Miteinander zu erproben. Die von der Wissenschaft und den eigenen Eindrücken in vielerlei Hinsicht geforderte Wende ist genau dann realisierbar, wenn wir auch selbst beginnen, eine neue Form des Umgangs – also des Denkens, Redens, Handelns – zu gestalten. Wir versuchen's halt. „Der Kostnix-Laden ist ein Zentrum für alles. Du hast hier Menschen, es gibt von allen Dingen irgendwas und es treffen sich hier immer Leute, die davon überzeugt sind, dass man aufeinander aufpasst. Ich denke mir: So lange ich im Kostnix-Laden bin, kann schon nichts so Schlimmes passieren. Auch wenn der ganze Laden brennt, tun wir uns zusammen und sagen: Gut, was machen wir als Nächstes?“, erzählt Marius*. Und was sagen wir dazu? Am besten: Nix anbrennen lassen, einfach mal vorbei kommen :)

Linkliste:

www.kostnixladen.at

https://dieschenke.wordpress.com

www.geldlos.at

https://www.degrowth.info/de/was-ist-degrowth/

https://web.ecogood.org/de/