WM

„Auch die FIFA ist ein politischer  Akteur“

  • 09.07.2014, 19:43

Sport bewegt die Massen. Das zeigen nicht nur feiernde Fußballfans, sondern auch die Proteste auf den brasilianischen Straßen. Aber nicht nur in Zeiten der WM prallen Sport und Politik aufeinander, meint der Politologe Georg Spitaler.

progress: Sie forschen als Politikwissenschaftler zum Thema Sport und Politik. Mit welchen Fragen setzen Sie sich auseinander?
Georg Spitaler: Das hängt davon ab, mit welchem Politikbegriff man arbeitet. Es gibt PolitikwissenschaftlerInnen, die mit einem sogenannten „engen Politikbegriff“ arbeiten, die befassen sich eher mit dem Verhältnis von Institutionen, Staatlichkeit und Sport – also mit der Art und Weise, wie Sport politisch reguliert und gesteuert wird. Ich arbeite eher mit einem weiteren Politikbegriff und beschäftige mich zum Beispiel mit kollektiven Identitäten und Identitätspolitik im Sport. Da geht es dann etwa um die Frage, wie Geschlecht im Sport konstruiert wird, oder wie Exklusionen, wie etwa Antisemitismus und Rassismus, im Sport funktionieren. Auch der Körper im Allgemeinen ist ein interessantes Thema im Sport, denn in ihn schreiben sich verschiedene Identitäten und Macht als solche ein.

Vor ein paar Wochen ging ein Video viral, in dem Obama in einem Fitnessraum eines Hotels beim Trainieren zu sehen war. Die Medien haben daraufhin Obamas sportliche Leistung mit der Putins, von dem ähnliche Aufnahmen im Netz kursieren, verglichen. Was macht den Körper der PolitikerInnen so interessant?

In der Mediendemokratie ist die Darstellung politischer Körper ein wichtiger Teil von Politikvermittlung. Es geht hier um die Demonstration von Macht und von verschiedenen Regierungsstilen. Inszenierungen von Fitness lassen sich in der Politik besonders im Wahlkampf auf Plakaten und in Werbespots wiederfinden – da wird oft auf Metaphern aus dem Sport zurückgegriffen, um politische Inhalte mit der positiven Sphäre der Freizeitkultur in Verbindung zu bringen. Bei Putin geht es dabei meist um machtvolle Inszenierungen und die Darstellung von Stärke. Ich denke bei Obamas Inszenierung steht hingegen stärker die Inszenierung von Normalität und Alltäglichkeit im Vordergrund. Sie soll uns sagen: Auch Obama geht ins Fitnesscenter. Das macht ihn für uns authentischer. Es geht dabei aber auch darum, Selbstdisziplin zu illustrieren und zu zeigen, dass man seinen Körper in Schuss hält. Das passt auch zu politischen Metaphern wie etwa „dem schlanken Staat“. Es passt gut zusammen, wenn PolitikerInnen einerseits ins Fitnesscenter gehen und sich andererseits gleichzeitig für eine neoliberale Wirtschaftspolitik stark machen.

Stehen sich Sport und Politik heute näher als zu anderen Zeiten?

Inszenierungen im Sport haben eine lange Tradition. Es gibt sie spätestens seit der Etablierung des Massensports und der Herausbildung von Nationalsportarten, in Österreich seit der Zwischenkriegszeit. Der Massensport ging mit der Konstruktion des Nationalen einher – das heißt, sportliche Erfolge wurden seither mit nationalen, lokalen oder regionalen Identitäten verknüpft. Es gab in dieser Zeit in vielen Ländern auch viele explizit politisierte Körperkulturen – wie in Österreich etwa der ArbeiterInnensport. Da gab es Massenorganisationen und öffentliche Aufmärsche, das Wiener Praterstadion wurde etwa 1931 für die Arbeiterolympiade gebaut, das war ein klares politisches Ritual. Das gab's natürlich nicht nur auf der Seite der ArbeiterInnen, sondern etwa auch bei den nationalsozialistischen Verbänden mit Verbindung zu militärischen Organisationen, die dann etwa Gymnastik oder Turnen, zum Teil auch öffentlich, praktiziert haben. Gleichzeitig gab und gibt es im Sport aber auch oft die Rhetorik des Unpolitischen. Viele AkteurInnen betonen eine Trennung der Bereiche Sport und Politik. Diese Idee gibt es spätestens seit der modernen Neuerfindung  der Olympischen Spiele durch Pierre de Coubertin, mit dem Olympismus als ziviler Religion. Olympische Spiele gelten aus dieser Sicht als unpolitischer Raum, eine Art Auszeit von der Politik. Sie wurden zur Bühne zentraler Werte der bürgerlichen Ära, die aber natürlich auch wieder politisch sind, siehe etwa Konzepte der Konkurrenz, der Fairness, angeblicher Chancengleichheit oder der Nation.

Auch FIFA-Präsident Joseph Blatter hat unlängst, in Hinsicht auf die laut gewordene Kritik an der Entscheidung, die nächste Fußball-WM (2018) in Russland stattfinden zu lassen, gemeint, man solle den Fußball vor der Politik und politischer Einmischung schützen. Inwiefern ist Sport ein Instrument der Politik?

Die FIFA ist ein globaler Akteur, der sicher auch ein politischer Akteur ist, sonst würde sie nicht darauf bestehen, bei Verhandlungen an einem Tisch mit anderen politischen Akteuren wie der EU zu sitzen. Bei Blatters Aussagen geht es wohl eher darum zu zeigen, dass es allein die FIFA ist, die die Politik des Fußballs macht. Im Hinblick auf Ihre Frage müssen wir aber differenzieren, was wir unter „der Politik“ verstehen. Am Beispiel Brasiliens wird deutlich, dass man nicht einfach sagen kann, dass etwa die brasilianische Regierung alleine von der WM profitiert. Im Kontext der WM zeigt sich, wie kompliziert die Governance- und Regierungsstrukturen bei einer solchen Entscheidungsfindung sind. Da gibt es etwa lokale Interessen wie die der Veranstalterstädte, die eine Rolle spielen, dann die der nationalen Regierungen und auch der Verbände, in dem Fall etwa des brasilianischen Fußballverbands, der übrigens auch eine lange Tradition von Korruption hat. Wenn hier wirklich jemand profitiert, dann ist das neben der FIFA und der Bauwirtschaft wohl der nationale Verband, der an möglichen Gewinnen beteiligt wird. Im Hinblick auf die politischen Proteste innerhalb der Bevölkerung war es für die brasilianische Regierung natürlich auch ein Risiko, dieses Großereignis zu veranstalten.

An der aktuellen WM wird deutlich, wie stark ein Sportevent ein Land in Aufruhr bringen kann. Im Vorfeld gab es bereits laute Demonstrationen und Repression gegen die Protestierenden. Es wird befürchtet, dass bei einer Niederlage Brasiliens die Situation endgültig eskalieren könnte. Welche Rolle spielt Sport im Protest und in sozialen Bewegungen?
Einerseits kann Sport dazu dienen,eine soziale Bewegung zu festigen, siehe etwa die ArbeiterInnenbewegung, in der es viele Sportvereine gab. Andererseits können Megaevents wie die WM auch große Proteste triggern. In den letzten Jahren wird die enorme mediale Öffentlichkeit dieser Megaevents zunehmend dazu genützt, um auf bestimmte Probleme und Anliegen aufmerksam zu machen. Am Beispiel Brasiliens wird sichtbar, welche politischen und sozialen Folgen ein Megaevent wie die WM hat: Der öffentliche Raum wird verändert, etwa wenn es um privatisierte Fanzonen, Sicherheitsmaßnahmen oder Umsiedlungen geht. BürgerInnenrechte werden im Zuge dessen weiter eingeschränkt. Das Missverhältnis von enormem Aufwand der Veranstaltung und nur schleppend verlaufendem Fortschritt bei Infrastruktur und Grundversorgung verursacht Proteste – sowohl gegen die FIFA als auch gegen die lokalen Regierungen.

Georg Spitaler lehrt am Institut für Politikwissenschaft in Wien, forscht zum Thema Sport und Politik und schreibt für das Fußballmagazin Ballesterer.
Das Interview führte Simone Grössing
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Foto: by-nc-sa  Joe Shlabotnik

WM im gespaltenen Land

  • 13.07.2012, 18:18

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika steht kurz bevor. Der Weltfußballverband FIFA verspricht ein Freudenfest, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Doch zum Feiern ist vielen SüdafrikanerInnen eigentlich nicht zu Mute. Zu groß sind die Probleme im eigenen Land.

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika steht kurz bevor. Der Weltfußballverband FIFA verspricht ein Freudenfest, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Doch zum Feiern ist vielen SüdafrikanerInnen eigentlich nicht zu Mute. Zu groß sind die Probleme im eigenen Land.

In ihren Augen waren wir keine Menschen. “Als der 24-jährige Mathematiker MarcusSolomon 1964 seine 15-jährige Haftstrafe wegeniderstandes gegen die Staatsgewalt im Hochsicherheitsgefängnis von Robben Island antrat, wurden er und die anderen Häftlinge „wie Säcke von Kipplastern abgeladen“, erzählt Solomon. Hier, auf der Gefängnisinsel zwölf Kilometer vor Kapstadt, schlug die Unmenschlichkeit des Apartheid-Regimes mit voller Wucht zu. Unter der Woche mussten die 1.400 Insassen im Steinbruch bis zur völligen Erschöpfung arbeiten. Am Wochenende wurden sie wie Tiere in ihre Zellen gepfercht. Das Ziel der Handlanger des Buren-Regimes war klar: Der Wille der politisch unangenehmen Häftlinge sollte gebrochen werden. Es war aber weniger die kraftraubende Arbeit im Steinbruch, die den Insassen zu schaffen machte, als vielmehr die strikte Isolation und gähnende Langeweile an den Wochenenden. „Wenn wir doch wenigstens ein bisschen an die frische Luft gehen und Fußball spielen könnten“, dachte sich Solomon von den ersten Tagen an. Seine Mitinsassen waren von dieser Idee sofort begeistert, doch bei den Wärtern stießen sie auf taube Ohren. Dennoch: Drei lange Jahre brachten die Häftlinge Woche für Woche immer wieder den gleichen Wunsch vor: „Wir wollen Fußball spielen.“ Die Gefängnisdirektion antwortete mit Prügel und Essensentzug.

Boykott der Freiheitskämpfer. Im Dezember 1967 wurden aber einige Häftlinge auf den Hinterhof der Barracken geführt. Dort erhielten sie einen Ball und die Erlaubnis, für eine halbe Stunde Fußball zu spielen. „Endlich hatten wir zumindest ein kleines Stück unserer Freiheit zurück“, erinnert sich Solomon. Die Häftlinge blieben aber den Wärtern ausgeliefert: Sie bestimmten, wer aus den Zellen raus durfte und wie lange gespielt wurde. Hatten die Insassen zu offensichtlich Spaß, setzten sie dem Spiel jäh ein Ende. Als zwei Jahre später auf Druck des Internationalen Roten Kreuzes die Gefängnisleitung durch eine gemäßigtere ausgetauscht wurde, durften die Häftlinge endlich ihre eigenen Spiele organisieren. Es dauerte nicht lange bis auf Robben Island ein eigener Verband gegründet wurde. Dabei wurde jeder Häftling, der mitmachen wollte, mit einer Aufgabe bedacht. Wer in keinem der acht Vereine unterkam, der half als Schiedsrichter, Funktionär, Trainer oder Platzpfleger mit. Robben Islands berühmtester Häftling Nelson Mandela durfte im Gegensatz zum heutigen Staatspräsidenten Jacob Zuma, der als linker Verteidiger spielte, nicht auf den Platz. Über ihn war eine Isolationshaft verhängt worden. Er konnte allerdings zu Beginn die Spiele von seinem Zellenfenster aus mitverfolgen. Als die Gefängnisleitung das bemerkte, ließ sie eine Mauer vor dem Fenster errichten. „Wir waren Idealisten. Die Organisation des Verbandes und die Spiele waren der Versuch,in einem barbarischen Umfeld zivilisiert miteinander umzugehen“, sagt Solomon.
Die Geschichte der Fußball spielenden Häftlinge auf Robben Island war landesweit bekannt, aber knapp 15 Jahre nach dem Ende des Apartheid-Regimes interessierte sie niemanden mehr. Erst mit der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft an Südafrika wurde das Interesse daran wieder geweckt. Für den Weltfußballverband FIFA war es ein gefundenes Fressen. FIFA- Präsident Joseph Blatter reiste mehrere Male nach Robben Island, um dort mit Tränen in den Augen und „tief bewegt“, wie er sagte, den kickenden Freiheitskämpfern zu gedenken. Solomon und seine ehemaligen Weggefährten können dieser Inszenierung nichts abgewinnen. „Uns ging es ums Allgemeinwohl, die FIFA aber denkt nur ans Geschäft. Welchen Sinn macht es, wenn Stadien errichtet werden, die keiner braucht, obwohl unsere Kinder in den Townships absolut nichts haben“, kritisiert Solomon die PolitkerInnen seines Landes und den Weltfußballverband. Er selbst hat für sich schon die Konsequenzen gezogen: Er wird die Weltmeisterschaft im eigenen Land boykottieren.

Tötet die Buren. Tatsächlich ist Südafrika heute nicht nur hinsichtlich der WM ein gespaltenes Land. Die Spannungen zwischen der schwarzen und weißen Bevölkerung nahmen in der jüngsten Vergangenheit wieder zu. Das brutale soziale Ungleichgewicht innerhalb des afrikanischen Vorzeigelandes ist auch in der Post-Apartheid-Ära nicht vom Tisch. Obwohl inzwischen auch einige Schwarze den Aufstieg in die Oberklasse geschafft haben, lebt ein Großteil von ihnen heute noch immer in bitterer Armut, ohne Bildung, medizinische Versorgung und die Chance auf einen sozialen Aufstieg. Wie fragil das Gebilde Südafrika ist, zeigten die Spannungen der vergangenen Wochen. Als Eugene Terre‘Blanche, Führer der rechtsextremen Afrikaner Weerstandsbeweging (AWB), höchstwahrscheinlich von Bediensteten schwarzer Hautfarbe ermordet wurde, riefen seine AnhängerInnen offen zur blutigen Rache auf und drohten damit, das Land ins Chaos zu stürzen. Inzwischen hat der AWB-Sprecher Pieter Steyn aber erklärt, „dass seine Organisation in diesem Fall aller Gewalt abschwört.“ Julius Malema, der Anführer der ANC-Jugendliga und politische Ziehsohn von Präsident Zuma, heizte die Lage noch einmal zusätzlich an. Vor 500 Studierenden der Universität von Johannesburg stimmte er das ehemalige Kampflied der Freiheitsbewegung mit den Zeilen „Tötet die Buren, tötet die Farmer“ an.
Und das alles just in dem Moment, in dem die gesamte Weltöffentlichkeit in Erwartung der Weltmeisterschaft gespannt nach Südafrika blickt. „Ich fahre da nicht hin. Ich war nie ein großer Freund einer WM in Südafrika oder überhaupt auf dem afrikanischen Kontinent, solange Sicherheitsaspekte nicht zu 100 Prozent geklärt sind“, sagte Bayern München-Präsident Uli Hoeneß schon Anfang dieses Jahres. Mit dieser Meinung steht Hoeneß nicht alleine da. Die FIFA räumte inzwischen ein, dass anstatt der ursprünglich erwarteten 450.000 TouristInnen aus Übersee wohl nur knapp 350.000 die Reise ins südlichste Land Afrikas antreten werden. Die südafrikanische Regierung korrigierte die Zahl in ihren Berechnungen mittlerweile auf 300.000 BesucherInnen herunter. Die politische Führung des Landes sieht als Grund dafür die negative Medienberichterstattung in Übersee an. Dass die Sicherheitslage in Südafrika aber wirklich prekär ist, zeigt ein Blick in die Kriminalstatistik: 50 Menschen werden täglich in Südafrika ermordet. Die Dunkelziffer liegt laut ExpertInnen noch viel höher. Der Kampf gegen die Kriminalität ist inzwischen für viele SüdafrikanerInnen zur obersten Priorität geworden. So erklärte Max Price, der Vizerektor der University of Capetown, in einer viel beachteten Rede anlässlich der Begräbnisfeierlichkeiten des ermordeten Studenten Dominic Giddy, „dass die Apartheid zusammengebrochen ist, als die Zivilgesellschaft entschieden hat, dass sie am Ende ist. Jetzt müssen wir als Gesellschaft beschließen, dass Schluss sein muss mit der Kriminalität.“ Einen wesentlichen Teil der Schuld sieht Giddy in den PolitkerInnen des Landes. „Ihr müsst endlich beweisen, dass ihr es ernst meint. Wenn ihr das macht, unterstützen wir euch. Aber wenn Ihr, wie bisher, leichtfertig mit unseren Leben umgeht, werden wir euch den Mittelfinger zeigen und euch abwählen.“ Der Protest gegen Gewalt und Verbrechen findet immer mehr AnhängerInnen. So wurden vor kurzem auf eine Initiative der größten unabhängigen Gewerkschaftsbewegung des Landes 18 Schubkarren voll mit 107.000 Briefen, die zum Kampf gegen die Kriminalität auffordern, persönlich bei Präsident Zuma abgegeben.

Schwer bewaffnete Spezialeinheiten. Die WM-TouristInnen werden die Gewalt wohl dennoch nicht zu fürchten haben. Insgesamt 88.000 PolizistInnen, darunter schwer bewaffnete Spezialeinheiten, sollen die BesucherInnen von den „dunklen Seiten“ Südafrikas abschirmen. FIFA-Boss Blatter ist zuversichtlich: „Wir können nur für ein Minimum an Sicherheit garantieren, doch für den Rest haben wir von Anfang an Südafrika vertraut. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, die WM-Premiere in Afrika könne kein Erfolg werden. Wir ziehen doch nicht in den Krieg, wir sprechen über ein Fest“, erklärte er im März. Ein Fest, das von 88.000 Truppen beschützt werden muss.
Die finanziellen Mittel, die die südafrikanische Regierung für die Ausrichtung der WM in die Hand nimmt, sind enorm. Alleine in den Neubau bzw. die Renovierung der zehn WMStadien fließen € 1,25 Milliarden. Für Infrastrukturmaßnahmen rund um die Stadien stellt die Regierung rund € 570 Millionen bereit. Als Teil eines viel größeren Investitionsprogramms zur Verbesserung der Infrastruktur im Land wurden in den letzten vier Jahren insgesamt etwa € 36 Milliarden investiert. Zum Vergleich: Die bis dato teuersten Olympischen Spiele waren die jüngsten in Peking, wo die Kommunistische Partei Chinas rund € 28 Milliarden in die Hand nahm. Ein Teil-Nutzen dieses Programms für die Bevölkerung, die dadurch künftig zum Beispiel auf ein verbessertes öffentliches Verkehrswesen zurückgreifen kann, ist unbestritten. Wie viel Geld die WM im Gegensatz dazu in die Kassen des südafrikanischen Staates spülen wird, ist hingegen mehr als umstritten. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Austragung solcher sportlichen Großereignisse manchmal weit weniger bringt als erwartet wird. Mitunter kann ein Event dieser Größenordnung auch ins Negative umschlagen. Die kanadische Stadt Montreal, Austragungsort der Olympischen Winterspiele 1976, konnte sich erst 30 Jahre später von den daraus resultierenden Schulden befreien. In Südafrika rechnet die Regierung mit einem Plus von € 1,7 Milliarden alleine aus den Steuereinnahmen. € 760 Millionen sollen die WM-TouristInnen im Land lassen.
Wichtigste Aufgabe der WM in Südafrika ist aber ohnehin nicht die Erwirtschaftung vonmöglichst viel Geld, sondern vielmehr die Förderung einer landesweiten, einheitlichen Identität. Sportliche Erfolge spielen in der jungen Geschichte der Post-Apartheid-Ära eine wichtige Rolle. So brachte der Gewinn des Afrika-Cups 1996 im eigenen Land eine riesige Welle der Begeisterung mit sich. Für kurze Zeit waren alle sozialen Probleme im Land vergessen, im Freudentaumel schienen für kurze Zeit alle gleich. „Wir müssen den Sport nützen, um unser Volk in die Richtung eines vom Rassismus befreiten Südafrikas zu lenken. Wir müssen ihn für unser Nationbuilding nutzen, um Selbstwertgefühl und Nationalstolz zu stärken“, erklärte der ehemalige Sportminister Makhenkesi Stofile.

Blatter und der Friedensnobelpreis. Die „Bafana Bafana“, wie die SüdafrikanerInnen ihre Landesauswahl nennen, könnte Stofile einen Strich durch die Rechnung machen. Seit Jahren sucht die Mannschaft, die vom Brasilianer Carlos Alberto Parreira für eine Millionen-Gage trainiert wird, den Anschluss an die afrikanische Spitze. Nur wenn das Team rund um Spielmacher Steven Piennar über sich hinauswächst, kann ein Aus in der Vorrunde vermieden werden. Sollten sich die Gastgeber aber bereits vorzeitig aus dem Turnier verabschieden, was angesichts der Gruppengegner Frankreich, Mexiko und Uruguay sehr wahrscheinlich ist, dann ist es mit der Euphorie schnell wieder vorbei. Ein blamabler Auftritt der „Bafana Bafana“ könnte sich für die ganze WM als Sicherheitsrisiko erweisen.
Joseph Blatter hingegen will von alledem nichts wissen. Seit Monaten tourt der 73-jährige Schweizer rund um den Globus, um gute Stimmung für „seine“ WM in Südafrika zu machen. Als im Dezember 2009 der offizielle WM-Ball „Jabulani“ in Kapstadt der Öffentlichkeit präsentiert wurde, bekam diese auch einen völlig losgelösten FIFA-Präsidenten zu sehen. „Jabulani, ich liebe dich“, war der mächtige Funktionär nicht mehr zu halten. Nach der erfolgreichen Vergabe der WM an Südafrika hat der „Sonnenkönig“, so Blatters Spitzname, neben einer vierten Amtszeit als oberster Fußball-Funktionär, bereits ein weiteres Ziel vor Augen. Nicht weniger als den Friedensnobelpreis soll Blatter im Visier haben. Er sprach von diesbezüglichen „Initiativen“, die jetzt an ihn „herangetragen werden“. Unbescheiden wie er ist, sagte er aber auch: „Wenn wir einen Nobelpreis bekommen sollten, dann gebührt dieser der gesamten FIFA und nicht einem Mann.“ Falls die Auszeichnung aber doch direkt an ihn gehen würde? „Dann würde ich ihn nicht ablehnen. Natürlich nicht. Das gehört sich doch nicht.“