Technologie

„Ich bekomme Schmerzen, wenn Leute Texte singen.“

  • 09.06.2016, 19:34
Wir sprachen am Coded Cultures mit Electric Indigo und Angélica Castelló über Alienstimmen, Schablonensongs und restriktive Clubmusik

Am diesjährigen Coded Cultures Festival bespielten die DJ und Musikerin Susanne Kirchmayr aka Electric Indigo und die Performerin und Musikerin Angélica Castelló eine ehemalige Polizeistation in Wien. Marlene Brüggemann sprach für progress mit ihnen über Alienstimmen, Schablonensongs und restriktive Clubmusik.

progress: Welche Technologie ist für die Musik die unwichtigste?
Kirchmayr: Presets (lacht).

Warum?
Kirchmayr: Presets sind eine Falle in die man gerne stolpert. Das blöde bei Presets ist, es fällt Leuten, die sich ein bisschen damit beschäftigen, sofort auf, wenn du sie verwendest. Presets sind total lame, auch wenn sie auf Platten von Michael Jackson und Pet Shop Boys zu hören sind. Das ist wie wenn du malen würdest, aber von jemanden anderen dafür die Schablonen kaufst.
Castelló: Ich finde eher der Looper, aber das ist Geschmackssache. Wenn die Technik nur als Technik verwendet wird, ist sie überflüssig. Wenn man was zu sagen hat, kann man das mit egal was sagen. Presets hab ich noch nie verwendet, weil ich keinen Computer verwende (lacht).

Würdet ihr euch als Soundkünstlerinnen_ bezeichen?
Kirchmayr: Ich für mich sicher. Ich kann keine Songs schreiben.
Castelló: Komponistin, Künstlerin, Performerin, aber Soundkünstlerin ist global.

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Was treibt euch an, neue Klänge zu entdecken?
Castelló: Für mich ist es mein Instrument, die Blockflöte, die musikalisch oft zu wenig ausgeschöpft wird. Sie ist mein Zentrum und Antrieb als Performerin. Ich versuche den Mangel meines Instruments und auch der Stimme in ein klangliches Universum zu transformieren.
Kirchmayr: Bei mir ist es ein Spieltrieb, also ein Spielen mit meinen Werkzeugen, der Hardware oder auch der Software. Was ich in den letzten Jahren gerne mache, ist ein Ausgangsmaterial möglichst vielfältig zu verfremden bzw. weiter zu prozessieren. Ich beschränke mich zum Beispiel auf eine Audioaufnahme von einem Satz, den jemand sagt und aus dem mach ich ein langes Stück Musik, das viele verschiedene Klänge hat.

Ihr beide arbeitet oft mit Sprachaufnahmen. Was fesselt euch an ihnen?
Kirchmayr: Ich studierte zwei Jahre lang Linguistik und finde Grammatik und die Bedeutungsverschiebungen, die sich durch grammatische Unterschiede ergeben können nach wie vor spannend. Diese Freude am Spielen mit Sprache findet in meiner Musik einen Niederschlag. Mit Vocals habe ich aber ein Problem. Ich mag immer die Instrumentalversion von Stücken lieber. Wegen meiner Aversion gegen Messages, habe ich aus Prinzip keine (lacht).
Castelló: Mir geht es ähnlich. Schon als Kind war ich immer die, die keine Ahnung von den Wörtern in Songs hatte, auch wenn sie auf Spanisch waren. Meine Schwester konnte immer die Songtexte von Queen oder Pink Floyd verstehen, obwohl sie nicht gut Englisch konnte. Ich dagegen bekomme Magenschmerzen, wenn Leute Texte singen. Umso mehr mag ich Sprachen, die ich nicht verstehe. Alles was die Menschen dann sagen, kann nur schön, geheimnisvoll oder magisch sein. Deswegen faszinieren mich Radio- oder versteckte Alienstimmen. Also eher die weirden Stimmen, bei denen man nicht genau weiß, ob sie von dieser Welt sind.
Kirchmayr: Sprichst du mit Aliens (lacht)?
Castelló: Ja! Durch meine Flöte (lacht).

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Macht es für euch einen Unterschied, ob ihr in einem Club, Konzertsaal oder einer ehemaligen Polizeistation Musik spielt?
Castelló: Total. Ich kann nicht ein Konzept haben und das überall spielen. Meine Medien, die Flöte, die Instrumente und auch Kassetten, sind alle low-fi. Meine Musik ist davon abhängig, wie der Raum ist und ob es eine_n Tontechniker_in gibt oder nicht. Da muss ich mich anpassen.
Kirchmayr: Während des Spielens am Coded Cultures war mir überhaupt nicht bewusst, dass ich in einer ehemaligen Polizeistation bin. Nach dem Soundcheck kam ein Mann vorbei, der ziemlich verstört war. Er meinte, 1991 hätte die Polizei ihn hier mit einem Sack über den Kopf und mit Schlägen eines Telefonbuchs auf den Hinterkopf abgeführt. Er wollte auch nach 25 Jahren nicht in den Raum hineingehen. Sonst hatte die Location aber nichts bedrohliches mehr an sich.
Castelló: Die Konzerte waren auch so laut, da führten wir schon eine Katharsis durch. Falls in der ehemaligen Polizeistation schlechte Geister waren, sind die jetzt futsch.
Kirchmayr: Prinzipiell finde ich es super, wenn man alle Arten von Räume in Beschlag nimmt. Das ist eine Aneignung von öffentlichen Raum, in die man sonst nicht ohne weiteres reinkommt. Die Umdeutung eines Ortes ist immer interessant.

Was sind Mindestansprüche an einen Veranstaltungsort?
Castelló: Ich könnte egal wo spielen, aber ich bräuchte eine_n super Tontechniker_in und eine super Musikanlage. Als Vergleich: Wenn du Profipianist_in bist, schleppst du dein Instrument nicht mit. Dann bist du auf das Instrument vor Ort angewiesen. Aber ein_e Pianist_in spielt kein Konzert auf einem Klavier, das verstimmt ist oder bei dem zwei Tasten fehlen. Bei aller Liebe zum Trash – es geht sich nicht immer aus und macht nur die Ohren kaputt.

Was braucht ihr um euch als Veranstaltungsbesucherinnen_ wohl zu fühlen?
Castelló: Einen Kühlschrank, eine gute Anlage und ein Klo.
Kirchmayr: Und ein gutes Team, die machen die Atmosphäre. Stichwort gute Anlagen: Die sind in den meisten Wiener Clubs skandalös schlecht. Den Wiener_innen reicht es, wenn es was zu trinken gibt und es richtig wrummt. Auf einer schlechten Anlage kannst du Radiomusik spielen, die sich im Frequenzspektrum der menschlichen Stirn abspielt, weil du nur eine leicht eingängige Melodie hören musst. Musik, die eine große Wucht vom Sound und den Bässe her braucht, funktioniert auf schlechten Anlagen nicht.

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Glaubt ihr zu eurer Musik wird in naher Zukunft in den Clubs getanzt?
Castelló: Ich mache Filmmusik und elektroakustische Musik, also nein. Ich bin nicht so der Clubmensch. Ich liebe Tanzen, aber ich verstehe den Beat nicht.
Kirchmayr: Mir fällt es viel schwerer Club-kompatible Musik zu machen, weil sie viel restriktiver ist. Was in den Clubs besser funktioniert, ist das Funktionale, das einfach zugänglich ist und den_r Hörer_innen schon bekannt vorkommt. Es gibt aber auch andere Musik, die komplexer, vertrackter und nicht so ganz zugänglich sind.
Castelló: Ist die auch zum Tanzen?
Kirchmayr: Ein Groove ist schon dabei. Ich rede von Dancefloormusik.
Castelló: Ich stehe auf die Latino-Rythmen. Vielleicht mach ich mal eine experimentelle Cumbia (lacht).

Ihr schaut auf eine eine 20-jährige Zeit des Musikmachens zurück und habt zahlreiche Preise und Stipendien erhalten. Legt ihr noch auf kleinen Technoparties auf oder bespielt Keller?
Kirchmayr: Die Stipendien, so wie ich eines vom Bundesministerium bekommen habe, sind keine Vermögen. Du bekommst in einem Jahr soviel wie ein_e halbwegs arrivierte_r Künstler_in für einen Auftritt. In jeder Biografie von Künstler_innen stehen Preise drinnen und wenn man keinen hat, ist das doof. Preise sind gut, wenn man darauf angewiesen ist, etwas auf den Tisch legen zu müssen.
Castelló: Das Niveau des Finanziellen ändert sich mit Preisen und Stipendien nicht. Ich bin nicht edel geworden – im Gegenteil. Die Anerkennung macht dich halt ein bisschen mehr sexy.

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

Smart Up, Wien!

  • 19.06.2015, 20:44

Smart Cities sind in aller Munde. Zahlreiche Events in Wien drehen sich um dieses Thema, so auch das diesjährige CITYx-Event im Wiener MAK. Doch was bedeutet es eigentlich genau, eine „smarte“ City zu sein?

Smart Cities sind in aller Munde. Zahlreiche Events in Wien drehen sich um dieses Thema, so auch das diesjährige CITYx-Event im Wiener MAK. Doch was bedeutet es eigentlich genau, eine „smarte“ City zu sein?

New York will es, London will es, und Wien will es auch – die Smart City der Zukunft werden. Dieses Schlagwort lässt sofort an eine Stadt denken, in der Menschen von ihren selbstfahrenden Autos von A nach B gebracht werden und die Welt nur noch durch ihre Smart Glasses wahrnehmen, während sie sowohl soziales Leben als auch Kalorienstatus in einer Smart Watch verwalten. Davon ist Wien noch weit entfernt, auch wenn mit der Konzeption der neuen U5 ein erster kleiner Schritt Richtung Stadt der Zukunft getan ist.

Business Insider“ rankt Wien immerhin als Top 8 der 18 innovativsten Städte der Welt. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass Wien 2015 das sechste Mal in Folge von Mercer zur Stadt mit der höchsten Lebensqualität gekürt wurde. Die Reihung hat mit den smarten Vorteilen unserer Hauptstadt vergleichsweise wenig zu tun, obwohl sich in den vergangenen Jahren viel getan hat: Wien hat nicht nur eine wachsende Start-Up-Szene, sondern hostet auch das Start-Up-Festival Pioneers, das jährlich IT-Größen aus ganz Europa anzieht und auch weltweit nicht unbemerkt geblieben ist.

Foto: pioneers.io

TRADITIONELL, ABER NICHT SMART. Wiener Schnitzel, Kaffeehauskultur und Mozart sind gängige Assoziationen, wenn man an Wien denkt. Traditionell? Vielleicht, aber nicht unbedingt smart. Das soll sich in Zukunft ändern. Wien soll künftig auch als smarter Wirtschaftsstandort von sich reden lassen. Der „Digital Economy and Society Index (DESI)“ der Europäischen Union zeigt den Fortschritt der Mitgliedsstaaten auf dem Gebiet des Digitalen. Bis 2020 soll die gesamte Union zu einer digitalen Gesellschaft finden, in der nicht nur das Vertrauen in die digitale Wirtschaft sondern auch die „digital literacy“ der Bevölkerung gestärkt werden soll. Sprich: die Fähigkeit der Bevölkerung mit digitalen Devices umzugehen. Österreich scheint auf diesem Gebiet nach dem DESI-Index Nachholbedarf zu haben: zwar sind digitale Technologien gut in der Gesellschaft integriert, dennoch gehört Österreich zu jenen fünf Mitgliedstaaten, die diese Technologien am wenigsten nützen.

Foto: David Bohmann / digitalcity.wien

Das Projekt Digital City Wien will das ändern. Durch Schaffen eines virtuellen Campus soll unsere Hauptstadt in naher Zukunft zu einer der Start-Up-Hauptstädte Europas werden. Die Initiative will Aufmerksamkeit für die bereits bestehende digitale Industrie schaffen und Wien so zu einer der führenden Smart Cities der Welt machen. Im September wird der virtuelle Campus starten. Statt an Mozart soll ab diesem Zeitpunkt lieber an junge Start-Ups gedacht werden. Doch das verlangt auch die Beteiligung und Unterstützung der Gesellschaft, die gerade in Österreich Digitalem eher misstrauisch gegenübersteht.

CITYx: DAS EVENT FÜR URBANISMUS. Events wie das jährliche CITYx-Event von TEDxVienna versuchen möglichst viele Besucher_innen für den Urbanismus der Zukunft zu begeistern. CITYx bietet Expert_innen auf dem Gebiet der Stadtentwicklung eine Bühne für innovative Ideen rund um die Zukunft der Stadt. Neun Speaker_innen werden im bekannten TED-Format im Wiener MAK zur Smart City der Zukunft sprechen und erklären, wie ihre Einwohner_innen sie jetzt schon mitgestalten können. „Die diesjährigen Sprecher und Sprecherinnen sind so vielseitig in ihrer Art, die Frage nach der Zukunft unserer Städte zu beantworten. Das gibt mir die Hoffnung, dass wir tatsächlich das Morgen noch besser gestalten können als das Heute”, sagt Joshua Grigsby, Kurator von CITYx.

Die Nachfrage ist groß: Das CITYx -Event war innerhalb von drei Wochen ausverkauft. Deswegen wird es am 23. Juni auf der CITYx –Homepage ab 17:00 ein Live-Screening der Vorträge geben. Wer keine Karte mehr bekommen konnte, kann so zumindest von Zuhause aus mitverfolgen, wie das smarte Wien der Zukunft aussehen könnte.

Verena Ehrnberger ist Juristin mit Schwerpunkt Datenschutzrecht und studiert Vergleichende Literaturwissenschaften an der Universität Wien.