Sexismus

Der Wunsch nach Sex als Scheidungsgrund

  • 21.06.2016, 22:03
Frauen vor den Gerichten der Frühen Neuzeit.

Frauen vor den Gerichten der Frühen Neuzeit.

„Let’s talk about sex, baby“: Der Wunsch nach erfüllter Sexualität ist nicht nur ein Phänomen des 21. Jahrhunderts, auch in der Neuzeit drehte sich so einiges um das Erfüllen der sexuellen Bedürfnisse – auch bei Frauen, wie uns Fallbeispiele zeigen.

FRAUENBILD. Wenn wir an Frauen im Mittelalter oder in der Neuzeit denken, haben wir sofort das Bild der frommen, dem Mann unterworfenen Frau vor Augen, deren primäre Aufgabe die Zeugung von Nachwuchs war. Ohne Zweifel war das 16. Jahrhundert von Emanzipation weit entfernt, so passiv und rechtlos, wie wir denken, waren Frauen aber nicht. Besonders wohlhabende Frauen konnten ihren sozialen Status ausnutzen, um sich mehr Macht und Vorteile in der Ehe zu verschaffen. Aber auch weniger wohlhabende klagten ihre Rechte vor dem Konzistorium ein, auch ihr Recht auf Sexualität.

Durch die Revolution von Martin Luther veränderte sich, die katholische Kirche grundlegend, besonders aber auch die Sichtweise auf Sexualität. Laut der Historikerin Claudia Jarzebowski („Sexualität“ in der Enzyklopädie der Neuzeit) war für Luther Sexualität Teil der menschlichen Natur und konnte nicht unterdrückt werden, womit man auch das Nichteinhalten des Zölibats protestantischer Geistlicher rechtfertigt konnte. Man sprach beiden Geschlechtern, auch der Frau, ein Recht auf Sexualität zu, wobei die Frau als ein ihren Trieben ausgesetztes Wesen gesehen wurde, deren Anziehung Männer oft zum Opfer fielen.

MEDIZIN UND HYGIENE. Einen anderen Blickwinkel auf Sexualität in der Neuzeit liefern Mediziner im Zuge des Hygienediskurses ab dem 18. Jahrhundert. Diese beschäftigten sich nicht nur mit Geschlechtskrankheiten, sondern unterschieden auch zwischen gesunder und ungesunder Sexualität. Was war also laut Medizinern des 18. Jahrhunderts ungesunder Geschlechtsverkehr? Laut Philip Sarasin (Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers. 1765–1914) waren all jene sexuellen Handlungen, die außerhalb einer Ehe stattfanden, exzessiv oder dienten der Selbstbefriedigung. Die schier unersättliche Lust der Frauen solle laut den Hygienikern also gedämpft werden durch regelmäßigen Sex in der Ehe. Den Orgasmus der Frau sah man jedoch nicht als Voraussetzung für eine gelungene Zeugung von Nachkommen.

Betrachten wir also die protestantische Reformation als Meilenstein im Hinblick auf die Wahrnehmung auch weiblicher Sexualität, so bleibt trotzdem eine Sache essenziell: Der einzige Ort, an dem man Sex für legitim hielt, war die Ehe, sowohl was das kirchliche Credo betraf, als auch jenes der Hygieniker. Die Verweigerung der ehelichen Pflichten, zu denen Geschlechtsverkehr ganz zentral zählte, wurde bei Männern mit körperlichen Problemen in Verbindung gebracht, während man bei Frauen eher dazu geneigt war, die Ursache im Nichtfunktionieren der Ehe selbst zu suchen. Sexualität und vor allem das Nichtgewähren von Geschlechtsverkehr seitens des Ehepartners / der Ehepartnerin wurde daher oft zum Gegenstand von Gerichtsurteilen. Laut Alexandra Lutz wurden sowohl die Untreue des Ehepartners / der Ehepartnerin als auch die nichtvollzogene Ehe eingeklagt.

Nicht selten waren es auch Frauen, die vor dem Kirchengericht ihren Wunsch nach sexueller Befriedigung einklagten, wie auch im, von Alexandra Lutz (Ehepaare vor Gericht) präsentierten Fall von Maria Gosau 1715. Diese beklagt dass „sie auch Fleisch und Blut an sich habe, und so viele Jahre ohne Mann nicht leben könne“, weshalb sie, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, das Gericht bat, erneut heiraten zu dürfen, ohne jeglichen Erfolg.

NEBENKLAGE. In einem anderen Fall, gefunden im Diözesanarchiv Wien, zwischen Stuhlpfarrer Rosalia und ihrem Mann Peter 1779 bringt die Ehefrau vor, ihr Mann erfülle schon seit 2 Jahren seine ehelichen Pflichten nicht mehr. Außerdem würde er sie wie eine Dienstmagd behandeln und habe sie aus dem Haus geworfen. Deutlich wird durch Fälle wie diesen auch, dass das Einklagen von Sexualität nie als Hauptklagegrund verwendet wird, sondern in den meisten Fällen als eine Art Nebenklagepunkt. Spannend ist auch, dass dieser Grund nahezu nie für eine Scheidung reicht, vermutlich weil die sexuelle Befriedigung der Frau weniger bedeutend war als das Fortführen einer, wenn auch nicht glücklichen, Ehe.

Zusammenfassend kann man also festhalten, dass die Frauen auch in der Neuzeit theoretisch ein Recht auf ihre Sexualität hatten, das ihnen von verschiedenen Instanzen aus unterschiedlichen Gründen zugeschrieben wurde. In der Praxis wurde die Klage nach sexueller Befriedigung seitens der Frau nie als Hauptklagepunkt in derartigen Eheverfahren verwendet. Das Fehlen eines erfüllten Sexuallebens war nie Grund genug, dass ein Ehepaar hätte geschieden werden können.

Julia Roschitz studiert Italienisch und Geschichte an der Universität Wien.

Zwei antidemokratische Ideologien

  • 10.03.2016, 15:18
Antisemitismus und Sexismus tragen dazu bei, dass die Welt so schlecht bleibt wie sie ist. Und das nicht nur für Frauen, Jüdinnen und Juden.

Antisemitismus und Sexismus tragen dazu bei, dass die Welt so schlecht bleibt wie sie ist. Und das nicht nur für Frauen, Jüdinnen und Juden. In ihrem Buch „Antisemitismus und Sexismus“ analysiert Karin Stögner die „vielschichtigen vermittelten Konstellationen“ der beiden Ideologien und geht ihren gesellschaftlichen Grundlagen und Funktionen nach.

Ihr ist dabei zweierlei selbstverständlich: Erstens ist nicht ein „Wesen“ von Frauen oder Juden und Jüdinnen, sondern die Welt der SexistInnen und AntisemitInnen Gegenstand des Buches. Zweitens geht es nicht darum, die Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung von Frauen gegen die von Juden und Jüdinnen aufzuwiegen oder gar in Konkurrenz zu setzen. Solch ein Vergleich wäre nicht nur falsch, sondern würde, zumal nach der Shoah, den Vernichtungswillen im Antisemitismus relativieren.

Karin Stögner hingegen analysiert kenntnis- und quellenreich das Verhältnis beider Ideologien zur Gesellschaft und zueinander. Sie stützt sich auf die ältere Kritische Theorie und die Psychoanalyse, verengt die Zusammenhänge dabei aber in keine Richtung und bezieht Historisches und seine Wandlungen ebenso wie Fragen der Repräsentation ein. „Wo Natur bloß zur bearbeiteten Materie herabgedrückt wird, bedeutet mit ihr identifiziert zu werden ein Verdikt.“ Das ist es, was Juden und Jüdinnen sowie Frauen in einer Gesellschaft, die krampfhaft auf Naturbeherrschung aufbaut, auf unterschiedliche und widersprüchliche Weise widerfährt. Sie waren und sind die Projektionsflächen, die das abbekommen, was das Individuum, um Subjekt zu sein, verdrängen muss, um dem „identischen und zweckgerichteten männlichen Selbst zu entsprechen.“

Bemerkenswert ist an Stögners Buch, wie vielschichtig sie die Ideologien seziert und wie diese Kritik Hand in Hand geht mit der Analyse von Interviews mit jüdischen Frauen in Österreich im letzten Kapitel. So taugt das Buch nicht nur zur Erhellung von Antisemitismus und Sexismus, sondern auch zur Einführung in die gelungene materialistische Gesellschaftskritik. Die Lektüre dieses umfangreichen wissenschaftlichen Werks ist außerdem sprachlich eine Freude.

Nikolai Schreiter studiert Politikwissenschaft in Wien und Jerusalem.

„Er macht blabla, sie macht haha“

  • 25.03.2015, 18:58

Frauen im Kabarett: Schön sein, lachen, kurze Kleider tragen. Ein Interview mit der Kabarettistin Nadja Maleh über eine Rollenverteilung im Umbruch.

Frauen im Kabarett: Schön sein, lachen, kurze Kleider tragen. Ein Interview mit der Kabarettistin Nadja Maleh über eine Rollenverteilung im Umbruch.

Im Jahr 2007 feierte die österreichische Kabarettistin und Schauspielerin Nadja Maleh mit ihrem ersten Soloprogramm „Flugangsthasen“ in Wien Premiere. Drei Jahre später wurde der gebürtigen Wienerin der Österreichische Kabarettpreis verliehen. Heuer steht sie mit ihrem vierten Programm „Placebo“ abermals auf der Bühne. progress hat mit der Künstlerin über Sexismus, Humor und ihr neues Programm gesprochen.

progress: Warum gibt es im Kabarett deutlich weniger Frauen als Männer?
Nadja Maleh: Das Ungleichgewicht ist meiner Meinung nach eine Folge unserer klassischen Rollenaufteilung. Die ist zwar heute im Wandel, aber alte Muster sind dennoch stark. Im Kabarett lässt sich das so skizzieren: Er sagt etwas Lustiges, sie lacht. Er ist aktiv, sie ist passiv. Er macht „blabla“, sie macht „haha“. Schon junge Mädchen wurden und werden noch immer dazu erzogen zu harmonisieren, anstatt zu polarisieren. Letzteres blieb seit jeher den Männern überlassen. Aber im Kabarett geht es darum Tabus zu brechen, laut zu sein und auch den Mut zu haben Hässlichkeit zu zeigen. Das fällt einerseits manchmal Frauen schwer und andererseits haben manche Männer ein Problem mit Frauen, die die scheinbar natürlichen Verhältnisse in Unordnung bringen wollen. Natürlich kann es als Frau oft auch sehr ermüdend und anstrengend sein, andauernd gegen tradierte Altherren-Vorurteile anzukämpfen. Kein Wunder also, dass nicht so viele Ladies Lust darauf haben. Aber glücklicherweise werden wir Kabarettistinnen immer mehr.

Sehr hartnäckig hält sich das Stereotyp, dass Frauen weniger Humor als Männer hätten.
Das stimmt natürlich nicht. Frauen und Männer haben ohne Frage gleich viel Humor. Auch wenn es da und dort gewiss weniger humorvolle Exemplare gibt.

Woher kommt dann diese Vorstellung?
Humor war in der westlichen Welt nie ein typisch weiblicher Wert, über den sich eine Frau zu definieren hatte. Daher kommen auch solche Behauptungen, dass Frauen weniger Humor hätten als Männer. Schönheit, Sanftheit und Mitgefühl sind hingegen Eigenschaften, die oft Frauen zugeschrieben werden und somit auch jene Charakteristika, mit denen sich Frauen wiederum selbst definieren. Humor ist aber nicht immer gleich Humor. Da gibt es sehr wohl Unterschiede, die wir auch in Bezug auf Mann und Frau attestieren können: Zum Beispiel haben Untersuchungen gezeigt, dass Frauen eher dazu tendieren über sich selbst zu lachen. Männer hingegen machen vermehrt Witze über andere.

Gibt es Sexismus im Kabarett?
Sexismus hat immer etwas mit Ungleichheit und mit dem sozialen Status zu tun. Das Kabarett soll als Spiegel unserer Gesellschaft verstanden werden. Und in der herrscht eben genau diese Ungleichheit. Wenn wir darüber lachen, ist das sicherlich zugleich auch eine Form der unbeschwerten Reflexion darüber. Über die sogenannten „Schwächeren“ zu lachen, war eben immer schon ein Leichtes.

Wurden Sie schon einmal in ihrem Arbeitsbereich sexistisch behandelt?
Ja, da gab es zum Beispiel einmal einen Veranstalter, der von einer Agentur Kabarett-Vorschläge einholte. Als ich ihm vorgeschlagen wurde, war seine Antwort: „A Frau!? Naaa, wir wollen was Lustiges!“

Sind also sexistische Witze vor allem bei männlichen Kollegen beliebt?
Wenn ich jetzt so überlege, dann muss ich ehrlich sagen, dass mir kaum ein Kollege einfällt, der sich in erster Linie sexistischer Witze und Nummern bedient. Und wenn doch einmal, dann kommt das meistens nur bei einem bestimmten Publikum gut an.

Womit wir bei den Zuschauer_innen wären. Wer lacht überhaupt? Über wen wird gelacht? Und gibt es Grenzen des Humors?
Beim Kabarett soll jeder und jede das Recht haben, lachen zu dürfen. Es soll im Gegenzug aber auch über jeden und jede gelacht werden können. Natürlich gibt es Grenzen. Aber diese Grenzen hat jeder Kabarettist und jede Kabarettistin für sich selbst zu wählen. Ein Mindestmaß an Respekt sollte meiner Meinung nach auch im Kabarett niemals fehlen. Wir leben in einer Gesellschaft in der Gedankenfreiheit, Witzefreiheit und darstellerische Freiheit existieren und propagiert werden. Wo die individuelle Barriere erreicht ist, muss der Künstler oder die Künstlerin innerhalb seines und ihres ganz persönlichen ethischen und künstlerischen Rahmens herausfinden.

Wie definieren Sie diesen Respekt und welche Art von Humor grenzt aus?
Es gibt Humor, der zerstörerisch ist, menschenfeindlich oder sogar dumm. Das ist eine Form, die für mich ausgrenzend ist. Auch Humor auf Kosten von jemandes Unzulänglichkeiten, für die er oder sie nichts kann, zählt für mich dazu.

Im Februar fand die Premiere ihres neuen Programms „Placebo“ statt. Wie wichtig sind Klischees? Bedienen Sie sich selbst frauenfeindlicher Witze?
Wir alle erkennen uns und das Leben in Klischees. Sie sind wie der kleinste gemeinsame Nenner unserer Gesellschaft. Im Kabarett wird natürlich immer mit Klischees gespielt. Das ist ein Muss. Im besten Fall aber werden sie neu beleuchtet und erweitert. Für mich tritt Kabarett Frauen und Männern und allen übrigen Klischees gleich fest auf die Zehen.

 

 

Anne Schinko studiert Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien.

Not your Manic Pixie Dream Girl

  • 20.08.2014, 09:46

Was auf den ersten Blick nach einer starken Frauenfigur aussieht, entpuppt sich schnell als sexistische Fantasie männlicher Filmemacher. Seit Jahren füllen Manic Pixie Dream Girls ganze Kinosäle.

Was auf den ersten Blick nach einer starken Frauenfigur aussieht, entpuppt sich schnell als sexistische Fantasie männlicher Filmemacher. Seit Jahren füllen Manic Pixie Dream Girls ganze Kinosäle.

Kaum ein Indie-Film mit männlichem Protagonisten und romantischen Plot-Lines kommt ohne diese Trope aus. Sei es Natalie Portman in „Garden State“ oder Zooey Deschanel in so gut wie jeder ihrer Rollen: Dem Manic Pixie Dream Girl zu entkommen, wird zur Herausforderung.

Indie-Chicks wie aus dem Bilderbuch. Der Begriff „Manic Pixie Dream Girl“ (MPDG) stammt vom US-amerikanischen Journalisten Nathan Rabin und kam zum ersten Mal 2007 in seiner Rezension von Cameron Crowes Indie-Klassiker „Elizabethtown“ vor. Das MPDG hat im Film die Funktion, dem verbitterten, desillusionierten Protagonisten die schönen Seiten des Lebens zu zeigen. Sie weckt in ihm den Hunger auf Abenteuer, Sorglosigkeit und gleichzeitig hilft sie ihm bei der Suche nach einem Lebenssinn. Stets tritt sie als attraktive, frappante, künstlerisch angehauchte Twenty-Something mit einem Hang zur Impulsivität und Verträumtheit auf. Ihre Garderobe ist Vintage, ihre Haare trägt sie in unkonventionellen Farben oder mit schickem Pony, ihr Musikgeschmack ist etwas off-beat – so außergewöhnlich, wie The Shins oder The Smiths eben sein können. Im Prinzip verkörpert sie das Gegenteil von Spießigkeit, gerne spielt sie mitten im mit Familien gefüllten Park das „Penis-Spiel“ oder „Mutter-Vater-Kind“ bei Ikea. Selbst labelt sie sich häufig als Feministin.

Sie kann sehr vieles sein, was sie aber definitiv nicht ist, ist ein mehrdimensionaler, durchdachter Charakter, dessen Funktion über den Bruch der Alltagsmonotonie des Protagonisten hinausgeht. Außerdem wird die Figur in der Regel von weißen Schauspielerinnen gespielt, was die stereotype Verknüpfung von Hipness mit Weißsein reproduziert. Während tätowierte, flamboyante Weiße als edgy und alternativ gelesen werden, werden People of Colour in selbiger Montur als „ghetto“ beschimpft.

Wrong on so many levels. Dabei wirkt das MPDG zunächst einmal autonom, selbstbestimmt und stark – sie verkörpert damit all jene Eigenschaften, die Frauen in Hollywoodstreifen oft abgesprochen werden. Doch das Einzige, was sie tatsächlich tut, ist Männern die Augen zu öffnen. Von ihren eigenen Erfolgen, Zielen oder ihrem Hintergrund erfahren wir wenig bis nichts. Stattdessen wird sie zum „Missing Piece“ idealisiert, ihre Makel und Macken werden romantisiert und eventuelle Hinweise auf Mental Health Issues werden banalisiert. Die unkritische Rezeption macht es schwer, die Problematik offenzulegen.

In Michel Gondrys „Eternal Sunshine Of The Spotless Mind“ geht es hoch auf die Meta-Ebene. Auch hier gibt es ein MPDG. Clementine, die von Kate Winslet gespielt wird, passt in die typische Schablone der Trope, klärt den Protagonisten aber auch darüber auf, dass sie keine Lust hat, Typen aus ihrer Trübsal zu retten. Sie sagt im Film: „Too many guys think I'm a concept, or I complete them, or I'm gonna make them alive. But I'm just a fucked-up girl who's lookin' for my own peace of mind; don't assign me yours.“

Dass die Figur des MPDG eine Illusion ist, wird selten verstanden. So überträgt sich die Sehnsucht nach einer solchen Person von der Leinwand ins Leben. Die einen versuchen, in das Muster der MPDGs zu passen und sie zu imitieren, die anderen suchen nach ihrem MPDG – oder vielmehr ihrer Manic Pixie Dream Person.

Anspruch und Realität. Die britische Journalistin Laurie Penny schreibt in ihrer Kolumne „I was a Manic Pixie Dream Girl“ für New Statesman darüber, auf eine sexuelle Fantasie reduziert und wie eine seltene Pokémon-Karte gejagt zu werden. In der Vergangenheit passte sie selbst in das Klischee des MPDG. Es war keine Ausnahme, dass sie im Supermarkt oder auf Partys von wildfremden Typen angesprochen wurde. Spannenderweise verloren diese das Interesse, sobald sich herausstellte, dass sie eine erfolgreiche Autorin mit Ambitionen ist und kein planloses Mädchen, das gerne Joy Division-Lieder auf der Gitarre covert. Es ist nichts Schlimmes daran, eine solche Person zu sein. Aber Laurie Pennys Erfahrungen machen sexistische Ansprüche sichtbar: Solange der Typ erfolgreicher als sein MPDG ist, läuft alles nach seinen Vorstellungen. Sie bleibt ein hübsches Anhängsel, ein Prestige-Objekt zur Vervollständigung seines artsy Lifestyles. Könnte sie mit ihrer Karriere die seinige überschatten, ist sie allerdings instantly dismissed.

Diese Verhaltensmuster zeigten sich jahrelang in den Romanzen der Autorin, sodass sie es in Erwägung zog, ihren Intellekt und ihren Erfolg vor Typen nicht vollständig zu enthüllen, aus Angst, ihr würden ihre Weiblichkeit und ihre Attraktivität abgesprochen. Die Technik, „sich dumm zu stellen“, ist nichts Neues. Genau jene, die ein MPDG suchen, verachten sie gerne. Emanzipation schreiben sie sich dick auf die Fahnen, in der Praxis taucht sie nicht auf. Von Selbstreflexion keine Spur.

Durch die Reproduktion dieses Klischees verfestigt sich das Bild, Frauen seien stets zweitrangig und niemals mehr als eine Vervollständigung von Männern. Wie die Autorin Chimamanda Ngozi Adichies das in jenem Zitat formuliert, das auch Beyoncé aufgegriffen hat: „We say to girls: ‚You can have ambition, but not too much. You should aim to be successful, but not too successful. Otherwise, you will threaten the man.“

Kekse für den Typen, Knäckebrot für das Girl. Außerdem ist die Fantasie vom MPDG sehr heterosexuell geprägt. Obwohl einige MPDGs in der Vergangenheit auch lesbische Beziehungen geführt haben – sei es die College-Flamme Charlie von Zooey Deschanel in „(500) Days of Summer“ oder Ramona Flowers Exfreundin Roxie, die eine der sieben bösen Exe in „Scott Pilgrim vs. The World“ ist – werden diese nur als Phasen abgestempelt, der Begriff der Bisexualität fällt nie. Vielmehr sind diese „Eskapaden“ Ausdruck der Abenteuerlichkeit des MPDG und regen die männliche Fantasie weiter an.

Ein MPDG erscheint oft in Begleitung eines Nice Guys, eines leicht nerdigen Typen, der ein Frauenversteher™ ist und im Gegensatz zu Bad Boys stets in der Dauerschleife von Friendzones hängt – einfach, weil er zu „nett“ ist. „(500) Days of Summer“ ist ein Paradebeispiel dafür. Summer ist an keiner festen Beziehung interessiert und lässt trotzdem ein sexuelles Verhältnis zu. Für den Protagonisten ist das unlogisch, scheinbar kennt er nur die Dichotomie zwischen platonischer und romantischer_sexueller Beziehung. Als Summer letztlich einen anderen Mann heiratet, wird sie automatisch als kaltherzige „Bitch“ abgestempelt. Das typische Nice Guy-Denkmuster, in dem alle, die nicht an ihm interessiert sind, „Schlampen“ sind. Ihm wird von vielen Seiten applaudiert, das MPDG geht hingegen, dank tief verankerter Misogynie, leer aus. Offensichtlich muss noch viel getan werden, bis alle verstehen, dass Frauen nicht dafür da sind, die Schlüppis irgendwelcher Nerds nasswerden zu lassen.

Hengameh Yaghoobifarah studiert Medienkulturwissenschaft an der Universität Freiburg.

Raus aus der Indie-Blase

  • 29.06.2014, 19:38

Böser Hip Hop vs. idealisierter Indie-Rock: Solche Dichotomien bieten die Bühne für internalisierte Kackscheisze. Das Verlernen dieser Vorurteile ist mühsam und dauert – ein Erfahrungsbericht.

Böser Hip Hop vs. idealisierter Indie-Rock: Solche Dichotomien bieten die Bühne für internalisierte Kackscheisze. Das Verlernen dieser Vorurteile ist mühsam und dauert – ein Erfahrungsbericht.

Mit 15 wusste ich das Übel aller Musikgenres genau zu benennen. Eigentlich waren es mehrere Übel. Unter dem Eindruck von trashigem Billigtechno aus den Handys halbstarker Typen an der Bushaltestelle und dem zu sehr nach Plastik klingenden Versuch David Guettas, House zu produzieren, kam es mir wie eine Beschimpfung vor, diese beiden Genres als Musik zu bezeichnen. Die Zeit und der Berliner Clubkosmos lehrten mich, dass sowohl Techno als auch House tatsächlich sehr magische Genres sind. Und Gitarrenrocktypen, die mir erzählen, dass komplett digital produzierte Musik keine „echte Musik“ sei, denken vermutlich auch, lesbischer Sex sei kein „richtiger Sex“. Just saying.

Problematische Genres? Vorurteile hegte ich allerdings auch gegenüber dem Hip Hop. Deutschsprachiger Hip Hop – mit oder ohne Migrationshintergrund – war explizit gewaltverherrlichend, materialistisch, rassistisch, antisemitisch, heterosexistisch und misogyn besetzt. Die Kollegen aus den USA hinterließen bei mir keinen besseren Eindruck, zumal sie in ihren Musikvideos mit Waffen, Geld, Autos und auf Objekte männlichheterosexuellen Begehrens reduzierten Frauen um sich warfen. Hip Hop war nicht mein Genre. Hip Hop war das Genre des Pöbels. Klassismus-Alarm hoch zwanzig.

Wenn Hip Hop gut war, dann war er in der Regel von weißen Interpreten wie Fettes Brot, Deichkind oder den Beastie Boys. Ein Paradebeispiel erfolgreicher Kulturaneignung: Erst klauen sie People of Color ihr Genre, eigentlich für von Rassismus Unterdrückte als Empowerment erdacht, dann werden sie auch noch als diejenigen vermarktet, die es endlich richtig machen. Genannt werden muss an dieser Stelle auch Casper, der keinen sonderlich nennenswerten Flow zu bieten hat und es textlich nicht über Kalendersprüche und Zitat-Collagen hinausschafft.

Die Annahme, dass ein Genre pauschal problematisch sei, macht all die ohnehin schon marginalisierten Subgenres wie Queer Rap oder Conscious Rap sowie Rapperinnen* unsichtbar. Die Annahme, dass People of Color grundsätzlich nicht in der Lage seien, politisch korrekte Musik zu machen, ist dazu noch rassistisch. Die Entstehungsgeschichte und Subversion des Hip Hops werden durch solche Vorurteile gänzlich ausradiert.

R’n’B warf ich seinerzeit in den gleichen Topf und dachte, er sei Hip Hop mit einem Hauch Kitsch. Auf Partys waren wir Indiekids uns darüber einig, dass Hip-Hop und R’n’B schon allein aus politischen Gründen uncool seien. Dass ich mit 13 eine sehr intensive Hip Hop- und R’n’B-Phase hatte, verschwieg ich und machte dies zu einem weiteren Anlass für pubertären Selbsthass. Dass ich manchmal heimlich die Pussycat Dolls hörte, erzählte ich natürlich auch nicht.

Ignorante Indiekids. Und das war nicht mal der Gipfel meiner Ignoranz als Indiekid. Das Nonplusultra stellte für mich das scheinbar perfekte Genre Indie-Rock dar. Die Videos waren artsy, ironisch und gaben einem_r beim Rezipieren die Illusion des Intellekts. Ich bildete mir ein, dass Indie-Rock ein Safe Space sei. Gar nicht so überraschend platzte auch diese Blase. Konstruierte Dichotomien, wie sie zwischen Indie-Rock und Hip Hop vorherrschen, blockierten jahrelang meinen eignen Spaß. Nach und nach grub ich die Kackscheisze der Indiewelt aus oder wurde Zeugin des Grabens anderer Leute.

Misogyne Texte zum Beispiel gibt es in der Rockmusik eine Menge. Einen kleinen Einblick verschaffen Blogs wie MisogynicLyricsThatArentRap.tumblr.com. Mit dabei sind zum Beispiel Alt-J, Pink Floyd, Interpol, The Kooks und The Offspring. Viele sind Indie-Darlings, darunter auch weibliche. Kate Nash ist zwar als Feministin sehr populär, hat aber auf bisher allen ihrer drei Alben sexistische Songs vorzuweisen. Ihr Problem heißt Girl Hate und ist auch als internalisierte Misogynie bekannt. In „We Get On“ („Made of bricks“, 2007) betreibt sie Slut Shaming und feindet eine Frau an, weil die sich ihren Schwarm schnappt. Von ihrer sonst so angepriesenen Sisterhood bleibt nicht viel übrig.

Mittlerweile habe ich meine Musiksammlung um viele tolle Female Artists unterschiedlicher Genres erweitert. Dazu musste ich in erster Linie feststellen, dass meine alte Musik sehr typendominiert war. Dann bewies ich mir selbst, dass es unglaublich viele Künstlerinnen gibt, die mir entgangen waren. Auch in diesem Punkt könnte ich noch viel weiter graben, soviel ist gewiss.

Immer nur Typenmusik. Auf einer Indie-Party rief ich neulich zum Beispiel nach dem fünften Song über The Killers hinweg einer Freundin zu: „Ey, die spielen ja nur Typenmusik hier!“ Zwischendurch schallten zwar auch weibliche Gesänge durch den Raum – wäre auch ziemlich peinlich für die DJDudes, wenn sie die Größen The Knife oder M.I.A. geleugnet hätten – aber nicht-weiße, nicht-männliche Künstler_innen machten insgesamt nur einen Bruchteil der Playlist aus. Je mehr ich mich mit Problematiken des Indie-Rocks beschäftige, desto mehr frage ich mich, woher ich als Jugendliche Anhaltspunkte nahm, mich als nicht-weiße, dicke Frau in dieser Szene repräsentiert zu fühlen.

All das hätte ich gerne schon mit 15 gewusst. Das tat ich aber nicht, weil Musikzeitschriften nicht gerade die richtigen Vermittler sind. Wie wenig (sichtbaren) Raum für Frauen* es im Rock gab und gibt, ist großteils in Vergessenheit geraten. Schaue ich mir die Popkulturzeitschrift Spex an, so sind in der Regel Typen auf dem Cover – und sind es doch mal Frauen (ohne Sternchen, sic!), dann nur normierte Schönheiten wie eine weiße Lana del Rey. Coole Blätter wie das Missy Magazine gab es damals noch nicht. Damals, damals.

Dem Irrglauben, dass weiße Typen die Pioniere für alles – Musik, Kunst, Literatur, alles eben – waren, folgte ich lange. Und mit der Erkenntnis, dass dies nicht so ist, bin ich, so traurig es ist, immer noch in der Unterzahl. Die Cover-Landschaft der Kulturzeitschriften hat sich nicht geändert. Musik bekommt erst dann den Stempel „gute Musik“, wenn sie viele Typen in der Fangemeinde hat – „Mädchenmusik“ ist nach wie vor ein sehr stark negativ konnotierter Begriff. Und mit dem Begriff Riot Grrrl können immer noch zu wenige etwas anfangen.

 

Hengameh Yaghoobifarah studiert Medienkulturwissenschaft an der Universität Freiburg. Sie bloggt unter teariffic.de und twittert als @sassyheng.
Foto: Serge Melki

Energy & Folklore statt Eros & Amore

  • 08.05.2014, 09:55

Die Erotik-Messe „Eros und Amore“ tingelt alljährlich durch Österreich und Deutschland. Die Veranstaltungs-Website kündigt Niveau, Qualität und die Erfüllung erotischer Träume an. Hehre Versprechungen, die wir einem Realitätscheck unterzogen haben.

Die Erotik-Messe „Eros und Amore“ tingelt alljährlich durch Österreich und Deutschland. Die Veranstaltungs-Website kündigt Niveau, Qualität und die Erfüllung erotischer Träume an. Hehre Versprechungen, die wir einem Realitätscheck unterzogen haben.

Wer sich schon einmal in die Shopping City Süd begeben musste, der/m wird die architektonische Zumutung am Beginn des Einkaufszentrums nicht entgangen sein: die Pyramide Vösendorf. Sonst begegnet man diesem Bauwerk innerhalb der Wiener Stadtgrenze nur beim Anblick etwas schmuddelig wirkender neonfarbener Plakate, die den Gürtel und diverse Autobahnausfahrten säumen. Mindestens zweimal im Jahr bewerben diese in großen Lettern ein Event mit dem schlichten Titel „Erotikmesse“, das eben dort stattfindet. Nach Jahren der plakatförmigen Konfrontation mit dieser Veranstaltung können wir der Versuchung nicht mehr widerstehen. An einem verregneten Sonntag wagen wir uns zu „Eros und Amore“ in die Pyramide. Dort angekommen springen uns als erstes die Käse- und Brezelstände im Eingangsbereich ins Auge. Ihr autochthoner Charme konterkariert das Konzept des Messezentrums, mittels Kunstfelsen und Palmen ein tropisches Ambiente zu schaffen. Vor lauter Käse von Erotik erstmals keine Spur.

National-Pornos und Odenwald-Dildos Die Website der Messe verspricht „Top Qualität durch die speziell ausgewählten internationalen Aussteller, die die gesamte Bandbreite des Erotikmarktes präsentieren“. Nach ein paar Runden ist uns klar, dass sich das nicht bewahrheiten wird. Die meisten Stände bieten das gleiche Repertoire an Sextoys und schlecht verarbeiteten Dessous an. Dazwischen einige Regale mit heimatverbundenen Pornos. Die ProtagonistInnen sind auffallend häufig „potente Lederhosenträger“ und „stramme Dirnen in Tracht“. Die Aussteller mit einem abweichenden Angebot sind überschaubar. Da ist etwa die deplatzierte Holzhütte, in der ein resigniert wirkender Herr handgeschnitzte Holzdildos aus dem Odenwald anbietet. Ein Stand offeriert Absinth, wohl der Annahme folgend, dass diese Veranstaltung nüchtern nicht aushaltbar ist. Auch ein Tätowierer, ein Piercer und ein Hersteller von Massagestühlen sind anzutreffen. Nach dem Probesitzen auf letztgenannten Stühlen, müssen wir feststellen, dass unsere Wirbel sich „Top Qualität“ anders vorstellen.

 

 

Bayern-Pornos, Odenwald-Vibratoren oder ein auf schwarz-rot-goldenem Grund erstrahlendes „Bondage made in Germany“ lassen keine Zweifel an der regionalen Verwurzelung der Veranstaltung aufkommen. Erotik und Pornografie jenseits deutsch-österreichischer Gefilde sind dem Publikum offenbar nicht zumutbar. Ebenso unvorstellbar ist es für die VeranstalterInnen anscheinend, dass „Eros und Amore“ auch ein homosexuelles Publikum ansprechen könnte. Zwar gibt es Artikel zu kaufen, für die Homo- wie Heterosexuelle Verwendung finden können, doch kein einziger Stand oder Programmpunkt richtet sich dezidiert an ein nicht-heterosexuelles Publikum. Dabei sind durchaus einige Paare gleichen Geschlechts unter den MessebesucherInnen.

Es erstaunt, dass die MesseveranstalterInnen diese potentielle Zielgruppe nicht ansprechen. Erscheint es doch in Zeiten des Internets recht unattraktiv, das Produktangebot der Messe in Anspruch zu nehmen. Kaum jemand zückt angesichts der horrenden Preise den Geldbeutel und sogar in der zwanglosen Atmosphäre offen zur Schau gestellter Sexualität scheint niemand sich in der Schmuddelfilmecke sehen lassen zu wollen. Vielleicht liegt das aber auch an dem Pornoverkäufer, der gelangweilt Spaghetti-Bolognese in sich hineinschaufelt, während er lustlos das vorbeiströmende Publikum beäugt.

 

 

Wanderzirkus und Völkerschau Doch das Warenangebot erscheint für den Großteil der Anwesenden ohnehin nur sekundärer Grund für den Messebesuch zu sein. Die Hauptattraktion sind die im Halbstundentakt stattfindenden „neuen erotischen Choreographien in raffinierten Kostümen“, so beschreibt die Website die Performances. Wir müssen rasch feststellen, dass auch hier Dargebotenes und Ankündigungstext wenig miteinander zu tun haben. Die Mehrheit der BesucherInnen verfolgt die Shows aber mit nahezu sakraler Andacht. Moderator Dieter Deutsch (der Name ist Programm) kündigt die Shows an und erinnert dabei an einen etwas obszönen Zirkusdirektor auf Speed. Überhaupt gleicht die ganze Veranstaltung einem Wanderzirkus. Das Publikum wird  routiniert umworben, sichert es doch die gewiss nicht gerade horrenden Gagen der Auftretenden. Gleichzeitig gelingt es kaum einem/einer der DarstellerInnen, die Langeweile, die bei den immer gleichen Darbietungen aufkommen muss, zu verbergen.

 

 

Der Titel des ersten Programmpunkts, den wir verfolgen, ist „Silver Cocks und Edward mit den Scherenhänden“. Eine mit einem mittelalterlichen Kleid aus Vollsynthetik bekleidete Dame betritt die Bühne. Ihr folgt ein muskelbepackter Edward mit selbstgebastelten Scherenhänden aus Alufolie. Die Musik ist laut und gitarrenlastig, die Lichter grell, die Dame schnell entkleidet. In schönster Musical-Manier bewegen beide den Mund zum Gesang. Performance und Kostüme sind offenkundig liebevoll selbst kreiert. Das Publikum honoriert diese Bemühungen mit ehrfürchtigem Staunen. Die für uns schwer verständliche Geschichte scheint eine gewisse Romantik zu transportieren. Auffällig viele Pärchen haben sich vor der Bühne versammelt und schunkeln Arm in Arm. Nachdem der mittlerweile ebenfalls nackte Edward seine Partnerin ein paar Mal durch die Luft gewirbelt hat, ist der Spaß auch schon wieder vorbei. Der nächste Act wird anmoderiert. Mark Miller, so heißt es, werde nun „den Ladies“ etwas bieten. Das Publikum wechselt, bleibt aber überwiegend männlich.

Ganz dem Modell historischer SchaustellerInnen folgend, scheint Miller das Völkerschau-Element des Spektakels erfüllen zu müssen. Als schwarzer Darsteller ist er, mit Kunstafro und Rasseln ausgestattet, ganz auf rassistische Klischees reduziert. Dass sein Strip in einer Fixierung auf den Penis endet, verwundert bei einer solchen Präsentation nicht. Aber Rassismus allein scheint die abgründigen Sehnsüchte der Zuschauenden nicht zu befriedigen. Es bedarf auch noch einer chauvinistischen Pose, um das männliche Publikum bei Stange zu halten. Eine Besucherin wird auf die Bühne gehievt. In der Abschlussszene liegt Millers Penis auf ihrem Kopf. Nach der Performance betritt Dieter Deutsch grinsend die Bühne und vollendet das Ulrich Seidel-Szenario. Während Mark Miller weiter auf der Bühne posiert, wendet sich der Moderator an einen jungen Mann in der ersten Reihe. Er fordert ihn hämisch auf, doch ein paar Nahaufnahmen vom Penis des Strippers zu machen: „So einen schwarzen Rüssel siehst Du sonst nur auf Jamaika.“

Zwischen Hobby und Triebabfuhr Neben der großen Showbühne gibt es noch mehrere kleine Podeste auf denen „traditionell“ gestrippt wird. Hier stechen besonders einige ältere Männer hervor, die sich mit professioneller Kameraausrüstung vor den Bühnen positioniert haben. Verbissen beanspruchen sie ihre Plätze in der ersten Reihe. Ihre Objektive richten sie akribisch auf die sich entkleidenden Frauen. Den routinierten Handbewegungen der Stripperinnen sieht man die Tristesse ihres gleichförmigen Broterwerbs an. Die Hobbyfotografen ähneln mit ihren ernsten Mienen jenen Gestalten, die man auch an Flughäfen und Bahnhöfen antrifft, wo sie an Wochenenden ein- und abfahrende Fahrzeuge ablichten. Von Erotik auch hier keine Spur. Die posierenden Frauen scheinen für sie Sammelkartenmotive zu sein, die rasch ordnungsgemäß archiviert werden müssen. Bei den Einzelshootings beobachten wir dann auch keine ungestümen Annäherungsversuche, sondern bloß zügiges und schüchternes Abfotografieren.

 

 

Betrachtet man dieses Szenario ist es kaum vorstellbar, dass diese Personen auch das Klientel der anwesenden Prostituierten sind. Dass auch derartige Dienstleistungen Teil des Angebots sind, bleibt auf der Website der „EROS & AMORE" gänzlich unerwähnt. Es sei denn, man ist gewillt, dies aus der Formulierung herauszulesen: „Alles wird getan, um die Erotik-Messe zu einem wahren Fest für alle Sinne werden zu lassen.“ Vor dem Zugang zu einem sichtgeschützten Bereich stehen zwei leichtbekleidete Damen. Ihre gelegentlichen „Gangbang“-Rufe verhallen zumeist unerhört in den Weiten der Pyramide. Neben ihnen sitzt ein Herr in einem auffällig blauen Jackett. Würde man seinem Goldschmuck, seinem breiten Grinsen und seiner glänzenden Kopfhaut bei einem Zuhälter aus dem „Tatort“ begegnen, würde man sich über die klischeehafte Darstellung wundern. Geduldig lauschen zwei männliche Muskelberge den Ausführungen von „Video Rudi“. Dieses Gesamtbild verschreckt uns etwas, so dass wir erst bei der nachträglichen Internetrecherche Rudis Imperium bestaunen können. Der ungekrönte König der kommerziellen Wiener Gangbang-Szene veranstaltet regelmäßig „Gruppenfickereien“ zum kleinen Preis, bei denen die Arbeitsbedingungen der Sexarbeiterinnen vermutlich eine genauso große Rolle spielen wie Lust und Erotik.

Bei der Vösendorfer Veranstaltung scheint „Video Rudi“ gut etabliert zu sein. Sein Stand zählt zu den größten auf dem Messeareal und bietet neben einigen Werbezetteln routinierte Sadomaso-Shows. Dass auf den Flyern nicht bloß die „Video Rudi“-nahen Swingerclubs, sondern auch ganz explizit Sexarbeiterinnen beworben werden, ist auf der Messe kein Einzelfall. So stolpern wir auf dem Weg zum Ausgang noch über den Werbestand eines Laufhauses und bekommen zum Abschied Energydrinks in die Hand gedrückt, die mit den Konterfeis der „Engelchen&Teufelchen“ eines „Premium Escorts“ bedruckt sind.

Der versprochene „grenzenlose Basar erotischer Phantasien“ beschränkt sich in Vösendorf auf Menschenverachtung und Billigprodukte. „Prickelnde Überraschungen“ kann einer/m hier allenfalls noch der Inhalt von Getränkedosen verschaffen. Doch traurigerweise ist dies außerhalb der Pyramide kaum anders.

 

 

Theresa Schmidt studiert Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien und erlebt die Verelendung der Erotik lieber in der Literatur als in der Pyramide.

Fridolin Mallmann studiert Psychologie an der Universität Wien und sucht verdrängte Triebregungen lieber in seiner Psychotherapeutenausbildung als an Messeständen.

 

Als wäre ein Professor mehr wert als ich

  • 07.12.2013, 17:52

Sexuelle Belästigung an der Uni hat viele Gesichter. In den meisten Fällen bleibt sie jedoch unbemerkt.

Ein Professor, der seine Studentin auf einen gemeinsamen Kurzurlaub einlädt; ein Lektor, der seine Seminarteilnehmerin plötzlich küssen möchte, und ein Arzt, der sich im OP-Saal über den Beziehungsstatus seiner Studentinnen informiert. Sexuelle Belästigung an der Uni hat viele Gesichter; in den meisten Fällen bleibt sie jedoch unbemerkt.

Er ist eigentlich sehr beliebt“, erzählt Sophie*. Die Studierenden mögen ihn, wegen seiner lockeren Art in den Lehrveranstaltungen, er ist lustig und jung – Mitte 30 – und unterrichtet an der Universität Wien. Nach dem Unterricht lädt er die Kursteilnehmerinnen ein, mit ihm etwas trinken zu gehen, und flirtet mit Studentinnen. „Die meisten finden das nett. Ich fand es komisch, dass ein Lehrender ständig danach fragt, ob man gemeinsam fortgeht“, erinnert sich die 24-Jährige an ein Seminar vor mittlerweile zwei Jahren. Als Studentin fühle man sich doch „irgendwie gezwungen“ mitzugehen.

Im Jahr 2012 veröffentlichte die Ruhr-Universität Bochum eine Studie, die 22.000 Studentinnen von 34 höheren Bildungseinrichtungen in Deutschland, Italien, Polen, Spanien und Großbritannien zu den Themen sexualisierte Gewalt, Belästigung und Stalking befragte. In dem EU-Projekt gaben 61 Prozent der Befragten an, während ihres Studiums mindestens einmal Opfer von sexueller Belästigung geworden zu sein. Rund ein Drittel der Frauen schilderte, dass ihnen nachgepfiffen wurde oder anzügliche Bemerkungen gemacht wurden. Knappe 15 Prozent gaben an, dass ihnen jemand auf unangenehme Weise zu nahe gekommen sei.

MEDIALER TABUBRUCH. Trotzdem ist sexuelle Belästigung ein an den Unis sowie in den Medien kaum besprochenes Thema. Diesbezügliche Aufregung gab es hierzulande 2009, als in einem profil-Artikel mit dem Titel „Altherrenschwitze“ etwa Heinrich Schmidinger, Rektor der Universität Salzburg, beschuldigt wurde, von 20 bis 30 Fällen von sexueller Belästigung gewusst und es unterlassen zu haben, diese zur Anzeige zu bringen. Die lokale Gleichbehandlungsbeauftragte Daniela Werndl vermutete eine hohe Dunkelziffer an Opfern. Schmidingers Kommentar dazu: „Ich fühle mich persönlich sehr schlecht.“ Genaue Angaben sind laut der Vorsitzenden des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen (AKG) an der Uni Salzburg, Siegrid Schmidt, bis heute aus „rechtlichen bzw. Gründen des Datenschutzes nicht möglich“.

Direkt an der Uni ist Sophie nie etwas passiert. Nachdem sie ihre Lehrveranstaltung abgeschlossen hatte, begegnete sie ihrem Lektor zufällig beim Fortgehen im Club – sie erinnert sich, dass er „ziemlich betrunken“ gewesen sei. Miteinander unterhalten haben sie sich nicht. Plötzlich stand er vor ihr und sprach sie mit ihrem Namen an. Er meinte, er würde sie gerne küssen. Sophie hat damals sofort den Club verlassen und hat sogar über den Lektor gelacht. Sie konnte sich gegen die Anmache „wehren“. Trotzdem war sie froh, dass ein Freund neben ihr stand und die Situation mitbekam. „Er war nicht aufdringlich oder aggressiv. Aber es war mir einfach trotzdem sehr unangenehm“, erzählt sie. Seither hat sie es vermieden, bei diesem Lehrenden Seminare zu besuchen. Sie fühlt sich „komisch“ in seiner Gegenwart. Außerdem fürchtet sie sich vor den Konsequenzen ihrer Ablehnung. „Ich hätte Angst, dass er mir die Abfuhr übel genommen hat und sich das dann auf meine Note auswirken könnte“, meint sie.

Zum Zeitpunkt des Vorfalls hatte die Studentin bereits einige Gerüchte über diesen Lehrenden gehört. Er würde mit jüngeren Studentinnen schlafen, sie beim Fortgehen treffen und dann nach Hause begleiten. „Man weiß ja aber nicht was stimmt, von dem, was erzählt wird“, sagt sie. Als Sophie überlegte, sich beim Institut zu beschweren, war es ein Lehrender, der ihr Unterstützung anbot. „Er meinte aber, dass man wenig machen kann, da ich das Seminar bei besagtem Lehrenden zum Zeitpunkt des Vorfalls schon abgeschlossen hatte.“ Dazu kam, dass dieser nicht im Unigebäude oder in Zusammenhang mit dem Unialltag passiert war und Sophie wollte den Vorfall nicht dramatisieren – viele Studienkolleg_innen verteidigten den Lehrenden eher und beschwichtigten, dass das ja alles „auf Gegenseitigkeit basiert“. Sophie ließ von einer Beschwerde ab. „Ich glaube, dass durch seine Jugendlichkeit niemand das trotzdem existierende Machtverhältnis sieht. Es ist nicht dieses klassische Bild von einem alten Professor, der junge Studentinnen angräbt“, sagt sie. „Aber es ist doch schräg, dass ein Lehrender systematisch 20-Jährige anbrät und sich seine Dates über Lehrveranstaltungen checkt.“

Foto: Joanna Pianka

MACHTMISSBRAUCH. Sexuelle Belästigung ist laut Sylwia Bukowska, Leiterin der Abteilung Frauenförderung und Gleichstellung an der Universität Wien, eine komplexe Angelegenheit. Dabei gehe es immer auch um Macht, weshalb das Thema immer noch stark von Tabuisierung betroffen ist. Eine beträchtliche Rolle spielt auch die nach wie vor gesellschaftlich und medial weit verbreitete Degradierung von Frauen zu Sexualobjekten. Von dem Machtgefälle an der Hochschule weiß auch Katharina Hawlik zu berichten. Sie ist studentisches Mitglied im Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen der Medizin-Uni Wien und stellt fest: „Die Krankenhaushierarchie schlägt sich auch im Alltag vieler Medizinstudentinnen nieder.“ Gerade bei Famulaturen oder im Operationssaal bekämen Studentinnen immer wieder sexistische Kommentare zu hören: „Ich habe es schon erlebt, dass männliche Ärzte ihre Studentinnen vor allen Kolleg_innen bezüglich ihres Beziehungsstatus ausfragten.“ Die Medizinische Universität trägt laut Hawlik aber nicht primär die Verantwortung für dieses „Dilemma“. Das Hauptproblem seien eben die „hierarchischen Krankenhaussysteme“. „Da Hochschule und Krankenhäuser eng miteinander verbunden sind, müsste die Universität hier aber mehr Sensibilisierungsarbeit leisten.“ Immer wieder kommt es auch zu unklaren Situationen, wenn Ärzte speziell Studentinnen fördern. „Es entsteht ein Graubereich, wo die Intention nicht mehr klar ist“, sagt Hawlik. Gleichzeitig trauen sich die meisten Studentinnen nicht, über das Problem zu sprechen, und melden sich daher nicht bei den Anlaufstellen. „Sei es aus Angst vor den Konsequenzen oder wegen der Unsicherheit, ob die eigene Wahrnehmung auch richtig ist“, erklärt Hawlik. Gerade bei einmonatigen Famulaturen scheint dabei für die meisten „Durchtauchen die einfachere Lösung zu sein“. Darüber hinaus wissen die Studierenden meist nichts von den Möglichkeiten, sich zu beschweren. Die Universitätsvertretung der ÖH an der Medizin Uni Wien führt daher seit diesem Wintersemester eine Kampagne, um Einrichtungen für Hilfe bei sexueller Belästigung bekannter zu machen.

Grundsätzlich ist an jeder öffentlichen Universität ein Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen eingerichtet. Neben der Mitwirkung und Kontrolle bei Habilitations- und Berufungskommissionen ist der Arbeitskreis auch für Fälle von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zuständig. Eine solche liegt laut Bundes-Gleichbehandlungsgesetz (B-GBlG) vor, wenn Studierende von einer Vertreterin oder einem Vertreter der Universität sexuell belästigt werden oder diese es unterlassen, bei einer ihnen bekannten Belästigung einzuschreiten. Dabei ist die Definition der sexuellen Belästigung sehr offen gehalten und bezieht sich auf „ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten“, das die „Würde einer Person beeinträchtigt“ oder deren Beeinträchtigung „bezweckt“. Zusätzlich muss dieses Verhalten laut Gesetz für die betroffene Person „unerwünscht, unangebracht, entwürdigend, beleidigend oder anstößig“ sein und eine „einschüchternde, feindselige oder demütigende Studienumwelt“ für die betroffene Person schaffen oder dies bezwecken.

UNKLARE DEFINITION. Da die Definition des Begriffs „sexuelle Belästigung“ im B-GBlG schwammig ist, haben die Universitäten Wien, Salzburg und das Mozarteum eigene Leitfäden in Form von Broschüren herausgegeben, um klarere Verhältnisse zu schaffen. In der Broschüre „Grenzen. Erkennen. Benennen. Setzen.“ der Uni Salzburg und des Mozarteums wird zwischen verbaler und non-verbaler Gewalt unterschieden. Nicht nur unerwünschte körperliche Nähe bis hin zur Vergewaltigung wird als sexuelle Belästigung klassifiziert. Auch „Ausziehblicke“, herabwürdigende, sexuell konnotierte Gesten, das Verbreiten von pornographischen Bildern sowie unerwünschte Geschenke, abwertende Namensgebungen, lästige Fragen zum Sexualleben oder unerwünschte Einladungen werden als Formen von sexueller Belästigung angeführt.

Neben ihrer Broschüre versuchen Universität Salzburg und Mozarteum auch verstärkt auf die entsprechende Telefon-Helpline hinzuweisen. Eine Einschätzung der Gesamtsituation findet Schmidt aber noch immer „sehr schwierig“. Vor allem weil die „Bereitschaft der Opfer nicht besonders groß ist, die Beratungs- und Hilfsangebote anzunehmen“. Jedoch liegt dies wohl weniger an der mangelnden Bereitschaft der Betroffenen, das Schweigen zu brechen, sondern vielmehr daran, dass der Umgang der Institutionen mit der Problematik bis heute zu wünschen übriglässt. Sylwia Bukowska geht davon aus, dass Betroffene häufig im persönlichen Umfeld und außerhalb der Universität Hilfe suchen. Bukowska hat an der Uni Wien am Gesamtkonzept für Belästigung und Mobbing in Österreich mitgearbeitet. Eines der wichtigsten Anliegen war dabei von Anfang an die absolute Wahrung der Schweigepflicht und die Möglichkeit auf Anonymität: „Wir versuchen eine Balance zu finden zwischen der Tatsache, dass wir eine universitäre Institution sind, und dem Anspruch, hochwertige Beratung anbieten zu können, die sich auch außerhalb der universitären Strukturen bewegt.“ Nur ihre Kollegin, die die Beratungsgespräche führt, kennt die Namen der Betroffenen.

Foto: Joanna Pianka

PSYCHISCHE BELASTUNG. Veronika* wurde vor einem Jahr von ihrem Professor auf eine Konferenz eingeladen. Als dieser davor noch einen gemeinsamen Kurzurlaub plante, lehnte die 28-Jährige ab. Auf kleine Anspielungen folgten E-Mails und Einladungen zu Dienstreisen und Kongressen. Als sie auch die Einladung zu einer Dienstreise per E-Mail ablehnte, wurde er wütend. Die Zusammenarbeit mit dem Professor wurde für Veronika unmöglich. Seitdem kämpft sie jeden Tag mit Schikanen. Seit zwei Jahren sucht sie Hilfe gegen die sexuellen Belästigungen durch ihren Professor – vergeblich. Veronika versuchte gegen ihren Professor vorzugehen und wandte sich an die Frauenbeauftragte ihrer Universität und an eine Psychologin. Die Erfahrungen damit waren für Veronika durchwegs enttäuschend. Der Fall wurde nicht ernst genommen. Ihr Anwalt meinte, er könne ihr nicht helfen, da ihr Professor sie ja nicht außerhalb ihres Arbeitsplatzes „stalken“ würde.

Erst als Veronikas Professor aufgrund anderer Projekte zu beschäftigt war, ließ er von ihr ab. „Aber ich denke, dass wieder etwas passieren wird“, fürchtet sie. Er werde zwar nie übergriffig, aber es spiele sich alles auf der „mentalen Ebene“ ab. Der Professor setze sie unter Druck und versuche sie „fertig zu machen“. Dass er etwas falsch macht, sieht er nicht ein. Jeden Tag recherchiert Veronika am Institut für ihre Masterarbeit – er arbeitet im Nebenzimmer.

Nicht nur in der Uni sind Studierende sexueller Belästigung ausgesetzt. Zwei Drittel von ihnen müssen neben dem Studium arbeiten, um sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. So auch Frank*. Der 22-Jährige kam diesen Herbst nach Wien. Da er Geld brauchte, fing er in einem Lokal zu arbeiten an. Sein Chef begann bald, ihm persönliche SMS zu schreiben, einmal zwickte er ihn in den Hintern. Für Frank ist dadurch eine schwierige und belastende Situation entstanden: „Ich habe Angst, wenn ich nachts allein mit ihm das Lokal zusperre. Aber ich kann es mir nicht leisten zu kündigen.”

Allein im Dunkeln, womöglich mit dem/der potentiellen Täter_in in der Nähe – das ist auch auf der Uni furchteinflößend. Sexuelle Übergriffe zu bekämpfen heißt unter anderem auch, bauliche und logistische Maßnahmen zu setzen, damit sich Studierende sicher fühlen können. Aus diesem Grund hat die Medizin-Uni Wien zweijährliche Evaluierungen von Gefahrenquellen und Angsträumen in ihren Frauenförderungsplänen verankert. Auf dieser Basis sollen gezielte Konzepte zur Verbesserung der Sicherheit entwickelt werden. Denn dunkle Gänge in den Bibliotheken, am Campus oder in den Universitätsgebäuden sind Angstherde. Da die Universitäten nachts oft weitgehend menschenleer sind, ist es gerade nach Lehrveranstaltungen am Abend schwierig, im Fall eines Übergriffs Hilfe zu finden.

KLARES STATEMENT. Bis das Ziel einer Universität frei von sexueller Belästigung erreicht ist, ist es ein langer Weg, der aus vielen kleinen Schritten besteht. „Ein klares Statement gegen sexuelle Belästigung seitens der Universität ist notwendig, um einen Wandel des Blickwinkels innerhalb der Institution Universität zu erreichen. Deshalb fand dieses Thema explizit Eingang in den Verhaltenskodex der Universität Wien“, so Sylwia Bukowska. Siegrid Schmidt sagt über die Salzburger Uni: „Die Universität ist sehr interessiert daran, dass nichts im Verborgenen bleibt, dass jede Form der sexuellen Belästigung abgestellt wird.“

Für jene, die von sexueller Belästigung betroffen sind, bleibt die Tabuisierung jedoch ein reales Problem. Das weitgehende Fehlen eines Bewusstseins für sexuelle Belästigung an Hochschulen findet Veronika fatal. Für sie wurde mit der Zeit immer deutlicher, dass sie mit einem Problem kämpft, für das sich niemand zuständig fühlt. Auch nicht die Universität. „Mir kommt es vor, also ob die Universität in meinem Professor mehr Wert sehen würde als in mir – ich bin nur eine von tausend Studierenden.“

Namen wurden von der Redaktion geändert. Die Autorinnen Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner studieren Philosophie und Rechtswissenschaften an der Uni Wien.

 

Telefon-Helpline Uni Salzburg und Mozarteum:

Mi, 13–14 Uhr, 066/499 9 59 68 ÖH-Helpline (österreichweit): 01/585 33 33

http://www.oeh.ac.at/#/studierenleben/sozialesundgeld/ helpline/

 

Last Exit Frauenhaus

  • 01.04.2013, 13:52

Vor 35 Jahren wurde in Wien das erste österreichische Frauenhaus eröffnet. Claudia Aurednik hat mit der Leiterin des Vereins Autonome österreichische Frauenhäuser und zwei Frauen über die aktuelle Situation der Frauenhäuser sowie Partnergewalt gesprochen.

Vor 35 Jahren wurde in Wien das erste österreichische Frauenhaus eröffnet. Claudia Aurednik hat mit der Leiterin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser und zwei Frauen über die aktuelle Situation der Frauenhäuser sowie Partnergewalt gesprochen.

„Ich werde die schweren Schwellungen im Gesicht meiner Mutter und ihren Körper voll blauer Flecken wohl niemals vergessen“, erzählt Alice Maier* (42): „Mein Vater konnte mit Enttäuschungen sehr schlecht umgehen und war für seine cholerischen Wutanfälle und seinen Hang zur Gewalt in der Familie gefürchtet. Ein verlorener Gerichtsprozess, ein nicht auffindbarer Akt und manchmal  auch nur eine Kleinigkeit, wie kein Parkplatz für sein Auto, waren für ihn Anlass, die Beherrschung zu verlieren.“ Maier, die heute als  Ärztin in einem Krankenhaus arbeitet, beschreibt ihren Vater als Mann mit Borderline-Persönlichkeitsstörung, der sich in der  Rechtsanwaltskanzlei und in der Öffentlichkeit beherrschen konnte und in der familiären Wohnung seinen Wutanfällen freien Lauf ließ. Am meisten hatte ihre mittlerweile verstorbene Mutter, die von ihrem Mann regelmäßig verprügelt wurde, darunter gelitten.

Maier und ihre jüngere Schwester hatten bereits als Kinder einen Spürsinn für die Launen ihres Vaters entwickelt: „Bereits an Vaters Gang und Blick haben wir erkannt, wann es besser wäre, sich im Kinderzimmer einzuschließen.“ Auch die NachbarInnen in dem großbürgerlichen Altbau hatten die Gewaltexzesse von Maiers Vater mitbekommen. Doch bis auf einige seltsame Blicke im Treppenhaus habe niemand je etwas gesagt: „Es gab so etwas wie einen stillen Konsens darüber, dass nach außen hin das Bild einer  intakten und glücklichen Anwaltsfamilie gewahrt wird. In der großbürgerlichen Schicht spricht man ja über solche Dinge nicht, denn  schließlich kommt Gewalt ja nur in den sogenannten unteren Schichten in Arbeiterfamilien vor.“

BÜRGERTUM. Als Alice Maier 14 Jahre alt war, hatte sie ihre Mutter dazu gedrängt, sich scheiden zu lassen: „Damals hatte ich den Eindruck, dass meine Mutter ernsthaft über eine Scheidung nachdenken würde. Doch bereits nach ein paar Tagen hat sie denGedanken wieder verworfen, weil sie Angst vor einem langwierigen Scheidungsprozess und den beruflichen Netzwerken meines Vaters hatte.“ Maier erzählt mit bitterer Stimme, dass natürlich auch die finanzielle Abhängigkeit und die Sorge, dass ihr Vater das  Sorgerecht für die beiden Mädchen erhalten könnte, eine Rolle spielte. „Meine Eltern hatten sich während ihres Studiums auf einem  Ball kennengelernt. Mutter hatte damals Kunstgeschichte studiert und das Studium nach meiner Geburt abgebrochen. Somit war sie  von Vater ökonomisch abhängig“, ergänzt sie.

Das erste Wiener Frauenhaus wurde 1978 eröffnet. Warum hat Maiers Mutter dort  nicht Zuflucht gesucht? „Meine Mutter hat sich  wohl aufgrund ihres sozialen Status nicht vorstellen können, in ein Frauenhaus zu gehen, weil das für sie auch den sozialen  Ausschluss aus dem Familienkreis und dem Umfeld bedeutet hätte“, merkt Maier an. Nachdenklich ergänzt sie: „Heute betrachte ich  es als einen großen Fehler, dass sie nicht insFrauenhaus gegangen ist und eine Scheidung durchgezogen hat. Denn bis zu ihrem  Tod hat sie unter der Tobsucht und der Gewalt meines Vaters gelitten.“ Seit dem Tod ihrer Mutter vor fünfzehn Jahren hat Maier den Kontakt zu ihrem Vater abgebrochen. Sie resümiert: „Gewalt an Frauen und Kindern kommt in allen Schichten vor. Aber ich  denke, dass die Scham, darüber öffentlich zu reden, in bürgerlichen Kreisen noch viel höher ist, weil Gewalt in der Familie als  verpönt gilt.“

FRAUENHAUS. „Alle Frauen, die Gewalt in der Familie, in der Partnerschaft oder durch nahe Angehörige erfahren, finden Zuflucht in  den Frauenhäusern. Ganz unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, ihrem Alter, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrem sozialen Status“, erklärt Maria Rösslhumer, die seit 1997 Mitarbeiterin und seit 2001 Geschäftsführerin des Vereins Autonome  Österreichische Frauenhäuser (AÖF)  ist. Von 1991 bis 2012 suchten insgesamt 52.863 Frauen und deren Kinder in den österreichischen Frauenhäusern Schutz. Heute gibt es landesweit 30 Frauenhäuser. „Die Bezeichnung autonom stammt aus der zweiten Frauenbewegung und bedeutet parteipolitisch und ideologisch unabhängig, im Sinne der Frauen und deren Kinder arbeiten zu können“, erläutert Rösslhumer, die in den 1990er-Jahren Politikwissenschaft und Frauenforschung an der Universität Wien   studierte und über den Katholizismus zum Feminismus fand. Jedes Frauenhaus ist außerdem auch eine eigene Einrichtung, die von   der jeweiligen Landesregierung finanziell unterstützt wird. „Die Finanzierung der Frauenhäuser ist daher unterschiedlich. Wir sind laufend mit finanziellen und personellen Einsparun gen und Kürzungen oder sogar mit der Schließung von Frauenhäusern seitens  der Politik konfrontiert“, merkt Maria Rösslhumer an. „Aber wir benötigen langfristige und ausreichende Finanzierungen sowie eine gesetzliche Verankerung der Finanzierung der Frauenhäuser, damit nicht jährlich der Kampf um die Existenz dieser gesellschaftspolitisch wichtigen Einrichtungen geführt werden muss.“

Doch obwohl die österreichischen Frauenhäuser mittlerweile anerkannte und nicht mehr wegzudenkende Opferschutzeinrichtungen darstellen, sind sie manchen PolitikerInnen ein Dorn im Auge. Im vergangenen Sommer lehnte die FPÖ in Amstetten eine Subvention für das lokale Frauenhaus ab. Die blaue Stadträtin Brigitte Kashofer warf der Einrichtung vor, maßgeblich an der Zerstörung von  Ehen und Partnerschaften beteiligt zu sein. „Die FPÖ will offensichtlich die Realität der Gewaltproblematik in unserer Gesellschaft nicht wahrnehmen und stellt die Wichtigkeit von Schutz und Sicherheit für Frauen und Kinder infrage“, sagt Rösslhumer. Sie erzählt,dass die Frauenhäuser zu Beginn von allen politischen Parteien und von der Kirche sehr skeptisch und ablehnend betrachtet wurden: „Auch die SPÖ- Politikerin Johanna Dohnal, die sich sehr stark für die Errichtung des ersten Frauenhauses in Wien 1978 eingesetzt hat, musste einen harten Kampf in ihrer eigenen Partei führen.“

Rösslhumer ist neben ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin des Vereins der AÖF auch Leiterin der Frauenhelpline 0800/222 555 und  des europäischen Netzwerks WAVE (Women against Violence Europe). Außerdem ist sie Koordinatorin der Plattform gegen die Gewalt in der Familie. „Die Gewalt an Frauen ist meist Partnergewalt und kann viele Formen annehmen. Sie äußert sich in  psychischer, sexueller, physischer und finanzieller Form und kommt oft in Kombination vor. Sie kann auch tödlich sein, denn die  Mehrheit der orde an Frauen erfolgt im Familienkreis“, berichtet Rösslhumer: „Kinder sind von der Gewalt gegen ihre Mütter immer   mitbetroffen, entweder direkt oder indirekt ZeugInnen.“ Die Frauenhäuser bieten den Frauen und ihren Kindern umfangreiche Hilfe. diese beginnt bei Schutz und Sicherheit und reicht bis zu psychosozialer und juristischer Beratung und medizinischer Hilfe. Auch die Begleitung zu Ämtern, Behörden sowie die Prozessbegleitung und die Hilfe bei der Arbeits- und Wohnungssuche gehören zu den Aufgaben der Frauenhäuser. Aber auch die politische Arbeit ist ein wichtiger Bestandteil der Einrichtungen, betont Rösslhumer: „Die  Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser waren mit dem Verein AÖF maßgeblich an den Gewaltschutzgesetzen beteiligt, die seit mehr als  15 Jahren existieren und den Schutz und die Sicherheit von betroffenen Frauen und Kindern wesentlich verbessert haben.“

ARBEITERiNNENSCHICHT. „Die Zeit im Frauenhaus habe ich positiv in Erinnerung, denn endlich hatten meine Mutter und ich das  Gefühl, an einem sicheren Ort zu sein“, erinnert sich Sigrid Schneider* (25). Schneiders Mutter war mit ihrer damals sechsjährigen Tochter vor ihrem gewalttätigen Ehemann in einer Nacht- und Nebelaktion aus einem Dorf bei Linz ins Frauenhaus geflohen. Die  Entscheidung hatte die Mutter kurzfristig gefällt, nachdem ihr damaliger Mann sie brutal zusammengeschlagen hatte und dazu übergegangen war, auch die gemeinsame Tochter zu  schlagen. Zuvor hatte sie bei einem Kinderarztbesuch im Warteraum einen Artikel über die Frauenhäuser und deren Aufgaben gelesen, der ihr Mut gemacht hatte. „Mein Vater – den ich heute eigentlich nicht mehr als solchen bezeichne – war neun Jahre älter als meine Mutter. Er hat als Stahlarbeiter gearbeitet, war krankhaft eifersüchtig  und regelmäßig betrunken“, erzählt die heutige Kindergartenpädagogin, die nebenberuflich an der Universität Wien Pädagogik  studiert. „Nach meiner Geburt hat er meine Mutter sukzessiv von ihrer Familie und ihrem früheren Freundeskreis isoliert und   psychisch fertiggemacht. Auch das Ausüben ihres gelernten Berufs als Verkäuferin hat er ihr verboten“, erklärt Schneider. Als ihre Mutter mit ihr im Frauenhaus Zuflucht suchte, war sie genauso alt wie Sigrid Schneider heute. „Durch die Betreuung im Frauenhaus konnten meine Mutter und ich die Erlebnisse viel besser verarbeiten. Ich weiß nicht, was sonst passiert wäre und ob wir eine  Trennung von ihm – im wahrsten Sinne des Wortes – überlebt hätten“, sagt sie mit einem leichten Zittern in ihrer Stimme.

Das Frauenhaus hat ihrer Mutter auch bei der Scheidung geholfen und sie dabei unterstützt, ein neues Leben zu beginnen. „Durch  seine Hilfe haben wir eine Übergangswohnung in Wien bekommen und Linz rasch verlassen.“ Der Neustart in Wien war nicht einfach,  weil Schneiders Vater die Zahlungen der Alimente einstellte und ihre Mutter als Verkäuferin finanziell auf sich alleine  gestellt war. Als Schneider zehn Jahre alt war, kam ihr Vater schwerst alkoholisiert bei einem Verkehrsunfall in Oberösterreich ums Leben: „Das mag sich jetzt hart anhören, aber für meine Mutter und mich begann erst nach seinem Tod ein richtig sorgenfreies Leben. Denn selbst in Wien hatten wir Angst, dass er uns finden würde.“ Dass ein selbsternannter „Väterrechtler“ die Adressen der  vier Wiener Frauenhäuser auf einer Website veröffentlicht hat, macht sie wütend: „Ich möchte gar nicht daran denken, was mein  Vater damals in Linz getan hätte, wenn ihm die Adresse des Frauenhauses bekannt gewesen wäre. Aber ich kann mir gut vorstellen,  dass er meine Mutter und mich im besoffenen Zustand physisch attackiert hätte. Im schlimmsten Fall würde ich heute nicht hier  sitzen und von seiner Gewalt erzählen können.“

*Die Namen wurden auf Wunsch der Interviewpartnerinnen geändert und sind der Redaktion bekannt.

Verkehrte Welt

  • 25.02.2013, 17:25

Die meisten männlichen Attitüden nerven gewaltig. Wir drehen den Spieß mal um.

Breitmachmacker
Öffentlicher Verkehr ist ja eigentlich nicht nur aus stadtplanerischer Sicht unterstützenswert, sondern auch ganz praktisch: Ist man kein Bobo Rich Kid und lässt sich per Taxi durch die Gegend kutschieren, kommt man ja auch nicht drum rum. Abhängig von der Tages- oder Nachtzeit kann das aber mühsam werden: Während der Rush Hour begegnen einer im Gang stehende Kasten, die offensichtlich von den Wiener* Linien persönlich angeheuert wurden, um Türsteher zu spielen und die Sitzplätze hinter sich zu bewachen. Hat man’s an denen mal vorbeigeschafft und einen der begehrten Sitzplätze ergattert, trifft man häufig auf den Typ Breitmachmacker, der nicht nur den eigenen Sitzplatz einnimmt, sondern auch noch die Hälfte des benachbarten. Ob die schon im Kindergarten lernen, ihre Füße in eine Gretsch-Position zu bringen, die man sonst eigentlich nur im Turnunterricht beim Bockspringen braucht? Jedenfalls, ihr Macker: Ihr seid alle nicht so groß, wie ihr glaubt. In Zukunft also bitte normal sitzen, unfreiwilliges Kuscheln in Öffis ist keine so gute Idee. Sonst sitzen wir in Zukunft im Sumoringer-Style.

* insert your city.

Put your hands up!

Illustration: Christina Uhl

Wenn ihr glaubt, wir sehen das nicht: falsch gedacht. Die Hoffnung auf einen unbeobachteten Moment in der FußgängerInnenzone, im Club, im Einkaufszentrum oder an anderen dicht-bevölkerten Örtlichkeiten muss leider enttäuscht  erden. Verlieren kann man das Handy oder die Geldtasche, deswegen zur Beruhigung: Ihr müsst euch nicht die ganze Zeit versichern, dass zwischen euren Beinen noch alles hängt (oder liegt). Wir lümmeln ja auch nicht beim Fußballschauen rum und präsentieren euch unsere Kratzkünste im Intimbereich. Außerdem, ganz ehrlich: Wenn’s da wirklich die ganze Zeit juckt oder falsch liegt, solltet ihr es mal mit einer anderen Unterhose oder einer Dusche probieren.

Pissoirs für alle
Illustration: Christina Uhl

Erstmal: Die Fähigkeit, mal so nebenbei im Freien oder sonstwo stehend zu pinkeln, ist euch nicht angeboren, sondern anerzogen. Grundsätzlich ist das ja auch okay, Pissoirs auf Frauenklos sollten sowieso zur Grundausstattung jeder vernünftigen Lokalität zählen. (Für alle, die sich jetzt fragen, wie das geht: Das Werkzeug heißt Urinella und wirkt Wunder. Es gibt Frauen, die können das auch ohne. Ja wirklich. Das mit dem Anstehen hätte sich dann auch endlich erledigt.) Was das Urinieren im Freien angeht, muss trotzdem gesagt werden: Da gibt’s Grenzen der Zwangsbeglückung. Auf Autobahnraststätten zum Beispiel: Keine gute Idee. In der Innenstadt: njet. Hausmauern müssen nicht gegossen werden. Im Stadtpark: Genau – bitte verschont uns. Also, trotz Weitpinkel-Superchamp-Status: Kein Grund, überall Revier zu markieren, das macht nur die Hunde nervös.

Der Weg zum Bier

Illustration: Christina Uhl
Es gibt ja so ganz harte Typen, bei denen der Gedanke, ihr Bier mit einem Flaschenöffner aufzumachen, unter ihrer Würde liegt. Da müssen dann schon mal das Kiefer oder die hoffentlich schon gewachsenen Weisheitszähne herhalten. Oder die sogenannte Augenhöhle, die bei der Öffnungstechnik mindestens so strapaziert wird, wie das Oberkiefer und die Beißerchen. Weil das Ganze nicht wirklich als erstrebenswert, sondern eher als strunzdumm zu bewerten ist, erklären wir hier lieber die Bier-mit-dem-Feuerzeug-Öffnungstechnik. Die ist nämlich wirklich praktisch, und wer möchte schon immer zum nächststehenden Typ rennen, nur um in den Genuss eines Biers zu kommen? Und zwar geht das so: Man umschließe mit einer Hand den Flaschenhals knapp unter dem Verschluss, und zwar so, dass man zwischen Zeigefinger (oder wahlweise Daumen) und Verschluss noch ein Feuerzeug dazwischenkriegt. Dann mit dem  Zeigefinger (oder Daumen) das Feuerzeug gegen den Deckel drücken und das andere Ende des Feuerzeuges Richtung Boden drücken. Wichtig: Fest zudrücken, die Hand darf nicht verrutschen – den Rest erledigt die Hebelwirkung. Prost!

Take that!

Illustration: Christina Uhl

Wer kennt das nicht: Im Uni-Seminar, abends bei einer netten Party oder in der linken Politgruppe der eigenen Wahl – den Besserwissern kommt man nirgends aus. Die existieren zwar beiderlei Geschlechts, die Ausprägung bei den Männern dürfte aber um einiges schwerwiegender sein. Wer genug hat von ewigen Monologen, die ohnehin keinen Sinn ergeben, der seien hier Standardwortklötze empfohlen. Einfach drüberstreuen, und schon wirkt alles tiefsinniger: Ökonomie, vulgär, destruktiv, androzentristisch, progressiv, Proletariat, klassenlose Gesellschaft, Implikation, Diskurs, Bourgoisie. Und wer euch immer noch nicht glauben will, ein super Totschlagargument ist immer: „Politik ist feministisch, oder sie ist nicht links.“ (F. Haug) Nämlich.

Nackte Männer

  • 04.01.2013, 13:11

Das Wiener Leopold-Museum hat unter den Kuratoren Tobias Natter und Elisabeth Leopold eine kontrovers diskutierte Ausstellung initiiert. Noch bis um 28. Jänner werden Skulpturen, Bilder und Installationen nackter Männer gezeigt.

Das Wiener Leopold-Museum hat unter den Kuratoren Tobias Natter und Elisabeth Leopold eine kontrovers diskutierte Ausstellung initiiert. Noch bis zum 28. Jänner werden Skulpturen, Bilder und Installationen nackter Männer gezeigt.

Sogar die deutsche Tagesschau hat dieser Tage aus Wien berichtet. An manchen Straßenecken und Litfaßsäulen der Stadt sieht man die mögliche Ursache dafür. Es sind drei Männer auf einem Plakat. Vielleicht sind sie Fußballer, denn sie tragen Stollen und Schoner in den Farben der französischen Flagge. Die drei unterscheiden sich voneinander durch ihre unterschiedliche Hautfarbe und repräsentieren damit die kulturelle Diversität Frankreichs, so die ursprüngliche Intention der Fotografen Blanchard und Commoy. Der Stein des Anstoßes lag jedoch woanders: Die drei Männer sind nackt. Eine merkwürdige Begebenheit, bedenkt man, dass die Nacktheit letztlich ja den natürlichsten Zustand des Menschen darstellt. Und sprach nicht auch schon Heinrich Heine in seinen Reisebildern: „Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern?“ Und dennoch scheiden sich dieGeister an dieser Ausstellung. Eine ältere Passantin drohte in einem Bericht des Standard sogar damit, die Genitalien der Fotografierten „eigenhändig“ zu überpinseln. Und so sah sich die Museumsleitung letztlich in einem überraschenden Schritt der Selbstzensur dazu genötigt, einige der Plakate mit einem Klebestreifen zu versehen, wohl um den Fußballern, die in diesen kalten Wintertagen die Herzen so mancher ZuseherInnen nicht erwärmen konnten, wenigstens ein wenig Schutz der Intimsphäre zugewähren. Eine seltsame Wendung, denn schließlich haben es nur wenige Ausstellungen der Wiener Kunstmuseen fertig gebracht, innerhalb so kurzer Zeit eine derartige Responsivität in der Öffentlichkeit hervorzurufen.

Spiegelbild. Nun ist Kunst als Reflexionsmittel realgesellschaftlicher Zusammenhänge schon per se widersprüchlich und darin liegt  auch der interessante Ansatz, den das Museum mit dieser Ausstellung verfolgt. Denn die Nacktheit des Mannes, im Gegensatz zu jener der Frau, gehört nicht zu jenen visuellen Eindrücken, mit denen wir medial täglich konfrontiert werden. So sind auch die  Reaktionen der BesucherInnen, sobald sie an dem übergroßen männlichen Akt „Mr. Big“ – eine begehbare Installation vor dem  LeopoldMuseum, vorbeiflanieren, ein Spiegelbild gesellschaftlicher Meinungsbilder. Die Reaktionen reichen von Belustigung bis  Irritation.

Und auch die Werbeplakate haben polarisiert. In einigen Wiener Gemeindebezirken soll es sich zum Volkssport der BürgerInnen  entwickelt haben, die Zensurkleber der Museumsleitung abzureißen oder wieder anzubringen. Je nach Gesinnung. Es ist spannend zu sehen, inwieweit die Ausstellungsmacher dieses gesellschaftliche Ringen in ihr Projekt selbst impliziert haben. Um die Exponate zu erreichen, muss man in das Untergeschoss des LeopoldMuseums hinabsteigen. Die Räume sind abgedunkelt. Es wird Intimität hergestellt. Das Sendungsbewusstsein der Ausstellung ist subtil; nach außen hin herausfordernd, im Inneren spiegelnd. Dabei geht sie auf das Gefühl des Verbotenen  ein, des Voyeuristischen. Und sie zeigt auch die mögliche Verletzlichkeit des sogenannten „starken Geschlechts“, wenn sie ein Exponat der Künstlerin Louise Bourgeois zeigt, eine Latexkonstruktion des männlichen  Geschlechtsteils – an einem Haken hängend.

Dieser Zugang stellt die Fassade einer tradierten männlichen Geschlechterrolle in Frage. Er schockiert. Und er rüttelt dabei auch an den Orten, die dem Männlichen vorbehalten sind, wenn in einem abgesonderten Raum die Aufnahmen einer ungarischen Aktionskünstlerin gezeigt werden, die sich, als Mann verkleidet, in ein Badehaus für Männer begibt. Und immer wieder stellt sich  abei die Frage, warum es so „delikat“ ist, den männlichen Körper nackt zu zeigen, wenn dies beim weiblichen zur Alltagsnormativität gehört. Die Kuratoren stellen die „nackten Männer“ dabei – als Teil des Diskurses dieser Frage – in direkten Zusammenhang mit der  feministischen Forschung und den Gender Studies, ohne deren „Erfahrung und Anregung das Projekt nicht denkbar gewesen wäre“, und sehen ihre Ausstellung als Spiegelbild einer gesellschaftlichen Entwicklung, welche die „vordem scheinbar festgefügten  Kategorien wie ‚Männlichkeit‘, ‚Körper‘ und ‚Nacktheit‘“ auf breiter Basis ins Wanken gebracht hat.

Roter Faden. Diese Perspektive ist erfreulich, wenn es auch merkwürdig erscheint, dass, nur durch einen Vorhang getrennt, hinter einem der Ausstellungsräume ein Durchgang zu einer Auswahl hell-erleuchteter Klimt-Bilder führt, darunter einige nackte Frauen.  Dass selbiger mit Männer-Akten (darunter Selbstporträts) auch in der Ausstellung zu finden ist, zeigt auch eine profanere Seite der Schau. Zwar versuchen die Kuratoren einen roten Faden durch das Projekt zu ziehen, doch wird der für den öffentlichen Diskurs so wichtige Haupteffekt letztlich dadurch erzielt, dass eine große Anzahl an Ausstellungsstücken zusammengezogen wird. Vielen wird  man im Alltag begegnen, so in den verschiedensten Galerien, aus denen Teile des Bestandes entliehen sind. Und letztlich findet sich die männliche Nacktheit auch an Orten, die nicht gerade für ihre Freizügigkeit bekannt sind. Die Rede ist hier von Engelsstatuen in der Kirche.

Viel scheint also vom Kontext abzuhängen, in dem sich Menschen mit Nacktheit oder Körperästhetik befassen. Während die Sexualisierung innerhalb der Medien, hier ist vor allem Werbung zu nennen, zur Normativität gehört, scheinen Schamgrenzen  überschritten zu sein, wenn eine Kunstausstellung mehr oder weniger lebensnahe Gemälde und Exponate ausstellt. Gerade deshalb scheint sie notwendig. Direktor Natter antwortete auf die Frage nach dem „Warum“ dieser Ausstellung: „ … weil sie überfällig ist.“Im  Nachhinein betrachtet mutet die Zensur der Werbeplakate umso seltsamer an. Dabei zeigen die Ausstellungsmacher jedoch einen feinen Hauch von Ironie. Im gleichen Ausstellungsraum, in dem sich auch das Originalbild der drei nackten Fußballer findet, hängt das Plakat einer längst vergangenen Kunstausstellung. Neben der zensierten Version, die aufgrund der vermeintlichen  Anstößigkeit des Originals den Vorzug erhielt.

Der Autor Rudolf Bede studiert Soziologie und Psychologie an der Uni Wien.

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