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Liebe machen Lernen

  • 20.06.2017, 21:42
Wie der Name schon erahnen lässt, geht es in „Make Love“ um Seeex. Das aber weniger spektakulär, sondern eher spießig. Ich kann mich nicht erinnern, über eine Sendung je so zwiegespalten gewesen zu sein.

Wie der Name schon erahnen lässt, geht es in „Make Love“ um Seeex. Das aber weniger spektakulär, sondern eher spießig. Ich kann mich nicht erinnern, über eine Sendung je so zwiegespalten gewesen zu sein.

Zum Plot: Wir begleiten die Sexologin Ann-Marlene Henning bei ihrer Arbeit, das heißt vor allem in Beratungsgesprächen mit Paaren. Wir begleiten sie aber auch in Caféhäuser, auf Baustellen oder Biker-Treffen, wo sie alle möglichen Leute über ihr Sexualleben ausfragt. Soweit entspricht das Format gängigen Sozialdokumentationen, folgt aber keiner Skandalisierungslogik. Wir sollen ja etwas dazulernen. Sex erscheint als Thema, über das brave BürgerInnen besser informiert werden müssen. Wobei wir hier von klassischen heterogepaarten BürgerInnen sprechen. LGBTIQA und Disability werden nur peripher oder überhaupt nicht thematisiert. Die Thematisierung von Geschlecht fand ich dafür größtenteils angenehm: Frauen werden beim Sex aktiv gezeigt, Schönheitsideale häufig ignoriert und Henning holt bei jeder Gelegenheit, die sich bietet, ihre Stoff-Vagina heraus, weil es besonders wichtig ist, dass ALLE nach einer Begegnung mit ihr wissen, wie „das da unten“ funktioniert. Diese Bezeichnung für Vagina wird zwar durchgehend problematisiert, aber kaum durch eine andere ausgetauscht.

Etwas trashig, ist jede Folge mit Expert_inneninterviews und anatomischen Bildern gespickt, die in Landschaftsaufnahmen eingeblendet oder an Hauswände projiziert werden. Über weitläufige Sequenzen ist Klaviermusik gelegt, die eine Atmosphäre rührender Tierschicksals-Reportagen erzeugt, was meiner Meinung nach nicht ganz zum Thema passt. Trotz aller Skurrilitäten ist „Make Love“ sehr informativ: Ein bisschen wie die Sendung mit der Maus, wo erklärt wird, wie ein Geschirrspüler funktioniert. Eine Sachgeschichte über Sex, zwischen spießig, trashig und lehrreich. Zum Fremdschämen ist auch immer was dabei, weil Henning sehr schrill wird, wenn sie nicht recht weiß, wie sie reagieren soll. Wer willens ist, das hinzunehmen, kann aus der Sendung durchaus was mitnehmen. Aber eher nicht alles!

„Make Love“ läuft seit 2013 auf MDR, SWR und ZDF. Für die kommende Staffel werden noch Paare gesucht. ;-)

Carina Brestian studiert Soziologie an der Universität Wien.

Bekannt, aber doch unbekannt

  • 23.02.2017, 20:52
Was oder wer ist OKTO?
OKTO gilt als der erste nichtkommerzielle, selbstorganisierte Fernsehsender österreichweit. Gestartet vor elf Jahren, entstehen die Produktionen auf Eigenregie, die SendungsmacherInnen sind meist unbekannte Personen aus der Zivilbevölkerung. In einem Gespräch mit dem Geschäftsführer Christian Jungwirth und den SendungsmacherInnen Ilse Kilic und Fritz Widhalm geht progress der Frage auf den Grund, was das Besondere an OKTO ist.

progress: Wie hat denn OKTO eigentlich begonnen? War es die ursprüngliche Idee, ein selbstorganisiertes Medium zu sein?
Christian Jungwirth: Das war es schon. Es gibt eine lange Tradition von partizipativen, nicht kommerziellen Medien besonders im Radio, aber auch im Fernsehen. Es hatte ein Arbeiterfernsehen in Linz gegeben. Im November 2005 erfolgte der Sendestart von OKTO. Vom Finanzierungsansatz, den die Stadt Wien wählte, war es ein gefördertes, subventioniertes Projekt, mit der Auflage, tunlichst werbefrei zu sein.

Wie würden Sie OKTO’s Sendungsstil beschreiben?
Jungwirth
: Wir sind jung, schrill, ecken in vielerlei Art an, sind sicher überraschend und definitiv alternativ. Unser Anspruch ist es, komplementär zum anderen Angebot im österreichischen Fernsehen zu sein, und ich glaube, dass es seit Bestehen sehr gut gelungen ist. Das ist unsere Legitimation. Wenn wir das verlieren würden, müsste man die Frage stellen, ob wir noch eine Berechtigung auf öffentliche Finanzierung haben, weil Mainstream und angepasste Programme gibt es genug. Wenn wir ganz ehrlich sind, ist das Programm von ORF nicht unterscheidbar vom privaten kommerziellen Programm wie RTL. Ich glaube, dass ein zunehmend großer Anteil der ZuseherInnen genug davon hat. Wir konnten das werbefreie Programm quasi auch als USB Port positionieren.
Ilse Kilic und Fritz Widhalm: Das Außergewöhnliche an OKTO ist die Tatsache, dass viele Menschen ihre Inhalte gestalten und einbringen können. Es ist eben ein Versuch, „Fernsehen von allen für alle" zu ermöglichen. Sprechen ist ja auch eine Möglichkeit, Klarheit zu gewinnen und Widersprüchlichkeiten zu diskutieren. Es geht also nicht nur um Programm- Machen. Wenn jemand aus dem Mainstream eine Sendung bei Ihnen produzieren wollen würde, würden Sie das auch zulassen? Jungwirth: Wir haben de facto professionelle JournalistInnen bei uns, die hauptberuflich im ORF tätig sind. Der inhaltliche Anspruch den wir, auch bei diesen Leuten stellen, ist, dass die Sendungen diesen komplementären, authentischen Charakter haben. Wenn wir versuchen, Formatfernsehen zu kopieren, kann das nur peinlich sein.

Wie kommt man bei OKTO zu einer eigenen Sendung?
Jungwirth:
Unsere Channel-ManagerInnen sind angestellte MitarbeiterInnen. Die sind dazu da, mit den interessierten Menschen ihre Sendungen zu entwickeln. Man bekommt das Equipment wie Kamera, Schnittplätze und Studio – alles gratis von uns. Wir schicken die Leute in die verschiedenen Workshops und dann geht es in die Produktion eines Piloten und mit ein paar Adaptierungen in die erste Episode. Der oder die MitarbeiterIn von OKTO fungiert in weiterer Folge als Coach.

Wie sind Sie zu OKTO gekommen und wie gestalten Sie Ihre Sendung „Wohnzimmerfilmrevue“? Welche Vorbereitungen treffen Sie, wenn Sie eine Folge produzieren?
Jungwirth:
Wir sind schon ziemlich lange dabei, eigentlich fast von Anfang an. Wir fanden es faszinierend, an einem solchen Projekt mitzuarbeiten. In der „Wohnzimmerfilmrevue“ zeigen wir Kurzfilme aus eigener Produktion zu verschiedenen Themen. Auch Literaturverfilmungen und kurze Lesungen von Kolleginnen und Kollegen. Wir versuchen, auf künstlerische Art und Weise Themen aufzugreifen, die im öffentlichen Raum Platz haben sollten. Sie haben letztes Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum gefeiert.

Vieles verändert sich rasant, wie hat sich das auf OKTO ausgewirkt?
Jungwirth:
Momentan sind wir im Fernsehen sehr stark damit befasst, dieses sich erdrutschartig verändernde Fernsehverhalten der jungen Leute aufzufangen. Da ist die Herausforderung von OKTO, „Antworten“ als nicht-kommerzielles, alternatives, partizipatives Fernsehen anzubieten. Youtube hat eine etwas andere Herangehensweise, weil es in der Vielfalt unübertrefflich und komplett offen ist. Wenn wir was on-demand anbieten, muss eine Garantie mitgeliefert werden, dass es sich hierbei um authentischen und alternativen Inhalt handelt. Diesen Anspruch erhebt Youtube nicht.
Kilic und Widhalm: OKTO ist wichtiger geworden. Es ist einfach ein Gegenpol zu all den unzähligen „normalen“ Fernsehprogrammen, die die Menschen letztlich nur als Publikum sehen und ihnen die aktive Teilnahme vorenthalten. Es geht um die Stärkung der sogenannten Gegenöffentlichkeit und die Selbstermächtigung, dass die Dinge, die man zu sagen hat, bedeutend sind. OKTO ist ja nicht nur in Wien empfangbar, wie sehen die Einschaltquoten in anderen Bundesländern aus? Jungwirth: Man muss schon eingestehen: Das was OKTO ausmacht, ist ein stark urbaner Ballungsraum, besonders mit der Einbindung vieler migrantischer Communities. Bezüglich Reichweite und Nachfrage haben wir Wien im Fokus. Es freut uns auch, wenn wir am Land gesehen werden, aber da sind wir sicher eine Randerscheinung.

Wird OKTO in zehn Jahren weiterhin Teil der Medienlandschaft sein?
Jungwirth:
Wir haben in Linz „Dorf TV“, in Salzburg „FS1“ als alternative Fernsehstationen, die auch partizipativ und nicht kommerziell ausgerichtet sind. Ich bin überzeugt, dass in Zukunft die Bedeutung von Einrichtungen wie unserer zunehmen wird. Es braucht Alternativen.
Kilic und Widhalm: Der Wunsch vieler Menschen, selbst ihre Anliegen zu präsentieren und das Wort zu ergreifen wird ebenso an Bedeutung gewinnen wie die Notwendigkeit einer linken Plattform.

Ralph Chan studiert Soziologie und Geographie an der Universität Wien.

Fallstudien zur Qualitätsfrage

  • 23.02.2017, 19:50
Ein Gespenst namens „Quality TV“ geht um in Fernsehwissenschaft und Feuilleton.

Ein Gespenst namens „Quality TV“ geht um in Fernsehwissenschaft und Feuilleton. Freudig aufgegriffen wurde dieser Begriff einst von TV-MarketingstrategInnen, um ihre seriellen Waren einem bildungsbürgerlichen Publikum schmackhaft zu machen. Der Plan ging auf und so stehen in den Bücherschränken der herrschenden Klasse neben repräsentativen Werken der Literatur nun immer öfter auch DVD-Boxen, die sämtliche Folgen von „The Wire“, „Mad Men“ oder „The Sopranos“ umfassen. Nach Theater und Kino, die beide lange Zeit als Medien des Pöbels galten, wurde nun auch das Fernsehen in den bürgerlichen Kulturkanon aufgenommen. Das gelang durch die formale Abgrenzung vom Trash- TV: Längere Erzählbögen, komplexere Handlung und ungewöhnliche Formen der Narration lassen unlogische Abläufe und reaktionäre Inhalte weniger schnell ins Auge springen.

Die Herausgeber von „Das andere Fernsehen?!“ lehnen den Begriff „Quality TV“ nicht ab, sondern stellen einmal mehr die Frage, was darunter zu fassen sei. Betrachtet man das Register behandelter Serien, finden sich neben den üblichen Verdächtigen wie „Six Feet Under“, „Breaking Bad“ und „Orange Is the New Black“ auch durchaus Überraschungen: Insbesondere britische Serien wie „Sherlock“ oder „Parade's End“ werden ausführlich behandelt. Nicht zuletzt der britischen Sitcom können einige AutorInnen viel abgewinnen. Aber eben primär den formal avancierten wie „The Office“, „The Thick of It“ oder „Extras“. Zwar scheint – gerade in der Auseinandersetzung mit Sitcoms – immer wieder durch, dass der Qualitätsbegriff eigentlich vollkommen unbrauchbar für einen Auseinandersetzung mit Fernsehen ist. Aber die Konsequenz daraus wird nicht gezogen, nämlich den Begriff „Quality TV“ als Affirmation jenes Sektors der Kulturindustrie, der bei Oberschichtsangehörigen gut ankommt, zu benennen und diesen als Analysekriterium für Fernsehen endlich zu verwerfen.

Dennoch bietet der Sammelband eine durchaus gelungene Darstellung dessen, was ist. Ideologiekritische Perspektiven und eine gesellschaftstheoretisch fundierte Analyse von Formsprachen kommen allerdings – wie so oft in der medienwissenschaftlichen Auseinandersetzung – zu kurz. Für die LeserInnen sind zumindest ein paar Serienempfehlungen dabei und für die AutorInnen beginnt mit einer überteuerten Publikation in einem renommierten Verlag vielleicht eine wissenschaftliche Karriere.

Text: @fernseherkaputt
fernseherkaputt.blogspot.com

Jonas Nesselhauf/Markus Schleich [Hg.]: Das andere Fernsehen?! Eine Bestandsaufnahme des „Quality Television“, Bielefeld: transcript 2016, 298 Seiten, 39,99 Euro

Die Serie zum Pferdestehlen

  • 02.09.2016, 19:17
Vergesst Mad Men, Breaking Bad und Game of Thrones. Das wahre Juwel unter den Serien ist eine animierte Trickfilmserie mit Menschen und anthropomorphen Tieren gleichermaßen.

[Dieser Text enthält im dritten Absatz unzählige Spoiler]
Vergesst Mad Men, Breaking Bad und Game of Thrones. Das wahre Juwel unter den Serien ist eine animierte Trickfilmserie mit Menschen und anthropomorphen Tieren gleichermaßen.

Ihr Held ist ein Pferd, BoJack Horseman, der in den 90ern eine erfolgreiche Sitcom hatte und nun, 20 Jahre später, immer noch verklärt nostalgisch auf diese Zeit zurückblickt. So begann BoJack Horseman 2014 –seit Ende Juni gibt es die mittlerweile dritte Staffel auf Netflix zu sehen und auch wenn es unwahrscheinlich klingt: Es ist die beste Serie der Welt.

Schon lange zeichnet sich ein Comeback der Zeichentrickserien für Erwachsene ab. Lange gab es nur die Simpsons, aber mit South Park, Bob’s Burgers und Family Guy wurden die Möglichkeiten dieses Unterhaltungssektors nach und nach ausgeforscht. Der Humor dieser Serien wurde im Laufe der Zeit aber bald platt und teilweise sogar ärgerlich, als hätten die Macher*innen versucht, so politically incorrect wie möglich zu sein. Auch BoJack Horseman enthält am Anfang nur wenig jugendfreie Szenen, denn BoJacks Leben in Hollywoo (so heißt Hollywood in der Serie) dreht sich vor allem ’Drogen, Alkohol und Sex. Er möchte seine Karriere wieder in Schwung bringen, scheitert aber regelmäßig daran, für sein eigenes Frühstück verantwortlich zu sein. Durch seine Biografie, geschrieben von Ghostwriterin Diane Nguyen, ist sein Name in Staffel 1 wieder etwas wert. Durch eine ernste Rolle in einem ernsten Film wird in Staffel 2 auch sein Gesicht wieder in die kollektive Erinnerung Hollywoos gerufen. Nun geht es in der dritten Staffel vorrangig um einen möglichen Oscar für ihn.

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Nebenbei passieren die wirklich wichtigen, tagesaktuellen, schmerzhaft ehrlichen und herzzerfetzenden Stories. BoJacks Mitbewohner Todd muss sich gegenüber seinem Highschool Crush Emily als asexuell outen, seine Agentin Princess Carolyn scheint endlich emotional in einer Beziehung angekommen zu sein, bevor sie erkennt, dass sie sich doch wieder in die Arbeit stürzen sollte und eine Karriere als Managerin angeht. Besagte Ghostwriterin Diane und ihr Mann Mister Peanutbutter (ein sehr friedfertiger und lebensfroher Labrador) begegnen in ihrer Ehe immer neuen Problemen und entscheiden sich mitten in der Staffel sogar für eine Abtreibung. Alle Nebencharaktere durchleben ihre kleinen und großen Krisen in einer enormen Geschwindigkeit, denn jede Episode dauert weniger als eine halbe Stunde. Jede Szene ist gespickt mit Hintergrund- und Vordergrundwitz, intertextuellen Zitaten, bildlichen und metaphorischen Vorahnungen oder Rückblenden. Die Serie ist eine einzige vielschichtige Medienkritik, die dennoch an Humor und Emotionen absolut nichts vermissen lässt.

Kritiker*innen bemerken immer wieder, dass BoJack Horseman als Serie und Charakter eine sehr akkurate Darstellung von Depression auszeichnet. Direkt thematisiert wird dies aber nie. BoJack trinkt sehr viel und ist oft erzürnt über alles Mögliche, aber am ehesten ist er doch antriebslos, unmotiviert und desillusioniert. Warum man sich so sehr mit einem Pferd verbunden fühlt, das in den 90ern eine erfolgreiche Fernsehserie hatte und bis heute davon zehren könnte, aber von Grund auf unzufrieden mit sich ist? Vielleicht weil wir alle manchmal denken, dass der Höhepunkt unseres Lebens und Schaffens schon hinter uns liegt und wir deswegen ein bisschen sauer sind? Weil man beim Anschauen der Nachrichten eigentlich merkt, wie unwichtig das eigene Leben ist und dass sich alles im Kreis dreht?

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BoJack muss am Ende einsehen, dass ein potentieller Oscar ihn auch nicht glücklich machen würde. Er hangelt sich von Strohhalm zu Strohhalm und wird immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen. Seine Suche nach einer einfachen Lösung für einfach Alles verpufft durch ein simples „Then what?“ – er weiß es nicht. Man weiß beim Zusehen auch nicht, ob man Bojack lieber umarmen oder ohrfeigen möchte. Aber das weiß man bei sich selbst ja meistens auch nicht.

Die dritte Staffel streamt seit 22. Juli 2016 auf Netflix. Die erste und zweite Staffel ebenso.

 

Katja Krüger-Schöller reitet gern und studiert Gender Studies.

Fiktion …

  • 22.06.2016, 12:32
Zur Darstellung von Drogendealer_innen in Filmen und Serien ...

Zur Darstellung von Drogendealer_innen in Filmen und Serien ...

Die uneindeutige Weiblichkeit von Snoop
Felicia „Snoop“ Pearson in der HBO-Serie The Wire wird von Felicia Pearson gespielt. Neben professionellen Schauspieler*innen wurden auch viele Lai_innen gecastet. Unter anderem Pearson, die selbst Drogendealerin war und mit 14 zu acht Jahren Gefängnis wegen Mordes verurteilt wurde. Zu Beginn nur Statistin wird ihre Rolle in weiterer Folge ausgebaut. Sie dealt nicht direkt mit Drogen, sondern ist dafür zuständig, Leute aus dem Weg zu räumen, bringt deshalb im Laufe der Serie dutzende Menschen um und scheint dabei nie von irgendwelchen Skrupeln geplagt zu sein. Sie steht symbolisch und am treffendsten für den Typus „Men with Tits“, da sie durch nichts als Frau zu erkennen ist. Nur am Ende, bevor sie von einem früheren Verbündeten hingerichtet wird, fragt sie diesen noch: „Does my hair look good?“, woraufhin ihr entgegnet wird: „You look good Felicia.“ Es ist das erste und einzige Mal, dass sie von einem der ihren mit Felicia angesprochen wird. Erst im Tod wird sie zur Frau.
[Anm. d. A.: Ich danke Laura Söllner für ihre Mithilfe.] Anne Marie Faisst arbeitet als Buchhändlerin und studiert nebenbei Internationale Entwicklung an der Uni Wien.

Das undynamische Duo
Ein Verkaufsort, eine Droge: Jay und Silent Bob vertreiben in zahlreichen Filmen des Regisseurs Kevin Smith Marihuana vor dem „Quick Stop“-Laden in Leonardo, New Jersey. Als Kinder haben sie sich dort kennengelernt und so ihren Platz im Leben gefunden. Sie sind die liebenswerte Version lästiger Dealer_innen an der Straßenecke: Zwar machen sie Radau und belästigen Passant_innen, doch erweisen sie sich immer wieder als Menschen mit gutem Herz. Wenn es die Handlung erfordert, begehen sie ihre kleinkriminellen Taten im nächstgelegenen Einkaufszentrum oder reisen auch quer durchs Land. Die beiden sind nicht eindimensional auf das Dealen reduziert. Ihr Erwerbsleben bleibt aber eine nicht näher ausgestaltete Facette wie auch ihre anderen Charakteristika – etwa der Kunstgriff, dass Silent Bob, wenn er denn mal redet, meist etwas Bedeutungsvolles zu sagen hat. Die beiden sind also nicht mehr (und sollen auch nicht mehr sein) als Cartoon- Figuren, quasi die straffälligen Enkel der Marx Brothers.
Markus Grundtner hat Rechtswissenschaften sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert. Er arbeitet als Konzipient in Wien.

Grace Saves Herself
Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes erbt Grace Trevethyn einen Schuldenberg. Ihrem Haus, das sich unweit eines west-englischen Fischerdorfes befindet, droht die Zwangsversteigerung. Die Hauptfigur des Films Saving Grace ist eine begnadete Gärtnerin. Als ihr Hausangestellter Matthew sie darum bittet, seine angeschlagenen Hanfpflanzen aufzupeppeln und ihre Bemühungen binnen kürzester Zeit Wirkung zeigen, haben beide die rettende Idee: Grace und Matthew pflanzen hochpotentes Marihuana an. Bald wissen alle im Dorf – inklusive des örtlichen Polizisten – vom groß dimensionierten Drogenanbau. Aus Verständnis für die von finanziellen Nöten geplagte Grace unternehmen sie nichts. Größere Polizeirepression droht erst, als Grace und Matthew versuchen, ihre Ernte in London zu verkaufen. Auf dem Anwesen von Grace kommt es zum Showdown zwischen Polizei, einem hippieesken Kleindealer und dem Handlanger des potentiellen Großabnehmers. Dank eines Hanffeuers löst sich alles im kollektiven Rausch auf. Die Verarbeitung des Erlebten in Form eines Bestseller- Romans wirft schlussendlich das nötige Kleingeld für Grace ab.
Florian Wagner studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien.

Ein Schneemann in Kolumbien
Robin Hood, Familienmensch und Serienmörder: Die Serie Narcos nimmt sich dem Leben und Wirken Pablo Escobars an. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln all jener Lebenswelten und behördlichen Schutzbereiche, welche von Escobar berührt, beeinflusst oder gar eingerissen wurden. Die Hauptperspektive bleibt jedoch jene eines US-Drogenpolizisten. Die erste Staffel folgt dem Aufstieg vom kleinen Schmuggler zum internationalen Kokain- Großhändler. Gezeigt wird Escobar als Mann mit Ambitionen, dessen krimineller Hintergrund ihm aber den Eintritt in die Politik verwehrt. Eben diese Obrigkeit zwingt er mit Entführungen, Auftragsmorden und Terroranschlägen in die Knie. Er errichtet gar sein eigenes Gefängnis und sperrt sich dort selbst mit allen Annehmlichkeiten ein, um nicht an die USA ausgeliefert zu werden. Am Schluss der ersten Narcos-Staffel muss Escobar seine persönliche Festung verlassen, weil sich zwei Staatsgewalten (die US-amerikanische und die kolumbianische) nicht von einem einzelnen Mann die Stirn bieten lassen wollen.
Markus Grundtner hat Rechtswissenschaften sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert. Er arbeitet als Konzipient in Wien.

Mutter Oberin!
Er hat stets feinen Stoff. „Mutter Oberin“/„Mother Superior“, aus der Kultromanverfilmung „Trainspotting“. „Was darf’s denn sein?“, fragt der von Keith Allen personifizierte Dealer mit Stil. Heroin natürlich. Was sonst? Intravenös. Wie sonst? Fixbesteck vergessen? Kein Problem; der fürsorgliche Mitvierziger aus der Lebensrealität des schottischen Autors Irvine Welsh entsprungen, hilft gerne aus. Lou Reeds „Perfect Day“ ertönt in der Verfilmung von Danny Boyle, mit dem damals blutjungen Ewan McGregor in der Hauptrolle. Als heroinaffiner Renton versinkt er prompt im roten Teppich, einem Grabe gleich. Zu viel war es. Zu rein. So zerrt die Oberin seinen bewusstlosen Körper möglichst sanft aus dem Arbeiter_innensiedlungs-Wohnblock auf die Straße und ruft ein Taxi. Denn Taxler_innen stellen keine Fragen. Die Oberin steckt Renton ein paar Pfund in die Hemdtasche. Tätschelt liebevoll die Wange – Kundenpflege aus dem Bilderbuch.
Jan Marot studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien und Zürich.

Tarantinos Version eines Dealers
In „Pulp Fiction“ (1994) werden fast alle Formen von Kriminalität in irgendeiner Weise gezeigt. Der Lieblingsdealer von Vincent – dem Handlanger eines Gangsterbosses und Hauptfigur im Film – ist Lance. Er lebt mit seiner Frau in einem gemütlichen Vorstadthaus und muss zum Arbeiten dieses nicht mehr verlassen. Er begrüßt dort seine Stammkund_ innen und versorgt sie mit hochklassigem Stoff. Lance selbst ist den Drogen nicht abgeneigt, ist aber bei weitem kein Junkie. Er arbeitet also nicht, um sich seine Sucht zu finanzieren. Viel Platz bekommt er in Quentin Tarantinos Blockbuster nicht. Der Film lebt von der Vielzahl an coolen Typen und ihren Sprüchen. Die Welt der organisierten Kriminalität wird sehr stilisiert, voller Klischees und Verweisen auf Popkultur zelebriert. Sehr realitätsnah ist die Darstellung von Lance also nicht, der gern vor dem Fernseher hockt und um drei Uhr nachts genüsslich Frühstücksflocken verzehrt.
Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies in Wien.

Lest hier den begleitenden Artikel über die realen Drogendealer*innen

Fans of Thrones

  • 18.06.2016, 15:32
SPOILERS – The Game of Fans. Nie mehr „Wenn du das nicht machst, sag ich dir wie es bei Game of Thrones weitergeht“. – das Wissensmonopol der Bücherkenner_innen wurde mit der neuen Staffel ausgehebelt.

SPOILERS – The Game of Fans. Nie mehr „Wenn du das nicht machst, sag ich dir wie es bei Game of Thrones weitergeht“. – das Wissensmonopol der Bücherkenner_innen wurde mit der neuen Staffel ausgehebelt.

Am 24. April startete die sechste Staffel Game of Thrones des amerikanischen Privatsenders HBO. Die fantastische Actionserie zeichnet sich nicht nur durch ihre hohen Produktionskosten aus – ca. zehn Millionen Dollar pro Folge, sondern punktet besonders mit einer hypnotisierenden Mischung aus Drama, Sex und Gewalt. Dabei steht sie der Romanvorlage des amerikanischen Autors Georg R.R. Martin um nichts nach, doch die um sich greifende Popularität der Serie hat die Reichweite der Bücher bei weitem überholt. Die visuelle Adaption des Textmaterials schockiert und fesselt wöchentlich Millionen von Menschen an die Empfangsgeräte. Doch die Romanreihe wurde mit der nun angelaufenen sechsten Staffel eingeholt. Fans der Bücher beschwören den schwergewichtigen Autor deshalb schneller zu arbeiten und einen gesünderen Lebensweg einzuschlagen, um nicht vor Beendigung der Romanreihe, wie viele seiner Charaktere, einen plötzlichen Tod zu erleiden. Ein Vorschlag, dem der Autor und notorische Mörder seiner (Haupt)Charaktere mit einem „Fuck you to those people“ begegnete.

Trotzdem stellt sich für eingefleischte Fans eine Frage: Inwieweit ist die neueste Staffel der Buchreihe treu? Obwohl die Serienschöpfer David Benioff und Daniel B. Weiss von G.R.R. Martin in ihrem weiteren Vorgehen beraten werden, zweifeln viele Fans der Buchreihe die Authentizität der Storyline in der Serie an. Ohne die Buchvorlage zu kennen geht somit für viele der Reiz an der Serie verloren. Nicht umsonst existieren im Internet zahlreiche „reaction videos“, in denen wissende BücherleserInnen schockierte Serienfans filmen, wenn wieder einmal überraschend ein Charakter geköpft, vergiftet oder kastriert wird. Obwohl die Serie auch schon in den letzten Staffeln von der Romanvorlage abgewichen ist, scheint dieses Wissen einen besonderen Reiz auszumachen. Das Wissen der Bücherfans wird dabei zum Joker. Ist eine Handlung verändert oder ein Charakter in der Serie umgedeutet, erkennen dies die Fans und können so mit ihren Bücherfakten punkten. Ganz zu schweigen von der Machtposition die mit dem Ausspruch „SPOILERS“ einhergeht. Mit der neuen Staffel der Serie geht dieser Spaß verloren.

Alena Brunner studiert im Masterstudiengang CREOLE an der Universität Wien.

Die Id Girls kommen

  • 08.03.2016, 19:06
Was hat Freuds „Es“ mit der Comedy-Serie „Broad City“ zu tun?

Das Magazin The New Yorker hat den Begriff „Id Girls“ für die Macherinnen und Hauptdarstellerinnen der Comedy-Serie „Broad City“ erfunden. Id ist Englisch für Freuds Es, den unbewussten, triebhaften Teil einer Person. Mit Amy Poehler als ausführender Produzentin begann Mitte Februar die dritte Staffel der lustig verstörenden Fernsehserie über das Leben zweier Twentysomethings in New York. Die zwei auf sonderbare Weise sympathischen Frauen verkörpern die zwei Hauptambitionen der Hipster- Generation – sie wollen kreativ sein und Hedonismus leben. Illana versucht so wenig wie möglich zu arbeiten und so viel wie möglich zu kiffen, wobei ihr Lieblingsversteck für ihre Rauchwaren ihre Vagina ist. Abbi möchte als Graphikdesignerin arbeiten. Sie finanzieren sich über Jobs im Fitnessstudio und im Marketing.

Eine einfache Rechnung geht auf: Da die zwei Hauptdarstellerinnen weiblich sind und quasi alle Witze über sie laufen, ist feministische Subversion in fast jeder Szene aufzufinden. Unsicherheit und Laissez-faire sind hier auch in weiblicher Gestalt sympathisch, nicht mal Körperflüssigkeitshumor braucht ein männliches Pendant.

„Broad City“ macht die Diversität New Yorks sichtbar und der bizzare Humor ist radikaler als in der Schwesternserie „Girls“. Die Protagonistinnen sind sich ihrer Position als weiße Frauen in der Gesellschaft zumindest teilweise bewusst, vor allem Illana spricht Themen wie White Supremacy, Prekarität und Transfeminismus manchmal an. Die Freundinnen propagieren ein wenig am Mainstream orientiertes Körperselbstbild, obwohl Selbstzweifel auch hier nicht zu kurz kommen.

Der Titelsong Latino N’Proud passt perfekt in die Collage aus dem Big Apple. Die Comediennes nehmen hin und wieder gestische Anleihen im Hip Hop. Sie kopieren übertriebene Männlichkeitsposen und Machtdemonstrationen und verwenden dies als Kritik am weißen Patriarchat. Fraglich bleibt, ob damit nicht eine unwillkürliche Allianz mit eben jenem hergestellt wird, da über schwarze Kultur und vor allem Körper gelacht werden darf.

Sarah Binder hat an der Akademie der Bildenden Künste Wien Konzeptkunst studiert.