Whitewashing

„Fuck White Tears“

  • 13.05.2017, 13:48
Ein Film, der eigentlich nicht existieren kann. Interview mit der Filmemacherin Annelie Boros.

„Ich denke, du solltest diese Frage dir selbst stellen. Ich kann sie nicht für dich beantworten.“ Kopfschütteln. Kurze Pause. „Aber ich bin mir sicher, dass ich nicht fähig wäre in deine Welt zu kommen, um einen Film über dein Leben zu machen.“ Die südafrikanische Dozentin, Aktivistin und Filmemacherin Zethu Matebeni beantwortet die Frage der deutschen, weißen Filmemacherin Annelie Boros sehr ehrlich: Was die Dozentin denn davon halte, dass sie als Weiße einen Film über die Studierendenproteste in Südafrika macht? Die Antwort Matebenis ist nur ein Beispiel der Kritik, mit der die junge Filmemacherin in Südafrika konfrontiert war. Boros wurde gezwungen, sich mit ihrem „white privilege“ auseinanderzusetzen und gleichzeitig Protagonistin ihres eigenen Films zu werden. Auf dem diesjährigen Ethnocineca-Filmfestival erhielt sie dafür den „Ethnocineca Students Shorts Award“. progress sprach mit ihr über ihre Erfahrungen.

Du bist nach Südafrika gefahren, um einen Film über die dortigen Studierendenproteste zu machen. Von mehreren deiner Protagonist*innen kommt die Kritik, dass diese „Art von Geschichten nicht von weißen Menschen erzählt werden sollten“. Wieso wolltest du gerade diese Geschichte erzählen?
Ich studiere in München Dokumentarfilm, Regie und Fernsehjournalismus. Den Film machte ich im Rahmen eines Seminars. Die Universität wählt jedes Mal ein Land aus. In diesem Fall Südafrika. Als ich angefangen habe zu recherchieren, bin ich auf die Studierendenproteste gestoßen, auf eine junge Generation Südafrikas, die Anfang der 1990er geboren wurde, also nach der Freilassung Nelson Mandelas und seiner Ernennung zum Präsidenten. Diese Generation wird auch „Born Frees“ genannt. Es ist eine Generation, die angeblich frei ist und die gleichen Rechte wie Weiße haben sollte. Das Problem ist allerdings, dass sie diese Freiheit nicht wirklich erfahren. Viele sind täglich mit Gewalt konfrontiert, wohnen mit ihrer Familie auf engstem Raum, merken wie Weiße bei der Job- und Wohnungssuche bevorzugt werden. Sie sind tagtäglich mit Rassismus konfrontiert. Wenn man angeblich frei ist, das aber nicht so erlebt, ist es klar, dass die Frustration steigt. Schließlich hat man nur dieses eine Leben, diese eine Jugend, um Bildung zu erlangen, um zur Schule, zur Uni zu gehen.

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Wie kam es dann zu diesen Protesten und wie entwickelten sie sich weiter?
Die Studierendenproteste gehen schon länger, aber es gab mehrere Kampagnen, die sich parallel entwickelten. In meinem Film behandle ich den Beginn der Kampagne #RhodesMustFall. Rhodes war ein großer Kolonialherr, dessen Statuen noch in ganz Südafrika stehen. Das ist so, als ob man in Deutschland die Hitler-Statuen nicht abgerissen hätte. Darüber wurde noch nicht genug geredet, die Verarbeitungsprozesse in der Gesellschaft sind noch nicht vorangeschritten. Daher ging es los mit #RhodesMustFall, das entwickelte sich zu #ZumaMustFall und dann eben #FeesMustFall. Die Proteste stellten sich gegen die Regierung, gegen den Präsidenten und gegen Studiengebühren, um Gleichheit durch freie Bildung zu ermöglichen.

Weißt du, wie die Situation heute ausschaut?
Die Proteste gibt es nach wie vor. Das Problem ist in keinster Weise gelöst. Aber mein persönlicher Eindruck ist, dass deutlich mehr über die bestehenden Probleme gesprochen wird. Gleichzeitig geht es jedoch oft um die Frage, wie weit man für die Aufmerksamkeit eines Protestes gehen darf. Es wird viel über Gewalt gesprochen, die von den Demonstrierenden ausgeht und da bleiben die Inhalte manchmal auf der Strecke.

Letztendlich stehen nicht die Studierendenprostete im Fokus deines Films, sondern wie die Menschen dir begegnen. Wann hast du für dich entschieden, dass du nicht die Studierendenproteste, sondern dich in das Zentrum des Films stellst?
Das war tatsächlich die erste Demonstration. Wir sind in Südafrika angekommen und es gab eine große Demonstration anlässlich der „State of the Nation Adress“ – also der großen Ansprache des Präsidenten zur Lage der Nation. Zu diesem Anlass gibt es jährlich große Demonstrationen. Es ist fast schon eine Tradition, dass die Gegner des Präsidenten auf die Straße gehen. Dort haben wir nach Studierenden gesucht, die auch demonstrierten. Als wir die Studierenden fanden, wurden wir angegriffen dafür, dass wir als Weiße mit der Kamera auf sie zeigen und sie – nach Wortlaut eines Protagonisten – zu Tiere degradieren, auf sie runterschauen, nur um eine gute Geschichte zu bekommen. Das war die erste Konfrontation. Ich nahm das sehr ernst und mir war sofort klar, dass ich keinen Film mehr über die Studierendenproteste dort machen kann, wenn ich von den Studierenden gesagt bekomme, dass das unmöglich ist, was ich hier mache. Danach gab es eine kleine Krise bei mir. Ich bin zum Entschluss gekommen, das Konzept zu ändern: Nicht mehr die Studierenden stehen im Fokus, sondern meine Erfahrung und damit auch ich als Protagonistin.

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Aber du sagst selber „Fuck White Tears ist ein Film über einen Film, den ich nicht machen kann, weil ich weiß bin“, trotzdem gibt es ihn.
Für mich ist es immer noch ein großes Paradox, dass es den Film gibt, weil es genau so ist, wie du sagst: Es ist ein Film, den ich nicht machen kann und trotzdem existiert er. Auch im Schnittraum war es für mich noch wochenlang eine große Schwierigkeit, dass ich Leute am Bildschirm sehe, die mir sagen, dass ich den Film nicht machen darf. Natürlich war das schwierig und natürlich habe ich darunter gelitten. Aber ich bin ganz froh darüber, da durchgegangen zu sein. Mir haben auch Freunde erzählt, dass sie sich die ganze Nacht gestritten haben, nachdem sie den Film sahen. Das ist meine Legitimation: Ich hoffe, dass die Diskussionen und die Erkenntnisse, die die Zuschauer in Europa, aber auch die weißen Zuschauer in Südafrika haben, es wert sind, diesen Film gemacht zu haben.

Eine Kritik im Film an dich als europäische, weiße Filmemacherin war auch, dass du nach Südafrika kommst, dir die Geschichte holst und dann nicht mehr zurückkommst. Lief der Film auch in Südafrika? Hast du ihn auch deinen Protagonist*innen gezeigt? Wie war die Reaktion?
Für mich ist das Zurückkommen, wie es die Protagonisten genannt haben, kein persönliches Zurückkommen. Ich glaube, dass es mehr um die Frage geht, was ich danach für sie mache. Am Ende des Films kommt die Aussage, dass ich mit meiner Botschaft zu anderen Weißen gehen, ihnen erzählen soll, was ich gelernt habe – in der Hoffnung, dass auch sie etwas lernen. Trotzdem versuche ich, den Film in Südafrika zu zeigen. Zethu Matebeni hat ihn zweimal in ihrer Klasse gezeigt. Wahrscheinlich hat sie ihn danach auseinandergenommen, aber es wird auch irgendetwas drinnen sein, von dem die Menschen etwas mitnehmen können.

Du sagst, dass du froh über die Erfahrung bist. Hat „Fuck White Tears“ auch deine Arbeit, deinen Zugang zum Filmemachen verändert?
Auf jeden Fall. Ich habe das Gefühl, ganz viel mitgenommen zu haben, auch für aktuelle Projekte. Gerade arbeite ich mit einer Freundin, die unter Depressionen leidet, an einem Film zu eben diesem Thema: Depressionen. Durch „Fuck White Tears“ habe ich gelernt, dass ich nicht einfach einen Film über jemanden machen kann, sondern es viel wichtiger ist, einen Film mit jemanden zu machen. Ich wusste das zwar in der Theorie, aber konnte es nicht umsetzen. Beim Film über Depressionen stelle ich mir die gleiche Frage: Darf ich als „Gesunde“ einen Film über „Kranke“ machen und wenn ja, wie?

Der Film „Fuck White Tears“ ist online auf dem Vimeo Channel des Seminars Close Up der HFF München und auf dem Dok.network Afrika YouTube Channel verfügbar.

 

Valentine Auer arbeitet als freie Journalistin in Wien.


 

Zeitreisende Ethno-Waschmaschinen

  • 05.02.2015, 08:00

Wie und woran wir uns erinnern, wird nachhaltig von Medien geprägt. Durch sogenanntes Whitewashing werden die Geschichten von People of Color ausradiert.

Wie und woran wir uns erinnern, wird nachhaltig von Medien geprägt. Durch sogenanntes Whitewashing werden die Geschichten von People of Color ausradiert.

Wieder einmal erhitzt ein Spielfilm aus Hollywood die Gemüter. „Exodus“ von Ridley Scott scheint mit der Besetzung seiner millionenschweren Verfilmung von Moses Geschichte im alten Ägypten einen Nerv der heutigen Zeit getroffen zu haben – im negativen Sinne. Denn während Prophet, Pharao und Götter von weißen Menschen gespielt werden, werden – surprise surprise – Sklav*innen, Dieb*innen und Mörder*innen von schwarzen Schauspieler*innen verkörpert.

Es ist nicht nur rassistisch, dass Held*innen hier Weiße und Antiheldi*innen Schwarze sind. Zusätzlich ist der im antiken Ägypten angesiedelte Streifen das beste Beispiel für eine problematische Praxis, welche in Geschichte, Kunst und Kultur häufig aufzufinden und dem Begriff „Whitewashing“ unterzuordnen ist. Whitewashing bezieht sich in erster Linie auf historische Persönlichkeiten dunkler Hautfarbe (hier etwa Moses und der Pharao), die in der Geschichtsschreibung und dadurch in der kollektiven Erinnerung aber als weiße Menschen aufscheinen. Klassische Bespiele dafür sind etwa der Nikolaus, Maria Muttergottes und Jesus himself. Dieser wird in Erzählungen, Filmen und Abbildungen stets als hellhäutiger Mann mit blauen Augen und blonden bis dunkelblonden Haaren dargestellt. Geographisch und historisch gesehen müsste Jesus von Nazareth aber einen dunklen Hauttyp haben, mit braunen Augen und dunklem Haar. Der historische Nikolaus von Myra soll im dritten und vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung auf dem Gebiet der heutigen Türkei Süßigkeiten verteilt haben. Es ist sehrunwahrscheinlich, dass Sankt Nikolaus helle Haut hatte. Trotzdem werdender „Nikolo“ und der an ihn angelehte Weihnachtsmann immer als weiße Männer dargestellt.

ROLL OVER BEETHOVEN. Jesus und der Nikolaus sind alte Hasen, was die Schwarz-Weiß Diskussion betrifft. Schenkt man einigen historischen Quellen Glauben, so wurde auch beim bekannten Ludwig van Beethoven Whitewashing betrieben. Beethoven, 1770 in Bonn geboren und 1827 in Wien gestorben, eines der größten Musikgenies der Klassik, soll dunkelbraune bis schwarze Haut gehabt haben. Sämtliche Biograph*innen und Anthropolog*innen, die den Deutschen getroffen haben, beispielsweise Frederik Hertz, Emil Ludwig oder Fanny Giannatasio del Rio, beschreibenBeethoven als dunkelhäutigen Mann mit abgeflachter Nase, kleinen dunklen Augen und breitem Mund. Auch der österreichische Schriftsteller Franz Grillparzer bezeichnet Beethovens Hautton als „braun“. Andere schreiben über sein krauses schwarzes Haar, welches an den Seiten meistens abstand. Diese Beschreibung könnte auf einen dezenten Afro verweisen.

Der Name Beethoven kommt aus Flandern. Das Gebiet wurde bis zur Errichtung des Königreichs Belgien 1830 abwechselnd von vielen verschiedenen Häusern regiert, unter anderem den spanischen Habsburgern. Die Mauren, eine nordafrikanische Volksgruppe, prägten die spanische Gesellschaft und Architektur seit Anfang des achten Jahrhunderts. Beethoven hätte väterlicherseits maurischer Abstammung sein können.

Apropos Musik: Hier werden beispielsweise Elvis, Jerry Lee Lewis, die Beatles oder die Rolling Stones als Könige, Erfinder und Perfektionierer des Rock ’n’ Roll gefeiert, obwohl das Genre auf die Musik der schwarzen Community in Nordamerika zurückgeht und lange vor Elvis schwarze Musiker*innen wie die (übrigens bisexuelle) „Godmother of Rock ’n’ Roll“ Rosetta Tharpe, Chuck Berry, LaVern Baker und Ray Charles den damals neuen Stil prägten.

Auch zahlreiche innovative Errungenschaften, die unser Leben bereichern, kommen von People of Colour (PoC). Trotzdem werden diese Erfinder*innen und Wissenschaftler*innen nursehr selten in Medien oder Schulbüchern erwähnt. Sie scheinen nur als Sklav*innen Geschichte schreibenzu dürfen. „Die Sklaverei begründet den materiellen Vorsprung Europas gegenüber anderen Erdteilen. Eine Darstellung von People of Colour, die bedeutende wissenschaftliche oder politische Erkenntnisse produzierten oder eine besondere Machtstellung innehatten, hätte dieses Monopol gefährdet“, erklärt Hanna-Maria Suschnig, Geschichtsdidaktin an der Universität Wien, die Problematik von Whitewashing in der Wissenschaft.

Das Ampelsystem oder die Gasmaske zum Beispiel wurden vom afro-amerikanischen Erfinder Garret Morgan entwickelt. Der Sohn von befreiten Sklaven ließ sich 1914 das Patent für seine Gasmaske ausstellen. Eine andere Erfindung, die weltweit unzählige Menschenleben gerettet hat, ist die Blutbank. Sie wurde 1930 vom Afro-Amerikaner Charles Drew entwickelt, der später auch Direktor von Blutbanken des Roten Kreuzes war, in der Geschichtsschreibung jedoch keinen Platz fand. Und wer gerade darüber nachdenkt sich einen 3D-Fernseher zuzulegen, sollte Valerie Thomas gedenken: Die NASA-Wissenschaftlerin war eine der ersten, die sich in den 60ern mit der Projektion und übertragung dreidimensionaler Bilder beschäftigte.

POSTKOLONIALISMUS IN 3D. Durch „Exodus“ wurde erneut international eine Debatte über Whitewashing losgetreten. Aufmerksamkeit erhielt das Thema vor allem durch den Hashtag #boycottexodusmovie. Davor klärten Blogs wie stopwhitewashing. tumblr.com darüber auf, in welcher Form Diskriminierung und Rassismus immer noch im Entertainmentbereich vorzufinden sind. „Exodus“ beraubt ägyptische und israelitische Menschen ihrer Geschichte setzt damit eine lange Tradition fort. Schon frühe HollywoodIkonen wie Katherine Hepburn („Dragon Seed“, 1944) oder Elizabeth Taylor („Cleopatra“, 1963) mimten Frauen, welche andere ethnische Backgrounds oder Hautfarben hatten; heute sind zum Beispiel der nicht besonders per- sische Jake Gyllenhaal als „Prince of Persia“ und Ben Affleck als Latino Tony Mendez („Argo“) zu sehen.

Minderheiten werden im Schauspielbusiness häufig nur für klischeehafte Rollen gecastet: als Terrorist*innen, Mörder*innen, Drogendealer*innen oder Sklav*innen. Wenn Rollen für Figuren mit einem bestimmten (ethnischen) Hintergrund oder einer gewissen Hautfarbe ausgeschrieben werden, werden trotzdem oft nur weiße Darsteller*innen gecastet, obwohl es genügend qualifizierte Anwärter*innen gibt, die sich auch tatsächlich mitdem Charakter identifizieren könnten. Aber viele Regisseur*innen und Produzent*innen wollen es mit ihren Filmen bis zu den Oscars und den Geldbörsen der Kinobesucher*innen schaffen und beteuern, Nicht-Weißein Hauptrollen zu casten, bedeute ein wirtschaftliches Risiko für die Filmstudios. Eine solche Entscheidung schmälert die Chancen auf einen der begehrten Filmpreise. Unter die Oscar-Nominierten in den Hauptkategorien etwa schafften es heuer ausschließlich weiße Schauspieler*innen, obwohl nicht nur im hochgelobten Historiendrama „Selma“ über die Emanzipationsbewegung rund um Martin Luther King genügend Kandidat*innen auszumachen wären. Diese Ungleichheit macht es wiederum schwieriger für People of Color, im Filmbusiness Anerkennung zu bekommen und auf andere junge Menschen vorbildhaft zu wirken: ein Teufelskreis.

People of Color werden also – wie diese Beispiele zeigen – seit Jahrhunderten entweder weißen Menschen hierarchisch untergeordnet, exotisiert und/oder durch Whitewashing ihrer Identität beraubt. Um dem entgegenzu wirken, bräuche es eine sensiblere Geschichtsschreibung. Laut Suschnig sollte sich neben der Schule auch die Wissenschaft das kollektive Erinnern zur Aufgabe machen, indem Whitewashing in Ausbildungen thematisiert wird. „In manchen Ländern gibt es den Black History Month, in den USA wird der Martin Luther King Day gefeiert, das sind erste Ansätze“, findet die Hochschulreferentin für Fachdidaktik.

HISTORISCH AKKURAT. Auch im Netz bilden sich immer mehr Initativen, die gezielt gegen Whitewashing vorgehen. Der Blog medievalpoc.tumblr.com zeigt mittelalterliche Gemälde und Illustrationen, auf denen PoC zu sehen sind. Das Bildarchiv, das mittlerweile zu einer riesigen Fundgrube angewachsen ist, kämpft gegen das retroaktive Whitewashing, denn Bilder mit PoC werden in Museen, Schulklassen oder Kunststudien nur selten gezeigt. Außerdem sollen die Bilder Argumente gegen die Fiktion, das mittelalterliche Europa sei nur von weißen Menschen bewohnt worden, liefern. Die historischen Abbildungen zeigen sehr deutlich, dass PoC vonder Antike bis zur Neuzeit in sämtlichen gesellschaftlichen Schichten und in allen Ländern Europas vertreten waren und auch abgebildet wurden. Auch die vielbeschworene angebliche „historische Akkuratheit“ in Mittelalter- und Fantasyfilmen soll so als weiße Fantasie dekonstruiert werden. Wenn in „Herr der Ringe“ nur Weiße mitspielen, liegt das am internalisierten Rassismus des Autors und des Regisseurs, nicht etwa an der tatsächlichen Anlehnung an die europäische Geschichte, wie gerne behauptet wird. Im Kontrast dazu bietet medievalpoc auch immer wieder Büchertipps: Hier werden Sci-Fi- und Fantasy-Romane von PoC-Autor*innen und/oder mit PoC-Charakteren vorgestellt, um der medialen überrepräsentation weißer Autor*innen und Charaktere entgegen zu wirken.

„Homestory Deutschland“ heißt ein langjähriges Projekt der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) für das Erinnern an Leistun-gen schwarzer Menschen. Es ist eine seit zehn Jahren durch Deutschland wandernde Ausstellung, die mit historischen Portraits schwarzer Menschen mahnen möchte, dass „schwarze Menschen in Mitteleuropa nicht erst seit den 1980ern existieren“, wie Tahir Della vom ISD es ausdrückt. Da wäre beispielsweise der Philosoph Anton Wilhelm Amo aus dem 18. Jahrhundert, der erste Afrikaner, der an einer europäischen Universität promovierte. Oder Martin Dibobe, Vertreterder Community von Kamerunern in Deutschland, der schon 1919 für Anerkennung und Gleichstellung kämpfte.

„Unseren Erfahrungen mit dem Projekt nach sehen viele junge schwarze Menschen hier tatsächlich zum ersten Mal gesellschaftliche, wissenschaftliche und künstlerische Beiträge von Schwarzen in Europa“, erzählt Della. „Das ist wichtig, denn wenn deine Geschichte systematisch ausgeblendet wird, hast du auch Schwierigkeiten bei Identitätsfindung und Identifizierung.“ Die Geschichte von schwarzen Menschen in Deutschland beziehungsweise Zentraleuropa werde ignoriert, was dazu führe, dass es kein kollektives Bewusstsein dafür gebe. Della erklärt, dass das Ausradieren der Geschichte von People of Color auf die Kolonialgeschichte Europas zurückgeht:„Die Negation der Leistungen einer Menschengruppe ermöglicht eine Stigmatisierung, die wiederum zu Diskriminierung führt.“ Das Thema Whitewashing solle breiter politisch diskutiert werden, immerhin handle es sich dabei um eine „Verfälschung von Geschichte“.

Nour Khelifi studiert Publizistik und Kommunikationswissenschaft und Biologie an der Universität Wien.