Technik

Jugend hackt das System

  • 23.02.2017, 19:01
Eine der spannendsten aktuellen Jugendbewegungen hat nur am Rande mit Musik oder Politik zu tun. Jugend-Hackathons und Hackerclubs wie das „CoderDojo“ oder „Jugend hackt“ beschäftigen sich mit Technik und ihren Schnittpunkten zu Kunst und Gesellschaft.

Eine der spannendsten aktuellen Jugendbewegungen hat nur am Rande mit Musik oder Politik zu tun. Jugend-Hackathons und Hackerclubs wie das „CoderDojo“ oder „Jugend hackt“ beschäftigen sich mit Technik und ihren Schnittpunkten zu Kunst und Gesellschaft.

Junge Menschen stellen auf der Bühne eine Willkommens-App für Flüchtlinge, Software für Ampelsysteme, Inhaltsstoff-Scanner für Lebensmittel und intelligente Festival-Playlisten vor. Doch hier präsentieren sich keine Start-up-Unternehmen, sondern zumeist Schüler_innen, die das Ergebnis gerade mal eines Wochenendes Arbeit vorführen. Seit 2013 organisiert der Verein „Open Knowledge Foundation“ (OKF) zusammen mit „mediale Pfade e.V.“ Veranstaltungen speziell für technikbegeisterte Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren. Am Ende der jährlich in Berlin stattfindenden Hackathons soll ein fertiger Prototyp, Code oder ein Konzept vorgestellt werden. In verschiedenen Kategorien, etwa „Design“ oder „Mit Code die Welt verbessern“, wird das beste Projekt prämiert. Erfahrene Mentor_innen begleiten und beraten die Teilnehmenden während der Umsetzung, lassen ihnen aber weitgehend freie Hand.

Dabei ist Hacking mal mehr Spiel, Bastelei und Selbsterprobung, mal ist der Code aber auch die Bedienungsanleitung für das Schaffen einer besseren Welt. Mit Technik begegnen die Jugendlichen gesellschaftspolitischen Themen wie Flucht, Vertreibung und Asyl. Daneben spielen auch klassische Themen der Hackerszene wie Datenschutz und Anonymität eine Rolle, und nicht zuletzt geht es auch darum, junge Talente zu fördern und die Hacker_innen von morgen auszubilden. Die Reihe ist so erfolgreich und die Nachfrage so groß, dass seit einem Jahr Parallelevents auch in zahlreichen anderen deutschen Städten stattfinden.

FÜR EINE BESSERE WELT. Die Idee, Kinder und Jugendliche auch abseits von einem oft defizitären oder zu kurzen Informatikunterricht an den Schulen ans Gerät zu bringen, hat in den letzten Jahren mehrere Initiativen hervorgebracht. Einer der Vorreiter_ innen für Medien- und Technikbildung ist der „Chaos Computer Club“ (CCC e. V.) mit seinem seit 2007 bestehenden Projekt „Chaos macht Schule“. Das Programm, dessen Schwerpunkt vor allem auf informierter Internetnutzung statt bloßem Programmieren liegt, soll bald auch in Wien adaptiert werden. Interessierte Schulleitungen oder Lehrer_innen können sich unter der Adresse schule@c3w.at Hacker und Haecksen für das Klassenzimmer buchen. Viele lokale Hackspaces bieten zudem kostenlose Workshops speziell für Kinder an. Seit 2011 schließen sich außerdem global sogenannte „CoderDojos“ zusammen – Programmier- Clubs, auch für jüngere Kinder ab fünf Jahren, die sich mehrmals im Monat treffen. Seine Gründer rufen dazu auf, das Konzept weiterzutragen und stellen dafür auch ein Handbuch zur Verfügung.

EXPORTSCHLAGER. Das Format Hackathon findet international Anklang. In Österreich findet ein entsprechender Event vom 4. bis 6. November in Linz statt und nächstes Jahr soll es sogar in Südkorea starten. Sonja Fischbauer, die bisher das „Young Coders Festival AT“ leitete, begleitet für den österreichischen OKF-Ableger, das „Open Knowledge Forum“, die Umsetzung: „Anno 2014 hat ‚hacken‘ in Österreich noch alle verschreckt, aber auch hier verändert sich das Image des Wortes weg von etwas Bösem, zu der durchweg positiven Bedeutung, ein kniffliges Problem zu knacken. Wir wollen mit unserer Veranstaltung noch ein bisschen mehr dazu beitragen.“

Damit die Reihe auch in Österreich ein voller Erfolg wird, sucht das Projekt noch Unterstützung: „Für die Veranstaltung suchen wir Mentor_innen aus verschiedenen Sparten: Auch Designer_ innen und Projektmanager_innen können wichtigen Input liefern. Zusätzlich brauchen wir Helfende in allen organisatorischen Belangen. Und natürlich hilft uns jede Spende. Die stecken wir direkt in die Verpflegung, in die Ausstattung und die Unterkünfte für die Jugendlichen“, so Fischbauer weiter.

Wer jedoch nicht direkt mit großen Datensätzen arbeiten oder Apps schreiben möchte, kann unter ähnlichen Voraussetzungen Entwickeln lernen: Die Zahl der Game Jams steigt ständig. Auch hier bewegt man sich spielerisch an den Schnittstellen zwischen Kunst, Technik und gesellschaftspolitischen Themen. Wenn die Hackathons und CoderDojos weiter an Zulauf gewinnen, dürfen wir uns auf eine Generation freuen, die nicht nur Neugier auf die großen Fragen hat, sondern auch die richtigen Werkzeuge in der Hand hält, um sie vielleicht sogar zu lösen.

Interview mit Sonja Fischbauer (OKF AT) und Magdalena Reiter (Jugend hackt AT, Linz)

progress: Warum sollten junge Menschen programmieren und hacken können?
Sonja Fischbauer: Weil sie damit ihre Zukunft selbst gestalten, etwas schaffen können. Coden ist Kreieren – wie Häkeln, nur mit Buchstaben, Zahlen und Zeichen. Magdalena Reiter: Außerdem ist es von großer Bedeutung, dass wir unsere technologische Zukunft nicht großen Unternehmen überlassen, sondern selbst über entsprechende Kompetenzen verfügen. Technik und Technologie haben einen sehr hohen Stellenwert in unserer Bildung, Arbeit, aber auch in unserer Freizeit eingenommen. Es wird darum für die nächste Generation wichtiger, die Grundprinzipien des Programmierens zu verstehen und im besten Fall auch den eigenen Alltag selbst verändern und gestalten zu können.

Das „Young Coders AT“-Festival wird zu einer Veranstaltung der „Jugend hackt“-Reihe.
Fischbauer: Wir starten dieses Jahr in Linz neu durch, und da sich unsere Veranstaltung inhaltlich immer schon an den Events unserer deutschen Schwesternorganisation orientiert hat, wollten wir das auch im Titel ausdrücken.

Was lernt ihr von den Kindern und Jugendlichen, was hat euch beeindruckt?
Fischbauer:
Ich bin beeindruckt vom großen Wissen mancher Jugendlicher, aber vor allem von ihrer Motivation, sich in ihrer Freizeit zu engagieren. Die gemeinschaftliche Atmosphäre ist zudem etwas ganz besonderes an Jugend-Hackathons.
Reiter: Jugendliche können oft noch ihre konkreten Bedürfnisse artikulieren und die Gründe ihrer Motivation simpel darstellen, ohne dabei die Komplexität zu reduzieren. Das beeindruckt mich sehr. Erwachsene sind da oft viel komplizierter und verlieren gleichzeitig das Auge für die Schönheit der Komplexität.

Was haltet ihr vom Informatikunterricht (IKT) an Schulen?
Fischbauer:
Ich hatte um das Jahr 2000 Informatik als Wahlfach, und ich wünschte, ich hätte mehr gelernt, als nur ein bisschen Visual Basic zu programmieren. Das hat mir damals viel Spaß gemacht, aber ich hätte mehr direkte Förderung gebraucht. So geht’s wohl vielen Mädels. Hier ist für mich die Bildungspolitik stark gefordert. Reiter: Der Informatikunterricht ist momentan natürlich sehr stark von den Lehrer_innen abhängig. Es gibt ganz tolle Pädagog_innen, die aktuelle Entwicklungen verfolgen und das Wissen darüber mitgeben wollen – aber sie sind rar. Im Großen und Ganzen gibt es einfach noch zu wenig Vorstellung darüber, wie bunt und einfallsreich Informatikunterricht oder generell technologieunterstützter Unterricht ausschauen könnte. Damit in der nächsten Generation kein „Digital Gap“ entsteht, müssten wir außerdem schon im Kindergartenalter damit beginnen und schulische und außerschulische Aktivitäten stärker miteinander vermischen.

Anne Pohl hat in Bamberg den HackspaceBackspace e.V. mitgegründet.

Roboter im Knast?

  • 24.06.2015, 21:06

Ein autonomer Bot der Künstlerinnen „!Mediengruppe Bitnik“ bestellte zufällig gefakte Jeans, Ecstasy und ungarische Pässe im Darknet. Die Schweizer Polizei nahm es gelassen. Aber wer ist eigentlich für Roboter, die gegen Gesetze verstoßen, verantwortlich?

Ein autonomer Bot der Künstlerinnen „!Mediengruppe Bitnik“ bestellte zufällig gefakte Jeans, Ecstasy und ungarische Pässe im Darknet. Die Schweizer Polizei nahm es gelassen. Aber wer ist eigentlich für Roboter, die gegen Gesetze verstoßen, verantwortlich?

Schon lange versprechen uns Wissenschaft und Science-Fiction Roboter mit Bewusstsein. Seit den 60er Jahren sind Utopien und Dystopien der künstlichen Intelligenz immer wieder Thema. Autonome Maschinen ohne Bewusstsein  kommen bereits heute im Alltag und in technischen Arbeitsprozessen zum Einsatz: Sie bauen unsere Autos zusammen, spielen Fußball-Weltmeisterinnenschaften, mähen Rasen, saugen Wohnungen, putzen Schwimmbäder und besuchen den Mars. Aber auch in der Arbeit mit Menschen erlangen sie immer mehr Bedeutung: In Dubai sollen ab 2017 Roboterpolizistinnen zum Einsatz kommen. In Japan werden schon seit 2009 Pflegeroboter getestet, die Patientinnen selbstständig waschen, aus dem Rollstuhl heben und ins Bett legen. Doch was passiert, wenn der Roboter  einen  Fehler macht? Wenn er eine Patientin fallen lässt und sich diese verletzt?

ERROR. Nachdem Maschinen nicht verklagt werden können, stellt sich die Frage, ob im Schadensfall die Herstellerin oder die Besitzerin des Roboters die Schuld tragen soll. Die aktuellen Roboter sind zwar ohne Bewusstsein, aber lernfähig, entwickeln sich weiter, übermitteln die Daten der Patientinnen und schlagen im Notfall Alarm. Nehmen wir an, über die Jahre lernt der Roboter, dass Schnarchen harmlos ist. Doch dann hat eine Patientin einen Erstickungsanfall. Die Maschine interpretiert das als Schnarchen, die Patientin stirbt. Wer trägt die Konsequenzen?

Dietmar Dietrich forscht an der Technischen Universität Wien zu künstlicher Intelligenz und sagt, dass die Haftungsfrage eindeutig sei: „Selbstverständlich haftet der/die HerstellerIn nach europäischem Rechtsstandard, denn der Computer hat kein Bewusstsein. Er kann also seine Handlungen nicht reflektieren." Von 1992 bis 2003 war in Deutschland bei Hüftoperationen ein Roboter im Einsatz. Als er Hüftknochen zu tief ausfräste, wurde er vom Markt genommen. Der Hersteller Integrated Surgical Systems (ISS) haftete dafür. Juristisch ausgedrückt sind Roboter Produkte im Sinne des Produkthaftungsgesetzes und die Herstellerin haftet verschuldensunabhängig, wenn das Produkt fehlerhaft ist. Anders sieht es zum Beispiel beim Navigationsgerät aus. Wenn  eine dieses in eine Sackgasse oder Einbahnstraße führt, so hat die Fahrerin die Wahl der Anweisung zu folgen oder nicht. Das Bewusstsein und damit die Verantwortung liegen bei ihr.

Aber wie ist das mit autonomen Robotern? Vor kurzem ist ein Audi die 900 Kilometer lange Strecke vom Silicon Valley nach Las Vegas größtenteils alleine gefahren, Nürnbergs U-Bahn fährt auf zwei Linien bereits fahrerinnenlos. Fehlfunktionen von Robotern könnten hier erheblichen Schaden anrichten und der Gesundheit oder dem Eigentum von Menschen schaden.

CYBORG? Diese neuen Umstände erfordern eine Reflexion der Beziehung von Robotern und Menschen zum Gesetz. Dabei muss es nicht unbedingt um das Erlassen eines komplett neuen Rechts für Roboter gehen. „Gesetze brauchen wir in unserer  Gesellschaft nur für Wesen, denen Bewusstsein zugesprochen werden kann. Roboter von heute sind Maschinen und haben nichts Menschliches an sich, auch wenn sie manchmal so aussehen und manche Bewegungen dem Menschen ähnlich sind“, führt Dietrich aus.

Vielmehr geht es um offene Fragen bezüglich der Anwendung geltender Gesetze sowie unter Umständen eine Ergänzung in den jeweiligen Rechts- gebieten. Dabei gibt es eine zentrale Schwierigkeit: Die Ursache für die Fehlfunktion eines Roboters ist häufig schwer festzustellen. Forscherinnen liefern die Erkenntnisse über die notwendige Programmierung für den Pflegeroboter, Programmiererinnen bestimmen den Rahmen an Daten, der durch die „Erziehung“ der Roboterbesitzerin erweitert wird. So trägt die Nutzerin zu dem Informationsstand und den Entscheidungsprozessen der Maschine bei, indem sie etwa den Alarm beim Schnarchen als Fehlalarm ausgibt. Soweit die Eigenständigkeit der Maschinen bei der Entscheidungsfindung als zunehmend bezeichnet werden kann, wird das Gesetz strapaziert werden. Es sei ohne Zweifel erforderlich, das geltende Recht auf seine Anwendbarkeit auf Roboter  hin zu prüfen, da das Gesetz Lücken auf- weist und keine lernenden Roboter abdeckt, meint Susanne Beck, die an der Universität Würzburg zu juristischen Fragen zum Zusammenleben von Robotern und Menschen forscht. In ihren Augen steht die Diskussion zur Robotik erst am Anfang und wird sich in den nächsten Jahren noch vertiefen.

SUPER INTELLIGENT ROBOT. Amerikanische Forscherinnen wie Michio Kako prognostizieren, dass die Intelligenz der Maschinen jene des Menschen zwischen 2030 und 2070 überschreiten werde, während andere wie Dietmar Dietrich und Markus Vincze von der TU Wien glauben, Roboter mit Bewusstsein lägen noch in weiter Zukunft. Vincze sieht deshalb keinen Handlungsbedarf für eine Bearbeitung  des österreichischen Rechts: „Asimovs Gesetze sollten gelten.“ Isaac Asimovs Robotergesetze bilden den Hintergrund seiner Kurzgeschichte „Runaround“ aus 1942 und prägen seitdem die Auffassung davon, was und wie ein Roboter sein sollte. Diese lauten: Ein Roboter darf kein menschliches Wesen verletzen. Er muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen – es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel 1 kollidieren, und er muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel 1 oder 2  kollidiert.

Beck geht einen Schritt weiter. So sollte auch bei Robotern diskutiert werden, ob sie Empfängerinnen rechtlicher Mitteilungen sein könnten. Es sei zumindest denkbar, dass Roboter deren Inhalt und Bedeutung in gewissem Sinn verstehen und demgemäß handeln könnten. Das spräche dafür, Roboter in Zukunft bei einem Zusprechen von Pflichten und Rechten auch als direkte Ansprechpartnerin zu wählen, so Beck.

 


Clara Heinrich studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Beam us up

  • 24.06.2015, 20:47

Science-Fiction ist mehr als nur Unterhaltung. Sie regt zum Träumen an: über medizinische Scanner, Weltraumkanonen und utopische Gesellschaften.

Science-Fiction ist mehr als nur Unterhaltung. Sie regt zum Träumen an: über medizinische Scanner, Weltraumkanonen und utopische Gesellschaften.

„Er ist tot, Jim.“ Dieser Satz wurde wegen des hohen Verschleißes an Statist_innen zum Markenzeichen des grantigen Schiffsarztes McCoy aus der originalen Star Trek-Serie der 1960er. Doch bevor „Bones“ seine Diagnose stellen konnte, bediente er sich eines speziellen Gerätes, dem Tricorder: ein medizinischer Scanner, der dem Weltraumarzt ohne Berührung alle möglichen Daten über seine Patient_innen verriet. Bis das Realität wird, müssen wir allerdings nicht mehr allzu lange warten: Vor kurzem präsentierte die Firma Scanadu ihren „Scout“, der wie das Vorbild aus Star Trek funktioniert und Daten wie Puls, Körpertemperatur, Blutdruck, Atemfrequenz und den Sauerstoffgehalt im Blut messen kann. „Um 1800 wurde das Thermometer erfunden. Das war bisher die letzte große Revolution im Bereich medizinischer Diagnose, die zu Hause durchgeführt werden kann“, erklärt Walter de Brouwer, der Gründer von Scanadu, das passenderweise ein Spin-off der US-Raumfahrtbehörde NASA ist.

TRICORDER™. Allerdings bauen noch neun andere Teams im Rahmen eines Wettbewerbs des Prozessorherstellers Qualcomm an medizinischen Tricordern. Der hat dafür nicht nur zehn Millionen US-Dollar Preisgeld bereitgestellt, sondern auch Lizenzgebühren für die Verwendung des Begriffs „Tricorder" gezahlt. Das zeigt nicht nur, dass Erfinder innen und Designer_innen sich bei ihrer Arbeit von Science-Fiction inspirieren lassen, sondern  auch,  dass  Firmen  bereit  sind, Geld dafür zu zahlen, um ihre Geräte nach ihrer Inspiration benennen zu dürfen. Und auch wenn die Mondlandung letztendlich mit einer Rakete und nicht statt wie von Jules Verne beschrieben mit einer Kanone durchgeführt wurde: Das heißt nicht, dass niemand es versucht hätte. Das US-Militär versuchte in den 1960er Jahren mit dem Projekt HARP eine von Verne inspirierte Weltraumkanone zu bauen.

In seinem Essay „Design Fiction“ erklärt der Künstler Julian Bleecker, warum sich Science-Fiction und De- sign so nahe sind: „Bei Science-Fiction erschaffen Autor innen Prototypen anderer Welten, anderer Erfahrungen, anderer Kontexte für Leben. Designte Objekte können sehr ähnlich verstanden werden.“ Wer einen Prototyp erschaffen will, schaut sich also erst einmal die fiktiven Prototypen von Sci-Fi-Autor_innen an. Die Geschichte kann übrigens auch anders verlaufen: Syd Mead, der als Konzeptkünstler für Filme wie Blade Runner, Alien oder Tron gearbeitet  hat, verdiente sein Brot vor seiner Karriere in Hollywood als Designer für den Automobilhersteller Ford.

Illustration: Veronika Lambertucci

HOSENTASCHENAVANTGARDE. Was ist überhaupt  Science-Fiction? So einfach ist die Frage gar nicht zu beantworten, gibt es doch einige Möglichkeiten der Definition. Beispielsweise sagt der Autor Basil Davenport: „Science-Fiction ist Fiktion, die auf der imaginierten Entwicklung der Wissenschaft oder auf der Extrapolation von gesellschaftlichen Tendenzen beruht.“ Einer der bekanntesten Science- Fiction-Schriftsteller seiner Zeit, der Biochemiker Isaac Asimov, meinte dagegen: „Science-Fiction kann als Zweig der Literatur definiert werden, der sich mit der Reaktion von menschlichen Wesen auf Veränderungen in Wissenschaft und Technik beschäftigt." Der Sci-Fi-Begriff setzt sich aus den englischen Wörtern science und fiction zusammen. Sci-Fi hat sich erst mit der stärkeren Entwicklung eines zunehmenden Interesses an Wissenschaft und Technik in der Literatur etabliert. Als Begründerin des Genres gilt die Schriftstellerin Mary Shelley, die mit ihrem Roman „Frankenstein“, den sie während eines sehr verregneten Sommerurlaubs schrieb, große Erfolge erzielte. Weitere frühe Science-Fiction Werke wurden von Jules Verne („Reise zum Mittelpunkt der Erde“) und H. G. Welles („Die Zeitmaschine“) verfasst, die sich mit  wissenschaftlich-romantischen und technisch-gesellschaftskritischen Themen befassen. Heute wirken viele dieser Geschichten, gerade jene von Jules Verne, antiquiert, weil die großen technischen Errungenschaften, von denen sie erzählen, in vielen Fällen zum alten Eisen gehören: Ein U-Boot oder eine Raumkapsel mögen zwar immer noch imposante technische Gefährte sein, sie versprühen aber nicht mehr den avantgardistischen Charme, den sie im 19. Jahrhundert hatten. Erfindungen wie Videokonferenzen oder Nachrichtensendungen passen heute in die Hosentasche.

In den 1920er Jahren wurde Sci-Fi immer populärer, die Geschichten wurden in sogenannten Pulp-Fiction-Heftchen wie den berühmten „Amazing Stories“ verkauft. Ende der 1930er begann dann das sogenannte „Golden Age“, in dem besonders durch Geschichten von Autor_innen wie John W. Campbell, Clare Winger Harris und Catherine Lucille Moore immer mehr Leser_innen in den Bann futuristischer Welten gezogen  wurden. Der Fokus der Erzählungen entwickelte sich weg von der Technik hin zu den Benutzer_innen und ihrem Umgang mit der Technik. So schrieb zum Beispiel Karel Capek über das Problem von Robotern mit Selbstbewusstsein. In der Nachkriegszeit wuchs insbesondere in den USA die Popularität der Sci-Fi: In Filmen wie „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ von Robert Wise konnten tabuisierte Themen wie die Angst vor einem Atomkrieg verarbeitet werden. In der Sowjetunion konnte Systemkritik in die ferne Zukunft geschoben und so an den Augen der Zensor_innen vorbeigebeamt werden.

THE KISS. Bei Star Trek waren Atomkriege und Systemkritik kein Thema: In dieser Zukunft leben und arbeiten Menschen aller Ethnien ohne Probleme zusammen. Besonders die Rolle von Nichelle Nichols, die die Kommunikationsoffizierin Uhura spielte, war für die 1960er Jahre bahnbrechend: Sie war die erste schwarze Frau in einer Führungsposition im US-Fernsehen. Ein Kuss zwischen ihr und Captain Kirk war der erste Kuss zwischen einem weißen Mann und einer schwarzen Frau der Fernsehgeschichte. Mit realen Folgen: Sowohl die Schauspielerin Whoopi Goldberg als auch die Physikerin und Astronautin Mae Jemison nannten Uhura als Inspiration für ihre Karrieren. Utopien und Dystopien gibt es aber schon wesentlich länger. Unter den Begriffen wird immer eine alternative Gesellschaftsordnung verstanden, in einem Werk wird also eine andere Gesellschaft visualisiert. Sowohl Utopien als auch Dystopien haben einen gesellschaftskritischen Charakter und hinterfragen bestehende Ordnungen. Besonders in Science-Fiction-Filmen unterwirft sich die Gesellschaft oft entweder einer neuen Klassenstruktur oder überwindet diese komplett. Ein Beispiel für ersteres ist die Zweiklassengesellschaft im Filmklassiker „Metropolis“. 

U- ODER DYSTOPIE? Mit einer gesellschaftskritischen Perspektive soll Sci-Fi die derzeitigen politischen Missstände aufdecken und die Leser_innen zu neuen Ansätzen anregen. Eines der frühesten Werke dieser Art ist der französische Roman „Das Jahr 2440. Ein Traum aller Träume“ von Louis-Sébastien Mercier. Er beschrieb 1771 eine Zukunft ohne Monarchie, in der alle Bürger_innen von Paris Intellektuelle sind, die sich freiwillig einer moralischen Zensur unterwerfen: Was als Utopie gedacht war, könnte heute auch als Dystopie gelesen werden.

Illustration: Veronika Lambertucci

Das mag aber auch daran liegen, dass wir heute  oft  mit  dieser Spielart zu tun haben: In der Science-Fiction des späten 20. Jahrhunderts wurden dys- topische Erzählungen immer wichtiger. Technische Errungenschaften und Entwicklungen werden nicht mehr als Standarten einer besseren Zukunft gesehen, sondern im Gegenteil als Bedrohung.  Beispiele  sind  Serien wie „Fringe", in denen neue Erfindungen die Menschheit bedrohen. Themen wie Krisen des Kapitalismus, totalitäre Gewaltherrschaft, Furcht vor atomaren Massenvernichtungswaffen und anderen Katastrophen, die zu neuen Kriegen führen könnten, sind Szenarien dystopischer Erzählungen. Postapokalyptische Weltuntergangsgeschichten, die unter dem Oberbegriff „Dark Future“ bekannt sind, spiegeln heute wohl oft die Angst vor der drohenden Klimakatastrophe wider, ohne diese je- doch unbedingt explizit zu benennen. Der damals „teuerste Film aller  Zeiten“, „Waterworld“, ist ein drastisches Exempel für diese Spielart der Sci-Fi. Vielleicht prägen solche Filme ja eine neue Generation von Umweltschützer_ innen. Sci-Fi diente aber auch in der jüngeren Vergangenheit immer wieder dazu, die eigenen Vorstellungen einer besseren Welt in die Zukunft zu projizieren oder Gedankenspiele ausführen zu können. Die Autorin Ursula Le Guin beschrieb 1974 in „Die Enteigneten“ eine Utopie, in der Anarchist_innen vor autoritären Systemen auf den Nachbar innenplaneten geflohen sind. Das Buch war eins der wenigen westlichen Werke, das in der DDR erscheinen durfte, trotz Kritik am autoritären Kommunismus. In „Die linke Hand der Dunkelheit“ beschreibt Le Guin einen Planeten, dessen Bewohner_innen androgyn sind – und die Reaktion eines menschlichen  Besuchers.

SCHÖNER WOHNEN IM 26. JHD. Leben Menschen in utopischen Welten mit Raumschiffen und Tricordern besser? In ihrer Diplomarbeit „Die Technisierung des menschlichen Leibes“ schreibt die Medienwissenschaftlerin Andrea Wöger, dass der Tenor von Sci-Fi-Filmen anfangs eher ein optimistischer Fortschrittsglaube war, der sich jedoch zu einer Skepsis entwickelt hat. Heute kann jede Entfaltung, jeder Fortschritt außer Kontrolle geraten und düstere Szenarien wie etwa eine Herrschaft der Maschinen, wie wir sie aus „Matrix“ und „Terminator“ kennen, ins Rollen bringen.

Düstere Szenarien tun sich jedoch auch auf, wenn man einen genaueren Blick in die Sci-Fi-Szene wirft: Seit Jahren versuchen konservative Autor_innen und ihre Fans, die Hugo-Awards, die wichtigsten Literatur- preise der Szene, mit Nominierungsvorschlägen zu unterwandern. Den sogenannten „Sad Puppies“ zufolge würden die Preise nämlich immer nur PoC und Frauen gewinnen, eben weil sie PoC und Frauen sind; nicht etwa, weil ihre Werke literarisch anspruchs- voll und die von ihnen entworfenen Szenarien  inspirierend seien.  Zu dieser „Social Justice"-Mafia gehören im Weltbild der „Sad Puppies“ übrigens auch Filme wie „Der Hobbit“, der 2013 einen Hugo-Award erhielt. Heuer haben es besonders viele der „Sad Puppies“-Vorschläge in die Nominierungen der Hugo-Awards geschafft.

Spannend, dass bei einer Gruppe, die vorgibt, rein auf die literarische Qualität zu achten, vor allem einer der „Sad Puppies“-Initiatoren nominiert wird: John C. Wright, der 2013 zum ersten Mal wegen seiner homofeindlichen Ansichten auffiel. Letztes Jahr hat den Hugo für den besten Roman Ann Leckie mit „Ancillary Justice“ gewonnen: Sie beschreibt eine Gesellschaft, in der Geschlecht keine Rolle spielt und alle im generischen Femininum miteinander reden. Heuer ist – trotz „Sad Puppies“-Lobbyarbeit, ihr Nachfolgeroman „Ancillary Sword“ nominiert.

Vielleicht färbt Sci-Fi ja doch nicht nur auf Produktdesigner_innen ab.


Ralph Chan studiert Soziologie an der Universität Wien.
Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Kabelsalat in Öl

  • 24.06.2015, 20:18

40°C warmes Ölbad – was für manche wie eine Wellnessidylle klingt, ist für den schnellsten Computer Österreichs Alltag. progress hat sich den Supercomputer ,,Vienna scientific Cluster" genauer angesehen.

40°C warmes Ölbad – was für manche wie eine Wellnessidylle klingt, ist für den schnellsten Computer Österreichs Alltag. progress hat sich den Supercomputer ,,Vienna scientific Cluster" genauer angesehen.

„Legen Sie lieber die Jacke ab, es wird heiß!“ Damit soll Ernst Haunschmid, technischer Leiter des  Vienna  Scientific  Cluster  (VSC),  Recht behalten. Angenehme  40°C  Lufttemperatur  erwarten mich im Rechnerraum  des  VSC-3,  der  dritten  Version  des Supercomputers. Wenig konnte ich mir unter einem Hochleistungsrechner vorstellen, umso mehr staune ich über die Meter an schwarzen Kabeln, die aus weißen Tanks heraushängen. „Dagegen ist der Kabelsalat unter meinem Schreibtisch gar nichts“, ist mein erster Gedanke. Als Ernst Haunschmid den Deckel eines Tanks öffnet, blicke ich auf in Mineralöl eingelegte sogenannte Knoten. Diese kann man sich vereinfacht als Einzelcomputer vorstellen, die über ein Hochleistungsnetzwerk miteinander verbunden sind. Das Öl ist notwendig, um den VSC-3 zu kühlen.

Auch  die  roten  Kabel,  die  zusammen mit gelben und orangen an der Decke entlangführen und an manchen Stellen wie Lametta den Raum schmücken, erfüllen eine wichtige Funktion. Sie sind die Früherkennungssensoren  im  Brandfall – eine Gefahr, die man im Zusammenspiel mit Öl nicht unterschätzen darf. Auch die Behörden interessieren sich für dieses Thema, doch Ernst Haunschmid beruhigt: „Es ist schwierig, dieses Öl zu entzünden. Bei einem Flammpunkt von 177°C geht das nicht so einfach, nicht  einmal mit  einem Bunsenbrenner.“

Foto: Luiza Puiu

BAUSTELLE. In einem der Nebenräume werfe ich einen Blick auf das ausgeklügelte Kühlsystem und seine imposante Architektur. Von einem großen, zylinderförmigen Behälter führen dicke silberne Rohre weg und bahnen sich ihren Weg durch den Raum. Hier befindet sich unter anderem die Kühlleitung des VSC-2. Der Kühlraum entspricht meinen Vorstel- lungen von einem Ort, an dem High-class-Science passiert. Dass man einen der schnellsten Computer der Welt allerdings auf einer Baustelle suchen muss, hätte ich mir nicht gedacht. Denn auch jetzt wird noch  renoviert.

Am Gelände des Arsenals, zwischen dem Wiener Hauptbahnhof und dem Heeresgeschichtlichen Museum, steht der Supercomputer – oder besser gesagt: die Supercomputer. Mittlerweile gibt es drei Versionen des VSC, neben dem VSC-3 ist auch der VSC-2 im „Objekt 21“ am Arsenal untergebracht.

Damit die Tonnen an Material und somit auch der VSC überhaupt einziehen konnten, waren umfassen- de Vorbereitungen und aufwendige Umbauarbeiten notwendig. So musste zum Beispiel die Tragfähigkeit der  Decken sichergestellt oder die Vibrationsstärke in den Rechnerräumen getestet werden. Außerdem war eine Schutzbeschichtung am Boden notwendig, falls Öl oder Wasser ausfließen.

RECHENMASCHINE. Der Vienna Scientific  Cluster ist ein Projekt von acht österreichischen Universitäten und soll als schnellster Computer des Landes Spitzenleistungen im Bereich der Forschung erbringen. Diese Spitzenleistungen erreicht der VSC durch seine vielen „Cores“, also Prozessorkerne. Sie geben darüber  Auskunft, wie viele Rechenprozesse der Supercomputer parallel ausführen kann. An der Technischen Universität Wien wurde 2009 die erste Version des VSC, der VSC-1, in Betrieb genommen. Aufgrund der schnell voranschreitenden technischen Entwicklungen ließen sich die Energiekosten für das „veraltete“ System aber schon bald nicht mehr rechtfertigen – der Grundstein für den VSC-2 war gelegt. Die Einweihung des VSC-2 im Jahr 2011 fand bereits in den Räumlichkeiten des Arsenals statt. Zusätzlich zu den ursprünglichen Initiator*innen, der Universität für Bodenkultur, der Universität Wien und der Technischen Universität Wien, schlossen sich fünf weitere Unis dem Projekt an: die Universität Graz, die Technische Universität Graz, die Montanuniversität Leoben, die Universität Innsbruck und die Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft greift dem kostenintensiven Projekt seit Beginn an finanziell unter die  Arme.

2014 folgte der VSC-3. Das Besondere und Neue am VSC-3 ist die Ölkühlung. Bereits die Projektausschreibung war vom Gedanken geprägt, die Betriebskosten auf Dauer niedrig zu halten und dafür zu Beginn mehr in die Energieeffizienz zu investieren. Das Kühlsystem des VSC-3 wurde mit Platz 86 in der Green-500-Liste der weltweit energieeffizientesten  Supercomputer  belohnt.

Als ich den VSC-3 besuche, beträgt die Öltemperatur 47°C. Doch das kann sich schnell ändern, denn die Außentemperatur beeinflusst die maximale Kühl-leistung und dadurch die Öltemperatur wesentlich. Ernst Haunschmid rechnet nicht damit, dass der VSC-3 länger als fünf Jahre existieren wird. Die technische Wartung ist auf drei Jahre anberaumt, danach werden die Kosten zu hoch. Aus demselben Grund nahm man den VSC-1 Anfang April außer Betrieb: Die Energiekosten sind im Verhältnis zum Output schlicht zu hoch  geworden.

Foto: Luiza Puiu

ELF JAHRE. Forscher*innen, hauptsächlich aus den Naturwissenschaften, können mithilfe des Vienna Scientific Cluster Simulationen zeitsparender und parallel durchführen. Lehrende und Studierende am Institut für Theoretische Chemie der Universität Wien wissen diese Möglichkeit zu schätzen. Der Chemie- Student Ludwig Schwiedrzik führte im Rahmen seiner Bachelorarbeit sechs Wochen lang Simulationen  am VSC durch, elf Jahre hätte er mit einem normalen PC gebraucht. Für die Universitätsprofessorin Leticia González und Betreuerin von Ludwig ist klar: „Ludwig kann nicht elf Jahre warten.“

Die Forscher*innengruppe unterstützt von Senior Scientist Markus Oppel legt ihr Augenmerk auf die Simulation von chemischen Prozessen, die durch das Einfallen von Licht ausgelöst werden. PhD-Student Clemens Rauer erforscht zum Beispiel die molekularen Veränderungen, die Sonnenlicht in der Haut auslöst. Bei unserem Gespräch zeigt er auf einen Standard-PC mit vier Cores und erklärt: „Ich brauche viel mehr.“ „Viel mehr“ bedeutet eine Rechnerleistung im Ausmaß des VSC-3, dieser verfügt über stolze 32.320 Cores.

TEAMARBEIT. Um Zugang zum Vienna Scientific Cluster zu erlangen, muss das eigene Projekt einen Peer-Review-Prozess durchlaufen. Mithilfe mehrerer Gutachten wird dabei die wissenschaftliche Exzellenz geprüft. Neben diesem Kriterium gilt natürlich auch, dass man für die Durchführung der Forschung eine extrem hohe Rechenleistung benötigt. Ein gefördertes und damit bereits begutachtetes Projekt wie jenes von Clemens Rauer erhält viel leichter  und unkomplizierter Zugang zum VSC. Nur ein Wochenende musste der PhD-Student warten, bis er eine Zusage bekam und auch sein VSC-Account war innerhalb von fünf Minuten eingerichtet. Wer also schon in der „Scientific Community" oder in eine Forschungsgruppe eingebettet ist, kann den VSC ohne größere Hürden benutzen.

„Bachelor- und Masterstudierende beantragen den Zugang zum VSC nicht selbst“, so Leticia   González. „Sie forschen zusammen in einer Gruppe und teilen sich die Stunden untereinander auf – je nachdem, wie sie es für richtig halten.“ Markus Oppel ergänzt: „Das ist anders als in den Sozialwissenschaften, wir arbeiten immer in Teams.“

Neben regulär laufenden Projekten gibt es außerdem die Möglichkeit, Testaccounts  anzulegen, um zu prüfen, ob die Arbeit mit dem VSC überhaupt gewinnbringend ist. Auch Bachelorstudent Ludwig Schwiedrzik nahm dieses  Angebot  wahr.  Schnell  war klar, dass er mit Hilfe des VSC bessere Resultate und spannendere Erkenntnisse für seine Bachelor- arbeit erzielen würde. Auf die Frage, ob er während der Arbeit mit dem VSC auf Schwierigkeiten gestoßen sei, murmelt er mit sarkastischem Unter- ton: „Nein, nie.“ Auch wenn es am Anfang kleinere Probleme mit dem neuen System gab, Simulationen zusammenbrachen oder der Bildschirm nach der Mittagspause „None of your calculations have started“ anzeigte, ist Ludwig zufrieden. Er schreibt jetzt an einer Bachelorarbeit, in der er die von Licht verursachte Mutation eines bestimmten Teils der DNA untersucht. Die Ergebnisse kann sein Gruppenkollege Clemens weiterverwenden. Ludwig ist überzeugt: „Der VSC erlaubt mir, etwas zu machen, was anders nicht  möglich wäre.“

Foto: Luiza Puiu

RANKINGS. Nach all  diesen Schwärmereien ist es verwunderlich, dass die aktuelle Version des VSC, der VSC-3, nur auf Platz 85 der 500 weltweit schnellsten Rechner gelandet ist. Wie viel Bedeutung sollte man solchen Rankings überhaupt beimessen und wie aussagekräftig sind sie? Für Ernst Haunschmid vom VSC-Team geben sie wenig Auskunft über die tatsächliche Leistung des Rechners. Wäre ein höherer Platz im Ranking das primäre Ziel gewesen, hätte man das Projekt anders entwerfen müssen, ist Haunschmid überzeugt: „Die Frage ist, ob man das System optimal an eine Liste oder an seine Kund*innen anpassen will.“ Für ihn sind Supercomputer-Rankings „mehr PR als Herzensangelegenheit“ und ein Anziehungspunkt für Geldgeber*innen. Das kann man daran erkennen,   dass beispielsweise Minister*innen eher bei einem Termin auftauchen, wenn das Projekt einen Top-Platz vorweisen kann.

Der Gedanke von konkurrenzfähiger Forschung ist nichts Neues. So spricht auch Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner davon, dass der Vienna Scientific Cluster „die Wettbewerbsfähigkeit des Forschungsraums Österreichs absichert“. Auch wenn Markus Oppel vom Institut für Theoretische Chemie auf Kritik an Rankings hinweist, würde er gerne mit Ländern wie der Schweiz oder Deutschland mithalten können. Aufgrund höherer Investitionen in die Forschung gibt es dort größere und leistungsstärkere Computer, die für Wissenschafter*innen attraktiv sind.  Leticia  González hält es für gut und wichtig, dass der VSC-3 auf Platz 85 im Ranking der besten Hochleistungsrechner auftaucht. Trotzdem behält sie im  Hinterkopf: „Da sind 84 besser als wir.“

PhD-Student Clemens Rauer  stellt  schmunzelnd  fest: „Natürlich  wäre es nett, Zugang zum erstplatzierten Computer zu bekommen.“ Und Bachelorstudent Ludwig Schwiedrzik erwähnt in diesem Zusammenhang zukünftige Bewerbungen. Wenn er eines Tages ein Projekt mit einer höheren Computerleistung durchführen will, sieht er anhand der Liste, welche Unis dafür überhaupt in Frage kommen.

Im Arsenal plant man unterdessen schon den VSC-4. Jener Raum, in dem ich wegen der Hitze meine Jacke ablege, wird in  Zukunft die vierte Version des österreichischen Supercomputers beherbergen. Die Ausschreibung und Materialbeschaffung ist für 2016 anberaumt, 2017 will man den Betrieb aufnehmen. Vielleicht erfüllt der VSC-4 ja den Wunsch von Markus Oppel. Er wünscht sich, auf internationalen Konferenzen sagen zu können: „Wir haben jetzt den VSC-4 und sind in den Top 20.“

Sonja Luksik studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Unnötige Menschen?

  • 24.06.2015, 19:57

Robert Trappl gründete vor mehr als 30 Jahren das Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz in Wien. Damals arbeitete sich die Science-Fiction noch am Thema ab, heute ist Künstliche Intelligenz Realität.

Robert Trappl gründete vor mehr als 30 Jahren das Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz in Wien. Damals arbeitete sich die Science-Fiction noch am Thema ab, heute ist Künstliche Intelligenz Realität.

progress: Sie gelten als Artificial-Intelligence-Pionier. Wann haben Sie begonnen, sich für Künstliche Intelligenz zu interessieren?

Robert Trappl: Ich habe 1984  das Österreichische Forschungsinstitut für Artificial Intelligence (OFAI) gegründet. Der Begriff Artificial Intelligence wurde ja erst 1956 von John McCarthy geprägt, der einen Namen für eine Konferenz gesucht hat. Bis man davon in Österreich gehört hat, hat es eine Weile gedauert.

Was interessiert Sie an Künstlicher Intelligenz?
Ich habe mich schon immer für die menschliche Psyche und die verschiedenen Zugänge dazu interessiert. Da gibt es zum einen die Introspektion,  also   das   Sich-selbst-Beobachten  wie in der Poesie und der Literatur. Dann gibt es die Verhaltensbeobachtung, die zum sozialen Überleben dient – das wird in psychologischen Experimenten systematisch gemacht; vulgärpsychologisch: wie Menschen ticken. Der dritte Punkt, der mich interessiert, ist „the mind“, also die Frage, was sich im menschlichen Gehirn tut – ein Gebiet, auf dem die Fortschritte im letzten Jahrhundert gigantisch waren. Und der vierte, für mich spannende Zugang zur Psyche ist Künstliche Intelligenz, wobei es hier zwei Ansätze gibt: Einerseits will man menschliche Leistungen durch Computer hervor- bringen, die die Dinge möglicherweise besser  können  als  der  Mensch. Da  geht es nicht um Abläufe, sondern um Ergebnisse, wie beim Taschenrechner. Andererseits geht es um die Modellierung psychischer Vorgänge, wobei das nicht nur Denkvorgänge sein müssen, sondern auch Emotionen, Motivationen und Persönlichkeitsabläufe sein können.

Warum bekommt das Thema Künstliche Intelligenz aus Ihrer Sicht derzeit besonders viel mediale Aufmerksamkeit?
Es gibt dafür zwei Gründe: Zum einen hat der Philosoph Nick Bostrom das Buch  „Superintelligence“ geschrieben. Er vertritt die Meinung, dass Artificial- Intelligence-Systeme die Welt beherrschen werden, wenn ihre Entwicklung so weitergeht. Was dann mit uns Menschen passiert, ist offen. Wahrscheinlich werden wir für unnötig befunden.

Glauben Sie das auch?
Personen, die das glauben, empfehle ich immer, etwas für den Tiergarten Schönbrunn zu spenden, für den Fall, dass uns die Roboter in 30 oder 40 Jahren dort besuchen werden. Auch Stephen Hawking, Elon Musk und Bill Gates haben sich sehr kritisch geäußert. Prognosen sind schwierig. Ich glaube nicht an so ein Szenario, aber ich kann eine Katastrophe nicht ausschließen.

Und was ist der zweite  Grund für die Hochkonjunktur der Künstlichen Intelligenz?
Der zweite Grund ist eine Diskussion, die es schon länger gibt. Die Wissenschafter Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee vom  MIT haben dazu das Buch „The Second Machine Age“ geschrieben. An ihre Thesen glaube ich schon eher. Sie sagen, dass eine neue technologische Revolution zu enormen Fortschritten, aber gleichzeitig zur Bedrohung von Arbeitsplätzen führen wird. Früher saßen im Cockpit eines Flugzeuges fünf Menschen, heute nur noch zwei. Es sind U-Bahnen ohne FahrerInnen unterwegs. Eines der interessantesten Themen derzeit sind selbstfahrende Autos. Auch wenn es derzeit in Deutschland und Österreich damit noch rechtliche Probleme gibt: Sie kommen sicher. Das wird weder die TaxlerInnen noch zigtausende LKW-FahrerInnen freuen. 

Empfinden Sie diese Prognosen als Segen oder als bedrohlich?
Ich bin da einer Meinung mit  Johannes Kopf, dem Chef des AMS. Er sagt, dass es aus historischer Perspektive schon öfter technologische Umbrüche gab, aber die Arbeit nie ausging. Denken Sie etwa an den Mangel in den Sozialberufen derzeit. Die Automatisierung und Maschinisierung vieler Arbeitsvorgänge waren Voraussetzung dafür, dass wir heute keine 70-Stunden- Wochen mehr haben.

Bedeuten diese Entwicklungen nicht, dass es quasi nur noch TechnikerInnen  braucht,  die die Maschinen programmieren und reparieren?
Schon heute haben es die weniger Qualifizierten schwer. Früher haben 20 Menschen in einem Warenlager gearbeitet, jetzt braucht es nur noch eineN Logistik-Spezialisten/in, der oder die mit dem Computer umgehen kann. Die gering qualifizierten Berufe sind  also  am Aussterben.

Welche Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz kommen konkret in der näheren Zukunft auf uns zu?
Die selbstfahrenden Autos werden wahrscheinlich eine Revolution im Verkehrswesen bedeuten. Schon jetzt lässt sich abschätzen, dass die Anzahl der Unfälle drastisch zurückgehen wird, die bestehenden Straßen besser ausgenützt werden und fast keine neuen mehr gebaut werden müssen. Auch der Spritverbrauch wird zurückgehen. Außerdem können ältere Menschen dadurch länger mobil sein.

Was noch?
Kennen Sie den Film „Her“ von Spike Jonze? Er zeigt, wie sehr sich synthetische Persönlichkeiten weiterentwickeln werden. Das wird vor allem im Zusammenhang mit Robotern wichtig sein. Bei  Robotern sehe ich schon jetzt einen großen Bedarf, etwa in der Pflege. In Europa überaltert die Bevölkerung, immer mehr Menschen sind betreuungsbedürftig. In Österreich arbeiten im Pflegesektor Leute aus der Slowakei, Ungarn und Co., die dort dann fehlen. So kann es nicht weitergehen. Auch Menschen mit besonderen Bedürfnissen können die Entwicklungen der Artificial Intelligence helfen: Die IT macht es ihnen schon jetzt möglich, nahezu uneingeschränkt am  sozialen  Leben teilzunehmen. Spannend wird die Kombination von Robotern und synthetischen Persönlichkeiten  werden.


Alexandra  Rotter  hat  Kunstgeschichte an der Universität Wien und der Université  de  Lausanne  studiert  und arbeitet als freie Journalistin mit Schwerpunkt Wirtschaft  in Wien.