Protest

24 Stunden Sicherheit?

  • 24.06.2015, 17:40

Ob auf Segways, am Gang oder am Campusgelände - Securities gehören oftmals zum Hochschulalltag dazu. Über öffentlichen Raum, lntransparenz und Millionenbeträge.

Ob auf Segways, am Gang oder am Campusgelände - Securities gehören oftmals zum Hochschulalltag dazu. Über öffentlichen Raum, lntransparenz und Millionenbeträge.

Vor einer der Türen der Universität Wien steht ein Sicherheitsbeamter. Sein Kopf ist kahl rasiert und in seinem Ohr steckt ein Kabel, das ihn mit dem restlichen Sicherheitspersonal über Funk verbindet. Er ist groß, ungefähr 1,80 Meter, sein Körper wirkt mus- kulös. Er trägt seine Arbeitskleidung: weißes Hemd, Hose und Schuhe sind schwarz. Er ist einer von zehn Securities an der Universität Wien, die in Zweier-Teams, 24 Stunden täglich, im Einsatz sind: sieben Männer und drei Frauen. „Die Universität besteht aus insgesamt 70 Gebäuden und unsere Sicherheitsteams haben Rundendienste", sagt Josef Scheibenpflug, Sicherheitskoordinator der Universität Wien. Bevor er sich der Sicherheit der Uni Wien verpflichtete, war er 35 Jahre lang im Polizeidienst tätig. Bei ihren Rundgängen müssen die Securities überprüfen, ob alle Lichter abgedreht und die Türen verschlossen  sind. Im Falle von Diebstahl, Belästigung oder Verletzungen sei das Sicherheitspersonal zuständig.

PRIVATANGELEGENHEIT. Es gibt zwar gesetzliche Regelungen zu Brand- und Arbeitnehmer*innenschutz, aus denen die Anwesenheitspflicht von entsprechendem Personal abgeleitet werden kann. Das heißt aber nicht, dass diese Aufgaben durch Sicherheitsdienste verrichtet werden müssen.

Foto: Mafalda Rakos

Die Anstellung der Sicherheitsfirmen selbst folgt einem durch das Bundesvergabegesetz geregelten Verfahren: Die Stelle wird öffentlich von der Universität ausgeschrieben, verschiedene Firmen erhalten die Möglichkeit der Bewerbung und das Rektorat wählt eine Firma aus. Die jeweilige Sicherheitsfirma erhält den Zuschlag für ein Jahr. Die Ausbildung, für die es in Österreich zurzeit keine Regelung gibt, findet durch Schulungen innerhalb der privaten Sicherheitsfirmen statt. Auch für die Wirtschaftsuniversität Wien sind „einschlägige und nachzuweisende Ausbildungen und Kenntnisse" erforderlich. Die Sicherheitskräfte sind für Scheibenpflug vor allem auch Serviceleistende und Repräsentant*innen der Universität. Auf die Frage, welche Sicherheitsfirmen momentan einen Vertrag mit der Uni Wien haben, gab es seitens der Universität keine klare Antwort.

„Das sind viele. Wir haben schon mit allen größeren Sicherheitsfirmen in Österreich zusammengearbeitet." Die drei größten Sicherheitsfirmen in Österreich sind G4S, der Österreichische Wachdienst (ÖWD), der an der Universität Innsbruck unter Vertrag ist, und Securitas. Diese drei setzten 2013 gemeinsam über 150 Millionen Euro bei über 7.500 Angestellten um.

2,1 MILLIONEN. Für die  Sicherheitsmaßnahmen an der Universität Wien stehen 500.000 Euro und ein zehnköpfiges Sicherheitsteam zur Verfügung. An der Technischen Universität Wien ist der Etat sogar mit 2,1 Millionen Euro bemessen. „Der Sicherheits- und Informationsdienst der TU Wien besteht aus 65 Mitarbeiter"'innen", weiß Gerald Hodecek, Leiter der Abteilung Gebäude und Technik. „Die Aufgabenbereiche der Securities an der TU sind denen an der Hauptuni und auch der Universität Innsbruck sehr ähnlich: Brandschutzwartung, Auskunft und Schlüsselverwaltung", sagt Hodecek. Dabei werden teilweise rund um die Uhr Leistungen erbracht.

Foto: Mafalda Rakos

Warum das nötig ist, erklärt die Universität Innsbruck: „Universitäten sind öffentliche Gebäude mit sehr großzügigen Öffnungszeiten. Das kann zum Problem werden, wenn Menschen die Räumlichkeiten ohne Rücksicht auf andere benutzen wollen und aggressiv oder zerstörerisch agieren. Das ist eher in den Wintermonaten hin und wieder problematisch. Daher betreut die Sicherheitsfirma in dieser Zeit auch tagsüber unsere Gebäude."

Die Handlungsrechte der Securities sind beschränkt. Laut eigenen Angaben spricht der Innsbrucker Wachdienst Personen an, die das Gastrecht missbrauchen, und bitten diese, das Gebäude zu verlassen. Das betrifft vor allem auch Obdachlose. Hier bewegen sich die Securities innerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten, verfügen aber nicht über polizeiliche Rechte. Das heißt, sie dürfen nicht viel mehr, als auf die bestehende Hausordnung verweisen, aus Notwehr handeln und Nothilfe leisten. Deshalb ist es der Universität Wien wichtig, dass die Sicherheitskräfte Probleme durch Kommunikation lösen können. In unklaren Situationen sei es Scheibenpflug lieber, wenn das Sicherheitspersonal einmal mehr nachfragt. „Bei gröberen Sachen, wie zum Beispiel unangemeldeten Veranstaltungen, fragen sie automatisch nach, was zu tun sei", sagt  Scheibenpflug.

,,SAFETY“ FIRST. Die Rektorate greifen nicht nur dauerhaft auf Sicherheitskräfte des sogenannten dritten Sicherheitssektors zurück, wenn es um die Ordnung ihrer Hochschulen geht. Auch bei  akuten „Problemen" zögert man nicht, private Ordnungshüter_innen einzusetzen. So zum Beispiel bei einer gewaltsamen Räumung der BOKU-Flächen in Jedlersdorf. 2012 besetzte „SoLiLa - Solidarisch Land- wirtschaften in Jedlersdorf", eine Gruppe, die unter anderem aus Student innen der BOKU Wien bestand, ein brachliegendes Feld in einem ehemaligen Versuchsgarten der Universität. Der Widerstand, der sich für eine kollektive Nutzung der Flächen und Ermöglichung der partizipativen Landwirtschaft einsetzte, währte jedoch nicht lange. Nach zehn Tagen ließ das Rektorat die Fläche in Jedlersdorf durch Sicherheitsbeamt innen des Sicherheitsdientes Hellwacht gewaltsam räumen. Laut attac wurde auch die bereits davor von anderen Organisationen jahrelang aufge- baute Infrastruktur mit Motorsägen, Fräsen, LKWs und Containern zerstört und weggebracht. Auch bei #unibrennt wurden Sicherheitskräfte eingesetzt, um eine (erneute) Besetzung des Audimax der Universität Wien zu verhindern.

Viktoria Spielmann vom Vorsitzteam der ÖH-Bundesvertretung wünscht sich keine Zukunft mit Sicherheitskräften privater Firmen an Hochschulen. „Securities gehören raus aus der Hochschule. Soziale und gesellschaftliche Probleme müssen woanders als auf dem Unicampus oder in den Hochschulgebäuden bekämpft und gelöst werden. Zum Beispiel im Nationalrat."

(red)

G7 - Robocops statt Rehe

  • 10.06.2015, 09:50

Der alljährliche G7-Gipfel fand dieses Jahr in Deutschland statt. Nachdem beim letzten Mal Heiligendamm im flachen Norden Ort des Treffens war, war es diesmal Elmau im alpinen Garmisch-Partenkirchen, das dieses Spektakel beherbergte und sich dafür in ein potemkin'sches Areal verwandelte

Der alljährliche G7-Gipfel fand dieses Jahr in Deutschland statt. Nachdem beim letzten Mal Heiligendamm im flachen Norden Ort des Treffens war, war es diesmal Elmau im alpinen Garmisch-Partenkirchen, das dieses Spektakel beherbergte und sich dafür in ein potemkin'sches Areal verwandelte. Statt weite Wiesen mussten die Gegendemonstrant_innen Höhenmeter überqueren, um die geplanten Blockadeaktionen durchzuführen. Russland war aufgrund der Ukraine-Krise nicht dabei um inmitten eines weiträumigen Sperrgebiets über Klimaschutz, Meeresschutz oder den Umgang mit Ebola zu diskutieren. Eine Großdemonstration in München und ein Alternativgipfel waren der Auftakt für die Aktionen von StopG7.

Kampf um die Straßen Wiens

  • 18.05.2014, 15:32

Am 17.5. fand eine Gegendemonstration linker Gruppierungen zum Identitärenaufmarsch in Wien statt. Es kam zu Repressionen gegenüber der Demonstierenden seitens der Polizei. Christopher Glanzl war für progress online mit Kamera dabei.

Am 17.5. fand eine Gegendemonstration linker Gruppierungen zum Identitärenaufmarsch in Wien statt. Es kam zu Repressionen gegenüber der Demonstierenden seitens der Polizei. Christopher Glanzl war für progress online mit Kamera dabei.

Gestern kam es zu einem Kampf um die Straßen Wiens.

Auf der einen Seite waren dabei antifaschistische Gruppierungen wie die OGR oder SLP.

Um 11:00 Uhr traf man sich am Christian-Broda-Platz, von wo aus die Demonstration zum Kunsthistorischen Museum starten sollte.

Während das schlechte Wetter die Fahnen oben hielt...

...probierte die Samba-Gruppe dasselbe mit der Stimmung.

Die Identitären konnten die Route über die Mariahilfer Straße (Start Westbahnhof) nicht gehen, da diese noch von der Gegendemo belegt war.

Mit Rufen wie „No border, no nation – stop immigration“ oder „Jetzt seid ihr noch tolerant – bald schon fremd im eig'nen Land“ oder einfach nur bellend...

... zogen sie über die Burggasse Richtung Volkstheater, wo die Schlusskundgebung geplant war.

Auch Presse war zahlreich vertreten und prägte das Bild um die ca. 100 Teilnehmer_innen.

Es kam zu Sitzblockaden, die von der Polizei...

... aufgelöst wurden. Es gab dabei unschöne Szenen.

Aber auch intern war der Umgang mittlerweile von Frust und Aggression geprägt.

In Folge eskalierten immer öfter kleine Situation, die solch einen Gewalteinsatz eigentlich nicht erforderlich machen.

Hier wurde die Demo zwar um die Blockade geleitet...

...trotzdem wurde von der Polizei die Straße unverhältnismäßig geräumt.

Auf der Kreuzung beim Museumsquartier/Volkstheater wartete die bislang größte Sitzblockade.

Spätestens jetzt brach das Einsatzkonzept der Polizei zusammen und erhöhter Einsatz von Gewalt sollte das kompensieren.

Pfefferspray wurde freigegeben...

... viele Demonstrant_innen festgenommen...

... und der Spray letztlich auch zahlreich eingesetzt.

Der gesamte Bereich wurde großräumig geräumt und für alle gesperrt. Auch Medienvertreter_innen wurden nicht mehr zur Demo der Identitären durch gelassen.

Die Gegendemonstration sammelte sich wieder...

... während die Lage langsam ruhiger wurde.

Im 8. Bezirk dagegen war die Lage immer noch angespannt, mittlerweile wurde auch die Hundestaffel angefordert.

Die Polizei nahm versprengte Gegendemoteilnehmer_innen fest, ...

...war dabei aggressiv und sperrte die Josefstädter Straße ohne ersichtlichen Grund für längere Zeit.

Amsterdam: Studis kämpfen gegen radikale Kürzungen

  • 10.03.2015, 20:11

„Maßnahmen zur Effizienzsteigerung“ nennt die Universität von Amsterdam ihre Einsparungen haupsächlich geisteswissenschaftlicher Fächer. Die Studierenden besetzten nun im Protest gegen Bildungsökonomisierung ein Uni-Gebäude.

Anfang Februar verkündete die Universität von Amsterdam (UvA) ihre vorläufigen Pläne für die Effizienzsteigerung. Alle geisteswissenschaftlichen Programme wie Philosophie, Geschichte, Niederländische und Englische Literatur sollen in ein fächerübergreifendes Programm namens „Liberal Arts“ zusammengeführt werden. Sprachstudien mit schwächerer Nachfrage werden, genauso wie Masterkurse mit weniger als 20 Studierenden, gänzlich abgeschafft.

Der Unmut der Studierenden, die mit der seit Monaten diskutierten radikalen Kürzungspolitik nicht einverstanden sind, resultierte in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar in der Besetzung des sogenannten Bungehuis, einem Universitätsgebäude. Zuvor waren von der Universitätsleitung „College van Bestuur“ im Zuge der Konfliktprävention Debatten und Panelgespräche eingeleitet worden, die zu keiner Einigung führten. Innerhalb von zwei Wochen konnte sich die Studierendenbewegung „Die Neue Universität“ auf das ganze Land ausweiten.

BACHELOR IM SCHNELLDURCHLAUF. Studierende wie Lehrende kritisieren den neoliberalen Kurs der Universitätsleitung. Um sich international mit den besten Bildungseinrichtungen messen zu können, wurde der Druck auf alle Involvierten erhöht. So viele Absolvent_innen wie möglich in einem kurzen Zeitraum auf den Arbeitsmarkt zu spülen bringe der Universität Vorteile: Einerseits sorge man damit für eine scheinbar positive Jahresbilanz und somit auch für bessere Rankingergebnisse im internationalen Vergleich. Andererseits werden der Universität bei einem zeitgerechten Abschluss die Ausbildungskosten für Studierende zurückerstattet, erklärt Noeri van den Berg, Vorsitzender des studentischen Gewerkschaftsbundes Amsterdam: „In dem Moment, wo dir dein Diplom verliehen wird, bekommt die Universität die Restbeträge deiner Studiengebühren ausbezahlt.“ Solange man den Bachelor in acht Semestern abschließt, verdienen die Universitäten also an den Studierenden. Alles darüber wird nicht zurückerstattet und ist somit ein „Verlustgeschäft“.

FORDERUNGEN DES BILDUNGSPROTESTS. Unterstützer_innen der Proteste fordern eine Demokratisierung des Unterrichts, Transparenz in der Verwaltung sowie eine bewusste Abwendung kostenorientierten Effizienzdenkens hin zu einer adäquaten Bezahlung nach tatsächlich geleisteter Arbeit. Für Dozent_innen und wissenschaftliche Mitarbeiter_innen sollen fixe statt zeitlich auf ein Jahr begrenzte Arbeitsverträge ausgehandelt werden.

Forscher_innen an der UvA müssen die Zahl ihrer jährlichen Publikationen nämlich unter unglaublichem Druck von oben erhöhen. Die neoliberale Logik führte zu drastischen Budgetkürzungen, kombiniert mit einer Kultur des top-down Managements sowie schleichender Bürokratisierung. Die Folgen sind bekannt: Die Zahl der psychischen Erkrankungen unter Studierenden und Lehrenden steigt stetig.

Auch die bereits eingeleitete Fusion der UvA mit der Freien Universität Amsterdam wird von Studierenden und Lehrenden abgelehnt. Das Präsidium aber ignoriert die Beschlüsse des Personal- und Studierendenrates. Generell wünschen sich alle Beteiligten, dass die Universität mehr Autonomie erhält und die Vernetzung innerhalb der akademischen Gemeinschaft gefördert wird.

SOLIDARITÄT IM MAAGDENHUIS. Nach der elftägigen Besetzung des Bungehuis wurde das Gebäude am 24. Februar zwangsgeräumt, 46 Personen wurden dabei verhaftet. Zuvor urteilte ein Gericht am 19. Februar, dass die Aktivist_innen das Gebäude verlassen müssten, ansonsten würde ein Zwangsgeld von 1.000 Euro für jeden weiteren Tag anfallen. Statt das Gebäude zu räumen, begannen die Besetzer_innen Geld zu sammeln. Vergebens.

Einen Tag nach der Räumung, am 25. Februar, organisierten Studierende, Dozent_innen und Sympathisanten eine Demonstration, die letztendlich zur Besetzung des Hauptgebäudes der universitären Verwaltung – dem Maagdenhuis – führte. 300 Menschen waren an der Besetzung beteiligt und sind immer noch vor Ort. Das geräumte Bungehuis soll jetzt wie geplant an eine private Firma verkauft werden, die daraus einen privaten „British Society Club“ machen möchte.

UNIVERSITÄT ALS UNTERNEHMEN. „Die UvA verkommt immer mehr zu einem Betrieb”, schreibt die Studierendenpartei UVASociaal auf ihrer Homepage. Entscheidungen werden von universitätsfremden Manager_innen getroffen, die im Zuge einer Umstrukturierung von ihren Konzernen entfernt wurden und nur wenig Verständnis für die Anliegen und Fragen der Studierenden aufbringen. Demonstrant_innen fordern nun die Dezentralisierung der Vorstandsführung, um der Universität die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu verwalten.

Man müsse sich zudem von quantitativen Leistungsbeurteilungen wie Drop-Out-Quoten oder der Zahl der Absolvent_innen entfernen, sowie die auf Wirtschaftsmodellen beruhenden Formeln der Evaluation gegen selbstreflexive Praxen wie jene der Peer-Group-Reviews ersetzen. Statt sich der Verbesserung der Lehrqualität zu widmen oder internes Bürokratieprozedere zu vereinfachen, bekommt das Management sechsstellige Beträge ausbezahlt um sinnlosen Papierkram, destruktive Arbeitsmethoden und unrealistische Erwartungen an die fortschreitend prekär arbeitenden Angestellten auszulagern.

Obwohl die Aktivist_innen mit einer Ausweitung der Proteste auf Petitionen sowie die Besetzung weiterer Gebäude gedroht hatten, wurde der offene Brief an das UvA-Präsidium bis zum 9. März nicht beantwortet. „Die Administration hat bis jetzt keine konkreten Schritte eingeleitet, um die Forderungen umzusetzen“, erzählt Noeri van den Berg. Das Präsidium brauche noch Zeit, um die richtigen Antworten zu finden.

Eine Abkehr vom bestehenden System der Bildungsmonetarisierung auf den Universitäten scheint nur durch eine Loslösung vom Bologna-Prozess realisierbar. Ein Hauptantrieb in der umfassenden Neugestaltung des europäischen Hochschulraumes ab 1999 bestand darin, einen europaweiten Vergleich universitärer Leistungen zu ermöglichen. Weitere Ziele waren die Förderung der Studierendenmobilität sowie des Studierendenmitspracherechts und der europäischen Zusammenarbeit in der Forschung. Tatsächlich wurden 15 Jahre nach dem Beschluss fast keine dieser Ziele erreicht: Schon von ECTS-Vergleichkarkeit zwischen einzelnen Unis kann keine Rede sein, geschweige denn von leichteren Anrechnungsverfahren von Auslandssemestern. Die Verschulung des Systems führte zu einem stärkeren Konkurrenzdruck und zu einem weiteren Abbau der Lehrqualität zu Gunsten des Publikationsoutputs, wie zahlreiche nationale und transnationale Studien zeigen. Der Fokus an den Universitäten liegt nicht mehr bei einer Anregung zu selbstbestimmtem und kritischem Denken; die straffen Bachelor-Lehrpläne lassen dafür keinen Platz.

Die Entscheidung über die weiteren Verhandlungen zwischen Universitätsführung und Studierenden liegt jetzt jedenfalls bei Präsidentin Louise Gunning. Will sie den Forderungen der akademischen Community zugunsten einer Demokratisierung zustimmen – oder im Sinne der internationalen Vergleichbarkeit und Betriebsstraffung vorgehen wie bisher? Das Management-Personal der Uni ist während der Proteste jedenfalls nirgends zu sehen; ein Banner mit den Worten „DIRECT DEMOCRACY“ wurde währenddessen von Protestierenden vors RektorInnenbüro gehängt. Am 4. März verkündete der Bildungsprotest „Die Neue Universität“ Pläne zur Ausweitung des Widerstands. Die Aktivist_innen haben zu einem Tag des Protests an den Universitäten von Leiden, Groningen, Utrecht, Nijmegen und Rotterdam aufgerufen.

Weitere Informationen zu den Protesten findet ihr auf der Homepage der Initiative “Die neue Universität” sowie der Bewegung der Lehrenden, RethinkUvA. Unter dem hashtag #denieuweuniversiteit gibt es aktuelle Fotos und Statements von Demonstrierenden.

progress wird die Entwicklungen an der Universität von Amsterdam verfolgen und euch bezüglich Neuigkeiten auf dem Laufenden halten.

 

Bianca Xenia Mayer studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien.

Petition: https://www.change.org/p/university-of-amsterdam-executive-board-support-the-new-university

Distanzirkus

  • 12.12.2014, 17:51

Warum das Distanzieren plötzlich derart in Mode gekommen ist und was es wirklich bedeutet.

„Treffen sich zwei Linke und spalten sich“: Seit Neuestem wird dazu bewusst und manipulativ durch eine unvergleichliche Zusammenarbeit zwischen Medien und Rechten angestiftet. Das geschieht durch einen hinterhältigen rhetorischen Trick: die Distanzierungsaufforderung.

Parteien, Organisationen und Unternehmen werden ja regelmäßig dazu aufgerufen, sich von bestimmten Aussagen oder Vorkommnissen zu distanzieren. Das gehört zum gesellschaftlichen Diskurs dazu und ist als Methode gar nicht so originell. So werden auch Rechte regelmäßig aufgefordert, von „Einzelfällen“ in ihren Parteien oder „verbalen Entgleisungen“ Abstand zu nehmen – was sie dann auch mehr oder weniger herzhaft regelmäßig machen (müssen).

Was allerdings derzeit vergleichsweise neu ist, sind die Aufrufe beziehungsweise der vorauseilende Ge- horsam, sich von einer Materie zu distanzieren, die nichts mit einem zu tun hat. So müssen sich neuerdings etwa Parteien und Menschenrechtsorganisationen von den Protesten gegen den Akademikerball und gegen die Identitären distanzieren, obwohl sie weder Organisator*innen noch Teilnehmer*innen der antifaschistischen Demos waren.

Der letzte Schrei

Ein Auszug aus dem aktuellen Programm des Distanzzirkus: Die ÖVP ruft etwa in einer Aussendung dazu auf, „linke Gewalttäter“ zu verurteilen. Prompt antwortet der grüne Bildungssprecher Harald Walser und distanziert sich „von allen Gewaltanwendern“ (außer der Polizei natürlich, die immerhin ein Gewaltmonopol hat). Werner Herbert von den Freiheitlichen Arbeitnehmern formuliert seinen Distanzierungswunsch penibelst vor: „Wir, die Organisatoren der Gegendemonstration von letztem Samstag, distanzieren uns in aller Schärfe von den Ausschreitungen linksextremer, krimineller Gewalttäter“, so der Vorschlag. Und nicht zuletzt appellieren auf Twitter ORF-Journalist*innen an die ÖH, von „Gewaltbereiten“ abzurücken.

Die Distanzierung ist der letzte politische Schrei, wie schon auf die Schnelle durchgeführte Presseagentur- und Mediensuchen zeigen. Zur Erinnerung: Niemand, der jemals in diesen Zusammenhängen zur Distanzierung aufgerufen wurde oder sich distanziert hat, war nachweislich an irgendwelchen „Gewaltexzessen“ oder Scheibeneinschlägereien beteiligt. Niemand. Die Unschuldsvermutung interessiert Medien wie auch die Politik, wenn es um die vermeintlich „kriminelle“ Antifa geht, ja auch gar nicht: Diese ist nur bei namhaften Menschen mit der Bereitschaft und den Möglichkeiten zu klagen, wie Grasser, Strasser und Co., zu beachten.

Distanzierungswut

Die in Österreich als distanzierungswürdig eingestuften Scheibenbrüche werden übrigens wegen den niedrigen Sachschäden und ausbleibender Gewalt in anderen Ländern als „kleine Zwischenfälle“ oder „friedliche Demos“ beschrieben. Die hetzerische Berichterstattung in Österreich und die Diffamierung von friedlichem antifaschistischem Protest als „Gewaltexzess“, „Straßenschlacht“ und „Bürgerkrieg“ heizt die Distanzierungswelle an. Ohne Skandalisierung nämlich keine Distanzierungswut.

Jede und jeder fühlt sich aber nun plötzlich dazu be- und aufgerufen, sich von NOWKR, #blockit und der Ausübung von Demonstrationsrecht generell zu distanzieren – was auch immer das eigentlich in diesem Zusammenhang bedeuten soll. Oftmals erschöpfen sich Kommentare zu wichtigen Themen wie dem Rechtsruck und Antifaschismus lediglich darin, dass Abstand gesucht wird. Ist die brennend aktuelle Materie vielleicht auch einfach zu unbequem? Es ist für politisch Agierende jedenfalls viel einfacher, sich pauschal von irgendwelchen fiktiven Krawallen abzugrenzen, als sich inhaltlich mit den Fragen und den gesellschaftlichen Anliegen auseinanderzusetzen, die antifaschistische Proteste aufwerfen. Eine Distanzierung ist auch eine konsequente Verweigerung, Position zu beziehen.

Zu dieser Nicht-Ortung in der österreichischen Politik gehört meistens auch die fahrlässige und unglaublich fakten- und geschichtsblinde Gleichsetzung von Rechtsextremismus und (in Österreich nicht-existentem) „Linksextremismus“. Dazu kann nur eins gesagt werden: Wer von links und rechts gleich weit entfernt stehen will, befindet sich mitten in der Scheiße.

Jedenfalls führt die hysterische Distanzierungsmode zu einer breiten Entsolidarisierung mit antifaschistischem Protest und seinen Anliegen – eine perfide Strategie der Rechten, auf welche die Medien hereinfallen. Es ist eine enge Zwickmühle, aus der es nur schwer ein Entkommen gibt. Der Populismus ist nämlich eine gut geölte Maschine, die die mediale und politische Rhetorik fest in ihren Zahnrädern mahlt.

Entsolidarisierung

Ein besonders eindrückliches und erschreckendes Beispiel für die Entsolidarisierung war etwa die Kundgebung gegen den Putin-Besuch in Wien am 24. Juni: Die Organisator*innen der Demo gegen die homophobe Politik Russlands hatten die Antifa dezidiert ausgeladen – eine Antifa, die immer auch für die Rechte von Homosexuellen auf die Straße gegangen ist und sich – im Falle der Regenbogenparade etwa – dafür sogar festnehmen ließ.

Sich von Dingen zu distanzieren, die nichts mit einem zu tun haben – etwa zu Bruch gegangenen Scheiben – ist entbehrlich. Distanzieren muss oder kann man sich nur von Dingen, die man selbst angestellt hat oder für die man namentlich bürgt. In Österreich grenzt eine Distanzierung vom Antifaschismus an ein Verbrechen. Immerhin steht der antifaschistische Grundkonsens der Zweiten Republik trotz aller rechten Polemik mahnend im Raum. Trotzdem wird etwa in Interviews und Fernsehdiskussionen ständig zur Distanzierung gedrängt und selbstständig darauf hingestürmt.

Somit entgeht dem Antifaschismus in Österreich die Solidarität und Unterstützung einer breiteren Mitte. Es entsteht eine tiefe Kluft zwischen jenen, die für den Antifaschismus auf die Straße gehen, und jenen, die diesen prinzipiell oder zumindest feigenblättrig unterstützen würden. Diese Entsolidarisierung ermöglicht eine immer stärkere Kriminalisierung von Antifaschismus, eine Diffamierung aller, die ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen, und absurde Polizeigewalt und -strategien. Um diese Entwicklung zu stoppen, müssten Journalist*innen und Medien aufhören, ständig zur dieser gesellschaftlichen Spaltung aufzurufen.

 

Olja Alvir studiert Germanistik und Physik an der Universität Wien.

                               

                       

               

 

Ausgebremste Beschleunigungsreform

  • 11.04.2014, 19:32

Das Beispiel Dänemark zeigt, dass eine linke Minderheitsregierung, Studienplatzfinanzierung und Zugangsbeschränkungen nicht gegen Einsparungen bei Universitäten und Stipendien schützen. Der Widerstand einer aktiven Studierendenbewegung aber möglicherweise schon.

Das Beispiel Dänemark zeigt, dass eine linke Minderheitsregierung, Studienplatzfinanzierung und Zugangsbeschränkungen nicht gegen Einsparungen bei Universitäten und Stipendien schützen. Der Widerstand einer aktiven Studierendenbewegung aber möglicherweise schon.

Als im November vergangen Jahres circa 8.000 Studierende in der Kopenhagener Innenstadt demonstrierten, drehte sich alles ums Thema Geschwindigkeit. Parolen wie „Schneller raus – Nein danke“, „Beeil dich langsam“ und „Freiheit zur Vertiefung“ waren zu lesen und zu hören. Die meisten Fakultäten und Institute der Universität Kopenhagen waren blockiert und auch an den Unis in Roskilde, Odense und Århus fanden Protestaktionen statt.

Vollzeitstudium als Pflicht. Die Slogans richteten sich gegen die im April 2013 vom Parlament fast einstimmig beschlossene „Beschleunigungsreform“, mit der die durchschnittliche Studienzeit der dänischen Studierenden verringert werden soll. Vorgesehen sind Verschärfungen im dänischen Stipendiensystem, neue Regeln für die Prüfungs- und Studienadministration und Änderungen bei der Finanzierung der Universitäten.

Derzeit haben dänische und gleichgestellte ausländische Studierenden, für die Mindeststudienzeit samt einer Reserve von zwölf Monaten Anspruch auf die mit circa 710 Euro bemessene Studienbeihilfe. Die Reform sieht jedoch vor dieses Recht strikt an den Studienerfolg zu koppeln: Wer mehr als 30 ECTS in Verzug gerät, verliert den Anspruch, bis die Verzögerung wieder eingeholt ist. Des Weiteren soll eine verpflichtende Anmeldung zu Kursen und Prüfungen im Umfang von 60 ECTS pro Jahr eingeführt werden. Wer ein Fach nicht besteht, muss dieses im darauffolgenden Semester zusätzlich wiederholen. Diese Maßnahmen werden von vielen Studierenden als Gängelung empfunden.

Auch die Universitäten werden durch die Reform in die Pflicht genommen, ihre Studierenden zu schnelleren Abschlüssen anzutreiben. Laut Angaben der Unis wurden die Mittel der Studienplatzfinanzierung im Laufe der letzten 20 Jahre um insgesamt 20 Prozent gekürzt. Dies hat sie zunehmend von anderen öffentlichen Mitteln abhängig gemacht, deren Vergabe jetzt an die Senkung der Durchschnittsstudienzeit gekoppelt wird. Für die Universität Kopenhagen beispielsweise stehen circa 46,2 Millionen Euro auf dem Spiel.

Die Universitätsleitung plante daher ein Verbot von Studienunterbrechungen und eine Verpflichtung, Lehrveranstaltungen im Ausmaß von mindestens 45 ECTS pro Jahr abzuschließen. Auch deshalb blockierten die Kopenhagener Studierenden ihre Universität und gingen zahlreich auf die Straße.

Neue Protestformen. Die Protestaktionen der Studierenden im November zeigten vorläufig Wirkung. Noch am selben Tag nahm das Rektorat der Universität Kopenhagen Abstand von den ursprünglichen Plänen und lud die Studierenden ein, gemeinsam an der Umsetzung der politischen Anforderungen zu arbeiten. Protestaktionen und Blockaden anlässlich öffentlicher Auftritte des Unterrichtsministers Morten Østergaard fanden aber weiterhin statt. Auch Universitätsleitungen äußerten sich vermehrt kritisch gegenüber der Reform, die sie als Bürokratisierung erleben. Als Reaktion wurde die Reform nun vorerst um ein Jahr verschoben.

Regierung und Studierende interpretieren diese Entscheidung jedoch unterschiedlich: Østergaard konstatierte trotzig, dass die „Demonstrationen an sich nichts bewegt haben“. Die Studierenden hingegen verbuchen die Verzögerung als Erfolg. Auch Magnus Pedersen, ehemaliger Vorsitzender der landesweiten Studierendenorganisation DSF, sieht den Aufschub als Reaktion auf die Proteste: „Das war ein wichtiger symbolischer Sieg. Es ist mit einer Ausnahme das erste Mal, dass die derzeitige Regierung eine politische Maßnahme nach öffentlichem Druck wieder zurückzieht.“

Magnus führt diesen Erfolg auf eine Änderung der Strategie der Studierendenbewegung zurück: „Bis 2003 waren außerparlamentarische Protestformen bei vielen Studierendenorganisationen statutenmäßig ausgeschlossen.“ Dies änderte sich nachdem die damalige konservative Regierung eine Entdemokratisierung der Universitäten beschloss: „Die Teilnahme in Gremien war bedeutungslos geworden. Plötzlich brauchte man neue Waffen.“ Auf Universitäts- und Institutsebene konnten mit Blockaden und Demonstrationen schnell Erfolge erzielt werden und es gelang mehrmals Stipendienkürzungen abzuwehren. Folgen waren eine gesteigerte Akzeptanz der neuen Protestformen und die Politisierung vieler Studierender. „Diese Entwicklung führte zu der kräftigen Beteiligung Ende des Jahres. Die Studierenden ernten jetzt die Früchte jahrelanger Mobilisierungsarbeit“, erklärt Magnus.

Weitere Reformen. Im Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzung rund um die Beschleunigungsmaßnahmen stehen tiefergehende Veränderungen des dänischen Universitätssystems und des Arbeitsmarkts. 2012 gaben 80 Prozent der dänischen Studierenden an, neben ihren Studien zu arbeiten, und zwar durchschnittlich über 12 Stunden pro Woche. Lange Studienzeiten scheinen auch eine Konsequenz davon zu sein. Für viele Studierende ist die Berufstätigkeit aber notwendig – um ihren Unterhalt bestreiten zu können und um die eigenen Chancen am angespannten Arbeitsmarkt zu erhöhen. 27,9 Prozent der dänischen Uni-AbsolventInnen, deren Abschluss weniger als ein Jahr zurückliegt, sind derzeit arbeitslos. Diese Trends werden durch die Reform noch verstärkt, und damit der Druck auf die Studierenden erhöht.

Seit dem Aufschub der Reform bewegt sich die öffentliche Debatte nun in andere, nicht weniger umstrittene Richtungen. Ende Dezember vermeldete Østergaard, dass die Anzahl an Studienrichtungen reduziert werden müsse, um es ArbeitgeberInnen leichter zu machen AbsolventInnen anzustellen. Im Januar regte eine im Vorjahr eingesetzte Produktivitätskommission im Einklang mit mehreren Uni-RektorInnen an, die Vergabe von Studienplätzen direkt an den Bedarf am Arbeitsmarkt zu koppeln. Die im Februar neu bestellte Unterrichtsministerin, Sofie Carsten Nielsen, deutete bei ihrer Angelobung an, den Reformkurs ihres Vorgängers fortsetzen zu wollen. Dänische Studierende werden also wohl auch in Zukunft einige Gründe haben, auf die Straße zu gehen und auf die Reformbremse zu steigen.

Robin Tschötschel studiert Global Studies an der Universität Roskilde und lebt in Kopenhagen.

Wenn alles am Spiel steht

  • 28.03.2013, 22:16

Der Protest der Refugees aus der Votivkirche geht nun in einem Kellergewölbe eines alten Wiener Klosters weiter: 64 Flüchtlinge laufen um ihr letztes Hemd, die Politik stellt sich blind. Ein Lokalaugenschein.

Der Protest der Refugees aus der Votivkirche geht nun in einem Kellergewölbe eines alten Wiener Klosters weiter: 64 Flüchtlinge laufen um ihr letztes Hemd, die Politik stellt sich blind. Ein Lokalaugenschein.

Akbarjan Abdullah sitzt auf seinem Feldbett und kramt suchend in seinen Sachen. „Zehn Jahre lang habe ich in Afghanistan Cricket gespielt“, erzählt der 22Jährige auf Englisch. „Ich würde so gerne auch in Österreich Cricket spielen – aber kaum jemand interessiert sich hier für diesen Sport“, sagt Abdullah. Deswegen hat er begonnen, Volleyball zu spielen, das war ihm zumindest ein wenig Ersatz. Mittlerweile hat er in einer Tasche gefunden, was er gesucht hat: einen Pokal. Gleich sein erstes Volleyball-Turnier in   Österreich hat er gewonnen. Stolz zeigt er seine Trophäe in der Runde herum.

Abdullah ist einer jener Flüchtlinge, die im November den langen Marsch aus Traiskirchen angetreten sind, um gegen die unzumutbaren Zustände der österreichischen Asylpolitik zu demonstrieren. Er protestierte im Zeltlager im Sigmund-Freud-Park und danach in der Votivkirche. Als die österreichischen PolitikerInnen nur mit Arroganz reagierten, trat auch er in den Hungerstreik, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen. 13 Kilo hat er in dieser Zeit verloren. Mehrere Male musste sein gesundheitlicher Zustand im Krankenhaus kontrolliert werden.

Trotz eisernem Durchhaltevermögen brachte auch diese drastische Maßnahme wenig Erfolg: Die österreichische Politik weigerte  sich weiterhin, auf die Forderungen der Flüchtlinge einzugehen. Nun setzt Abdullah seinen Protest gemeinsam mit 63 Mitstreitern  im Keller des Servitenklosters im neunten Wiener Gemeindebezirk fort – ohne Hungerstreik.

Dass ihm am erhofften Ende seiner Flucht ein dermaßen harter Kampf bevorsteht, damit hatte Abdullah nicht gerechnet. Er kommt aus der Nähe von Kabul, arbeitete dort in einem Lebensmittelgeschäft und verkaufte Speiseöl. Eines Tages wollten ihn die Taliban rekrutieren: „Wenn du nicht zu uns kommst, dann bringen wir dich um“, drohten sie ihm. Er aber wollte mit ihren Gräueltaten nichts  zu tun haben. „Dann haben sie mich entführt und für 27 Tage in einem winzigen Raum eingesperrt“, erzählt Abdullah. Seit fast zwei  Jahren ist er in Österreich, ein Jahr lang hat seine Reise von Afghanistan mit Schiff und LKW gedauert. Auf dem Weg musste er sich von seinen Eltern trennen, mit denen er zuerst gemeinsam nach Pakistan geflohen war. Seither hat er nichts von ihnen gehört. Als er  in Österreich ankam, wusste er nicht, wo er eigentlich war. „Ich habe jemanden gefragt, und er hat gesagt: ‚in Österreich‘. Ich  meinte: ‚Nicht der Ort, das Land, wie heißt das Land?‘; ‚Österreich – Austria’“, erinnert sich Abdullah. „Dann habe ich erst verstanden, wo ich überhaupt gelandet bin.“ Er war in einem katastrophalen körperlichen Zustand, hatte keine Schuhe, keine frische  Kleidung und überall am Körper entzündete Wunden. Daher musste er zunächst für einige Tage ins Krankenhaus. Aufgrund seiner Hautprobleme sollte Abdullah zweimal am Tag duschen, regelmäßig Kleidung und Bettwäsche wechseln. Das ist im Servitenkloster  zwar leichter als in der Votivkirche. Trotzdem gibt es hier für 64 Flüchtlinge nur eine Dusche.

Provisorium. Die Luft im Keller des Servitenklosters ist feucht und abgestanden, die Bettwäsche mieft etwas. Dennoch sieht es sehr  ordentlich aus: Jedes der provisorischen Klappbetten ist gemacht. Wer die Refugees besucht, wird gastfreundlich und herzlich empfangen. „Mit Zucker?“, fragt der 21jährige Ahmad Zai Azizulla, als er den Tee bringt. Wer nichts hat, der gibt am meisten –  dieses Sprichwort bewahrheitet sich in diesem Kellergewölbe. Azizulla ist erst seit sechs Monaten in Österreich. Auch er musste aus Afghanistan flüchten, weil er von den Taliban verfolgt wurde. Sein älterer Bruder wurde von ihnen getötet, weil er sich nicht  rekrutieren lassen wollte. Azizulla wartet noch auf seinen ersten Asylbescheid. „Es geht nichts weiter“, sagt er. In Österreich war er zuerst in Traiskirchen und dann in Straden untergebracht: „Ein kleines Dorf, in dem es überhaupt nichts gibt.“

„Die schlechten   Lagerbedingungen und das Verfrachten der Flüchtlinge an enorm exponierte Orte, in denen es an jeglicher Infrastruktur mangelt, haben System“, meint Irene Messinger, Politikwissenschafterin und Spezialistin für Fremden- und Asylrecht. „Das wundert nicht, sieht man sich an, wie wenig der Staat für die Grundversorgung der Flüchtlinge ausgeben möchte. Das und die komplette Entmündigung waren bestimmt Initialzünder für die Demonstrationen“, sagt sie.

Gezielte Strategie. Der Protest der  Refugees ist der erste dieser Art: Zwar hat es schon zuvor immer wieder Protestschreiben von Flüchtlingen gegen die unzumutbaren Zustände gegeben. Über die Briefform ging es aber selten hinaus. „Es gab in gewisser Hinsicht eine Phantasielosigkeit in der Ausdrucksform dieses Protests – und die ist jetzt aufgebrochen“, sagt Messinger. Sie hat   jahrelang in NGOs im Bereich der Rechtsberatung für Fremdenrecht und Asylverfahren gearbeitet. „Ein Problem ist auch, dass Asylrecht ExpertInnenwissen geworden ist. Ich denke, das ist eine gezielte Strategie, Unterstützung zu verunmöglichen oder zu erschweren“, sagt sie. Und auch wenn das Ministerium der Öffentlichkeit mit „geschönten Statistiken“ immer wieder
das Gegenteil weismachen wolle: „Österreich ist kein Land, in dem es gute Aussichten auf Asyl gibt.“

Zentrale Forderung der Refugee-Proteste sei die Arbeitsmarktpolitik. Hier einen Erfolg zu erringen, sei Messinger zufolge symbolisch sehr wichtig. Die Flüchtlinge haben auf diesem Gebiet auch Support von verschiedensten NGOs. Auch für Abdullah ist das eine der drängendsten Forderungen. „Wir brauchen euer Geld nicht. Wir wollen keine Almosen, wir wollen arbeiten“, sagt er. Er sei es gewöhnt, Geld selbst zu verdienen und wolle nicht vom Staat leben. Derzeit ist die Arbeitsregelung für AsylwerberInnen aber besonders restriktiv – de facto dürfen sie nur in der Saisonarbeit und der Sexarbeit tätig sein.

Wie es weitergeht? Messinger befürchtet, dass das „Ministerium langfristig fremdenrechtlich durchgreifen und in voller Härte  abschieben“ werde. Auch Abdullah ist sich unsicher, ob sein Protest erfolgreich sein wird: „Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich  nicht. Wir können nur hoffen. Wenn wir jetzt aufgeben, dann verlieren wir alles.“ Auch er rechnet mit Abschiebungen. Und „alles verlieren“, das heißt für einen Flüchtling viel mehr als die Aussichten auf ein gemütliches Leben im Wohlfahrtsstaat Österreich zu begraben: „Ich liebe mein Land und ich möchte heim. Aber wenn ich jetzt zurück muss, töten mich die Taliban.“

Keine Frage des Könnens

  • 13.02.2013, 17:12

In der Wiener Votivkirche protestieren Flüchtlinge in Österreich zum ersten Mal selbst für ihre Rechte. Doch gerade der Rechtsstaat wird wohl verhindern, dass auch für sie Menschenrechte gelten. Was sich ändern muss, erzählten zwei ungleiche Unterstützer, Alexander Pollak und Klaus Schwertner, progress-Autor Paul Aigner.

In der Wiener Votivkirche protestieren Flüchtlinge in Österreich zum ersten Mal selbst für ihre Rechte. Doch gerade der Rechtsstaat wird wohl verhindern, dass auch für sie Menschenrechte gelten. Was sich ändern muss, erzählten zwei ungleiche Unterstützer,  Alexander Pollak und Klaus Schwertner, progress-Autor Paul Aigner.

Es war die größte politische Kundgebung, die Österreich je gesehen hatte und bis heute gesehen hat. 300.000 Menschen demonstrierten am 23. Februar 1993 am und um den Wiener Heldenplatz. Keinen halben Kilometer Luftlinie weiter frieren und hungern im Winter 2013 AsylwerberInnen in der Wiener Votivkirche. Sie finden die Lebensumstände in den Asyllagern nicht mehr  zumutbar und ihre Position aussichtslos.

Rückblende. Anfang der 1990er-Jahre scheint der Aufstieg der FPÖ kaum zu stoppen. Jörg Haider ist seit sechs Jahren Obmann der größten Oppositionspartei, er nennt SPÖ-Innenminister Franz Löschnak „meinen besten Mann in der Regierung“. Trotz interner  Widerstände setzt Haider  das sogenannte „Ausländervolksbegehren“ durch. Es beinhaltet gezielte Tabubrüche wie die Verknüpfung eines Zuwanderungsstopps mit der Arbeitslosenquote und eine „Ausländerquote“ in Schulklassen. Der liberale Flügel der FPÖ bricht nach dem Volksbegehren weg, fünf Abgeordnete um Heide Schmidt gründen das Liberale Forum (LIF). Den Takt in der  Fremdenpolitik gibt die FPÖ trotzdem weiter vor. 20 Jahre später ziehen zwei Protagonisten der Menschenrechtsbewegung von heute  ein vorläufiges Resümee. progress hat Caritas-Pressesprecher Klaus Schwertner und SOS-Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak getroffen und mit ihnen über das raue Klima in der österreichischen Menschenrechtspolitik und die Perspektiven des Protests in der Wiener Votivkirche gesprochen und dabei unterschiedliche Einschätzungen gefunden, was Flüchtlinge in Österreich in den kommenden Jahren erwartet.

Weiterlesen: Interview mit Alexander Pollak (SOS Mitmensch)

Weiterlesen: Interview mit Klaus Schwertner (Caritas)

Der Traum ist aus

  • 26.12.2012, 15:20

Im Dezember 2009 wurde das besetzte Audimax geräumt. Das Ende von #unibrennt wurde damit eingeläutet. Ein ausschnitthaftes Resümee drei Jahre danach von Flora Eder.

Im Dezember 2009 wurde das besetzte Audimax geräumt. Das Ende von #unibrennt wurde damit eingeläutet. Ein ausschnitthaftes Resümee drei Jahre danach von Flora Eder.

Es war fünf Uhr früh. Auf den Rolltreppen der Station Schottentor wehte ein eisiger Wind gegen ihre Fahrtrichtung hinauf zur Uni Wien. Der Gehsteig wurde von einer zentimeterdicken Eisschicht bedeckt, es war noch finster. Der Tag musste erst in die Gänge kommen. In den frühen Morgenstunden des 21. Dezember 2009, vor drei Jahren also, wurde das Audimax in Wien geräumt. 85wohnungslose Menschen hatten hier Unterschlupf gefunden. Sie hatten größtenteils keine Österreichische StaatsbürgerInnenschaft und wurden auf die Wiener Straßen gesetzt – bei minus zehn Grad. Sie erhielten ein Wurstsemmerl und einen Zettel, der auf englisch und deutsch erklärte, dass sie sich an eine Einrichtung namens „P7“ wenden sollten. Nicht darauf zulesen war, dass sie alle bereits vom P7 abgelehnt wurden, da sie die falsche StaatsbürgerInnenschaft hatten. „Eine humanitäre Katastrophe. Ich bin sauer – heute Nachmittag hätten wir vierzig Notschlafstellen gemeinsam mit der Caritas für sie organisiert“, kommentierte das Markus Reiter, damaliger Vorsitzender des Dachverbands der Wiener Wohnungslosenhilfe vor der Uni Wien. „Aber jetzt sind die Menschen vertrieben. Drei Tage vor Weihnachten, bei minus zehn Grad.“

Auch jene 15 BesetzerInnen, die im Audimax die Stellung hielten, wurden von der Polizei geweckt und aus dem Audimax getragen. Auf sie wartete eine kleine Truppe an Fernsehteams, die eilig zur Uni kamen, um Interviews aufzuzeichnen. Dass „es“ wohl in den Winterferien passieren würde, dass das Audimax der Uni Wien geräumt würde, war vielen schon davor klar. Dass es ausgerechnet an diesem Tag geschehen würde, nicht. Und so wurde #unibrennt aus dem Schlaf gerissen, geplatzt war ein Traum, der noch nicht zu Ende geträumt war.

Doch was war er, der Traum von #unibrennt? #Unibrennt drückte die Sehnsucht einer ganzen Studierendengeneration aus. Eine Sehnsucht nach Veränderung; danach, einmal etwas wirklich Wichtiges zu schaffen. Eine Sehnsucht danach, in dieser Gesellschaftendlich eine Rolle zu spielen, Geschichte zu schreiben – etwas Unumkehrbares loszutreten. Einmal „ich war auch dabei“ sagen zu können; eine Art inszeniertes Schauspiel, um später nostalgisch auf eine Zeit zurückblicken zu können, die das sonst wohl nicht verdient hätte. Aber was ist sonst von #unibrennt drei Jahre danach übrig geblieben?

Aller Anfang ist leicht. „Ich wusste, dass eine Demo vor dem Wissenschaftsministerium stattfindet. Plötzlich erreichte mich ein  Anruf, dass sie zur Uni Wien gezogen sei, und ich sofort ins Audimax kommen müsse, denn es sei besetzt worden“, erinnert sich Ina* an den 22.Oktober 2009. Ausgegangen war die Demonstration von der Akademie der bildenden Künste, deren Aula bereits  zuvor besetzt war. Im Audimax ging daraufhin alles ganz schnell: Plena wurden einberufen, Eintopf gekocht, Arbeitsgruppen gebildet, RednerInnenlisten erstellt, eine Pressekonferenz eilig einberufen, Parties gefeiert, Fotos geschossen, Livestreams und  Filme gedreht – kaum eine Wortmeldung wurde nicht dokumentiert. Allein auf der Uni Wien waren es tausende Studierende, die in den ersten Wochen von #unibrennt ins Audimax strömten. Denn ungewiss war, wie lange die Besetzung andauern würde. Viele  glaubten nicht daran, dass sie mehr als einige Tage bestehen würde. Doch #unibrennt entwickelte eine Sogwirkung, die schnell  auch die anderen österreichischen Unis mitriss und sich auf andere europäische Unistädte ausweitete. „Die vielen Studierenden, die  mit diesem 22. Oktober begonnen haben, sich für ihre Studien- und Lebensbedingungen einzusetzen, waren überwältigend. Und als  an den darauffolgenden Tagen die Meldungen kamen, dass auch Unis in anderen Ländern brennen – das war schon ein aufregendes  Gefühl“, erinnert sich Ina.

So wurden am 24. Oktober ein Hörsaal in Graz, am 28. Oktober das Haus für Gesellschaftswissenschaften am Rudolfskai in Salzburg  und am 29. Oktober die Sowi-Aula in Innsbruck besetzt – und das ist nur ein kleiner Auszug der Ereignisse. „Ich stand  damals am Anfang meines Studiums und hatte kaum Demo-Erfahrung, ich habe mich einfach auf #unibrennt eingelassen. Dass  daraus meine politische,Geburtsstunde‘ würde, war mir nicht klar“, erinnert sich Sebastian, der bei #unibrennt in Innsbruck aktiv war.

Was blieb von all dem Engagement? „In Graz heißt der größte Hörsaal seither nach dem kommunistischen Widerstandskämpfer Willi Gaisch“, sagt Georg*, „und einige sind dadurch in die ,linke Szene‘ gekommen. Es haben sich in Graz neue Netzwerke gebildet,  Freundschaften ergeben, aber eine besondere Politisierung dieser Generation ist nicht eingetreten“, merkt er kritisch an: „An der Uni Graz haben der Alltag und der prekäre Normalbetrieb wieder eingesetzt. Es gibt mehr Bewusstsein für die Bildungsproblematik, aber  der Bildungsdiskurs selbst hat sich leider nicht verändert“, sagt er. In Innsbruck hingegen, meint Sebastian, habe sich durch  #unibrennt mehr verändert als in anderen Unistädten: Das GeiWiMax ist seither ein offener und selbstverwalteter Raum – „um den  gerade wieder ein wenig mit dem Rektorat gekämpft wird“, sagt er. „Die kritische Uni wiederum ist für mich das tollste Ergebnis der Besetzungen.“ Bis heute erhält das Innsbrucker #unibrennt-Plenum pro Semester eine gewisse Geldmenge und kann damit  gesellschaftskritische Lehrveranstaltungen organisieren, die in vielen Studienrichtungen als Wahlfächer angerechnet werden  können.

Auch an der Uni Salzburg, sagt Kay,  habe #unibrennt seine Spuren hinterlassen: „Gerade unipolitisch Engagierte sprechen  #unibrennt immer wieder an, um auf die Notwendigkeit der demokratischen Mitbestimmung hinzuweisen.“ Konkrete Forderungen wurden aber nur teilweise umgesetzt. „Ein großer Erfolg ist der öh:freiraum in der Kaigasse 17“, betont Kay aber doch. Das  Forderungsbündel betreffend der Studienplangestaltung sei aber „nur bedingt“ berücksichtigt worden. An der Uni Wien haben Studierende seit #unibrennt endlich wieder die Möglichkeit, im Rahmen eines kleinen Spielraums von 15 ECTS freie Wahlfächer gestalten zu können – außerdem wurden aus den Mitteln der ministeriellen Notfallreserve einige Lehrstellen in den besonders belasteten Studienrichtungen der Publizistik, der Internationalen Entwicklung und der Psychologie geschaffen. Auch wurden in den Bereichen Studieren mit Behinderung und Frauenförderung Geld und Strukturen aufgebaut und ein zusätzliches Angebot für Deutschals Fremdsprache realisiert.

Gewonnen und Zerronnen. Es bleibt jedoch schwer, von einem faktischen Erfolg von #unibrennt auf  der Ebene eines Forderungskatalogs zu sprechen: Denn woran ist der Erfolg einer so vielfältigen und unterschiedlich organisierten Ansammlung vonprotestierenden Menschen zu messen? Tatsächlich stolperte #unibrennt nämlich immer wieder über die Frage, was der Zweck der Versammlung sei. So sagten viele, eben die Zweckfreiheit sei der Zweck – andere beharrten auf klar artikulierten bildungspolitischen Zielen, die nach ihrem Erreichen auch zu einem Ende der Besetzung führen könnten. Wieder andere positionierten sich dagegen mit einer Ablehnung einer „single-issue-Bewegung“ und noch weitere andere fanden an #unibrennt den  Freiraum, gemeinschaftliche Gestaltung basisdemokratisch üben zu können, zentral. Mit dieser unklaren Positionierung und diesem uneindeutigen Selbstbild stolperte man zwangsläufig über gesamtgesellschaftliche Phänomene. So kam es zu sexuellenÜbergriffen und sexueller Gewalt, und dazu, dass sich einige gegen die im Wiener Audimax Unterschlupf suchenden wohnungslosen Menschen stellten, anstatt sich zu solidarisieren.

Auch Ina sagt, dass von der Besetzung nicht viel mehr als „eine Facebookseite und ein Twitteraccount“ übrig geblieben seien: „Und dass die Leute später einmal überromantisiert ihren Kindern davon erzählen können. Was bei #unibrennt so schnell entstanden ist,  ist leider ebenso schnell wieder verpufft.“

*Die Namen wurden auf Wunsch der Interviewten geändert und sind der Redaktion bekannt.

Flora Eder studiert Sozialwissenschaften an der Uni Wien.

Ich mach meinen Master bei Humboldt

  • 28.09.2012, 10:47

Beliebt bei Unibrennt und Rektorat, Grünen und ÖVP, in der Werbung und bei Protesten – Wilhelm von Humboldt bringt Gegensatzpaare auf einen Nenner. Unsere Autoren allerdings sind sich nur in ihrer Skepsis an diesem Hype einig. Ihre Meinungen gehen auseinander.

Beliebt bei Unibrennt und Rektorat, Grünen und ÖVP, in der Werbung und bei Protesten – Wilhelm von Humboldt bringt Gegensatzpaare auf einen Nenner. Unsere Autoren allerdings sind sich nur in ihrer Skepsis an diesem Hype einig. Ihre  Meinungen gehen auseinander.

Pro: Was noch nicht ist

Humboldt ist also wieder en vogue. Besonders in den Stoßzeiten sogenannter Bildungsproteste begegnet man der Beschwörung Humboldts als akademischer Säulenheiliger auf Flugblättern wie in Seminaren, auf Plakaten wie im Feuilleton. Für eine Auseinandersetzung mit seiner Theorie ist in der Hitze des Gefechts freilich selten Zeit. Und wenn sie doch passiert, steht neben vollmundigen Ratschlägen und bildungspolitischen Weisheiten meist entweder die Meinung „Humboldt ist schlicht veraltet“ oder die Forderung „Zurück zu Humboldt!“. Als letzte Weisheit untermauert die eine wie die andere das eigene Argument und damit scheint dann auch schon alles gesagt.

Dass der Bezug auf Humboldt immer recht instrumentell daherkommt,  überrascht nicht. Humboldt ernst zu nehmen, würde bedeuten, sich mit jenem idealistischen Gelehrtendeutsch zu befassen, dem man als kritischeR StudentIn am liebsten die Diskursberechtigung entzöge. Anstatt einer solchen Auseinandersetzung werden zentrale Konzepte in Humboldts Werk wie Freiheit, Kraft und Ich, allerdings meist situationselastisch an die Bedürfnisse des zeitgenössischen Publikums angepasst und letztlich auf den Slogan von der Unabhängigkeit der Universität reduziert. Humanistische Bildung heißt für Humboldt jedoch mehr als das obligatorische „Bildung für alle“: Ihr Zweck ist der Zustand der „ungebundensten Freiheit“, der denkbar größten Autonomie und Individualität des Menschen. Die Verhältnisse, die von den Einzelnen Selbstzurichtung und Einpassung ins gesellschaftliche Ganze einfordern, tangieren Humboldts idealistische Freiheit nicht: Seine Ideen zielen auf die Erziehung der Menschen zu freien BürgerInnen ab. Durch Bildung, so der Impetus von Humboldts Humanismus, sollen die Menschen in ein freies Verhältnis zur Welt treten, zu einer kapitalistischen Welt wohlgemerkt, deren Zusammenhalt durch verborgenen Zwang und Wertverwertung garantiert wird.

Was aber, wenn die Verwirklichung dieses Humboltschen Ziels zwangsläufig scheitert, wenn die Welt, zu der sich das Individuum in Freiheit stellen soll, ihm ies verweigert? Die zuweilen schmerzhafte Erfahrung, dass der Begriff und die Sache, die Möglichkeiten und die Realität, unsere Bedürfnisse und ihre Erfüllung unversöhnlich auseinanderklaffen, birgt das Potenzial, den Mangel infrage zu stellen. Nicht das Bedürfnis nach Freiheit trägt die Schuld am Widerspruch, sondern deren gesellschaftlich verursachte Abwesenheit. Humboldts großes Projekt zielt auf die Freiheit der Menschen, total und kompromisslos. An diesem Anspruch an Bildung gilt es trotzig festzuhalten, solange seine Einlösung nur im deutschen Ideenhimmel, nicht aber in der gesellschaftlichen Wirklichkeit gelungen ist.

Simon Gansinger

Contra: Hohle Parole

„Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“ steht über der Haupttreppe zu lesen, die in die oberen Stöcke des Neuen Institutsgebäudes der Universität Wien führt. Dieser Satz geht auf Gedankengut zurück, das schon Wilhelm von Humboldt vor über 200 Jahren umzusetzen versuchte. Die damals durchgeführte Staatsreform reagierte auf den Gebietsverlust, den der preußische Staat durch die Niederlage gegen Napoleon erleiden musste. Die Forderung nach Einheit von Forschung und Lehre zielte auf eine Beteiligung der ausschließlich männlichen Studenten an der Forschung.* Es ging dabei um die Bildung des gesamten Menschen im Sinne eines humanistischen Ideals.

Heute hingegen ist diese Vorstellung zu einer Art Lehrverpflichtung für ForscherInnen geraten, das Recht auf Ausschlachtung der Arbeit der von ihnen abhängigen Studierenden mitinbegriffen. Aber der Fehler liegt nicht in erster Linie darin, dass die einst so hehren Ideale Humboldts heute heruntergekommen wären oder im Grunde mit jenen der heutigen Zeit, die unter Berufung auf ihn kursieren, gar nicht vergleichbar sind. Eine Reihe von Problemen sind bereits dem Humanismus selbst und dem entsprechenden Bildungsideal inhärent. Der Humanismus geht davon aus, dass der Mensch sich entfalten und zu seinem wahren Wesen gedeihen soll und dazu einer gewissen Förderung bedarf.

Der Mensch wird also erst zweitrangig als soziales Wesen verstanden, das sich in seiner je spezifischen Gesellschaft zu dem entwickelt, was es ist. Im humanistischen Ideal schwingt zunächst ein relativ starres Bild davon mit, wie ein Mensch zu sein hat. Die Erziehung macht sich nun daran, dieses Bild aus den Individuen heraus zu meißeln. Das Ergebnis, schon zu Humboldts Zeiten, war ein von pädagogischer Strenge geprägter Elitarismus, der gedanklich einen großen Teil der Menschen überhaupt vom Menschsein ausschloss: eben jene, die diesem Bild nicht entsprechen wollten oder nicht entsprechen konnten. Der Zugang zu Gymnasien war damals schließlich begrenzt – und ist es aufgrund sozialer Selektion noch immer. Jetzt ließe sich freilich einwenden, das wäre gar keine Kritik am Humboldtschen Bildungsideal, sondern an den gesellschaftlichen Bedingungen, die seine Realisierung verunmöglichen. Und der Einwand gilt sogar. Nur zeigt sich an ihm, dass der Humanismus, nimmt man ihn ernst, sofort auf die Gesellschaft als Ganzes verweist. Und deshalb erscheint das humanistische Ideal auch schief, falsch und rückwärts orientiert, wird der Hinweis auf das Privileg vergessen. Ein solcher Humanismus ist ein mit großen Parolen geführter Abwehrkampf. Er versucht, die Oberfläche zu bewahren, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass der Untergrund längst weggeschwemmt wurde – und deshalb tönt er so hohl.

* Frauen durften in Preußen erst ab 1896 maturieren und ihnen war somit der Zugang zur Universität bis dahin verwehrt.

Autor Simon Sailer

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