Klassenkampf reloaded

  • 13.07.2012, 18:18

In Nordafrika stürzen die Regime, in London herrscht Ausnahmezustand, in den USA bringen DemonstrantInnen eine Stadt unter ihre Kontrolle. Drei Schauplätze, ein Kampf: Der Mittelstand ringt um die Macht.

In Nordafrika stürzen die Regime, in London herrscht Ausnahmezustand, in den USA bringen DemonstrantInnen eine Stadt unter ihre Kontrolle. Drei Schauplätze, ein Kampf: Der Mittelstand ringt um die Macht.

Wer hätte das zu Jahresbeginn gedacht? 2011 wird in die Chroniken der Menschheitsgeschichte eingehen als großes Revolutionsjahr, vergleichbar mit epochalen Daten wie 1848, als Europas BürgerInnen gegen die Restauration auf die Barrikaden stiegen.
Die Revolutionen in Tunesien und Ägypten sind Ereignisse von weltbewegender Dimension, weil sie eine neue Ära verheißen für den gesamten arabischen Raum, dem eine Schlüsselrolle in der Weltpolitik zukommt. Was die Umwälzungen in Ägypten, der traditionellen Vormacht der arabischen Staaten, noch auslösen werden, kann niemand wissen. Sicher ist: Für jede arabische Regierung wird es in Zukunft viel schwieriger werden, als Statthalterin westlicher Interessen aufzutreten und Politik gegen das eigene Volk zu machen. PolitikerInnen aus der EU und den USA mögen sich im Nachhinein noch so sehr auf die Seite der RevolutionärInnen stellen und sich echauffieren, Mubarak und Ben Ali seien Bastarde gewesen. Die NordafrikanerInnen werden nicht vergessen: Sie waren „unsere“ Bastarde, Mafiabosse im Dienst des Westens.

Pharaonen und Mafiabosse. Ihre Gangster-Regime sind gefallen, weil sie den jungen Menschen keine Chancen, keine glaubhaften Versprechen mehr anbieten konnten. Es waren nicht die verarmten Massen und die alten Seilschaften der Muslimbrüder, die die Diktatoren verjagten. Das Rückgrat des Aufstands bildete eine junge Generation von IngenieurInnen, IT-Fachleuten, FreiberuflerInnen, Fußballfans und auch Nachwuchsmitgliedern der Muslimbrüder, die damit gegen die Linie der Führungsgarde der Islamisten handelten. Gemeinsam war ihnen allen die Angst, durch die globale Finanzkrise aus der Mittelschicht in die Armut gestoßen zu werden.
Rechte ApologetInnen predigen, die Umwälzungen in Nordafrika seien ein Beweis für den Siegeszug der neoliberalen Demokratie. Aber die MarktschreierInnen sollten sich mal anhören, an wen die protestierende Masse am Tahrir-Platz in Kairo ihre Solidaritätsadressen richtet. Sie unterstützen die protestierenden StudentInnen in London und die linken ParlamentsbesetzerInnen in Wisconsin in den USA. Die einen wie die anderen betrachten sich als Verbündete im Kampf gegen eine neoliberale Politik, die schließlich der Grund war, warum die Pharaonen vulgo Mafiabosse in Ägypten und Tunesien vom Thron kippten.

Schlägertrupps gegen DissidentInnen. In unseren Tagen zeigt sich der subversive Weltgeist als Globalisierungsgewinnler. Mit Argusaugen mussten die Herrschenden der Welt sehen: Nicht nur Geld und Kapital jagen per Mausklick um den Erdball, sondern auch Aufstand und Umsturz eilen per Breitband und Satellit um die immer flacher werdende Welt. Wenn in Tunesien und Ägypten die Diktatoren stürzen, müssen die verbleibenden Autokraten in Europa, Asien und Afrika vor dem Funkenschlag der Revolution zittern. Sogar die mächtigen Bonzen im Politbüro der Kommunistischen Partei Chinas zeigen dann Nerven, versetzen den Geheimdienst in höchste Alarmbereitschaft und hetzen zivile Schlägertrupps auf DissidentInnen.
Auch im Westen spürt man den Wind of Change. In London gingen hunderttausend Studierende auf die Straße, um gegen die Bildungspolitik der konservativen Regierung zu protestieren. Die Stadt befand sich über eine Woche in einer Art Ausnahmezustand. Polizeihubschrauber patrouillierten über den Dächern der Finanzmetropole, Panzerfahrzeuge und hochgerüstete Robocops, ausgestattet mit ungesicherten Automatikwaffen, bewachten die Regierungsviertel und riegelten die City ab.
In Griechenland, dessen Hauptstadt Athen die höchste Porsche-Cayenne-Dichte aller europäischen Metropolen haben soll, ist es in den vergangenen Wochen einmal mehr zu schweren Ausschreitungen gekommen. Kleine Geschäftslokale wurden geplündert und danach ausgebrannt, es gab Dutzende Verletzte. Unseren Medien waren die anarchischen Tumulte – wenn überhaupt – nur noch eine Randnotiz wert, so sehr haben wir uns schon gewöhnt an das hellenische Chaos, das frustrierte Jugendliche anrichten. 

Streiken verboten. Im Vergleich dazu sind die Ereignisse, die sich derweil auf der anderen Seite des Atlantiks zutragen, weit ungewohnter. Im US-Bundesstaat Wisconsin führten die radikalen Sparpläne des republikanischen Gouverneurs Scott Walker zu Protesten von hunderttausend Menschen, die das Zentrum von Madison, der Hauptstadt Wisconsins, zeitweise unter ihre Kontrolle brachten. Tausende BürgerInnen belagerten das State Capitol und verbarrikadierten die Zufahrtsstraßen. Es war eine der größten Widerstandsbewegungen in den USA seit den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg.
Was in den großen Medien anfänglich als Provinzposse abgetan wurde, offenbarte sich alsbald als Eskalation des Machtkampfs zwischen den zwei Amerikas – den sich immer fremder werdenden linksliberalen und reaktionären Teilen des Landes.
Anlass für den Konflikt war, dass die republikanische Partei das horrende Budgetloch auf Kosten der Mittelschicht und der sozial Schwachen stopfen will, während den MillionärInnen und MilliardärInnen Steuersenkungen winken.

Endstation Taka-Tuka-Land. Im US-Bundesstaat Ohio wurde jüngst ein Gesetz gebilligt, das es BeamtInnen unmöglich macht, Lohnforderungen mit Hilfe von Gewerkschaften durchzusetzen. Streiks werden künftig ein strafwürdiges Vergehen sein. Angestellten soll sogar untersagt werden, bei Lohnverhandlungen Abgeordnete zur Unterstützung einzuschalten. Und auch die republikanische Mehrheit im Senat in Wisconsin beschloss am 9. März trotz allen Widerstands, die Gewerkschaften radikal zu entmachten. „In 30 Minuten haben 18 Republikaner 50 Jahre Arbeitnehmerrechte in Wisconsin abgeschafft“, fasste der demokratische Senator Mark Miller die Niederlage zusammen. Um die Bedeutung der globalen Unruhen richtig einzuschätzen, sollten wir nicht vergessen, dass uns hoch angesehene PolitologInnen noch vor wenigen Jahren glauben machen wollten, der Zug der Geschichte sei angekommen in seinem Endbahnhof, dem Taka-Tuka-Land der neoliberalen Marktwirtschaft. Eingetreten ist aber das Gegenteil: Die Geschichte bricht sich gleich einem Hochgeschwindigkeitszug mit voller Wucht ihre Bahn, und niemand kann mehr wissen, wer die WeichenstellerInnen sind, die die Zukunft steuern werden.
 
Es herrscht Klassenkampf. Gemeinsam ist fast allen sozialen Kämpfen der Gegenwart, dass sie keine Klassenkämpfe mehr sind im Sinne von Proletariat gegen Bürgertum. Es sind Konflikte der Angehörigen des Mittelstands, die ihren Status zu verlieren drohen oder sich diesen erkämpfen wollen. Egal ob China, Indien, Europa oder die USA: Die besitzende Elite braucht die Mittelschicht nicht mehr als politischeTrägerin des Staates. Nur als gut qualifizierte, aber unpolitische Angestellte sind ihre Mitglieder dem Kapital von Nutzen.
Dass aber auch die Auseinandersetzungen zwischen den Superreichen und dem Mittelstand eine Art von Klassenkampf darstellen, darauf machte ausgerechnet der US-Milliardär Warren Buffet aufmerksam. Das Gebaren der US-Finanzbranche im Visier stellte er lakonisch fest: „Es herrscht Klassenkampf, meine Klasse gewinnt.“ Und setzte nach: „Aber das sollte sie nicht.“

AutorInnen: Louis Weiland