SYRIZA

„Es muss ein Umdenken stattfinden“

  • 20.06.2017, 21:36
Während auf Athens Straßen gegen das neue Sparpaket demonstriert wird, sitze ich mit Syriza-Vorstandsmitglied Giorgos Chondors auf der Terrasse des Parteibüros. Ein Gespräch über linkes Regieren, Solidarität und die Zukunft Griechenlands.

Während auf Athens Straßen gegen das neue Sparpaket demonstriert wird, sitze ich mit Syriza-Vorstandsmitglied Giorgos Chondors auf der Terrasse des Parteibüros. Ein Gespräch über linkes Regieren, Solidarität und die Zukunft Griechenlands.

progress: Nachdem es Alexis Tsipras entgegen seiner anfänglichen Versprechen nicht gelungen ist, sich gegen die Sparpolitik durchzusetzen, haben nicht nur Griech*innen die Hoffnung auf eine menschlichere Politik verloren. Auf europäischer Ebene spricht man von einem Scheitern der Linken. Denken Sie, ist es überhaupt möglich, im Rahmen der EU „links“ zu regieren?
Giorgos Chondors:
Ich würde nicht sagen, dass es unmöglich ist. Denn dann müsste ich auch denken, dass es keinen Sinn macht, dass es linke Parteien überhaupt gibt. Wir mussten aber auch feststellen, dass die Regierung zu übernehmen nicht heißt, die Macht zu haben. Wir wissen jetzt, was möglich ist und was nicht. Die Kräfteverhältnisse in der EU sind total ungünstig, was unsere Politik betrifft, und weil sich dieses Kräfteverhältnis ständig nach rechts verschiebt, wird es noch ungünstiger.

Wenn man sich die Programme ansieht, wird schnell klar, dass die Sparpolitik von Anfang an der falsche Weg war und immer noch ist. Die Argumentation der Gläubiger, durch Einsparungen die Krise zu bewältigen, gilt längst in weiten Kreisen als überholt. Selbst der IWF und die Wirtschaftsminister der europäischen Kommission haben in einer Studie die Fehler der Austeritätspolitik eingestanden. Es ist ganz einfach: Wenn du die Kaufkraft kürzt, leidet die Wirtschaft. Gerade in Griechenland, wo sich diese in erster Linie auf den Binnenmarkt beschränkt, hat sich das bestätigt.

Deshalb hat all das weder mit wirtschaftlichen noch fiskalischen, sondern politischen Überlegungen zu tun. Das Ziel ist, das linke Projekt aus der Welt zu schaffen, indem man seinen Kontakt zu gewissen Bevölkerungsgruppen sozusagen abschneidet. Das heißt, unter der Politik dieser Regierung müssen vor allem jene Bevölkerungsgruppen leiden, die guten Bezug zu Syriza haben. Das ist die Überlegung dahinter.

Die deutliche Mehrheit der Griech*innen hat sich bei dem Referendum im Jahr 2015 gegen die Sparmaßnahmen der Gläubiger ausgesprochen. Wenige Tage später wurde – unter der Drohung des Grexits – einem weiteren Sparprogramm zugestimmt. Seitdem hat sich die soziale Krise weiterhin verschärft. Angesichts dieser humanitären Katastrophe, wäre es nicht sinnvoller gewesen, aus dem Euro auszutreten?
Der größte Teil der griechischen Bevölkerung, der mit „Oxi“ stimmte, hat damit noch lange nicht gemeint, aus dem Euro auszutreten. Das wissen wir nicht nur aus Umfragen, sondern auch aus den Wahlen. Jene Parteien, die für den Euro-Austritt plädierten, bekamen nicht einmal ein Prozent. Dafür gab es also keine Mehrheit.

Zudem bedeutet ein Euro-Austritt noch lange nicht, dass man die Schulden loswird. Faktisch wären die Schulden noch höher, da man sie in einer abgewerteten Währung zurückzahlen müsste. Ein ungeordneter Grexit hätte wahrscheinlich eine noch größere soziale Katastrophe mit sich gezogen. Aber die eigentliche Erpressung war nicht der Grexit, sondern dass der Euro-Austritt mit dem totalen Verlust der Bankeinlagen einhergegangen wäre. Über 85 Prozent der griechischen Konten hatten weniger als 2.000 Euro Einlage. Man kann sich vorstellen, welche Menschen dieser Schritt am härtesten getroffen hätte. Das Ausmaß der sozialen Katastrophe wäre kaum vorstellbar. Das könnten wir nicht verantworten. Für Griechenland ist der Euro-Austritt keine ideologische oder politische Diskussion, sondern eine rein pragmatische. Eine linke Regierung, die dafür da ist, die untere Schicht zu unterstützen, hat eine größere Verantwortung.

Neben den tragischen sozialen Auswirkungen der Sparpolitik birgt die Krise auch Momente der Solidarität. Menschen, die selbst von den Einschnitten betroffen sind, schaffen es, Tag für Tag zu helfen. Selbstorganisierte Flüchtlingsheime, Suppenküchen oder Solidaritätskliniken sind Ausdruck davon. Kann man von einem Wertewandel im Zuge der Krise sprechen?
Es ist eine großartige Erfahrung, wie sich eine Bevölkerung selbst organisieren kann, um einerseits Widerstand zu leisten und sich andererseits materiell zu unterstützen. Es geht dabei nicht nur um das Lindern von Not in einer Krisensituation. Diese Solidaritätsstrukturen eröffnen ebenso ein neues soziales Denken, was in gewisser Weise auch mit einem Wertewandel einhergeht. Dieses Modell ist ein alternativer Vorschlag für eine solidarische Gesellschaft. Eines muss man sich allerdings auch eingestehen: Man kann den Kapitalismus nicht mit der solidarischen Ökonomie ersetzen.

Falls es eine Zukunftsvision für Griechenland gibt, hat solidarische Ökonomie Platz darin?
Zukunftsvisionen für Griechenland kann es in absehbarer Zeit nur dann geben, wenn es die Kräfteverhältnisse zulassen. Auf europäischer Ebene muss ein Umdenken stattfinden. Dazu gehört, dass die Vormundschaft endlich aufhört. Sollte dies passieren, ist die Implementierung der solidarischen Ökonomie in den wirtschaftlichen Wiederaufbau vorgesehen. Dazu versucht die Regierung, die Erfahrungen der verschiedenen solidarischen Initiativen – von den Solidaritätskliniken bis hin zu landwirtschaftlichen Kooperativen – zu institutionalisieren. Es geht darum, die Idee der solidarischen Ökonomie zu verbreiten, Projekte zu vernetzen und zu unterstützen. Auf diesem Gebiet passiert zurzeit sehr viel. Ziel ist es, einen sozialen und demokratischen Weg aus der Krise zu finden. Solange die Programme allerdings noch laufen, ist es sehr schwer, eigenständige Politik zu machen.

Lisa Edelbacher hat Politikwissenschaft und Publizistik an der Universität Wien studiert und arbeitet nun als freie Journalistin.

Endlich ein Grund zur Panik

  • 06.02.2015, 20:34

25. Jänner 2015. Während in Griechenland eine neue Regierung gewählt wird, versammeln sich in Wien Unterstützer_innen der griechischen Linkspartei SYRIZA, um den prognostizierten Wahlsieg per Livestream mitzuerleben.

25. Jänner 2015. Während in Griechenland eine neue Regierung gewählt wird, versammeln sich in Wien  Unterstützer_innen der griechischen Linkspartei SYRIZA, um den prognostizierten Wahlsieg per Livestream mitzuerleben.

Über 200.000 Griech_innen haben ihr Land seit Beginn der Krise verlassen, viele hat es auch nach Österreich verschlagen – bei der Wahlparty im Café 7*Stern sind sie dennoch in der Minderheit. Das hat vor allem einen Grund: Eine Briefwahl ist im griechischen Wahlrecht nicht vorgesehen. Wer es sich leisten kann, nimmt eine Reise nach Griechenland auf sich. Die Zuhausegebliebenen warten nun mit Hochspannung auf die erste Hochrechnung.

HOFFNUNGSTRÄGER_INNEN. Seit Jahren ist die griechische Wirtschaft in einer Abwärtsspirale, selbst konservative Ökonom_innen räumen mittlerweile ein, dass das auferlegte Sparprogramm die Negativentwicklung noch beschleunigt hat. Seit Beginn der Krise sind die Durchschnittseinkommen um 40 Prozent zurückgegangen, dreieinhalb Millionen Griech_innen haben keinen Zugang mehr zum öffentlichen Gesundheitssystem, 300.000 Familien leben ohne Strom, da sie sich die Kosten nicht leisten können. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 50 Prozent, wobei dieser Wert ohne die massive Auswanderung noch höher wäre. Die Koalition aus Konservativen (Nea Dimokratia) und Sozialdemokraten (PASOK) steht für viele Griech_innen stellvertretend für diese Entwicklung. Dabei war die PASOK Anfang der 1980er Jahre eine ähnliche Hoffnungsträgerin wie heute die SYRIZA. 1981 hatte sie als erste linke Partei die Regierung gebildet und einige wichtige gesellschaftspolitische Erneuerungen, etwa die Zivilehe, eingeführt. Nach einigen Jahren an der Macht fiel man eher durch Klientelpolitik und Korruption auf, spätestens mit der Unterstützung der Sparpolitik war die Partei vollkommen diskreditiert. Viele Wähler_innen wanderten zur SYRIZA ab, von der man nun eine Beendung der wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe erhofft. SYRIZA, eine Vereinigung aus dreizehn Organisationen aus dem linken Spektrum, möchte einen Schuldenschnitt ausverhandeln, durch Investitionen die Wirtschaft ankurbeln und die Rückzahlung der Kredite an das Wirtschaftswachstum koppeln. Auch ein Programm mit Sofortmaßnahmen wurde ausgearbeitet: Der Erstwohnsitz soll nicht mehr verpfändbar sein, die 300.000 ärmsten Haushalte sollen mit kostenlosen Strom versorgt und ein Mindestlohn von 751 Euro eingeführt werden. Finanzieren will man das unter anderem mit der Besteuerung Vermögender, der Reformierung des Staatsapparates und dem Schließen von Steuerschlupflöchern. Während viele westeuropäische Medien und Politiker_innen vor einer Regierung durch die „Linksradikalen“ warnten und den endgültigen Kollaps der griechischen Wirtschaft prognostizierten, finden die Anwesenden im Café 7*Stern nur wenig Radikales im Programm. Sofia, eine junge Karikaturistin, die bereits seit einigen Jahren in Österreich lebt: „Was die Linken in Griechenland sagen, unterscheidet sich nicht sehr von dem, was die SPÖ noch in den 80er Jahren gesagt hat. Die Sozialdemokraten haben aber in den letzten Jahren viel von ihrer Identität verloren und unterscheiden sich kaum mehr von den rechten Parteien.“

EINE KOALITION MIT RECHTS. Kaum steht fest, dass der SYRIZA auf die absolute Mehrheit zwei Mandate fehlen, präsentiert Parteichef Alexis Tsipras auch schon die zukünftige Koalitionspartnerin: die rechtpopulistische ANEL (Unabhängige Griechen). Diese offensichtlich bereits im Vorhinein abgesprochene Entscheidung sorgt bei vielen Unterstützer_innen für reichlich Irritation. Die Kleinpartei steht für Nationalismus, Konservativismus, unterhält gute Beziehungen zur orthodoxen Kirche und fiel bereits durch Fremdenfeindlichkeit und bizarre Verschwörungstheorien auf. Im Internet feiern rechte Blogger wie Jürgen Elsässer die  „Querfront“-Koalition aus Linken und Rechten, andere wittern Verrat an den linken Idealen. Eine dritte Gruppe wiederum zeigt sich solidarisch und möchte die neue Regierung an ihren Taten messen

Tatsächlich hatte die SYRIZA nur wenige Koalitionsmöglichkeiten. Die erste Wahl Tsipras, die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), hatte wiederum ihrerseits eine Koalition strikt abgelehnt. Ihr war das Programm der SYRIZA zu reformistisch und zu wenig radikal. Die potentiellen Koalitionspartner_innen beschränkten sich auf zwei Parteien, die beide noch sehr neu im politischen Geschäft sind: einerseits die neoliberale To Potami, die sich mit SYRIZAs Politik am ehesten gesellschaftspolitisch trifft, andererseits die rechtpopulistische ANEL, die sich 2012 von der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia abspaltete und mit SYRIZA die strikte Ablehnung der Austeritätspolitik, sonst aber wenige Ansätze teilt. Schlussendlich war es eine Frage der Prioritätensetzung – und die hieß: Schuldenschnitt und ein Ende der neoliberalen Sparpolitik.

Einen Tag später wird die neue Regierung bereits angelobt. Finanzminister wird mit dem Starökonomen Yanis Varoufakis wenig überraschend ein strikter Gegner der Austeritätspolitik. Für viel Unverständnis sorgt wiederum die Entscheidung, dem Vorsitzenden der ANEL, Panos Kammenos, ausgerechnet das Verteidigungsministerium zu überlassen – immerhin war Griechenland 1967 Schauplatz eines rechten Militärputsches, der sich tief in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat. Auch die rein männliche Besetzung der Ministerposten wird überwiegend negativ kommentiert. Unbeeindruckt von der Kritik beginnt die neue Koalition sofort mit der Arbeit: Die Zusammenarbeit mit der Troika, also dem Kontrollgremium aus Vertreter_innen der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfond, wird aufgekündigt, zahlreiche laufende Privatisierungen gestoppt. Geplant sind außerdem ein Schusswaffenverbot für die stark von rechts unterwanderte Polizei bei Demonstrationen sowie die versprochene Anhebung des Mindestlohnes auf das Vorkrisenniveau.

In der zweiten Woche der Regierungsperiode reisen Ministerpräsident Tsipras und Finanzminister Varoufakis durch Europa und werben um Unterstützung für ihren Kurs. Unerwartete Unterstützung bekommen sie dabei von Barack Obama, der in einem Interview eine Wachstumsstrategie für Griechenland anregt. Auch Teile der europäischen Sozialdemokratie scheinen sich langsam mit der Idee eines Kurswechsels anzufreunden. Scharfer Gegenwind an der Grenze zur Verleumdungskampagne kommt hingegen vom Großteil der deutschsprachigen Medien. Von der deutschen Regierung wird bisher jedes Entgegenkommen abgelehnt, die konservative Europäische Volkspartei fordert gar eine Resolution gegen die griechische Regierung "wie die gegen Haider in Österreich" im Jahr 2000. Auch die Europäische Zentralbank erhöht den Druck auf die griechische Regierung und verschlechtert die Regelungen für griechische Staatsanleihen. Man zweifle am Erfolg des griechischen Spar- und Reformprogramms, so die Begründung. Dass nach dieser Entscheidung zehntausende Griech_innen für und nicht gegen die amtierende Regierung protestierten, hat Seltenheitswert und lässt auf ausreichenden Rückhalt in der Bevölkerung schließen. Dennoch warten auf die SYRIZA noch zähe Verhandlungen mit unsicherem Ausgang. Eines wurde aber bereits erreicht: Im Diskurs um den Umgang mit der Wirtschaftskrise werden endlich auch Gegenpositionen zur alles dominierenden Sparpolitik wahrgenommen.

 

Dieter Diskovic studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien.