Antifaschismus

Die Linke hat beim Rassismus versagt

  • 21.05.2014, 13:07

Große Teile der griechischen Bevölkerung leiden unter der Wirtschaftskrise und Austeritätspolitik. Dagegen formiert sich politischer Widerstand. Wie dieser zu beurteilen ist, darüber sprach progress online mit Stefanos, einem Aktivisten der athenischen Antifa Negative.

Große Teile der griechischen Bevölkerung leiden unter der Wirtschaftskrise und Austeritätspolitik. Dagegen formiert sich politischer Widerstand. Alessandro Volcich hat für progress online mit Stefanos, einem Aktivisten der athenischen Antifa Negative, darüber gesprochen.

progress online: Du bist Mitglied der Gruppe Antifa Negative. Ihr kritisiert andere griechische linke Gruppen für ihre Haltung gegenüber dem Rassismus. Könntest du eure Kritik etwas ausführen?

Stefanos: Die antiautoritäre und anarchistische Szene geht gegenüber MigrantInnen und der Frage des Rassismus mit einer altmodischen Klassenanalyse vor. Sie solidarisieren sich mit MigrantInnen nicht weil sie Opfer rassistischer Staatspolitik oder nazistischer Gewalt sind, sondern weil sie als ArbeiterInnen gelten. Und das sind noch die vernünftigeren. Andere solidarisieren sich mit MigrantInnen in keinster Weise. Das alles war für uns erstickend, weil wir glauben, dass es genügt, Opfer rassistischer Gewalt zu sein, um unterstützt zu werden.

Kannst du mir ein Beispiel nennen, wie die Linke beim Rassismus versagt hat?

Im Jahr 2004 gewann die griechische Fussballnationalmannschaft die UEFA EURO. Kurz danach gab es ein Match zwischen der griechischen und der albanischen Nationalmannschaft und die albanische gewann. Darauf kam es in ganz Griechenland zu Angriffen gegen Menschen, die man für AlbanerInnen hielt. Es gab viele Verletzte und sogar einen Mord. Die Antwort der Mainstream-Linken, der heutigen Syriza, war eine Demo mit der Parole: „Griechen sind keine Rassisten". Die AnarchistInnen hingegen marschierten unter dem Motto:  „Wir sind gegen beide Nationalismen, den griechischen und den albanischen". Aber das hatte mit der Situation nichts zu tun. Denn es gab ja keinen Konflikt zwischen zwei Armeen, sondern einer Welle rassistischer Gewalt.

Und das war noch vor der Wirtschaftskrise.

Es war gleich nach den Olympischen Spielen, zur Zeit eines Konjunkturhochs.

Kommen wir zur aktuellen Situation. Wie entwickelten sich in den letzten Jahren die Reaktionen auf die Wirtschaftskrise?

Als Griechenland den Deal mit dem IWF abschloss, das „Memorandum", gab es eine Protestbewegung im ganzen Land. Dabei kam es überall - am Syntagma-Platz in Athen war es besonders deutlich - zu dem, was man den „oberen" und „unteren Platz" nannte. Am oberen Platz, gleich vor dem Parlament, standen die Nazis und andere rechte Spinner mit Griechenlandfahnen und brüllten antisemitische Parolen, dass Giorgos Papandreou (ehemaliger Premier, Anm.) Jude sei. Auf der unteren Seite stand die Linke, die des Mainstreams und die radikale, und hielt Reden über direkte Demokratie. Und sie alle standen da friedlich Seite an Seite – während gleichzeitig im Zentrum Athens ein Pogrom gegen MigrantInnen stattfand. Das ist symptomatisch für die Reaktion der griechischen Gesellschaft auf die Krise, dass es heute keine Trennlinien mehr zwischen den Griechen gibt. Nun vergessen wir rechts und links. Ich weiß nicht, ob das je etwas bedeutet hat - heute tut es das jedenfalls nicht mehr. Die Opposition verläuft heute zwischen der leidenden griechischen Bevölkerung und den Verrätern, die die Maßnahmen des IWF unterstützen. Es ist eine populistische Hysterie.

 

„Goldene Morgenröte ist die griechische Hisbollah"

 

Wie hat die neonazistische Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi) es geschafft, politisch aufzusteigen?

Es gibt sie seit 1980 und sie waren eine marginale Nazi-Gruppe. Sie haben einige militante Aktionen gemacht, wie Angriffe auf AntifaschistInnen oder MigrantInnen. Wobei während der 1990er und 2000er Jahre rassistische Morde meist nicht von Chrysi Avgi verübt wurden, sondern von normalen Griechen. Chrysi Avgi waren schwach und bekamen 0,0-irgendwas bei den Wahlen. Bei den Syntagma-Protesten intervenierten sie wie jede politische Gruppe es bei einer sozialen Bewegung machen würde. Und da wurden sie zum ersten Mal der Durchschnittsbevölkerung bekannt. Danach erhielten sie gute Wahlergebnisse und kamen ins Parlament.

Demo gegen die Goldene Morgenröte in Athen. Foto: Dieter Diskovic

Wie reagierten die anderen politischen Kräfte auf den Aufstieg der Chrysi Avgi? Immerhin eine offen antisemitische und rassistische Partei.

Das erste, was alle sagten war, dass ihre WählerInnen vom politischen Establishment enttäuscht waren und keine Nazis sind. Die Linke versuchte zum einen darauf hinzuweisen, dass sie gewalttätig wären. Das war sinnlos, denn damit übernahmen sie die Propaganda der Chrysi Avgi und beförderten ihr Image als brutale, unbesiegbare Kraft. Oder aber sie sagten, dass Chrysi Avgi keine echten Patrioten wären. Die konservativen und Zentrumsparteien sagten, dass die Chrysi Avgi es geschafft hätte, Antworten auf die Probleme der Leute zu geben, wie die illegale Migration und Kriminalität. Und deshalb müsse man so wie die Chrysi Avgi werden, damit sie nicht mehr gewählt werden. Ein Mitglied der sozialistischen Pasok, Andreas Loverdo (Anm.: ehemaliger Gesundheitsminister) sagte, dass Chrysi Avgi sei die erste Volksbewegung seit 30 Jahren und sie sei die „griechische Hisbollah", was für ihn etwas Gutes sei. Das ist nichts ungewöhnliches, die griechische sozialistische Partei hat eine lange Geschichte des Antisemitismus.

Erst nach dem Mord durch zwei Mitglieder von Chrysi Avgi an einem Griechen, dem Antifaschisten und Rapper Pavlos Fyssas, scheint Chrysi Avgi eine rote Linie überschritten zu haben, denn die Regierung griff danach hart durch, verhaftete einige Parteimitglieder, Parlamentsabgeordnete und sogar ihre Führung. Wie siehst du die Rolle des Staats als „Antifa"?

Während sie mit der einen Hand das machen, verrichten sie mit der anderen die Arbeit der Chrysi Avgi. Gleich nach den Verhaftungen führte die Polizei riesige Schleierfahndungen im Zentrum Athens durch und verhafteten jeden, der nicht griechisch genug aussah. Um die zwanzig Prozent hatten keine Papiere. Man kann von einer terroristischen Operation sprechen. Sie haben auch Romasiedlungen überfallen, um zu zeigen, dass auch der Staat damit umgehen kann. Der Antiziganismus war hoch oben auf der Agenda der Chrysi Avgi. In Thessaloniki hatte man Transfrauen massenweise unter dem Vorwand illegaler Prostitution verhaftet.

Graffito am Polytechnikum in Athen in Erinnerung an dem linken Rapper Pavlos Fyssas aka Killah P., der am 18. September 2013 von einem Neonazi ermordet wurde. Foto: Dieter Diskovic

 

„Sie haben Merkel zum Symbol gemacht"

 

Nun zur linken Partei Syriza. Sie versteht sich selbst als "Koalition der radikalen Linken". Wie radikal ist sie wirklich?

In ihrem Verständnis bedeutet Radikalismus, gegen die vom IWF auferlegten Maßnahmen zu sein und sie spielen mit einer Anti-EU-Rhetorik. Einer ihrer Flügel möchte auch aus der EU austreten, aber das ist nicht Parteilinie. Meistens sind sie etwas zweideutig und sagen, sie wollen in der EU bleiben, aber ohne IWF-Maßnahmen. Und sie bedienen sich Slogans wie: „Wir stehen einer neuen deutschen Besatzung bevor". Sie haben also keine klassische Klassenanalyse, sondern eine populistische, die den Bänkern vorwirft, nichts zur Wirtschaft beizutragen und Instrumente der deutschen Regierung zu sein. Sie haben dabei Merkel zum Symbol gemacht, oft auch mit sexistischen Untertönen.

Slavoj Zizek, ein Fan von Syriza, hat ihrem Vorsitzenden Alex Tsipras sogar den Rat gegeben, sich mit der „patriotischen Bourgeoisie" zu verbünden.

Aber das ist ja schon längst in ihrem Programm! Das schlimmste war, als es Gespräche zwischen Syriza und den Unabhängigen Griechen (Anel), eine rechtspopulistische Partei, gab. Beide sind gegen den IWF und die EU. Tsipras hat sich mit Panis Kammenos, dem Vorsitzenden der Anel, getroffen und es war die Rede davon, eine Koalition bilden zu können - was unheimlich wäre. Die Anel sind der rechte „lunatic fringe". Das sind Leute, die in diese Chemtrails-Verschwörungen glauben und dass George Soros die Wirtschaft kontrolliert.

Und so eine Koalition würde bei der Basis durchgehen?

Syriza war einmal eine sehr kleine linke Partei. Vor der Krise wurden sie von einigen Radikalen gewählt, weil sie sympathische Positionen hatten, wie beispielsweise gegenüber dem Zwang zum Militärdienst. Als sie so schnell viele Stimmen bekamen, haben sie alles auch nur entfernt Progressive aufgegeben. Anfang diesen Jahres gab es einen Skandal um Theodoros Karypidis, einem Kandidaten Syrizas zu den Lokalwahlen. Die Vorgeschichte war die kürzliche Restrukturierung des öffentlichen Fernsehens. Man hat alle TV-Stationen geschlossen, jede und jeden entlassen und einen neuen Kanal mit dem Namen NERIT mit neuem Personal eröffnet. Karypidis postete auf Facebook, wie NERIT vom hebräischen Ner, der Kerze zu Hannukah, stammt und wie die Juden zu Hannukah ihren Hass gegen die Griechen feiern würden. Er war aber schon davor antisemitisch aufgefallen und Syriza hat ihn trotzdem nominiert. Es gab dann eine interne Auseinandersetzung über seine Absetzung, bevor man es am Ende dann doch tat. Um noch eins drauf zu setzen, veröffentlichte man einen Artikel in der parteieigenen Zeitung Avgi, wo man dem American Jewish Committee, das über den Vorfall berichtete, verboten hatte, sich in interne griechische Angelegenheiten einzumischen.

 

„Jüdische Mörder"

 

Welche Rolle spielt denn der Antisemitismus in Griechenland generell?

Vor ein paar Tagen (am 25.3., Anm.)  feierte man den Nationalfeiertag der Unabhängigkeit Griechenlands vom Osmanischen Reich. Bei dieser Gelegenheit wird die Hymne gesungen, die das Gedicht eines nationalistischen Dichters der Zeit ist. Darin wird das Massaker an Juden und Muslimen von Tripoli gefeiert. Der Antisemitismus ist schon alt und wird generationsweise weitergegeben. Als Christine Lagarde vom IWF sagte, dass sie eine Liste von griechischen Millionären habe, die ihr Geld unversteuert in die Schweiz gebracht hätten, war das erste was Evangelos Venizelos, dem Vorsitzenden von Pasok, in den Sinn kam, dass die ersten paar Namen der Liste Juden seien.

Ist es generell so, dass sich der Antisemitismus unverblümt äußert, man also nicht den Umweg über Israel oder irgendwelcher Codes zu nehmen braucht?

In Griechenland ist der Antisemitismus noch nicht so tabuisiert wie in anderen europäischen Ländern. Es treten beide Formen auf. Wobei Linke die versteckte Form bevorzugen, aber nicht ausschließlich. Während der israelischen Intervention im Libanon veröffentlichte die „Neue linke Strömung", NAR, auf der Titelseite ihrer Zeitung das Bild eines Vaters mit seinem angeblich von israelischen Truppen getöteten Sohn. Die Bildunterschrift dazu war: „Jüdische Mörder, dafür werdet ihr bezahlen".

Foto: Dieter Diskovic

Inmitten von all dem, wie sieht da eure, also Antifa Negatives, Praxis aus?

Es ist eine schwierige und pessimistische Situation. Wir sind wenige und nicht sehr beliebt. Wir führen öffentliche Debatten, versuchen uns und andere zu bilden. Wir haben auch eine Broschüre über Homophobie und Antifaschismus herausgebracht. Mit anderen Gruppen, mit denen wir eine gewisse gemeinsame Basis haben, machen wir Demos in Nachbarschaften, wo es ein Naziproblem oder besser, ein griechisches Problem gibt. Für uns soll Kritik keine Kompromisse eingehen.

 

Das Interview wurde am 27.3. auf Englisch geführt und anschließend vom Autor ins Deutsche übersetzt.

Alessandro Volcich lebt in Wien und publiziert gelegentlich.

 

Liberal, demokratisch, deutschnational?

  • 20.03.2014, 16:43

Immer wieder versuchen Burschenschaften, ihre Rolle während der Deutschen Revolution 1848 zu glorifizieren und ihre Beteiligung am Nationalsozialismus kleinzureden. Ein Fest am 8. Mai soll die Mythen der Burschenschaften zementieren.

Immer wieder versuchen Burschenschaften, ihre Rolle während der Deutschen Revolution 1848 zu glorifizieren und ihre Beteiligung am Nationalsozialismus kleinzureden. Ein Fest am 8. Mai soll die Mythen der Burschenschaften zementieren.

24. Jänner, Wien. Auf den Straßen demonstrieren Antifaschist_innen gegen den von der Wiener FPÖ organisierten „Akademikerball“, in der Hofburg tanzen schlagende Burschenschaftler und rechte Politiker_innen. In den darauffolgenden Tagen und Wochen wird eins dieser Ereignisse heiß diskutiert: die Demonstrationen und ihre Kollateralschäden, vor allem umgeworfene Mistkübel und eingeschlagene Fensterscheiben. Am achten Februar findet darauffolgend in Linz der „Burschenbundball“ statt. Auch hier findet eine große antifaschistische Kundgebung statt, bei der allerdings Menschen aufgrund dunkler Kleidung von Demoordner_innen vom Rest der Demonstration ausgegrenzt wurden. Angeblich, um Szenarien wie in Wien zu vermeiden. Gebracht hat diese Entsolidarisierung außer einer fragwürdigen Spaltung der Demonstration nichts: Ein Diskurs um den Auslöser der Demonstrationen blieb, wie in Wien, aus. Stattdessen reden rechte Politiker_innen von der bedeutenden liberaldemokratischen Rolle der Burschenschaften während der Revolution 1848, im gleichen Atemzug wird dann meistens auch ihre Auflösung 1938 als „Beweis“ dafür genannt, dass die deutschnationalen Männerbünde nicht rechtsextrem seien.

166 Jahre. Für den 8. Mai hat der Wiener Kooperationsring (WKR) ein „Fest der Freude“ angekündigt. Nicht um, wie im restlichen Europa, den Sieg der Alliierten über den Nationalsozialismus, sondern die misslungene deutsche Revolution von 1848 zu feiern. 166 Jahre liegt die zurück – ein runder Jahrestag ist es nicht, den der WKR von der „Forschungsgesellschaft Revolutionsjahr 1848“ unter Leitung eines Olympia-Mitglieds ausrichten lassen will. Das geplante Großereignis wird aber nicht nur von unrunden Jahreszahlen getrübt: In Österreich wurden die ersten Burschenschaften nämlich erst 1859 gegründet. Nichtsdestotrotz will der WKR sein offenbar doch angeschlagenes Image aufpolieren, indem der Mythos, Burschenschaftler hätten in Wien 1848 für liberal-demokratische Grundwerte gekämpft, gefeiert wird.

Es ist nicht das erste Mal, dass deutschnationale Burschenschaften ihren revolutionären Moment zelebrieren . Im Mai 1998 veranstalten Burschenschaftler einen „Revolutionskommers“, der ausgerechnet in der Wiener Hofburg stattfand. Neben 130 verschiedenen Kooperationen kamen auch CV-Mitglieder und, wie die Burschenschaft Aldania stolz auf ihrer Webseite berichtet, eine „Abordnung der Südtiroler Freiheitskämpfer“. Die Burschenschaftler versuchen in ihrer Beschreibung des Fests gar nicht erst, ihre großdeutschen Intentionen zu verstecken: Die Wahlen zum „ersten und einzigen gesamtdeutschen demokratisch gewählten Parlament“ seien Anlass zum Feiern. Mit „demokratisch“ ist hier ein Wahlsystem gemeint, dass nur selbstständigen, also mit einem gewissen Besitz ausgestatteten Männern das Wahlrecht verlieh, mit Parlament die Frankfurter Nationalversammlung. Die zu erwartenden Proteste gegen das „Fest der Freude“ am 8. Mai werden wohl mit ähnlichen Argumentationsmustern von Burschenschaftlern und ihren Befürworter_innen konfrontiert sein.

Akademische Legion. Zwar beteiligten sich 1848 in Wien anfänglich tatsächlich Studenten Seite an Seite mit Arbeiter_innen und Handwerker_innen an der Revolution, dennoch war deren Ziel stets die Errichtung einer großdeutschen Nation. Der Mythos einer gemeinsamen Achse von Studenten und Arbeiter_innen starb spätestens als sich die Studenten vom Kaiser bewaffnen ließen und die „akademische Legion“ gründeten. Diese bekämpfte als Teil der Wiener Nationalgarde allzu „radikaldemokratische“ Kräfte. Der Ort für den „Revolutionskommers“ 1998 war damit vielleicht doch nicht so abstrus gewählt, wie er auf den ersten Blick scheinen mag.

Wenn sich österreichische Burschenschaften heute auf ihre Rolle in der deutschen Revolution 1848 beziehen, beziehen sie sich auf die Taten von Burschenschaftlern in Deutschland. Diese verbrannten dreißig Jahre zuvor auf der Wartburg Uniformen, „undeutsche Bücher“ und Literatur jüdischer Schriftsteller_innen, um danach eine konstitutionelle Monarchie und die Wehrpflicht für Deutschland zu fordern. Heute erscheint es eher skurril, solche Forderungen unter die Banner des Liberalismus und der Demokratie zu stellen.

Wie liberal die frühen Burschenschaften tatsächlich waren, zeigt auch das Beispiel des „Arierparagraphen“, den die Wiener Burschenschaft Libertas 1878 als erste Burschenschaft im deutschsprachigen Raum einführte. Die Idee dafür stammte vom österreichischen Antisemit Georg von Schönerer, einem Mitglied der Libertas, der die Bestimmung, nur mehr „arische“ Menschen aufzunehmen, in das deutschnationale Linzer Programm einbrachte.

Mythos Auflösung. Ein weiterer Mythos, der gerne als Schutzschild vor die Burschenschaften gehalten wird, ist deren Auflösung im Nationalsozialismus. Es stimmt, dass katholische, liberale oder zionistische Verbindungen zerschlagen wurden, die deutschnationalen Burschenschaften wurden jedoch als sogenannte Kameradschaften in den nationalsozialistischen deutschen Studentenbund (NSDStB) aufgenommen. In Deutschland geschah dies 1935 auf der Wartburg, wo die Burschenschaftler ihre „alten Farben als Bekenntnis zur neuen Form im alten Geist feierlich ablegen“, wie der Burschenschaftenführer Otto Schwab es ausdrückte. Die Burschenschaften stellten eine direkte Verbindung zwischen ihrer Beteiligung an der Revolution 1848 und dem Nationalsozialismus her.

Auch die österreichischen Burschenschaftler, die zuvor im Untergrund für die verbotene NSDAP gekämpft hatten, sahen sich 1938 am Ziel ihres deutschnationalen Strebens: „Fast wollte es keiner glauben, dass das alles über Nacht zu Ende und der langersehnte Anschluss an das Reich durchgeführt sein sollte. Jeder kann sich noch an den unendlichen und dankbaren Jubel erinnern“, berichteten die Burschenschaftler der Kameradschaft Adolf Ritter von Guttenberg, die ehemalige Hausburschenschaft der Hochschule für Bodenkultur, Sylvania, in ihren „Kameradschaftsmitteilungen“. Der völkische Nationalismus und Antisemitismus der Burschenschaften war mit dem Nationalsozialismus ohne Weiters kompatibel. .

Die unrühmlichen Aktivitäten der Burschenschaftler endeten 1945 nicht. In den 1960er und 1970er Jahren wurden Proteste linker Studierender regelmäßig durch Kooperierte aufgelöst. Das „Fest der Freude“ im Mai jedenfalls scheint eine Imagekampagne zu sein – wohl nicht zuletzt, um die leeren Säle der Hofburg am nächsten Akademikerball wieder voller zu machen.

 

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

 

Menschenblockaden gegen Burschenschaften – die Offensive gegen Rechts

  • 22.01.2014, 17:01

Die Offensive gegen Rechts (OGR) ruft zur Blockade des Akademikerballs auf. progress online hat mit Rosa und Karl von der OGR über zivilen Ungehorsam, soziale Probleme zwischen oben und unten und breite Bündnispolitik gesprochen.

Die Offensive gegen Rechts (OGR) ruft zur Blockade des Akademikerballs auf. Progress online hat mit Rosa und Karl von der OGR über zivilen Ungehorsam, soziale Probleme zwischen oben und unten und breite Bündnispolitik gesprochen.

Das Interview ist der dritte Teil der progress Online-Interviewserie mit dem Thema Gegenbewegungen zum Akademikerball.

progress: Ihr ruft auf,am 24. Jänner den Burschenschafterball in der Hofburg zu verhindern. Warum?

OGR: Deutschnationale Burschenschaften sind eine rechtsextreme Gefahr. Burschenschafter waren an vielen rechtsextremen Aktivitäten beteiligt oder haben diese begrüßt. Sie haben ein sexistisches, homophobes, rassistisches, antisemitisches und elitäres Weltbild, das auf einer völkischen Vorstellung von Gesellschaft basiert. Darüber hinaus wollen wir den Blick auf die Gefahr durch die FPÖ richten. Burschenschafter stellen ihren ideologischen Kern und übernehmen eine Scharnierfunktion zwischen der parlamentarischen und der außerparlamentarischen Rechten. Drittens ist es eine Frechheit, dass dieser Ball in der Hofburg stattfindet. Die Namensänderung von WKR- in Akademikerball hat daran nichts geändert, es bleiben die selben Menschen da drin, und deshalb werden wir auch weiterhin dagegen auftreten.

Euer Plan ist, mit „Menschen-Blockaden“ den Zugang zu verhindern, allerdings schreibt ihr, von Euch wird dabei keine Eskalation ausgehen. Wie ist das zu verstehen?

OGR: Dresden Nazifrei zum Beispiel hat bewiesen, dass man durch massenhafte Blockaden Rechten gehörig in die Suppe spucken kann. Wir versuchen Blockaden, die nichts Verbotenes sind, als zivilen Ungehorsam zu normalisieren, den man etwa auch bei Sozialprotesten hernehmen kann. Durch eine große Masse an Leuten werden wir an öffentlichen Blockadepunkten zumindest die Anreise zum Ball weitgehend verhindern. Wir werden unsere Körper als Hürden für die Burschenschafter verwenden und uns ihnen mit kreativem, lautem aber betont deeskalativem Protest in den Weg stellen.

Glaubt ihr, ihr werdet Erfolg haben?

OGR: Insgesamt werden ein paar tausend Leute auf die Straße gehen. Wir mobilisieren breit, so konnten wir Gewerkschaften und linke migrantische Gruppen ins Bündnis holen. Das Ziel ist hoch, aber die sinkenden Gästezahlen haben gezeigt, dass der Protest – und das gilt für alle Bündnisse – erfolgreich ist. Andererseits werden sie immer irgendwie reinkommen, deshalb ist es wichtig, ihnen das so schwer wie möglich zu gestalten.

Welchen Umgang mit eurer Demo erwartet ihr von der Polizei?

OGR: 2009 hat die Polizei den Protest verboten. Aus diesem demokratiepolitischen Skandal heraus ist die OGR als breites Bündnis angetreten, um der Polizei zu verunmöglichen, die Proteste so zu kriminalisieren. Auch wenn die FPÖ versucht, in der Exekutive Druck aufzubauen, den Protest zu untersagen, gehen wir davon aus, dass die Demos zugelassen werden. Alles andere wäre eine Frechheit. Es würde uns auch sicher nicht davon abhalten, auf die Straße zu gehen.

Ihr schreibt, die FPÖ sei „die Bonzenpartei“. Was meint ihr damit?

OGR: Neben den Burschenschaften gibt es aktuell das Problem, dass viele enttäuschte sozialdemokratische Wähler_innen zur FPÖ abwandern. Wir verstehen, dass es eine große Unzufriedenheit mit der Austeritätspolitik gibt. Sie wird von Menschen getragen, die nichts dafür können. Die FPÖ versucht das Problem nicht als soziales, also als Problem zwischen unten und oben zu bezeichnen, sondern mit Rassismus die Leute aufzuhetzen. Da wollen wir sagen: Es gibt eine linke Alternative. Außerdem hat sich die FPÖ immer gegen Gewerkschaften gestellt. Bonzenpartei ist vielleicht etwas übertrieben, aber wenn sich die FPÖ als "Partei des kleinen Mannes" inszeniert, stimmt das schlicht und ergreifend nicht mit ihrer Politik überein.

Außerdem schreibt ihr, euer Handeln sei gefragt, weil die zuständigen Institutionen auf dem rechten Auge blind seien. Wen meint ihr damit?

OGR: Die Hofburg hat den WKR-Ball letztes Jahr verboten, jetzt aber das Verbot gegen den Ball unter anderem Namen nicht aufrecht erhalten. Die rot-grüne Stadtregierung positioniert sich nicht gegen solche Aktivitäten. Bundeskanzler Werner Faymann hat kürzlich gesagt, dass er nicht gegen den Akademikerball auftreten wird. Die müssten sich alle klar gegen rechtsextremes und faschistisches Gedankengut positionieren. Weil sie es nicht tun, fordern wir das auf der Straße ein. Die Stadt Innsbruck hat die Burschenschafter aus ihren Räumen verbannt. Das fordern wir auch für Wien.

Im Zara-Rassismusreport sieht man, dass die Exekutive immer wieder bei rassistischen Übergriffen mitmacht oder tragend ist. Ein weiterer Punkt ist, dass es bis zur schwarz-blauen Regierung einen eigenen Rechtsextremismusbericht gab, der sich ausführlich den deutschnationalen Burschenschaften widmete. Er wurde eingestellt. Der Verfassungsschutzbericht erwähnt Burschenschaften mit keinem Wort, obwohl sie nach wie vor mit der rechtsextremen Szene kooperieren. Andererseits ist der Verfassungsschutz bei jeder linken Kleindemo anwesend. Das zeigt, dass die Obrigkeit versucht, linke Proteste zu kriminalisieren, sich aber nicht darum kümmert, wenn Burschenschafter mit Neonazis gemeinsame politische Sache machen.

Es gibt mehrere andere Gruppen, die gegen den Ball mobilisieren, etwa die Kampagne „Jetzt Zeichen setzen“ und das Bündnis „NOWKR“. Was unterscheidet Euch?

OGR: Die unterschiedlichen Proteste ergänzen einander gut. Wir sind mit allen solidarisch, die die Problematik dieses Balles thematisieren. Unsere Kritik an „Jetzt Zeichen setzen“ ist aber, dass es ihnen an wirksamen Gegenstrategien fehlt. Außerdem finden wir schade, dass sie sich von unterschiedlichen Protestformen distanzieren. NOWKR als linksradikales Bündnis formuliert ähnliche Kritik am Akademikerball wie wir, allerdings sind ihre Aktionsformen teils sehr ausschließend. OGR versteht sich als breites linkes Bündnis zwischen Teil der Gewerkschaft, unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Kräften, linken und linksradikalen Gruppen.

 

 

Antifaschismus ist notwendig, aber nicht ausreichend - NOWKR

  • 20.01.2014, 12:35

Das autonome Bündnis NOWKR organisiert eine der großen Demonstrationen gegen den Wiener Akademikerball. progress online hat mit Ida und Elias von NOWKR über Steine und Mauern, das Verhindern des Balls und den Kampf für die befreite Gesellschaft gesprochen.

Das autonome Bündnis NOWKR organisiert eine der großen Demonstrationen gegen den Wiener Akademikerball. progress online hat mit Ida und Elias von NOWKR über Steine und Mauern, das Verhindern des Balls und den Kampf für die befreite Gesellschaft gesprochen.

Das Interview ist der zweite Teil der progress Online-Interviewserie mit dem Thema Gegenbewegungen zum Akademikerball.

progress: Eure Demo steht unter dem Motto: „Unseren Hass den könnt ihr haben. Den Wiener Akademikerball 2014 unmöglich machen!“ Warum hasst ihr den Ball so?

NOWKR: Welche Emotion wäre denn an diesem Abend angemessener? Deutschnationale Burschenschafter und ihre Ideologie stehen der befreiten Gesellschaft konträr entgegen, für die wir einstehen. In Österreich waren sie – sogar wenn man erst nach 1945 anfängt – zum Beispiel an vielen neonazistischen Aktivitäten maßgeblich beteiligt, etwa am Südtirolterrorismus, der mehrere Menschen das Leben kostete. Auch der KZ-Überlebende und antifaschistische Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger wurde vom RFS-Aktivisten und Burschenschafter Günter Kümmel erschlagen, er war damit das erste politische Todesopfer der zweiten Republik.

Wie wollt ihr den Ball unmöglich machen?

NOWKR: Unmöglich hat hier drei Ebenen. Wir finden es unmöglich, dass dieser Ball, geschützt von der Polizei, im realpolitisch repräsentativsten Gebäude Österreichs stattfindet. Wir haben eine Vortragsreihe organisiert, um zu zeigen, welche Gründe es gibt, am 24. Jänner gegen den Ball zu demonstrieren. Dann organisieren wir eben diese Demo von Wien Mitte bis in die Innenstadt, die zeigen soll, dass viele Leute den Ball unmöglich finden. Und drittens kämpfen wir grundsätzlich für eine Gesellschaft, in der so eine Veranstaltung in dem Sinn unmöglich ist, dass entsprechendes Gedankengut einfach nicht vorkommt.

Glaubt ihr, ihr werdet Erfolg haben?

NOWKR: Langfristig sind wir sogar auf dem besten Weg, den Ball unmöglich zu machen. Vor einigen Jahren waren noch etwa 3000 Gäste auf dem Ball, letztes Jahr nur noch 700, und auch heuer läuft der Kartenverkauf wohl eher schleppend. Es werden immer weniger Burschenschafter zum Ball gehen und diejenigen, die hingehen, werden keinen leichten Zugang haben.

Die erwähnte Vortragsreihe heißt „just another brick in the wall“, ihr kommt aus dem Umfeld des kommunistischen „...ums Ganze!“-Bündnisses. Was ist dieses Ganze, und was hat der Akademikerball damit zu tun?

NOWKR: Das Ganze ist das falsche Ganze: Die kapitalistische, patriarchale, rassistische Gesellschaft, die – wie Burschenschaften – auf Ausschlussmechanismen aufbaut, auch wenn diese subtiler, vermittelter und schwerer zu durchschauen sind als ein Arierparagraph und ein Schmiss auf der Backe. Wenn wir das Ganze als eine reaktionäre Mauer sehen, in der Kapitalismus, Rassismus und Sexismus vorkommen, dann ist der Akademikerball nur ein Steinchen in dieser Mauer. Der konkrete Protest gegen diesen Stein, den Ball, ist der Antifaschismus, der wichtig ist. Es gilt aber, die ganze Mauer einzureißen, um auf den Trümmern der alten Gesellschaft die befreite zu errichten.

Mit wie vielen Menschen rechnet ihr, und welchen Umgang mit eurer Demo erwartet ihr von der Polizei?

NOWKR: Wir rechnen mit 5000 Menschen auf der Straße, davon 3000 auf unserer Demo. Die Polizei hat in der Vergangenheit ganz unterschiedlich reagiert, zweimal wurde jeder antifaschistische Protest kurzfristig verboten, in den letzten beiden Jahren konnten die Demos ungestört zu Ende gehen. Auch dieses Jahr rechnen wir nicht mit Angriffen von der Polizei. Es ist aber bemerkenswert, dass die Wiener Polizei sich extra das Versprechen abringen ließ, für die Sicherheit der Ballgäste zu sorgen. Die FPÖ, die den Ball ja offiziell organisiert, und Burschenschaften stellen sich gern als Opfer linker Gewalt dar. Mit diesem expliziten Versprechen von etwas, das neben dem Schutz der bestehenden, von uns kritisierten Gesellschaftsordnung mit der Waffe in der Hand ohnehin Aufgabe der Polizei ist, hilft sie, diesen Mythos, diese Täter-Opfer-Umkehr zu etablieren.

Mehrere andere Gruppen mobilisieren auch gegen den Ball, etwa die Kampagne „Jetzt Zeichen setzen“ und die „Offensive gegen Rechts“. Was unterscheidet Euch?

NOWKR: Geschichtlich waren die autonomen Proteste, also NOWKR, die ersten. Im Unterschied zu „Jetzt Zeichen setzen“ stehen wir für einen aktiven Antifaschismus. Wir wollen den Ball stören und nicht nur dagegen demonstrieren. Und anders als die „Offensive gegen Rechts“ versuchen wir das aus einer radikalen Gesellschaftskritik heraus. Wir verstehen uns als dezidiert antikapitalistisches Bündnis.

NOWKR organisiert eine Demonstration gegen den Akademikerball:
Treffpunkt: Wien Mitte, 17 Uhr, 24.01.2014

Der Autor studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

Partykommunismus am WTF-Ball

  • 16.01.2014, 14:57

Am 17. Jänner, eine Woche vor dem Akademikerball, findet im FLUC in Wien der WTF-Ball statt. progress online hat mit Andreas Peham vom WTF-Ballkomitee über Politik und Hedonismus, Burschenschaften und politische Partys an kommerziellen Orten gesprochen.

Am 17. Jänner, eine Woche vor dem Akademikerball, findet im FLUC in Wien der WTF-Ball statt. Progress sprach mit Andreas Peham vom WTF-Ballkomitee über Politik und Hedonismus, Burschenschaften und politische Partys an kommerziellen Orten.

Das Interview ist der erste Teil der progress Online-Interviewserie mit dem Thema Gegenbewegungen zum Akademikerball.

progress: Ihr organisiert eine Woche vor dem Wiener Akademikerball, der Nachfolgeverstaltung des WKR-Balls, den WTF-Ball. Was ist das für eine Veranstaltung?

Andreas Peham: In der Namensgebung und durch die zeitliche Nähe wird die Gegner_innenschaft zum WKR- oder Akademikerball ja schon deutlich. Es ist eine antifaschistische Veranstaltung. Andererseits ist es eine Antithese in Partyform zur Steifheit, zum Unspontanen und Elitären des WKR-Balls und der Burschenschaften. Die Party soll politischen Charakter haben und möglichst frei sein von dem, wofür der WKR-Ball steht. Es geht darum, Politik und Feiern zusammenzubringen.

Was habt ihr eigentlich gegen den Akademikerball?

Peham: Wir haben etwas gegen die Veranstaltenden, also Burschenschaften und deutschnationale Korporationen und das, wofür sie stehen: Männerbündelei, Antisemitismus und das ambivalente Verhältnis zum Nationalsozialismus. Sie sind zwar nicht pauschal rechtsextrem, aber gerade im WKR geben die rechtsextremen Verbindungen den Ton an. Die deutschnationalen Verbindungen repräsentieren eine Kontinuität, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, durch den Nationalsozialismus hindurchgeht und nach 1945 ihre Fortsetzung findet. Man kann mit gutem Recht sagen, dass Burschenschaften gerade in Österreich an der Wiege des Nationalsozialismus standen. Zunächst durch den Arierparagraphen in den Verbindungen, dann an den Universitäten. Noch in den 1990er Jahren waren honorige Persönlichkeiten wie Rektoren und Politiker im Ehrenkomitee. Seit die Kritik stärker geworden ist, ist das nicht mehr möglich.

Außerdem dient der Ball einer europäischen extremen Rechten zur Vernetzung. Jedes Jahr sind sehr hochrangige Vertreter dieser europäischen Rechten auf dem Ball – vom Front National über Vlaams Belang bis hin zu noch weiter rechts stehenden Gruppen. Bezüglich des Veranstaltungsortes des Balls kritisieren wir das offizielle Österreich: Auch wenn die Hofburg-Betreibergesellschaft eigenständig ist, ist so ein symbolträchtiger, repräsentativer Ort in unserer Sicht nicht diesen Kräften zu überlassen. Hier wünschen wir uns klare Zeichen der Republik.

Wer ist das WTF-Ballkomitee und seit wann gibt es euren Ball?

Peham: Dieses Jahr findet der dritte WTF-Ball statt. Hervorgegangen ist er aus dem links politisierten Teil der Wiener Partykultur. Man könnte es Feierkommunismus nennen, ohne dass alle, die kommen oder das organisieren, Kommunist_innen wären. Die Party soll für die Utopie stehen, ihr Vorwegnehmen in der täglichen Praxis und im Feiern. Wir sind ein bunter Haufen, es sind Leute aus verschiedensten politischen Milieus dabei. Vom jungen linken Flügel der Sozialdemokratie über Grüne bis hin zum autonomen, feministischen, linksradikalen, queeren Milieu. Im Vordergrund des Bündnisses stehen lauter Einzelne, die ein gemeinsames Interesse kollektiv umsetzen wollen.

Der Erlös des Abends geht an die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung (Dessi) und das Projekt Schule für alle – PROSA. Was sind das für Organisationen?

Peham: Die Dessi berät Menschen, die in die Fänge des österreichischen Migrationsregimes kommen und illegalisiert werden. PROSA versucht, jungen Menschen Schulbildung zukommen zu lassen, die aufgrund ihrer Herkunft vom rigiden Migrationsregime von notwendiger schulischer Bildung ausgeschlossen und sehr früh – und ich verwende diesen Begriff bewusst – „selektiert“ werden.

Warum findet der WTF-Ball an kommerziellen Orten statt?

Peham: In Wien fehlt es an großen, nichtkommerziellen Räumen. Natürlich verdienen die Locations an Getränken, aber sie sind uns bei der Miete sehr entgegen gekommen. Es gibt auch dort ein Interesse, Politik in die Locations hineinzubringen. Viele Orte in Wien, die mittlerweile kommerziell sind, kommen aus der Linken. Ich finde es gut, solche Orte in die Pflicht zu nehmen.

Ist eine Party gegen Rechtsextremismus nicht etwas hedonistisch und unpolitisch?

Peham: Feiern und Protestieren gehören zusammen. Wir sehen die Chance, Leute über das Feiern gut organisierter Partys zu politisieren. Dabei ist ein gutes Line-Up wichtig, das auch unseren politischen Ansprüchen gerecht werden muss: Mindestens 50 Prozent des Artists sollen beispielsweise Frauen sein, es muss bis ins kleinste Detail erkennbar sein, dass es nicht einfach irgendeine Party ist. Für uns gehört Hedonismus und Kämpfen zusammen.

Mitternachtseinlage Geschichtsrevisionismus

  • 16.01.2014, 14:49

Am 24. Januar tanzen auf dem „Akademikerball“ wieder Burschenschafter und andere Kameraden in der Wiener Hofburg. Wes Geistes Kind diese Folgeveranstaltung des WKR-Balls ist, zeigt sich in ihrem Verhältnis zum Holocaust,ihren Geschlechterbildern und ihren Personalüberschneidungen mit der FPÖ.

Am 24. Januar tanzen auf dem „Akademikerball“ wieder Burschenschafter und andere Kameraden in der Wiener Hofburg. Wes Geistes Kind diese Folgeveranstaltung des WKR-Balls ist, zeigt sich in ihrem Verhältnis zum Holocaust,ihren Geschlechterbildern  und ihren Personalüberschneidungen mit der FPÖ.

Rechte Burschenschaften und antifaschistische Gruppen haben einen zentralen gemeinsamen Termin: Den Ball der Burschenschaften in der Wiener Hofburg Ende Januar. Jedes Jahr beginnt einige Wochen vorher eine öffentliche Debatte um diesen Ball, der sich von vielen anderen Veranstaltungen der Wiener Ballsaison dadurch unterscheidet, dass er ein Treffen reaktionärer Eliten ist. Mehrere Organisationen veranstalten Gegendemonstrationen, Kundgebungen und Blockaden, allesamt mit dem Ziel, dass der Ball in Zukunft nicht mehr – oder zumindest nicht mehr in der Hofburg – stattfindet.

Bis 2012 organisierte der Wiener Korporationsring (WKR) den Ball, der Name WKR-Ball hat sich bis heute inoffiziell gehalten. Der WKR ist ein Zusammenschluss von meist schlagenden Wiener Studentenverbindungen. Dort wird die Mensur gefochten, ein Kampf zwischen Mitgliedern der Männerbünde mit scharfen Waffen, der zumindest ohne Kopf- und Gesichtsschutz ausgetragen wird. Sie führt oft zu Narben im Gesicht, die im burschenschaftlichen Milieu nicht als gefährliche Verletzungen, sondern als Zeichen von „Ehre“ gelten.

Die Mitgliedsverbindungen des WKR sind selbst im konservativen Milieu der Studentenverbindungen als rechts bis rechtsextrem einzustufen. Die akademische Burschenschaft Olympia beispielsweise hatte 2005 den britischen Holocaustleugner David Irving zu einem Vortrag eingeladen, dieser wurde aber kurz vorher verhaftet. 2003 lud die Olympia am Folgeabend des WKR-Balls zu einem „nationalen Liederabend“ mit dem deutschen Neonazi-Liedermacher Michael Müller, von dem unter anderem eine Coverversion eines Klassikers von Udo Jürgens stammt: „Mit 6 Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an. (...) Bei 6 Millionen Juden, ist noch lange nicht Schluss.“

Die FPÖ vermittelt

Nach breiten Protesten hat die Hofburg-Betreibergesellschaft aufgrund der „politischen und medialen Dimension“ des WKR-Balls 2012 angekündigt, ab 2013 nicht mehr als Veranstaltungsraum für den Ball der Korporierten zur Verfügung zu stehen. Seit 2013 mietet die Wiener Landesgruppe der FPÖ für den „Wiener Akademikerball Ballausschuss“ die Hofburg. Der „Wiener Akademikerball“, wie er seitdem heißt, ist die direkte Nachfolgeveranstaltung des WKR-Balls. Organisator Udo Guggenbichler sitzt für die FPÖ im Wiener Gemeinderat und ist Mitglied der schlagenden Burschenschaft Albia, die, wie die Olympia, neben ihrer Mitgliedschaft im WKR auch in der Deutschen Burschenschaft organisiert ist.

Gäste der vergangenen Jahre waren unter anderem Marine Le Pen, Vorsitzende des französischen Front National, Kent Ekeroth von den Schwedendemokraten und Philip Claeys vom belgischen Vlaams Belang sowie Anhänger der NPD. Die internationale Prominenz hielt sich 2013 allerdings zurück, nachdem beispielsweise Le Pen in Frankreich für ihren Besuch öffentlich Kritik einstecken musste. Auch Heinz-Christian Strache, Vorsitzender der FPÖ, war 2013 nicht auf dem Ball, hatte aber im Jahr davor, am 27. Januar 2012, dem internationalen Holocaust-Gedenktag und Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee, gemeinsam mit Guggenbichler die Eröffnungsrede des WKR-Balls gehalten. Auch sagte er dort Standard-Berichten zufolge, die Ballgäste seien „die neuen Juden“ und Attacken auf Burschenschafterbuden seien „wie die Reichskristallnacht gewesen. Diesen Vergleich mit der Reichspogromnacht wollte Strache im Nachhinein nicht als solchen verstanden wissen und wiederholte ihn dennoch im Zeit-im-Bild-Interview. Die Reichspogromnacht markierte im November 1938 den Beginn der systematischen Verfolgung von Juden und Jüdinnen im nationalsozialistischen Deutschland und Österreich. Trotz heftiger Kritik ist Strache weiterhin FPÖ-Vorsitzender und die FPÖ, deren Kanzlerkandidat er war, erreichte bei der vergangenen Nationalratswahl 20,5 Prozent der Stimmen. Nächste Woche, heißt es, wird er den Ball wieder besuchen.

Sexismus verpflichtet zur Verschwiegenheit

„Hast du eine Freundin, die weder schön noch still ist, kurz: bist du auf irgendeine Weise abnormal oder unfröhlich, dann bleib lieber zuhause.“ Dieser Satz aus einem Flugblatt der Olympia verdeutlicht das reaktionäre Frauenbild und die sexistische Vorstellung des Geschlechterverhältnisses der Burschenschaft. „Damen“ können „mitgebracht“ werden, sollen aber bitte dekorativ sein und allerhöchstens zustimmend nicken. Jede Form von Geschlecht und Sexualität jenseits repressiv-traditionalistischer Normen hat bei den strammen Burschenschaftern keinen Platz. Sie selbst hingegen, „natürlich“ ausschließlich Männer, besuchen den Ball sicher nicht zuletzt, um zu den burschenschaftlichen Netzwerken und Seilschaften Zugang zu erlangen, die auch in der österreichischen Politik- und Wirtschaftslandschaft noch immer von Bedeutung sind. Auf dem Ball bündelt sich allerdings lediglich, was neben großdeutscher Agitation immer ein Zweck der Verbindungen war: Karriere schmieden durch Kontakte.

Seit etwa 2008 formiert sich immer breiterer Protest gegen WKR- und Akademikerball. Mit Informationsveranstaltungen, Demonstrationen und Blockaden machen bürgerliche und zivilgesellschaftlich ebenso wie linksradikale Initiativen darauf aufmerksam, wer sich da in den repräsentativsten Räumlichkeiten Österreichs trifft. Seither wird über das Thema öffentlich diskutiert. Anfang Januar haben NS- und Holocaustüberlebende einen offenen Brief an die Hofburg-Betreibergesellschaft, Kanzler und Bundespräsident geschrieben und gefordert, den Ball aus der Hofburg zu verbannen. Bisher reagierten diese nicht darauf. Im Brief erklären sich die Überlebenden „fassungslos, dass die im Eigentum den Republik stehende Hofburg noch immer ihre Tore für Vertreter und Vertreterinnen rechtsextremer Vereine aus Österreich und Europa öffnet“.

Es gibt verschiedene linke Gegenbewegungen zum Akademikerball. progress online stellt diese hier in Kurzinterviews vor:

Partykommunismus am WTF-Ball

Antifaschismus ist notwendig, aber nicht ausreichend - NOWKR

Menschenblockade gegen Burschenschaften - Offensive gegen Rechts

 

Der Autor studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

Die letzten ZeitzeugInnen

  • 06.07.2013, 17:04

Die letzten ZeitzeugInnen der Shoah vermitteln weit mehr als nur einen Einblick in die Verbrechen des Nationalsozialismus. Denn ihre Lebensgeschichten und Gefühle stellen ein wichtiges Vermächtnis dar, dass es zu bewahren gilt. Claudia Aurednik hat zwei ZeitzeugInnen besucht und mit ihnen gesprochen.

Die letzten ZeitzeugInnen der Shoah vermitteln weit mehr als nur einen Einblick in die Verbrechen des Nationalsozialismus. Denn ihre Lebensgeschichten und Gefühle stellen ein wichtiges Vermächtnis dar, dass es zu bewahren gilt. Claudia Aurednik hat zwei ZeitzeugInnen besucht und mit ihnen gesprochen.

„Ich nehme meinen Lagergürtel aus dem Vernichtungslager Auschwitz in die Schulen mit. Wenn ich ihn dann den Kindern in der Klasse gebe, werden alle ganz still. Im Konzentrationslager habe ich ja nur noch 37 Kilo gewogen“, erzählt der Zeitzeuge Walter Fantl-Brumlik (89) und ergänzt: „Ich habe auch noch meinen Judenstern und Dinge aus Theresienstadt. Wenn die Kinder diese berühren, dann löst das bei ihnen Gefühle aus.“

Fantl-Brumlik ist einer der letzten ZeitzeugInnen, die regelmäßig in Schulen gehen und über ihr Schicksal erzählen. Der Auschwitz-Überlebende hat in seiner Jugend die Verbrechen des Nationalsozialismus am eigenen Leib erfahren. Seine Erzählungen verdeutlichen die Kaltblütigkeit und Perfidität der NationalsozialistInnen. „Meine Vorträge halte ich immer sehr prägnant und fesselnd. Ich erzähle auch, dass wir beim Transport von Theresienstadt nach Auschwitz 5000 Männer waren, von denen nur etwa 100 überlebt haben. Den SchülerInnen muss ich dann erklären, was die Selektion beim Eintreffen in Auschwitz bedeutet hat“, erklärt Walter Fantl-Brumlik, der dort seinen Vater Arthur Fantl-Brumlik zum letzten Mal gesehen hat: „Damals hat der Lagerarzt Josef Mengele die Selektion nach unserer Ankunft vorgenommen und zu meinem Vater ,links‘ und zu mir ‚rechts‘ gesagt. Seitdem habe ich meinen Vater nie wieder gesehen. Ich wurde dann mit anderen von der Rampe nach Auschwitz-Birkenau gebracht.“ Walter Fantl-Brumlik wird den Geruch der Krematorien und die menschenunwürdigen Lebensbedingungen in Auschwitz niemals vergessen: „Als wir auf dem Weg nach Auschwitz-Birkenau waren, habe ich einen Kapo gefragt, was denn hier so riechen würde. Daraufhin hat er mich angesehen und gefragt, ob ich das wirklich wissen will. Ich habe ja gesagt. Dann hat er mit der Hand nach oben gezeigt und nur ‚dein Vater‘ gesagt.“ Zu seinen Vorträgen als Zeitzeuge nimmt Walter Fantl-Brumlik auch immer eine Fotografie seiner Familie mit. Auch seine Mutter Hilda Fantl-Brumlik und seine drei Jahre ältere Schwester Gertrude Fantl-Brumlik haben die Shoah nicht überlebt.

Die Familie hatte bis zum „Anschluss“ Österreichs im niederösterreichischen Bischoffstetten ein Geschäft. Walter Fantl-Brumlik erzählt, dass er bis zu dieser Zeit eine schöne Kindheit gehabt hatte. Auch den Antisemitismus hatte er als Kind bis zum Jahr 1938 nicht gespürt: „Nach dem Anschluss hat mich mein Schäferhund Jux vor körperlichen Angriffen beschützt. 1939 wurde meine Familie von den Nazis dazu gezwungen, unser Haus und unser Geschäft zu verkaufen. Anschließend wurden wir mit einem Lastauto von Bischoffstetten nach Wien in eine jüdische Sammelwohnung im Zweiten Bezirk gebracht.“ Eine Ausreise in die USA oder eine illegale Einwanderung ins damalige Palästina war für die Familie nicht möglich. Vor dem Zwangsumzug musste der Vater den geliebten Hund erschießen, weil dieser sehr anhänglich war und sie ihn nicht mitnehmen konnten: „Meine Schwester und ich haben richtig geheult, als mein Vater uns gesagt hatte, dass er den Juxi erschießen musste. Später im Konzentrationslager habe ich mich dann daran erinnert und mir gesagt: Und jetzt hier in Auschwitz, da machen sie mit uns solche Dinge.“

Walter Fantl-Brumlik erhält viele Briefe von SchülerInnen: „Manche Kinder sind wirklich sehr interessant. In einem hat eine Schülerin Folgendes geschrieben: ‚Als ich einen Judenstern in der Hand gehalten habe, da wusste ich, dass dieser einem Todgeweihten gehört hat.‘ Solche Kinder und engagierte LehrerInnen motivieren mich sehr.“ Manche Schulklassen gestalten auch Mappen über Fantl-Brumliks Vortrag und schicken ihm Bilder, die Fantl-Brumlik alle sorgsam in seiner Wohnung zur Erinnerung aufbewahrt. Drei- bis viermal pro Jahr besucht er auf Anfrage Schulen. Die einzige Bedingung für ihn ist jene, dass die LehrerInnen die SchülerInnen inhaltlich auf seinen Besuch vorbereiten. Den letzten Vortrag hat er in einem Bundesrealgymnasium in Linz gehalten. Die SchülerInnen dort hatten großes Interesse an seinem Schicksal: „Der Lehrer hat mir vor dem Vortrag gesagt, dass ich diesen vor etwa sieben SchülerInnen halten werde. Als ich dann in die Schule gekommen bin haben 47 SchülerInnen auf mich gewartet, die alle großes Interesse an meinen Erzählungen hatten.“

Walter Fantl-Brumlik hofft, dass die Jugend die Geschichte durch seine Vorträge weitertragen wird. Die aktuelle Politik klammert er bei seinen Vorträgen aus, denn er ist politisch nicht aktiv und findet, dass die LehrerInnen dafür zuständig wären.

Trotz seines Schicksals und der Ermordung seiner Familie verspürt er keinen Hass auf die ÖsterreicherInnen: „Ich habe nie Hassgefühle gehabt. Denn der Nationalsozialismus war eine Diktatur, in der die eigenen Kinder ihre Eltern verraten haben. Aber ich habe nicht eingesehen, wieso man die illegalen Nazis nach 1945 gedeckt hat.“ Auch die Behauptungen vieler älterer ÖsterreicherInnen, von den Vergasungen in Auschwitz während der Nazi-Zeit nichts gewusst zu haben, kann er nachvollziehen: „Ich sage als Zeitzeuge immer, dass ich selbst bis zu meiner Deportation nach Auschwitz nichts von den Vergasungen gewusst habe. Und ich glaube auch der damaligen österreichischen Bevölkerung, dass diese davon nichts gewusst hatte. Ich kann aber nicht verstehen, dass es heute noch Menschen gibt, die diese Verbrechen leugnen.“ Nach Auschwitz ist Walter Fantl-Brumlik nicht mehr gefahren, weil seine mittlerweile verstorbene Frau ihm das verboten hat. Und er hält fest, dass sie damit recht gehabt hat. Nach der Befreiung Österreichs hat er wie die meisten ZeitzeugInnen jahrzehntelang über sein Schicksal geschwiegen. Heute erklärt er die Gründe dafür: „Österreich war nach 1945 zweigeteilt. Es gab jene, für die der Einmarsch der Alliierten eine Besetzung war und jene, die diesen als Befreiung wahrgenommen haben. Für uns ZeitzeugInnen waren die Alliierten natürlich die Befreier. Aber durch die zweigeteilte Wahrnehmung der Bevölkerung waren wir nach dem Krieg viel zu blockiert, um über unser Schicksal zu sprechen.“

„Leider bleiben viele HistorikerInnen bei ihren Forschungen zur Shoah in den Zahlen stecken“, kritisiert Angelica Bäumer. Foto: Sarah Langoth

„1945 sind wir, Juden und andere Verfolgte, aus den Konzentrationslagern, dem Versteck oder aus den Wäldern zurückgekommen und waren endlich frei. Wir waren euphorisch, da wir keine Todesangst mehr hatten“, erzählt die Kulturjournalistin Angelica Bäumer (81) über die Befreiung Österreichs: „Aber das hat dann auch zu einem Verdrängungsprozess geführt. Erst Jahre später wurden die Erlebnisse während des Nationalsozialismus wieder lebendig. Und manche – wie der Schriftsteller Jean Amery oder Bruno Levi – begingen Selbstmord.“ Bäumer ist in einer Künstlerfamilie, als Tochter der jüdischen Fabrikantentochter Valerie Bäumer aus Wien und des deutschen Kunstmalers Eduard Bäumer, mit zwei Geschwistern in Salzburg aufgewachsen. Momentan verfasst sie Texte für Ausstellungskataloge und organisiert Vorträge und Ausstellungen sowie Diskussionsrunden.

Der „Anschluss“ Österreichs im März 1938 hat das Leben ihrer Familie schlagartig verändert. Denn die Nazis konfiszierten das Vermögen der Familie und verhafteten ihren Onkel. Als sogenannte „Halbjüdin“ litt Angelica Bäumer unter der Diskriminierung und Verfolgung der nationalsozialistischen Gesellschaft. 1944 wurde die Familie von einem befreundeten Arzt vor einer Großrazzia und der Deportation der letzten Jüdinnen und Juden gewarnt. Die Bäumers flohen mit einem Flüchtlingszug nach Großarl und wurden vom Pfarrer Balthasar Linsinger bis zur Befreiung Österreichs in seinem Pfarrhaus untergebracht, allerdings hatte Linsinger die Familie als Kriegsflüchtlinge aus Wien ausgegeben. Auf Antrag von Angelica Bäumer wurde Linsinger 2010 von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem in die „Liste der Gerechten unter den Völkern“ aufgenommen.

Angelica Bäumer hat als Zeitzeugin während der 2000er-Jahre Schulen besucht und engagiert sich für eine kritische Aufarbeitung der im Zuge der Shoah begangenen Verbrechen. Vor allem die Frage, was nach dem Tod der letzten ZeitzeugInnen passieren wird, beschäftigt sie sehr. Im November 2012 hat sie anlässlich ihres 80. Geburtstages das Symposium „Zeitgeschichte ohne Zeitzeugen. Vom Mythos der Zeitzeugen“ veranstaltet. „Ich war von dem Symposium sehr enttäuscht, denn dort haben sich meine Befürchtungen
bestätigt, dass die HistorikerInnen und PolitologInnen über unser Ableben gar nicht traurig sind“, sagt sie und ergänzt: „Das liegt daran, dass diese dann in Archive gehen können und sich nicht mehr auf die Menschen beziehen müssen.“ Die meisten Archive sind aber nicht auf dem neuesten Stand und wurden während der Nazi-Zeit angelegt. Angelica Bäumer erzählt, dass sie selbst einige Archive besucht hat. Dabei hat sie festgestellt, dass viele wichtige Dokumente oft nur rudimentär vorhanden sind: „In Salzburg gibt es ein Stadt- und ein Landesarchiv. In dem einen wurde euphemistisch festgehalten, dass wir nach Großarl ‚umgezogen‘ wären. In dem anderen Archiv haben sich Dokumente gefunden, die belegen, dass wir zur selben Zeit den Judenstern tragen mussten. Diese Widersprüche beunruhigen mich sehr.“

Bäumer warnt auch vor dem Statistikfetischismus der WissenschaftlerInnen: „Es gibt einige HistorikerInnen wie Albert Lichtblau, die bemüht sind von rein statistischen Untersuchungen wegzukommen. Leider blieben viele HistorikerInnen bei ihren Forschungen und Diskussionen zur Shoah in den Zahlen stecken. Das betrachte ich als großen Fehler, denn dadurch werden die Verbrechen abstrakt dargestellt, und mir ist es wichtig, konkret über die Inhalte zu sprechen.“ Außerdem warnt sie davor, die Geschichte der Shoah mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs enden zu lassen. Sie erzählt davon, dass sie als 14-Jährige eine glühende Zionistin war und bei der Alija in Salzburg mit Kindern und Jugendlichen, die aus den Lagern kamen, gearbeitet hat: „Die jüdischen Kinder aus den Konzentrationslagern waren damals in einer Salzburger Garage untergebracht. Viele von ihnen konnten weder lesen noch schreiben und hatten aufgrund der mangelnden Ernährung keine Zähne.“ Und das erinnert sie an eine Geschichte, die sie bis heute nicht loslässt:

„Am meisten hat mich damals ein Bub berührt, der so alt war wie ich und kaum sprechen konnte. Er war damals völlig davon fasziniert, dass man eine Toilettentüre aufmachen und wieder schließen kann. Immer wieder ist er in das Klo hineingegangen und wieder herausgekommen, nur um zu sehen, dass man an diesem Ort auch alleine sein kann“. Bäumer hält fest, dass genau diese kleinen Dinge so wichtig sind und in der Forschung oft vergessen werden. Bereits in den 1980er-Jahren hat sich Angelica Bäumer dafür ausgesprochen, dass sich die ZeitzeugInnen nicht nur mit ihrem Schicksal während des Nationalsozialismus auseinandersetzen sollten: „Ich habe damals mit Hermann Langbein, dem Chronisten von Auschwitz, heftig über diese Frage debattiert. Denn ich war der Meinung, dass wir etwas tun müssen, damit so etwas nie wieder passiert. Bis heute beunruhigen mich
die rechtsradikale Jugend und die rechten Parteien. Zumal viel zu wenig über diese reflektiert wird.“ Den verpflichtenden Besuch der Gedenkstätten Auschwitz und Mauthausen hält Angelica Bäumer nicht für zielführend, weil Verpflichtungen oftmals abgelehnt werden. „Viel wichtiger ist es, dass man den LehrerInnen klar macht, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus zu unserer jüngeren Vergangenheit gehören und dass sie während ihres Unterrichts die Neugierde der Kinder wecken.“ Und Bäumer ergänzt: „Denn die Kinder haben noch Großeltern und Urgroßeltern, die die damalige Zeit erlebt haben. Diese zum Reden zu bringen, betrachte ich als überaus wichtig.“

 

Der progress Artikel (Juni 2013) von Claudia Aurednik wurde im Jänner 2014 auch in dem türkischen jüdischen Magazin Salom Dergi veröffentlicht.

progress Artikel in der Salom Dergi.

 

Links:

Angelica Bäumer

Walter Fantl-Brumlik

Symposium „Zeitgeschichte ohne Zeitzeugen“

 

Die Autorin ist Zeithistorikerin und freiberufliche Journalistin. Derzeit studiert sie Publizistik- und Kommunikationswissenschaften
an der Universität Wien.

Distanzirkus

  • 12.12.2014, 17:51

Warum das Distanzieren plötzlich derart in Mode gekommen ist und was es wirklich bedeutet.

„Treffen sich zwei Linke und spalten sich“: Seit Neuestem wird dazu bewusst und manipulativ durch eine unvergleichliche Zusammenarbeit zwischen Medien und Rechten angestiftet. Das geschieht durch einen hinterhältigen rhetorischen Trick: die Distanzierungsaufforderung.

Parteien, Organisationen und Unternehmen werden ja regelmäßig dazu aufgerufen, sich von bestimmten Aussagen oder Vorkommnissen zu distanzieren. Das gehört zum gesellschaftlichen Diskurs dazu und ist als Methode gar nicht so originell. So werden auch Rechte regelmäßig aufgefordert, von „Einzelfällen“ in ihren Parteien oder „verbalen Entgleisungen“ Abstand zu nehmen – was sie dann auch mehr oder weniger herzhaft regelmäßig machen (müssen).

Was allerdings derzeit vergleichsweise neu ist, sind die Aufrufe beziehungsweise der vorauseilende Ge- horsam, sich von einer Materie zu distanzieren, die nichts mit einem zu tun hat. So müssen sich neuerdings etwa Parteien und Menschenrechtsorganisationen von den Protesten gegen den Akademikerball und gegen die Identitären distanzieren, obwohl sie weder Organisator*innen noch Teilnehmer*innen der antifaschistischen Demos waren.

Der letzte Schrei

Ein Auszug aus dem aktuellen Programm des Distanzzirkus: Die ÖVP ruft etwa in einer Aussendung dazu auf, „linke Gewalttäter“ zu verurteilen. Prompt antwortet der grüne Bildungssprecher Harald Walser und distanziert sich „von allen Gewaltanwendern“ (außer der Polizei natürlich, die immerhin ein Gewaltmonopol hat). Werner Herbert von den Freiheitlichen Arbeitnehmern formuliert seinen Distanzierungswunsch penibelst vor: „Wir, die Organisatoren der Gegendemonstration von letztem Samstag, distanzieren uns in aller Schärfe von den Ausschreitungen linksextremer, krimineller Gewalttäter“, so der Vorschlag. Und nicht zuletzt appellieren auf Twitter ORF-Journalist*innen an die ÖH, von „Gewaltbereiten“ abzurücken.

Die Distanzierung ist der letzte politische Schrei, wie schon auf die Schnelle durchgeführte Presseagentur- und Mediensuchen zeigen. Zur Erinnerung: Niemand, der jemals in diesen Zusammenhängen zur Distanzierung aufgerufen wurde oder sich distanziert hat, war nachweislich an irgendwelchen „Gewaltexzessen“ oder Scheibeneinschlägereien beteiligt. Niemand. Die Unschuldsvermutung interessiert Medien wie auch die Politik, wenn es um die vermeintlich „kriminelle“ Antifa geht, ja auch gar nicht: Diese ist nur bei namhaften Menschen mit der Bereitschaft und den Möglichkeiten zu klagen, wie Grasser, Strasser und Co., zu beachten.

Distanzierungswut

Die in Österreich als distanzierungswürdig eingestuften Scheibenbrüche werden übrigens wegen den niedrigen Sachschäden und ausbleibender Gewalt in anderen Ländern als „kleine Zwischenfälle“ oder „friedliche Demos“ beschrieben. Die hetzerische Berichterstattung in Österreich und die Diffamierung von friedlichem antifaschistischem Protest als „Gewaltexzess“, „Straßenschlacht“ und „Bürgerkrieg“ heizt die Distanzierungswelle an. Ohne Skandalisierung nämlich keine Distanzierungswut.

Jede und jeder fühlt sich aber nun plötzlich dazu be- und aufgerufen, sich von NOWKR, #blockit und der Ausübung von Demonstrationsrecht generell zu distanzieren – was auch immer das eigentlich in diesem Zusammenhang bedeuten soll. Oftmals erschöpfen sich Kommentare zu wichtigen Themen wie dem Rechtsruck und Antifaschismus lediglich darin, dass Abstand gesucht wird. Ist die brennend aktuelle Materie vielleicht auch einfach zu unbequem? Es ist für politisch Agierende jedenfalls viel einfacher, sich pauschal von irgendwelchen fiktiven Krawallen abzugrenzen, als sich inhaltlich mit den Fragen und den gesellschaftlichen Anliegen auseinanderzusetzen, die antifaschistische Proteste aufwerfen. Eine Distanzierung ist auch eine konsequente Verweigerung, Position zu beziehen.

Zu dieser Nicht-Ortung in der österreichischen Politik gehört meistens auch die fahrlässige und unglaublich fakten- und geschichtsblinde Gleichsetzung von Rechtsextremismus und (in Österreich nicht-existentem) „Linksextremismus“. Dazu kann nur eins gesagt werden: Wer von links und rechts gleich weit entfernt stehen will, befindet sich mitten in der Scheiße.

Jedenfalls führt die hysterische Distanzierungsmode zu einer breiten Entsolidarisierung mit antifaschistischem Protest und seinen Anliegen – eine perfide Strategie der Rechten, auf welche die Medien hereinfallen. Es ist eine enge Zwickmühle, aus der es nur schwer ein Entkommen gibt. Der Populismus ist nämlich eine gut geölte Maschine, die die mediale und politische Rhetorik fest in ihren Zahnrädern mahlt.

Entsolidarisierung

Ein besonders eindrückliches und erschreckendes Beispiel für die Entsolidarisierung war etwa die Kundgebung gegen den Putin-Besuch in Wien am 24. Juni: Die Organisator*innen der Demo gegen die homophobe Politik Russlands hatten die Antifa dezidiert ausgeladen – eine Antifa, die immer auch für die Rechte von Homosexuellen auf die Straße gegangen ist und sich – im Falle der Regenbogenparade etwa – dafür sogar festnehmen ließ.

Sich von Dingen zu distanzieren, die nichts mit einem zu tun haben – etwa zu Bruch gegangenen Scheiben – ist entbehrlich. Distanzieren muss oder kann man sich nur von Dingen, die man selbst angestellt hat oder für die man namentlich bürgt. In Österreich grenzt eine Distanzierung vom Antifaschismus an ein Verbrechen. Immerhin steht der antifaschistische Grundkonsens der Zweiten Republik trotz aller rechten Polemik mahnend im Raum. Trotzdem wird etwa in Interviews und Fernsehdiskussionen ständig zur Distanzierung gedrängt und selbstständig darauf hingestürmt.

Somit entgeht dem Antifaschismus in Österreich die Solidarität und Unterstützung einer breiteren Mitte. Es entsteht eine tiefe Kluft zwischen jenen, die für den Antifaschismus auf die Straße gehen, und jenen, die diesen prinzipiell oder zumindest feigenblättrig unterstützen würden. Diese Entsolidarisierung ermöglicht eine immer stärkere Kriminalisierung von Antifaschismus, eine Diffamierung aller, die ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen, und absurde Polizeigewalt und -strategien. Um diese Entwicklung zu stoppen, müssten Journalist*innen und Medien aufhören, ständig zur dieser gesellschaftlichen Spaltung aufzurufen.

 

Olja Alvir studiert Germanistik und Physik an der Universität Wien.

                               

                       

               

 

Rede an euch

  • 22.02.2013, 18:35

Über das Risiko, sich mit einer „innerjüdischen“ Debatte in den Dienst der Holocaust-Verniedlicher zu stellen. Raimund Fastenbauer, Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Österreichs, findet klare Worte zu Peter Menasses neuem Buch und einem als Reaktion darauf im Standard erschienenen Artikel. Ein Gastkommentar.

Über das Risiko, sich mit einer „innerjüdischen“ Debatte in den Dienst der Holocaust-Verniedlicher zu stellen. Raimund Fastenbauer, Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Österreichs, findet klare Worte zu Peter Menasses neuem Buch und einem als Reaktion darauf im Standard erschienenen Artikel. Ein Gastkommentar.

Das provokante Büchlein Rede an uns von Peter Menasse, das vergangenen Herbst erschienen ist, kommt in Österreich so manchen besonders gelegen. Sagt doch Menasse selbst, und damit „jetzt sogar die Juden schon“, die Shoah sei Geschichte. Menasse riskiert damit fahrlässig, in eine Ecke mit Holocaust- verniedlichern unterschiedlicher Schattierung gestellt zu werden. Warum wurde seiner Polemik, die er doch, wie er selbst sagt, eigentlich an die jüdische Gemeinde richtet, in Österreich und Deutschland so viel Gewicht beigemessen? Schon immer ließ man gerne einen Juden sagen, was man sich selbst nicht traute. Das wussten schon die Jesuiten des Mittelalters bei Disputationen und erst recht in  späterer Zeit die Stalinisten.

Der Titel Rede an uns weist allerdings in der Tat auf einen nicht unwichtigen innerjüdischen Diskurs hin: Nämlich zwischen jenen Jüdinnen und Juden, die dem Judentum positive Inhalte zusprechen (aus Tradition, Religion, Ethik etc.) und jenen, für die es lediglich gezwungenermaßen eine „Schicksalsgemeinschaft“ in der Mehrheitsgesellschaft Assimilierter darstellte. Letztere sind in ihrem Judentum besonders durch das Geschehene des Holocausts geprägt und getroffen, weil sie auch ihr Assimilationsversuch, den sie bei stärkerem „jüdischen Bewusstsein“ nicht unternommen hätten, nicht vor der Verfolgung bewahrte. Für den Betroffenen mag dies ein schockierender „Undank“ gewesen sein.

Niemals wieder Opfer. Das Gedenken an den monumentalen Zivilisationsbruch, den die Shoah als Versuch einer „modernen maschinellen Vernichtung“ eines ganzen Volkes darstellt, ist im heutigen Judentum mit dem Ziel verbunden, „niemals wieder Opfer“ zu werden, mit der Solidarität mit dem Staat Israel und der Besinnung auf jüdische Inhalte in unterschiedlicher Art und Bewertung – eine durchaus zukunftsgerichtete und selbstbewusste Haltung. Dazu braucht es nicht Peter Menasse. Der gesellschaftlich verankerte Antisemitismus, der ohne die fast 2000jährige abendländische antijüdische christliche Polemik nicht möglich gewesen wäre, ist längst nicht überwunden – trotz der Shoah, es besteht vielmehr die Gefahr der Verdrängung und des Wiedererstarkens unter anderen Vorzeichen, etwa in der Leugnung des Existenzrechtes des Staates Israel und seiner Dämonisierung oder in den Drohungen des Holocaust-leugner-regimes in Teheran mit der Möglichkeit eines diesmal atomaren Holocaust. All dies wird von Menasse ignoriert. Auch der Artikel Judentum: Der Spagat zwischen gestern und ewiggestern von Wolfgang Weisgram, der am 27. Dezember 2012 in der Tageszeitung Der Standard erschienen ist, vermischt grundsätzlich richtige Analysen und Binsenweisheiten Menasses mit falschen und gefährlichen Aussagen wie: „Sie (die Shoah, Anm. d. V.) hat keinen Bezug zur Gegenwart der jungen Generation.“ Hinzu kommt, dass die Überschrift und der Inhalt des Artikels dem Judentum eine totale Rückwärtsbezogenheit auf das „Gestern“ unterstellen. Das ist Wasser auf den Mühlen jener, die aus der Vergangenheit keine Lehre für Gegenwart und Zukunft ziehen wollen: die tatsächlich „Ewiggestrigen“.

Hoher Preis. Manche von Menasses schnoddrigen Sagern lassen sich auch aus seiner Gegnerschaft zur Leitung der Israelitischen Kultusgemeinde erklären. Statt sich über das Selbstbewusstsein der Kultusge­meinde in den letzten Jahren zu alterieren, wäre Kritik am weit zurückhaltenderen Auftreten in früheren Perioden verständlich gewesen, das sich eben aus einem anderen Bewusstsein demoralisierter unmittelbar Überlebender erklären lässt. Da es in der heutigen Mediengesellschaft keine „internen Diskurse“ gibt, nimmt Menasse mit seinen Zeilen aber in jedem Fall fahrlässig in Kauf, dass er Beifall von, hoffentlich, unerwünschter Seite bekommt.

Österreich hat es meisterhaft verstanden, sich jahrzehntelang als das erste Opfer des Nationalsozialismus darzustellen, auf die tatsächlichen Opfer zu vergessen und jene auf hunderten Soldatenfriedhöfen und Gedenkstätten à la Heldenplatz als „Helden“ zu ehren, die sich in den Dienst der Täter stellten. Nicht zufällig ist heute der 26. Oktober Nationalfeiertag. Es ist der Tag der Neutralitätserklärung, der aber oft mit jenem Tag verwechselt wird, an dem der letzte Soldat der Befreier das Opfer Österreich verlassen hat. Ansonsten wäre der Tag der deutschen Kapitulation als Nationalfeiertag zu feiern, wie in anderen Ländern auch. In Österreich aber feiert man lieber den Tag, an dem die Befreier gegangen sind, als jenen, an dem sie gekommen sind.

Kein innerjüdischer Diskurs. Solange Österreich versucht, sich so durch die Geschichte zu drehen, ist die Shoah aber nicht Geschichte. Einschlägiges postnazistisches Gedankengut ist vielmehr manifester Teil der Gegenwart. Dies aufzuarbeiten ist eine Bringschuld der Gesellschaft und kein innerjüdischer Diskurs – schon aus Gründen der Selbsthygiene. Ohne Aufarbeitung gibt es keine Lehren für die Gegenwart und Zukunft. Diesbezüglich ist in den letzten Jahren in Österreich auch durch Initiativen nichtjüdischer Kreise viel geschehen. Menasse hat Recht damit, dass die Gedenkarbeit der Gesellschaft von dort ausgehen sollte. Aber gerade diesen Bemühungen haben weder Wolfgang Weisgram im Standard noch Peter Menasse einen guten Dienst erwiesen. Denn sie sind weder „Therapie gegen Phantomschmerzen“ noch eine innerjüdische Sache, sondern ein wichtiger Beitrag zur demokratischen und humanistischen Entwicklung der österreichischen Gesellschaft. Gerade das Shoahgedenken soll verhindern, dass so etwas heute nochmals so oder ähnlich passiert. Die Gaskammern waren mehr „als eine Fußnote der Weltgeschichte“ (Zitat Le Pen).
 

 

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