Universitäten

Genderwahn an Hochschulen

  • 23.02.2017, 19:36
Die Besorgnis, Wissenschaft würde durch die Gender Studies für die Umsetzung einer politischen Ideologie missbraucht werden, ist ein präsentes Thema im medialen Diskurs. Aber was ist dran an den Vorwürfen der Unwissenschaftlichkeit und fehlenden Objektivität?

Die Besorgnis, Wissenschaft würde durch die Gender Studies für die Umsetzung einer politischen Ideologie missbraucht werden, ist ein präsentes Thema im medialen Diskurs. Aber was ist dran an den Vorwürfen der Unwissenschaftlichkeit und fehlenden Objektivität?

Bedenken bezüglich der Wissenschaftlichkeit der Gender Studies werden von unterschiedlichen Personengruppen geäußert. Von journalistischen GendergegnerInnen über AntifeministInnen hin zu christlichen FundamentalistInnen (Ja, auch die machen sich Sorgen um den Verfall der Wissenschaft). Eine kritische Reflexion von Forschung ist grundsätzlich durchaus wünschenswert, allerdings muss sie auf einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Gegenstand fußen, um einen konstruktiven Beitrag zu leisten. In der Gendergegnerschaft ist dies nun nicht ganz der Fall; die Gender Studies werden ohne tiefergehende Kenntnis pauschal als „pseudowissenschaftlicher Hokuspokus“ abgelehnt. Das macht es nicht ganz einfach, sich mit Argumenten der GendergegnerInnen auseinanderzusetzen. Versuchen wir es trotzdem, indem wir uns einen Kernvorwurf genauer ansehen: jenen der fehlenden Objektivität der Gender Studies aufgrund ihres politischen Gehaltes.

FEMINISTISCHE INVASION? Es ist kein großes Geheimnis, dass die Gender Studies einer politischen Bewegung entstammen und dass Gender ein höchst politischer Begriff ist. Hinter ihm steht die analytische Beobachtung, dass Menschen nach ihrer Geburt aufgrund ihrer äußeren Geschlechtsmerkmale einer Kategorie (männlich oder weiblich) zugeordnet werden und diese Zuordnung ihren weiteren Lebenslauf bestimmt. Begonnen bei der Sozialisation von Jungen und Mädchen werden sehr unterschiedliche gesellschaftliche Vorstellungen und Anforderungen an Männer und Frauen herangetragen. Das Konzept Gender problematisiert das ungleiche Geschlechterverhältnis, das auf dieser Trennung fußt. Es geht also nicht darum, Menschen umzuerziehen und ihnen ein bestimmtes Verhalten aufzudrängen, sondern darum, den Rahmen für mögliches Verhalten zu erweitern. Männer sollen Gefühle zeigen dürfen und Frauen technische Berufe ergreifen können – wenn ihnen das entspricht – ohne dabei Schwierigkeiten zu bekommen. Es handelt sich also um eine Idee, die, wenn auch nicht unter dem Vorzeichen „Gender“, in weiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert und bejaht wird. Aus einer bestimmten Blickrichtung ist es damit durchaus plausibel, Gender als eine Bedrohung wahrzunehmen. Eine Bedrohung für sehr fundamentale gesellschaftliche Strukturen, die trotz des Fortschrittes der letzten 100 Jahre noch bestehen. So sind auch in der westlichen Gegenwartsgesellschaft Frauen diejenigen, die den Großteil von schlechtoder unbezahlter Versorgungsarbeit leisten, häufiger von Gewalt und Armut betroffen sind, weniger in Führungspositionen aufsteigen und Männer diejenigen, die misstrauisch beäugt werden, wenn sie mit Kindern arbeiten wollen. Dass das Infragestellen so fundamentaler gesellschaftlicher Prinzipien Anlass für emotionale Auseinandersetzungen gibt, ist wenig überraschend.

OBJEKTIV ODER DOCH POLEMISCH? Die Gender- KritikerInnen sprechen von einer „Genderisierung“ der Hochschulen, als ob es sich um eine staatlich verordnete „Invasion“ handle, die Unmengen an Steuergeldern verschlingen würde. Diese Behauptung hält einem Blick in die Realität jedoch nicht Stand. So sind beispielsweise an österreichischen Hochschulen 2.420 ProfessorInnen tätig, wobei sechs Professuren eine Volldenomination für Geschlechterforschung haben. Das Bild der Invasion ist, wenn auch wenig plausibel, dennoch wirkungsmächtig und nur ein Beispiel für den fast durchgängig polemischen Stil genderkritischer Beiträge, die den „Genderwahn“ als Gefahr für die Wissenschaft darstellen. Die Soziologinnen Sabine Hark und Paula-Irene Villa weisen darauf hin, dass dabei meist, ohne weitere Erörterung, von einem alltagsweltlichen Verständnis von Wissenschaft ausgegangen wird, das an positivistische Maßstäbe der Naturwissenschaften angelehnt ist. Dies ist aus mindestens zwei Gründen problematisch: Erstens delegitimiert ein derartiges Wissenschaftsverständnis jegliche Erkenntnismethoden der Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften. Zweitens ist ein alltagsweltliches Wissenschaftsverständnis bestenfalls für den Alltag geeignet, eine vermeintlich wissenschaftliche Kritik darauf zu stützen, ist aber alles andere als passend. Widersprüchlich ist weiters, dass der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit, trotz des engen Wissenschaftsbegriffes, nur an die Gender Studies gerichtet wird (übrigens auch an ihre naturwissenschaftlichen Forschungsarbeiten). Es werden weder ganze wissenschaftliche Disziplinen noch sozialwissenschaftliche Forschungen von Gleichgesinnten angegriffen. All das spricht dafür, dass die Abwertung der Gender Studies nicht einer bloßen Besorgnis um Wissenschaftlichkeit geschuldet ist, sondern eher den Bedenken und Feindseligkeiten jener, die an den alten Strukturen hängen und eigene Privilegien gefährdet sehen. Es handelt sich um eine politische Motivation genau jener Art, wie sie den Gender Studies vorgeworfen wird und die wissenschaftlicher Objektivität vermeintlich im Weg steht.

POLITISCHE OBJEKTIVITÄT? In diesem Zusammenhang ist zu fragen, was wissenschaftliche Objektivität überhaupt sein kann. Das Bild eines isolierten Wissenschaftlers, der im Labor kulturunabhängige Ergebnisse produziert, ist in der Realität nicht haltbar. Jede forschende Person ist auch Teil der Gesellschaft, hat Vorstellungen und Wertehaltungen, die in den Forschungsprozess miteinfließen. Alleine die Wahl eines Forschungsgegenstandes ist schon von gesellschaftlichen Umständen geprägt. Denn was als erforschenswert angesehen wird, ist keine Frage, die objektiv beantwortet werden kann, sondern das Ergebnis von gesellschaftlichen Diskursen und Kräfteverhältnissen. Objektivität ist im Sinne einer völligen Unabhängigkeit von Gesellschaft undenkbar, egal in welcher wissenschaftlichen Disziplin. Dies bedeutet allerdings nicht, dass keine nachvollziehbare wissenschaftliche Erkenntnis möglich wäre, sondern nur, dass es einen bedachten Umgang mit der eigenen Rolle als forschende Person und dem Entstehungszusammenhang der Ergebnisse geben muss. Aus diesen Überlegungen heraus hat sich in den Sozialwissenschaften ein reger Diskurs darüber etabliert, wie solch ein Umgang Teil des Forschungsprozesses selbst werden kann. Gerade die Gender Studies haben hierzu einen wesentlichen Beitrag geleistet.

Carina Brestian hat Soziologie und Gender Studies an der Universität Wien studiert.

Löcher im Rechtssystem stopfen

  • 03.08.2016, 21:08
In der juristischen Ausbildung wird die gesellschaftspolitische Dimension von Recht gerne vernachlässigt. Studentische Rechtsberatung nimmt in Anlehnung an die angloamerikanische Tradition der „Law Clinics“ seit kurzem auch in Österreich soziale Verantwortung wahr.

In der juristischen Ausbildung wird die gesellschaftspolitische Dimension von Recht gerne vernachlässigt. Studentische Rechtsberatung nimmt in Anlehnung an die angloamerikanische Tradition der „Law Clinics“ seit kurzem auch in Österreich soziale Verantwortung wahr.

Vor dem Gesetz sind alle gleich. In der Theorie. In der Praxis haben nicht alle die Ressourcen, bestehende rechtliche Möglichkeiten auszuschöpfen. In den USA schließen an Universitäten angebundene studentische Rechtsberatungsstellen, die so genannten „Legal Clinics“, eine wichtige Lücke im Rechtsschutzsystem. Hierzulande haben solche Institutionen keine Tradition. Felix Kernbichler, David Weixlbraun und Stephan Rihs verorteten vor zwei Jahren dennoch einen Bedarf – auch aufseiten der Studierenden. Sie gründeten nach eigenen Erfahrungen mit „Legal Clinics“ in den Staaten kurzerhand die „Vienna Law Clinics“. Der im Frühjahr mit dem sozialen Innovationspreis SozialMarie ausgezeichnete Verein will mit seiner kostenlosen, niedrigschwelligen Rechtsberatung einen gesellschaftlichen Beitrag für benachteiligte Gruppen leisten.

RECHTSHILFE FÜR START-UPS UND ASLYWERBENDE. Österreich hat grundsätzlich ein gutes Verfahrenshilfesystem. „Grundsätzlich“, wie Anna Wegscheider, die wie viele im „Vienna Law Clinics“-Kernteam ihr Studium längst abgeschlossen hat, extra wiederholt. Das Lieblingswort der Jurist_innen zieht bekanntlich immer ein „Aber“ nach sich: „Die Angebote sind da, aber zum einen ist die Kommunikation schlecht und zum anderen gibt es Menschen, die aufgrund ihrer Position in der Gesellschaft keinen Zugang zu Rechtsschutz haben.“

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Derzeit fokussieren die „Vienna Law Clinics“ ihre Arbeit auf die aus akademischen Rahmenbedingungen und persönlichem Interesse gewachsenen Bereiche Start-ups sowie Asyl- und Fremdenrecht. Die Arbeitsweisen der beiden je 15-köpfigen Teams könnten nicht unterschiedlicher sein: Während die Start-up-Gruppe persönliche Beratungen zu eigenen Bürozeiten anbietet und angehenden Jungunternehmer_innen rechtliche Erstauskünfte über Gesellschaftsform, Immaterialgüterrecht und Co. erteilt, macht die Asyl-Gruppe keine individuelle Beratung. Sie unterstützt NGOs wie den Verein Ute Bock bei rechtlichen Fragen und kooperiert mit dem Netzwerk AsylAnwalt.

WIN-WIN-SITUATION. Die Arbeit der „Vienna Law Clinics“ wird von Partner-Kanzleien gegengeprüft – ein wesentlicher Punkt der Qualitätssicherung. „Wir haben uns zur Unterstützung entschlossen, weil wir die Idee der studentischen Rechtsberatung toll finden. Nicht umsonst ist dieses Modell bereits seit langer Zeit an internationalen Eliteuniversitäten etabliert“, erklärt Rechtsanwalt Florian Steinhart von Herbst-Kinsky das Engagement der Kanzlei.

Speziell das Asyl- und Fremdenrecht ist besonders komplex, wird in der Ausbildung allerdings vernachlässigt. Auch deswegen findet Rechtsanwältin Julia Ecker, eine weitere professionelle Unterstützerin, das Konzept der Law Clinics „genial“. „Das hätte ich selbst als Studentin gerne gehabt“, so die Fremdenrechtsexpertin. Besonders in der Kooperation mit dem Netzwerk AsylAnwalt sieht sie einen Mehrwert für ihren Arbeitsbereich. So haben die Studierenden zuletzt eine umfassende Recherche für eine Verwaltungsgerichtshof-Judikatur zum Asylrecht erledigt. Ecker: „Das ist toll, denn ein einzelner Anwalt kann nicht hunderte Entscheidungen neben der laufenden Arbeit screenen.“

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Über mangelnde ehrenamtliche Bereitschaft von Studierenden können sich die „Vienna Law Clinics“ nicht beschweren. Im Gegenteil: Aufgrund des Erfolges überlegt man die Erweiterung um eine Konsument_innenschutz-Gruppe. Das Wechselspiel aus Gemeinwohl und studentischem Nutzen ist das, was die Philosophie von Law Clinics ausmacht. Deshalb laufen derzeit auch Gespräche mit dem Dekanat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät über Möglichkeiten, die Arbeit der angehenden Jurist_innen formell im Studium anzuerkennen.

UNTERSCHIEDE. Gelänge die Etablierung dieses Konzepts, wären die „Vienna Law Clinics“ Pioniere in Österreich. Weitere Ansätze gibt es an der Karl-Franzens-Universität in Graz, wo Law Clinics in Form von praxisbezogenen Lehrveranstaltungen, ohne eigentliche Rechtsberatung, umgesetzt werden: Die Grazer „Refugee Law Clinic“ zum Beispiel bietet mehrere Lehrveranstaltungen zum Thema Flüchtlings- und Asylrecht in Zusammenarbeit mit Praktiker_innen sowie Basisinformationen als Flüchtlingsrechts-Kurzguide an. Für die von Eva Schulev-Steindl gemeinsam mit Miriam Karl geleitete „Environmental Law Clinic“ wiederum bearbeiten Studierende in Zusammenarbeit mit NGOs wie dem Umweltdachverband aktuelle Umweltrechtsfälle. „Dies bietet den Studierenden die einzigartige Chance, schon während ihres Jus-Studiums reale Lebenssachverhalte zu behandeln“, so die Professorin. „Dafür müssen sie sich aber auch durch wahre ‚Aktenberge’ wühlen – das Material umfasst teilweise mehrere Gigabyte.“ Und auch eine Legal Clinic für öffentliches Recht und Umweltrecht gibt es in Graz. Sie wird in Kooperation mit der Volksanwaltschaft von Georg Eisenberger geführt: „Mein persönliches Ziel ist es, möglichst vielen Studierenden zu zeigen, wie spannend und fordernd Öffentliches Recht in der Praxis sein kann.“

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MIT RECHT SOZIALEN WANDEL BEWIRKEN. Die stärkere Institutionalisierung der „Vienna Law Clinics“ brächte für Gründungsmitglied Weixlbraun auch einen gesellschaftlichen Mehrwert: „Durch die Anbindung an die Universität wäre eine akademische Reflexion möglich.“ Wiederkehrende Fragestellungen könnten Rechtsschutzprobleme sichtbar machen und Basis für politische Arbeit sein. Denn die Möglichkeit von strategischer Prozessführung – also über einen starken Einzelfall hinaus, soziale, politische oder rechtliche Veränderungen in Gang zu setzen – funktioniert in Österreich immer wieder gut. Das hat zuletzt das als verfassungswidrig gekippte Adoptionsverbot für homosexuelle Paare gezeigt. Solche Fälle würden beweisen, dass man mit dem Recht als Machtinstrument auch gesellschaftliche Veränderungen bewirken kann, streicht „Vienna Law Clinics“-Juristin Wegscheider heraus. Ihre Kollegin Teresa Exenberger bringt es auf den Punkt: „Hier sehen wir eine wichtige Schnittstelle für Law Clinics: Wir können Ressourcen anbieten, die Kanzleien nicht haben.“

Cornelia Grobner ist freie Journalistin und Doktoratsstudentin im Fachbereich Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg.

Links:
Vienna Law Clinics
Refugee Law Clinic
Environmental Law Clinic
Legal Clinic für öffentliches Recht und Umweltrecht

Klag die Uni!

  • 08.03.2016, 13:47
Überall Barrieren! Warum die Universität eine einzige Barriere ist und was das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes daran ändern kann.

Überall Barrieren! Warum die Universität eine einzige Barriere ist und was das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz daran ändern kann.

„Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz“ ist ein langes Wort. Das BGStG soll die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen regeln. Schon seit 2006 schreibt das BGStG vor, dass alle öffentlichen Gebäude, Verkehrsmittel und Geschäftslokale barrierefrei zu erreichen sein müssen. Für die Implementierung dieses Gesetzes hatte man in Österreich zehn Jahre lang Zeit. Seit 1. Jänner 2016 ist diese Frist verstrichen. Barrierefreiheit heißt im Sinne des Gesetzes nicht nur Rampen und Aufzüge zu errichten, sondern sämtliche Hürden abzuschaffen und zum Beispiel Homepages von öffentlichen Institutionen barrierefrei bedienbar zu machen oder auch Filme mit Untertiteln zu gewährleisten. „Ziel dieses Bundesgesetzes ist es, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen oder zu verhindern und damit die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen,“ so der Gesetzestext. Auch die Hochschulen in Österreich haben sich an dieses Gesetz zu halten.

Barriere Hochschule. Wenn in Österreich eine Frist verstreicht und die Ziele noch nicht erreicht sind, dann könnte sich der Gesetzgeber Mühe geben, die Frist einzuhalten, oder die Frist einfach verlängern. Letzteres hat der Bund im Falle der öffentlichen Gebäude, zu denen die meisten Hochschulen zählen, gemacht.

Zwölf Prozent gaben bei der letzten Studierendensozialerhebung an, eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu haben, die sich auf das Studium auswirkt. Rund ein Prozent aller Studierenden gaben an, eine Behinderung zu haben (das sind über 3.700 Personen) und fünf Prozent eine chronische Krankheit (das sind über 18.500). Für diese Gruppe ist der Unialltag um einiges hürdenreicher. Es ist nervig für Studierende in den Hörsaal im dritten Stock zu kommen, doch für Studierende mit Rollstuhl ist es oft schlicht unmöglich. Während in den repräsentativen Hauptgebäuden oft nachträglich Lifte und Rampen eingebaut wurden, werden die Nebengebäude meist mehr schlecht als recht nachgerüstet. Aber auch die Hochschulen haben sich an das BGStG zu halten und müssten seit 1. Jänner überall barrierefrei zugänglich sein. Barrierefrei sind laut BGStG „bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind“. Wie sieht es nun damit aus?

Klagerecht. Österreich ist ein Land der Sonderregelungen. Gefühlt gibt es für jede Regelung sechs Ausnahmen. Auch beim BGStG sieht es nicht besser aus. Generell gilt die Verhältnismäßigkeit oder wie es im § 6 des Gesetzes heißt eine Ausnahme bei „unverhältnismäßigen Belastungen“. Bei „unverhältnismäßigen Belastungen“ liegt keine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung vor, wenn „die Beseitigung von Bedingungen, die eine Benachteiligung begründen, insbesondere von Barrieren, rechtswidrig oder wegen unverhältnismäßiger Belastungen unzumutbar wäre“. Unverhältnismäßigkeit kann zum Beispiel durch einen zu großen (finanziellen) Aufwand oder Denkmalschutz gegeben sein. Dies trifft vor allem bei alten Unigebäuden zu und darauf ruht man sich oft aus. Das BGStG bringt nun aber eine wesentliche Änderung, welche die Hochschulen ins Schwitzen bringen könnte, und zwar das Klagerecht.

Das BGStG sieht ein Klagerecht vor, wenn Einzelpersonen oder Gruppen (Verbandsklage) durch Hürden daran gehindert werden, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Erst kommt es jedoch zu einem Schlichtungsverfahren bei den Landesstellen des Bundessozialamts, das auf eine außergerichtliche Einigung abzielt. Oft wird über die Höhe der Entschädigung verhandelt. Erst wenn keine Einigung erzielt wird, kommt es zu einem Gerichtsverfahren.

Kein Umbau. Das größte Defizit des Gesetzes bleibt jedoch auch nach der Fristverstreichung erhalten. So kritisiert Martin Ladstätter, Gründungsmitglied des BIZEPS-Behindertenberatungszentrums, dass „mit einer Klage Barrierefreiheit nicht erreichbar ist, weil das Gesetz nur Schadenersatz zuerkennt. Konkret bedeutet dies, dass ein Gericht zwar eine gewisse Summe an Schadenersatz festlegen, nicht aber einen Umbau anordnen kann.“ Die Barriere bleibt also bestehen. Meist ist es nämlich billiger zu zahlen als umzubauen. Dabei ist mit barrierefreien Gebäuden allen geholfen. Aufzüge sind nicht nur für Menschen mit Rollstühlen von Vorteil, keiner geht gerne mehrere Stockwerke die Treppen hoch. Eine bessere und einfache Ausschilderung hilft nicht nur Menschen mit Sehschwierigkeiten, sondern allen bei der Orientierung in großen und unübersichtlichen Universitätsgebäuden.

Viele Studierende mit Behinderungen wissen nicht, dass die Universität Barrierefreiheit gewährleisten muss und sie ein einklagbares Recht darauf haben. Viele wissen auch nicht, dass jede Hochschule ab einer gewissen Größe eine*n Behindertenbeauftragte*n haben muss, der sich mit Themen der Barrierefreiheit auseinandersetzt und Studierende mit Behinderungen berät. Diese Behindertenbeauftragten werden von den Rektoraten aber angehalten, die Studierenden nicht über ihr Klagerecht zu informieren. Dabei würde sich auf den Hochschulen wohl schnell etwas verändern, wenn die Schadenersatzkosten höher wären als die Kosten für Umbauten.


Anne Marie Faisst studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.


Links:
Referat für Barrierefreiheit ÖH-Bundesvertretung
Referat für Barrierefreiheit ÖH Uni Wien
BIZEPS

Veranstaltungshinweis:
Am 16.3. findet eine Podiumsdiskussion zum Thema: HÜRDENLOS STUDIEREN?! "Wie barrierefrei sind Österreichs Hochschulen?" an der Universität für Bodenkultur Wien (2. Stock, Sektor D in der „alten WU“, Augasse 2-6, 1090 Wien) statt. Weitere Informationen beim Facebook-Event hier.

Wollen schon – Ein Kollektivroman

  • 02.03.2016, 18:56

„wollen schon“ ist kein Roman im klassischen Sinne. Denn geschrieben wurden die kurzweiligen 268 Seiten im Kollektiv. Elf Autor_innen, von Natalie Deewan bis Kurto Wendt, arbeiteten zusammen über drei Jahre an der Geschichte.

„wollen schon“ ist kein Roman im klassischen Sinne. Denn geschrieben wurden die kurzweiligen 268 Seiten im Kollektiv. Elf Autor_innen, von Natalie Deewan bis Kurto Wendt, arbeiteten zusammen über drei Jahre an der Geschichte.

Der Alt-68er und Universitätsprofessor Manfred Mewald hinterlässt ein beträchtliches Erbe. Doch zur Überraschung seiner Nachkommen vermacht er ein Großteil seines Vermögens der jungen Wissenschaftlerin Hannah Wolmut. Darunter ein Seminarschlösschen im noblen Wiener Cottageviertel und gut zwei Millionen Euro für die Gründung eines „Freien Instituts“. Mit so einer Zuwendung hat Hannah nicht gerechnet. Denn ihre letzte und einzige Begegnung mit Mewald endete mit einem Glas Rotwein im Gesicht des Professors. „Wisst ihr, was euer Problem ist?“, fragte Mewald Hannah, stellvertretend für eine ganze Generation prekarisierter Wissensarbeiter_innen, die von Publikation zu Publikation und von Konferenz zu Konferenz hetzen: „Freiheit ist für euch doch nur ein Propaganda-Begriff. Eine leere Hülse! Ihr wollt in Wirklichkeit gar nicht frei sein, keiner von euch!“

Mit seinem Testament wollte Mewald auch über seinen Tod hinaus recht behalten. Durch sein Erbe soll Hannah eingestehen müssen, dass ihre Generation unfähig ist, abseits vom allgegenwärtigen Verwertungszwang zu forschen und zu leben. Doch für Hannah ist die Wette mit einem Toten trotz vieler Zweifel eine unglaubliche Chance. 20 Leute darf sie auf das Seminarschlösschen einladen. Jeder von ihnen würde über drei Jahre hinweg 3.000 Euro im Monat bekommen. Eine Art bedingungsloses Grundeinkommen. Forschen und Leben in Kollektiv des Freien Instituts. Doch was bedeutet das eigentlich? Wenn du dich nicht länger verkaufen musst und deine Zeit wirklich dir gehört, was machst du dann?

Genau diese Frage wirft „wollen schon“ auf. Anhand neun verschiedener Charaktere, die mit und ohne Begleitung aus allen möglichen Teilen der Welt Hannahs Einladung nach Wien folgen, spinnt der Roman ein heiteres literarisches Kaleidoskop mit viel Raum für Phantasien und Selbstzweifel. Innere Monologe wechseln sich ab mit auktorialen Erzählformen; manche Handlungsstränge treffen sich, andere stehen für sich alleine. Und dann ist da noch die „kleine Figur“: ein nicht fassbarer, übermenschlicher Charakter, der einzelne Versatzstücke der Protagonist_innen in sich vereint oder sich in dadaistischer Manier dem Verständnis des Lesers_der Leserin gänzlich zu entziehen versucht.

Wer mit der teilweise extravaganten Erzählform, deren Verwirrungspotential sich irgendwo zwischen „Pulp Fiction“ und „Memento“ ansiedelt, zurechtkommt, den erwartet ein Leseerlebnis mit viel Liebe zum Detail. Etwa Miša, die es fertig macht, wenn die Person ihr gegenüber genüsslich eine Semmel mit Ei-Aufstrich verspeist und sie dabei zusehen muss „wie diese stinkende, gelbe Masse auf allen Seiten gleichzeitig aus der Semmel herausquillt“. Oder das Stoffeichhörnchen namens Niemand, das mit seinen Klettverschlusshänden Dinge und Körperteile umarmen kann.

„wollen schon“ prangert nicht nur den Wissenschafts- und Universitätsbetrieb an, der sich zunehmend entlang Kriterien kapitalistischer Verwertbarkeit ausrichtet. Die Geschichte wirft auch die Frage auf, ob und wie wir uns eine Welt außerhalb dieser gesellschaftlichen Verhältnisse überhaupt noch vorstellen können. Die Autor_innen regen zum Nachdenken an: Was würde ich machen, wenn ich auf das Freie Institut eingeladen werde? Sie schaffen es damit, die Ambivalenz vor Augen zu führen, welche sich zwischen der Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung und der Angst vor der Lücke im Lebenslauf verbirgt.

Veranstaltungshinweis:
Releaseparty mit Lesung und musikalischer Unterhalung: Samstag, 05.03, 19:00 Mo.ë Vienna, Thelemanngasse 4, 1170 Wien
Link zum FB-Event
Link zum Buch beim Verlag

Achtung, Gewinnspiel!
Wir verlosen ein Exemplar von „wollen schon“ unter allen, die uns bis 9. März 2016 eine E-Mail mit dem Betreff "Gewinnspiel wollen schon" an progress@oeh.ac.at schicken!

Zeit oder Geld

  • 31.03.2013, 23:08

Substandardwohnungen, Aushilfsjobs und trotzdem kein Geld. Vor allem für Studierende aus sozial schwachen Familien tun sich Lücken in Österreichs Sozialnetz auf.

Substandardwohnungen, Aushilfsjobs und trotzdem kein Geld. Vor allem für Studierende aus sozial schwachen Familien tun sich Lücken in Österreichs Sozialnetz auf.

Eine 30-Quadratmeter-Substandardwohnung in Wien Margareten, nur wenn man ein Brett über die Dusche legt, kann man gemütlich aufs Klo gehen. Geheizt wird mit einem Gaskonvektor, im Winter klettert die Temperatur oft nicht über 18 Grad. So wohnt Sina derzeit, sie lebt von 600 Euro im Monat. 290 Euro kostet die Miete für ihr Zimmer mit kleiner Küche im Vorzimmergang, 100 Euro Energiekosten kommen dazu. Die 26jährige Studentin zündet sich eine Zigarette an – auf dieses Laster möchte sie nicht verzichten.   Etwa 100 Euro im Monat hat sie für Zigaretten veranschlagt, mehr als für Essen. In manchen Monaten kommt sie mit 80 Euro für Lebensmittel aus. „Jede neue Jeans ist eine Investition, auf die ich sparen muss. Shoppen gehe ich gar nicht“, erzählt die Romanistikstudentin. Sie arbeitet vier Abende die Woche in einem großen österreichischen Möbelhaus, für achtzehn Stunden  verdient sie etwa 450 Euro. Von ihren Eltern kommen weitere 150 dazu, sie übernehmen auch die Studiengebühren.

Anspruch auf Studienbeihilfe hatte sie nie, die Eltern verdienen zu viel. Und das, obwohl Sinas Mutter schon seit Jahren nicht mehr arbeitet, der Vater ist Alleinverdiener. Er kann die Studentin nur mit kleinen Beiträgen unterstützen. „Einfach mal nur studieren wäre schon toll“, meint die gebürtige Deutsche.

Stipendium, nicht für alle. Damit sich Studierende aus sozial schwächeren Familien, in denen die Eltern keinen oder nur einen sehr kleinen Beitrag leisten können, auf ihr Studium konzentrieren können, hat der Staat Österreich die Studienbeihilfe vorgesehen. Bis zu 679 Euro werden pro Monat überwiesen. Laut Studierenden-Sozialerhebung im Jahr 2011 erhalten 22 Prozent der  österreichischen Studierenden Unterstützung vom Staat – in Form von konventioneller Studienbeihilfe, Selbsterhalterstipendium oder Studienabschluss-Stipendium. Doch die Kriterien sind streng, arbeiten beide Eltern Vollzeit, ist eine Zuerkennung  unwahrscheinlich. Berücksichtigt wird dabei nicht, ob die Eltern ihr Kind tatsächlich unterstützen, sondern nur das Einkommen.  BezieherInnen dürfen nicht mehr als 8000 Euro im Jahr dazuverdienen, das Studium darf nicht öfter als zweimal gewechselt werden  und muss in der vorgesehenen Zeit absolviert werden, ein Toleranzsemester inbegriffen. Wer erschwerende Umstände, wie eine  besonders aufwändige Diplomarbeit oder ein Auslandssemester, vorweisen kann, bekommt ein weiteres Semester Aufschub.

Doch was passiert, wenn sich das Studium länger hinzieht? Ab dem 25. Lebensjahr fällt die Familienbeihilfe weg, die Studienbeihilfe  ebenso, sobald die reguläre Studienzeit um ein Jahr überschritten wurde. „Da begann für mich der ewige Behördenweg“, erinnert sich  Maja. Plötzlich wollte niemand für die 25Jährige zuständig sein, die ein sieben Quadratmeter großes Zimmer im  Studierendenwohnheim Gasometer hatte. „Luxus war sowieso nie“, sagt Maja. Sie kommt aus einer finanziell schlechtergestellten  Familie, die Eltern in der Steiermark konnten sie nicht unterstützen. Studienbeihilfe und Familienbeihilfe garantierten der Studentin der Kultur- und Sozialanthropologie ein halbwegs sicheres Auskommen, jetzt blieb das Konto plötzlich leer. Die bedarfsorientierte  Mindestsicherung schien ein Ausweg, aber das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hält fest: „Ein Studium, selbst wenn es vor Vollendung des 18. Lebensjahres begonnen wurde, ist nicht als Erwerbs- oder Schulausbildung zu werten. Es stellt daher keine  Ausnahme für den Einsatz der Arbeitskraft dar. BezieherInnen der bedarfsorientierten Mindestsicherung müssen bereit sein, ihre  Arbeitskraft einzusetzen und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Dies kann im Falle eines Studiums in der Regel nicht angenommen werden.“

Ein Verweis auf Studienbeihilfe und Selbsterhalterstipendium folgen. Eine Lücke im sozialen Netz  Österreichs? Für Maja begann ein wochenlanger Amtsweg – vom Arbeitsmarktservice (AMS), wo man für sie als Studentin nicht zuständig sein wollte, zum Sozialamt  Magistratsabteilung 40 und wieder zurück. „Niemand wusste genau, wie mein Fall zu beurteilen ist“, erzählt sie. Schließlich doch  eine Auskunft: Kann die Antragstellerin versichern, dass das Studium innerhalb eines Jahres abgeschlossen wird und meldet sich gleichzeitig  beim AMS als arbeitssuchend, kann der Bezug der Mindestsicherung für ein Jahr gestattet werden. Maja war glücklich –  somit sie allerdings nicht gerechnet hatte, war der bürokratische Aufwand. Neben den regelmäßigen Terminen beim AMS musste sie  auch Bewerbungen nachweisen und Schulungen – etwa für richtiges Bewerben oder Computerbasiskenntnisse – besuchen.

Zwischendurch arbeitete sie immer wieder, denn Jobangebote durfte sie nicht ablehnen, auch wenn es eigentlich mehr Stunden  waren als vereinbart. Für die Diplomarbeit blieb dabei wenig Zeit, ein Jahr verging schneller als gedacht. Und plötzlich stand sie wieder da: ohne Job, ohne Versicherung und ohne Geld.

Sicherheitsnetz Eltern. Inzwischen hat Maja ihre Diplomarbeit abgeschlossen und steht kurz vor der Diplomprüfung. Um über die  Runden zu kommen, arbeitet sie derzeit 20 Stunden bei der Post, das AMS hat ihr diese Stelle vermittelt. Auch bei der Studierenden- Sozialerhebung erklärten viele der Befragten, finanzielle Schwierigkeiten zu haben. „Die Hauptgründe dafür sind, dass die Eltern  nicht mehr zahlen können und unerwartete Ausgaben“, schildert Angelika Grabher vom Institut für höhere Studien (IHS), das die  Studierenden-Sozialerhebung erstellt. Finanzielle Schwierigkeiten sind neben sozialer Herkunft und Migrationshintergrund auch  stark vom Alter abhängig: 42 Prozent der 29Jährigen klagen über Probleme. Inwiefern sich die Kürzung der Familienbeihilfe auf die finanziellen Schwierigkeiten auswirkt, ist statistisch noch nicht erfasst. „Allerdings führen ein Viertel der Studierenden mit Schwierigkeiten diesen Wegfall als Mitgrund für ihre Probleme an“, führt Grabher aus. Mariela hingegen kann sich auf ihre Eltern  verlassen, die 23Jährige Jusstudentin arbeitet nur in den Ferien.

Im vergangenen Sommer hat sie ein Praktikum bei einer Anwaltskanzlei absolviert. Ihr Zimmer in einer Wohngemeinschaft plus  monatliches Taschengeld für Essen, Shoppen und Freizeit übernehmen die Eltern, die beide selbst AkademikerInnen sind. „Da bin ich echt dankbar“, sagt sie. Der größte Vorteil: Sie kann sich völlig ungestört auf ihr Studium konzentrieren. Das zeigt auch der  Studienfortschritt, Mariela liegt gut in der Zeit, macht neben den großen Jusprüfungen auch ab und zu Kurse auf der Hauptuni.  „Meine Eltern wollen das aber auch sehen, ich dürfte sicher keine zehn Jahre brauchen“, erzählt die Wienerin. Wer keine oder zu wenig Unterstützung vom Staat und von der Familie erhält, muss sich selbst versorgen. Die meisten suchen sich wie Sina einen Job,  oft ist dieser nicht einmal studienrelevant. Auch für Praktika, die den Lebenslauf aufbessern und erste Berufserfahrung bringen,  hatte Sina nie Zeit. „Das ist sicher ein Nachteil bei der Arbeitssuche später“, sagt sie. Die Studierenden- Sozialerhebung 2011 zeigt,  dass 63 Prozent aller Studierenden im Sommersemester 2011 erwerbstätig waren. 47 Prozent sogar das ganze Semester durchgehend. „Eine Zunahme gibt es vor allem bei der durchgehenden Erwerbstätigkeit“, erklärt Grabher.

Dabei bleibt häufig das Studium auf der Strecke. Denn zehn Prozent der Befragten gaben an, 20 bis 35 Stunden in der Woche zu  arbeiten, bei elf Prozent waren es sogar über 35 Stunden. „Die Hälfte der erwerbstätigen Studierenden hat Probleme mit der  Vereinbarkeit von Studium und Erwerbstätigkeit“, so Grabher. Ein Drittel wolle die Arbeitsstunden reduzieren, um mehr Zeit fürs  Studium zu haben.

Studium vs. Arbeit. Acht Prozent der Befragten der Studierenden-Sozialerhebung können nur wenig (unter zehn Stunden pro Woche)  oder gar keine Zeit für ihr Studium aufwenden. Das liegt vor allem an ihrer umfassenden Erwerbstätigkeit. Viel Arbeit hat natürlich  auch Auswirkungen auf die Studiendauer: Für drei Viertel der Studierenden mit geringer Studienintensität  wird sich die Studiendauer über die Regelstudiendauer ausdehnen, rund ein Drittel wird wahrscheinlich doppelt so lang studieren wie in der Regelvorgesehen. Fallen aufgrund dieser Überschreitungen Beihilfen weg, muss noch mehr gearbeitet werden. Ein Teufelskreis zu Lasten des Studiums beginnt. Christoph hat den Vergleich: Sein Bachelorstudium in Volkswirtschaftslehre hat er noch ohne  Nebenjob absolviert, Studienbeihilfe und eine Substandardwohnung, die er zusammen mit seinem Freund bewohnte, haben ihm durch die ersten Semester geholfen. Seine Eltern konnten ihn nie unterstützen. Der Erfolg der reinen Studienzeit ist klar zu sehen:   Der 23Jährige ist inzwischen im Master und immer noch in Mindeststudienzeit.

„Eigentlich wollte ich nie arbeiten, das Studium war mir immer viel wichtiger“, erzählt er. Alser sich allerdings eine eigene Wohnung  suchen musste und die Mutter wieder zu arbeiten begann, sank die Studienbeihilfe, während die Fixkosten stiegen. „Bei der  Berechnung der Beihilfe wird nur das nominale Einkommen berechnet, Kredite der Eltern oder ob sie mir den Betrag tatsächlich  überweisen, spielt keine Rolle“, schildert er. Auf diese spezielle Situation könne keine Rücksicht genommen werden, lautete die  Antwort der zuständigen Stelle. Ohne Job ging es nicht mehr. 18 Stunden die Woche arbeitet Christoph bei einem  Wirtschaftsforschungsinstitut – zusammen mit der Studien- und Familienbeihilfe ergibt das ein solides Einkommen. „Aber natürlich  hat man viel weniger Zeit fürs Studium. Zuerst habe ich versucht, mein übliches Pensum an Lehrveranstaltungen zu  machen. Das war kein angenehmes Semester“, erzählt Christoph.

Die Entscheidung zwischen Arbeit und Studium hat auch weitere Nachteile: Ein Auslandssemester konnte Christoph nicht  absolvieren, obwohl er seine Zukunft nicht in Österreich sieht. Zuerst hatte er kein Geld, nun keine Zeit.

„Die Situation hat sich sehr verschlechtert“

  • 10.02.2013, 11:48

Bukasa Di-Tutu: "Die Situation hat sich sehr verschlechtert. Das Studium ist heute viel zu teuer, unsozial und es gibt fast keine Nebenjobs. Und es st auch eine Tatsache, dass afrikanische Menschen in Österreich respektlos behandelt werden."

progress: Wann sind Sie nach Österreich gekommen?

Di-Tutu Bukasa: 1971. Es gab damals mehrere Gründe, die Republik Kongo zu verlassen: Einerseits die politische Situation und andererseits  meinen Forschungs- und Entdeckungsdrang. Im Licht der Dynamik der 68er-Bewegung und nach einem fruchtbaren Sommer in Österreich entschied ich mich spontan zu bleiben. Die inspirierenden StudentInnen, Freundschaft und der Reiz einer neuen Kulturwelt durch die deutsche Sprache zogen mich an.

Welches Studium haben Sie absolviert?

Drei Jahre lang besuchte ich gemeinsam mit anderen ausländischen Studierenden einen Vorstudienlehrgang in Mödling. Ab 1975 absolvierte ich ein interdisziplinäres Studium aus Politikwissenschaft und Völkerrecht an der Universität Wien. Parallel dazu studierte ich aus rein akademischem Interesse Jus. Denn eine Laufbahn als schwarzer Anwalt in Österreich wäre damals nicht denkbar gewesen. Nach dem Studienabschluss habe ich 1981 den postgradualen Universitätslehrgang „Internationale Beziehungen“ besucht.

Wie haben Sie sich Ihr Studium finanziert?

Abgesehen von den ermäßigten Studiengebühren während des Vorstudienlehrgangs habe ich keine Unterstützung vom  österreichischen Staat erhalten. Während meiner Studienzeit musste ich bei verschiedenen Firmen schuften. Ich habe unter anderem jahrelang in einer Tischlerei und als Taxilenker gearbeitet.

Denken Sie, dass sich die Situation für Studierende aus Afrika verschlechtert hat?

Die Situation hat sich sehr verschlechtert. Das Studium ist heute viel zu teuer, unsozial und es gibt fast keine Nebenjobs. Und es ist auch eine Tatsache, dass afrikanische Menschen in Österreich respektlos behandelt werden. Aber ich denke, dass sich global die  öffentliche Wahrnehmung von schwarzen Menschen verändert hat. Durch Menschen wie Nelson Mandela, Colin Powell, Condoleezza Rice, Kofi Annan und Barack Obama sind schwarze Menschen heutzutage in europäischen Großstädten sehr präsent. Und der Glaube, dass Weiße von Natur aus das Privileg haben, Schwarzen gegenüber rassistisch aufzutreten, ist im Wandel.

Di-Tutu Bukasa ist Herausgeber von The Global Player und Menschenrechtsaktivist.

Zum dazugehörigen Artikel "Unter Generalverdacht?"
Über den Kampf Baraka Kimambos aus Tansania zum Studium an der Uni Wien und die bürokratischen Hürden für rumänische Studierende in Österreich.

„In rechtlicher Hinsicht drastisch prekarisiert“

  • 10.02.2013, 11:16

Juristin Petra Sußner im Kurzinterview zur rechtlichen Situation ausländischer Studierender an Österreichs Unis.

Juristin Petra Sußner im Kurzinterview zur rechtlichen Situation ausländischer Studierender an Österreichs Unis.

progress: Mit welchen Hürden haben ausländische Studierende in Österreich zu kämpfen?

Petra Sußner: Studierende ohne EUPass sind mit Hürden konfrontiert, die sich in einem verschachtelten legistischen Sammelsurium verbergen und sogar die damit befassten BeamtInnen oft überfordern. Das ist auf die konstant restriktiv gestaltete Fremden- und Asylgesetzgebung der letzten 20 Jahre zurückzuführen. Ein wenig zugänglicher gestaltet sich die Rechtslage für Personen mit einer StaatsbürgerInnenschaft aus dem EU-Raum. Für drittstaatsangehörige Studierende sind der Nachweis eines monatlichen Unterhalts in der Höhe von 837,63 Euro zuzüglich Mietkosten ab dem 25. Lebensjahr und der Nachweis eines Studienerfolgs im Ausmaß von 16 ECTSPunkten eine relevante Zugangshürde. Jüngere müssen 450 Euro nachweisen. Sie müssen jährlich im Rahmen des Antrags auf Verlängerung des Aufenthaltstitels vorgezeigt werden. Auch das Nostrifikationssystem ist kostenintensiv und kaum  überschaubar.

progress: Seit wann werden die Gesetze für Studierende aus dem Nicht-EU-Raum verschärft?

Eine drastische Rolle kommt dem parteipolitisch breit befürworteten Fremdenrechtspaket 2005 zu: Seither gibt es etwa  Auslandsantragstellungen nach absolvierten Aufnahmeprüfungen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei Fristversäumungen oder  Verschärfungen der Unterhaltsanforderungen.

progress: Wann droht ausländischen Studierenden die Abschiebung?

Drittstaatsangehörige sind wesentlich schneller einer Abschiebungssituation ausgesetzt als EU-BürgerInnen. Gefährlich wird es für ausländische StaatsbürgerInnen, wenn ihre Aufenthaltstitel nicht verlängert werden, sie strafrechtlich verfolgt werden oder auch ohne die entsprechenden Bewilligungen erwerbstätig sind. Rechtlich vorgegangen werden kann vor allem gegen die Rückkehrentscheidungen, Ausweisungen und Aufenthaltsverbote. Sie bilden die bescheidmäßige Grundlage der Abschiebungen. Private und familiäre Interessen im Sinn des Artikels acht der Europäischen Menschenrechtskonvention können hier  dagegengehalten werden.

progress: Was sind die Bedingungen, um nach Studienende in Österreich bleiben zu dürfen?

Man kann die „Rot-Weiß-Rot-Karte“ für AkademikerInnen beantragen. Dann steht ein halbes Jahr zur Arbeitssuche zur Verfügung. Wer in diesem halben Jahr keine Erwerbsarbeit gefunden hat, die den gesetzlichen Anforderungen entspricht, ist von Abschiebung bedroht. Eine der Anforderungen ist etwa ein monatlicher Entgeltanspruch in der Höhe von mindestens 45 Prozent der Höchstbeitragsgrundlage. Im Jahr 2012 handelte es sich dabei um 1.903,50 Euro. Außerdem muss es sich um eine den Qualifikationen entsprechende Erwerbstätigkeit handeln.

Petra Sußner verfasst derzeit ihre Dissertation, in der sie sich juristisch mit dem asylrechtlichen Verfolgungsgrund der sexuellen Orientierung auseinandersetzt. Sie hat jahrelang als Rechtsberaterin bei verschiedenen NGOs sowie als Rechtsanwaltsanwärterin für und mit MigrantInnen gearbeitet.

Zum dazugehörigen Artikel "Unter Generalverdacht?" über den Kampf Baraka Kimambos aus Tansania zum Studium an der Uni Wien und die bürokratischen Hürden für rumänische Studierende in Österreich.

Unter Generalverdacht?

  • 09.02.2013, 17:21

Die österreichischen Universitäten werben damit, international vernetzt zu sein und ausländischen Studierenden eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Doch die meisten ausländischen Studierenden sind mit immensen Problemen konfrontiert. Claudia Aurednik gibt Einblick in ihre Schwierigkeiten und Herausforderungen.

Die österreichischen Universitäten werben damit, international vernetzt zu sein und ausländischen Studierenden eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Doch die meisten ausländischen Studierenden sind mit immensen Problemen konfrontiert. Claudia Aurednik gibt Einblick in ihre Schwierigkeiten und Herausforderungen.

„Ich habe wegen der Bürokratie an der Universität Wien drei Semester meines Studiums verloren“, erzählt Baraka Kimambo*: „Zuvor hatte zwar die Universität für Bodenkultur bereits alle Zertifikate der Republik Tansania anerkannt, aber die Uni Wien verweigerte die Zulassung. Sie forderte Bestätigungen, die es in Tansania gar nicht gibt.“ Nach einem langen Briefwechsel mit den Behörden in Tansania und zahlreichen erfolglosen Gesprächen mit der Zulassungsstelle war noch immer keine Lösung absehbar. Kimambo hatte jedoch das Glück, in einem Ministerium an einen Juristen zu geraten, der großes Interesse an Afrika hat. „Ohne Glück geht es nicht. Bei der Zulassungsstelle war das aber leider nicht so“, resümiert Kimambo. Von Tansania aus hatte er sich nach der Highschool an verschiedenen europäischen und amerikanischen Universitäten beworben. Als er nach einem Jahr aus Österreich eine positive Antwort erhalten hatte, beschloss er, in Wien zu studieren. Den Kampf mit der österreichischen Bürokratie konnte er letztlich  gewinnen. Seit dem Wintersemester 2011/12 studiert der mittlerweile 25Jährige an der Universität Wien Afrikawissenschaften.

Baraka Kimambo.

BARAKA KIMAMBO. Der Studienbeginn an der Universität für Bodenkultur war jedoch überaus schwierig: „Ich habe Umwelt- und Bioressourcenmanagement studiert. Der Stoff wurde sehr schnell durchgenommen und Kontakt mit den ProfessorInnen war nicht möglich“, sagt Kimambo. Ein Tutorium für ausländische Studierende habe es nicht gegeben. „Am Institut für Afrikawissenschaften ist das anders, denn es ist ein kleines Institut mit netten ProfessorInnen. Und auch die StudienkollegInnen sind dort netter und viel aufgeschlossener.“ Probleme hatte Kimambo aber mit den an der Universität Wien angebotenen Deutschkursen, weil in diesen nur Alltagssprache und nicht wissenschaftliche Sprache unterrichtet wurde. „Die meisten können sich gar nicht vorstellen, was ein Studierender, der nicht aus einem EU-Land kommt, innerhalb eines Jahres alles schaffen muss. Neben der bürokratisch aufwendigen  Inskription an der Universität musste ich eine Wohnung finden und Deutsch lernen. Und neben dem Studium musste ich auch arbeiten“, erzählt Kimambo.

Gerade am Arbeitsmarkt spürt er die Diskriminierung. Immer wieder hat er Jobs nicht bekommen, weil ArbeitgeberInnen für ihn beim Arbeitsmarktservice (AMS) eine Arbeitsgenehmigung beantragen müssen. Diese Prozedur und die Unsicherheit, ob das Visum  für Kimambo verlängert wird, führen dazu, dass viele kein Interesse an seiner Arbeitskraft haben. Hinzu kommen rassistische Vorurteile gegenüber AfrikanerInnen. Gleichzeitig verlangen die MitarbeiterInnen der Wiener Magistratsabteilung 35 von Kimambo  den Nachweis einer Arbeitsstelle. „Die Probleme bedingen sich also gegenseitig“, resümiert Kimambo. Studierende, die nicht aus einem EU-Land kommen, dürfen erst seit Sommer 2011 auf Basis einer geringfügigen Tätigkeit ohne vorhergehende  Arbeitsmarktprüfung etwas dazuverdienen. „Ab dem 26. Lebensjahr muss ich für das Visum aber rund 7334 Euro pro Jahr als  Guthaben oder ein monatliches Plus von rund 815 Euro nachweisen können. Monatlich darf ich jedoch nur bis zur  Geringfügigkeitsgrenze etwas dazuverdienen – beides ist natürlich lächerlich und schier unmöglich“, erläutert Kimambo. Derzeit hat  er aus diesen Gründen Probleme mit seinem Visum. Seine Eltern können ihn finanziell kaum unterstützen. In Tansania beträgt  das Einkommen für Büroangestellte durchschnittlich 150 Euro im Monat und selbst ÄrztInnen verdienen maximal zwischen 300 und 400 Euro. Zumindest muss Kimambo aufgrund eines Abkommens zwischen der Republik Tansania und Österreich keine  Studiengebühren zahlen. „Ich habe aber viele kenianische FreundInnen, die ab dem Sommersemester 2013 380,86 Euro pro Semester zahlen müssen. Dabei zählt Kenia zu den ärmsten Ländern der Welt.“

ÖH-BERATUNG. Im „Referat für ausländische Studierende“ der ÖH-Bundesvertretung findet neben einer juristischen Beratung auch eine allgemeine Beratung in verschiedenen Fremdsprachen statt. Das Team berät auf Spanisch, Persisch, Türkisch, Kurdisch, Serbisch, Kroatisch, Bosnisch sowie Englisch und Deutsch. Tamiss Khorzad arbeitet hier als Sachbearbeiterin. „In letzter Zeit fragen viele KollegInnen verzweifelt bei mir in der persischen Beratung nach finanziellen Unterstützungen“, sagt sie.Aufgrund ihres Aufenthaltstitels dürfen auch Studierende aus dem Iran nur sehr beschränkt arbeiten. Die Problemlage ist bei ihnen dieselbe wie bei Kimambo: Die ArbeitgeberInnen müssten einen Antrag beim AMS stellen, das verursacht zusätzliche Kosten, weshalb viele lieber verzichten. „Neben den iranischen StudentInnen, die zum Studium nach Österreich gekommen sind, gibt es aber auch viele AsylwerberInnen aus dem Iran, die hier weiterstudieren möchten“, erzählt Khorzad. Am häufigsten erkundigen sich ausländische Studierende nach Stipendien, nach der Zulassung zu Studien, dem Arbeitsmarkt und Visafragen.

„Das Visum bereitet vielen Studierenden aus dem Nicht-EU-Raum große Probleme, die Erteilung des Aufenthaltstitels kann bis zu sechs Monate dauern“, berichtet der zuständige Referent Jens Marxen. Für eine Verlängerung müssen jährlich 16 ECTS-Punkte nachgewiesen werden. „Doch das ist gerade für Studierende, die eben erst Deutsch gelernt haben, besonders schwer“, sagt er. Studierende dürften bei einmaliger Nichterreichung der Punktezahl zwar noch auf die Nachsicht der Behörden hoffen. Beim zweiten Mal gäbe es hingegen keine Toleranz mehr. „Jeder Einzelfall müsste aber genau geprüft werden, denn wer den Aufenthaltstitel nicht erhält, muss das Studium abbrechen“, sagt Marxen: „Wenn jemand eine große Prüfung nicht besteht, so darf dies doch nicht das Ende des Studiums in Österreich bedeuten.“ Das Referat für ausländische Studierende bestätigt die von Kimambo angesprochene Problematik des Nachweises von Geldmitteln. Für die Erteilung eines Visums müssen Studierende aus dem Nicht-EU-Raum ein regelmäßiges Einkommen und ein Vermögen nachweisen, das den Lebensunterhalt für ein Jahr garantiert. Je nach Alter müssen  dementsprechend bis zu 830 Euro im Monat oder bis zu 10.000 Euro jährlich auf einem Konto nachgewiesen werden. Aber auch die doppelten Studiengebühren für Nicht-EU-BürgerInnen müssten abgeschafft werden, meint Marxen. Studierende aus anderen Ländern sollten nicht abgeschreckt oder gar ausgeschlossen werden. Auch die gesamte Verwaltung müsste Marxen zufolge lernen, den Unterschied zwischen einer BittstellerIn, und einem Menschen, dem rechtmäßig etwas zusteht, zu erkennen. Er ergänzt: „Viele StudentInnen aus dem Ausland haben das Gefühl, unter Generalverdacht zu stehen: Denn eigentlich dürfen sie nicht hier sein und arbeiten dürfen sie auch nicht. Nur wenn es rechtlich nicht zu verhindern ist, bekommen sie eben die Arbeitsbewilligung.“

Victoria Lippan (3. v. l.) mit ihren StudienkollegInnen. Aufgrund ihrer rumänischen StaatsbürgerInnenschaft hatte sie bereits Barrieren zu Job und Studium hinnehmen müssen. Fotos: Luiza Puiu

SCHWARZARBEIT. Victoria Lippan* (23) kommt aus Rumänien und studiert seit 2009 Translationswissenschaften und Biologie an der Universität Wien. In Temeswar hatte sie eine deutschsprachige Schule besucht. Dadurch hatte sie während ihres Studiums keine sprachlichen Hürden zu bewältigen. Einen StudentInnen-Job zu finden, war aber wesentlich schwieriger. „In einem Lokal in Strasshof  habe ich der Chefin vorgeschlagen, für zwei bis drei Tage gratis zu arbeiten, da ich ja noch keine Erfahrungen als  Kellnerin hatte. Sie meinte aber, dass meine Kollegin – die an diesen Tagen nur mich alleine arbeiten ließ – mir das Trinkgeld  überlassen sollte. Als ich am nächsten Tag zur Arbeit kam, wurde mir vorgeworfen, dass ich das Trinkgeld geklaut hätte“, erinnert  sie sich. „Außerdem hat mir dort ein angetrunkener Gast erklärt, dass er sich einen zweiten Hitler für Leute wie mich wünschenwürde.“

Die Odyssee war damit aber noch nicht beendet. Während ihres ersten Studienjahrs hatte Victoria drei Anträge beim AMS für eine geringfügige Anstellung als Kellnerin abgegeben. Diese wurden jedoch nicht bewilligt, obwohl sie rechtlich darauf Anspruch gehabt  ätte. Lippan erzählt, dass sie vom AMS mit den Worten „Fräulein, eine Anstellung im Gastrobereich für RumänInnen gibt es bei uns nicht“, hinausgeschmissen wurde. „Das hat mich wirklich sehr geärgert, weil ich in einem tollen Lokal bei einem netten Chef hätte arbeiten können“, erinnert sie sich. Lippan arbeitete daraufhin unangemeldet zwei Jahre lang als Kellnerin für fünf bis sechs Euro in  der Stunde. Das Trinkgeld durfte sie sich nicht behalten. „Es ist wirklich schwierig, schwarz zu arbeiten. Ich habe fast ein Jahr meines Studiums verloren, weil ich auf Abruf im Lokal bereitstehen musste“, erzählt sie. Erst seit dem letzten Sommer werden vom AMS geringfügige Anstellungen für RumänInnen bewilligt. Ab dem 1. Jänner 2014 soll der Arbeitsmarkt für RumänInnen und BulgarInnen geöffnet werden. Victoria betont aber auch, dass sie neben den Problemen am Arbeitsmarkt in ihren Jobs als Kellnerin ständig mit dem negativen Bild, das viele ÖsterreicherInnen von Menschen aus Rumänien haben, konfrontiert worden sei.

Auch Luiza Puiu, selbst Fotografin der Fotostrecke dieser Seiten, ist aus Rumänien nach Wien gekommen. Besonders mit dem AMS hatte Puiu zu Studienbeginn Probleme: „Als ich mich nach den Papieren für einen Nebenjob erkundigte, wurde mir entgegnet, ich könne machen was ich wolle – sie geben mir nichts.“ Puius Forderung wäre, dass interkulturelle Erfahrungen ausländischer Studierender nicht als Grund für Schlechterstellungen betrachtet werden. Und: „Ausländische Studierende sollten am Arbeitsmarktdie gleichen Rechte wie ÖsterreicherInnen haben.“

* Die Namen wurden auf Wunsch der InterviewpartnerInnen geändert und sind der Redaktion bekannt.

Das „Referat für ausländische Studierende“ der ÖHBundesvertretung bietet ein vielseitiges Beratungsangebot in mehreren Fremdsprachen an. Nähere Infos: www.oeh.ac.at

Die Autorin studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaften und verfasst derzeit am Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien ihre Diplomarbeit.