Zweiter Weltkrieg

Lady Death

  • 20.06.2017, 22:22
More than three hundred nazis fell by your gun.

More than three hundred nazis fell by your gun.

Eine Frau muss geschützt werden, neue Soldaten gebären und von der Heimat aus die Kriegsfront versorgen. Eine Soldatin ist heute wie damals die Ausnahme der männlichen Regel. Krieg, Gewalt und Brutalität stehen im künstlichen Widerspruch zu allen weiblichen Rollenbildern. Wenn wir heute eine Frau in Uniform stecken, ist diese im Normalfall knapp geschnitten und erfüllt keinen weiteren Zweck, als sexuelle Fantasien zu befriedigen. Aber warum eigentlich? Mal ganz abgesehen davon, dass Krieg abzulehnen ist, warum sollte es im Krieg männliche Privilegien geben? Kurz gesagt ist es eine Frage von Macht, denn was bedauerlicherweise immer galt und noch heute gilt: „Politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.“

IN DIE STIEFEL! 1998 durchbrachen hierzulande erstmals neun Frauen diese Männerdomäne und rückten beim österreichischen Bundesheer ein. Bis dahin war es Frauen schlichtweg nicht erlaubt, Soldatin zu werden. Ganz ähnlich wie in vielen anderen Staaten der Welt. Während des Zweiten Weltkriegs waren Frauen keine regulären Soldatinnen, mit Ausnahme in den Sowjet-Republiken. Die Genossen und Genossinnen nahmen die Sache mit den „gleichen Rechten für alle“ (vergleichsweise) richtig ernst und ermöglichten den Bürgerinnen den freiwilligen Militärdienst. Die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter in der Sowjetunion wischte die veralteten Rollenbilder auch im Kommunismus nicht augenblicklich vom Tisch, dennoch waren die Kommunist_innen in Sachen Gleichberechtigung dem Rest der Welt um einiges voraus.

Im Herzen des „friedlichen“ Europas und als Teil einer Generation, welche Kriegsleiden nur vom Sensationsjournalismus kennt, wirkt die Vorstellung vom Kriegsdienst befremdlich. Bittere Realität war die Bedrohung durch einfallende Nazis 1941 für eine junge ukrainische Genossin.

ADLERAUGEN. Ljudmila Pawlitschenko war begeisterte Studentin der Geschichtswissenschaft, als ihr die Nationalsozialist_innen in die Quere kamen. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion unter dem Decknamen „Unternehmen Barbarossa“ meldete sie sich freiwillig zum Militärdienst. Anstatt ihrer Traumberufung weiter nachzugehen, nutzte sie ihr außerordentliches Talent als Präzisionsschützin.

Ihre Zielsicherheit bemerkte sie mehr zufällig. So wie manche ins Kino gingen, amüsierten sich zu jener Zeit die jungen Erwachsenen auch am Schießstand. Als Ljudmila eines Tages gegen ihre Genossen in einem spielerischen Wettkampf eine fast perfekte Serie schoss, ermöglichte ihr der Schießbudenbesitzer eine Ausbildung als Scharfschützin bei der Roten Armee. Sie sollte die beste und gefürchtetste Scharfschützin im Zweiten Weltkrieg werden.

MYTHOS LADY DEATH. Insgesamt 309 Wehrmachtssoldaten, überwiegend Kommandanten und Führungskräfte, wurden von ihr getötet. Sie war einerseits eine wertvolle Soldatin der Sowjetunion, andererseits eine politische Waffe für die Aufrechterhaltung des Kampfgeistes. Stadt für Stadt rückten die Nazis vor und hinterließen nichts als Tod und Zerstörung. Die Wehrmacht ermordete im Ostfeldzug etwa 40 Millionen Sowjetbürger_innen, die Hälfte davon waren Zivilist_ innen. Der Mythos der unverwundbaren Scharfschützin stärkte den Widerstand und die Hoffnung.

NACHTHEXEN. Ljudmila wurde zum Idol kommunistischer Frauen, die sich wie sie nicht ängstlich versteckten, sondern aktiv gegen die Invasoren kämpfen wollten. Sie akzeptierten weder die passive Rolle noch ließen sie sich in den klischeehaften Sanitätsdienst drängen. Sie wollten kämpfen. Ljudmila war nicht die einzige berühmte Soldatin der Roten Armee. Die sogenannten „Nachthexen“ erzielten beachtliche militärische Erfolge bei den unzähligen riskanten Luftangriffen mit umgebauten Flugmaschinen aus der Landwirtschaft.

Auf Feindesseite wurden Ljudmilas Trefferquote und ihr tödlicher Ruf zum Problem. Mittels Propaganda über ihren Tod sollte den Wehrmachtssoldaten die Angst vor ihr genommen werden. Scharfschützen wurden an die Ostfront geschickt, um sie auszuschalten. Kein einziges Duell verlor sie. Insgesamt 36 der besten Wehrmachtsschützen tötete Pawlitschenko. Während die Nazis sie als die „Russische Hure aus der Hölle“ fürchteten, wurde sie in den USA als „Lady Death“ gefeiert:

“Miss Pavilichenko’s well known to fame;
Russia’s your country, fighting is your game;
The whole world will love her for a long time to come,
For more than three hundred nazis fell by your gun.”

Der US-amerikanische Folksänger Woody Guthrie widmete ihr dieses Lied. Sie wurde als Teil der sowjetischen Delegation nach Washington eingeladen, wo sie für den Kriegseintritt der USA werben sollte. Zunächst wurde sie von der US-Presse belächelt und wegen ihres wenig glamourösen Auftretens kritisiert. Ein Reporter fragte sie, ob russische Soldatinnen an der Front Make-up tragen dürften. Sie erwiderte: „Es gibt keine Regel dagegen. Aber wer hat Zeit, über seine glänzende Nase nachzudenken, während ein Kampf tobt?“

Während ihrer Reise traf Ljudmila auf die First Lady. Eleanor Roosevelt war offen von der Soldatin fasziniert und lud sie als erste Sowjetbürgerin ein, im Weißen Haus zu residieren. Die beiden Frauen aus so gegensätzlichen Gesellschaften blieben ein Leben lang befreundet.

Ljudmila war klug, talentiert, mutig und Kommunistin. So wurde sie zum Vorbild sowjetischer Frauen, sich auch in der klaren Männerdomäne Krieg und Militär ihren Platz zu nehmen und gegen den Nationalsozialismus zu kämpfen. 40 Jahre nach ihrem Tod wurde ihre außergewöhnliche Rolle im Zweiten Weltkrieg verfilmt. 2015 feierte die russisch-ukrainischee Produktion „Red Sniper“ Premiere und wurde ein Riesenerfolg.

Christina Müller hat in Potsdam MilitaryStudies studiert und arbeitet im Büro für Sicherheitspolitik.

In Hitlers Badewanne

  • 25.06.2015, 11:23

„Mein Name ist Lee Miller, und ich bin Ihre neue Schülerin.“ Mit diesen an Man Ray gerichteten Worten begann Lee Miller ihre Karriere als Fotografin im Jahr 1929 in Paris.

„Mein Name ist Lee Miller, und ich bin Ihre neue Schülerin.“ Mit diesen an Man Ray gerichteten Worten begann Lee Miller ihre Karriere als Fotografin im Jahr 1929 in Paris.

Zuvor war die damals 22-Jährige in New York vor den Kameras renommierter Fotografen wie Edward Steichen gestanden. Das Werk der Amerikanerin ist untrennbar mit ihrer legendären Biografie verbunden. In der Albertina wird nun anhand von 100 Fotos aus den Jahren 1929 bis 1945 Lee Millers Entwicklung von der surrealistischen Fotokünstlerin zur fotografierenden Kriegskorrespondentin nachvollzogen. In den 1930ern schuf sie gemeinsam mit Man Ray ikonische Bilder des Surrealismus; als Statue in Jean Cocteaus Film „Le

Sang d’un Poète“ wurde Lee Miller zum steinernen Mythos. Ironisch gebrochen wird die Reihe weiblicher Akte durch ihre Fotos von amputierten Brüsten, arrangiert auf Tellern mit Messer, Gabel und Dessertlöffel. Ab 1940 inszenierte die Fotografin Mode und Mannequins – etwa mit Brandschutzmasken am Eingang zu Schutzkellern – für die englische Vogue. Der leicht(fertig)e Schritt an diesen vom Surrealismus geprägten Bildwelten vorbei wird im hinteren Raum  der  thematisch  angeordneten Ausstellung dann abrupt unterbrochen.

1945 fotografierte Lee Miller als Kriegsreporterin in Deutschland. Einschneidend ist bei diesen Aufnahmen nicht nur die Brutalität der Sujets selbst – der tote, im Kanal treibende SS-Mann oder die befreiten Häftlinge in Lageruniform, aufgereiht vor einem Leichenberg – sondern auch deren Inszenierung durch die Fotografin. Die ganze Wucht von Lee Millers „ungeheurer" Persönlichkeit  offenbart sich in jenen berühmten Aufnahmen, die ihr Kollege David E. Scherman am 30. April 1945 von ihr machte. Während sich Hitler im sogenannten Führerbunker mit der Pistole der Verantwortung entzog, wusch sich Lee Miller den Staub der Konzentrationslager in der Badewanne dessen Münchner Wohnung vom Körper und legte sich in legerer Pose mit Zigarette in Eva Brauns Bett. Der Gang aus der Wiener Albertina nach draußen ist kein lässiger, hingehen und um eine beeindruckende Erzählung reicher werden, ist trotzdem empfehlenswert.

„Lee Miller“ Kurator: Walter Moser
Albertina Wien
bis 16.8.2015


Flora Schausberger studiert Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien.