Elisa Leclerc

Auf engem Raum: Geflüchtete und Corona

  • 25.06.2020, 17:19

Abstandsregeln und Massenunterkünfte, wie soll das gehen? Ein Geflüchteter erzählt von seinen Erfahrungen zu Corona und Quarantäne.

In zwei Wochen hat Karim (Name auf Wunsch geändert) Deutschprüfung. Im Mai hat er ein neues Wort gelernt: Quarantäne. Es ist einprägsam, weil er die Bedeutung am eigenen Leib erfahren hat. Karim gehört zu jenen rund 300 Geflüchteten, die im Mai in der Messe Wien in Quarantäne untergebracht wurden. Zuvor waren in der Flüchtlingsunterkunft „Haus Erdberg“, wo Karim lebt, 15 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet worden. Spätere Screenings kamen auf 39 Infizierte, darunter auch Betreuer_innen der Einrichtung.

Karim erinnert sich an die Polizeisirenen, unter denen ihm sein negatives Testergebnis mitgeteilt wurde. „Uns wurde gesagt, dass niemand mehr das Asylheim verlassen darf und wir unsere Sachen packen müssen, um in die Messe Wien evakuiert zu werden“, erzählt er. Unter den Bewohner_innen habe sich Nervosität breit gemacht, viele unter ihnen hätten nicht verstanden, was mit ihnen passiere. Erst Dolmetscher_innen hätten aushelfen können: Wegen der Ansteckungsgefahr und dem Infektionsrisiko wurde allen Bewohner_innen des Asylheims Erdberg eine zweiwöchige Quarantäne verordnet. Wie isoliert man sich jedoch, wenn man mit 400 Menschen zusammenwohnt? Weil im Asylheim nicht die notwendigen Hygienestandards und Abstandsmaßnahmen eingehalten werden konnten, wurde eine Evakuierung der Bewohner_innen beschlossen. Karim schüttelt nachdenklich den Kopf: „Im Asylheim hätte ich mich besser isolieren können. Dort habe ich ein eigenes Zimmer“, erklärt er. Küche und Bad teilt er sich jedoch mit anderen.

In der Messe Wien habe man stattdessen auf engstem Raum zusammengelebt, bei der Essensausgabe sei Gedrängel unvermeidlich gewesen. Karim erzählt von seinem kleinen Zimmer, das er sich dort mit einem anderen Asylwerber geteilt hat: Weil der Raum nach vorne hin offen und für jede_n betretbar gewesen sei, hätten Karim und sein Zimmergenosse eigenhändig Bettlaken aufgehängt, um somit ein Minimum an Privatsphäre zu schaffen.

Besonders anfangs habe es viele Probleme in der Messe Wien gegeben, so Karim. Die wenigen Einblicke, die während der Quarantäne an die Öffentlichkeit gekommen sind, bestätigen das: So war in den Medien die Rede von verschimmeltem Brot, Fluchtversuchen und Schweinefleisch, das den muslimischen Betroffenen aufgetischt wurde. „Einen ganzen Tag lang haben wir überhaupt nichts gegessen. Neben dem Schweinefleisch gab es auch Huhn oder Rind, aber das Fleisch war nicht halal“, erklärt Karim. Daraufhin habe man gestreikt, auf Plakaten hätten die Geflüchteten ihre Rechte eingefordert. „Danach ist es besser geworden“, erzählt Karim, „aber die ersten fünf Tage waren sehr chaotisch.“

Seit Beginn der Pandemie häufen sich die Flüchtlingsunterkünfte, in denen Corona ausgebrochen ist. Karims Geschichte ist damit eine unter vielen: Allein in Bayern standen nach Auskunft des deutschen Innenministeriums Ende Mai 26 Unterkünfte unter Quarantäne [1]. In Österreich instrumentalisierte die FPÖ den Corona-Ausbruch im „Haus Erdberg“ für ihren rassistischen Diskurs und sprach von einem „Asylantenvirus in der Bundeshauptstadt“. In den Medien werden Asylheime bereits vielerorts als „neue Corona-Hotspots“ bezeichnet.

In Anbetracht von Gemeinschaftsbädern und Mehrbettzimmern ist es jedoch wenig verwunderlich, dass besonders Asylheime so stark betroffen sind. Das Einhalten von Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen fällt dort besonders schwer: Das ist kein schlechter Wille, das ist schlichtweg durch die Infrastruktur und Überfüllung bedingt. Deswegen werden nun Stimmen lauter, die kleinere Unterkünfte oder neue Lösungen zur Unterbringung von Asylwerber_innen fordern, wie beispielsweise leerstehende Hotels. Auch Karim möchte in Zukunft in einer WG leben. Dazu kommen für viele Asylwerber_innen noch sprachliche Barrieren, die den Zugang zu Informationen erschweren. Das zeigt sich auch in Karims Geschichte, in der einige Hausbewohner_innen aus Angst vor einer Abschiebung weglaufen wollten.

Für Karim war die zweiwöchige Quarantäne ein Ausnahmezustand im Ausnahmezustand. Als er nach vierzehn Tagen zurück in sein Zimmer im „Haus Erdberg“ darf, bleibt ein mulmiges Gefühl: Karim hat Angst vor einem zweiten Ausbruch in der Unterkunft – dann würde alles wieder von vorne beginnen, er müsste ein zweites Mal in die Messe Wien übersiedeln. Dort steht das Leben still, die Abschottung verleiht den Menschen ein Gefühl der Ohnmacht. Der Stillstand des öffentlichen Lebens macht Karim jedoch auch anderswo zu schaffen:  Er und viele andere wissen nicht, wie es mit ihrem Asylverfahren weitergeht. Die Deutschkurse, die Karim wöchentlich besucht, finden mittlerweile online statt – allerdings nur mit Unterlagen. Ohne Lehrpersonal fällt Karim das Lernen schwerer als sonst. 

Die Coronakrise verdeutlicht damit auch die soziale Ungleichheit – und verschärft diese gleichzeitig. Wer schon in normalen Zeiten unter prekären Umständen gelebt hat, erlebt in der Pandemie eine Zuspitzung der Verhältnisse. Für Karim hat die Coronakrise verdeutlicht, wie schutzlos seine Wohnsituation ist: Da wäre zum einen das erhöhte Ansteckungsrisiko, wenn 300 Menschen auf gemeinsamer Fläche wohnen und sich dort Bad und Küche teilen. Karim denkt jedoch auch an seine Betreuer_innen zurück, die die zweiwöchige Quarantäne in ihren eigenen vier Wänden ausharren durften, während er unter Polizeisirenen in die Messe Wien evakuiert wurde. Dort wiederum wurden die Ein- und Ausgänge zwei Wochen lang von Securities bewacht.  

Das sind zwei unterschiedliche Lebensrealitäten, die zeigen, wie fremdbestimmt das Wohnen von Asylsuchenden ist. Für die Zukunft wünscht Karim sich deswegen, in einer WG zu leben – wo er sich nach eigenem Willen einbringen und zurückziehen kann, wie er möchte. 

 

Elisa Leclerc studiert Vergleichende Literaturwissenschaft und Internationale Entwicklung an der Universität Wien.  

 

[1] Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-fluechtlinge-massenunterkuenfte-1.4912742