Bildungspolitik

Wer hat uns verraten? - Proteste gegen die Regierungsangelobung

  • 17.12.2013, 18:20

Gegen die Auflösung eines eigenen Wissenschaftsressorts durch die neue Regierung entsteht breiter Widerstand. Dieter Diskovic berichtet von der Demonstration gegen die Regierungsangelobigung und die Trauerkundgebung der ÖH vor dem Wissenschaftsministerium.

Gegen die Auflösung eines eigenen Wissenschaftsressorts durch die neue Regierung entsteht breiter Widerstand. Die Regierungsangelobung der Koalition aus SPÖ und ÖVP in der Wiener Hofburg wurde von einem gellenden Pfeifkonzert begleitet. Anschließend wurde die freie Wissenschaft von Aktivist_innen vor dem  Wissenschaftsministerium symbolisch begraben. Weitere Proteste sind geplant.

„Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Wer war mit dabei? Die Volkspartei!“ und „Heinzi! Tuas ned!“ - das waren heute die zwei beliebtesten Slogans der Demonstrant_innen am Ballhausplatz. Seit dem schwarz-blauen Experiment gab es keinen so großen Widerstand gegen die Angelobung einer neuen Regierung. Die Hofburg selbst war vorsorglich weitläufig abgeriegelt worden. Die lautstarken Proteste dürften in den Gehörgängen der Politiker_innen zwar angekommen sein, das Ziel der Kundgebung wurde jedoch – wenig überraschend – nicht erreicht: begleitet von einer Blasmusikkapelle wurde die neue Regierung von Bundespräsident Heinz Fischer angelobt.  

Foto: Dieter Diskovic

Anschließend rief die ÖH zu einer Begräbniszeremonie auf. Vor dem (ehemaligen?) Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung wurde die freie Wissenschaft in einem Sarg symbolisch zu Grabe getragen. Neben Grabkerzen und Blumenschmuck konnten sich die Trauergäste in ein überdimensionales Kondolenzbuch eintragen. Auch einige Personen, die zu diesem Zeitpunkt gerade das Wissenschaftsministerium verließen, hinterließen der freien Wissenschaft spontan eine letzte Widmung.

Foto: Dieter Diskovic

Ein universitärer Schulterschluss?

Ein Ende der Proteste ist damit freilich noch lange nicht zu erwarten. Bemerkenswert ist vielmehr die ungewohnte Einigkeit zwischen der Österreichischen Hochschülerschaft und den Rektor_innen. Zahlreiche Universitäten erklärten den 17. Dezember zum vorlesungsfreien Tag, um den Studierenden die Teilnahme an den geplanten Großdemonstrationen zu ermöglichen, die Universitätenkonferenz beschloss, als Zeichen des Protests für den Verlust des eigenständigen Wissenschaftsministeriums die Unis schwarz zu beflaggen. Der ehemalige Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle beklagte in einem Interview den brutalen Umgang der Politik mit der Wissenschaft, auch Christoph Badelt, der Rektor der Wirtschaftsuniversität, sparte nicht mit Kritik. Selbst die VP-nahe AktionsGemeinschaft (AG) forderte in einem offenen Brief an Wirtschafts- und Neo-Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner von der ÖVP die Wiedereinrichtung eines eigenen Wissenschaftsressorts. Auch außerhalb von Universitäten und Politik formiert sich breiter Widerstand: die Facebook-Gruppe „Österreich braucht ein Wissenschaftsministerium“ erreichte innerhalb weniger Tage über 50.000 „Gefällt mir“-Angaben – eine Zahl von der die Koalitionspartner nur träumen können.

Foto: Dieter Diskovic

Wissenschaftsministerium: gegründet 1970 von Bruno Kreisky, aufgelöst 2013 von Werner Faymann

Es ist schwer zu sagen, ob hinter der Auflösung des Wissenschaftsministeriums ein größerer Plan steht oder ob die Umstrukturierung hauptsächlich aus den für die große Koalition typischen Machtkämpfen um unzählige Partikularinteressen verschiedener Landesgruppen und Lobbys entstanden ist. Tatsache ist jedoch, dass neben der verheerenden Symbolik auch eine reale Gefahr von dieser Fusion ausgeht. Bereits in den letzten Jahren war eine Unterordnung der Universitäten und der Wissenschaft unter Wirtschaftsinteressen klar erkennbar: sei es durch eine Verschulung der Universitäten, dem finanziellen Aushungern von Sozial- und Geisteswissenschaften, das bis zur Auflösung des systemkritischen Bachelor-Lehrgangs „Internationale Entwicklung“ reicht, oder der Benennung der neuen WU-Räumlichkeiten nach ihren Sponsoren („Red Bull Auditorium“, „Siemens-Auditorium“ etc.).  Oder, wie es die ehemalige Studierendenvertreterin und Neoabgeordnete (Die Grünen) Sigrid Maurer auf ihrem Blog ausdrückt: „Die Aufgabe der Hochschulen und der Wissenschaft liegt aber nicht in der Sicherstellung ökonomischen Wachstums. [...] Es ist aber sehr wohl Aufgabe eines dem Anspruch nach demokratischen Staates, die Rahmenbedingungen für kritische Wissenschaft zu gewährleisten.“

Foto: Dieter Diskovic

Das Thema ist mitnichten ein Neues. Schon die im Jahr 2009 entstandene „Uni brennt!“-Bewegung kritisierte unter dem Motto „Bildung statt Ausbildung“ die Ökonomisierung der Universitäten. Die beherrschenden Themen waren der Bologna-Prozess, Studiengebühren und der freie Hochschulzugang. Auf die Solidarität der Rektor_innen konnte die Bewegung damals nicht zählen.  Bereits im Jänner 2010 waren alle besetzten Räumlichkeiten – auch auf Anweisung der Rektor_innen – von der Polizei geräumt. 

Foto: Dieter Diskovic

Diesmal steht der Protest auf breiteren Beinen. Es bleibt abzuwarten, ob die Regierung den Protest, der zu einem beträchtlichen Teil auch aus den eigenen Reihen kommt, ernst nimmt oder wieder auf die altbewährte Taktik des „Aussitzens“ setzt.

Foto: Dieter Diskovic

Dieter Diskovic (geb. 1979) studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und engagiert sich bei der Screaming Birds Aktionsgruppe.

Kenne deine Rechte

  • 29.12.2019, 17:56
Studieren in Österreich geht einher mit einigen interessanten Rechten und Pflichten - ein Überblick.

Am Anfang und während des Studiums mag es fremd erscheinen, sich mit rechtlichen Belangen auseinanderzusetzen. Allerdings kann rechtliches Wissen in vielen Situationen hilfreich sein, zum Beispiel, wenn negative Prüfungen passieren, ein Studienwechsel in Betracht gezogen wird oder man Gründe für eine Beurteilung erfahren will. Dieser Artikel soll einen kurzen Überblick über öffentliche Universitäten, Fachhochschulen und pädagogische Hochschulen geben; Privatuniversitäten haben dagegen kaum gesetzliche Regelungen.

Beschäftigen wir uns mit den öffentlichen Universitäten. Es können fünf verschiedene ordentliche Studienarten angeboten werden, das sind Bachelor-, Master-, Diplom-, Doktorats- und Erweiterungsstudien. Jedes angebotene Studium basiert auf einem Curriculum. Wir empfehlen dir, dich im Laufe deines Studiums einmal mit dem eigenen Curriculum auseinanderzusetzen – oft kommen interessante Wahlmöglichkeiten, Prüfungsmodalitäten und Anerkennungen vor. Auch Inhalte der Abschlussprüfung, so vorhanden, werden dort geregelt. Welche Typen von Lehrveranstaltungen existieren wird je nach Universität entweder in der Satzung oder im Curriculum selbst festgelegt.

Wie funktioniert die Beurteilung von Leistungen?

Die maßgeblichen Paragraphen legen hier das österreichische Schulnotensystem (Sehr gut, 1, bis Nicht Genügend, 5) fest, Zwischenbeurteilungen sind nicht möglich, ersatzweise aber „mit/ohne Erfolg teilgenommen“. Positiv absolvierte Prüfungen können genau einmal in zwölf Monaten, negativ absolvierte Prüfungen mindestens dreimal wiederholt werden. Viele Satzungen erlauben auch eine zusätzliche vierte Wiederholung: die Uni Innsbruck, Meduni Wien, Meduni Graz, TU Wien, TU Graz, Montanuni Leoben, WU Wien, Bildende Künste Wien, teilweise auch die JKU Linz und Vetmeduni Wien.

Was passiert, wenn ich den letzten Prüfungsantritt nicht bestehe?

Nach der letzten negativen Beurteilung erlischt die Zulassung zum Studium! Handelt es sich um eine Lehrveranstaltung aus der Studieneingangs- und Orientierungsphase, kann man sich nach einem Jahr wieder zulassen und hat die volle Anzahl an Prüfungswiederholungen zur Verfügung, bei allen anderen heißt das leider, dass man Studien, in denen die negativ absolvierte Lehrveranstaltung verpflichtend vorgesehen ist, nicht mehr absolvieren kann.

Pädagogische Hochschulen: Seit der Einführung der Lehramtsverbünde hat sich das Studienrecht stark dem von Universitäten angenähert, wobei die Inhalte der Studien im Hinblick auf die Lehrer_innen-Ausbildung stärker festgelegt sind. Angeboten werden nur Diplom-, Bachelor- und Masterstudien. Fachhochschulen sind ein weiteres interessantes Gebiet: Im Gegensatz zu öffentlichen Universitäten geht man mit dem Studium hier einen privatrechtlichen Ausbildungsvertrag ein, bei dem die ÖH leider von einigen Problemen zu berichten weiß. Während Aufnahmeverfahren an Universitäten nur teilweise umgesetzt werden, sind sie an Fachhochschulen fast überall Usus; auch werden Fachhochschulen in der Regel bis zu 363,36€ Studienbeitrag pro Semester einheben. Anwesenheitspflicht ist die Regel, aber auch Studienabschlüsse in Mindeststudienzeit - nach diesem Kriterium haben sich Curricula und Prüfungen zu richten. Fachhochschulen, Universitäten und pädagogischen Hochschulen gemein sind Regeln zur Anerkennung von Leistungen. Wechselst du beispielsweise das Studium, kann es oft vorkommen, dass diverse Lehrveranstaltungen gleichwertig sind – hier kannst du dich an das zuständige studienrechtlichen Organ, also die Studiengangsleitung, das Studiendekanat oder eine ähnliche Institution wenden und vermeiden, dass du dich über diese Kenntnisse erneut prüfen lassen musst. Im Zweifel schadet auch Nachfragen bei der Studienvertretung nicht.

Auf Universitäten, Fachhochschulen und pädagogischen Hochschulen gilt für sechs Monate Einsichtsrecht in Prüfungsprotokoll und Unterlagen, es dürfen auch Kopien davon gemacht werden (mit Ausnahme von Multiple-Choice Prüfungen, die dürfen nur an FHs kopiert werden). Wir empfehlen dir, dieses Recht auch wahrzunehmen - zumindest erfährst du so, was du bei späteren Prüfungen besser machen kannst. Interessant wird es bei gemeinsam eingerichteten Studien, wie sie theoretisch zwischen allen Hochschulformen organisiert werden können: Hier können die Rektorate gemeinsam festlegen, welche studienrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung kommen. In der Praxis begegnet man dieser Form beispielsweise in den Lehramtsverbünden oder dem Kooperationsprojekt NAWI-Graz. Des Weiteren können mit internationalen Partnerhochschulen sogenannte joint, double und multiple degrees eingerichtet werden, typischerweise verbringt man dann Teile des Studiums an einer anderen Hochschule im Ausland.

#oeh15 Wahlwatch

  • 07.04.2015, 08:36

Im Wahlwatch-Ticker halten wir euch darüber am Laufenden, was im Wahlkampf zur ÖH-Wahl 2015 (19. bis 21. Mai) passiert.

14. April: Zu viele Ideen für eine Headline

An den meisten Hochschulen sind die Ferien vorbei, bla bla, eh schon wissen. So richtig in Fahrt kommen will der ÖH-Wahlkampf aber noch nicht. Die ersten Stürme in Fettnäpfchen fassen wir trotzdem hier für euch – wie gewohnt neutraler als die Schweiz und fast ernster als ein Rudel Lachhyänen – zusammen: 

 

  • Gerüchteweise sammelt DIE PARTEI Unterstützungserklärungen und will zur kommenden Wahl antreten. Wieso das eher peinlich als lustig werden wird, haben wir schon einmal kommentiert.
     
  • „Für dich erreicht“, meint die AG und wirbt in einem Video mit einem Projekt, das allerdings nicht explizit ein AG-Projekt ist. Eine AG-BOKU-Funktionärin erklärte im Werbefilm, dass sie über ein Erstsemestrigentutorium bzw. die Tutoriumswoche zur AG gekommen war und legt als Tutorin allen von ihr betreuten Tutlingen nahe, selbst zur AG zu kommen. Das – wie es eigentlich schon im Namen steht – unabhängige Tutoriumsprojekt kündigt nun Konsequenzen an: „Dieser Umstand wird im Genehmigungsprozess zukünftiger Projekte berücksichtigt werden müssen, da es sich bei einem solchen Vorgehen um einen eklatanten Missbrauch unseres Vertrauens handelt.“ Konkret heißt das, dass dank AG der finanzielle Zuschuss des Wissenschaftsministeriums an die ÖH BOKU für die dort veranstalteten Erstsemestrigentutorien wegfallen könnte, weil das im Video beschriebene Verhalten, also Fraktionswerbung während der Tutorien, verboten ist.
     
  • Auch der VSSTÖ weiß es, mit Projekten und Errungenschaften der ÖH Bundesvertretung für sich Werbung zu machen – wie viel von den Projekten explizit von VSSTÖ-Mitgliedern umgesetzt wurden, sei dahingestellt, eins stimmt jedoch nicht: Die geschlossenen progress-Workshops, die laut dem VSSTÖ „für Studentinnen“ angeboten wurden, waren FLIT*-only, also auch offen für inter*- und trans* Menschen. Der für unseren Wahlwatch extra von progress engagierte Politikwissenschaftler und Experte Für Eh Alles Dr. rer. hort. Feter Pilzmeier munkelt, dass diese Taktik (transfraktionäre Projekte als eigene zu verkaufen) ein Hauptbestandteil jeden Wahlkampfs ist und dass wir davon noch einiges sehen werden. 
     
  • Die Junos haben ihr Budget offen gelegt, weil ihnen die Budgets der ÖH nicht transparent genug sind. So können wir nun auf einer hübschen Webseite lesen, dass eine Person mit dem Nachnamen Strolz den Liberalen 300 Euro gespendet hat. Die Daten kommen – untypisch für OpenData-Initativen, dafür aber sehr österreichisch – nicht als Excel- oder CSV-Datei daher, sind dafür aber attraktiver als die eingescannten PDFs der ÖH.
     
  • Das vorläufige Wähler_innenverzeichnis liegt bis heute (14.4.) auf. Wer Shelfies (Selfies mit dem Bücherregal) und Fellfies (Selfies mit flauschigen Bauernhoftieren) schon blöd fand – nun ja, seht selbst:Im Sinne der Parität müssen wir hier noch einfach irgendein Foto des aktuellen Vorsitzteammitglieds der FEST verlinken, die es offenbar nicht geschafft hat, mit den 14.975 Seiten (die ausgedruckt werden müssen) abgelichtet zu werden. 
     
  • Wir bekommen Konkurrenz! Eine Lehrveranstaltung des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien wird unter dem vielsagenden Titel „ÖH Wahl Wien“  über die Wahl berichten: oeh.wahl.wien


7. April: Was bisher geschah…

Vom hoffentlich erholsamen Osterwochenende melden wir uns nun mit Breaking News (!!!111einself) zurück: der ÖH-Wahlkampf hat nun wirklich begonnen! Traditionell gibt es vor Ostern immer schon ein kleines Wahlkampflüftchen, das abflaut, wenn ihr bei eurer Family Eierpecken seid und erst nach den Ferien so richtig in Fahrt kommt. 

  • Die Junos präsentierten ihre dreiköpfige Spitze und vergaßen bei der Pressekonferenz, die Namen der weiblichen Kandidati*innen zu nennen. Die erste Wahlkampfforderung: Weg mit dem (Print-)Progress!
     
  • Der VSSTÖ stellte Spitzenkandidatin und Wahlkampfthemen vor. Der Slogan „Her mit dem ganzen Leben“ ist baugleich mit dem geflügelten Wort „Her mit dem schönen Leben“, das schon in vergangenen GRAS- und KSV-Kampagnen herhalten musste. Forderungen: Bessere und billigere Wohnungen und Öffis sowie fairere Jobs. Wie die ÖH, die weder Finanz-, Verkehrs- oder Wirtschaftsministerium ist, diese Forderung umsetzen soll, ist noch unklar.
     
  • Die ÖVP-Vorfeldorganisation AG behauptete auf ihrer Website, parteiunabhängig zu sein. Abgesehen davon, dass das für alle auch nur marginal informierten Menschen eine lächerliche Behauptung ist – auf den Lo-Fi-AG-Plakatständern, die online für viel Belustigung sorgten, finden sich halt einfach auch noch Reste alter ÖVP-Plakate.

 

  • Die FEST stellte am 1. April die zwei Spitzenkandidat*innen vor und lädt zum Wahlkampfauftakt ein, ohne unerwähnt zu lassen, dass „ehrliche Vertretungsarbeit“ in ihren Augen „kein Ponyhof“ sei und dass sie deshalb gerne noch Unterstützung annehmen.
     
  • Die ÖH-BOKU veröffentlichte ein Video zum leichteren Verständnis der verschiedenen ÖH-Ebenen, die gleichzeitig gewählt werden – Vogelgezwitscher und Blumenschmuck inklusive. An der TU gibt’s ein schönes handgeschriebenes Plakat, dass die Vertretungsebenen erklärt.
     
  • An der Med-Uni Wien entsteht im Zusammenschluss von ehemaligen der UFMUW und der ÖMU sowie unfraktionierten Studierenden eine parteiunabhängige Gruppe: WUM. In einem stimmungsvollen Film mit Plätschermusik zeigen sie uns schonmal, dass sie Logos designen und Wahlkampfvideos drehen können.
     
  • Die Uni-Piraten treten dieses Jahr nicht zur ÖH-Wahl an – zu wenig Personal. Ein paar Tage zuvor hatte Piratebay-Co-Gründer Peter Sunde die Piratenbewegung für tot erklärt.

Vertreten auf bayrisch

  • 27.10.2014, 13:08

In 15 von 16 deutschen Bundesländern gibt es sogenannte „Verfasste Studierendenschaften“, nur in Bayern nicht. StudierendenvertreterInnen kämpfen dort schon seit Jahrzehnten für mehr Mitspracherecht an den Hochschulen.

In 15 von 16 deutschen Bundesländern gibt es sogenannte „Verfasste Studierendenschaften“, nur in Bayern nicht. StudierendenvertreterInnen kämpfen dort schon seit Jahrzehnten für mehr Mitspracherecht an den Hochschulen.

Nach der luxemburgischen Studienvertretung werfen wir in unserer Serie diesmal einen Blick auf Deutschland und besonders Bayern.

Im Unterschied zu Österreich, wo die Studierendenvertetung an den öffentlichen Hochschulen bundesweit einheitlich organisiert ist, sieht die Situation in Deutschland etwas anders aus. In den letzten Jahrzehnten haben sich dort verschiedene Formen der Studierendenvertretung herausgebildet. Diese Entwicklung gilt als Resultat des sogenannten „Bildungsföderalismus“ – also des auf Bundesebene noch immer eingeschränkten deutschen Hochschulrechts. Die bundesweite Vertretung, die mit der Bundesvertretung der ÖH vergleichbar ist, bildet in Deutschland der Verein freier zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs). Mit rund 90 Mitgliedsorganisationen vertritt der fzs etwa eine Million Studierende.

Darüber hinaus hat in der Regel jede deutsche Hochschule eine sogenannte „Verfasste Studierendenschaft“. In den meisten deutschen Bundesländern bildet der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) an den Hochschulen deren geschäftsführendes Organ. Der AStA wird in der Regel vom Studierendenparlament gewählt. In machen Teilen Deutschlands, etwa in Ostdeutschland, gibt es anstatt der AStAs sogenannte Studierendenräte. Die AStAs vertreten die politischen Interessen sowie die sozialen und wirtschaftlichen Belange der Studierenden. In der Regel ist die Mitgliedschaft in den Verfassten Studierendenschaften gesetzlich geregelt und beginnt mit der Immatrikulation. Die Verfassten Studierendenschaften finanzieren sich, wie die ÖH, weitgehend über die Beiträge ihrer Mitglieder.

Kein Mitspracherecht. Verfasste Studierendenvertretungen gibt es in allen deutschen Bundesländern bis auf Bayern. Auch dort ist die Vertretung der Studierenden zwar im Landeshochschulgesetz verankert – jedoch sind dafür weit weniger Kompetenzen vorgesehen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist ihre Funktion stark eingeschränkt: Die Studierendenvertretungen organisieren sich in Bayern im Studentischen Konvent und haben kein allgemeinpolitisches Mandat. Daneben existieren zahlreiche Vereine, die von Studierenden gegründet
wurden, um die Studierendenvertretungen zu unterstützen.

Daniel Gaittet, 22, Student der Medienwissenschaft, Politikwissenschaft und Philosophie, war jahrelang in der Studienvertretung an der Uni Regensburg aktiv, heute ist er im Vorstand des fzs tätig. Während seiner Arbeit als Studierendenvertreter wurden die Probleme der Situation in Bayern für ihn immer wieder spürbar: „Eine der Herausforderungen für die Arbeit von Studierenden in nicht verfassten Studierendenvertretungen ist ihre miese finanzielle Situation, die die Vertretungsarbeit erschwert“, meint Daniel.

Hilfe für Bayern. Denn während Verfasste Studierendenschaften von ihren Mitgliedern Beiträge erheben dürfen, um ihrer Vertretungsaufgabe nachzukommen, müssen sich die Studienvertretungen in Bayern bei der Finanzierung von Projekten ganz auf das Budget und den Willen ihrer Hochschulen verlassen. Vor allem im Streit um Studiengebühren wurde sichtbar, was das in der Realität bedeutet: „Im Kampf gegen die allgemeinen Studiengebühren waren wir oft auf finanzielle Unterstützung aus anderen Bundesländern angewiesen. Denn Geld gibt es in Bayern nur für Projekte, die die Hochschule auch unterstützt.“ Weil sie diesen Einfluss auf die Studierendenvertretungen nicht verlieren wollen, wehren sich manche RektorInnen bayrischer Hochschulen gegen die Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaften.

Finanzielle Unterstützung aus anderen Bundesländern bekommen die bayrischen Studierenden glücklicherweise aber immer wieder, etwa aus den Solitöpfen des fzs oder gar von einzelnen Studierendenschaften. Sie greifen den bayrischen Vertretungen immer wieder unter die Arme, damit auch sie politische Arbeit leisten können. Für Daniel bedeutet das, Projekte wie etwa die bundesweiten Aktionstage gegen Sexismus und Homophobie oder antirassistische Aktionswochen wie das festival contre le racisme realisieren zu können.

Die Politik blockiert. Dass die Ablehnung eines politischen Mandats der Studienvertretung
in Bayern aber nicht nur an vielen regionalen Hochschulen, sondern auch und vor allem in der Landespolitik groß ist, zeigte sich immer wieder in der Vergangenheit. Es ist bezeichnend, dass es nur in den Bundesländern Bayern und BadenWürttemberg überhaupt zu einer Abschaffung der Verfassten Studierendenschaft gekommen ist. Auch der Fall Baden-Württemberg zeigt, wie die Landespolitik die Hochschulpolitik blockieren kann. 58 Jahre lang gab es dort keine Verfasste Studierendenschaft. 58 Jahre lang war die CSU an der Macht. Erst ein Regierungswechsel 2011 brachte Veränderung und eine Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaften.

In Bayern kommt immer dann der lautstarke Protest der konservativen CSU auf, wenn die Forderung nach einer Wiedereinführung vorgebracht wird. „Der Begriff der Verfassten Studierendenschaft ist zu einem Kampf begriff geworden, den vor allem ihre GegnerInnen ideologisch aufladen“, meint Daniel. „Der Begriff allein sorgt bei der CSU inzwischen für Gesprächsblockaden. Im Moment ist die Diskussion über die Wiedereinführung einer Verfassten Studierendenschaft in Bayern erstarrt.“

In den letzten Jahren wurde in den meisten deutschen Bundesländern die Rechtslage in Hinblick auf das politische Mandat der Studienvertretungen erweitert – nur eben in Bayern nicht. Dass die Verfasste Studierendenschaft dort 1973 – also nach den berüchtigten 68ern – gekappt wurde, war kein Zufall. Vielmehr ist ihre Abschaffung als ein klarer Bruch mit einer Zeit zu verstehen, in der es normal war, dass Studierende sich zu gesellschaftspolitischen Verhältnissen äußerten und dagegen protestierten. Daniel ist überzeugt, dass sich an der aktuellen bayrischen Situation aber so schnell nichts ändern wird: „Ich glaube nicht, dass es mit der CSU eine Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft in Bayern geben wird. Aber der Kampf dafür geht weiter.“   

Simone Grössing studiert Politikwissenschaft an der Uni Wien.

 

Die Enthauptung der Wissenschaft

  • 18.12.2013, 16:55

Die Eingliederung des Wissenschafts- und Forschungsministerium ins Wirtschaftsministerium lässt die Wogen in Österreich hochgehen: Kritiker_innen befürchten die Unterwerfung der Wissenschaft unter wirtschaftliche Interessen. Gabriel Binder hat über die am 17.12.2013 von der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) organisierte Demonstration eine Reportage geschrieben.

Das hätte sich die „neue“ rot-schwarze Bundesregierung wohl einfacher vorgestellt. Die Eingliederung des Wissenschafts- und Forschungsministerium ins Wirtschaftsministerium lässt die Wogen in Österreich hochgehen: Kritiker_innen befürchten die Unterwerfung der Wissenschaft unter wirtschaftliche Interessen. Die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) hat daher am 17.12.2013 zu einer Kundgebung unter dem Titel „Demonstration gegen die neue-alte Regierung“ aufgerufen.

Es ist Nachmittag, Viertel nach vier. Nicht nur der Himmel beginnt sich langsam zu verdunkeln, auch die Fahnen vor der Universität Wien scheinen an Farbe verloren zu haben. Denn inmitten der Universitätsfahnen säuselt im leichten Wind eine schwarze Flagge. Eine solche soll „als Zeichen des Protests gegen den Verlust des eigenständigen Wissenschaftsministeriums“ vor allen Universitäten dieses Landes angebracht werden, so beschloss es die Universitätenkonferenz in Graz einstimmig.

Foto: Dieter Diskovic

Nur wenige Meter neben den Fahnen vor dem Universitätsgebäude steht Viktoria Spielfrau, Generalsekretärin der ÖH, die für die Presse neben einem Banner („Space Invaders against Bildungsökonomisierung“) Spalier steht. Ich komme mit ihr ins Gespräch und stelle fest, dass diese Frau weiß, wovon sie spricht, wenn sie auf die Gefahr hinweist, die eine Eingliederung des Wissenschaftsressort in das Wirtschaftsministerium mit sich bringt. Über die Gefahr, einen Trend zu bestärken, der in die Richtung geht, dass besonders die Sozial- und Geisteswissenschaften, die keinen „ökonomischen Mehrwert“ erzeugen, gestrichen werden. Sie erwarte eine gut besuchte Demonstration, denn sogar aus anderen Bundesländern hat sich Unterstützung angekündigt.

Foto: Dieter Diskovic

Die Menschen strömen aus allen Richtungen vor die Universität und den Eingang zum Audimax, doch es bleibt noch ein wenig Zeit, sich mit einem Demonstrationsteilnehmer zu unterhalten, dem die mögliche Ökonomisierung der Wissenschaft ein Dorn im Auge ist. Jakob ist 23 Jahre alt und studiert Politikwissenschaften und Internationale Entwicklung. Er betrachtet die Lage nüchtern und erklärt die Problematik aus seiner Sicht: „Natürlich werden Studienabsolvent_innen irgendwann in der Wirtschaft arbeiten, oder für die Forschung, oder für die Politik. Aber auf der Forschungsebene hat Wirtschaft mit der Wissenschaft gar nichts zu tun. Mal abgesehen davon, dass es problematisch wird, wenn man alles der Wirtschaft unterordnet.“ Ich hake nach und will von ihm wissen, ob er denn nun auch gegen die „neue-alte Regierung“ demonstriere, wurde doch die Kundgebung von der ÖH unter dieses Motto gestellt. „Ich weiß noch nicht genau was im Regierungsprogramm steht. Ich hab von Expert_innen viel Negatives gehört, aber ich will mich davon selbst überzeugen. Heute ist das Wissenschaftsministerium vorrangig.“ Eine klare Ansage. Es scheint wohl mehr im Argen zu liegen, dem es auf die Spur zu gehen gilt.

Foto: Dieter Diskovic

Ich bedanke mich bei ihm und bemerke, dass sich die Teilnehmer_innenzahl in kurzer Zeit verdoppelt hat. Man muss sich nun schon durch die Menschenmenge zwängen und geduldig sein, will  man vorankommen. Ein wenig schwerer hat man es, wenn man sein eigenes Fahrrad mit auf die Demonstration genommen hat. „Man soll auf Demonstrationen kein Fahrrad mitnehmen“, stellt eine junge Dame resignierend seufzend und im Menschenpulk steckend fest. Ein anderer Herr wirkt schon ein wenig ungeduldiger und kämpft sich beißend durch „diese Demonstranten“ und bekrittelt verärgert das „Herumstehen“ der Demonstrant_innen. Wären die beiden zehn Minuten später gekommen, hätte sich ihnen wohl weniger Widerstand in den Weg gestellt.
Foto: Dieter Diskovic

Wissen schafft keine Ministerien ab

In der Zwischenzeit, aufgewärmt durch Iggy Pops „The Passenger“ aus dem Lautsprecherwagen, hat sich  die Demonstration langsam in Bewegung gesetzt und biegt in die Schottengasse ein. Das Ziel: das Wissenschaft- und Forschungsministerium am Minoritenplatz. Wie am Tag zuvor sollen Totenkerzen angezündet und vor den Toren des ehemals eigenständigen Ministeriums abgelegt werden (siehe: Wer hat uns verraten?). Viele Plakate mit Slogans werden mit auf den Weg geschickt, auch ein großes Banner mit der Aufschrift „Wissen schafft keine Ministerien ab“ soll sein Ziel erreichen.

Foto: Dieter Diskovic

Wie eine Walze rollt die Demonstration lautstark durch die Häuserschluchten der Schottengasse und Herrengasse in Richtung Michaelerplatz. Die Wände werfen den Lärm gebündelt in die kalte Nacht und garantieren, dass bestimmt jede_r Bewohner_in in den zu der Kundgebung angrenzenden Wohnungen dem Anliegen der Protestierenden Aufmerksamkeit schenken muss. Und sollte man trotzdem auf taube Ohren stoßen, schafft ein Megafon Abhilfe: „Wir sind hier und wir sind laut, weil ihr uns die Bildung klaut.“ Vor dem Café Central wird die Demonstration mit Staunen aufgenommen, ab und an wird ein Handyfoto geschossen, überall hört man Pfeifen und Parolen, trifft aber manchmal in verschriftlichter Form auch auf diskussionswürdige Vorschläge. So wird angeraten, doch Albus Dumbledore, den charismatischen und gebildeten Zauberer aus Harry Potter, zum neuen Wissenschaftsminister zu krönen. Ob im Gegenzug Reinhold Mitterlehner das Zaubern lernen muss, bleibt jedoch offen.

Foto: Dieter Diskovic

Wo sind die Securities?
Doch es bedarf keiner Magie, um auf „besondere“ Momente einer Kundgebung zu stoßen. Ein offenes Auge und der bereits wartende Demonstrationszug von der Technischen Universität Wien (TU) genügen vollkommen, um beiden Kundgebungszügen ein Pfeifkonzert zu entlocken. Wenige Minuten später ist der Michaelerplatz gesteckt voll und aus dem Café Griensteidl, das anno dazumal literarischen Größen wie Karl Kraus und Arthur Schnitzler ein gern besuchter Ort war, ist ein Entkommen beinahe unmöglich geworden. Bis auf die Stiegen haben sich die Demonstrant_innen zurückgezogen, immer noch hält der Zustrom an Menschen an und zwingt viele, auf unliebsames Gelände auszuweichen. Ich versuche mich auf die andere Seite des Michaelerplatzes zu schlagen, um mir einen besseren Überblick verschaffen zu können, werde aber neugierig, als ich bemerke, wie ein älterer, englischsprechender Herr sich bei einer Kundgebungsteilnehmerin nach dem Grund der Demonstration schlaumacht. Bereitwillig gibt die Frau dem höflichen Herrn Auskunft, bis dieser nachfragt, wo denn die Securities seien. „Es gibt keinen Grund für Securities, weil es auch keine Gewalt gibt“, antwortet sie ihm. Und tatsächlich zeichnet sich die Demonstration als friedlich aus, die Polizei hatte noch keinen Grund gefunden einzugreifen.

Foto: Dieter Diskovic

Frittenbudes Totenkerzen

Wir warten lange und kurz vor dem Aufbruch zum Minoritenplatz hört man Jubel und ein Trillerpfeifkonzert aufbranden. Ich kann nur vermuten, dass nun auch der Demonstrationszug der Universität für Bodenkultur (BOKU) aus dem 18. Bezirk angekommen ist. Wissen kann ich es in diesem Moment nicht, zu viele Menschen verhindern nun, einen guten Überblick über die Massen behalten zu können. Laut späteren Schätzungen sollen sich bis zu 7.000 Menschen an den Protesten in Wien beteiligt haben – österreichweit (Salzburg, Graz, Innsbruck, Klagenfurt) in Summe sogar bis zu 10.000.

Foto: Dieter Diskovic

Nach etwa 20 Minuten zieht die Demonstration weiter: der Weg vom Michaelerplatz zur Abschlusskundgebung in Richtung Minoritenplatz wird gemächlich angegangen, die Schauflergasse erweist sich als geduldig und lässt nur einen begrenzten Zustrom an Menschen gewähren. Ein paar wenige Reihen vor mir ragt auf einen Pappkarton gemalt ein weiß-blaues Zeichen eines bekannten Automobilherstellers aus München auf, ergänzt mit dem Kürzel des Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Das neue Ministerium unter den Fittichen eines Sponsors, in der neu gebauten Wirtschaftsuniversität beim Prater kein Zukunftsgeplänkel mehr: dort tragen bereits Hörsäle die Namen von finanzkräftigen Marken.

Foto: Dieter Diskovic

Die Abschlussreden am Minoritenplatz vor dem (ehemaligen?) Ministerium für Wissenschaft und Forschung ist nicht für alle Menschen zu hören, denn zu groß und weit gestreut ist die Demonstration bereits. Der natürliche Lärmpegel wird mit Rufen, Pfeifen und Trommeln angereichert. Es gelingt mir trotzdem, ein paar Worte von Janine Wulz, der ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der ÖH, aufzuschnappen, die sich vor einem Transportkraftwagen positioniert hat. Wulz sieht in den Politiker_innen einen Mitgrund am Demokratieabbau in Österreich. Alle weiteren Worte frisst das lautstark knatternde Aggregat neben ihr.

Foto: Dieter Diskovic

Ich schiebe mich langsam aus dem Nahbereich der Demonstration und mache eine Runde um die Minoritenkirche, vorbei am Bundesministerium für Inneres und zurück vor das Wissenschaftsministerium. Ein paar wenige Totenkerzen leuchten in ihren roten Behältnissen zu den Klängen von Frittenbude, während viele Menschen den Platz bereits wieder verlassen. Vereinzelt ragen noch schwarze Fahnen aus der Demonstration in die Höhe. Die Regierung wird weiterhin gezwungen sein, den Sozialstaat zu beschneiden und sich somit am Abbau des Sozialstaates und der Ökonomisierung der Gesellschaft beteiligen. Vielleicht wird die schwarze Fahne in Zukunft zum Protestsymbol einer neuen Bewegung, die sich endgültig aus der Umklammerung jener wird lösen wollen, die längst kein Gehör mehr für die Ängste und Sorgen der Menschen haben.

Foto: Dieter Diskovic

Gabriel Binder (geb. 1987) lebt in Wien und ist Angestellter und freier Schriftsteller und mitunter bei der Aktionsgruppe Screaming Birds tätig.

Zurückbleiben bitte!

  • 12.06.2013, 10:32

In Österreich erreichen nur fünf Prozent jener Kinder, deren Eltern einen Pflichtschulabschluss aufweisen, einen Hochschulabschluss. Claudia Aurednik hat mit dem Bildungssoziologen Ingolf Erler über die Probleme von Studierenden und AkademikerInnen aus der sogenannten „Workingclass“ sowie über die Fallstricke des österreichischen Bildungssystems gesprochen.

In Österreich erreichen nur fünf Prozent jener Kinder, deren Eltern einen Pflichtschulabschluss aufweisen, einen Hochschulabschluss. Claudia Aurednik hat mit dem Bildungssoziologen Ingolf Erler über die Probleme von Studierenden und AkademikerInnen aus der sogenannten „Workingclass“ sowie über die Fallstricke des österreichischen Bildungssystems gesprochen.

Ausschnitt aus dem Interview:

„Folgende Parameter sind für die Bildungslaufbahn entscheidend: der Geburtsort, der schulische Abschluss der Eltern und des sozialen Umfeldes, das Wohnviertel, die Lage der nächsten Schule, das Geschlecht des Kindes, das Einkommen der Eltern usw. Wenn man die Parameter weiß, so kann man relativ gut einschätzen wo das Kind einmal später landen wird. […]

Natürlich ist es ein Unterschied, ob man seine ganze Kindheit über AkademikerInnen am Sonntagstisch beim Essen gehabt hat, oder ob man AkademikerInnen nur als ÄrztInnen, ApothekerInnen und Lehrer in der Schule kennt. Kinder aus AkademikerInnenfamilien haben da einen ganz anderen Bezug. Sie merken, dass AkademikerInnen keine natürlichen Autoritäten sind, sondern Menschen mit denen man ganz normal reden kann. In Studien zeigt sich, dass gerade bei mündlichen Prüfungen dieser Unterschied ganz stark hervortritt. Denn bei in der Prüfungssituation ist die Inszenierung besonders wichtig. Zudem lassen sich Menschen aus unterprivilegierten Familien viel leichter einschüchtern und suchen die Fehler vor allem bei sich selbst. Auch die Autorität der Lehrenden wird von ihnen kaum hinterfragt. […]

Der universitätere Habitus wirkt auf „Workingclass Students" oft einschüchternd. Foto: Wolfgang Bankowski

Das Bildungssystem wird über Steuern finanziert und das ist auch sinnvoll. […] Aber da das Bildungssystem über Steuern finanziert wird, müssen die Universitäten und die höheren Schulen darauf achten, dass sie die öffentlichen Ausgaben auch wieder an die Gesellschaft zurückgeben. Eine der Grundvoraussetzungen dafür ist, dass sie halbwegs sozial und gleichberechtigt Leute aufnehmen und auch gleichberechtigt ihr Wissen an die Gesellschaft zurückgeben. Und das nicht nur einmal im Jahr bei einer ‚Langen nach der Forschung‘, sondern das ganze Jahr über. Das würde bedeuten, dass sich die Universitäten öffnen müssten, was wiederum dem Bild der Universität als elitäre Einrichtung widerspricht [...] Aber wenn Forschung und Lehre nur an wenige Gruppen in der Gesellschaft weitergegeben werden, dann darf man sich nicht wundern, dass die ÖsterreicherInnen so intellektuellen- und wissenschaftsfeindlich sind."

 

Ingolf Erler (Hg.): Keine Chance für Lisa Simpson? Soziale Ungleichheit im Bildungssystem. Wien: Mandelbaum Verlag 2007.

Ingolf Erler: http://www.ingolferler.net/

Zeit oder Geld

  • 31.03.2013, 23:08

Substandardwohnungen, Aushilfsjobs und trotzdem kein Geld. Vor allem für Studierende aus sozial schwachen Familien tun sich Lücken in Österreichs Sozialnetz auf.

Substandardwohnungen, Aushilfsjobs und trotzdem kein Geld. Vor allem für Studierende aus sozial schwachen Familien tun sich Lücken in Österreichs Sozialnetz auf.

Eine 30-Quadratmeter-Substandardwohnung in Wien Margareten, nur wenn man ein Brett über die Dusche legt, kann man gemütlich aufs Klo gehen. Geheizt wird mit einem Gaskonvektor, im Winter klettert die Temperatur oft nicht über 18 Grad. So wohnt Sina derzeit, sie lebt von 600 Euro im Monat. 290 Euro kostet die Miete für ihr Zimmer mit kleiner Küche im Vorzimmergang, 100 Euro Energiekosten kommen dazu. Die 26jährige Studentin zündet sich eine Zigarette an – auf dieses Laster möchte sie nicht verzichten.   Etwa 100 Euro im Monat hat sie für Zigaretten veranschlagt, mehr als für Essen. In manchen Monaten kommt sie mit 80 Euro für Lebensmittel aus. „Jede neue Jeans ist eine Investition, auf die ich sparen muss. Shoppen gehe ich gar nicht“, erzählt die Romanistikstudentin. Sie arbeitet vier Abende die Woche in einem großen österreichischen Möbelhaus, für achtzehn Stunden  verdient sie etwa 450 Euro. Von ihren Eltern kommen weitere 150 dazu, sie übernehmen auch die Studiengebühren.

Anspruch auf Studienbeihilfe hatte sie nie, die Eltern verdienen zu viel. Und das, obwohl Sinas Mutter schon seit Jahren nicht mehr arbeitet, der Vater ist Alleinverdiener. Er kann die Studentin nur mit kleinen Beiträgen unterstützen. „Einfach mal nur studieren wäre schon toll“, meint die gebürtige Deutsche.

Stipendium, nicht für alle. Damit sich Studierende aus sozial schwächeren Familien, in denen die Eltern keinen oder nur einen sehr kleinen Beitrag leisten können, auf ihr Studium konzentrieren können, hat der Staat Österreich die Studienbeihilfe vorgesehen. Bis zu 679 Euro werden pro Monat überwiesen. Laut Studierenden-Sozialerhebung im Jahr 2011 erhalten 22 Prozent der  österreichischen Studierenden Unterstützung vom Staat – in Form von konventioneller Studienbeihilfe, Selbsterhalterstipendium oder Studienabschluss-Stipendium. Doch die Kriterien sind streng, arbeiten beide Eltern Vollzeit, ist eine Zuerkennung  unwahrscheinlich. Berücksichtigt wird dabei nicht, ob die Eltern ihr Kind tatsächlich unterstützen, sondern nur das Einkommen.  BezieherInnen dürfen nicht mehr als 8000 Euro im Jahr dazuverdienen, das Studium darf nicht öfter als zweimal gewechselt werden  und muss in der vorgesehenen Zeit absolviert werden, ein Toleranzsemester inbegriffen. Wer erschwerende Umstände, wie eine  besonders aufwändige Diplomarbeit oder ein Auslandssemester, vorweisen kann, bekommt ein weiteres Semester Aufschub.

Doch was passiert, wenn sich das Studium länger hinzieht? Ab dem 25. Lebensjahr fällt die Familienbeihilfe weg, die Studienbeihilfe  ebenso, sobald die reguläre Studienzeit um ein Jahr überschritten wurde. „Da begann für mich der ewige Behördenweg“, erinnert sich  Maja. Plötzlich wollte niemand für die 25Jährige zuständig sein, die ein sieben Quadratmeter großes Zimmer im  Studierendenwohnheim Gasometer hatte. „Luxus war sowieso nie“, sagt Maja. Sie kommt aus einer finanziell schlechtergestellten  Familie, die Eltern in der Steiermark konnten sie nicht unterstützen. Studienbeihilfe und Familienbeihilfe garantierten der Studentin der Kultur- und Sozialanthropologie ein halbwegs sicheres Auskommen, jetzt blieb das Konto plötzlich leer. Die bedarfsorientierte  Mindestsicherung schien ein Ausweg, aber das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hält fest: „Ein Studium, selbst wenn es vor Vollendung des 18. Lebensjahres begonnen wurde, ist nicht als Erwerbs- oder Schulausbildung zu werten. Es stellt daher keine  Ausnahme für den Einsatz der Arbeitskraft dar. BezieherInnen der bedarfsorientierten Mindestsicherung müssen bereit sein, ihre  Arbeitskraft einzusetzen und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Dies kann im Falle eines Studiums in der Regel nicht angenommen werden.“

Ein Verweis auf Studienbeihilfe und Selbsterhalterstipendium folgen. Eine Lücke im sozialen Netz  Österreichs? Für Maja begann ein wochenlanger Amtsweg – vom Arbeitsmarktservice (AMS), wo man für sie als Studentin nicht zuständig sein wollte, zum Sozialamt  Magistratsabteilung 40 und wieder zurück. „Niemand wusste genau, wie mein Fall zu beurteilen ist“, erzählt sie. Schließlich doch  eine Auskunft: Kann die Antragstellerin versichern, dass das Studium innerhalb eines Jahres abgeschlossen wird und meldet sich gleichzeitig  beim AMS als arbeitssuchend, kann der Bezug der Mindestsicherung für ein Jahr gestattet werden. Maja war glücklich –  somit sie allerdings nicht gerechnet hatte, war der bürokratische Aufwand. Neben den regelmäßigen Terminen beim AMS musste sie  auch Bewerbungen nachweisen und Schulungen – etwa für richtiges Bewerben oder Computerbasiskenntnisse – besuchen.

Zwischendurch arbeitete sie immer wieder, denn Jobangebote durfte sie nicht ablehnen, auch wenn es eigentlich mehr Stunden  waren als vereinbart. Für die Diplomarbeit blieb dabei wenig Zeit, ein Jahr verging schneller als gedacht. Und plötzlich stand sie wieder da: ohne Job, ohne Versicherung und ohne Geld.

Sicherheitsnetz Eltern. Inzwischen hat Maja ihre Diplomarbeit abgeschlossen und steht kurz vor der Diplomprüfung. Um über die  Runden zu kommen, arbeitet sie derzeit 20 Stunden bei der Post, das AMS hat ihr diese Stelle vermittelt. Auch bei der Studierenden- Sozialerhebung erklärten viele der Befragten, finanzielle Schwierigkeiten zu haben. „Die Hauptgründe dafür sind, dass die Eltern  nicht mehr zahlen können und unerwartete Ausgaben“, schildert Angelika Grabher vom Institut für höhere Studien (IHS), das die  Studierenden-Sozialerhebung erstellt. Finanzielle Schwierigkeiten sind neben sozialer Herkunft und Migrationshintergrund auch  stark vom Alter abhängig: 42 Prozent der 29Jährigen klagen über Probleme. Inwiefern sich die Kürzung der Familienbeihilfe auf die finanziellen Schwierigkeiten auswirkt, ist statistisch noch nicht erfasst. „Allerdings führen ein Viertel der Studierenden mit Schwierigkeiten diesen Wegfall als Mitgrund für ihre Probleme an“, führt Grabher aus. Mariela hingegen kann sich auf ihre Eltern  verlassen, die 23Jährige Jusstudentin arbeitet nur in den Ferien.

Im vergangenen Sommer hat sie ein Praktikum bei einer Anwaltskanzlei absolviert. Ihr Zimmer in einer Wohngemeinschaft plus  monatliches Taschengeld für Essen, Shoppen und Freizeit übernehmen die Eltern, die beide selbst AkademikerInnen sind. „Da bin ich echt dankbar“, sagt sie. Der größte Vorteil: Sie kann sich völlig ungestört auf ihr Studium konzentrieren. Das zeigt auch der  Studienfortschritt, Mariela liegt gut in der Zeit, macht neben den großen Jusprüfungen auch ab und zu Kurse auf der Hauptuni.  „Meine Eltern wollen das aber auch sehen, ich dürfte sicher keine zehn Jahre brauchen“, erzählt die Wienerin. Wer keine oder zu wenig Unterstützung vom Staat und von der Familie erhält, muss sich selbst versorgen. Die meisten suchen sich wie Sina einen Job,  oft ist dieser nicht einmal studienrelevant. Auch für Praktika, die den Lebenslauf aufbessern und erste Berufserfahrung bringen,  hatte Sina nie Zeit. „Das ist sicher ein Nachteil bei der Arbeitssuche später“, sagt sie. Die Studierenden- Sozialerhebung 2011 zeigt,  dass 63 Prozent aller Studierenden im Sommersemester 2011 erwerbstätig waren. 47 Prozent sogar das ganze Semester durchgehend. „Eine Zunahme gibt es vor allem bei der durchgehenden Erwerbstätigkeit“, erklärt Grabher.

Dabei bleibt häufig das Studium auf der Strecke. Denn zehn Prozent der Befragten gaben an, 20 bis 35 Stunden in der Woche zu  arbeiten, bei elf Prozent waren es sogar über 35 Stunden. „Die Hälfte der erwerbstätigen Studierenden hat Probleme mit der  Vereinbarkeit von Studium und Erwerbstätigkeit“, so Grabher. Ein Drittel wolle die Arbeitsstunden reduzieren, um mehr Zeit fürs  Studium zu haben.

Studium vs. Arbeit. Acht Prozent der Befragten der Studierenden-Sozialerhebung können nur wenig (unter zehn Stunden pro Woche)  oder gar keine Zeit für ihr Studium aufwenden. Das liegt vor allem an ihrer umfassenden Erwerbstätigkeit. Viel Arbeit hat natürlich  auch Auswirkungen auf die Studiendauer: Für drei Viertel der Studierenden mit geringer Studienintensität  wird sich die Studiendauer über die Regelstudiendauer ausdehnen, rund ein Drittel wird wahrscheinlich doppelt so lang studieren wie in der Regelvorgesehen. Fallen aufgrund dieser Überschreitungen Beihilfen weg, muss noch mehr gearbeitet werden. Ein Teufelskreis zu Lasten des Studiums beginnt. Christoph hat den Vergleich: Sein Bachelorstudium in Volkswirtschaftslehre hat er noch ohne  Nebenjob absolviert, Studienbeihilfe und eine Substandardwohnung, die er zusammen mit seinem Freund bewohnte, haben ihm durch die ersten Semester geholfen. Seine Eltern konnten ihn nie unterstützen. Der Erfolg der reinen Studienzeit ist klar zu sehen:   Der 23Jährige ist inzwischen im Master und immer noch in Mindeststudienzeit.

„Eigentlich wollte ich nie arbeiten, das Studium war mir immer viel wichtiger“, erzählt er. Alser sich allerdings eine eigene Wohnung  suchen musste und die Mutter wieder zu arbeiten begann, sank die Studienbeihilfe, während die Fixkosten stiegen. „Bei der  Berechnung der Beihilfe wird nur das nominale Einkommen berechnet, Kredite der Eltern oder ob sie mir den Betrag tatsächlich  überweisen, spielt keine Rolle“, schildert er. Auf diese spezielle Situation könne keine Rücksicht genommen werden, lautete die  Antwort der zuständigen Stelle. Ohne Job ging es nicht mehr. 18 Stunden die Woche arbeitet Christoph bei einem  Wirtschaftsforschungsinstitut – zusammen mit der Studien- und Familienbeihilfe ergibt das ein solides Einkommen. „Aber natürlich  hat man viel weniger Zeit fürs Studium. Zuerst habe ich versucht, mein übliches Pensum an Lehrveranstaltungen zu  machen. Das war kein angenehmes Semester“, erzählt Christoph.

Die Entscheidung zwischen Arbeit und Studium hat auch weitere Nachteile: Ein Auslandssemester konnte Christoph nicht  absolvieren, obwohl er seine Zukunft nicht in Österreich sieht. Zuerst hatte er kein Geld, nun keine Zeit.

Kein Geld, kein Job. Ist das Wissenschaft?

  • 26.03.2013, 23:12

Neugier und Passion, Begabung und Mut – diese Eigenschaften werden als ideale Voraussetzung für eine wissenschaftliche Laufbahn gehandelt. Entmutigt werden junge WissenschafterInnen trotzdem an allen Ecken und Enden.

Neugier und Passion, Begabung und Mut – diese Eigenschaften werden als ideale Voraussetzung für eine wissenschaftliche Laufbahn gehandelt. Entmutigt werden junge WissenschafterInnen trotzdem an allen Ecken und Enden.

Klara* kocht Kaffee. Sie ist müde: „Ich habe bis spät in die Nacht gearbeitet.“ Neben ihrem Schreibtisch in ihrem WG-Zimmer in einer geräumigen Wiener Altbauwohnung liegt eine dicke Mappe, auf der in glänzenden Lettern groß PHD steht. Letztes Jahr hat Klara, wie unzählige andere Studierende, unter dem Druck auslaufender Diplomstudienpläne, ein sozialwissenschaftliches Studium an der Universität Wien abgeschlossen und stand damit vor der Frage: „Was nun?“ PhD lautete in Klaras Fall vorerst die Antwort, die ihr  selbst noch nicht so ganz geheuer ist.

„Insgesamt sind die Aussichten alles andere als gut“, konstatierte der Präsident des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF), Christoph Kratky, letztes Jahr bei den konservativen Alpbacher Technologiegesprächen in Bezug auf  wissenschaftliche Karrieren. Ein Jahr zuvor hatte der Chemiker seinem Sohn öffentlich davon abgeraten, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen. Unsicherheit ist der wissenschaftlichen Praxis grundsätzlich inhärent, weil Fragen gestellt werden, ohne zu wissen, wohin die Suche nach Antworten führt. In den letzten Jahren hat jedoch eine andere, sehr konkrete Form der Unsicherheit Einzug in das Leben vieler Forschender und Lehrender, und jener, die es noch werden wollen, genommen. Im Allgemeinen sei die Wissenschaftslandschaft in Österreich heute davon geprägt, dass die Universitäten im Zuge ihrer Autonomisierung zu selbstständigen Einheiten wurden, „die miteinander in Wettbewerb stehen, die sich rechtfertigen müssen, was sie mit ihrem Geld machen, Erfolge messbar machen und Pläne vorlegen müssen“, erklärt die Wissenschaftsforscherin Ruth Müller im progress- Gespräch: „Und das hat maßgebliche Konsequenzen auf allen Ebenen der Wissensproduktion.“ Die unternehmerische Universität braucht Maßstäbe für Erfolg und Exzellenz und soll gleichzeitig angesichts ihrer Unterfinanzierung sparen: Das Lukrieren von Drittmitteln, quantifizierbare Forschungsergebnisse wie Publikationszahlen, Projektarbeit und befristete Arbeitsverträge wurden zu  euen  Paradigmen des akademischen Feldes.

Konkurrenz. Wer heute in die Wissenschaft geht, setzt sich einer verschärften Konkurrenz um Publikationen, Förderungen sowie eine  schwindende Anzahl guter und sicherer Posten aus – ein System, das unweigerlich eine beträchtliche Anzahl an  NachwuchswissenschafterInnen früher oder später über den Rand fallen lässt. Nichtsdestotrotz versuchen junge Menschen mit  vielfältigen Motiven und Interessen in der Wissenschaft Fuß zu fassen und wagen damit einen Schritt auf unsicheres Terrain. „Ich  wollte eigentlich nicht Dissertation schreiben“, sagt Klara: „Nochmal vier Jahre allein im Kammerl zu sitzen und vor mich hin zu  schreiben, darauf hatte ich zumindest unmittelbar jetzt keine Lust. Außerdem war ich mir total unsicher, ob ich überhaupt in diesen Wissenschaftsapparat einsteigen möchte.“
Pauline zog für eine PhD-Stelle von Paris nach Wien und sieht ihre Dissertation als gute Überleitung zwischen Studium und Arbeit. Foto: Johanna Rauch
Denn das Leben als Jungwissenschafterin sei kein rosiges. Es werde im Allgemeinen  „komplette Hingabe“ erwartet, so Klara: „Also Wissenschaft – das ist kein Job, das ist ein Leben. Und das macht mir eben auch so Angst. Es wird erwartet, dass du außerhalb der Arbeitszeiten arbeitest, dass du ständig publizierst, und zwar bei schlechter Bezahlung. Es wird erwartet, dass man sich selbst ausbeutet.“ Die andere Seite der Medaille ist  für Klara jedoch die Freude an der wissenschaftlichen Tätigkeit: „In verschiedene Lebenswelten einzutauchen und zu versuchen, sie zu verstehen, macht mir Spaß. Und Forschung ist für mich ein bisschen wie ein  Puzzle – aus vielen kleinen Teilen entsteht ein größeres Ganzes und den Bildern und Geschichten wird damit Sinn gegeben.“

Damit verbindet sie auch einen politischen Anspruch: „Ich möchte Fragen stellen, die eine politische Relevanz haben.“ Und Klaras Diplomarbeitsbetreuerin hat ihr schließlich ein Angebot gemacht, zu dem sie sagt: „Ich hatte das Gefühl: Ich kann das jetzt nicht ablehnen.“

Unsichere Verhältnisse. Deshalb arbeitet Klara nun gemeinsam mit Kolleginnen an einem Antrag für ein Forschungsprojekt, in dessen Rahmen sie ihre  Dissertation schreiben möchte. Das bedeutet mehrere Monate intensiver Arbeit an der Entwicklung einer innovativen Fragestellung, was sich immer wieder anfühle, als müsse man „das Rad neu erfinden“. Das bedeutet auch ein Jahr finanzieller und persönlicher Unsicherheit und neben dem Gefühl, eine große Chance bekommen zu haben, stehen immer wieder auch Zweifel und Ängste: „Einerseits hängt über allem dieses Projekt ‚Dissertation’ und andererseits kein Geld, kein Job, unsichere Zukunft, kein geregelter Tagesablauf – das macht es schwierig, sich immer wieder selbst zu motivieren.“ Bis zu einer Entscheidung, ob das Projekt finanziert wird, kann noch ein halbes Jahr vergehen, das Klara mit unbezahlten Praktika und kleineren Jobs zu überbrücken versucht.

Um ähnlichen Herausforderungen aus dem Weg zu gehen und keine Zeit zu verlieren, hat sich Pauline im Unterschied zu Klara bewusst gegen eine Mitarbeit an der Entwicklung und Beantragung eines Forschungsprojekts entschieden, bevor daraus –  „eventuell“ – die Möglichkeit einer Finanzierung für eine Dissertation erwächst. Pauline hatte allerdings auch die Wahl und nach anfänglichen Zweifeln den Eindruck, dass „alle Türen offen stehen“: Als Abgängerin einer angesehenen und höchst selektiven  französischen IngenieurInnenschule und Absolventin einer Disziplin, die nicht als Massenfach charakterisiert werden kann, hat die damals 22jährige Diplom-Ingenieurin und Expertin für Holz gerade einmal eineinhalb Monate lang nach einer PhD-Stelle gesucht.

Dann hatte sie zwei Stellenangebote  im deutschsprachigen Raum. Sie zog von Paris nach Wien um, trat eine durch Drittmittel  finanzierte PhD-Stelle in einem Projekt an der BOKU an und war zunächst verwundert, dass hier alle große Augen machten, wenn sie  ihr Alter und ihre Arbeit in einem Atemzug erwähnte: „In meinem Umfeld in Frankreich ist das nicht außergewöhnlich.“ Wie das geht?  Nach dem Baccalauréat – der französischen Matura – mit 17 oder 18, zwei harte Jahre „classe préparatoire“, dann drei Jahre in der IngenieurInnenschule, die Pauline im Vergleich dazu dann weitgehend wie ein Spaziergang erschienen sind. „Die Dissertation ist für mich jetzt schließlich eine gute Überleitung zwischen dem Studium und der Arbeit. Schließlich lernt man weiterhin und fängt  gleichzeitig an zu arbeiten.“ Aus einem massiv verschulten System kommend, ist es Pauline primär wichtig, im Rahmen ihrer  Dissertation zu lernen, selbstständig zu arbeiten.

So beschäftigt sich Pauline nun seit einem halben Jahr mit der Entwicklung nachhaltiger Alternativen zu Plastik, lernt immer besser  Deutsch und hatte bisher das Gefühl unter guten Bedingungen zu arbeiten: keine unentgeltliche Arbeit in der Freizeit, gute  Bezahlung und eine kollegiale Atmosphäre. Das klingt zunächst nach der Realisierung des Traumes von Effizienz und Zielstrebigkeit im Rahmen innovativer und anwendungsorientierter Forschung – dabei scheint es allen Beteiligten zunächst gut zu gehen. Man  könnte meinen, von Klaras Erfahrungen und Einschätzungen sei Paulines Situation weit entfernt. Und dennoch ist die Prekarität vor  kurzem auch Teil von Paulines persönlichem und professionellem Horizont geworden. Denn das Unternehmen, mit dem Pauline im   Rahmen ihres PhD-Projekts zusammengearbeitet hat, ist in Konkurs gegangen. Ende September hätte ihr Vertrag für ein weiteres Jahr verlängert werden sollen – nun ist unklar, wie das finanzierbar sein soll. Somit wird Pauline letztlich wohl doch nicht umhinkommen, entweder Projektanträge zu schreiben und Fördermittel zu lukrieren oder von neuem umzuziehen und sich in ein neues Thema einzuarbeiten.
„Universitäten stehen miteinander im Wettbewerb, müssen Pläne vorlegen und Erfolge messbar machen“, kritisiert die Wissenschaftsforscherin Ruth Müller. Credit: Johanna Rauch
Destruktive Dynamik. Dass solch unsichere Verhältnisse einerseits die Betroffenen massivem Druck und Stress aussetzen, und andererseits auch mit epistemischen und sozialen Konsequenzen einhergehen, die durchaus auch guter, innovativer und kritischer  Wissenschaft im Wege stehen, betont Müller. Im Zuge ihrer Dissertation im Rahmen des Projekts Living Changes in the Life Sciences  am Institut für Wissenschaftsforschung der Universität Wien hat sie unter anderem festgestellt, dass  LebenswissenschafterInnen vor allem im Post-Doc- Stadium, das als besonders heikle Phase einer wissenschaftlichen Karriere betrachtet wird, angesichts des massiven Drucks, laufend Forschungserfolge vorzulegen und zu publizieren, dazu tendieren, sich  mit „relativ sicheren“ Themen zu beschäftigen. So reizvoll riskantere und innovativere Fragestellungen wären – junge  WissenschafterInnen können sich diesen zusätzlichen Risikofaktor nicht leisten. „In seiner ganzen Radikalität manifestiert sich das  darin, dass ProfessorInnen feststellen, ihre Karriere sei unter heutigen Bedingungen nicht mehr möglich, weil sie sich als Post-Doc  zwei Jahre mit einem ungewöhnlichen Thema beschäftigt haben, das sich im Endeffekt als sehr fruchtbar erwiesen hat, zunächst aber keine verwert- und  publizierbaren Ergebnisse hervorgebracht hat“, stellt Müller fest. Und während im Allgemeinen immer  wieder betont wird, wie wichtig Innovation, Kreativität und Kollaboration für die Wissenschaft seien, zeigt Müller auch auf, dass die  derzeitigen Bedingungen tatsächlich Tendenzen der Individualisierung befördern. Angesichts der verschärften Konkurrenz im Post-Doc-Stadium wird Teamarbeit beispielsweise aus Angst vor dem Verlust der ErstautorInnenschaft häufig vermieden. 

Potenzielle Synergien bleiben folglich oftmals ungenutzt. Keine Karriere mit Lehre. Die universitäre Lehre wird weitgehend in den  Hintergrund gedrängt. Dass der Kultur- und Sozialanthropologe Igor Eberhard, der gerade dabei ist, seine Dissertation abzuschließen, von sich sagt, dass es vor allem seine Leidenschaft für die Lehre gewesen sein, die ihn trotz allem dazu veranlasst  habe, im akademischen Feld weiterzuarbeiten, steht im Kontrast zur aktuellen systemischen Logik der österreichischen Wissenschaftslandschaft. Eberhard lehrt nicht nur seit 2009 Vollzeit an der Universität Wien, sondern publiziert auch in Projekten mit Studierenden Sammelbände. Vom Schreiben der Texte bis zu Layout und Werbung wird alles gemeinsam gemacht – ein  aufwändiger Prozess, im Zuge dessen alle gemeinsam viel lernen, erzählt er. Honoriert wird das allerdings nicht. Zusätzlich habe er immer auch geforscht sowie eigene Text publiziert, „aber im Grunde hätte ich karrieretechnisch betrachtet nie so viel Energie in die  Lehre investieren dürfen“, stellt Eberhard heute fest: „Für den wissenschaftlichen Lebenslauf bringt das gar nichts. Es ist zwar  wichtig, dass man Lehrerfahrung hat. Das steht in jeder Ausschreibung drin. Welcher Umfang, wie gut oder wie intensiv, das ist  eigentlich nebensächlich. Im  Vordergrund stehen Publikationen.“ Dennoch waren vor allem in sozialwissenschaftlichen Fächern jeweils auf ein Semester befristete Lehraufträge – meist in Kombination mit Stipendien, Projektarbeit und anderen Jobs – bisher  vielfach eine Möglichkeit für JungwissenschafterInnen, sich ein Doktoratsstudium zu finanzieren.

Das Engagement der sogenannten „ExistenzlektorInnen“ und ihr Beitrag zum Funktionieren der Universitäten mögen jedoch noch so groß sein – Wertschätzung oder längerfristige Perspektiven erhalten sie von Seiten der Universitäten dafür bisher nicht. "In den Lebenswissenschaften lehren deshalb die wenigsten Leute auf der Junior-Ebene, weil das als etwas gesehen wird, was dich nur behindert. Und wenn du dann drei Papers schreiben und einen Kurs vorbereiten solltest, ist klar, wo die Prioritäten liegen“, stellt  uth  Müller fest. Dass diese Verhältnisse für die Qualität der Lehre letztlich nicht förderlich sind, erleben Studierende verschiedenster Fächer am laufenden Band.
Den Kultur- und Sozialanthropologen Igor Eberhard hat vor allem seine Begeisterung für die Lehre auf der Uni gehalten. Für diese gibt es jedoch wenig Prestige und Anerkennung. Credit: Johanna Rauch
Schwere Entscheidungen. Angesichts der prekären Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses sei es umso wichtiger, sich der Tendenz zu Individualisierung zu entziehen, betont Eberhard: Der Austausch mit anderen Betroffenen stärke individuell und  potenziell auch politisch. Als Mitglied der IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen setzt sich Eberhard deshalb auch seit heuer im Betriebsrat der Universität Wien für die Interessen der LektorInnen und für eine Aufwertung der Lehre ein. Er will auch nach Abschluss seiner Dissertation weiter lehren und forschen: „Ich habe schon zu viel investiert, um jetzt aufzugeben.“ Dafür müsse er aber mit großer Wahrscheinlichkeit ins Ausland gehen, denn in Österreich fehlen einfach die entsprechenden Perspektiven und Möglichkeiten. Müller bringt die Problematik einer Entscheidung für die Wissenschaft auf den Punkt: „Man kann sich heute nicht mehr für eine wissenschaftliche Karriere entscheiden. Man kann sich dafür entscheiden, es zu versuchen.“

Für Klara und Pauline ist eine akademische Zukunft dementsprechend keineswegs in Stein gemeißelt: „Ich probiere das jetzt einfach und wenn ich merke, dass das nichts für mich ist und mich das nicht glücklich macht, dann muss ich eben wieder etwas anderes machen“, meint Klara, die sich auch vorstellen kann, im journalistischen Bereich zu arbeiten. Auch Pauline sieht ihre Zukunft nicht unbedingt in der Wissenschaft, sondern eher in einem Unternehmen: „Im Endeffekt sehe ich längerfristig wenige attraktive  Möglichkeiten, in der akademischen Forschung zu bleiben.“

Institutionalisiertes Scheitern. So schwer es ist, in den Wissenschaften Fuß zu fassen, so schwer kann es aber auch sein, sich wieder  daraus zu verabschieden, weiß Müller: „Viele DissertantInnen sagen am Anfang, eigentlich weiß ich nicht so genau, wo ich in zehn Jahren sein möchte. Bereits im Zuge der  Auswahl von PhD-Studierenden gilt es jedoch unbedingt zu performieren, dass du  genau diese Berufung hast, in den akademischen Wissenschaften zu sein. Sonst gilt man nicht als förderungswürdig. Und was am  Anfang vielleicht bei manchen eine Performanz ist, verselbstständigt sich häufig.“ Dann tatsächlich auszusteigen, ist ein Schritt, der oft als Scheitern betrachtet wird. Um sich davor zu schützen, ist es aus Müllers Sicht wichtig, sich selbst auch mit Alternativen zur Arbeit im akademischen Feld auseinanderzusetzen und sich bewusst zu machen, dass „dieses individualisierte Schaffen oder Versagen eine unglaublich mächtige Konstruktion ist“. Der aktuellen strukturellen Schieflage in den Wissenschaften ist mit persönlichem Engagement nur bedingt beizukommen, so Müller: „Es geht nicht darum, dass du nur gut genug sein musst und dann  schaffst du es.“ Letztlich brauche es dringend eine Perspektivenänderung in den Institutionen, betont sie: „Hin zu einem ganzheitlicheren Begriff davon, was es heißt, WissenschafterIn zu sein, und einem Bewusstsein dafür, dass es ein komplexeres Set   von Indikatoren braucht, die auch qualitativ sein müssen. Und es muss klar werden, dass Langfristigkeit auch wichtig ist.“

Linktipp:
IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen

Projekt: Living Changes in the Life Sciences (gefördert durch GENAU/bmwf: Projektleitung: Univ. Prof. Ulrike Felt)

*Name geändert. Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt.

Universität in Zeiten von Bologna

  • 16.03.2013, 12:14

Ein vor Kurzem erschienener Sammelband behandelt wichtige Debatten zum Bologna-System. Katharina Walbert hat ihn für progress rezensiert.

Ein vor Kurzem erschienener Sammelband behandelt wichtige Debatten zum Bologna-System. Katharina Walbert hat ihn für progress rezensiert.

Seit dem Beschluss in der italienischen Stadt Bologna Ende der 1990er Jahre wird an einem einheitlichen Hochschulraum gebastelt. Das zweistufige System von Bachelor und Master sowie die Einführung eines Leitpunktesystems (ECTS) sind dabei die wichtigsten Neuerungen. Als Ziele werden unter anderem leicht vergleichbare Abschlüsse, europäische Zusammenarbeit und lebenslanges Lernen genannt. Universität soll internationaler werden, wettbewerbsfähig, sie soll Verständnis und Akzeptanz zwischen den Kulturen schaffen und allen Lernenden die gleichen Chancen bieten. Bis heute wird der Bologna Prozess jedoch auch immer wieder kritisiert.

2012 erschien nun der Sammelband „Universität in Zeiten von Bologna. Zur Theorie und Praxis von Lehr- und Lernkulturen“. Verschiedenste ExpertInnen, WissenschaftlerInnen und auch Lehrende und Lernende kommen zu Wort, erläutern ihre Sicht zu den Entwicklungen seit und durch Bologna sowie zur derzeitigen Situation unseres Hochschulsystems. Auch wird die Geschichte der Universität von der Antike bis heute ausführlich beleuchtet.

Bologna wird durchaus auch kritisch beurteilt, zwischendurch taucht sogar die Frage: „Wozu überhaupt noch Universitäten?“ auf. Schnell wird aber klar, dass Lernen ausschließlich über Internet und Fernstudium wohl nicht immer die beste Lösung ist und Universitäten auch in Zukunft noch wichtig für uns sein werden.

Weiters werden verschiedene Modelle zu einer idealen Universität präsentiert, wie zum Beispiel in einem Artikel über die „Drei Phasen eines idealen Bachelor Studiengangs“. Alles dreht sich um die Frage, wie Universität bestmöglich gestaltet werden kann und eventuelle Probleme gelöst werden.

Ein Schwerpunkt liegt auf Gender- und diversitätsgerechtem Lehren und Lernen, dem ein eigenes von insgesamt fünf Kapiteln gewidmet ist. Wie kann man es schaffen, Vorurteile abzubauen, nicht mehr in vorgefertigten Mustern und Schubladen zu denken und Mobilitätshemmnisse – körperliche wie auch interkulturelle abzuschaffen. Was kann man dafür tun, dass auch Studierende und Lehrende, die beispielsweise sehbehindert oder in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, die gleichen Möglichkeiten haben und sich in der Universität genauso gut zurechtfinden? Was muss getan werden, damit Verständnis und gegenseitiger Respekt zwischen Kulturen wächst? Diesen Fragen widmet sich der Sammelband. Sehr wichtige Themen, die wie der Sammelband zeigt in der Debatte um den Bologna-Prozess  nicht zu kurz kommen dürfen.

„Universität in Zeiten von Bologna“ verschafft einen guten Überblick zu einem komplexen Thema, zeigt verschiedene Standpunkte und Meinungen und ist durch die Mischung aus Lehrenden und Studierenden, die zu Wort kommen, durchaus praxisnah. Insgesamt ein wichtiges Buch für alle, die mehr über unser Bildungssystem erfahren wollen.

Universität in Zeiten von Bologna. Zur Theorie und Praxis von Lehr- und Lernkulturen, Herausgeber: Brigitte Kossek/ Charlotte Zwiauer , V & R unipress GmbH, 2012

Zwischen den Fronten

  • 24.02.2013, 10:07

Christina und Simon gehen in die Maturaklasse. Beide haben sich vorgenommen, nach der Matura ein Studium zu beginnen. Die Entscheidung, welches Studium sie wählen wollen, fällt schwerer als gedacht.

Christina und Simon gehen in die Maturaklasse. Beide haben sich vorgenommen, nach der Matura ein Studium zu beginnen. Die Entscheidung, welches Studium sie wählen wollen, fällt schwerer als gedacht.

Die Studienwahl ist für viele angehende Studierende eine Herausforderung. Was will ich studieren, wo will ich studieren und welche Besonderheiten, wie Studiengebühren, Fristen oder Zulassungsprüfungen, muss ich beachten? Genaue Informationen sind Voraussetzung für die individuell richtige Studienwahlentscheidung.

Internet geht immer. Wenn das Angebot groß ist, fällt die Wahl des Studiums nicht leicht. Das Onlinestudienverzeichnis studienplattform.at zeigt bei der Eingabe „Bachelorstudien“ 826 Treffer an. Hinzu kommen 325 Lehramts- und 86 Diplomstudien. Speziell für die ersten Studieninformationen können Onlineplattformen hilfreich sein. Der 18jährige Simon und die 19jährige Christina nützen sie als erste Anlaufstelle. Aktuelle und zuverlässige Informationen über alle Studiengänge, Studienstandorte und mögliche Zugangsbeschränkungen bieten die ÖH-Seite studien­plattform.at und studienwahl.at vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (bmwf), wobei man als Maturant_in bei letzterer leicht über Begriffe wie „ECTS“, „Master“ und „ÖH-Beitrag“ stolpert.

Begriffe wie „Kompetenzerwerb“, „Prozess- und Qualitätsmanagement“ oder „fachspezifische Methoden“ dominieren die Angaben bezüglich Studieninhalt und werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Das ÖH-Projekt studienplattform.at will dem entgegensteuern. „Es war die Absicht, Fremdworte einfach zu erklären und damit den Zugang zu dieser beängstigenden und verwirrenden neuen Welt zu erleichtern“, sagt Karin Kuchler, Koordinatorin der studienplattform.at. Eine weitere Verfeinerung ist, dass es eine Suchfunktion für Interessen gibt.

Diese soll den MaturantInnen möglichst viele verschiedene Studienrichtungen anbieten, um auch aufzuzeigen, dass es viel differenziertere Studiengänge, abseits der Mainstreamstudien wie Rechtswissenschaften, Humanmedizin und BWL gibt. Wer sich jedoch nicht sicher ist, dem und der empfiehlt Kuchler eine persönliche Beratung. Beratung im Gespräch. Für eine persönliche Beratung stehen MaturantInnen zwei Projekte zur Verfügung: Der Studienchecker und die Maturan­tInnenberatung. Der Studienchecker ist ein Projekt des Wissenschaftsministeriums (BMWF) und des Ministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur, in Kooperation mit der ÖH und der Psychologischen Studen­tenberatung. Es stellt ein Bündel an Maßnahmen für alle SchülerInnen in ganz Österreich dar, um sie im Entscheidungsprozess zu begleiten. Das Projekt reicht von einem Interessensfragebogen,  Kleingruppenberatung mit PsychologInnen der Psychologischen Studen­tenberatung bis zu der MaturantInnenberatung direkt an den Schulen. „Studienchecker soll dazu beitragen die Drop Out Quoten an den Universitäten zu reduzieren. Oft brechen Studienanfänger ihr Studium ab, weil sie sich das vorher nicht genau überlegt haben“, sagt Marion Kern vom BMWF. Neben dem Studien­checker und studienwahl.at bietet das BMWF wenig Zusätzliches an. Den wohl authentischsten Einblick in den Studienalltag bietet das von der ÖH organisierte und vom BMWF finanzierte Projekt Studieren Probie­ren. Hier haben StudienbeginnerInnen die Möglichkeit, Studierende einer Studienrichtung zu Lehrveranstaltungen zu begleiten und ihnen konkrete Fragen zu dem jeweiligen Studiengang zu stellen.

Die MaturantInnenberatung der ÖH bietet außerdem anonyme und kostenfreie Beratung an. Die Mitarbeitenden sind selbst StudentInnen und können mit Erfahrungsberichten direkt auf individuelle Fragen eingehen. Entweder werden Fragen im Rahmen des Studiencheckers, der von Schulen organisiert und angeboten wird, oder auch unabhängig davon in Form  von E-Mail, Telefon- oder persönlichen Gesprächen beantwortet. Mitarbeitende der MaturantInnenberatung haben laut eigenen Angaben in den Jahren 2011 und 2012 knapp 15.000  StudienanfängerInnen in allen Bundesländern, außer in Kärnten, beraten. In einer Presseaussendung von ÖH und BMWF am 3. Jänner diesen Jahres bestätigten diese einen Zuschuss von 40.000 Euro, was das Gesamtbudget der Maturant­Innenberatung auf rund 294.000 Euro pro Jahr erhöht. Damit wird künftig auch den kärntnerischen MaturantInnen eine Beratung an den Schulen ermöglicht. 311 Schulen, das entspricht etwa der Hälfte aller Schulen, haben 2011 am Projekt Studi­enchecker teilgenommen, bis 2014 soll es an allen Schulen Österreichs umgesetzt werden.

Die Qual der Wahl. Die Frage, ob Christina und Simon auch persönliche Beratung in Anspruch nehmen, verneinen beide. Beratungsangebote wie die MaturantInnenberatung, Studieren Probieren und Studienchecker kennen sie nicht. Wie gelangen sie dennoch zu Informationen? „Für mich sind besonders die persönlichen Gespräche mit Studierenden aufschlussreich“, so Christina, die derzeit die Maturaklasse eines Gymnasiums im oberösterreichischen Kirchdorf absolviert. Christina und Simon sind beide der Meinung, dass  Schulen und Hochschulen zu wenig Informationsangebot für MaturantInnen zur Verfügung stellen. „Es ist wichtig, wie viel Eigen­engagement man investiert“, meint Simon, der die Abschlussklasse eines Linzer Sportgymnasiums besucht. Kern weist darauf hin: „Jene, die Eigeninitiative zeigen, sich organisieren können und einen Plan haben, was sie tun wollen,  eignen sich für ein Studium.“ Punkt. Zwischen dem Schulbegriff von Selbstständigkeit und dem der Hochschulen herrscht jedoch eine große Diskrepanz, die von BMWF und den Universitäten weitgehend ignoriert wird. Die Kompetenz wird von der Schule auf die Uni geschoben und umgekehrt – übrig bleiben ratlose Maturan­tInnen. „Wenn man eine Klasse fragt, schätzen sich fast alle SchülerInnen als selbstständig ein. Bei den meisten StudienanfängerInnen aber hinterlässt die Organisation des Studienalltags und die Vorbereitung darauf große Unsicherheit“, schildert Theresa Kases vom Projekt Studieren Probieren. Die Vorbereitung auf ein Studium stellt sich also als ein Probelauf für das  eigentliche Studium heraus.

Die Bürokratisierung und Zugangsbeschränkungen stellen Neulinge vor eine Voraussetzungskette, die sich mit der STEOP fortsetzt. Fristen, Aufnahme- und Eignungsprüfungen setzten MaturantInnen unter großen psychischen Druck, bestätigt Magdalena Hangel, Referentin der MaturantInnenberatung. Auch Christina fühlt sich in der Vorbereitung auf ihr Studium oft allein gelassen. Trotz allem möchte sie Philosophie studieren. „Aber das kann sich noch ändern, ich bin mir noch nicht sicher.“

Linktipps:

ÖH:

www.oeh.ac.at/studienberatung
www.studierenprobieren.at
www.studienplattform.at

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung:
www.studienwahl.at
www.Studienchecker.at
www.studentenberatung.at

Messen, Informationsveranstaltung: http://bestinfo.at

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