Bildungspolitik

Kann Schule soziale Ungleichheit verringern?

  • 20.06.2017, 20:40
Stefan Hopmann ist international anerkannter Professor für Vergleichende Bildungswissenschaften an der Universität Wien. Mit progress spricht er über Schulkultur, Standardisierung und die Flucht des Mittelstandes.

Stefan Hopmann ist international anerkannter Professor für Vergleichende Bildungswissenschaften an der Universität Wien. Mit progress spricht er über Schulkultur, Standardisierung und die Flucht des Mittelstandes.

progress: Unser Schulsystem ist in vielen Dingen gut, aber schlecht darin, soziale Ungerechtigkeit zu verringern, stimmen Sie zu?
Stefan Hopmann: Ja, da stimme ich zu. Allerdings mit einem Nachsatz: Wieso nehmen wir eigentlich an, dass Schule Ungleichheit verringern kann oder soll? Meiner Meinung nach ist diese Ansicht Teil des großen Kompromisses, auf dem unsere Gesellschaft aufgebaut ist: Wir tauschen Steuern gegen Beteiligung am Risiko geboren zu sein, also Alter, Krankheit, Bildung.

In bürgerlichen Institutionen werden deshalb formal alle gleich behandelt. So auch im österreichischen Schulsystem: Alle sollen gleich behandelt werden, obwohl sie eigentlich verschieden sind. Das bedeutet, dass formal Chancengleichheit besteht, weil ja allen die gleichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Leider geht diese Rechnung in der Praxis aber nicht auf, da die SchülerInnen wie gesagt aus unterschiedlichen Kontexten kommen. Schwächere SchülerInnen bräuchten gezielte Förderungen, um die gleichen Chancen zu haben wie ihre KollegInnen. Reformen wie die Ganztagsschule sind diesem Gedanken widersprüchlich, weil sie eben diese Unterschiede nicht ausgleichen. Wir sprechen deshalb von einem kontrafaktischen Gleichheitsverständnis.

Wer kann Ungleichheit vermindern, wenn nicht die Schule?
Aktuell sind alle westlichen Gesellschaften von einem Anstieg an Ungleichheit gekennzeichnet, die Bildung alleine ist überfordert, wenn die Gesellschaft nicht ebenfalls versucht, Gleichheit zu schaffen. Dass Schule alleine überfordert ist, zeigt sich zum Beispiel an Leistungstests, also an Überprüfungen von SchülerInnenleistung wie PISA: Oft ist hier das Problem, dass sozial schwächere SchülerInnen auch schlechter abschneiden. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, was die Ursache dafür ist: Liegt das schlechtere Ergebnis vor allem an LehrerInnen, SchülerInnen, didaktischen Methoden oder der Schulstruktur? Das Ergebnis ist ernüchternd: Nur 10 bis 15 Prozent der Unterschiede lassen sich überhaupt auf Strukturen in der Schule zurückführen. Viel prägender sind Faktoren wie Herkunft, Muttersprache oder finanzielle Situation und Bildungsgrad der Familie. Wenn man also wirklich weniger Ungleichheit in der Gesellschaft schaffen will, muss man beginnen, auch Vermögen radikaler umzuverteilen.

Was ist das Problem am österreichischen Bildungssystem? Braucht es mehr Budget?
Nein, es braucht sicher kein größeres Budget. Wir haben bereits eines der teuersten Schulsysteme der Welt und geben mehr Geld aus als Länder wie Finnland oder Norwegen. Das Problem in Österreich ist also nicht die Größe, sondern die „gießkannenartige“ Verteilung der finanziellen Mittel. Man versucht, ganz im Sinne des oben beschriebenen Prinzips, allen möglichst gleich viele finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Viel effektiver wäre es meiner Meinung nach, statt großflächigen Reformen wie dem Pflichtkindergarten bedürftige Kinder und Einrichtungen gezielt zu unterstützen.

Sie sind Professor für Vergleichende Bildungsforschung – gibt es ein Land, das es richtig macht?
Ja und nein. Einerseits ist natürlich kein Schulsystem perfekt, andererseits gibt es schon Länder, von denen wir einiges lernen können. So werden zum Beispiel in manchen skandinavischen Ländern die Eltern viel stärker in den Schulbetrieb miteinbezogen. Zudem sind die Gestaltungsspielräume für Schulen viel größer. Oft ist die Schule Mittelpunkt einer Gemeinde und wird als sehr wichtig angesehen – da ist es dann selbstverständlich, dass sich der BürgermeisterInnen um den Sportplatz kümmern.

Natürlich leiden aber alle westlichen Gesellschaften unter dem Problem, dass es zu wenig soziale Durchmischung an Schulen gibt. Wir bezeichnen dies auch als „Flucht des Mittelstandes“. In allen westlichen Gesellschaften, also auch in Österreich, ist zu beobachten, dass Eltern, die es sich leisten können, ihre Kinder privat einschulen. Gesellschaftspolitisch ist das problematisch, man kann es aber nur durch mehr Qualität in den öffentlichen Schulen verhindern.

Wie kann man diesem Phänomen entgegenwirken?
Gezielte Förderungen schwächerer Schulen könnten der „Flucht des Mittelstandes“ entgegenwirken. Weil Bildung sehr wichtig ist, wird darin investiert. In vielen Ländern ist es nicht ungewöhnlich, einen Kredit aufs Haus aufzunehmen, um den Privatschulbesuch des Nachwuchses zu finanzieren. Eltern sind bereit, an allen Rädchen zu drehen, die sie nur irgendwie finden können, damit ihre Kinder auf die „richtige“ Schule kommen – und die ist eben oft privat. Die einzige Art, das zu unterbinden, ist an öffentlichen Schulen eine Qualität zu schaffen, die die „Flucht ins Private“ unnötig macht. Denn letztendlich sind es die Eltern, die die Schulentscheidung treffen und auf jeden Fall das Beste für ihr Kind wollen.

Welche Rolle spielen die LehrerInnen in der Umsetzung neuer Konzepte?
Eine Schlüsselrolle. Das Problem dabei ist, dass LehrerInnen nicht so sehr durch die Universität oder Ausbildung geformt werden wie durch den ersten Arbeitsplatz. Dort werden die neu Dazugekommenen nach dem Motto „Hier machen wir das so“ eingewiesen. Dadurch ändert sich sehr wenig an der Unterrichtsart an Schulen.

Dennoch gibt es auch Positivbeispiele und neue Konzepte wurden angenommen – zum Beispiel in Norwegen. Hier wird nun nicht länger in Klassen unterrichtet, sondern viel freier. Für die LehrerInnen hat das natürlich eine große Umstellung bedeutet: Sie wussten am Anfang eines Tages nicht mehr, was sie erwarten würde, mussten plötzlich viel spontaner sein und sich an neue Situationen anpassen. Anfangs hat das großes Misstrauen erweckt, doch nach einiger Zeit lernten sie die Vorteile schätzen. Allerdings brauchen solche Implementierungsprozesse immer Zeit, um die LehrerInnen von der Umstellung zu überzeugen. Dazwischen liegt ein „Jammertal“, eine Phase der Umgewöhnung und Ablehnung, die zu überwinden man den LehrerInnen helfen muss. Man sollte ihnen also vor Augen führen, warum sich die Umstellungen lohnen könnten und Engagement belohnen.

Hinzu kommt noch ein weiteres Problem: Als beispielsweise die Neue Mittelschule (NMS) eingeführt wurde, gab es viele LehrerInnen, die Initiative ergriffen haben und tolle, neue Konzepte ausgearbeitet haben. Als die NMS dann zur Regelschule erklärt wurde, wurden viele dieser Konzepte verboten. Natürlich ist so etwas sehr frustrierend und hemmt den Willen der LehrerInnen, sich auf Neues einzulassen.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Standardisierung und Chancengleichheit?
Ja, aber einen kontrafaktischen: Die Begründung von Standardisierung ist eigentlich, dass die Besten durchkommen, wenn man allen die gleichen Ressourcen gibt. Wenn also alle einen Standard erfüllen müssen und das gleiche Maß an Unterstützung bekommen, sollte Herkunft kein ausschlaggebender Faktor zum Schulerfolg sein. In der Realität ist das aber oft anders herum.

Grund dafür ist einerseits, dass diejenigen mit mehr Ressourcen auch mehr Ressourcen haben, um auf neue Standards zu reagieren. So können sich SchülerInnen aus reicheren Familien beispielsweise Zusatzmaterialien zu neuen Standards wie der Zentralmatura leisten, die für finanziell weniger starke KollegInnen schwerer zugänglich sind. Außerdem profitieren Kinder aus bildungsnäheren Familien von der längeren Schulerfahrung der Eltern.

Hinzu kommt noch, dass im Zuge der zunehmenden Standardisierung SchülerInnenleistungen immer öfter überprüft werden. Das bedeutet auch, dass von dem, was die SchülerInnen leisten, auf die Leistung von Schule und Lehrenden geschlossen wird. Dass so ein linearer Schluss nicht treffend ist, mag logisch erscheinen, in der Praxis wird aber genau auf diese Weise argumentiert. So stehen Lehrende und Schulen unter Druck – plötzlich müssen sie sich rechtfertigen, wieso ihre Klasse oder ihr Jahrgang etwas kann oder nicht kann. LehrerInnen neigen deshalb dazu, sich auf das mittlere Leistungsfeld zu konzentrieren, denn hier ist es am einfachsten, Zugewinne zu generieren. Dabei geht das Augenmerk auf SchülerInnen, die über- oder unterdurchschnittliche Leistungen erbringen, verloren. VerliererInnen der Standardisierung sind also die sozial Schwachen.

Sie stellen dem das Konzept der starken Schule entgegen.
So ist es. In der Schule gibt es zwei wichtige Pole, zwischen denen den SchülerInnen Wissen vermittelt wird: Einerseits ist das Qualifizieren, also das Erlernen bestimmter Fähigkeiten bzw. Kompetenzen, ein wichtiger Aspekt. Andererseits von großer Bedeutung ist das Kultivieren, also das Sozialisieren, das dazu führt, dass Kinder Teil einer Gemeinschaft und letztlich Mitglieder unserer Gesellschaft werden.

Ich reise aktuell mit einer Vortragsreihe zum Thema „starke Schule“ durchs Land, da ich überzeugt bin, dass der Fehler, der gerade gemacht wird, ist, dass zu viel Fokus auf Qualifizierung gelegt wird. Dabei geht die Schulkultur verloren.

Eine Schule ist stark, wenn sie eine starke Schulkultur hat. Das bedeutet, dass klar ist, warum die SchülerInnen da sind, was sie machen sollen und wie. Meiner Ansicht nach ist das einer der Hauptgründe, warum SchülerInnen an Privatschulen meist gute Ergebnisse erzielen. Solche Schulen haben eine klare Identität, mit der man sich identifizieren kann. Allen Kindern ist klar, was die Schule, die sie besuchen, ausmacht.

Wie profitieren sozial schwächere Kinder von dem Konzept der starken Schule?
So eine starke Schulkultur macht es neuen oder sozial schwächeren SchülerInnen einfacher, sich in die Gemeinschaft einzufügen. Untersuchungen haben ergeben, dass durch starke Schulkultur langfristig alle SchülerInnen bessere Ergebnisse in Leistungstests erzielen. Kinder, die an Schulen wie „die Schotten“ gehen, fühlen sich als Teil eines Ganzen und sind stolz auf ihre Schule. Darum helfen sie sich gegenseitig und sind motivierter, weil man das so macht hier. Solche sozialen Dynamiken sind extrem wirkungsvoll.

Clara Porak studiert Deutsche Philologie und Bildungswissenschaften an der Universität Wien.

Die kommenden Herausforderungen der ÖH

  • 12.05.2017, 22:26
Alle zwei Jahre wählen Österreichs Studierende ihre Vertretung, seit 2015 wird auch die Bundesvertretung wieder direkt gewählt. Welche Probleme und Herausforderungen werden sich der künftigen ÖH-Spitze stellen und wie wollen die Fraktionen damit umgehen?

Alle zwei Jahre wählen Österreichs Studierende ihre Vertretung, seit 2015 wird auch die Bundesvertretung wieder direkt gewählt. Welche Probleme und Herausforderungen werden sich der künftigen ÖH-Spitze stellen und wie wollen die Fraktionen damit umgehen?

In den letzten Jahren haben sich große Demonstrationen oder Aktionen zum Thema österreichische Bildungspolitik rar gemacht. Das heißt aber leider nicht, dass sich die Situation an den Hochschulen entspannt hätte – es haben nur alle gelernt, damit zu leben. Maßnahmen wie die Studieneingangs- und Orientierungsphase (StEOP), gegen deren Einführung 2009 noch heftig protestiert wurde, sind heute für Studienanfänger_innen Normalität geworden, die nicht unbedingt hinterfragt wird.

STUDIENPLATZFINANZIERUNG. Mit der sogenannten „Studienplatzfi nanzierung“ will die Regierung die Unis fi nanziell entlasten. Seit das Regierungsprogramm eine Überarbeitung erfahren hat, ist fi x, dass berechnet werden soll, wie viel ein Studienplatz kostet. Danach soll dann auch entschieden werden, nach welchem Schlüssel die Unis Geld für eben jene Studienplätze bekommen sollen. Vermutlich werden dabei genau so viele „Studienplätze“ herauskommen, wie Budget da ist. Sprich: Flächendeckende Zugangsbeschränkungen und die Reduktion von Studierendenzahlen sollen die Unis „entlasten“. Da die Details noch nicht ausgehandelt sind, hat die zukünftige Bundesvertretungsspitze einige Einfl ussmöglichkeiten. Ob die ÖH allerdings viel verhandeln können wird, ist fraglich. Die meisten Fraktionen lehnen flächendeckende Zugangsbeschränkungen ab. Sowohl Grüne und Alternative Studierende (GRAS), der Verband sozialistischer Student_innen Österreichs (VSStÖ), die Fachschaftslisten (FLÖ) und die beiden kommunistischen Listen KSV-KJÖ und KSV-LiLi fordern stattdessen einen off enen Hochschulzugang, der staatlich fi nanziert werden soll. Die AktionsGemeinschaft (AG) begrüßte die „kapazitätsorientierte Studienplatzfi nanzierung“, lehnt Studiengebühren jedoch ab – Zugangsbeschränkungen nennt die AG „Zugangsmanagement“ und fordert „faire und transparente Aufnahmetests“. Die Jungen Liberalen Studierenden (JUNOS) hingegen sind begeistert von den Ideen des sozialdemokratischen Kanzlers: „Christian Kern setzt mit der Studienplatzfi nanzierung erste richtige Schritte in Richtung fairer Zugangsbeschränkungen.“ Die Fraktion fordert „nachgelagerte Studiengebühren“ in der Höhe von bis zu 500 Euro im Semester, die nach dem Studium bezahlt werden sollen. Der RFS will ausländischen Studierenden nur dann einen Studienplatz gönnen, wenn sie in ihrem Herkunftsland ebenfalls einen vorweisen können, was für Drittstaatenangehörige allerdings bereits Realität ist.

UNIS UND ANDERE HOCHSCHULEN. Seit der letzten Wahl 2015 sind alle Studierenden von Universitäten, Privatunis, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen Mitglieder der ÖH. Rechtlich gesehen sind sie aber nicht gleichgestellt, da sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen je nach Hochschultyp stark unterscheiden. Während die Regierung keine Pläne hat, einen einheitlichen Hochschulraum zu schaff en, sehen die Listen, die sich zur ÖH-Wahl stellen, das anders. Die GRAS schreibt zum Beispiel: „Das Problem liegt vor allem in den rechtlichen Grundlagen: Welche Rechte Student_innen haben, ob und wenn ja wo sie diese einfordern können, hängt maßgeblich vom Hochschulsektor ab. Bei einem einheitlichen Hochschulraum wären auch Wechsel zwischen den Sektoren wesentlich einfacher und unbürokratischer möglich“, und fasst damit die Meinung fast aller Fraktionen zusammen. Der KSV-KJÖ stellt die Privatuniversitäten jedoch in Frage, „denn von kritischer Lehre und Bildung kann dort nicht die Rede sein“. Der KSV-LiLi will sie nicht weiterhin öff entlich bezuschussen lassen. Die FLÖ betont, „Österreich braucht keinen einheitlichen Hochschulraum, aber ein klares bundesweites Studienrecht für alle Studierenden“. Auch die AG begrüßt den Status quo: „Eine Trennung ist durchaus sinnvoll, da so eine Vielfalt von ‚Systemen‘ erhalten bleibt und man für sich selbst entscheiden kann, welches für einen selbst das beste ist.“

SOZIALE LAGE. Die letzte Studierenden-Sozialerhebung zeigte: Obwohl 61 Prozent der Studierenden erwerbstätig sind, ist über ein Viertel von starken fi nanziellen Schwierigkeiten betroff en. Von der Familie wird nur ein Drittel fi nanziert – somit bleibt die staatliche Studienbeihilfe die wichtigste Unterstützung für Studierende. Erfolgreich ist sie auch: Die Studienabschlussquote ist bei jenen Studis, die eine Beihilfe beziehen, doppelt so hoch wie bei anderen. Die Beträge sind jedoch niedrig und der Kreis der potentiellen Bezieher_innen ist klein. So wundert es wenig, dass auch hier sämtliche Fraktionen Erhöhungen und Änderungen fordern. Dass die Studienbeihilfe seit 1999 nicht mehr an die Infl ation angepasst wurde, ärgert die wahlwerbenden Gruppen ebenso wie die diversen Altersgrenzen, die spätentschlossenen Studierenden das Leben schwer machen. Wie die Beihilfen künftig aussehen sollen, darüber sind die Fraktionen sich jedoch nicht eins: Während JUNOS mehr „Leistungsstipendien“ fordern, will die GRAS ein „existenzsicherndes Grundstipendium von 844 Euro im Monat für alle Student_innen“, der KSV-KJÖ sieht soziale Absicherung nur im Sozialismus als möglich an, FLÖ und AG wollen zusätzlich eine Aufstockung verschiedener Sachleistungen.

MOBILITÄT. In einem Thema sind sich alle Fraktionen, die in die Bundesvertretung wollen, einig: Sie fordern alle ein österreichweit gültiges günstiges Studiticket. Über diese Forderung – und darüber, dass der öff entliche Verkehr für Studierende in anderen europäischen Ländern gratis ist – haben wir in der letzten progress-Ausgabe ausführlich berichtet („Sparschiene“, S. 8). Eine andere Art der Mobilität ist jene zwischen den Hochschulen, sowohl in Österreich als auch im europäischen Hochschulraum. Mit einem FH-Bachelor einen Uni-Master zu belegen ist in der Praxis oft ein sehr steiniger Weg mit vielen Behördengängen. Sowohl VSStÖ als auch JUNOS schlagen deswegen die Schaff ung einer Informationsquelle vor, in der mögliche Anrechnungen und weiterführende Studien dokumentiert werden, die GRAS will diese Frage europaweit geklärt wissen. Bis auf eine Fraktion sind sich alle einig, dass das Bologna-System nicht durchlässig genug ist. Der KSV-KJÖ möchte das System dagegen abschaff en und zurück zu den Diplomstudien. Der KSV-LiLi möchte die Marktlogik des Bologna-Systems bekämpfen und so für mehr Mobilität sorgen.

BARRIEREN. Für eine ganze Reihe Studierender ist der Studienalltag von Barrieren geprägt. Diese können im Falle körperlicher Beeinträchtigungen ganz einfach baulicher Natur sein, andere Barrieren sind nicht so off ensichtlich. Alle Fraktionen begrüßen einen barrierefreien Ausbau der Infrastruktur, in den Details unterscheiden sich die Zugänge jedoch. Der KSV-LiLi sieht Nachholbedarf bei der Barrierefreiheit: „Während in anderen Ländern versucht wird, allen Menschen das Studieren zu ermöglichen, fangen österreichische Hochschulen gerade mal damit an, Aufzüge oder Rampen zu installieren.“ Die FLÖ hingegen ortet vor allem Mangel bei der Beratung und sieht auch die ÖH im Zugzwang: „Die ÖH kann sich dafür einsetzen, mehr Beratungen anzubieten und Anlaufstellen einzurichten.“ VSStÖ und GRAS erinnern daran, dass auch psychische Krankheiten wie Depressionen berücksichtigt werden müssen und fordern alternative Lern- und Prüfungsmodalitäten wie Online-Vorlesungen. Ebenfalls größtenteils unsichtbare Barrieren stellen sich für LGBTIQ-Studierende, vor allem für Trans- oder Inter-Studierende, deren Geschlecht nicht mit der Geschlechtsangabe in ihrem Pass übereinstimmt. Die Initiative #NaGeH fordert, dass Unis künftig unbürokratisch Vornamen und Geschlechtseintrag von inter*, trans und nichtbinären Menschen ändert. Diese Forderungen werden von den meisten Fraktionen geteilt, einzig die FPÖ-Vorläuferorganisation RFS äußert sich auf ihrer Homepage verächtlich über LGBTIQ-Studierende. Binäre Toiletten – also solche, die nach dem klassischen „Mann/Frau“-Schema aufgeteilt sind, nennt der RFS zwar „Unfug“, scheint sich der Bedeutung dieser Aussage jedoch nicht bewusst zu sein. Die AG hat sich nicht zu den Forderungen von #NaGeH geäußert, sieht die ÖH jedoch als zuständige Organisation, bei der sich Studierende bei Diskriminierungen melden könnten.

BILDUNG. Studierende und Hochschule sind nur der letzte Teil der Pipeline des österreichischen Bildungsystems und viele Probleme entstehen an anderer Stelle. Es ist daher wichtig, dass die ÖH einen genauen Blick auf die Reformen im Bildungsystem wirft – alleine schon deswegen, weil sie ja auch die zukünftigen Lehrer_innen vertritt, die momentan studieren. Zu der Frage, wie das Bildungssystem insgesamt organisiert werden soll, halten sich die Fraktionen eher bedeckt – die GRAS fordert aber z. B. die Einführung der Gesamtschule, der KSV-KJÖ will die Schulen demokratisieren. Schüler_innen sollten, da sind sich die Fraktionen einig, besser auf ein Hochschulstudium vorbereitet werden. Die JUNOS sagen dazu: „Der Wert der Bildung muss früh im Schulsystem vermittelt werden“, GRAS, VSStÖ, FLÖ und AG fordern mehr Informationen – das Referat für Maturant_ innenberatung der Bundesvertretung muss sich um seinen Fortbestand also keine Sorgen machen. GRAS und VSStÖ fordern zusätzlich ein Vorstudium, bei dem Fächer ausgetestet werden können, die AG einen freiwilligen Selbsteinstufungstest.

MAHLZEIT. Während in vielen Ländern das Essen in der Mensa zum Studierendenalltag gehört, ist das Angebot in Österreich dürftig und dazu noch recht teuer. Die AG nähert sich hier grünen Positionen an und fordert regionale Speisen. Vegetarische Optionen sind GRAS und KSV-KJÖ wichtig, die JUNOS wollen, dass das Mensapickerl auch bei privaten Gaststätten als Vergünstigung gilt, während der KSV-LiLi ein Problem mit Mensen als Privatunternehmen hat. FLÖ und VSStÖ fordern zusätzlich offene Küchen, in denen Studierende selbstständig kochen können.

ZUSAMMENGEFASST: Die Antworten auf die zukünftigen Fragen der ÖH unterscheiden sich nicht so sehr, wie man es zunächst vielleicht annehmen würde, gerade beim off enen Hochschulzugang jedoch gewaltig. Die Fraktionen haben nicht nur unterschiedliche Zugänge zu Themen, sondern auch zu der Art und Weise, wie sie als ÖH arbeiten wollen. Für Wähler_innen, die bisher wenig Kontakt mit der ÖH hatten, ist dies jedoch schwierig herauszuschälen. Es empfiehlt sich daher, sich umfassend zu informieren, bevor eins zwischen dem 16. und 18. Mai seine Stimme verteilt.

Redaktioneller Hinweis: Die Positionen der Fraktionen wurden mit einem Fragebogen und den jeweiligen Webseiten erarbeitet.

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Verteidigung gegen die dunklen Künste

  • 11.05.2015, 08:00

Was denkt eigentlich der zuständige Minister über die ÖH-Wahl? Wir haben bei Reinhold „Django“ Mitterlehner nachgefragt, was er von Koalitionspoker, Direktwahl und mehr Mitspracherechten hält.

Was denkt eigentlich der zuständige Minister über die ÖH-Wahl? Wir haben bei Reinhold „Django“ Mitterlehner nachgefragt, was er von Koalitionspoker, Direktwahl und mehr Mitspracherechten hält.

progress: Haben Sie ein Lieblingsplakat oder ein Lieblingsanliegen bei der ÖH-Wahl?
Reinhold Mitterlehner: Vielleicht nicht das Lieblingsplakat, aber diskutieren könnte man über ein rosarotes, wo draufsteht: „zu viele Ideen für ein Plakat“. Das erinnert mich ein wenig an die allgemeine Politik. Mein Lieblingsanliegen bei der ÖH-Wahl bezieht sich auf die Beteiligung. Ich hoffe, dass möglichst Viele von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen und dass wir mit dem neuen Wahlrecht auch wieder attraktive direkt-demokratische Mitgestaltungsmöglichkeiten haben.

Sind Sie vor der ÖH-Wahl gespannt, welche Koalition sich bildet? Oder ist im Ministerium sowieso business as usual, egal was die Studis sich da zusammenreimen?
Ja und Nein. Zu viel öffentliche Auseinandersetzung und Streiterei würde auch dem Ansehen der Körperschaft nicht gut tun. Ansonsten nehmen wir die jeweilige konkrete Zusammensetzung als Gegebenheit. Die letzte Konstellation hat schon gezeigt, dass es trotz vorheriger Vorbehalte und unterschiedlicher Auffassungen eine konstruktive sachliche Zusammenarbeit geben kann.

Sie sind in der ÖVP. Die ÖVP-Vorfeldorganisation Aktionsgemeinschaft „gewinnt“ meist die ÖH-Wahlen, ist aber seit 1995 nicht mehr in der Exekutive gewesen. Ist das demokratiepolitisch bedenklich?
Erstens einmal ist die Aktionsgemeinschaft keine Vorfeldorganisation, steht uns aber inhaltlich in vielen Punkten erfreulicherweise sehr nahe. Ich wünsche der AG viel Erfolg. Wenn der Erfolg da ist, dann sollte man auch an der Umsetzung beteiligt sein. Das ist durchaus ein demokratiepolitischer Anspruch, wenn sich verhandlungstechnisch etwas anderes ergibt, dann muss man aber auch das respektieren.

Auch heuer im Wahlkampf gibt es die Forderung, die ÖH solle weniger (Gesellschafts-)Politik betreiben und mehr Service anbieten. Soll die ÖH eine Beratungsstelle werden?
Die ÖH ist beides. Die gesetzliche Interessensvertretung aller Studierenden, aber vor Ort auch direkter Ansprechpartner, was Service betrifft. Wichtig wird sein, eine entsprechende Balance zu finden. Wer da die richtige Schwerpunktsetzung anbietet, das müssen die Studierenden dann selbst entscheiden.

Struktur, Aufgaben und Bedeutung der ÖH scheinen bei den Wähler_innen und vielleicht auch Politiker_innen noch nicht so wirklich angekommen zu sein. Seltsam, bei einer Organisation, die es länger gibt als ein freies Österreich. Wie kann das sein?
Ein Problem war sicher die unübersichtliche Struktur der Bundesvertretung, mit 100 Mitgliedern. Daher haben wir jetzt die Größe der Bundesvertretung auf 55 Personen verkleinert, dafür werden alle Mitglieder direkt durch die Studierenden gewählt. Je nach Hochschule wird die Qualität der ÖH von den Studierenden unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Grundsätzlich sollte man gerade auf Instituts- und Universitätsebene von der Beratung und den Serviceeinrichtungen der ÖH profitieren. Wenn diese Leistungen zu wenig bemerkt werden, sind die örtlichen Vertretungen gefordert, entweder aktiver zu werden oder ihre Leistungen besser sichtbar zu machen.

Die ÖH wird alle zwei Jahre neu gewählt – im Endeffekt bedeutet das, dass sie vielleicht ein Jahr effektiv arbeiten kann. Ist die Amtsperiode zu kurz?
Ich glaube, man kann damit leben. Man kann ja Erfahrungen an die nächste Vertretung weitergeben und auch die zur Verfügung stehende Zeit intensiv nutzen. Thema war das jedenfalls keines bei den letzten Verhandlungen um das neue Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsgesetz (HSG, Anm.). Durch die stärkere Mobilität der Studierenden, aber auch das Bologna-System halte ich die aktuelle Amtszeit für durchaus angemessen.

Die Durchschnittsstudienzeiten sind ja wesentlich länger als drei Jahre. Insofern könnte man die Amtsperiode doch verlängern, ohne Leute um ihre Partizipationsmöglichkeiten zu bringen.

Wie dem auch sei: Es treten heuer auch wieder Fraktionen zur Wahl an, deren Forderungen praktisch bedeuten würden, dass die ÖH sich selbst abschafft, zum Beispiel wenn sogenannte „Zwangsbeiträge“ beseitigt würden. Ist das nicht eigentümlich, wenn man zur Wahl einer Vertretung antritt, die man abschaffen möchte?
Grundsätzlich sind bei einer Wahl alle Forderungen erlaubt, sofern sie sich auf dem Boden des Rechtsstaates befinden. Das ist auch im aktuellen Fall gegeben. Es liegt natürlich an den Studierenden, eine Gruppierung zu wählen, die eine möglichst realistische und die Institution selbst stärkende Politik anbietet. Wenn jemand eine andere Meinung hat, ist natürlich auch die zu akzeptieren.

Momentan arbeiten in der ÖH Engagierte ehrenamtlich und bekommen nur eine relativ geringe Aufwandsentschädigung. Das führt dazu, dass alle unterschiedlich viel Zeit in ihre Aufgaben investieren. Manche machen sehr wenig, andere beuten sich selbst bis zum Burnout aus. Sollten demokratisch gewählte Vertreter_innen in herkömmlichen Arbeitsverhältnissen beschäftigt werden?
Herkömmliche, weisungsabhängige Arbeitsverhältnisse würden die unabhängige Perspektive der Studierendenvertretung trüben. Das derzeitige System der Abgeltung der mit dem Mandat verbundenen Aufwendungen, die in den einzelnen ÖH-Satzungen festgeschrieben werden, ist sachgerechter. Um die teilweise hohen Zeitaufwände zu kompensieren, regelt das Gesetz zudem unterschiedliche studienrechtliche Begünstigungen, wie etwa die Anrechnung der Tätigkeit auf freie Wahlfächer.

Für einige ÖH-Aktivist_innen erweist sich ihre Tätigkeit später als Sprungbrett in die Politik. Ist das nicht ein Problem, wenn es mehr um die Vertretung der eigenen Interessen geht?
Ich selbst und viele andere frühere ÖH-Funktionäre und Funktionärinnen waren in der Hochschulpolitik tätig und sind dann in die Politik gegangen. Zum damaligen Zeitpunkt war das aber nicht mein Ziel. Sehr wohl habe ich aber die Erfahrung, die ich in der Hochschulpolitik gesammelt habe, insbesondere Formulieren und auch entsprechendes Argumentieren, dann später nutzen können. Daher würde ich diese Phase der Hochschulpolitik von einer späteren Phase ganz einfach unterscheiden und keinen ursächlichen Zusammenhang sehen.

Bei der aktuellen Debatte um die Uniräte wurde uns in Erinnerung gerufen, dass die Studierenden in diesen „Aufsichtsräten“ kein Mitspracherecht haben – soll das geändert werden?
Im Universitätsgesetz ist bereits geregelt, dass die oder der Vorsitzende der ÖH an der betreffenden Universität das Recht hat, in den Sitzungen des Universitätsrats zu Tagesordnungspunkten angehört zu werden, die ihren Aufgabenbereich betreffen.

Überhaupt ist die Drittelparität, also die Stimmengleichheit der Kurien „Professor_innen“, „Mittelbau“ und „Studierende“, in vielen Uni-Gremien, wie zum Beispiel dem Senat, abgeschafft worden. Hängt die geringe Wahlbeteiligung möglicherweise damit zusammen, dass Studierende nirgends mehr mitreden dürfen?
Den Studierenden ist durch das Universitätsgesetz und das HSG ein umfassendes Mitspracherecht bei Themen eingeräumt, die sie betreffen. Darüber hinaus sind die Studierenden im Senat und entsprechend eingesetzten Kollegialorganen vertreten. Das Mitspracherecht der gesetzlich als Körperschaft öffentlichen Rechts verankerten Studierendenvertretung ist auch im internationalen Vergleich stark ausgeprägt: Der ÖH sind alle Gesetzesentwürfe, die Studierendenangelegenheiten betreffen, vor ihrer Vorlage an die Bundesregierung zur Begutachtung zu übermitteln. Unabhängig davon pflegen wir vor allem mit der ÖH-Bundesvertretung einen regelmäßigen Austausch. Zudem steht es den einzelnen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaften jederzeit frei, innerhalb ihrer Zuständigkeit, insbesondere den staatlichen Behörden, den jeweils zuständigen Bundesministern und Bundesministerinnen, den universitären Organen und anderen Einrichtungen Gutachten und Vorschläge zu unterbreiten.

Warum wechseln in Österreich die Wissenschaftsminister_innen schneller als in Hogwarts die Lehrer_innen für Verteidigung gegen die Dunklen Künste?
Die Zahl der Minister und Ministerinnen ist nicht ausschlaggebend für eine kontinuierliche Politik. Ich persönlich erlebe aktuell in Deutschland gerade den fünften Wirtschaftsminister, seit ich in Österreich für diesen Bereich verantwortlich bin. Wir haben im Hochschulbereich mit dem Universitätsgesetz eine solide gesetzliche Grundlage und ich setze den eingeschlagenen Kurs meiner Vorgänger und Vorgängerinnen fort.

War das neue HSG ein „Zuckerl“, das Sie der ÖH aus strategischen Überlegungen hingeworfen haben, damit sie wohlgesinnt bleibt und nicht stärker gegen die Abschaffung des Wissenschaftsministeriums mobilisiert und protestiert?
Gemeint ist wahrscheinlich die Zusammenlegung mit dem Wirtschaftsministerium. Aber auch dort hat sich die Zusammenarbeit als durchaus fruchtbringend erwiesen und die Abhängigkeitsbefürchtungen sind ja nicht eingetreten. Das neue Gesetz haben wir deswegen gemacht, weil die indirekte Wahl sich nicht bewährt hat, weil wir einfach mehr Akzeptanz bei dem neuen System erwarten und weil wir auch eine relativ einheitliche Regelung für alle Bereiche geschaffen haben.

Warum ist eine starke ÖH wichtig?
Vertretung ist eine zeitintensive, wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe. Je stärker die Legitimation der Studierendenvertretung ist, umso mehr Gewicht hat ihre Stimme beim Einsatz für die Interessen. Das gilt für die Instituts- und Universitätsebene, aber natürlich auch gegenüber der Politik.

 

Reinhold Mitterlehner (geboren 1955) studierte Rechtswissenschaften an der JKU in Linz, wo er auch in der ÖH tätig war. Er ist seit 2008 für die ÖVP Wirtschaftsminister und wurde Ende 2013 zusätzlich Wissenschaftsminister, womit er zum Hauptansprechpartner für die ÖH wurde.

 

Olja Alvir studiert Physik und Germanistik an der Universität Wien.
Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien. 

 

„Immerhin hab’ ich das Semesterticket“

  • 25.03.2015, 19:19

Die akademische Welt – eine Spielwiese der Entfaltung und Horizonterweiterung? Vielleicht, wenn du die Szene-Codes kennst. Paula Balov darüber, was an der Uni wirklich zählt.

Die akademische Welt – eine Spielwiese der Entfaltung und Horizonterweiterung? Vielleicht, wenn du die Szene-Codes kennst. Paula Balov darüber, was an der Uni wirklich zählt.

„Freuen Sie sich aufs Studieren,“ sagte die Frau vom Jobcenter, als ich frisch nach dem Abi (die deutsche Matura, Anmerkung der Red.) bei ihr landete: „Es wird die schönste Zeit Ihres Lebens.“ Ähnliches hörte ich auch von Freund_innen und Verwandten. Ich freute mich tatsächlich darauf, immerhin wurde sie mir von allen Seiten schmackhaft gemacht. Die Leute bezogen sich dabei nicht auf Ermäßigungen oder das Semesterticket, sondern auf diese ach so freie – nein, die freieste Form des Lernens, auf die unzähligen Perspektiven, die sich ergeben würden, blablabla.

Meine Erwartungen an die Universität waren bescheiden. Ich dachte, in einem Seminar geht es in erster Linie ums Lernen, darum eine Atmosphäre zu schaffen, in der jede_r seine_ihre Ideen und Probleme einbringen kann und hoffentlich mit dem Gefühl rauskommt: „Geil, ich hab was kapiert, ich hab einen Zusammenhang erkannt, ich habe die und die Fragen gefunden, die ich spannend finde…“

STATTDESSEN: Jede Menge akademischer Szene-Codes. Wer drückt etwas verschwurbelter aus? Wer macht mehr Namedropping? Wer kennt die richtigen Schlagwörter? Wer hat Marx gelesen? Aus meiner Motivation mich an Seminaren zu beteiligen, wurde zurückhaltendes in der Ecke Sitzen, weil ich mich nicht dumm fühlen wollte.

Ich bin Mittelschichtskind und als solches in vielerlei Hinsicht privilegiert. Es gibt jedoch einen Punkt, in dem ich nicht so privilegiert bin: Sprache. Deutsch habe ich erst in der Grundschule gelernt und wegen meiner (Aus-)Sprache nicht ernst genommen zu werden, war lange Alltag für mich. („Wie süß, solche Fehler machen nun mal ausländische Kinder!“)
Auch wenn meine Eltern studiert haben und ich mit meinem Vater am Mittagstisch über Beuys und Postmoderne philosophierte, haben wir das nie auf Angeberdeutsch getan. Mein Vater hat alltägliches Mazedonisch geredet und ich auf einem mazedonisch-kroatisch-deutschen Mix. Im Vordergrund stand das Verständnis. Ich war also mit dem geisteswissenschaftlichen Kauderwelsch nicht so vertraut wie meine Kommiliton_innen aus mehrheitsdeutschen, akademischen Familien.

Ich sah mit der Zeit ein, dass ich, um komplexe Zusammenhänge zu erfassen, nicht um Fachwörter und theoretische Konzepte herumkomme und diese auch sehr hilfreich sein konnten. Ich sah und sehe jedoch nicht ein, dass dieser zwar hilfreiche, aber auch oft überflüssige Sprachstil, zusammen mit einer elitären Performance, die Eintrittskarte in die akademische Welt bildet.

Stell dir vor, du stehst morgens auf und denkst: „Geil, gleich Blockseminar Postcolonial Studies!“, und hast ungelogen übertrieben viel Bock zu lernen. Und eine halbe Stunde nach Seminarbeginn fühlst du dich so klein, dass du am liebsten wieder in dein Bett kriechen würdest.

SO ERGING ES MIR OFT. Als würden mir ständig Leute reinwürgen, wie viele Defizite ich habe: Indem sie z.B. das, was ich gerade gesagt hatte, in Akademisch übersetzten, ehe es als Unterrichtsbeitrag gewertet wurde. Rhetorik und Performance sind das A und O. Wie naiv von mir zu denken, dass es ums Lernen gehen würde.

„Immerhin habe ich das Semesterticket“, dachte ich oft. Und Uni-Freund_innenschaften. Aber auch an denen ist Elite- und Leistungsdenken nicht vorbeigegangen: Einmal hat mich eine Kommilitonin eingeladen mit ihr und einer Dozentin Kaffee trinken zu gehen. Wir sprachen über ein Seminar, das wir im ersten Semester besucht hatten. „Du hast die Texte nie gelesen, oder?“, sagte sie schmunzelnd-herablassend vor der Dozentin. Doch, hatte ich. Aber ich hatte viele – trotz Fleiß und Mühe – nicht verstanden und nicht gerade den Eindruck, dass in dieses Seminar ein Raum gewesen wäre darüber zu sprechen. Zu oft wurde ich seltsam angeguckt, wenn ich Verständnisprobleme äußerte, so ein Ach-wie-süß-die-ist-zu-blöd-das-zu-checken-Blick. Ich fühlte mich bloßgestellt und als faul abgestempelt, auch noch direkt vor der Dozentin.

Ein anderes mal bin ich nach längerer Zeit wieder zu einem Seminar gekommen. Ich hatte neuen Mut getankt, es endlich mit dem Studieren hinzukriegen. Nach dem Unterricht fragte mich eine Kommilitonin, ob ich noch irgendwohin mitkommen könnte. „Nein, ich bin auf dem Sprung“, sagte ich. „Ach was, ich kenn dich doch! Du bist nie auf dem Sprung!“, kommentierte diese und meinte eigentlich: Du bist doch so ne schlechte Studentin, was wirst du schon großartig zu tun haben? Nee, is klar, ich sitz den ganzen Tag zu Hause und feil’ mir die Fußnägel, im Gegensatz zu ihr, die schon ihr ich weiß nicht wievieltes Praktikum in China gemacht hat.

MIT FICK-DICH-BLICK und Scheuklappen geisterte ich durch die Uni, bis ich mir sagte: So kann das nicht weitergehen. Also, was habe ich gemacht? Den nächsten Fehler: Geh mal zu den Gender-Studies, da ist es bestimmt anders! Lol. Ist die Rede von Klassismus und Hindernissen an der Uni, die durch Sprache und elitäre Performance produziert werden, siehst du weit und breit nur nickende Köpfe. Und dann geht es unbehelligt weiter mit schwer lesbaren Texten von Lann Hornscheidt (Wer braucht schon Absätze?) und Wortverschwurbelung vom Feinsten: „Akademische Entpositionierungen und paradoxe Entkomplexisierungen durch Intersektionalität“. Puh.

Witzigerweise schiebe ich mit diesem Text gerade auf, den ersten Satz meiner Bachelor-Arbeit niederzuschreiben. Ich bin den ganzen Tag dagelegen und habe mich selbst fertiggemacht: „Warum traust du dir so wenig zu?“ Dann ist es mir wieder eingefallen: Weil ich in der Uni gelernt habe, dass ich defizitär bleibe, was auch immer ich tue. Aber hey, ich habe es fast bis zur Bachelor-Arbeit geschafft und bin dafür verhältnismäßig unverbittert. Und ich habe eine Sache, die mich antreibt, weiterzumachen: Trotz. Gut für mich. Schlecht für die, die kein Mittelschichtsprivileg und keinen akademischen Hintergrund haben, die deutsch noch später gelernt haben – oder noch lernen, für die 300 Euro Studiengebühren sehr viel Geld sind und, die es vielleicht nicht bis zur Bachelor-Arbeit schaffen. Wahrscheinlich dürfen sie sich später noch anhören, sie seien „bloß faul“ gewesen. Zum Kotzen.

 

Paula Balov studiert Regionalstudien Asien/ Afrika an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dieser Text erschien zuerst auf herzbrille.wordpress.com, wo sie regelmäßig über Feminismus und Ex-Jugoslawien aus postmigrantischer Perspektive schreibt und Kurzfilme veröffentlicht.

Hört auf, so lange ihr noch könnt!

  • 25.03.2015, 17:46

Leistungsdruck, Versagensängste und prekäre Anstellungsverhältnisse: Zahlt es sich überhaupt noch aus, zu studieren? progress hat mit Studis gesprochen, die die Entscheidung für die Uni anzweifeln – aus guten Gründen.

Leistungsdruck, Versagensängste und prekäre Anstellungsverhältnisse: Zahlt es sich überhaupt noch aus, zu studieren? progress hat mit Studis gesprochen, die die Entscheidung für die Uni anzweifeln – aus guten Gründen.

Jung, erfolgreich und immer lächelnd. So werden Studierende auf den Webseiten von Universitäten, Fachhochschulen und Absolvent_innenvereinen gemeinhin dargestellt. Doch hinter den Kulissen spielen sich ganz andere Geschichten ab. Verbitterte Mienen und frustrierte Gesichter passen jedoch nicht in die Happy-Pepi-Welt der universitären PR-Abteilungen. „Hätte ich nicht studiert, hätte ich nicht drei Jahre meines Lebens weggeworfen“, resümiert Nina ihre akademische Laufbahn. Damit ist sie nicht alleine. Obwohl ihre Generation wohl die am besten ausgebildete, die internationalste und vielsprachigste ist, die jemals nach Hörsaal und Praktikum an die Pforten der Arbeitswelt geklopft hat, gibt es jene, die es bereuen, ein Studium begonnen oder auch absolviert zu haben. Unsere Gesprächspartner_innen, die von enttäuschten Erwartungen und Zukunftsängsten berichten, wollten anonym bleiben – für die Selbstdarstellung am Arbeitsmarkt sind ihre Geschichten wohl nicht förderlich. Wir haben im Folgenden daher alle Namen geändert.

WEGGEWORFENE ZEIT. Für Nina waren die drei Jahre, die sie studiert hat, schlichtweg weggeworfene Zeit. Ihre pädagogische Ausbildung musste sie kurz vor dem Abschluss aufgrund von Differenzen mit ihrem neuen Praxis-Betreuer abbrechen. „Er war der Meinung, es sei grob fahrlässig, mir einen Abschluss zu geben. Ich hätte die Praxis zwar wiederholen können, doch er versicherte mir, dass er mich nie durchlassen würde. Das Studieren ist für mich endgültig gestorben.“

Evas Lehramtsstudium war noch während der Studieneingangsphase zu Ende. Bereits am ersten Tag hatte sie ihre Entscheidung bereut. In kaum einer Vorlesung bekam sie einen Sitzplatz und wenn sie mal eine Vorlesung verpasste, hieß es von den Kolleg_innen nur: Pech gehabt! „Niemand wollte mir helfen, da jede_r froh war, wenn einmal die Hälfte fliegt und endlich jede_r einen Sitzplatz hat.“ Die Entscheidung, mit dem Studium aufzuhören, wurde ihr dann ohnehin abgenommen: Ein zweimaliges Durchfallen in der Pädagogik-Vorlesung mündete in einer lebenslänglichen Sperre für alle Lehramtsstudien. Auf Umwegen wurde Eva schlussendlich auf einem Kolleg für Sozialpädagogik glücklich.

Lucia bereut es, mit ihrem Studium an der Universität für Bodenkultur überhaupt begonnen zu haben. Der intellektuelle Anspruch gehe gegen Null: „Prüfungen bestehen in meinem Studium zu fünfzig Prozent aus stupidem Auswendiglernen des Skriptums, zu vierzig Prozent aus stupidem Reinsaugen eines Fragenkataloges und nur für die restlichen zehn Prozent muss mensch sich vielleicht wirklich ein paar eigene Gedanken machen. Das ist für mich allerdings keine Art, ein Studium zu absolvieren.“

Multiple-Choice-Tests, Knock-Out-Prüfungen, schlechte Betreuungsverhältnisse und eine unreflektierte Auseinandersetzung mit dem Stoff sind gängige Praxis. Viele Studienanfänger_innen bringen allerdings eine gänzlich andere Erwartungshaltung mit. Auch Eltern, ältere Geschwister, Bekannte und Lehrer_innen haben in vielen Fällen wenig Ahnung von der heutigen Studienarchitektur und den, mit Verlaub, oftmals beschissenen Studienbedingungen.

GEH AUF DIE UNI, HAM’S G’SAGT. Anna meint zurückblickend, sie hätte sehr glücklich werden können, wenn sie mit 16 eine Ausbildung zur Floristin gemacht hätte. Bezüglich ihrer abgebrochenen Ausbildung an einer Kunstuniversität berichtet sie von Zuständen, die einem Bootcamp ähneln, von Professor_innen, die Studis demütigen und Auseinandersetzungen, die oft in Tränen endeten. „Für mich und meine Familie war es jedoch undenkbar, etwas anderes als Matura zu machen und anschließend zu studieren.“

Annas Erzählung erinnert stark an eine Studie von Gabriele Theling aus den 80ern, die sich unter dem Titel „Vielleicht wär’ ich als Verkäuferin glücklicher geworden“ den schwierigen Bedingungen für Studentinnen aus Arbeiter_innenfamilien widmete. Die soziale Selektivität des österreichischen Bildungssystems ist bis heute von ungebrochener Aktualität, denn Bildung wird nach wie vor vererbt. Laut der aktuellen Statistik-Austria-Publikation „Bildung in Zahlen“ erreichen mehr als die Hälfte der 25- bis 44-Jährigen aus Haushalten, in denen ein Elternteil über einen akademischen Abschluss verfügt, ebenso einen solchen Abschluss. Unter Personen aus bildungsfernen Haushalten hingegen (mit Eltern, deren höchster Abschluss die Pflichtschule ist) erreichen nur etwa 6 Prozent einen akademischen Abschluss. Während es bei den einen um die Finanzierung des nächsten Urlaubes geht, geht es bei anderen um die Finanzierung des vollen Kühlschrankes.

Steht auf der einen Seite die Unmöglichkeit oder Unvorstellbarkeit zu studieren und in eine fremde Welt einzutauchen, so sprechen andere Geschichten die Kehrseite der Medaille an. Aus der Chance zu studieren wird die Erwartung zu studieren, beziehungsweise wird das Studium zur vermeintlich einzigen Option für eine erfolgreiche Lebensgestaltung. Die jetzige BOKU-Studentin Lucia erinnert sich an die Worte ihres Gymnasiallehrers zurück: Fachhochschulen seien für Menschen, die nicht selbst denken wollten, die es einfach haben wollten. Natürlich könne man diesen einfachen Weg gehen, wenn man sich einem „echten“ Studium nicht gewachsen fühle. 

Vor allem abseits der Ballungszentren mit vielen Wahlmöglichkeiten erscheinen die Bildungswege für viele Kinder aus Familien mit dem entsprechenden sozialen und finanziellen Hintergrund vorgefertigt. „Volksschule, Gymnasium und Matura. Was nun? Nach einem Abschluss am Gymnasium muss mensch ja studieren, um überhaupt Chancen am Arbeitsmarkt zu haben“, beschreibt Lucia ihre Entscheidung, an der Uni zu inskribieren.

Am vermeintlich vorbestimmten Weg kommt jedoch häufig eine gewisse Orientierungslosigkeit auf. Peter berichtet, nach einigen Jahren Berufstätigkeit eigentlich aus Langeweile sein Kunstgeschichte-Studium begonnen zu haben. Nach dem Bachelor entschied er sich, leider, wie er nun sagt, für den scheinbar einfachsten Weg und hing den Master dran. Auch weil ihm seine Eltern ständig im Ohr lagen und den Abschluss von ihm erwarteten – am besten mit Dissertation hinten nach.  

KRIEGST AN GUTEN JOB, HAM’S G’SAGT. Doch nicht nur schlechte Studienbedingungen oder die vermeintlich fehlende Alternative zum Studium bereiten Kopfzerbrechen. Amir machte sein Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft immer sehr gerne. Nebenbei schloss er auch noch in Politikwissenschaft ab. Von Anfang an wusste er genau, welche Inhalte er sich herausnehmen und was er damit machen will. Heute rät Amir jedoch dringend von geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern ab: „Wenn ich mir im Nachhinein ansehe, wie viel Aufwand ich für mein Studium betrieben habe und was ich jetzt davon habe – es rechnet sich einfach nicht.“ Während des Studiums lebte Amir unter schwierigen Bedingungen, kam gerade noch so über die Runden. Und nach dem Studium war er erst mal jahrelang auf Arbeitssuche. Mit jeder Absage nahm auch der seelische Druck zu. „Bin ich denn unbrauchbar? Was habe ich im Leben falsch gemacht? Je länger der ersehnte Erfolg ausbleibt, desto tiefer dreht sich die Spirale nach unten, desto belangloser wird das Leben.“ Sein Fazit: Im Nachhinein würde er sich in Jus, Medizin oder einem technischen Studium besser aufgehoben fühlen. Geistes- und Sozialwissenschaftler_innen würden in der Gesellschaft zu wenig honoriert und trotz ihrer Relevanz als „unbrauchbar“ abgestempelt.

Ein Problem, das auch Alina mit ihrem Medienwissenschafts- und Germanistikstudium nur zu gut kennt: „Es fällt mir zunehmend schwer, meinem Studium irgendeinen Wert zuzugestehen, wenn mir selbst von anderen Studierenden immer wieder gesagt wird, wie nutzlos es ist. Natürlich ist ein Studium nie umsonst und es hat mich bestimmt zu einem besseren Menschen gemacht, aber mit einer reflektierten Persönlichkeit kann man halt nicht die Miete zahlen.“ Daher rät sie ihren möglichen Nachfolger_innen: „Brecht euer Studium ab, bevor es zu spät ist! Wenn mensch noch nicht so lange wie ich drin ist, hat man noch die Möglichkeit, auszusteigen und doch noch eine Ausbildung anzufangen. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Ausbildung zur Köchin oder Gärtnerin mir sehr viel mehr Freude bereitet hätte.“

NO FUTURE UND WIE WEITER? Aus Angst und Verzweiflung hat Denise bereits Tränen vergossen. Freitagabends sitzt sie mit ihrem Laptop am Bauch an ihrer Masterarbeit für ihr Soziologiestudium. „Das Arbeitsleben betreffend habe ich Angst, dass mich niemand will, dass mich die Arbeit nicht glücklich machen wird, dass ich mir selbst nicht genug sein werde. Aber leider will es sich nicht in mein Hirn einbrennen, das sich mein Wert nicht durch meinen Arbeitswert bestimmt. Leider hab ich Angst davor, dass sich das nicht ändert, so arg dass ich nicht schlafen kann.“ 

Franz Oberlehner, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle für Studierende in Wien, spricht bei solchen Fällen von der Studienabschlussproblematik: „Für manche kann es sehr schwierig sein abzuschließen, weil oft nicht klar ist, was einen danach erwartet. Dies kommt aber nicht nur bei geistes- und sozialwissenschaftlichen Studierenden vor. Selbst bei Medizin oder technischen Studien gibt es häufig Ängste vor dieser Schwelle. Das hat natürlich damit zu tun, dass der allgemeine Druck ständig größer wird“. Laut aktueller Studierenden-Sozialerhebung leidet fast ein Drittel der Studierenden unter Leistungsdruck und Versagensängsten, ein Fünftel unter Existenzängsten und depressiven Stimmungen. „Der Mythos vom studentischen Lotterleben war schon immer da und schon immer falsch. Aber die Studierenden internalisieren ihn mehr als früher. Sie kommen sich so vor, als würden sie nichts leisten“, so Oberlehner.

Auswege aus den unzähligen individuellen Krisen sind kaum zu formulieren. Sie alle sind Produkt einer Gratwanderung zwischen relativer Selbstbestimmung und dem Zurechtkommen in einer Gesellschaft, die sich zunehmend entlang ökonomischer Verwertbarkeit ausrichtet. Unter diesen Umständen eine Portion Selbstironie und Sarkasmus zu bewahren, fällt schwer. Die studierte Historikerin Stefanie Schmidt scheint jedoch genau darin ein Rezept gefunden zu haben, um mit der vermeintlich ausweglosen Situation klar zu kommen. In der taz schreibt sie in ihrer pointierten Abhandlung zum arbeitslosen Akademiker_innen-Dasein: „Nach 400 Bewerbungen jedenfalls weiß ich nicht mehr, wer oder was ich eigentlich bin oder sein will. Gestern Unternehmensberaterin, heute Sozialarbeiterin, morgen Feuerwehrmann? […] Das Resultat dieser Tortur ist, dass sich neben dem Ego noch zwei weitere entwickeln, von denen eines denkt, warum bist du damals nicht zur Fremdenlegion gegangen?“

 

Klemens Herzog studiert Journalismus und Neue Medien an der FH der Wirtschaftskammer Wien.

„Es ist ein bisschen ein Theater“

  • 23.03.2015, 21:21

In der griechischen Hochschulpolitik haben schon viele spätere ParlamentarierInnen ihre Krallen geschärft. Die Studierendenvertretung hat dabei bemerkenswerte Mitsprachemöglichkeiten bei zentralen universitären Themen.

In der griechischen Hochschulpolitik haben schon viele spätere ParlamentarierInnen ihre Krallen geschärft. Die Studierendenvertretung hat dabei bemerkenswerte Mitsprachemöglichkeiten bei zentralen universitären Themen.

Beim Betreten einer griechischen Universität springt sofort die ausgeprägte Politisierung ins Auge: Man findet sich in einem bunten Gewirr aus politischen Plakaten, Transparenten und Graffitis wieder. Im Frühling ist dieses Szenario sogar noch ein wenig auffallender, denn zu dieser Zeit findet der Wahlkampf für die jährlichen Studierendenvertretungswahlen statt. Von fast allen im Parlament vertretenen Fraktionen gibt es Studierendenorganisationen, hinzu kommen unzählige Splitter- und Kleingruppen. An jedem Institut wählen die Studis ihre eigene Interessensvertretung, welche wiederum Teil einer gesamtgriechischen Studierendenunion ist, wobei die Mitgliedschaft in dieser im Gegensatz zu Österreich freiwillig ist.

AUSZÄHLUNG IM AUDIMAX. Im Kampf um die Stimmen kommen verschiedene Strategien zum Einsatz. Giorgos Kokkinis, früher in einer Syriza-nahen Liste an der Universität von Thessaloniki engagiert, erzählt: „Es gibt an jeder Uni permanente Beratungsstände der Fraktionen, dort erledigt man für die Erstsemestrigen den ganzen Papierkram. Nebenbei lädt man die Leute zum nächsten Plenum ein und versucht sie für die politische Sache zu gewinnen.“ Außerdem werden Lernhilfen, Konzerte und Partys organisiert oder man greift zu weniger subtilen Methoden wie Megafon und Wahlplakat.

Ist die Wahl geschlagen, findet die Stimmenauszählung öffentlich im größten Raum der Universität statt. „Dort herrscht eine ganz eigene Stimmung. Die AnhängerInnen der verschiedenen Parteien versuchen sich gegenseitig mit Parolen zu übertönen, manchmal kommt es zu Handgreiflichkeiten. Einmal haben AnarchistInnen den Raum gestürmt und die Wahlurnen gestohlen. Wenn du mich fragst: Das Ganze ist ein bisschen ein Theater“, sagt Kokkinis. Im Unterschied dazu erinnert der Wahlausgang dann meist doch an die österreichische Hochschulpolitik: Die meisten Stimmen erhält in der Regel die konservative Studierendenpartei DAP, was – so munkelt man – den Stimmen der eher unpolitischen Studierenden und dem intensiven Organisieren von Partys zu verdanken ist. Ihr gegenüber stehen mindestens fünf linke Organisationen, die zusammen die DAP überflügeln: von kommunistisch über trotzkistisch bis zu sozialdemokratisch.

(c) Dieter Diskovic

STARKES MITSPRACHERECHT. Die Studierendenvertretung besteht aus zwei Gremien: Auf der einen Seite die Generalversammlung, an der jedes Mitglied der Studierendenunion teilnehmen kann und die der Entscheidungsfindung dienen soll. Sie ist durch Plena und Abstimmungen gekennzeichnet und wird von der jährlichen Wahl kaum beeinflusst. Hier werden Diskussionen, aber auch Proteste und Sit-Ins organisiert. Besetzungen sieht Kokkinis nicht nur positiv: „Sie werden meiner Meinung nach zu häufig eingesetzt, auch bei nebensächlichen Themen. Dadurch werden sie von einigen nicht mehr ernst genommen.“

Die Entscheidungen der Generalversammlung sollen vom gewählten und formelleren Verwaltungsrat umgesetzt werden. Seit einer sozialdemokratischen Reform im Jahr 1981 hat der Rat eine beeindruckende Fülle an Befugnissen und kann beinahe auf gleichberechtigter Basis mit der Fakultät mitbestimmen. Die Mitglieder des Rates können RektorInnen und DekanInnen wählen und an allen administrativen Konferenzen ihrer Universität teilnehmen. Obwohl schon öfter versucht wurde, den Einfluss des Verwaltungsrates zu begrenzen, ist sein universitäres Mitspracherecht im internationalen Vergleich nach wie vor herausragend. Dieses hohe Ausmaß an Mitbestimmungsmöglichkeiten führt dazu, dass die Politik der Studierendenvertretungen für die Parlamentsparteien von höherem strategischen Interesse ist: Wer es schafft, Abstimmungsergebnisse zu beeinflussen, kann loyale KandidatInnen in hohe Positionen hieven.

Kokkinis ist sich dieser Problematik bewusst, trotzdem zieht er eine positive Bilanz: „Die griechische Studierendenpolitik ist aktiv, lebendig und kritisch. Man setzt sich mit wichtigen gesellschaftlichen Themen auseinander und hinterfragt den Status quo. Ohne die Studierenden hätte es keinen so breiten Widerstand gegen die EU-Memoranden gegeben. Die griechische Jugend ist vielleicht eine der politisch engagiertesten in Europa.“

Wer sich in der turbulenten Uni-Politik bewährt, schafft es später nicht selten in das griechische Parlament. Ein aktuelles Beispiel ist der frischgewählte Ministerpräsident Alexis Tsipras. Er hat sein politisches Geschick zuerst in der SchülerInnenpolitik und später am Athener Polytechnikum trainiert.

HISTORISCHE RELEVANZ. Wie kommt die griechische Hochschulpolitik zu diesem überdurchschnittlich großen Einfluss? Für eine mögliche Antwort müssen wir in die Zeit zwischen 1967 und 1974 zurückblicken, als Griechenland von einer Militärdiktatur beherrscht wurde. Nach dem wiederholten Verbot der jährlichen Hochschulwahlen gab es Widerstand an den Universitäten, auf den die Junta mit dem Polizeiknüppel reagierte. Die Studierendenproteste eskalierten und gipfelten schließlich in der Besetzung des Polytechnikums. Das Ziel des Aufstandes waren nun nicht mehr bloß freie Hochschulwahlen: Über einen PiratInnensender wurde zum Sturz des Militärregimes aufgerufen. In der Nacht auf den 17. November 1973 stürmte das Militär mit Panzern die Universität und schlug die Revolte blutig nieder. Bis heute gedenkt man der Opfer dieses Ereignisses mit einem jährlichen Marsch. Für die Junta sollte sich die Niederschlagung der Besetzung bald als Pyrrhussieg entpuppen: Die internationale Unterstützung begann zu schwinden, nur wenige Monate später war das Regime Geschichte. Auf diese Weise haben die verbotenen Hochschulwahlen und die darauf folgenden Studierendenproteste den Übergang von der Diktatur zur Demokratie vielleicht nicht verursacht, bestimmt aber beschleunigt.

 

Dieter Diskovic studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien.

 

 

Das Referat für FH-Angelegenheiten: „Viele Mythen, wenig Infos“

  • 28.08.2014, 14:21

Das Referat für Fachhochschul-Angelegenheiten der Bundesvertretung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft bemüht sich darum, spezielle Probleme an Fachhochschulen sichtbar zu machen und Lösungen dafür zu erarbeiten.

Das Referat für Fachhochschul-Angelegenheiten der Bundesvertretung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft bemüht sich darum, spezielle Probleme an Fachhochschulen sichtbar zu machen und Lösungen dafür zu erarbeiten.

Im Frühjahr 2009 wurde das Referat für FH-Angelegenheiten der Österreichischen Hochschüler_innenschaft gegründet – nachdem die Fachhochschul-Studierenden Mitglieder der Österreichischen Hochschüler_innenschaft wurden. Seitdem bemüht sich das jüngste ÖH-Referat darum, Probleme an FHs zu thematisieren, sie an das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft zu transportieren und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. „Wir versuchen vor allem bei bildungspolitischen Themen, die Situation im FH-Sektor klarzumachen, da der Fokus immer noch sehr stark auf den Unis liegt. Außerdem wollen wir für Probleme sensibilisieren, die vielleicht auf den ersten Blick nicht sichtbar sind“, erklärt der Referent für FH-Angelegenheiten Michael Hnelozub. Der Architekturstudent hat in der Vergangenheit selbst Wirtschaftsberatung an der FH Wiener Neustadt studiert. Neben ihm sind noch drei weitere Leute in dem kleinen Referat aktiv.

Vielfältige Probleme

Die Probleme, mit denen sich das Referat beschäftigt, sind vielfältig und von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Konkrete Problemfälle gibt es im Bereich der Gleichbehandlung sowie der Lehrveranstaltungsevaluierung. Oft geht es auch um die Frage der Abwesenheit in den Lehrveranstaltungen, welche laut Michael manchmal sehr unsachlich eingeschränkt wird. Er sieht hier vor allem ein Problem in den selbsterklärt „berufsbegleitenden“ Studiengängen: „Das Arbeiten neben dem Studium ist für viele schwer planbar, dennoch werden Lehrveranstaltungen oder Stundenpläne oft sehr kurzfristig festgelegt. Hat man Familie, wird alles noch schwieriger“, erklärt Michael. Es entstehe hier für die Studierenden ein enormer Organisationsaufwand, der sich mit dem spießt, was die FHs an Serviceleistung propagieren.

Immer wieder haben Studierende Fragen bezüglich des Studienrechts, welches im Fachhochschul-Studiengesetz (FHStG) nur sehr oberflächlich behandelt wird. Fachhochschulen fallen nicht unter das Universitätsgesetz, da sie keine staatlichen sondern private Institutionen sind. Jede Fachhochschule hat dabei spezielle Details in ihrer Prüfungsordnung. „Das FHStG ist ein sehr dünnes Gesetz. Das ist problematisch, da es viel Interpretationsspielraum lässt. Außerdem sind Fristen oder Ausbildungsverträge der verschiedenen Fachhochschulen sehr unterschiedlich“, erklärt der Referent. „Im Zweifel wird daher auf das Universitätsgesetz zurückgegriffen und geschaut, wie dort ein Thema geregelt ist.“

Beratung auf Umwegen

Trotz vieler Fragen wird die Möglichkeit der persönlichen Beratung am Referat eher wenig in Anspruch genommen. „Das Referat ist nicht so präsent, da es relativ klein und neu ist. Viele Anfragen kommen deshalb über Umwege zu uns“, so Michael. Die Beratung geschieht viel in Kontakt mit anderen Referaten, vor allem dem Referat für Studien- und Maturant_innenberatung sowie dem Referat für Bildungspolitik. Dort ist auch eine Juristin für Studienrecht beschäftigt, welche sich zunehmend auch mit FH-Recht beschäftigt.

Beratungstermine werden vom Referat für FH-Angelegenheiten auf Anfrage festgelegt, Präsenzzeiten gibt es keine. Die Beratung erfolgt großteils über E-Mail, teilweise telefonisch. „Viele FH-Studierende können nicht persönlich kommen, weil sie berufstätig sind. Außerdem ist der Großteil der FH-Student_innen nicht in Wien“, erklärt Michael. Diese können sich an die lokalen Vertretungen der ÖH wenden, für die das FH-Referat die Schnittstelle mit der Bundesvertretung bildet. Dort werden Schulungen angeboten, Rechte und Prüfungsordnungen abgeklärt sowie Workshops an den einzelnen Fachhochschulen organisiert. Hier erfolgt auch die Weiterleitung von Informationen an die Fachhochschulen selbst.

Das Fachhochschulgesetz ist ein sehr dünnes Gesetz. Im Zweifel wird auf das Universitätsgesetz zurückgegriffen. Foto: Sarah Langoth

 

Entwicklungshilfe für die Vertretungen

Ein wichtiges Ziel ist es, die Studienvertretungen direkt an den Fachhochschulen zu
stärken. „Wir versuchen vor allem sogenannte `Entwicklungshilfe ́ für FH-Vertretungen zu
geben“, erzählt der Referent. Da die Jahrgangsvertretungen immer nur auf ein Jahr gewählt
werden, gibt es eine hohe Fluktuation. Dies wird teilweise von den Studiengangsleitungen
ausgenutzt, indem sie die Lösungen für Probleme einfach aufschieben. Oft gibt es an den FHs nur ein einziges,
kleineres Vertretungsteam, welches für alle Probleme zuständig ist. Referate gibt es kaum.

Studierendenvertretungen an Fachhochschulen werden - wie auch an Pädagogischen Hochschulen - von
der Bundesvertretung der Österreichischen
Hochschüler_innenschaft mitverwaltet. An den Standorten gibt es zwar eigene Vertretungskörper,
diese sind allerdings keine echte Hochschüler_innenschaft und lediglich ein halb-
selbstständiges Konstrukt. „Oft ist unklar, wie Dinge zu regeln sind und was die gewählten
Vertretungen überhaupt tun dürfen. Wann müssen sie die ÖH fragen, wann müssen sie
die FH fragen?“, erklärt Michael. „Erfreulicherweise ist das mit dem Hochschulgesetz
2014 ab dem nächsten Jahr vorbei. Dann sind die Vertretungsstrukturen und Rechte der
Studierendenvertreter_innen einheitlich geregelt.“

Zu wenig Information, viele Mythen

Der Referent stört sich besonders daran, dass bezüglich der Fachhochschulen viele Mythen kursieren, aber wenig echte Information vorhanden ist: Ein Mythos ist beispielsweise die Aussage, Studiengebühren schaden der sozialen Durchmischung nicht. Dass diese an den Fachhochschulen höher liegt, als an Universitäten, ist vielmehr dem Angebot geschuldet. „Es werden einfach andere Gruppen angesprochen“, meint Michael. Dies seien beispielsweise soziale Schichten, für die eine praxisorientierte Ausbildung interessanter ist als eine forschungsorientierte, oder Berufstätige, denen der Studienbeitrag egal ist.

Ein weiterer Mythos ist, dass die Fachhochschulen effizienter mit Geld umgehen würden als die Universitäten. „Die FH Wiener Neustadt hat zum Beispiel mit griechischen Staatsanleihen hohe Verluste gemacht. Auch die FH Wels hat einen Fehlbetrag von einer halben Million Euro erarbeitet. Es kommt also nicht wie versprochen jeder Euro bei den Studierenden an“, so Michael.

Auch dass die Fachhochschulen so viel Raum zur Verfügung hätten, sei ein Mythos, denn auch hier übersteige das Kontingent an Studierenden langsam den Platz. „FH-Themen werden sowohl von der Politik als auch medial zu wenig hinterfragt. Über Unis wird kritisch und differenziert berichtet, über die FHs hingegen sehr einseitig. Dabei sind vor allem diese untereinander sehr verschieden“, erklärt der Referent.

Im Vergleich zu den Universitäten ist die Datenlage im FH-Sektor dürftig. Da Fachhochschulen als Unternehmen geführt werden, wird vieles als „Geschäftsgeheimnis“ der Öffentlichkeit vorenthalten. Zum Teil muss sogar um die Herausgabe des Curriculums oder einzelner Lehrveranstaltungsbeurteilungen gestritten werden. Die verfügbaren Zahlen sind hauptsächlich Selbstangaben der Fachhochschulen, viele Themen werden aber auch gar nicht erhoben. Weiters gibt es kaum Expert_innen für Fachhochschulen. Da sich Studienanfänger_innen oft an mehreren Fachhochschulen und/oder für mehrere Studiengänge bewerben, sind die Zahlenangaben bezüglich der Bewerber_innen ungenau.

Auch die FHs haben’s nicht leicht

Dennoch sind Missstände nicht nur die Schuld der Fachhochschulen: „Fachhochschulen wurden bis jetzt nie kontrolliert. Es gibt kein straffes Gesetz, welches die Organisation regelt, und keine durchsetzungsstarke Kontrollinstanz“, erklärt Michael. „Das Ministerium agiert nur symptombekämpfend. Die FHs wissen also selbst oft gar nicht, was sie dürfen und was nicht, weshalb es teilweise unnötig restriktive Regelungen gibt.“ Ebenso sei es schwer, sich an der Schnittstelle zwischen den Bedürfnissen der Wirtschaft und den Studierenden anzusiedeln: „Das ist ein ewiger Widerspruch an den Fachhochschulen: Die Leute werden zur Unternehmensgründung, aber letztendlich doch als Arbeitnehmer_innen ausgebildet“, so Michael. Und schließlich handeln die FHs oft einfach in Angst vor schlechter Publicity. Damit könnten Bewerber_innen abgeschreckt werden und so deren Studiengebühren sowie die Finanzierung dieser Studienplätze durch den Bund für die betroffene FH verloren gehen.

Ein besonderes Problem ist die falsche Verteilung von Ressourcen und Rechten. Obwohl beispielsweise bei Studien im Gesundheitswesen wie Logopädie deutlich mehr Bedarf ist, gibt es nur eine sehr begrenzte Zahl an Studienplätzen. Die Studienanfänger_innen bewerben sich deshalb oft an mehreren Standorten und/oder für mehrere Studiengänge und suchen sich bei mehr als einer Zusage eine aus. Dadurch bleiben hier und da schlussendlich Plätze unbesetzt. Bekommen Personen hingegen gar keine Zusage, inskribieren sie sich oft vorübergehend an den Universitäten, wodurch diese überlastet sind. 

Stärkeres Hinterfragen

Mit Vorfällen wie jenem an der FH Wien, bei dem vor kurzem falsche Zu- und Absagen per Mail an die Bewerber_innen ausgesandt wurden, sieht Michael wichtige Diskurse angestoßen:  „Auch wenn das Ökonomisierungsdenken zunimmt, entwickeln FH-Studierende dennoch ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass auch sie Rechte haben. Beispielsweise fragen sie öfter nach, ob das wirklich so stimmt, was die FH sagt.“ Nur durch Feedback können Verbesserungen erzeugt werden. Auch die starren Curricula an den Fachhochschulen stoßen vor allem bei Berufstätigen, welche sich eher als „Bildungskonsument_innen“ sehen, zunehmend auf Widerstand. Es muss begründet werden, wieso gewisse Lehrveranstaltungen für das Studium wichtig sind.

Michael sieht das FH-Referat trotz aller Kompromisse als Anlaufstelle für (zukünftige) Student_innen: „Als ÖH sind wir auf der Seite der Studierenden. Wir können Probleme sichtbar machen und die Menschen dahinter anonymisieren. Dadurch tut sich auch was, aber leider oft ein bisschen zu spät“.

Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Mehr Informationen zum Referat

Studienvertretung zwischen den Stühlen

  • 11.07.2014, 18:56

Doktoratsstudierende sind in Österreich mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Nicht selten verzögert sich dadurch ihr Studium oder sie brechen es gar ab. Bianka Ullman, Vertreterin in der Fachschaft Doktorat der Technischen Universität in Wien, hat mit progress über die größten Problemfelder gesprochen.

Doktoratsstudierende sind in Österreich mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Nicht selten verzögert sich dadurch ihr Studium oder sie brechen es gar ab. Bianka Ullman, Vertreterin in der Fachschaft Doktorat der Technischen Universität in Wien, hat mit progress über die größten Problemfelder gesprochen.

progress: Was sind die häufigsten Probleme, mit denen Menschen zu euch in die Beratung kommen?
Bianka Ullmann: Wie wechsle ich mein Doktoratsstudium? Das kommt nämlich öfter vor, als man glaubt. Und insbesondere für die, die aus dem Ausland oder von einer anderen Uni kommen, ist das gar nicht so einfach, weil man nur für ein Studium beziehungsweise für ein Fachzugelassen ist. Das heißt, wenn man Studium oder Fach wechselt, muss man nochmal eine Zulassung beantragen. Das ist ein Problem, mit dem wir oft konfrontiert sind. Es kommt aber auch vor, dass Studierende kommen, denen ihre Arbeit oder mein Gedankengut geklaut wurde.

Kommt das oft vor?
Ich glaube, es gibt eine hohe Dunkelziffer, weil man sich das oft nicht sagen traut. Das passiert oft in der eigenen Forschungsgruppe und man möchte die Kollegin oder den Kollegen, der/die das gemacht hat, nicht bloßstellen. Vielleicht spricht man das mal persönlich an, aber es ist nichts, wo man rechtliche Schritte setzt oder sich beraten lässt, wie das funktioniert. Deshalb glaube ich, dass das öfter passiert, als wir wissen. Wir hatten bis jetzt zwei Fälle, die sich bei uns diesbezüglich haben beraten lassen.

Wie steht es um die finanziellen Situation von Doktoratsstudierenden? Ist sie oft ein Grund das Doktoratsstudium abzubrechen?
Das kommt sicher auch vor. Aber da sind wir eher bei dem Problem, dass das in die Länge gezogen und einfach nicht fertig wird. Es ist kein bewusstes Aufhören, keine Entscheidung 'ich brech jetzt ab'. Vielmehr kommen immer andere Dinge dazwischen. Ich glaube auch, dass ganz oft Schwangerschaften mit ein Grund sind, Gerade wenn man auf finanzierten Stellen sitzt, hat man dann wenig Möglichkeiten dieses Projekt fertig zu machen. Dementsprechend ist das auch ein Grund, nicht weiter zu machen, weil man nach einer Unterbrechung nicht so leicht wieder hineinkommt.

Gibt es andere genderspezifische Gründe, warum vor allem Frauen das Doktoratsstudium abbrechen ? Beispielsweise Übergriffe am Arbeitsplatz?
Gibt es sicher auch. Ich hab aber persönlich keinen Fall betreut. So etwas passiert oft hinter verschlossenen Türen. Die Leute reden über sowas nicht. Ich kenne Geschichten, die sind wieder über drei Ecken. Wer weiß wie wahr oder unwahr sie sind. Ich kenne auch Geschichten von Professoren, die ihre Studentinnen nicht unbedingt sehr kollegial behandeln. Und in manchen Bereichen gibt es nach wie vor sehr wenige Frauen. Gerade im Bereich Maschinenbau und Elektrotechnik - bei uns am Institut sind wir zwei Frauen.

Ist es generell schwieriger als Frau Doktorat an einer technischen Studienrichtung zu machen?
Ich persönlich fühle mich sehr wohl dort, wo ich bin. Ich glaube aber schon, dass es insgesamt schwieriger ist, weil du ganz oft mit einer eine Art struktureller Diskriminierung konfrontiert bist, wenn sich jemand über dich lustig macht, weil du auffällst und in der Minderheit bist. Das sind auch so Probleme, über die man wenig weiß, weil die Frauen auch nicht darüber sprechen, als wäre es etwas Negatives, weil sie ja dazu gehören wollen. Das heißt, sie lachen dann mit, auch wenn ihnen der Witz oder die Aussage unangenehm ist. Sie lachen mit, damit sie quasi zur Gruppe dazugehören, weil sie sonst keine Chance auf soziale Anbindung haben.

Welche weiteren Gründe für Studienverzögerung und Abbruch, gibt es?
Auflagen sind oft ein Grund für Verzögerungen Wenn du von einer anderen Uni kommst, ist es relativ wahrscheinlich, dass du bei der Zulassung Auflagen bekommst, und das spielt sich im Rahmen von 20 ECTS ab, was im Doktoratsstudium sehr viel ist. Ich hab schon ganz oft von Leuten gehört, dass sie zwei Jahre zusätzlich gebraucht haben, um diese Auflagen zu erfüllen.

Betrifft das auch FH-Studierende?
Die betrifft das besonders. Mittlerweile ist klar geregeltl, dass sie direkt zugelassen werden müssen, zumindest die, die in einer dafür geschaffenen Verordnung aufgelistet sind. Das heißt im Moment haben wir eine unfaire Situation: Es gibt eine Gruppe von FH-Absolventen und -Absolventinnen, die direkt zugelassen werden ohne Auflagen, dann gibt es eine Gruppe, die mit sehr viel Auflagen zugelassen werden und drittens werdenUni-Absolventinnen und -Absolventen auch immer nur mit Auflagen zugelassen, wenn sie das Fach oder die Universität wechseln. Da brauchen manche Leute natürlich mehr Zeit, das wirkt auf alle Fälle verzögernd.
 

Zwischen den Stühlen

  • 27.06.2014, 18:25

Nicht alle Studierenden, die ein Doktoratsstudium beginnen, können es auch (fristgerecht) beenden. Verantwortlich dafür sind strukturelle Probleme, die oft ignoriert werden.

Nicht alle Studierenden, die ein Doktoratsstudium beginnen, können es auch (fristgerecht) beenden. Verantwortlich dafür sind strukturelle Probleme, die oft ignoriert werden.

Ein Doktoratsstudium wird von Politik und Medien gerne als Ausdruck österreichischer Titelgeilheit dargestellt. Die Gründe dafür, eine Dissertation zu schreiben, sind aber meist ganz andere: der Wunsch nach mehr Wissen und dem Einstieg in eine akademische Karriere. Etwa 8,6 Prozent aller österreichischen Studierenden haben im Jahr 2011 im Doktorat studiert – das sind etwa 26.000 Personen. Sie sind durchschnittlich 33,9 Jahre alt, 53 Prozent davon sind Männer, ein Viertel der DoktorandInnen hat bereits Kinder – und oft haben sie andere Bedürfnisse und Probleme, als Studierende im Bachelor, Master oder Diplom. Ein Grund dafür ist ihr Schwebezustand: mit einem Fuß noch Student_in, mit dem anderen Fuß schon in der wissenschaftlichen Karriere.

Von Anfang an Probleme. Bereits der Einstieg ins Doktorat stellt oft die erste Hürde dar. Nicht überall kann man sich ohne die Zustimmung einer Betreuungsperson inskribieren. Betreuen darf aber nur, wer selbst habilitiert ist, was die Auswahl an fachlich in Frage kommenden Personen stark einschränkt. Zwar dürfen habilitierte Personen aus ganz Österreich und dem Ausland angefragt werden, eine persönliche Betreuung vor Ort ist in solchen Fällen aber kaum möglich. Die Betreuungsperson sollte im Idealfall außerdem jemand sein, den der_die Student_in schon kennt, da eine gute Vertrauensbeziehung im Doktorat notwendig ist.

In technischen oder naturwissenschaftlichen Studienrichtungen ist sogar ein – oftmals durch Drittmittel – finanzierter Forschungsplatz Voraussetzung, um ein Doktorat beginnen zu können, da sonst die für die Forschung notwendigen Ressourcen nicht gegeben sind.

Auch das Doktorat wurde im Zuge der Bolognareform „modernisiert“, was beispielsweise die Uni Wien dazu genutzt hat, um im „Doktorat neu“ eine „fakultätsöffentliche Präsentation“ (FÖP) des eigenen Forschungsexposés innerhalb des ersten Jahres einzuführen. Vor der Präsentation dürfen offiziell keine Lehrveranstaltungen besucht werden, was jedoch für den Bezug der Studienbeihilfe notwendig wäre. Der weitere Bezug ist nur durch eine Ausnahmeregelung gewährleistet. Dabei bezieht ohnehin nur ein Prozent der Doktoratsstudierenden klassische Studienbeihilfe, ein etwas größerer Anteil erhält Selbsterhalterstipendien.

Foto: Linnēa Jänen


Universitärer Hindernislauf. Viele Vorteile für Studierende – Familienbeihilfe, vergünstigte Tickets für öffentliche Verkehrsmittel, Ermäßigungen – haben ein Alterslimit, das viele Doktoratsstudis übersteigen. Dazu kommen oft auch veränderte Lebensumstände, wie Kinder und Familie. Tobias*, der während seines Doktorats Vater wurde, klagt über die unsichere Lage und die wenige Zeit, die er für seine Familie gefunden hat: „Besonders schwierig war das ab dem ersten Baby zu vereinbaren – also musste ich noch mehr nachts arbeiten, da man als moderner Papa ja auch Zeit mit dem Kind verbringen will. Meine Anstellungen am Institut waren leider stets mit Befristungen von drei Monaten bis maximal einem Jahr verbunden. Sie wurden dann immer erst recht kurzfristig verlängert, was eine blöde Situation war, insbesondere wenn man dann schon eine Familie und damit Verpflichtungen hat.“

Studierende, die nicht ins Konzept einer weißen, gesunden, männlichen Uni passen, verschwinden im Doktorat zunehmend. Für Studierende mit besonderen Bedürfnissen gibt es wenige Angebote zur Unterstützung. Auch die Diskriminierung von Studierenden aus „Drittstaaten“ verschärft sich, da sie für die Zeit zwischen Diplom und Doktorat eine Anstellung nachweisen müssen, um zum Doktoratsstudium zugelassen zu werden. Wer extra fürs Doktorat nach Österreich kommt, muss die komplizierte Anrechnung ausländischer Abschlüsse bestehen. Der ständige Kampf um Aufenthaltstitel und Visa kommt noch erschwerend hinzu. Ein Studierender aus Südasien musste über ein halbes Jahr Behördenläufe absolvieren, bis er seine Familie nach Österreich bringen konnte: „Meine Konzentration war in dieser Zeit schwer beeinträchtigt, da ich meine Familie so vermisst habe.“ Dazu kommt oft eine Eingewöhnungsphase in Österreich, sowohl das alltägliche Leben, als auch den universitären Habitus betreffend.

Im Fall einer erfolgreichen Zulassung können Unis für Studierende, die ihr Vorstudium nicht an derselben Uni absolviert haben, Zusatzleistungen vorschreiben. Dies betrifft vor allem Studierende mit ausländischen Hochschulabschlüssen und auch solche, die innerhalb von Österreich die Uni wechseln. Denn für die Anrechnung bereits erbrachter Studienleistungen gibt es keine einheitliche Regelung, die einzelnen Fakultäten beziehungsweise. Institute dürfen selbst entscheiden. Einzig der Wechsel zwischen spezifischen Fachhochschulstudien zu spezifischen Doktoratsstudien an Unis ist geregelt. Hier fällt allerdings der Unterschied zwischen FHs und Unis besonders ins Gewicht. Ein solcher Wechsel macht eine zeitaufwendige Neuorientierung notwendig, da der Studienalltag an Unis und Fachhochschulen sehr unterschiedlich sein kann. Und das meistens alles, ohne überhaupt zu forschen, an der Dissertation zu schreiben oder die Arbeit zu finanzieren.

Foto: Linnēa Jänen


Ein großer Teil der Doktoratsstudierenden finanziert die eigene Forschungsarbeit entweder privat oder über Drittmittel, abhängig von Studienrichtung und Hochschulstandort. An vielen Universitäten gibt es bezahlte Prä-Doc-Stellen, die allerdings nicht Vollzeit für das Doktorat genutzt werden können, sondern weitere Verpflichtungen beinhalten. Besonders an künstlerischen Unis gibt es praktisch keine bezahlten Doktoratsprogramme.

Arbeitsplatz Universität? Nur 27 Prozent der Doktoratstudierenden können die eigene Uni als ihren Arbeitsplatz bezeichnen. Hier gibt es starke strukturelle Unterschiede zwischen den Wissenschaftsdisziplinen: Bezahlte Doktorate gibt es vor allem im Bereich der Technik und Naturwissenschaften, während sich in den Geistes-, Sozial-, Kulturund auch Rechtswissenschaften zwischen 76 und 90 Prozent der Doktoratstudierenden selbst finanzieren müssen. Wer eine Anstellung an der Uni hat, hat zwar temporär eine Finanzierung, die aber oft nur einen Teil des Doktorats abdeckt. Universitäten benutzen auch bei Doktoratsstudierenden beziehungsweise Assistenzstellen gerne Kettenverträge, die auf wenige Jahre befristet und nicht verlängerbar sind.

Oft muss neben der Forschungsarbeit für die eigene Dissertation auch noch für die Betreuungsperson mitgeforscht werden, vor allem bei Laborarbeit in technischen und naturwissenschaftlichen Studienrichtungen. Zusätzlich geht mit vielen Assistenzstellen auch eine Lehrverpflichtung einher. Damit können DoktorandInnen zwar durchaus wertvolle Erfahrungen im Bereich der universitären Lehre sammeln, die Lehre stellt aber auch eine beträchtliche Zusatzbelastung dar, wenn keine geeigneten Rahmenbedingungen geschaffen werden. Gleichzeitig gibt es auch Institute, an denen Menschen ohne abgeschlossenes Doktorat überhaupt nicht unterrichten dürfen und so keine Erfahrungen in diesem Bereich sammeln können. Studierende ohne fixen Arbeitsplatz an der Uni müssen sich nicht nur großteils selbst finanzieren, sie arbeiten in der Regel auch in Berufen, die nicht mit ihrem Studienfeld zusammenhängen. Sie nehmen das in Kauf, um ein Doktoratsstudium betreiben zu können, das verlängert aber meist die Dauer des Studiums. Hinzu kommt die große Diskrepanz zwischen Studierenden, die durch ihre Assistenzstelle bereits an der Unit Fuß fassen können und jenen, die ohne Anstellung strukturell von Teilen des Universitätsbetriebs ausgeschlossen sind. Sie beklagen oftmals, dass sie sich an der Uni unsichtbar fühlen.

Foto: Linnēa Jänen


Doktormutter, Doktorvater? Einen Vorteil eines Arbeitsplatzes an der Uni scheint die räumliche Nähe zur Betreuungsperson darzustellen. Allerdings trügt auch hier der Schein: Es gibt Professor_ innen, die ihre Doktoratsstudierenden zwar für sich arbeiten lassen, aber ihnen keinen Raum für und auch kein Feedback auf ihre eigene Arbeit geben. Dabei sollte das Verhältnis zur Betreuungsperson im Doktorat intensiver als im bisherigen Studium sein. Die Betreuungsperson soll nicht nur Feedback auf die wissenschaftliche Arbeit geben, sondern auch dabei helfen, sich im wissenschaftlichen Betrieb zu etablieren. Diese Nähe führt allerdings auch zu einem Abhängigkeitsverhältnis, denn Doktoratsstudierende sind unmittelbar auf ihre Betreuungspersonen angewiesen. Daraus kann eine Reihe von Problemen erwachsen, beginnend bei mangelnder Betreuung und Meinungsverschiedenheiten, bis hin zum Studienwechsel oder -abbruch. Etwa im Falle von Boris*, der die Korruption seiner Betreuungsperson – etwa als Forschungsreisen getarnte Familienurlaube und Vetternwirtschaft bei der Besetzung von Stellen – nicht weiter hinnehmen wollte und daraufhin massiv gemobbt wurde. „Schließlich habe ich komplett von vorne ein Doktorat an einer anderen Uni begonnen.“ Wie oft solche Situationen vorkommen, ist nicht bekannt, da keine Zahlen erhoben werden. Das gilt ebenso für Übergriffe im Rahmen der Betreuung oder in Forschungsgruppen, von denen vor allem Frauen betroffen sind. Oft werden solche Übergriffe aus Angst vor Konsequenzen nicht gemeldet, denn niemand möchte als „Netzbeschmutzer_in“ gelten und sich so selbst den Zugang zu einer akademischen Karriere verbauen.

Wer kümmert sich um die Sorgen von Doktoratsstudierenden? Die Vertretungsarbeit im Rahmen einer Studienvertretung fällt vielen schwer, die ohnehin bereits mehr als 40 Stunden an der Uni verbringen oder ihr Studium durch Jobs selbst finanzieren müssen. Oft sind Zuständigkeiten auch unklar, weil Dokoratsstudierende einen unklaren Status – zwischen jenem von Studierenden und jenem des wissenschaftlichen Nachwuchs – innehaben. Um ihre Lage zu verbessern, bräuchte es zunächst unabhängige Beratung beim Übergang vom Grundstudium zum Doktorat, um über offizielle und inoffizielle Voraussetzungen und Anforderungen des Doktorats aufzuklären. Um die Mehrfachbelastung abzuschwächen, benötigen mehr Studierende ausreichende finanzielle Unterstützung in der Form von vollwertigen Stipendien oder festen Anstellungen an der Universität. Vor allem für benachteiligte Gruppen fehlen diese. Aber auch kleinere Verbesserungen wie universitätsinterne E-Mail-Adressen und ein umfassenderer Zugang zur Bibliothek könnten helfen, Studierende ohne Anstellung besser in die Uni einzubinden. Zwar wird wissenschaftliche Arbeit damit noch kein normaler 40-Stunden-Job, aber so könnten mehr Doktoratsstudierende tun, was sie sich von ganzem Herzen wünschen: einfach forschen können.

*In den Artikel sind die persönlichen Erfahrungsberichte von über 20 Doktoratsstudierenden von neun öffentlichen Universitäten in ganz Österreich eingeflossen. Ihre Angaben wurden anonymisiert, um sicher zu stellen, dass sie für ihre Berichte keine Konsequenzen in ihren Betreuungsverhältnissen fürchten müssen. Alle Statistiken aus: Studierende im Doktorat. Zusatzbericht der Studierenden-Sozialerhebung 2011

Magdalena Hangel studiert Germanistik, Geschichte und Gender Studies an der Universität Wien und arbeitet zurzeit an ihrer Doktorinnenarbeit im Bereich der Literaturwissenschaft.

Auf progress-online.at ist auch ein Interview zum Thema „Studierendenvertretung im Doktorat“ erschienen.

Wer braucht eigentlich diese ÖH?

  • 21.03.2014, 12:18

Es ist ein hartnäckiges Problem, dass gute politische Arbeit selten wahrgenommen oder gar gewürdigt wird, Kritik ungeachtet ihrer Legitimation allerdings schnell und ausführlich breitgetreten wird. Die Medienberichte der letzten Wochen zur ÖH verlangen nach einer ausführlichen Antwort. Ein Kommentar des Vorsitzteams der ÖH-Bundesvertretung.

Es ist ein hartnäckiges Problem, dass gute politische Arbeit selten wahrgenommen oder gar gewürdigt wird, Kritik ungeachtet ihrer Legitimation allerdings schnell und ausführlich breitgetreten wird. Die Medienberichte der letzten Wochen zur ÖH verlangen nach einer ausführlichen Antwort. Ein Kommentar des Vorsitzteams der ÖH-Bundesvertretung.

Die ÖH durfte sich in letzter Zeit nicht wenige Zweifel an ihrer Sinnhaftigkeit, ihrer Kompetenz und ihrer Bereitschaft zu „sinnvoller“ Arbeit anhören. Stein des Anstoßes waren ursprünglich die Demonstrationen gegen den sogenannten „Akademikerball“, dessen Funktion als rechtes Vernetzungstreffen kaum noch bestritten wird. Die ÖH beteiligte sich, wie auch viele andere Organisationen, am Aufruf, gegen die Abhaltung dieses Balls in den repräsentativsten Räumlichkeiten der Republik, der Wiener Hofburg, zu protestieren. Nachdem es am Rande der Demonstrationen, bei denen sich tausende Menschen friedlich auf der Straße versammelt hatten, zu Ausschreitungen kam, wurden alle Organisationen, die sich für die friedlichen Demonstrationen ausgesprochen hatten, unter den Generalverdacht gestellt, gewaltbereite Gruppen zu sein oder diese zumindest zu schützen.

Auch der Geschichte rund um den Facultas-Verlag wurde immense mediale Aufmerksamkeit geschenkt. Dieser ist als Aktiengesellschaft organisiert und gehört je zur Hälfte den Hochschüler_innenschaften an der Universität Wien und an der Wirtschaftsuniversität. Im Kreuzfeuer der Medien stand das Bruttoeinkommen des Alleinvorstandes des Verlages. Dieser erhielt 2012 tatsächlich eine astronomisch hohe Gage, was von den betroffenen Hochschüler_innenschaften auch kritisiert wurde. Der Tenor der daraufhin über die ÖH hereinbrechenden Berichte war aber ein anderer: Da ging es plötzlich um Korruption, Selbstbereicherung, Günstlingswirtschaft. Ein nicht haltbarer Vorwurf, denn der Verlagsvorstand ist kein ÖH-Funktionär – dazu müsste er nämlich erstens noch studieren und zweitens ehrenamtlich arbeiten. Darüber hinaus fließen keine ÖH-Beiträge in die Gesellschaft.

Absurde Vorwürfe. Die Aufregung gipfelte schließlich in einem Kommentar von Martina Salomon im Kurier, den sie mit den Worten „Wer braucht eigentlich die Hochschülerschaft?“ eröffnete. Kernaussage: Statt die Interessen der Studierenden zu vertreten, habe die ÖH „in erster Linie Gesellschaftspolitik im Sinn“. Ein Vorwurf, dessen Absurdität bereits ein Blick in den Alltag jener tausender Studierender, die sich in Studierendenvertretungen, Universitätsvertretungen und der ÖH-Bundesvertretung engagieren, zeigt: Allein in der ÖH-Bundesvertretung arbeiten 86 Studierende ehrenamtlich. Im Jahr 2013 fanden in der Studien- und Maturant_innenberatung, der Sozial-, der Wohnrechts- und der studienrechtlichen Beratung sowie der Beratung für ausländische Studierende ca. 2.000 persönliche und 5.700 telefonische Gespräche statt, etwa 5.000 Studierende wurden schriftlich beraten. Im Rahmen der Studien- und Maturant_innenberatung fanden 297 Schulbesuche statt, am Projekt Studieren Probieren nahmen 1.178 Schüler_innen teil – das alles nur im Rahmen der ÖH-Bundesvertretung, die Arbeit der lokalen Vertretungen miteinzubeziehen würde die Zahlen noch um ein Vielfaches steigern.

Es ist aber nicht nur Aufgabe der ÖH, Service zu bieten, sondern auch Politik mitzugestalten. Für uns ist ÖH mehr als ein Kopiershop; mit einem Skriptenverleih etwa lassen sich keine Gesetze für die Verbesserung der Studienbedingungen erwirken. Studierendenvertreter_innen kämpfen auf allen Ebenen – von Curricularkommissionen, Rektoraten bis zu Ministerien – für die Rechte von Studierenden und setzen sich für Verbesserungen in der Hochschullandschaft ein.

Wenn Salomon in ihrem Kommentar behauptet, die schlechter werdenden Studienbedingungen würden die ÖH nur am Rande interessieren, greifen wir uns an den Kopf, besteht unsere Arbeit doch zum allergrößten Teil darin, uns gegen solche Verschlechterungen einzusetzen – in Zeiten knapper Budgets sowohl der Bundesregierung als auch der Hochschulen eine undankbare Aufgabe. Wenn es der ÖH dann nicht immer gelingt, durch konstruktive Gespräche ein Bewusstsein bei der Gegenspielerin zu schaffen, muss vor Gericht gezogen werden, was zum Beispiel bei den autonomen Studiengebühren der Fall war. Ohne die ÖH wäre hier bis heute keine Rechtsicherheit gewährleistet und Universitäten würden immer noch zu Unrecht Geld von Studierenden einheben. Ohne die ÖH gäbe es keine Stimme der Studierenden in Studienkommissionen, Senaten, FH-Kollegien oder der Hochschulkonferenz, dem Beratungsgremium des Ministeriums.

Hochschulpolitik ist Gesellschaftspolitik. Darüber hinaus nimmt die ÖH auch ihr gesetzlich verankertes, allgemeinpolitisches Mandat wahr. Als engagierte Studierende sehen wir es als unsere Aufgabe, nicht einfach nur zuzuschauen, wie es Politiker_innen allzu oft tun, wenn die Rechte von Schwächeren beschnitten werden. Auch dann nicht, wenn Rechtsextremist_innen aus ganz Europa in der Hofburg tanzen und sich als „Akademiker“ bezeichnen. Gerade weil Hochschulen eine ausgesprochen braun durchsetzte Vergangenheit haben.

Hochschulen schweben nicht im luftleeren Raum und Probleme der Gesellschaft verlieren an ihren Eingangstoren nicht an Wirkung, sondern setzen sich in ihnen fort – man beachte die Frauenquoten unter Studierenden (ca. 54 Prozent), vergleiche sie mit jener bei Universitätsangestellten insgesamt (ca. 39 Prozent) und diese wieder mit jener bei Universitätsprofessor_innen (ca. 22 Prozent). Wer dann noch der Meinung ist, Feminismus gehe Studierende und ihre Vertretung nichts an, muss gegen Gesellschaftspolitik die gleiche unverständliche Abneigung hegen wie Frau Salomon, die dazu sagt, „da geht es um die Verbesserung der Welt“ und das scheinbar auch noch negativ meint. Ja, genau darum geht es – und wenn schon nicht um die Welt als Ganze, dann doch zumindest um den kleinen Teil, in dem wir uns täglich bewegen.

Vor allem sollten wir aber nicht die vielseitige, ehrenamtliche Arbeit und das Engagement von über 1.000 Studierenden in populistischer und destruktiver Kritik untergehen lassen. Wir möchten hier unseren Appell an alle engagierten Studierenden richten, die tagtäglich ehrenamtlich für die Interessen von Studierenden einstehen und kämpfen: Macht weiter so.

 

Die Autor_innen, Florian Kraushofer, Julia Freidl, Bernhard Lahner und Viktoria Spielmann, bilden gemeinsam das Vorsitzteam der ÖH-Bundesvertretung.

 

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