Who Cares - Fürsorgearbeit in der Coronakrise

  • 01.06.2020, 11:41
Um 18 Uhr ertönt ein Klatschen in Österreichs Straßen. Es gilt der Arbeit systemrelevanter Berufsgruppen, in denen Frauen* den größten Anteil stellen.

Rund 88 Prozent sind es in Betreuungsberufen und 81 Prozent im Gesundheitswesen. Diese Arbeit der Sorge-um-Andere hält die Gesellschaft am Laufen, und wird unter dem Begriff „Fürsorge-Arbeit“ – care work – zusammengefasst. Der Applaus unterbricht die systematische Unsichtbarkeit von Fürsorgearbeit in öffentlichen Diskursen. Bedeutet diese neue Sichtbarmachung von Fürsorgearbeit auch, dass an den gesellschaftlichen Verhältnissen gerüttelt wird? Aktivist*innen betonen, dass gesellschaftliche Anerkennung nicht genug ist und fordern Gehaltserhöhungen für die Arbeiter*innen in systemrelevanten Berufen.

Care-Notstand ist nichts Neues

Der Pflegenotstand der aktuellen Gesundheitskrise ist kein neues Phänomen. Seit Jahrzenten führen Unterfinanzierung und Kostenrationalisierung im Gesundheitssystem zu Qualitätsverlusten und Missständen in der Krankenpflege. Wohlfahrtsstaatlicher Sozialabbau, die zunehmende Lebenserwartung der Bevölkerungen westlicher Industrienationen führt zu gesteigertem Bedarf an Fürsorgearbeit. In Österreich sind rund 33.000 Pflegebedürftige auf Ganztags-Betreuung angewiesen. Das Pflegesystem ist privatisiert und staatliche Zuschüsse sind unzureichend. Betroffene Familien werde für die Pflege Angehöriger selbst verantwortlich gemacht, sofern stellen betreuende Angehörige den „größten Pflegedienst“ Österreichs. In der gelebten Realität bedeutet das, dass 73 Prozent der häuslichen Pflege von Frauen* übernommen wird. Über die Hälfte der pflegenden Frauen* gehen nebenher keiner Erwerbsarbeit nach und haben trotz der körperlich und psychisch belastenden Pflegearbeit ein Durchschnittsalter von 62 Jahren. Das Prinzip der unregulierten Marktwirtschaft setzt auf Kostenreduktion, weshalb gesellschaftlich notwendige Fürsorge- und Reproduktionsarbeiten in die Sphäre des Privaten abgeschoben oder an migrantische Hilfskräfte delegiert werden. Während aus der Hilfsbedürftigkeit der Menschen Profit geschlagen wird, sind Frauen überproportional von der Sparpolitik im Gesundheitssystem betroffen. In Krisenzeiten verschärfen sich derartige soziale Schieflagen. So hat die Schließung der österreichischen Außengrenzen einen Pflegenotstand hervorgerufen und die Unersetzlichkeit des Pflegepersonals aus den osteuropäischen Nachbarstaaten vor Augen geführt.

Schweigen über die Arbeitsbedingungen der 24-Stunden-Personenbetreuer*innen

Mit einer Luftbrücke wurden im April 2020 die ersten Personenbetreuer*innen aus Rumänien nach Österreich eingeflogen. Bevor sie anfingen zu arbeiten, mussten sie zwei Wochen in unbezahlte Quarantäne. Mittels weiterer Sonderregelungen sollen ab Mai wöchentlich Sonderzüge, 24-Stunden-Betreuerinnen von Rumänien nach Österreich bringen. Für die Kosten der Fahrt müssen sie allerdings selbst aufkommen. Aus Rumänien kommen mehr als die Hälfte der etwa 70.000 24-Stunden-Betreuerinnen, die in Österreich arbeiten. In den medialen Berichterstattungen um Österreichs Pflegenotstand wurde die Situation der 24-Stunden Pfleger*innen selbst nicht thematisiert. Keine Erwähnung fand auch der Streik für gerechtere Arbeitsbedingungen in dem sich rumänische 24-Stunden Betreuer*innen seit mehreren Jahren befinden. Zuletzt haben sie auf einer Kundgebung am Weltfrauentag auf ihre prekäre Situation aufmerksam gemacht. Die Interessenvertretung „DREPT pentru îngrijire“ - übersetzt „Gerechtigkeit für Pflege- und Personenbetreuung“ – gegründete sich, als der österreichische Staat vor drei Jahren das Kindergeld für die Kinder migrantischer Arbeiter*innen gestrichen hat. Diese Maßnahme traf die zu 89 Prozent weiblichen Personenbetreuer*innen besonders hart.

Auf Radio Orange berichtet die Aktivistin Flavia Matei „Die Arbeiterinnen kommen für 2 bis 4 Wochen am Stück aus Rumänien und sind dann täglich 24h für die Patient*innen da. Sie machen eine Arbeit, die kaum jemand machen will und sie werden dafür auch extrem schlecht bezahlt. Zwischen 40 und 80 Euro netto am Tag. Das heißt viele von den Personenbetreuerinnen verdienen Netto kaum mehr als 2€ pro Stunde.“ Vermittlungsagenturen werben mit 55 Euro pro Tag für die Rund-um-die-Uhr-Pflege für zwei pflegebedürfte Personen, Geld, für das in Österreich niemand den Knochenjob machen würde. Auch wenn die Betreuer*innen zu den gleichen Patient*innen gehen, ziehen Agenturen ihnen monatlich 400 Euro Provision ab, bei jeder neuen Einreise werden sie gezwungen einen neuen Vertrag zu unterschreiben, der eine Inkasso-Vollmacht beinhält. Im Rahmen der Ausreisebeschränkungen bleibt Personenbetreuer*innen keine Wahl als ununterbrochen weiterzuarbeiten. Der Corona-Bonus von einmalig 500 Euro wurde auch ihnen zugesagt, allerdings wird dieser an die Vermittlungsagenturen oder Familien, und nicht direkt an die 24h-Betreuer*innen, überwiesen.

Das Lohngefälle zwischen Ost- und Westeuropa ist der Treibstoff, der die transnationalen Sorgeketten, die sogenannten care-chains, immerfort antreibt. In Rumänien liegt der monatliche Mindestlohn bei etwa 460 Euro, was nicht im Verhältnis zu den steigenden Lebenshaltungskosten steht. Für die Vermittlungsagenturen ist das 24-Stunden-Pflegepersonal austauschbare Arbeitskraft. Nach der Öffnung der EU-Grenzen in Folge der Osterweiterungen 2004 und 2007 haben Vermittlungsagenturen eine formelle Gegenstruktur zu bestehenden informellen Anstellungssystemen entwickelt. Das österreichische Pflegesystem steht trotz dem Hauptanteil von pflegenden Angehörigen in starker Abhängigkeit von migrantischen Pflegekräften. Flavia Matei betont, dass diese Abhängigkeit beidseitig ist, denn wie andere Beschäftigte in atypischen Arbeitsverhältnissen haben die Personenbetreuer*innen, unter Vertragsbedingungen, die sie zu Scheinselbstständigen machen, kein Einkommen ohne ausgeführte Arbeit.

Unsichtbare und unbezahlte Fürsorgearbeit

Frauen* arbeiten weltweit mehr als Männer*, zeigt eine aktuelle Studie der Internationalen Arbeitsorganisation. Durchschnittlich arbeiten Frauen* zu 76 Prozent unbezahlt, während bei Männern* unbezahlte Tätigkeiten etwa 36 Prozent ausmachen. Dass der Hauptteil „weiblicher“ Arbeit unentgeltlich ist, führt zu einer erheblichen finanziellen Benachteiligung, der Gefahr in Abhängigkeitsverhältnisse und Altersarmut zu geraten.

Da Mehrfachbelastungen für viele Frauen* Alltag sind, werden ihnen gerne Multitasking Fähigkeiten nachgesagt. Die Bewältigung von Haus- und Sorgearbeit ist ein wesentlicher Bestandteil vergeschlechtlichter Vergesellschaftung, für den als selbstverständlich gilt, dafür keine Bezahlung zu verlangen. Nicht zu Unrecht werden Frauen zynisch als soziale Airbags der Krise bezeichnet.

Gehaltserhöhung als Dankeschön

Diese Pandemie ist in vielerlei Hinsicht eine „weibliche“ Krise. Eine Krise für Personen, die als weiblich gelesen werden und eine Krise des untragbaren Bildes von „weiblicher“ Arbeit. Die gesellschaftliche Entwertung von Fürsorgearbeit drückt sich in ihrer Unterbezahlung aus, ein Kontrast, der angesichts der Lebensnotwendigkeit der Versorgungsleistungen besonders hervorsticht. Trotz der gesellschaftlichen Anerkennung „systemrelevanter“ Arbeit, stellt sich weiterhin die Frage welche Arbeit letztendlich als bezahlungswürdig eingestuft wird. Medienberichte vernachlässigen zumeist die Situation der rumänischen 24-Stunden Personenbetreuer*innen, wie der unbezahlten Mehrarbeit von Erwerbstätigen mit Betreuungspflichten. Gesten der Dankbarkeit und Solidarität zeigen, dass der Bedarf von Grundversorgungsleistungen das Menschsein wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt hat. Die beschworene Solidarität gilt jedoch nicht für alle gleichermaßen, während der mediale Fokus auf den Bedarf an Pflege eingeht, werden die Arbeitsbedingungen der 24-Stunden Pflege unter den Schutzmaßnahmen ausgeblendet. Die „Coronakrise“ wirft vor allem die Fragen auf, welches Leben zählt? Und welches Leben als schützenswert angesehen wird?

Swantje Höft ist Referentin für feministische Politik auf der ÖH Bundesvertretung und Vorsitzende der Hochschüler_innenschaft an der Akademie der bildenden Künste Wien

AutorInnen: Swantje Höft