Nicht einsatzbereit

  • 13.07.2012, 18:18

Das Bundesheer kostet die ÖsterreicherInnen Millionen Euro an Steuergeld und trotzdem müssen die SoldatInnen in maroden Kasernen hausen. Die Geschichte eines großen Widerspruchs, der von der Politik achselzuckend hingenommen wird.

Das Bundesheer kostet die ÖsterreicherInnen Millionen Euro an Steuergeld und trotzdem müssen die SoldatInnen in maroden Kasernen hausen. Die Geschichte eines großen Widerspruchs, der von der Politik achselzuckend hingenommen wird.

Ein Skelett ohne Muskeln soll das Bundesheer sein. Ja, sogar ganz ohne Fleisch. Abgemagert bis auf die Knochen und völlig entkräftet. Das Bild stammt von Eduard Paulus, dem Präsidenten der Offiziersgesellschaft. Im Interview mit der Presse prangert er die Missstände im Heer an: Desolate Kasernen, der ungerechtfertigte Assistenzeinsatz an der Grenze, keine Volltruppenübungen für die Miliz. Für ihn sei die Bundesheerreform 2010 tot. Für andere nicht. Vehement bestreitet Verteidigungsminister Norbert Darabos im Standard die Vorwürfe: „Ich halte jene, die da irgendwie uns ans Bein pinkeln wollen, für unpatriotisch und auch populistisch im letztklassigsten Sinn.“ Die Miliz sei einsatzbereit, der Assistenzeinsatz voll und ganz gerechtfertigt. Auch wenn er anscheinend nur dem subjektiven Sicherheitsgefühl der BurgenländerInnen dient.
Kritik und Beschwichtigung. Beschlossene Reformen. Später sollen sie nur halbherzig durchgeführt werden. Darauf folgt abermals Kritik und das Spiel beginnt von vorne. Geändert hat sich seit Jahren kaum etwas. 120 Empfehlungen wurden in den Entwurf der „Heeresreform 2010“ unter der Leitung des verstorbenen AltbürgerInnenmeisters Helmut Zilk geschrieben. Bisher wurden davon 44 zum Teil, zwölf gar nicht umgesetzt. In der Zwischenzeit wird das geringe Militärbudget – 2008 machte es etwa 2,04 Milliarden Euro aus – gedankenlos verschleudert. Beim rechtlich bedenklichen Assistenzeinsatz in Burgenland beispielsweise. Bei den StaatssportlerInnen im Heeressport. Oder in den völlig unterbelegten Militärspitälern.

Die FPÖ und die Blumensamen. Das Bundesheer steckt in der Krise. Anstelle eines konstruktiven Nachdenkens über eine Reform, die finanzierbar ist und funktioniert, ist wie so oft in Österreich die Diskussionsunfähigkeit getreten. Während sich der Offizier Eduard Paulus in offenen Briefen mit dem SPÖ-nahen Chef des Generalstabes Edmund Entacher befetzt, zieht Verteidigungsminister Norbert Darabos eine beleidigte Schnute in Anbetracht der Kritikflut. Auch die Parteien im Parlament suchen nicht nach einem Grundkonsens, sondern vertreten eifrig ihre Position. Die SPÖ ist beispielsweise für den Grenzeinsatz im Burgenland, die ÖVP dagegen. Das BZÖ fordert die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht, die Grünen beschweren sich gebetsmühlenartig über die mangelnde Einsatzbereitschaft der Eurofighter. Die skurrilsten Wortmeldungen kamen jedoch von der FPÖ, die die Blumensamen, die Darabos am Valentinstag Soldatinnen schicken ließ, zum Thema machten. Kaum ein Verantwortlicher meldet sich dieser Tage jedoch mit konkreten Vorschlägen zu einer Exit-Strategie in der Bundesheer-Misere.

Duschen wie im Weltkrieg. „Wo Kasernen verfallen, verfällt die Armee!“ steht in Blockbuchstaben auf einem vergilbten Plakat. Es ist an eine baufällige Kaserne angebracht. Die Buchstaben sind ausgebleicht von der Sonne, Putz bröckelt von der Wand. „Wohn- und Hygienestandards in bestehenden Kasernen entsprechen alters- sowie nutzungsbedingt weder den Anforderungen noch den Bedürfnissen von Grundwehrdienern und dem Kaderpersonal“, kritisiert die Volksanwaltschaft in ihrem vor kurzem erschienenen Bericht über den Zustand vieler Bundesheerkasernen. Eine davon ist die Khevenhüller-Kaserne in Klagenfurt. Seit etwa 70 Jahren wurde kaum etwas an der Bausubstanz verbessert. Doch nicht nur das Fundament bröckelte, auch die Einrichtungsgegenstände wirkten antiquiert: „Die Duschen im Keller wirkten so alt, als ob sie vor 1945 gebaut worden wären, und die Matratzen waren so verstaubt, dass wir sie bei Dienstantritt zuerst einmal eine halbe Stunde lang ausklopfen mussten“, erinnert sich Martin B., der die Khevenhüller-Kaserne vor etwa zwei Jahren bezog. Am meisten kritisierte die Volksanwaltschaft jedoch den Spitaltrakt der Kaserne. Den Verletzten würde weder ein Lift noch Krankenbetten zur Verfügung stehen. Verteidigungsminister Darabos versuchte die Vorwürfe ein wenig zu entkräften, indem er darauf hinwies, dass während seiner Amtszeit bisher 311 Millionen Euro in die Infrastruktur investiert wurde. Notwendig wäre dem Verteidigungsministerium zufolge jedoch mehr als eine Milliarde Euro, um die Kaserneninfrastruktur wieder auf Vordermann zu bringen. Woher aber so viel Geld nehmen? Wenn sich die PolitikerInnen schon nicht zu größeren Reformen durchringen können, so könnten sie zumindest in einigen Bereichen sparen.
Darabos’ umstrittenstes Projekt ist wohl der rechtlich fragwürdige Assistenzeinsatz im Burgenland und in Niederösterreich. Als Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Slowenien 2008 dem Schengener Abkommen beitraten, verlor das österreichische Bundesheer eine seiner Hauptkompetenzen – den Grenzschutz. Den wollten sich die SicherheitsfanatikerInnen und taktischen PolitikerInnen jedoch nicht nehmen lassen. Es müsse für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gesorgt sein – seit zwei Jahren schleichen nun 18-jährige Soldaten durchs Landesinnere. Im Notfall dürfen sie lediglich die Polizei rufen. Dafür können sie gebrechlichen PensionistInnen über die Straße helfen oder vergessliche AutobesitzerInnen ans Zusperren erinnern. „Es ist so langweilig, stundenlang immer die gleichen Straßen entlangzulaufen“, klagt der Grundwehrdiener Kevin S., „es passiert einfach nichts.“ Ganze neun illegale EinwandererInnen griffen Soldaten 2009 im Burgenland und in Niederösterreich auf. Kein großer Fisch war darunter. Laut Berechnungen des Rechnungshofes beliefen sich die Kosten des Assistenzeinsatzes Schengen zwischen Ende Dezember 2007 und Ende April 2009 auf 29,3 Millionen Euro. Eine unglaubliche Summe für eine sinnlose Tätigkeit, die das politische Kalkül des Verteidigungsministers zu verraten scheint – wäre es nicht schön, Landeshauptmann vom Bundesland mit den meisten Sonnenstunden zu sein? 
Auf eine andere „Baustelle“ des Bundesheeres hat ebenfalls der Rechnungshof hingewiesen. Kritisiert wurden die teuren Militärspitäler. Geringe Auslastung (25,4 Prozent im Vergleich zu 75 Prozent bei zivilen Spitälern), Nebenjobs der Militärärzte und fehlende Kooperation mit anderen öffentlichen Krankenhäusern sind nur ein paar Punkte. Auch die „Belegstage“ kosten in Militärspitälern rund doppelt so viel. Eine Berechnung aus dem Jahr 2003 ergab, dass ein Tag in einem Militärspital 1.654 € kostet. Trotz der hohen Kosten muss das Heer viele medizinische Leistungen zukaufen. Aus dem Bericht des Rechnungshofes geht hervor, dass sich 2008 die Summe der externen Leistungen auf 5,6 Millionen Euro belaufen hat. Das vernichtende Urteil des Rechnungshofes: „Jegliche Planungsgrundlagen für die militärischen Krankenanstalten fehlen.“
Dass die planerischen Köpfe weder im Verteidigungsministerium noch im Bundesheer zu Hause sind, zeigen auch die fragwürdigen Maßnahmen der Dezentralisierung, die sich durch die Bundesheerreform ergeben haben. Aus einem Artikel des Kurier geht hervor, dass das Wiener Arsenal, wo die meisten Panzer repariert worden sind, aufgelassen werden soll. Nun steht jedoch der Großteil der Panzerverbände rund um Wien. Künftig sollen die Panzer jedoch zur Reparatur nach Graz, Klagenfurt, Salzburg und Wels geliefert werden. Das ist nur ein Beispiel von vielen, wie unnötigerweise Panzer, Papier oder Fahrzeuge quer durch Österreich transportiert werden.

Österreich und seine Neutralität. Warum ein marodes Bundesheer, das Unsummen an Geld frisst, nicht überhaupt abschaffen? Wer braucht schon ein Heer, das nur bedingt einsatzbereit ist, das zufolge innerster Kreise nur ein Skelett ohne Muskeln und Fleisch ist? Wem würde das Heer fehlen? Österreich liegt nicht mehr im Spannungsfeld von Ost und West, am meisten bedroht ist der Kleinstaat durch Terrorismus und dem kann ohnehin nur mit vereinten Kräften entgegengetreten werden. Naturkatastrophen wie Lawinenabgänge könnte auch der Zivilschutz bewältigen – warum braucht man dazu ein Heer?
Österreich ist nach dem Staatsvertrag zu einer „bewaffneten Neutralität“ verpflichtet, außerdem stellen sich dem Bundesheer auch noch heute ganz konkrete militärische Aufgaben, die seine Existenz legitimieren.
Im Zuge des US-amerikanischen Kriegs gegen den Terror sollen zum Beispiel dutzende Flugzeuge der CIA über Österreich geflogen sein, in denen Gefangene des Geheimdiensts illegal durch Europa transportiert worden sind. Ohne eine funktionierende Staffel an Abfangjägern, ist solchen Überflügen nicht beizukommen.
Aber auch wenn Österreich seine Neutralität eines Tages aufgeben sollte, wird es eine Armee geben. Nach Informationen der Wiener Zeitung arbeitet die rot-schwarze Regierung an einer neuen Sicherheitsdoktrin, die im Wesentlichen auf zwei Ziele ausgerichtet ist: auf die im Lissabon-Vertrag festgemachte EU-Beistandsverpflichtung und auf das Neutralitätsgesetz. Dass sich die beiden Punkte eigentlich widersprechen, darüber schweigt die Regierung bisher. 
Überhaupt stellen die Pläne für eine gemeinsame europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik ein immer größeres Problem für das neutrale Österreich dar. Beinahe alle großen EU-Staaten sind Nato-Mitglieder und dementsprechend gibt es unter EU-PolitikerInnen auch zwei dominante Vorstellungen, wie sich Europas militärische Zukunft entwickeln soll. Der eine Teil plädiert für eine stärkere Einbettung der europäischen Truppen in die Nato, der andere Teil drängt auf eine eigenständige europäische Armee. 
Sollten sich die Nato-BefürworterInnen durchsetzen, dann bekommt das neutrale Österreich ein Problem. Denn Österreich wird 2011 erstmalig an einer EU-„Battlegroup“ teilnehmen und laut Empfehlung der Bundesheer-Reformkommission soll künftig sogar die Führung einer „Battlegroup“-Brigade angestrebt werden. Wie das langfristig in einer von der Nato dominierten Armee ohne Nato-Mitgliedschaft möglich sein soll, darüber steht im Empfehlungsschreiben nichts. 

AutorInnen: Lola Kirsch