Studierende

Eigentumswohnungen

  • 20.06.2017, 20:14
Während manche Studierende über 50 Prozent ihres Budgets für die Miete aufbringen, leben Studierende aus „gutem Hause“ in Eigentumswohnungen. Das wirkt sich nicht nur auf den Geldbeutel aus.

Während manche Studierende über 50 Prozent ihres Budgets für die Miete aufbringen, leben Studierende aus „gutem Hause“ in Eigentumswohnungen. Das wirkt sich nicht nur auf den Geldbeutel aus.

Räumen wir gleich einmal zu Beginn mit einem Mythos auf: Student*innen sind nicht arm! Sie tun so, die meisten inszenieren sich so, aber sie sind es nicht! Die größte Gruppe der Studierenden (52 Prozent) sind laut Studierendensozialerhebung 2015 Teil der gehobenen oder hohen Schicht! Ihre Eltern haben großteils Universitätsabschlüsse und höhere Einkommen als der Durchschnitt.

Der Mythos, dass Studierende am Hungertuch nagen und kaum über finanzielle Mittel verfügen, mag mit halblustigen Sprüchen wie „Warum ist am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig?“ zusammenhängen. Aber was Pulp in den 90er Jahren sangen, „if you called your dady he could stop it all, yeah“, trifft heute noch auf die meisten Student*innen zu. Ihre Armut ist eine eingebildete, oder zumindest eine vorübergehende. Kann die Miete nicht gezahlt werden, kommt es im Studifall wohl in den seltensten Fällen zur Delogierung, sondern in den meisten Fällen hilft ein Anruf bei den Eltern, dass das für die Miete überwiesene Geld für den neuen Herschel-Rucksack und Fusion-Tickets draufgegangen sei, und man nun ein bisschen „Vorschuss“ brauche. Gleichzeitig gefällt man sich in der Rolle des armen „Bettelstudenten“ und fraternisiert mit den tatsächlich ärmeren Student*innen, die das System trotz sozial gestaffeltem Bildungssystem und Zugangsbeschränkungen nicht davon abhalten konnte, zu studieren. Alle studieren, alle haben irgendwie die gleichen Probleme und man nimmt nur zu leicht an, dass auch alle irgendwie arm sind. Schließlich meint Benjamin-Alexander* auch, dass er kein Geld mehr habe diesen Monat. Und während die ärmsten zehn Prozent der Studierenden laut Studierendensozialerhebung nur 500 Euro im Monat für ihre Grundbedürfnisse haben, und nicht wissen, wie sie ihre Miete zahlen sollen, weiß Benni nicht, ob es diesen Monat noch reicht für den Segeltrip in der Ägäis. Benni hat auch nicht das Problem, 36 Prozent seines Gesamtbudgets für Miete auszugeben. Noch drastischer wird die Situation für Studierende, die unter 700 Euro im Monat zur Verfügung haben. Dort beträgt der Anteil der Miete am Gesamtbudget laut Studierendensozialerhebung über 50 Prozent.

Die Mieten steigen und der Anteil des Einkommens, der dafür draufgeht, wird immer größer. Jene, die es sich leisten können, neigen deshalb eher dazu, die monatliche Kreditrate zu bedienen und sich eine Wohnung zu kaufen. Dann ist man in ein paar Jahren Eigentümer*in und muss nur mehr für die Betriebskosten aufkommen.

In Österreich wohnen 39 Prozent im Eigenheim und 11 Prozent in Eigentumswohnungen, also über die Hälfte der Bevölkerung, wie aus dem Endbericht 2014 der Forschungsgesellschaft für Wohnen, Bauen und Planen hervorgeht. In der Hauptstadt wohnen 13 Prozent in Eigentumswohnungen. Eigentumswohnungen sind kostspielig. In der kleinsten Kategorie (Wohnungen unter 59 m²) schwanken die Preise an den meisten österreichischen Hochschulstandorten zwischen 95.000 und 200.000 Euro. Man braucht also schon einiges an Eigenkapital, um sich auch nur eine kleine Wohnung leisten zu können. Oder man erbt sie. Denn in Österreich werden nicht nur Bildungsabschlüsse vererbt, die Immobilien bekommt man auch noch mit dazu.

Über eine Eigentumswohnung zu verfügen, wirkt sich nicht nur auf den Geldbeutel im Studium aus: Viele Studierende klagen über psychische Probleme und haben Existenzängste. Falls man in einer anderen Stadt studiert und sich nicht auf die monatlichen Geldzuwendungen aus dem Elternhaus verlassen kann, bleibt einem gegebenenfalls nichts anderes übrig, als das Studium abzubrechen, um die Miete zahlen zu können. Der elementare Stress, die Miete nicht zahlen zu können, beherrscht schließlich jeden Aspekt des Lebens. Das Studium leidet unter dem „Nebenjob“, der im Ernstfall zum Haupterwerb wird.

Der Sommer naht und auf Facebook und auf den Wohnungsportalen sprießen die Untermietanzeigen aus dem Boden. „WG-Zimmer für 3 Monate zur Untermiete“. Während kurzfristige Untervermietung für manche bittere Notwendigkeit ist, stellt es für Studierende mit Eigentum kein Problem dar, eine Wohnung für mehrere Monate leerstehen zu lassen. Oder besser: sie trotzdem zu vermieten und so von der Eigentümer*in zur Vermieter*in zu werden. Schließlich lässt sich der Segeltrip in der Ägäis viel leichter finanzieren, wenn man noch ein paar hundert Euro mehr zur Verfügung hat. Vermietet wird dann bisweilen weit über dem Richtwert, man soll ja sein Eigentum auch nicht zu billig zu Markte tragen. Miethöchstzins und reale Mieten liegen ja auch bei anderen Wohnungen weit auseinander, meint Benni. Und so wird man als Student*in schnell zur Marktkenner*in, die nur das Beste aus dem Möglichen macht.

*Bei Menschen mit einem Einkommen unter 1.000 Euro, die Benjamin-Alexander heißen, entschuldige ich mich hiermit für den Klassismus, ihren Namen mit der Oberschicht gleichzusetzen – ich bezweifle allerdings, dass es sie gibt.

Anne-Marie Faisst studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

Mythos Praktikum

  • 11.05.2017, 19:54
Der Arbeitsalltag von Studierenden ist von prekären Arbeitsverhältnissen geprägt. Immer mehr junge ArbeitnehmerInnen finden sich in Scheinselbständigkeit, Praktika und Volontariaten wieder. Viele Unternehmen nutzen rechtliche Grauzonen schamlos aus, um sich auf ihre Kosten zu bereichern.

Der Arbeitsalltag von Studierenden ist von prekären Arbeitsverhältnissen geprägt. Immer mehr junge ArbeitnehmerInnen finden sich in Scheinselbständigkeit, Praktika und Volontariaten wieder. Viele Unternehmen nutzen rechtliche Grauzonen schamlos aus, um sich auf ihre Kosten zu bereichern.

Die meisten Jobausschreibungen beinhalten den kleinen Satz „mehrjährige Erfahrung im Bereich xy wünschenswert“. Um diese geforderte Erfahrung sammeln zu können, verschlägt es angehende ArbeitnehmerInnen dann in sogenannte Praktika. Die Unternehmen locken mit aufregenden Tätigkeiten und versüßen einem die Arbeit oftmals mit der Option auf Verlängerung oder gar Fixanstellung. Hier wären wir auch schon beim Mythos Praktikum angelangt, denn die Realität sieht meist leider anders aus: mangelnde Einschulung, schlechte oder keinerlei Bezahlung und nach einigen Monaten des Schuftens heißt es dann auf Wiedersehen. Anschließend beginnt für viele das ganze Spiel wieder von vorne. Für eine richtige Anstellung bringt man zu wenig Erfahrung mit, darum wird einem ein weiteres Praktikum angeboten oder empfohlen.

Kein Wunder also, dass laut einer aktuellen Erhebung der GPA-djp (Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier) mehr als ein Viertel der jungen ArbeitnehmerInnen schon vier oder mehr (freiwillige und verpflichtende) Praktika absolviert haben. 92 Prozent der Studierenden sehen zudem die Notwendigkeit, weitere Praktika zu absolvieren, um ihre Jobchancen am Arbeitsmarkt zu verbessern. ExpertInnen zufolge steigt die Anzahl an Praktikumsplätzen stetig, während die Aussichten auf ordentliche Arbeitsplätze auch für AbsolventInnen von BMS, BHS, Fachhochschulen und Universitäten eher trist sind. Die Zahl der arbeitslosen JungakademikerInnen ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass immer mehr Studierende sich in prekäre Arbeitsverhältnisse drängen lassen, sind diese doch allemal besser als gänzlich arbeitslos zu sein, oder? Der Bundesjugendsekretärin der GPAdjp Barbara Kasper zufolge verschließt die österreichische Wirtschaftskammer vor dem Prekariat die Augen. Die Unternehmen seien nur daran interessiert, durch Praktika Nachwuchs auszubilden und zu rekrutieren.

DER MYTHOS. Ein großes Problem ist, dass es laut Arbeitsrecht das Praktikum gar nicht gibt. Menschen in Österreich können als ArbeiterIn oder Angestellte/r beschäftigt werden oder freie DienstnehmerInnen sein, aber die Anstellungsform des Praktikums existiert nicht. Diese Titulierung dient in erster Linie dazu, die Entlohnung zu schmälern. Unternehmen wird so die Möglichkeit geboten, sich in rechtlichen Graubereichen zu bewegen und sogenannte Praktika werden zum lukrativen Geschäftsmodell auf Kosten der Jugend. Gerade das Argument der Unternehmen, man müsse sich neue MitarbeiterInnen erst einmal ansehen, ist an den Haaren herbeigezogen. Dafür gibt es längst ein geeignetes Mittel, genannt Probemonat.

Praktikum ist nicht gleich Praktikum. Pflichtpraktika sind im Rahmen einer (Hoch-)Schulausbildung zu absolvieren und können sowohl in Form eines Arbeitsverhältnisses als auch eines Ausbildungsverhältnisses gemacht werden, je nachdem welcher Aspekt überwiegt. Handelt es sich dabei um ein Arbeitsverhältnis, steht PraktikantInnen durchaus Gehalt zu. Als praktische Indikatoren können folgende Fragen dienen: Bin ich in die Hierarchie des Unternehmens eingegliedert? Gibt es jemanden, der mir anordnen kann, was ich zu tun und zu lassen habe? Übernehme ich eine betriebliche Aufgabe (zum Beispiel EMail- Korrespondenz für das Unternehmen)? Habe ich einen fixen Arbeitsplatz und eine eigene Mailadresse? Dank der Bemühungen der Gewerkschaft bilden viele Kollektivverträge die besondere Situation von PflichtpraktikantInnen inzwischen ab. Laut KV für Angestellte im Metallgewerbe werden PflichtpraktikantInnen die ersten zwei Monate mit 80 Prozent des regulären Einstiegsgehalts entlohnt, anschließend sogar voll. Volontariate sind hingegen reine Ausbildungsverhältnisse und dienen dem Hineinschnuppern in bestimmte Berufe. Man erhält dafür kein Geld, ist aber in keiner Art weisungsgebunden. Sprich: Es gelten keine Bürozeiten oder Kündigungsfristen. Nimmt man neben Schule oder Studium aber ein freiwilliges Praktikum an, handelt es sich hierbei in der Regel um ganz normale befristete Dienstverhältnisse, die dem jeweiligen Kollektivvertrag unterliegen und entsprechend bezahlt werden müssen.

ZWANGSBEGLÜCKT. Die Studierenden- Sozialerhebung 2016 zeigt, dass 2015 44 Prozent der 47.000 befragten Studierenden mindestens ein Praktikum absolviert haben, 25 Prozent ein Pflichtpraktikum und 28 Prozent ein freiwilliges. Die Ergebnisse der zuvor angesprochenen Studie der GPA-djp sind noch erheblich erschreckender. Es wurden 400 Universitäts- und FH-Studierende sowie SchülerInnen aus BMS, BHS oder sonstigen berufsbildenden Schulen befragt. 61 Prozent aller Studierenden und 82 Prozent aller SchülerInnen müssen im Rahmen ihrer Ausbildung ein Pflichtpraktikum vorweisen können. Diese nehmen nicht nur prozentual, sondern auch an zeitlichem Ausmaß zu. Bis zu 20 Wochen oder mehr müssen absolviert werden, um die Ausbildung beenden zu können. Wann und unter

welchen Bedingungen ihre Auszubildenden gezwungen sind zu arbeiten, interessiert die (Hoch-)Schulen in der Regel kaum. Kritisch hinterfragt werden muss hier, wozu Praktika in immer mehr universitäre Studienpläne aufgenommen werden. Warum müssen zum Beispiel Studierende des Bachelors Japanologie an der Uni Wien ein Praktikum im Ausmaß von 160 Stunden absolvieren?

Die Tätigkeitsfelder können bei der Absolvierung von Praktika stark variieren: bergeweise Akten kopieren, Kaffee kochen, Telefonzentrale spielen, für Vorgesetzte Einkäufe tätigen oder Recherchen erledigen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Doch auch anspruchsvolle Positionen werden fallweise mit billigen PraktikantInnen besetzt, um etwa längere Krankenstände oder Karenzzeiten von MitarbeiterInnen zu überbrücken. So erlangt man mit Sicherheit wertvolle Berufserfahrungen, aber auch viel Stress um wenig Geld. Laut der psychologischen Studierendenberatung haben ca. ein Viertel aller Studierenden psychische Probleme wie Ängste, Depressionen und Krisen. Inwiefern hier ein Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und dem wachsenden Druck besteht, sei jetzt einmal dahingestellt. Doch der Studierenden-Sozialerhebung 2016 zufolge waren 61 Prozent der Studierenden auch unter dem Semester erwerbstätig, 18 Prozent davon sogar Vollzeit, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Von den Befragten gaben 54 Prozent an, Probleme dabei zu haben, Studium und Erwerbstätigkeit unter einen Hut zu bringen, und 26 Prozent waren stark von finanziellen Schwierigkeiten betroffen.

ARBEITEN ZUM NULLTARIF. Die traurige Wahrheit sieht zudem so aus, dass jede/r dritte Studierende zum Nulltarif arbeitet. Während der Verdienst bei SchülerInnen noch 68 Prozent des Anreizes ausmacht, sind es bei den Studierenden nur mehr ernüchternde 53 Prozent. Nur ein Drittel der Studierenden verdient bei Praktika mehr als 1.000 Euro und ein weiteres Drittel muss sich mit einem Gehalt von unter 800 Euro zufriedengeben.

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Auch in Bezug auf das Arbeitsverhältnis machen sich die ArbeitgeberInnen die Unwissenheit der jungen ArbeitnehmerInnen zum Vorteil. ArbeiterIn, Angestelle/r, DienstnehmerIn, freie/r DienstnehmerIn, Werkvertrag, Honorarnote – bitte was? Jeder Begriff steht für andere Rahmenbedingungen, Pflichten und Rechte, doch den Überblick zu behalten, fällt oft schwer. In der Regel lassen einem die Unternehmen ohnehin keine Wahl. Sollte es sich bei einem Praktikum aber um ein Arbeitsverhältnis handeln, kann auch im Nachhinein entsprechende Entlohnung bzw. die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen erstritten werden. Es empfiehlt sich dabei bereits vor Antritt eines Praktikums oder kurz nach dessen Beendigung, juristische Beratung aufzusuchen, um Ansprüche abzuklären. Nützliche Informationen hierzu bieten unter anderem die Arbeiterkammer, das Sozialreferat der ÖH sowie die GPA-djp. Diese setzt sich für eine einheitliche Regelung von Pflichtpraktika in den Kollektivverträgen im Sinne fairerer Entlohnung und Arbeitsbedingungen für die PraktikantInnen ein.Auch ein Verbot von Praktika nach der Fach- bzw. Hochschulausbildung steht auf dem Programm! Allerdings sind diese Forderungen nur dann von Erfolg gekrönt, wenn sie von den Betroffenen mitgetragen werden.

SICH ZUR WEHR SETZEN. Doch was kann man tun, wenn man un(ter)- bezahlt ist, einen falschen Werkvertrag ausübt oder in die Scheinselbstständigkeit gedrängt wird? Welche Mittel und Wege stehen einem/einer zur Verfügung, um doch noch zu seinem/ ihem Recht zu kommen? Es wäre schön, wenn es jungen ArbeitnehmerInnen finanziell möglich wäre, solch fragwürdige Jobangebote ablehnen zu können. Da aber die meisten auf Geld und/oder Berufserfahrung angewiesen sind, muss man zu anderen Mitteln greifen. Neben teuren Rechtsschutzversicherungen gibt es die Möglichkeit, die Arbeiterkammer aufzusuchen oder Gewerkschaftsmitglied zu werden. Die GPA-djp bietet beispielsweise eine kostenlose individuelle Erstberatung an. Möchte man anonym Missstände in seinem Praktikum melden, kann man dies unter watchlist-praktikum.at tun. Diese Plattform leitet die Daten auf Wunsch der PraktikantInnen an die Gebietskrankenkassen weiter, die die Unternehmen dann gegebenenfalls einer Prüfung unterziehen. Auch Stelleninserate, die mit dem Titel Praktikum versehen sind und hinsichtlich Entlohnung, Versicherung und Arbeitszeit zweifelhaft erscheinen, können dort gemeldet werden.

Möchte man sich den Ärger ganz ersparen, ist es ratsam, auf schwarzesbrett.oeh.ac.at nach Jobs mit dem Gütesiegel Praktikum der ÖH Ausschau zu halten. Diese müssen bestimmte Kriterien erfüllen und achten beispielsweise auf eine gerechte Entlohnung, die Art der Anstellung und den Umfang. Zudem legt die ÖH Wert auf eine geschlechts- und nationalitätsneutrale Formulierung der Inserate. Egal, an welche der Stellen man sich am Ende des Tages wendet, fair statt prekär ist einfach besser.

Julia Coufal hat Deutsche Philologie an der Universität Wien studiert und ist Funktionärin in der GPA-djp-Jugend Wien.

Sparschiene

  • 23.02.2017, 17:54
360 Euro für ein österreichweit gültiges Studi-Ticket: Die Forderung klingt utopisch. Wie schneidet sie im europäischen Vergleich ab?

360 Euro für ein österreichweit gültiges Studi-Ticket: Die Forderung klingt utopisch. Wie schneidet sie im europäischen Vergleich ab?

Österreich ist ein kleines Land. Wer öfters mit dem Zug unterwegs ist, wird das vielleicht anders empfinden. Laute Mitreisende, langsames Fahren über Berge und Verspätungen können schon mal an den Nerven zerren. Vor allem dann, wenn die Fahrt entsprechend teuer war. Österreich mag im Vergleich mit den deutschen Nachbar*innen ein relativ günstiges Bahnland sein, die Preise können dennoch ein empfindliches Loch in studentische Geldbörsen reißen. Wer zum Beispiel mit der ÖBB von Wien nach Villach fährt, um über das Wochenende Familie und Freund*innen zu besuchen, zahlt dafür 28,30 Euro. Vorausgesetzt, man verfügt über die „Vorteilscard Jugend“, die jedoch auch einmal im Jahr 19 Euro kostet und nur bis 26 Jahre gilt. Ohne Verbilligung kostet der Wochenendtrip zu den Eltern das Doppelte: 56,60 Euro. Wer also zum Beispiel 21 Jahre alt ist, in Wien studiert und einmal im Monat die Eltern in Kärnten besuchen will, zahlt dafür sogar bei Ausnutzung des günstigen Sommertickets knappe 600 Euro im Jahr. Nicht alle Studierenden besuchen ihre Eltern so regelmäßig, andere fahren öfters von der Unistadt „aufs Land“, etwa, weil sie dort eine Fernbeziehung haben. Zum Geburtstag gibt es mit 26 dann eine nette finanzielle Überraschung: die Jugend-Vorteilscard gilt nicht mehr. „26 bist du aber bald mal und dann darfst du für jede Fahrt das Doppelte zahlen oder musst dir ausrechnen, ob die ‚normale‘ Vorteilscard sich lohnt“, beschwert sich Janine, die wie viele Studierende in Österreich länger studiert hat, als sie anfangs geplant hatte. Das Durchschnittsalter der österreichischen Studierenden liegt laut der aktuellsten Studierendensozialerhebung bei 26,2 Jahren, etwa ein Drittel der Studierenden ist älter als 26. Die Kosten für Mobilität unterscheiden sich stark je nach Alter: Unter-Zwanzigjährige kommen im Schnitt mit 54 Euro im Monat aus, Studierende, die älter als dreißig sind, verbrauchen das Doppelte, um von A nach B zu kommen.

SCHIENENERSATZVERKEHR. Alternativen zum Zugfahren sind mittlerweile gerade in studentischen Kreisen sehr beliebt, das Jammern über die ungemütliche und langsame Zugreise ist mittlerweile den verzweifelten Geschichten aus dem nicht-klimatisierten Fernbus mit verstopftem Klo gewichen. Von Wien nach Villach gibt es jedoch kein Angebot, denn wie auch die WestBahn versuchen die Fernbusunternehmen vor allem lukrative Strecken zu befahren und konzentrieren sich auf die profitable Weststrecke oder Verbindungen zwischen großen Städten. Wer nicht aus einem größeren Ort kommt, muss sowieso längere Fahrtzeiten und höhere Kosten auf sich nehmen, um die Verwandten „am Land“ zu besuchen. Neben dem öffentlichen Verkehr besteht natürlich auch immer die Möglichkeit, mit dem Auto zu fahren und Mitfahrgelegenheiten zu nutzen. Wie sehr die verfügbar sind, hängt natürlich auch davon ab, wo man wohnt und wie gut man vernetzt ist. Noch komfortabler ist der eigene PKW, was aber erhebliche Kosten für Versicherung und Erhalt mit sich bringen kann – noch dazu wird er in der Stadt eher selten gebraucht. Die teure Bahn ist für viele Studierende die einzige Möglichkeit, überhaupt mobil zu sein und Freund*innen, Bekannte oder die Familie zu besuchen. In Zeiten steigender Ticketpreise und seit Ewigkeiten nicht an die Inflation angepasster Beihilfen kann das Reisebudget schon mal sehr knapp werden. Dabei war das alles bereits anders. In den 1970ern wurde von der Regierung Kreisky die sogenannte „Schüler- und Studentenfreifahrt“ eingeführt, die Studierenden wurden finanziell entlastet. Das aber nicht nur mit den kostenlosen Öffis in den Unistädten, sondern auch mit der „Schulfahrtbeihilfe“, mit der „auswärts Studierende“, je nach Entfernung des Elternhauses, eine finanzielle Hilfe für die Heimfahrt erhalten konnten.

STUDITICKET JETZT! Die Österreichische Hochschüler*innenschaft (ÖH) lobbyiert seit knapp einem Jahr mit der Kampagne #studiticketjetzt für ein österreichweites Studierendenticket. Im Oktober wurde dem Parlament eine Bürgerinitative mit über 25.000 Unterzeichner_innen präsentiert, dort wurde das Anliegen an den Verkehrsausschuss weitergeleitet. Außerdem gab es mehrere Treffen der ÖH-Spitze mit Minister*innen. Das Ticket soll nach Vorstellung der ÖH 360 Euro im Jahr kosten und für alle öffentlichen Verkehrsmittel österreichweit gelten. Anspruchsberechtigt sollen dabei alle Studierenden sein, die ab dem 3. Semester acht ECTS aus dem vorigen Semester nachweisen können. Die ÖH fordert also ein Ticket ohne Altersbeschränkung. Um „Schein-Studierende“ zu verhindern, die sich nur inskribieren, um das günstige Ticket zu erhalten, soll die Anspruchsdauer in Summe 120 Monate betragen, die jedoch nicht am Stück verbraucht werden müssen. Die Forderung ist ein seltenes Beispiel für harmonische Zusammenarbeit von ÖH-Exekutive und Opposition: Der Antrag auf der ÖH-Bundesvertretungssitzung wurde einstimmig beschlossen, die meisten großen Fraktionen beteiligen sich namentlich an der Kampagne. Mobilitätskosten sind mitunter auch bei der Studienwahl entscheidend. So wird das Studium nicht nur nach den eigenen Interessen, sondern eben auch nach den Fahrtkosten zum Studienort gewählt. Ein Studiticket, wie die ÖH es fordert, könnte hier helfen. Magdalena Hangel von der Maturant_innenberatung der ÖH-Bundesvertretung erklärt: „Ein österreichweites Studierendenticket lindert den finanziellen Druck bei der Studienwahl, es führt zu einer besseren Vernetzung von Region und Stadt und schafft Freiheit für zukünftige Studierende. Natürlich gehören da andere Faktoren auch dazu. Als Studienberater_innen wissen wir aus unserem Beratungsalltag aber, dass der Faktor Studienort nicht zu unterschätzen ist.“ Die ÖH argumentiert neben den sozialen Effekten auch damit, dass ein Studiticket der Umwelt zu Gute kommen würde – die Regierung könnte das Studiticket nicht nur als soziale Maßnahme, sondern auch als österreichischen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel, verkaufen.

ANDERE LÄNDER, ANDERE TARIFE. Wie sieht die Situation eigentlich in anderen Ländern aus? Zumindest was die Preise für den öffentlichen Nahverkehr angeht, kommen die Studierenden in Österreichs größter Universitätsstadt (Überraschung: Wien!) auch im europäischen Vergleich recht günstig weg: 75 Euro im Semester kostet das Ticket für die Wiener Linien, wenn der Hauptwohnsitz in Wien liegt und das magische Alter von 26 nicht überschritten ist. In Deutschland ist die Situation kompliziert, da die Hochschulen, anders als in Österreich, in die Kompetenz der Bundesländer fallen, die jeweils eigene Regelungen haben. Oft bezahlen Studierende in Deutschland gleichzeitig mit den Studiengebühren ein Semesterticket, mit dem sie meistens nicht nur die öffentlichen Verkehrsmittel ihres Studienortes, sondern auch den Regionalverkehr um den Ort herum, manchmal sogar im ganzen Bundesland, nutzen dürfen. Teilweise sind diese Tickets „vollsolidarisch“, d.h. alle Studierenden müssen sie kaufen – wer nicht mit den Öffis fährt, subventioniert die Fahrten der Anderen mit. Andere Tickets bestehen aus mehreren Komponenten, die optional hinzugekauft werden können. Mit mindestens 204 Euro im Semester wäre ein angedachtes Modell in Baden-Württemberg aber teurer geworden als das ÖH-Studiticket. Im Nordwesten Deutschlands gibt es hingegen erstaunliche Bewegungsfreiheit: Wer beispielsweise in Göttingen studiert, kann für knapp 110 Euro in der ganzen Region fahren, bis nach Hamburg oder gar an die Nordsee – allerdings nur mit dem Regionalverkehr, Schnellzüge der Deutschen Bahn dürfen die Studierenden nicht benutzen. In den Niederlanden können Studierende auswählen, ob sie am Wochenende oder werktags gratis fahren wollen. Allerdings müssen sie ihr Studium innerhalb von zehn Jahren abschließen, sonst gilt das kostenlose Ticket nur als „Darlehen“ für Tickets, die knapp 100 Euro im Monat kosten. Das Ticket ist eine Leistung der niederländischen Studienfinanzierung. Zusätzlich dazu gibt es die Möglichkeit, günstige Tarife für wenig frequentierte Reisezeiten auszunutzen und so auch am Wochenende günstig von Amsterdam nach Breda zu kommen. In Finnland gibt es kein Studi-Ticket, das für das gesamte Streckennetz gilt, allerdings bestehen hier spezielle Vergünstigungen für Studierende. Finnische Studierendenorganisationen haben im Februar 2016 einen 30-Prozent-Rabatt mit der VR Group, der finnischen Staatsbahn, ausgehandelt. Innerhalb der Städte zahlen finnische Studierende die Hälfte des Ticketpreises auf Zeitkarten, diese Ermäßigung besteht allerdings schon länger.

ES GEHT AUCH GRATIS. Die ÖH-Forderung nach einem österreichweit gültigen Ticket um 360 Euro im Jahr scheint im europäischen Vergleich also gar nicht so unrealistisch und günstig, wie das vielleicht auf den ersten Blick scheint. Vor allem dann nicht, wenn man den Blick nach Osten schweifen lässt: In der Slowakei fahren Studierende nämlich gratis. Allerdings gilt diese Regelung nur bis 26. Theoretisch können sogar alle studierenden EU-Bürger*innen einen Zero-Rate-Pass in der Slowakei beantragen, sofern sie ihre Studienbestätigung auf Slowakisch übersetzen lassen. Mit dem Pass lassen sich dann kostenlos Fahrkarten für das gesamte Schienennetz lösen. Die sind allerdings an Passagier*in und Zugverbindung gebunden – ein bisschen Vorplanung ist also vonnöten. Auch in Luxemburg gibt es ab August ein Gratisticket für Studierende – dabei soll der Studienort egal sein und das Ticket in allen öffentlichen Verkehrsmitteln gelten. Weit fahren können die luxemburgischen Studierenden damit allerdings nicht: Das Großherzogtum hat in etwa die Fläche von Vorarlberg. Diese Beispiele zeigen, dass es prinzipiell nicht unmöglich ist, Studierende günstig (beziehungsweise sogar gratis) mit der Bahn herumfahren zu lassen. Österreich sollte das doch auch schaffen können. Mit einem einheitlichen Studi- Ticket, das für Bus, Bahn und Bim gilt, würden die unfairen Tarifunterschiede zwischen den verschiedenen Studienorten innerhalb Österreichs ebenfalls abgeschafft werden. Die Umwelt, ganz besonders das Klima, würde sicherlich profitieren, angehende Studierende hätten einen Faktor weniger, den sie bei der Studienwahl berücksichtigen müssten und ältere Studierende hätten weniger Geldsorgen. Vielleicht würden auch weniger Fernbeziehungen in die Brüche gehen. Alleine das wäre doch Grund genug, das Studi-Ticket endlich einzuführen.

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Löcher im Rechtssystem stopfen

  • 03.08.2016, 21:08
In der juristischen Ausbildung wird die gesellschaftspolitische Dimension von Recht gerne vernachlässigt. Studentische Rechtsberatung nimmt in Anlehnung an die angloamerikanische Tradition der „Law Clinics“ seit kurzem auch in Österreich soziale Verantwortung wahr.

In der juristischen Ausbildung wird die gesellschaftspolitische Dimension von Recht gerne vernachlässigt. Studentische Rechtsberatung nimmt in Anlehnung an die angloamerikanische Tradition der „Law Clinics“ seit kurzem auch in Österreich soziale Verantwortung wahr.

Vor dem Gesetz sind alle gleich. In der Theorie. In der Praxis haben nicht alle die Ressourcen, bestehende rechtliche Möglichkeiten auszuschöpfen. In den USA schließen an Universitäten angebundene studentische Rechtsberatungsstellen, die so genannten „Legal Clinics“, eine wichtige Lücke im Rechtsschutzsystem. Hierzulande haben solche Institutionen keine Tradition. Felix Kernbichler, David Weixlbraun und Stephan Rihs verorteten vor zwei Jahren dennoch einen Bedarf – auch aufseiten der Studierenden. Sie gründeten nach eigenen Erfahrungen mit „Legal Clinics“ in den Staaten kurzerhand die „Vienna Law Clinics“. Der im Frühjahr mit dem sozialen Innovationspreis SozialMarie ausgezeichnete Verein will mit seiner kostenlosen, niedrigschwelligen Rechtsberatung einen gesellschaftlichen Beitrag für benachteiligte Gruppen leisten.

RECHTSHILFE FÜR START-UPS UND ASLYWERBENDE. Österreich hat grundsätzlich ein gutes Verfahrenshilfesystem. „Grundsätzlich“, wie Anna Wegscheider, die wie viele im „Vienna Law Clinics“-Kernteam ihr Studium längst abgeschlossen hat, extra wiederholt. Das Lieblingswort der Jurist_innen zieht bekanntlich immer ein „Aber“ nach sich: „Die Angebote sind da, aber zum einen ist die Kommunikation schlecht und zum anderen gibt es Menschen, die aufgrund ihrer Position in der Gesellschaft keinen Zugang zu Rechtsschutz haben.“

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Derzeit fokussieren die „Vienna Law Clinics“ ihre Arbeit auf die aus akademischen Rahmenbedingungen und persönlichem Interesse gewachsenen Bereiche Start-ups sowie Asyl- und Fremdenrecht. Die Arbeitsweisen der beiden je 15-köpfigen Teams könnten nicht unterschiedlicher sein: Während die Start-up-Gruppe persönliche Beratungen zu eigenen Bürozeiten anbietet und angehenden Jungunternehmer_innen rechtliche Erstauskünfte über Gesellschaftsform, Immaterialgüterrecht und Co. erteilt, macht die Asyl-Gruppe keine individuelle Beratung. Sie unterstützt NGOs wie den Verein Ute Bock bei rechtlichen Fragen und kooperiert mit dem Netzwerk AsylAnwalt.

WIN-WIN-SITUATION. Die Arbeit der „Vienna Law Clinics“ wird von Partner-Kanzleien gegengeprüft – ein wesentlicher Punkt der Qualitätssicherung. „Wir haben uns zur Unterstützung entschlossen, weil wir die Idee der studentischen Rechtsberatung toll finden. Nicht umsonst ist dieses Modell bereits seit langer Zeit an internationalen Eliteuniversitäten etabliert“, erklärt Rechtsanwalt Florian Steinhart von Herbst-Kinsky das Engagement der Kanzlei.

Speziell das Asyl- und Fremdenrecht ist besonders komplex, wird in der Ausbildung allerdings vernachlässigt. Auch deswegen findet Rechtsanwältin Julia Ecker, eine weitere professionelle Unterstützerin, das Konzept der Law Clinics „genial“. „Das hätte ich selbst als Studentin gerne gehabt“, so die Fremdenrechtsexpertin. Besonders in der Kooperation mit dem Netzwerk AsylAnwalt sieht sie einen Mehrwert für ihren Arbeitsbereich. So haben die Studierenden zuletzt eine umfassende Recherche für eine Verwaltungsgerichtshof-Judikatur zum Asylrecht erledigt. Ecker: „Das ist toll, denn ein einzelner Anwalt kann nicht hunderte Entscheidungen neben der laufenden Arbeit screenen.“

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Über mangelnde ehrenamtliche Bereitschaft von Studierenden können sich die „Vienna Law Clinics“ nicht beschweren. Im Gegenteil: Aufgrund des Erfolges überlegt man die Erweiterung um eine Konsument_innenschutz-Gruppe. Das Wechselspiel aus Gemeinwohl und studentischem Nutzen ist das, was die Philosophie von Law Clinics ausmacht. Deshalb laufen derzeit auch Gespräche mit dem Dekanat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät über Möglichkeiten, die Arbeit der angehenden Jurist_innen formell im Studium anzuerkennen.

UNTERSCHIEDE. Gelänge die Etablierung dieses Konzepts, wären die „Vienna Law Clinics“ Pioniere in Österreich. Weitere Ansätze gibt es an der Karl-Franzens-Universität in Graz, wo Law Clinics in Form von praxisbezogenen Lehrveranstaltungen, ohne eigentliche Rechtsberatung, umgesetzt werden: Die Grazer „Refugee Law Clinic“ zum Beispiel bietet mehrere Lehrveranstaltungen zum Thema Flüchtlings- und Asylrecht in Zusammenarbeit mit Praktiker_innen sowie Basisinformationen als Flüchtlingsrechts-Kurzguide an. Für die von Eva Schulev-Steindl gemeinsam mit Miriam Karl geleitete „Environmental Law Clinic“ wiederum bearbeiten Studierende in Zusammenarbeit mit NGOs wie dem Umweltdachverband aktuelle Umweltrechtsfälle. „Dies bietet den Studierenden die einzigartige Chance, schon während ihres Jus-Studiums reale Lebenssachverhalte zu behandeln“, so die Professorin. „Dafür müssen sie sich aber auch durch wahre ‚Aktenberge’ wühlen – das Material umfasst teilweise mehrere Gigabyte.“ Und auch eine Legal Clinic für öffentliches Recht und Umweltrecht gibt es in Graz. Sie wird in Kooperation mit der Volksanwaltschaft von Georg Eisenberger geführt: „Mein persönliches Ziel ist es, möglichst vielen Studierenden zu zeigen, wie spannend und fordernd Öffentliches Recht in der Praxis sein kann.“

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MIT RECHT SOZIALEN WANDEL BEWIRKEN. Die stärkere Institutionalisierung der „Vienna Law Clinics“ brächte für Gründungsmitglied Weixlbraun auch einen gesellschaftlichen Mehrwert: „Durch die Anbindung an die Universität wäre eine akademische Reflexion möglich.“ Wiederkehrende Fragestellungen könnten Rechtsschutzprobleme sichtbar machen und Basis für politische Arbeit sein. Denn die Möglichkeit von strategischer Prozessführung – also über einen starken Einzelfall hinaus, soziale, politische oder rechtliche Veränderungen in Gang zu setzen – funktioniert in Österreich immer wieder gut. Das hat zuletzt das als verfassungswidrig gekippte Adoptionsverbot für homosexuelle Paare gezeigt. Solche Fälle würden beweisen, dass man mit dem Recht als Machtinstrument auch gesellschaftliche Veränderungen bewirken kann, streicht „Vienna Law Clinics“-Juristin Wegscheider heraus. Ihre Kollegin Teresa Exenberger bringt es auf den Punkt: „Hier sehen wir eine wichtige Schnittstelle für Law Clinics: Wir können Ressourcen anbieten, die Kanzleien nicht haben.“

Cornelia Grobner ist freie Journalistin und Doktoratsstudentin im Fachbereich Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg.

Links:
Vienna Law Clinics
Refugee Law Clinic
Environmental Law Clinic
Legal Clinic für öffentliches Recht und Umweltrecht

Ungarns Studierende zwischen Apathie und Aktionismus

  • 05.12.2015, 11:51

Seit dem zweiten Antritt der Fidesz-Regierung 2010 hat Ungarn demokratie-, medien- und minderheitenpolitisch einen autoritären Kurs eingeschlagen. Dieser betrifft auch die ungarischen Universitäten.

Seit dem zweiten Antritt der Fidesz-Regierung 2010 hat Ungarn demokratie-, medien- und minderheitenpolitisch einen autoritären Kurs eingeschlagen. Dieser betrifft auch die ungarischen Universitäten.

„Selbst die Einrichtung meines Büros mussten wir zum Teil selber finanzieren oder von zuhause mitnehmen. Etwa den Drucker“, meint Professor Ferenc Hammer. Seine KollegInnen und er arbeiten wegen der infrastrukturellen und finanziellen Situation völlig prekär. Der Soziologe ist Leiter der Abteilung für Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Eötvös Loránd Universität. Die Bologna-Reform wird vielerorts als Verschulung und Vereinheitlichung des Universitätswesens kritisiert. Vor dem Hintergrund von Ungarns Geschichte als post-sowjetischer Staat meint Ferenc Hammer allerdings, sie habe das Potential gehabt, den bis 1990 inhaltlich schwachen und isolierten Hochschul- und Wissenschaftssektors zu modernisieren. So hätte Bologna etwa der besseren Vernetzung mit Universitäten und WissenschafterInnen rund um den Globus dienen können. Hätte. Wären da nicht die chronisch schlechte finanzielle Lage des Landes und die unklaren, intransparenten politischen Entscheidungen, die maximal die formale Umsetzung der Reform möglich machten.

Seit die Fidesz-Regierung unter Viktor Orbán 2010 mit einer Zwei-Drittel- Mehrheit wieder ins Amt kam, haben sich die Rahmenbedingungen für das Hochschulwesen zusätzlich verschlechtert. Dies hatte zunächst weniger mit der Regierung als mit der Europäischen Union zu tun: Da Ungarn seit 2004 mehrfach gegen die Defizitgrenzen des Maastricht-Vertrages verstoßen hatte, wurde das Land 2011 vor die Wahl gestellt, entweder seinen Haushalt zu konsolidieren, oder das Einfrieren von 500 Millionen Euro an EU-Fördergeldern zu riskieren. Die Regierung Orbán entschied sich zu einem strikten Kürzungskurs, wie er auch in anderen Staaten zu beobachten war. Davon war auch der Hochschulsektor stark betroffen. Machten die öffentlichen Ausgaben für höhere Bildung laut einem Papier der Uni Szeged 2008 noch einen Anteil von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, sank dieser in den letzten Jahren auf ein halbes Prozent. Zumindest wird dies von der Organisation „Oktatói Hálózat“ („Netzwerk der Hochschullehrenden“) kritisiert. Für Hammer ist das aufgrund der schwachen politischen Lobby der Unis und ihrer Heterogenität nicht überraschend. Um nicht auf gesellschaftlichen Widerstand zu stoßen, war die Regierung bemüht, den Hochschulsektor öffentlich als schwarzes Loch für Steuergelder darzustellen.

Auch Lehrende selbst klagen über die Ineffizienz der ungarischen Universitäten, einer von ihnen ist Daniel Deak von der Corvinus Universität Budapest. Das geringe Budget wird aber nicht für effektive Verbesserungen genutzt. Vielmehr resultiert es in schlechter Bezahlung und fehlendem Equipment wie Projektoren, Druckerpatronen und Büchern. Der Soziologe Hammer erzählt, die Bibliothek der Humanwissenschaften an seiner Universität habe seit fünf Jahren keine einzige Neubestellung getätigt.

DAS ENDE DER ORCHIDEEN. In der Regierung Orbán ist zudem eine starke Abneigung gegen sogenannte „unbrauchbare Studiengänge“ präsent. In den Jahren 2011 und 2012 folgten Reformen, die sich negativ auf die Studienvielfalt, auf die soziale Durchlässigkeit der Unis und die Hochschul-Autonomie auswirkten. Zunächst wurde die Zahl der staatlich finanzierten Studienplätze schrittweise von 50.000 auf 30.000, schließlich auf 10.000 reduziert. Gleichzeitig wurde die Zahl der „teilfinanzierten Studienplätze“ (Studierendenkredite) stark angehoben. 2007/08 plante eine sozialdemokratische Regierung allgemeine Studiengebühren. Eine – auch von Orbáns Fidesz-Partei eingeleitete – Volksabstimmung verhinderte dies. Die Anhebung der teilfinanzierten Studienplätze bedeutete allerdings eine indirekte Wiedereinführung von Studiengebühren. Bezüglich der Höhe kursieren im Netz verschiedene Zahlen. Laut der deutsch-ungarischen Tageszeitung „Pester Lloyd“ kommen auf alle, die nach einem definierten Numerus Clausus kein Recht auf einen voll finanzierten Platz haben, Studiengebühren von bis zu 1500 Euro pro Jahr zu. Angesichts der hohen Lebenserhaltungskosten ein echtes finanzielles Problem für viele Studierende.

Dass vor allem sogenannte „Orchideenfächer“ im Spannungsfeld zwischen Staat und Markt stehen, ist kein ungarisches Spezifikum, sondern eine länderübergreifende Realität. Durch die Reformen der letzten Jahre wurden in Ungarn staatlich finanzierte Studienplätze nicht mehr nach Bedarf organisiert, sondern zu jenen Fächern umverteilt, die „nationalökonomisch relevant“ sind. Für das Studienjahr 2013/14 wurde eine „Streichliste“ mit Fächern veröffentlicht, die zukünftig nicht mehr staatlich finanziert werden sollen. Darauf finden sich unter anderem: Volks- und Betriebswirtschaftslehre, Business Management, Soziologie, Internationale Studien, Kommunikationswissenschaften und Studien, die relevant für den öffentlichen Dienst sind. Für letztere wurde gar eine eigene, regierungsgesteuerte Universität gegründet, die somit eine umfassende Kompetenz zur Selektion künftiger AnwerberInnen für wichtige Posten im Staat hat. Studienfächer, die vom Markt nicht ausreichend nachgefragt werden, müssen eben schließen, so die Staatssekretärin Hoffmann.

Ein weiteres Kernstück der Hochschulreformen sind die sogenannten „Verträge“. Wer einen staatlich finanzierten Studienplatz in Anspruch nehmen will, kann dies nur durch die Unterzeichnung eines Vertrages tun. Damit verpflichtet man sich, nach Abschluss des Studiums die doppelte Studienzeit in Ungarn zu arbeiten, ungeachtet der Chancen auf eine Stelle mit entsprechender Qualifizierung und halbwegs angemessenem Lohn. Bei Missachtung des Vertrages sind alle staatlichen Mittel wieder zurückzuzahlen. Damit sind nicht nur etwaige Gebühren gemeint, sondern die gesamten Studienkosten. Angesichts dessen sehen sich Universitäten mit sinkenden Inskriptionszahlen konfrontiert. Im Studienjahr 2013/14 waren es laut „Pester Lloyd“ 95.000 Studierende: ein 17-Jahres-Tief.

Das ursprüngliche Ziel der Studienverträge, nämlich die Abwanderung ausgebildeter AkademikerInnen ins Ausland zu stoppen, wurde nicht erreicht. Das Problem wurde lediglich verjüngt, denn viele emigrieren nun gleich nach der Matura zum Studieren nach Deutschland, Österreich oder in die Slowakei. Der „Brain Drain“ sei laut Hammer ein zunehmendes Problem für Ungarn. Auch András Maté, Professor der Theologie und Gründungsmitglied des „Netzwerkes der Hochschullehrenden“, stimmt zu: „Die besten Köpfe“ unter den angehenden und ehemaligen StudentInnen würden gehen. Während Studierende „unwirtschaftlicher“ Fächer sowieso geringe Chancen auf einen leistbaren Studienplatz haben, werden jene AnwerberInnen für staatlich voll ausfinanzierte Fächer durch derartige Verträge ins Ausland getrieben.

ZENTRALISIERUNG UND KONTROLLE. Studierenden- und Lehrendenvertretungen kritisieren gemeinsam die fehlende Kommunikationskultur zwischen politischen EntscheidungsträgerInnen und Betroffenen an den Universitäten. Dies führt regelmäßig zu politischen Veränderungen, die den Realitäten nicht angemessen sind. Während die Entwicklung in Europa eher in die Richtung Hochschulautonomie geht, gibt es in Ungarn Zentralisierungsprozesse. Der mangelhaft ausgeprägte Korporatismus und der feudale Politikstil sind für die in Wien und Budapest lehrende Soziologin Éva Judit Kovács sogar Strukturprinzip der ungarischen Gesellschaft. Ein Kernelement der Autonomie-Reform sei ihrer Meinung nach das verwaltungs- und finanztechnische Durchgriffsrecht des Staates an den Universitäten. Das Nachrichtenportal „Budapest Beacon“ schreibt von einem „chancellery system“. Es handelt sich um eine Behörde, deren BeamtInnen direkt von Premierminister Orbán ernannt werden und die sowohl die Verwendung der staatlichen Finanzmittel reguliert, ein Vetorecht bezüglich der Entscheidungen der DirektorInnen, sowie die Entscheidungsmacht über Personalfragen hat, ausgenommen ist nur das Forschungsund Lehrendenpersonal. Nicht mehr die Unis, sondern der Staat und die Regierung werden zum unmittelbaren Arbeitgeber des Personals.

KEIN WIDERSTAND DER STUDIERENDEN? Die Einschätzung des Widerstandspotentiales von Studierenden und Lehrenden angesichts der massiven Eingriffe gehen selbst bei ProfessorInnen auseinander. András Maté erklärt, dass es den Hochschullehrenden mit „Oktatói Hálózat“ gelungen sei, eine langfristig strukturierte, kritische Plattform zu kreieren, welche in der Lage sei, den hochschulpolitischen Diskurs zumindest etwas zu beeinflussen. Das Studierenden- Netzwerk „Hallgatói Hállózat“ sei allerdings, so Maté, eine lose Gruppe, die sich nicht auf permanente Organisierung orientiere. Interessanterweise sind beide Gruppen Ausdruck der Proteste gegen Orbáns Hochschulreformen 2011. Das Protestpotential der Studierenden würde sich immer nur anlassbezogen entfalten, meint Maté. Gibt es einen restriktiven, hochschulpolitischen Vorstoß der Regierung, finden sich immer wieder neue Gesichter zu spontanen Protesten zusammen. Danach verschwinden sie wieder, es gibt keine permanenten Strukturen, was sich auch darin äußert, dass man kaum jemanden für ein substanzielles Interview gewinnen kann. Seit 1990 seien politische Bewegungen – vor allem parteigebundene – in den Unis untersagt. In der Analyse übereinstimmend, aber in der Schlussfolgerung abweichend äußert sich Ferenc Hammer: Wenn Studierende zu spontanen, großen Demonstrationen zusammenkamen, habe die Regierung ihre hochschulpolitischen Pläne zumindest etwas entschärfen müssen. „Die Protestierenden haben damit bisher mehr erreicht als die Opposition im Parlament“, meint er und lacht.

Johannes Mayerhofer studiert Soziologie und Psychologie an der Universität Wien.

Studentenfutter

  • 10.06.2014, 15:33

 

Für viele Studierende bietet das Mensaessen guten Grund sich zu mokieren. Dass leistbares Essen für Studierende wieder in den Bereich der Utopie abzudriften droht, zeigt sich an der zunehmenden Ökonomisierung der Mensen.

Das Konzept der Mensen, die leistbares Essen für alle anbieten sollen, hat sich an Europas Universitäten durchgesetzt. Die Idee ist gut: günstig essen in Gesellschaft anderer Studierender direkt an der Universität. Dass diese schöne Idee aber nicht immer der Praxis entspricht, wissen Studierende aus Erfahrung. Schmutziges Besteck, Essen, das immer nach Suppenwürfel schmeckt, egal was man auf dem Teller vor sich wiederfindet, und ein sich ständig wiederholender Speiseplan kommen in vielen Mensen vor. Darüber freuen sich zwar die studentischen Geschmacksknospen nicht, aber für Unterhaltung kann das Mensaessen schon einmal sorgen: Es wird evaluiert, ob das graue Letscho oder das vermeintliche Putenschnitzel den Contest der grauslichsten Speise gewinnt, spekuliert, was überhaupt der unbestimmbare grüne Quader sein soll, der aufgetischt wird, und geraten, in wie vielen Gerichten die Nudeln zuvor schon zu finden waren. Ein denkbar schlechtes Zeugnis. So gesehen, bleibt als positiver Aspekt wohl nur die Stärkung der Gemeinschaft übrig. In einer Zeit, in der es für viele Studierende finanziell düster aussieht, ist die Idee vom billigen Essen auf der Uni dennoch aktueller denn je. Studierende sind oft an das Essensangebot an der Hochschule gebunden, auch weil ihr stressiger Studienalltag nicht immer zulässt, Angebote außerhalb des Universitätsgebäudes zu nutzen.

Illustration eines Wiener Schnitzels mit einer Zitronenscheibe. Illustration: Christina Uhl

Einmal Menü 1 bitte. So geht es auch Lisa. Die 22-Jährige studiert Pharmazie an der Universität Innsbruck und geht regelmäßig in die Mensa im Café 80/82. Was sie dort mit einer Studierendenermäßigung zu einem Preis von 3,60 Euro zu essen kaufen kann, findet sie verhältnis- mäßig gut. Obwohl meist einfache Gerichte wie Wokgemüse, Nudeln, Ofenkartoffeln oder Salate angeboten werden und die Qualität des Essens von Woche zu Woche schwankt, isst sie oft dort: „Neben einem Weckerl aus dem Supermarkt ist die Mensa häufig die einzige Chance auf ein Mittages- sen.“ Besonders Studienrichtungen mit hoher Anwesenheitspflicht lassen es oft nicht zu, dass man gerade mittags etwas Warmes essen kann. Lange Laboreinheiten und dichte Stundenpläne schränken die Zeiten ein, in denen man sich in Ruhe dem Kochen und Essen widmen kann.

Das Café 80/82, in dem Lisa isst, ist einer von vielen Standorten der Österreichischen Mensen Betriebsges.m.b.H. Die anspruchsvolle Aufgabe der Ernährung von Studierenden in Österreich lag bis vor kurzem zum größten Teil in ihrer Hand. Die Österreichische Mensen Betriebsgesellschaft ist an Unis in allen Landeshauptstädten sowie an der Donau-Universität Krems, der Montanuniversität Leoben und der FH Joanneum in Kapfenberg vertreten. Der Betrieb ist Eigentum des Bundes, zuständig ist das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Gegründet wurde er mit dem Ziel, Studierenden günstiges Essen zu ermöglichen, dafür bekommt die Mensen Betriebsges.m.b.H. die Räumlichkeiten an den Unis gratis oder kos- tengünstig zur Verfügung gestellt. Seit zwei, drei Jahren können sich aber auch private Firmen für diese Aufträ- ge bewerben, was zur Folge hat, dass Betriebs- und Pachtkosten steigen. Die Mensen Betriebsgesellschaft, die nicht gewinnorientiert arbeitet, muss deshalb vermehrt aus zusätzlichen Quellen, wie Catering, Geld lukrieren, um die Mensen finanzieren zu können.

Der Geschäftsführer der Mensen Betriebsges.m.b.H., Gerhart Stadlbauer, ist sich der Änderung der Spielregeln bewusst. „Wir haben kein Monopol mehr, sondern stehen in einem Wettbewerb mit anderen Betrieben. Das ist gut so. Aber wir müssen unser Verhalten verändern.“ Um sich Ideen zu holen, besucht er auch die Konkurrenz, zum Beispiel die Mensa am neu- en Campus der WU Wien. Diese wird von der Cateringfirma Eurest, die sonst hauptsächlich Betriebskantinen wie jene von Siemens bewirtschaftet, betrieben. Die Mensen Betriebsges.m.b.H., die die Mensa am alten WU-Gelände geführt hatte, wurde bei der Neuausschreibung von Eurest überboten und verlor den Standort. Dass Eurest sich angesichts der hohen Investitions- und Pachtkosten halten könne, bezweifelt Stadlbauer. Trotzdem zeigt sich daran exemplarisch, dass die Mensen Betriebsgesellschaft zunehmend in Bedrängnis gerät, auch finanziell. Noch können Studierende Menüs um circa fünf Euro erwerben und Wassertrinken ist bis jetzt noch gratis, was in der Gastronomie, die von den Einnahmen aus Getränken lebt, keine Selbstverständlichkeit ist. Ob das angesichts der geänderten Rahmenbedingungen so bleiben kann, ist fraglich.

Illustration eines Brokkolis. Illustration: Christina Uhl

Essfertig in 8 Min. Viele Studierende weichen der Mensa jetzt schon aus und nehmen den Kochlöffel selbst in die Hand, auch weil ihnen das Mensamenü zu teuer und zu minderwertig ist. Selbst, wenn es eine zusätzliche Ermäßigung von 80 Cent mit dem Mensapickerl der ÖH gibt.

Sarah Lea studiert seit sechs Semestern Humanmedizin an der Medizinischen Universität in Innsbruck, in der Mensa war sie jedoch noch nie. Sie kennt den stressigen Studienalltag, trotzdem bemüht sie sich, ihr Essen selber zu kochen. Das oft überdurchschnittlich hohe Fleischangebot an der Mensa kommt ihr als Vegetarierin nicht entgegen. „Bei mir gibt es fast jeden Tag Gemüse. Mal mit Kartoffeln, mal mit Reis. Natürlich gibt es auch mal Nudeln, wenn es schnell gehen muss.“ Auf Fertiggerichte möchte sie aber nicht zurückgreifen. Was bedeutet, dass sie oft erst am Abend den Seziertisch gegen den Herd eintauscht, um sich zumindest eine warme Mahl- zeit am Tag zu kochen. In besonders intensiven Lernphasen kocht sie dann auch gern einmal vor.

Untertags machen viele andere Studierende gerne mal einen Abstecher in den nächsten Supermarkt. Das Weckerl aus der Feinkostabteilung stellt eine wesentliche Ernährungsgrundlage für viele Studierende dar. Wenn es aber etwas Warmes sein soll, weichen viele auf Gastronomiebetriebe in der Umgebung ihrer Universität aus.

Bitte die Rechnung. Die 21-jährige Katrin, Lehramtsstudentin an der Karl-Franzens-Universität in Graz, war von ihrem einmaligen Besuch in der Mensa am Sonnenfelsplatz nicht enttäuscht, zieht aber die Bierbaron- Kette, mit ihren fünf Betrieben in der näheren Umgebung der KFU und der TU, vor. „Ich bin ein Riesenfan der ,Bausatzmampferei’: superlecker und supergünstig.“ „Bausätze“ werden in diesen Lokalen Basisprodukte, wie Ofenkartoffeln, Pizza oder Toast, die individuell mit zusätzlichen Zutaten bestellt werden, genannt. Die gibt es zum Preis von drei bis sieben Euro von elf Uhr vormittags bis ein Uhr nachts. Die Kombination aus niedrigen Preisen, großen Portionen, langen Küchenzeiten, günstigen Standorten und breiter Auswahl macht Betriebe wie den Bierbaron für Studierende attraktiv. Die Geschäftskonzepte sind rein auf Studierende ausgerichtet und werfen soviel ab, dass solche Betriebe häufig expandieren und nachgeahmt werden.

Diese Beliebtheit kann man sich auch mit Stadlbauers Beobachtung erklären, dass Studierende zunehmend darauf Wert legen, dass ihr Essen individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Daran soll sich auch die Mensen Betriebsges.m.b.H. zukünftig orientieren. „Im Vergleich zu früher fordern die Studierenden mehr Kreativität in der Essenszubereitung und wollen keine Kelle von irgendwas, das satt macht, mehr. Immer öfter wird gesundes, veganes, vegetarisches und frisch gekochtes Essen gewünscht.“ Auch die Mensen gehen deshalb zunehmend weg von der klassischen Großküchenmensa und entwickeln sich eher in Richtung Normalgastronomie. Bis jetzt ist das Vakuum, das die Mensen Betriebsgesellschaft hinterlässt, eben vor allem für diese Normalgastronomie lukrativ.

Illustration eines Schnellimbissbox, gefüllt mit Nudeln. Illustration: Christina Uhl

Heute: Curry mit Tofu! Auch auf Studierende ausgerichtet, aber dennoch ganz anders macht es das selbstverwaltete Studierendenkollektiv im Tüwi neben der Universität für Bodenkultur. Das Tüwi ist für viele Studierende eine willkommene Alternative zu der dortigen Mensa, unter BOKU-Student_innen bekannt als die „Baracken“. Das Essen dort soll laut Michi, Student und Koch im Tüwi, katastrophal sein, weshalb mittlerweile durchschnittlich 80 Portionen Essen pro Tag im Tüwi verkauft werden. Er und andere haben vor ein paar Jahren angefangen, vegetarisches und veganes Essen zu kochen, um es zu einem niedrigen Preis zu verkaufen. Michi hält die Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten für besonders wichtig: „Wo wird gespart? Beim Essen. Aber Hauptsache ein cooles Leiberl anhaben.“ Besonders, was den Fleischkonsum betrifft, würde er sich ein Umdenken bei den Studierenden wünschen: Die Nachfrage nach Fleischgerichten sei noch immer sehr hoch. Dass qualitativ hochwertiges Essen leistbar bleibt, ist ein Grundanliegen des Tüwi-Kollektivs. Es trifft damit den Nerv der Zeit. Vielen Studierenden fehlt nicht der Wille, sich gut, gesund und nachhaltig zu ernähren; das Problem sind vielmehr finanzielle und zeitliche Barrieren.

Bestpreis: Clever Leberaufstrich um 0,65 €. Laut Studierenden-Sozialerhebung von 2012 steigt die Erwerbstätigkeit, während jedoch das Budget der Studierenden real sinkt. Die Kürzungen der Familien- und der Studienbeihilfe, steigende Lebensmittel- und Mietpreise sowie die zunehmende Berufstätigkeit von Studierenden verlangen auch nach einer Reflexion darüber, wie und zu welchem Preis sich Studierende ernähren.

Was Studierende tatsächlich essen und wie es in Folge um ihre Gesundheit bestellt ist, liegt bisher aber völlig im Dunkeln, denn es fehlt an Daten. Der vierte österreichische Ernährungsbericht (OEB) wurde 2012 veröffentlicht und dokumentiert und analysiert das Ernährungsverhalten und die Konsumgewohnheiten der Österreicher_innen. Über die spezifische Situation von Studierenden und ihre Essgewohnheiten erfährt man im Bericht allerdings nichts: Alle 18- bis 65-Jährigen werden dort, ungeachtet ihrer völlig unterschiedlichen Lebensrealitäten, in einen Topf geworfen. Dass es gerade unter den Erwachsenen eklatante Unterschiede, vor allem auch finanzieller Art gibt, wird dabei übersehen.

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

Mit Apps durch den Unialltag

  • 05.12.2015, 11:34

Für jeden Bereich des Unialltags gibt es mittlerweile mehr oder weniger hilfreiche Apps. Von Zeitmanagementtools, Kreativitätstechniken bis hin zum WG-Assistenten und Lernpausen-Begleiter. progress hat sich für euch durch den App-Dschungel gewühlt.

Für jeden Bereich des Unialltags gibt es mittlerweile mehr oder weniger hilfreiche Apps. Von Zeitmanagementtools, Kreativitätstechniken bis hin zum WG-Assistenten und Lernpausen-Begleiter. progress hat sich für euch durch den App-Dschungel gewühlt.

Längst haben Smartphones und Tablets einen festen Platz im Leben von StudentInnen. Obwohl in regelmäßigen Abständen die Frage diskutiert wird, inwieweit diese Geräte durch die permanente Erreichbarkeit und Kommunikation tatsächlich einen Mehrwert haben, bleibt eines unbestritten: Sie sind unglaublich praktisch – auch für StudentInnen. Insbesondere sind es die kleinen Helferlein – sogenannte Apps – die zur Organisation des Unialltags beitragen. Zahlen dazu, wie viele StudentInnen in Österreich tatsächlich gezielt Apps für diesen Zweck nutzen, gibt es noch keine. Wir geben dennoch einen Überblick zu den hilfreichsten Apps – denn für fast jeden Bereich des Unialltags gibt es mittlerweile eine oder sogar mehrere davon.

VORLESUNGEN: AUDIODATEIEN STATT MITSCHRIFTEN. Wer in einer Vorlesung zwar körperlich anwesend ist, gedanklich aber mit einem Cocktail am Strand sitzt, nimmt die Lehrveranstaltung am besten mit der App „Evernote“ auf, anstatt selbst Mitschriften zu erstellen. Um die Audiodateien später noch einmal wiederzufinden und anhören zu können, lassen sie sich ablegen, verschlagworten und mit anderen Dateien – etwa Vorlesungsskripten – verknüpfen. Die App ist eine echte Allrounderin, wenn es um die effektive Organisation von Arbeiten, Checklisten, Dateien, Notizen und Recherchen geht. Wer beim nochmaligen Anhören der Audiodateien das Gesprochene beschleunigen möchte, greift am besten auf die App „PodSpeed“ zurück, die es ermöglicht, Audiodateien in erhöhter Geschwindigkeit abzuspielen. Zukunftsmusik ist bis heute noch die Möglichkeit, Gesprochenes aufzuzeichnen und automatisch in ein Schriftstück umzuwandeln. Die App dafür gibt es zwar schon und sie nennt sich „Dragon Dictation“ – sie ist aber noch weit davon entfernt, ein schriftliches Skript einer mündlichen Vorlesung zu erstellen.


TERMINPLANUNG: AUF EINEN BLICK. Ein chaotischer Lehrveranstaltungsplan, anstehende Prüfungen und Abgabetermine? Die App „iStudiez“ hilft dabei, alle Lehrveranstaltungen auf einen Blick zu erfassen und erinnert an Prüfungen und Abgabetermine. Darüber hinaus kann die App Noten speichern und den aktuellen Notendurchschnitt errechnen. Einen ähnlich praktischen Kalender bietet auch die App „Studien-Kal“. Ein Vorteil ist, dass sich der eigene Kalender mit denen der StudienkollegInnen synchronisieren lässt. Wer den Überblick über die Noten nicht verlieren möchte, trägt sie einfach in ein Diagramm ein und lässt sich berechnen, welches Ergebnis für die nächste Prüfung notwendig wäre, um am Semesterende die Wunschnote zu erreichen. Die Android-Alternative zu „iStudiez“ und „Studien-Kal“ ist die App „Timetable“, die mit ähnlichen Funktionen aufwarten kann. Ein Pluspunkt der App sind die sogenannten Widgets in Form von Infokästchen, die auf den Desktop geheftet werden können und die wichtigsten Termine des Tages anzeigen.

  • iStudiez: nur für iOS verfügbar (gratis)
  • Studien-Kal: nur für iOS verfügbar (€ 1,99)
  • Timetable: nur für Android verfügbar (gratis)

IDEEN DIGITAL STRUKTURIEREN. Wer es liebt, seine Ideen statt auf Papier digital zu strukturieren und wieder umzustrukturieren, sollte auf das gute alte Mindmapping setzen. Die App „iThoughts“ ermöglicht es StudentInnen, sämtliche Ideen, aber auch komplexen Lehrstoff bildlich darzustellen. Die Maps können in alle gängigen Formate exportiert, direkt per E-Mail verschickt und auf sozialen Netzwerken geteilt werden. Zudem lassen sich Dateien aus anderen Programmen problemlos importieren. Um den Durchblick zu bewahren und den Überblick nicht zu verlieren, ist die App mit einem modernen Design und einer intuitiven Menüführung ausgestattet. Und auch mit der App „Mindjet“ können Ideen und Lehrstoff schnell und einfach in Maps inklusive Unterzweigen und Bildern erfasst werden. Ein bildhaftes Gedankengerüst aus Haupt- und Unterzweigen lässt sich zudem mit der App „SimpleMind“ erstellen. Neben der Möglichkeit Links einzubauen, lassen sich die Maps in alle gängigen Formate exportieren und mit der Dropbox verknüpfen.

  • iThoughts: nur für iOS verfügbar (€ 11,99)
  • Mindjet: iOS und Android (beide gratis)
  • SimpleMind: iOS (€ 5,99) und Android (€ 4,79)


SOZIALE KONTAKTE KNÜPFEN. Mit der App „Jodel“ erfahren StudentInnen durch anonyme Postings in ihrem Nachrichtenfeed zum einen, was gerade in ihrer unmittelbaren Umgebung passiert, und können sich zum anderen durch die anonyme Chatfunktion mit anderen StudentInnen in ihrer Nähe austauschen. Die Kombination aus anonym und lokal erfreut sich besonders auf Unigeländen großer Beliebtheit, wenngleich die App in Österreich noch nicht wirklich Fuß gefasst hat. Sie eignet sich ideal dazu, persönliche Alltagserfahrungen sowie Bilder im Nachrichtenfeed zu teilen oder sich im Chat zum Mittagessen oder gemeinsamen Lernen mit anderen StudentInnen zu verabreden. Eine österreichische Alternative zu „Jodel“ ist die App „Unipocket“. Die App setzt ebenfalls auf Lokalität, aber nicht auf Anonymität. Ziel ist es, StudentInnen die Vernetzung mit ihrer unmittelbaren Umgebung zu vereinfachen, Freunde zu treffen, neue Kontakte zu schließen und StudentInnen in unirelevanten Angelegenheiten auf den neuesten Stand zu bringen. Vernetzung im noch kleineren Stil, nämlich ausschließlich mit den eigenen MitbewohnerInnen,ermöglicht die App „Flatastic“. Ziel der App ist es, die Kommunikation zwischen MitbewohnerInnen zu vereinfachen und das Zusammenleben zu organisieren. Ob Einkaufsliste, Pinnwand oder Putzplan – mit der App lassen sich diese in einer WG wichtigen Elemente nun digitalisieren und sind für alle MitbewohnerInnen jederzeit auf dem Smartphone oder Tablet einsehbar.

  • Jodel: iOS und Android (beide gratis)
  • UniPocket: iOS und Android (beide gratis)
  • Flatastic: iOS und Android (beide gratis)

ABSCHALTEN UND AUFLADEN. Ob Gruppenarbeit, Prüfungsvorbereitung oder Seminararbeit: Lernpausen sind das A und O. Es gibt viele Möglichkeiten, eine Lernpause zu verbringen und gefühlt auch genauso viele Apps. Die App „7 Min Workout“ bietet sich etwa für jene an, die zwischendurch kurze mentale Trainingseinheiten einlegen möchten, um ihre Aufnahmefähigkeit zu verbessern. Die App besteht aus 12 Übungen, die jeweils 30 Sekunden (mit zehn Sekunden Pause) in Anspruch nehmen. Audiodateien, Bilder und Videos erklären, wie die jeweilige Übung funktioniert und machen sie leicht verständlich. All jenen, die sich mit einer Mahlzeit stärken möchten, sei die App „Kochmeister“ ans Herz gelegt, die schmackhafte und preiswerte Rezepte versammelt. Hierbei handelt es sich um kein klassisches Kochbuch, sondern um eine umfassende Rezeptsammlung einer aktiven Community. Ob es nur ein kleiner Snack für den Hunger zwischendurch oder eine warme Mahlzeit für den großen Hunger sein soll – in der Rezeptsammlung findet sich bestimmt etwas Passendes. Und wer auf kurzweilige Spiele setzt, um den Kopf auszulüften, kann das durch das Werfen von Papierbällen in einen Papierkorb tun. Nein, ein Blatt Papier und ein Mistkübel sind dafür nicht notwendig – es reicht ein Smartphone oder Tablet und die App „Paper Toss“. Die digitalen Papierbällchen müssen dann nur noch in den virtuellen Mistkübel geworfen werden.

DREI WEITERE SCHMANKERL. Zum Abschluss stellen wir euch noch drei hilfreiche Apps vor, die keiner bestimmten Kategorie zugeordnet werden. Im heutigen Unialltag darf vor allem eine App zur Selbstorganisation, die alle wichtigen und weniger wichtigen sowie dringlichen und nicht ganz so dringlichen Aufgaben festhält, nicht fehlen. Mit der App „Wunderlist“ lassen sich alle Aufgaben inklusive Deadline organisieren – egal, ob es darum geht, Arbeiten oder Projekte fertigzustellen, einen Urlaub zu planen oder eine Einkaufsliste zu erstellen. Es gibt auch die Möglichkeit, besonders wichtige Aufgaben mit einem Stern zu markieren und sich an bevorstehende Aufgaben per E-Mail erinnern zu lassen. Eine Aufgabe könnte auch sein, ein Dokument einzuscannen – und bestimmt wart ihr dann schon einmal mit dieser Situation konfrontiert: Ihr möchtet ein Dokument einscannen, habt aber keinen Scanner zur Verfügung. Mit der App „Scanbot“ können Dokumente nun in guter Qualität eingescannt, in der Cloud abgespeichert oder per E-Mail verschickt werden – sowohl als JPG als auch als PDF. Weil es vor dem Abschluss einer Seminararbeit für viele der letzte und gleichzeitig auch mühsamste Schritt ist, ein Literaturverzeichnis zu erstellen, gibt es mittlerweile auch dafür eine App. „RefME“ übernimmt dabei den Großteil der Arbeit. Es müssen lediglich die Barcodes der Bücher, die für die Seminararbeit verwendet wurden, eingescannt oder alternativ die ISBN-Nummern eingegeben werden. Danach erstellt die App das Literaturverzeichnis und stellt euch die gängigsten Zitierstile zur Auswahl. Für diverse andere Quellentypen – wie etwa Webseiten oder Zeitungsartikel – ist die App ebenfalls gerüstet.

  • Wunderlist: iOS und Android (beide gratis)
  • Scanbot: iOS und Android (beide gratis)
  • RefME: iOS und Android (beide gratis)

DATENMEERE. Wer sich solche Apps zunutze macht, sollte in jedem Fall auch das Thema „Datensicherheit“ im Hinterkopf behalten. Denn aus Daten, die sich bei der Nutzung einer App zweifelsohne ansammeln, lassen sich umfassende Informationen zu unibezogenen Aktivitäten gewinnen. Die Kombination der erfassten Aktivitätsdaten (habe ich eine Vorlesung besucht oder eine Lernpause gemacht) mit den Metadaten (an welchem Ort und zu welcher Zeit) ergibt ein detailreiches Profil von StudentInnen. „Es ist oft nicht einmal wichtig, was ich genau mache, es ist wichtig, von wo und zu welchem Zeitpunkt ich es mache“, sagt der Wiener Datenschützer Georg Markus Kainz. Er engagiert sich bei „quintessenz“, einem Verein zur Wiederherstellung der BürgerInnenrechte im Informationszeitalter, und betrachtet diesen Trend besonders kritisch. Dass ein App-Anbieter von vornherein die Absicht hat, durch die Entwicklung einer App an Informationen von StudentInnen heranzukommen, glaubt er nicht. Doch sobald eine App am Markt erfolgreich ist, sei es nur logisch, dass der Geschäftsführer versucht, neue Geschäftsmodelle zu erschließen.

„Plötzlich stehen ihm eine Masse an Daten zu Verfügung. Diese Daten sind wie ein Rohdiamant. Natürlich beginnt man hier zu überlegen, wie man damit ein Zusatzgeschäft entwickeln könnte“, erklärt Kainz. Bildung ist ein Bereich, in dem Ökonomisierung auch in Zukunft eine untergeordnete Rolle spielen soll, und darum geht es um eine bewusste Nutzung solcher Anwendungen. Denn auch laut einem Bericht der Hochschule St. Gallen sind Apps für StudentInnen ein Trend mit „voraussichtlich revolutionären Folgen“. Während sie heute lediglich als Organisationshilfen für den Unialltag dienen, könnten sie in Zukunft auch gezielt in Lehrveranstaltungen (z.B. für Terminabstimmungen) und zur Prüfungsvorbereitung (z.B. Multiple Choice) eingesetzt werden. Apps werden den Unialltag also verändern – wie weitreichend diese Veränderungen sind, weiß vielleicht bald schon eine App.

Sandra Schieder studiert Globalgeschichte und Global Studies an der Universität Wien.

Manifest gegen die Krise der Ökonomie

  • 05.05.2014, 12:30

Am Montag, den 5. Mai 2014 wurde von der „International Initiative for Pluralism in Economics“, dem Dachverband von Volkswirtschafts-Studierenden aus 18 Ländern, ein Aufruf gestartet zu einer offenen, vielfältigen und pluralen Volkswirtschaftslehre. Die Studierenden verfassten ein internationales Manifest mit der Forderung nach einer breiten Ausrichtung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung und Lehre. Auch eine Gruppe von Volkswirtschafts-Studierenden der Wirtschaftsuniversität Wien - die Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien – war am Verfassen des Aufrufs beteiligt.

Am Montag, den 5. Mai 2014 wurde von der „International Initiative for Pluralism in Economics“, dem Dachverband von Volkswirtschafts-Studierenden aus 18 Ländern, ein Aufruf gestartet zu einer offenen, vielfältigen und pluralen Volkswirtschaftslehre. Die Studierenden verfassten ein internationales Manifest mit der Forderung nach einer breiten Ausrichtung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung und Lehre. Auch eine Gruppe von Volkswirtschafts-Studierenden der Wirtschaftsuniversität Wien - die Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien – war am Verfassen des Aufrufs beteiligt.

Über 230 ProfessorInnen, Hochschullehrenden und ForscherInnen aus diversen Wirtschafts- und Forschungsinstituten rund um den Globus schließen sich dem Aufruf an. Auf der ErstunterzeichnerInnenliste sind prominente Namen wie Thomas Piketty, Robert Pollin, Paul Davidson und u.a. Markus Marterbauer und Elisabeth Springler aus Österreich zu finden. Interessierte können den Aufruf unterstützen und das Manifest unterzeichnen unter: www.isipe.net

Das Manifest übt scharfe Kritik am aktuellen Zustand der Wirtschaftswissenschaften aus, gefordert wird ein grundlegender Wandel in den  Wirtschaftstheorie und deren Lehre. Der Mainstream in der Wirtschaftswissenschaft konnte die Krise weder vorhersagen noch liefert sie grundlegende Verbesserungsvorschläge. Das wirft die Frage auf ob sie die Funktion einer Wirtschaftstheorie erfüllt. „An den Universitäten werden bereits längst veraltete und widerlegte Theorien unterrichtet und die Kritik daran ausgeblendet“, so eine Sprecherin der Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien, die Ökonomie sei „auf einem Auge blind. Wir wollen die Realität in die Hörsäle zurückholen und nicht länger hinnehmen, dass eine Vielzahl relevanter Theorien nicht im Studienplan vorkommt“. Die Studierenden wollen eine Veränderung bewirken und im Kleinen passiert das auch: „wir organisieren unsere eigenen Lehrveranstaltungen und Lesekreise, unterrichten uns gegenseitig, bauen Netzwerke auf und organisieren gerade eine Konferenz“, so die Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien.

 

Manifest:

Internationaler studentischer Aufruf für eine Plurale Ökonomik Die Weltwirtschaft befindet sich in einer Krise. In der Krise steckt aber auch die Art, wie Ökonomie an den Hochschulen gelehrt wird, und die Auswirkungen gehen weit über den universitären Bereich hinaus. Die Lehrinhalte formen das Denken der nächsten Generation von Entscheidungsträgern und damit die Gesellschaft, in der wir leben. Wir, 40 Vereinigungen von Studierenden der Ökonomie aus 19 verschiedenen Ländern, sind der Überzeugung, dass es an der Zeit ist, die ökonomische Lehre zu verändern. Wir beobachten eine besorgniserregende Einseitigkeit der Lehre, die sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verschärft hat. Diese fehlende intellektuelle Vielfalt beschränkt nicht nur Lehre und Forschung, sie behindert uns im Umgang mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – von Finanzmarktstabilität über Ernährungssicherheit bis hin zum Klimawandel. Wir benötigen einen realistischen Blick auf die Welt, kritische Debatten und einen Pluralismus der Theorien und Methoden. Durch die Erneuerung der Disziplin werden Räume geschaffen, in denen Lösungen für gesellschaftliche Probleme gefunden werden können.

Vereint über Grenzen hinweg rufen wir zu einem Kurswechsel auf. Wir maßen es uns nicht an, die endgültige Richtung zu kennen, sind uns aber sicher, dass es für Studierende der Ökonomie wichtig ist, sich mit unterschiedlichen Perspektiven und Ideen auseinanderzusetzen. Pluralismus führt nicht nur zur Bereicherung von Lehre und Forschung, sondern auch zu einer Neubelebung der Disziplin. Pluralismus hat den Anspruch, die Ökonomie wieder in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Im Zentrum sollten dabei drei Formen des Pluralismus stehen:

  • Theoretischer Pluralismus,
  • methodischer Pluralismus und
  • Interdisziplinarität.

Theoretischer Pluralismus verlangt, die Bandbreite an Denkschulen in der Lehre zu erweitern. Wir beziehen uns dabei nicht auf eine bestimmte ökonomische Tradition. Pluralismus heißt nicht, sich für eine Seite zu entscheiden, sondern eine lebendige, intellektuell reichhaltige Debatte anzuregen. Pluralismus heißt, Ideen kritisch und reflexiv miteinander zu vergleichen. Während in anderen Disziplinen Vielfalt selbstverständlich ist und sich widersprechende Theorien als gleichberechtigt gelehrt werden, wird die Volkswirtschaftslehre häufig dargestellt, als gäbe es nur eine theoretische Strömung mit eindeutigem Erkenntnisstand. Natürlich gibt es innerhalb dieser dominanten Tradition Varianten. Allerdings ist das nur eine von vielen Möglichkeiten, Ökonomik zu betreiben und die Welt zu betrachten. In anderen Wissenschaften wäre so etwas unerhört. Niemand würde einen Abschluss in Psychologie ernstnehmen, der sich nur mit Freudianismus beschäftigt, oder ein politikwissenschaftliches Studium, in dem nur der Leninismus auftaucht. Umfassende volkswirtschaftliche Bildung vermittelt die Vielfalt der theoretischen Perspektiven. Neben den für gewöhnlich gelehrten auf der Neoklassik basierenden Ansätzen ist es notwendig, andere Schulen einzubeziehen. Beispiele für diese Schulen sind die klassische, die post-keynesianische, die institutionelle, die ökologische, die feministische, die marxistische und die österreichische Tradition. Die meisten Studierenden der Volkswirtschaftslehre verlassen die Universität, ohne jemals von einer dieser Perspektiven auch nur gehört zu haben. Es ist essentiell, schon im Grundstudium reflektiertes Denken über die Ökonomik und ihre Methoden zu fördern, beispielsweise durch Veranstaltungen zu philosophischen Aspekten der Volkswirtschaftslehre sowie Erkenntnistheorie. Theorien können losgelöst aus ihrem historischen Kontext nicht nachvollzogen werden. Studierende sollten daher mit der Geschichte des ökonomischen Denkens, Wirtschaftsgeschichte und den Klassiker der Ökonomie konfrontiert werden. Momentan fehlen solche Kurse entweder vollständig oder wurden an den Rand des Lehrplans gedrängt.

Methodischer Pluralismus bezieht sich auf die Notwendigkeit unterschiedlicher Forschungsmethoden in der Volkswirtschaftslehre. Es ist selbstverständlich, dass Mathematik und Statistik wesentlich für unsere Disziplin sind. Aber viel zu häufig lernen Studierende nur, quantitative Methoden zu verwenden. Dabei wird zu selten darüber nachgedacht, ob und warum diese Methoden angewandt werden sollten, welche Annahmen zugrunde liegen und inwieweit die Ergebnisse verlässlich sind. Es gibt außerdem wichtige Aspekte der Ökonomie, die durch quantitative Methoden allein nicht verstanden werden können: Seriöse ökonomische Forschung verlangt, dass quantitative Methoden durch andere sozialwissenschaftliche Methoden ergänzt werden. Um beispielsweise Institutionen und Kultur verstehen zu können, müssen qualitative Methoden in den Lehrplänen volkswirtschaftlicher Studiengänge größere Beachtung erfahren. Dennoch besuchen die meisten Studierenden der Ökonomik nie eine Veranstaltung zu qualitativen Methoden.

Für ein umfassendes volkswirtschaftliches Verständnis sind interdisziplinäre Ansätze notwendig. Studierende müssen deshalb innerhalb ihres Studiums die Möglichkeit erhalten, sich mit anderen Sozialwissenschaften oder den Geisteswissenschaften zu beschäftigen. Volkswirtschaftslehre ist eine Sozialwissenschaft. Ökonomische Phänomene können nur unzureichend verstanden werden, wenn man sie aus ihrem soziologischen, politischen oder historischen Kontext reißt und in einem Vakuum darstellt. Um Wirtschaftspolitik intensiv diskutieren zu können, müssen Studierende die sozialen Auswirkungen und ethischen Implikationen ökonomischer Entscheidungen verstehen. Die Umsetzung dieser Formen von Pluralismus wird regional variieren. Sie sollten jedoch folgende Ideen einbeziehen:

  • Vermehrte Einstellung von Lehrenden und Forschenden, die theoretische und methodische Vielfalt in die Studiengänge der Ökonomik tragen;
  • Erstellen und Verbreiten von Materialien für plurale Kurse;
  • Intensive Kooperationen mit sozialwissenschaftlichen oder geisteswissenschaftlichen Fakultäten oder Aufbau spezieller Einrichtungen zur Verantwortung interdisziplinärer Programme.

Dieser Wandel mag zwar schwierig erscheinen. Doch er ist bereits in vollem Gange. Weltweit treiben Studierende diesen Wandel Schritt für Schritt voran. Mit Vorlesungen zu Themen, welche nicht im Lehrplan vorgesehen sind, können wir wöchentlich Hörsäle füllen. Wir haben Lesekreise, Workshops und Konferenzen organisiert, haben die gegenwärtigen Lehrpläne analysiert und alternative Programme entwickelt. Wir haben begonnen, uns selbst und andere in den Kursen zu unterrichten, die wir für notwendig erachten. Wir haben Initiativen an den Universitäten gegründet und nationale und internationale Netzwerke aufgebaut.

 

 

Kontakt: pluralismus@wu.ac.at

Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien

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