„Erinnern heißt auch handeln“

  • 05.12.2015, 12:48

Der Verein Erinnern Gailtal präsentiert sein neues Buch „Ausgelöschte Namen. Die Opfer des Nationalsozialismus im und aus dem Gailtal“.

Der Verein Erinnern Gailtal präsentiert sein neues Buch „Ausgelöschte Namen. Die Opfer des Nationalsozialismus im und aus dem Gailtal“.

Der Verein Erinnern Gailtal und sein Obmann Bernhard Gitschtaler bekamen 2014 mediale Aufmerksamkeit durch einen Prozess, den sie gegen die FPÖ führten. 2015 ist der Anlass dafür erfreulicher: Bernhard Gitschtaler gibt sein zweites Buch heraus. „Ausgelöschte Namen. Die Opfer des Nationalsozialismus im und aus dem Gailtal“, welches sich 200 Biographien von Opfern aus dem Tal im Südosten Kärntens widmet.

In den vielschichtig aufgearbeiteten Geschichten der Opfer werden die Kontinuitäten der Diskriminierung vor und nach der NS-Zeit deutlich. Die Diskriminierung der Kärntner Slowen_innen im 19. Jahrhundert findet ebenso Eingang in das Buch wie die fehlende Entschädigung von Jüd_innen nach 1945. Damit werden die Ereignisse während des Nationalsozialismus politisch und historisch kontextualisiert. Diese Kontextualisierung „soll es ermöglichen, die jeweiligen Biographien und Leidensgeschichten besser zu verstehen“ und damit, so Gitschtaler, „auch Menschen, die sich mit der Thematik noch nicht befasst haben, einen Zugang ermöglichen“. Das ist ihm und seinen Autor_innen definitiv gelungen und so richtet sich das Buch an ein breites Publikum und nicht nur an Historiker_innen und eingearbeitete Antifaschist_innen.

Aber auch für diese hat der Band einiges zu bieten, ist er doch der erste, der aller NS-Opfer aus dem Gailtal erinnert.Die Biographien werden in thematische Gruppen zusammengefasst, denen jeweils ein Kapitel vorangestellt ist, in dem die nationalsozialistische Verfolgung der Opfergruppe – sowohl allgemein im gesamten NS-Staat als auch konkret im Gailtal – beschrieben wird.

Der Band beginnt mit der Recherche zur SS-Aktion „Arbeitsscheu Reich“ gegen sogenannte Asoziale, eine Opfergruppe, die erst langsam und viel zu spät im Erinnerungsdiskurs ihren Platz findet. Es folgt ein ausführlicher Beitrag von Wolfgang Haider über die Opfer der NS-„Euthanasie“. Gerade bei dieser Gruppe, schreibt Haider, sei es lange üblich gewesen, nur die Vornamen der Opfer zu nennen und sie damit aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen. Durch die Opferbiographien wird klar, wie viele Personen sich ihrer Behandlung widersetzten – dadurch wird mit dem Stereotyp des passiven Opfers gebrochen. Im Buch werden erstmals alle NS- „Euthanasie“-Opfer aus dem Gailtal genannt. Viel recherchiert wurde hier auch zu den Täter_innen: Der Abschnitt bearbeitet die Rolle der Ärzt_innen und Pfleger_innen und gibt einen tiefen Einblick in deren Mordpraktiken, Ideologie und Autoritätshörigkeit.

Rom_nija und Sint_ezze, Homosexuelle, Jüd_innen, Kärntner Slowen_innen, Geistliche, Zeugen Jehovas, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter_innen, Widerständige, Deserteure, politisch Andersdenkende und Kritiker_innen des NS-Regimes erfahren in „Ausgelöschte Namen“ eine würdige Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus. Die Geschichte dieser Opfergruppen, die in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlichen ideologischen Vorzeichen verfolgt und ermordet wurden, wird ausführlich erklärt und konkret auf die Region bezogen.

Über die ausgelöschten Namen hinaus wird im Buch die Geschichte des Gailtals während des Nationalsozialismus erzählt. Die Leser_innen erfahren vor allem viel über die Partisan_innen im Tal – ein Thema, das in Kärnten wie auch im restlichen Österreich lange totgeschwiegen wurde und sehr umkämpft ist. Im unteren Gailtal formierte sich 1943 die Gruppe der Schütt-Partisan_innen, die heute noch ein großes Tabu darstellt.

Einziges Manko des Buches stellt das Kapitel über Homosexuelle im NS dar, das vorgibt, sich mit der Geschichte homosexueller Männer und Frauen zu beschäftigen, de facto zweitere aber außen vor lässt. Das zeigt sich schon im Titel „Der Rosa Winkel – Homosexuelle als NS-Opfer“. Frauen trugen keine rosa Winkel. Lesben wurden nicht systematisch verfolgt, aber dennoch oft als sogenannte Asoziale in KZs gebracht und mit einem schwarzen Winkel versehen. Diese Tatsache wird im Buch leider nicht erwähnt.

Der Androzentrismus spiegelt sich auch in der Sprache des Buches wider. Es kann darüber diskutiert werden, ob der deutschsprachige Buchmarkt es verunmöglicht zu gendern. Wenn sich die Autor_innen aber dazu entschließen, ausschließlich die männliche Form zu verwenden, dann sollten sie auch im Kapitel zur NS-„Euthanasie“ konsequent bleiben und Pflegerinnen bei den Pflegern „mitmeinen“ und nicht durchgehend die sexistische Bezeichnung „Schwestern“ unnötigerweise hinzufügen.

Bei der Lektüre wird immer wieder deutlich, wie sehr im Gailtal versucht wurde und wird, die NS-Opfer aus dem kollektiven Gedächtnis der Region zu löschen. Dem versucht das Buch etwas entgegenzusetzen. Dabei legen die Autor_innen ihren Forschungsprozess offen dar und erzählen davon, dass es ihnen wichtig war, die persönlichen Erfahrungen der Opfer miteinzubeziehen, dass ihnen des Öfteren Steine in den Weg gelegt wurden und dass sich die Recherche manchmal schwierig gestaltete.

„Erinnern heißt auch handeln“, heißt es im Vorwort zu „Ausgelöschte Namen“, und der Herausgeber erklärt, dass Erinnerungsarbeit nur dann erfolgreich sein könne, wenn sie eine Sensibilisierung für die Ausgrenzungsmechanismen der heutigen Zeit schaffe. Diese aufklärerische Herangehensweise zeichnet das Buch ebenso aus wie die sehr aufwendige und genaue Recherchearbeit.

 

Katharina Gruber hat Politikwissenschaft in Wien studiert und ist in der politischen Bildungsarbeit und im Journalismus und in der Sozialarbeit tätig.

AutorInnen: Katharina Gruber