Eichmanns Ankläger in Wien

  • 20.09.2012, 16:15

Genau vor 50 Jahren fand in Israel der Prozess gegen Adolf Eichmann, den „Organisator der Shoa“, statt. Anlässlich einer Ausstellung im Justizpalast war der damalige Ankläger Gabriel Bach für ein ZeitzeugInnengespräch in Wien.

Genau vor 50 Jahren fand in Israel der Prozess gegen Adolf Eichmann, den „Organisator der Shoa“, statt. Anlässlich einer Ausstellung im Justizpalast war der damalige Ankläger Gabriel Bach für ein ZeitzeugInnengespräch in Wien.

Gabriel Bach ist 84 Jahre alt. Schon oft hat er vom Eichmann-Prozess erzählt. Doch wenn er erklären soll, welcher Moment ihn am stärksten berührt hat, wird seine Stimme zittrig. Der Ankläger im Prozess gegen Adolf Eichmann erzählt von einem Zeugen, der im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau seine ganze Familie verloren hat: „Er sagte: Ich habe meine Frau nicht mehr gesehen, die war verschwunden in der Menge. Ich habe meinen Sohn nicht mehr gesehen, der war verschwunden in der Menge. Aber mein Töchterchen, zweieinhalb Jahre alt, die hatte einen roten Mantel. Und dieser rote Punkt wurde immer kleiner. So verschwand meine Familie aus meinem Leben. Und ganz zufällig hatten wir eine kleine Tochter. Genau zweieinhalb Jahre alt. Ich hatte ihr zwei Wochen vorher einen roten Mantel gekauft.“ Als der Zeuge das gesagt hatte, da verschlug es Bach vollständig die Stimme, erzählt er heute: „Es hat vielleicht zwei oder drei Minuten gedauert, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte. Wahrscheinlich eine banale, kleine Geschichte, aber für mich symbolisiert das diesen Prozess mehr als irgendwelche anderen Momente.“
Gabriel Bach war der stellvertretende Chefankläger im Prozess gegen Adolf Eichmann im Jahr 1961. Ein halbes Jahrhundert später war er Ende November anlässlich der Ausstellung „Der Prozess – Adolf Eichmann vor Gericht“ im Justizpalast zu einem Gespräch in Wien. Schon oft habe er von seinen Erfahrungen erzählt, merkt Bach man an. Doch jedes Mal auf neue Weise, ergreifend und voll innerer Überzeugung, spricht er über diesen Prozess, der bis heute sein Leben geprägt hat.

Glückskind. Bach überlebte den Nationalsozialismus wie durch ein Wunder – sein Vater hatte die richtige Intuition und flüchtete mit der Familie nur zwei Wochen vor den Pogromen am 9. November 1938 nach Holland. Und nur ein Monat vor der deutschen Invasion in den Niederlanden konnte die Familie auf einem Schiff weiter nach Jerusalem reisen. Er ist der einzige aus seiner Schulklasse, der die Zeit überlebt hat. „Wir konnten vorher all die Jahre hindurch immer nur hören und lesen, was da geschehen war und nie etwas dagegen tun“, sagt Bach heute. Daher auch der Wille, „auf demokratischste und juristisch fundierteste Weise die Sachen zu beweisen gegen den Mann, der verantwortlich war für alle Aspekte. Das hat einem doch eine große Befriedigung gegeben.“
Der Angeklagte, der ehemalige Leiter des nationalsozialistischen „Judenreferats“ Adolf Eichmann, wurde 1960 vom israelischen Geheimdienst Mossad in Argentinien aufgespürt und für seinen Gerichtsprozess nach Israel verschleppt. Eichmann, der in Linz aufgewachsen war, war maßgeblich für die Organisation und Durchführung der Deportationen und Ermordungen von sechs Millionen Juden und Jüdinnen verantwortlich. Jeder Transport nach Auschwitz ging über seinen Schreibtisch. Und so leitete er beispielsweise das ungarische „Judenkommando“, im Zuge dessen in der kurzen Zeit von März 1944 bis Juli 1944 eine halbe Million ungarischer Juden und Jüdinnen nach Auschwitz deportiert wurden. Mit Eichmann hatte man den Fachmann für die „Judenfrage“ im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) dingfest gemacht.
Zuvor war er, wie viele andere NS-Funktionäre untergetaucht und über die „Rattenlinie“ nach Südamerika gelangt, wo er unter falschem Namen lebte. Eichmanns Verteidigungsstrategie war es, sich als Befehlsempfänger und kleines Rädchen darzustellen. Aber das stimmte nicht, erzählt Bach: „Am Ende des Krieges hat Eichmann gesagt: ,Ich weiß, der Krieg ist verloren, aber ich werde meinen Krieg noch gewinnen.‘ Und dann fuhr er nach Auschwitz, um die Tötungen von 10.000 am Tag auf 12.000 heraufzubringen.“

Eichmann in Jerusalem. Bis heute kontrovers sind die Prozessbeobachtungen Hannah Arendts, die den SS-Obersturmbannführer in ihrem Buch „Eichmann in Jerusalem“ als Befehlsempfänger und banalen Schreibtischtäter schildert. „Das ist von Hannah Arendt völlig falsch wiedergegeben“, sagt Bach. Zu einem Gespräch zwischen den beiden ist es nicht gekommen, erinnert er sich: „Ich hörte, da ist eine Frau nach Israel gekommen. Eine Philosophin aus Amerika, um gegen den Prozess zu schreiben. Das hat mich gewundert und ich habe ihr mitteilen lassen, ich würde mich freuen, mich mit ihr zu treffen. Sie hat geantwortet, dass sie nicht bereit sei, mit irgendjemand von der Staatsanwaltschaft zu sprechen. Das war ziemlich typisch.“
Die Bedeutung des Gerichtsprozesses für die Identität des jungen Staates Israel ist kaum zu ermessen. „Ich werde nie den ersten Moment dieses Prozesses vergessen, als die Richter in den Saal kamen mit dem Israeli-Wappen hinter sich und Eichmann da reinkam und Haltung annahm vor einem souveränen israelischen Gericht. Die Bedeutung des Staates Israel wurde mir auf einmal klarer als in irgendeinem Moment davor. Mehr als jede Parade, jeder Leitartikel in der Zeitung oder jede Zeremonie hat mich das ungeheuer beeindruckt“, sagt Bach.
Eichmann wurde der Verbrechen gegen das jüdische Volk und gegen die Menschheit schuldig befunden und im Mai 1962 hingerichtet. „Er ist der einzige Mensch, der in Israel jemals zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Ich glaube, ich kann objektiv sagen, dass er wirklich ein Mann ist, der das absolut verdient hat“, sagt sein Ankläger.

Der Autor hat Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Wien studiert. Die Gedenkstätte Yad Vashem hat den gesamten Prozess online gestellt: www.youtube.com/eichmanntrial

AutorInnen: Dominik Wurnig