Studieren

Studieren ohne doppelten Boden

  • 05.02.2015, 08:00

Für Menschen, die während des Studiums nicht auf familiären Rückhalt zählen können, ist der Weg durch die Uni besonders hürdenreich.

Für Menschen, die während des Studiums nicht auf familiären Rückhalt zählen können, ist der Weg durch die Uni besonders hürdenreich.

Sogenannte „Care Leaver“ sind Menschen, die die stationäre Jugendhilfe oder eine Pflegefamilie verlassen haben und meist im Alter von 18 Jahren selbständig ihr Leben bewältigen müssen. Also: ehemalige Heimkinder, ehemalige Pflegekinder und solche, die im Betreuten Wohnen unterkamen. Care Leaver sind in unserer Gesellschaft mit Problemen konfrontiert, die bisher wenig Aufmerksamkeit bekommen. Viele von ihnen kommen aus zerrütteten Familienverhältnissen. Umso mehr benötigen sie deshalb die Versicherung, dass sie Verlusterfahrungen und Existenzängste nicht erneut durchleben müssen. Das abrupte Ende der Jugendhilfe bei Erreichen der Volljährigkeit führt allerdings oft genau dazu. Denn während im europäischen Durchschnitt die meisten jungen Erwachsenen bis 25, wenn nicht bis 27 Jahre, bei ihren Eltern wohnen bleiben – in Österreich sind es durchschnittlich 24,6 Jahre – und so nach und nach in die Selbstständigkeit hineinwachsen können, endet für einen Großteil der Care Leaver die Versorgung durch die Jugendhilfe bereits an ihrem 18. Geburtstag.

JUGEND DER ARMUT. Die Jahre zwischen 18 und 25 werden in der Pädagogik nicht umsonst nicht mehr als bloße Verlängerung der Jugend erachtet, sondern vielmehr als eine Lebensphase, die für sich steht: die der „jungen Erwachsenen“, auch als „Emerging Adulthood“ bezeichnet. Diese Lebensphase spielt sich nicht außerhalb sozioökonomischer Kontexte ab, sondern bettet sich in eine Realität der steigenden Jugendarmut ein. Zu diesem Schluss kam die in Deutschland ansässige Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ). 20- bis 25-jährige gehören heutzutage zu den ärmsten Altersgruppen. Viele von ihnen leben aus diesem Grund noch bei den Eltern. Sie haben Jobs, die nicht in dauerhafte Anstellungen münden, beispielsweise in Leiharbeitsverhältnissen. Care Leaver trifft das besonders hart, weil sie sich der prekären Situation junger Erwachsener ohne familiären Rückhalt stellen müssen. Die Gefahr von Arbeits- und Wohnungslosigkeit ist für sie besonders hoch, die Bildungsaussichten sind gering. In Deutschland erreicht nur ein Prozent der Care Leaver den Hochschulsektor. Fehlende Ressourcen und fehlende persönliche Betreuung durchvertraute Ansprechpartner*innen sind dabei zentrale Hindernisse.

Wie die Internationale Arbeitsgemeinschaft für Jugendfragen (IAGJ) beschreibt, wurden Ende 2013 in Österreich 11.913 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der Kinder- und Jugendhilfe stationär betreut, 1.066 von ihnen waren im Alter zwischen 18 und 21 Jahren. Zu den Hauptgründen der Unterbringung zählen die Gefährdung des Kindeswohls im Elternhaus sowie die dort fehlende Erziehungskompetenz. Die Jugendhilfe wird nur in Ausnahmefällen bis zum 21. Geburtstag verlängert und die betroffene Person muss auf jeden Fall zustimmen. In manchen Fällen sind es auch das Jugendamt oder andere Organisationen, die bestimmte junge Erwachsene nicht weiter betreuen wollen.

Während es in England und Australien bereits Möglichkeiten der Vernetzung für Care Leaver gibt, ist in Österreich bisher noch kaum etwas zu dem Thema zu hören. In Deutschland hat sich an der Universität Hildesheim eine Forschungsgruppe gebildet, die Angebote für studierende Care Leaver untersucht. Aus dieser Arbeit entwickelte sich auch ein Netzwerk für betroffene Care Leaver, die studieren. Sie organisieren gemeinsame Treffen und sind online auf Facebook und in einem eigenen Forum zu finden. Kürzlich haben sie auch einen Verein gegründet: Careleaver e.V.

EMOTIONALE VERSORGUNG. Die Hürden, die ehemalige Heim- und Pflegekinder auf dem Weg zum Studium überwinden müssen, sind besonders hoch, denn vor dem Studium müssen einige grundlegende Fragen wie die Finanzierung oder die Wohnsituation geklärt werden.

Studierende mit Familie haben oft die Option, bei der Familie wohnen zu bleiben, wenn sie in der Nähe studieren. Sie sparen damit einen Teil der Lebenshaltungskosten und bleiben zugleich in einer ihnen vertrauten Umgebung. Dadurch erleben sie nicht das entwurzelnde Moment, gleich mehrere lebensumwälzende Veränderungen auf einmal zudurchlaufen. Sollte es nach Studienbeginn doch noch zu dem Umzugswunsch kommen, können junge Menschen mit familiärem Rückhalt in aller Ruhe nach einem Zimmer Ausschau halten, ohne Angst haben zu müssen, auf der Straße zu landen. Bei der WG- oder Wohnungssuche sind die finanziellen Mittel die schwerwiegendsten Hindernisse: Viele Vermieter*innen fordern eine Kaution, die in Österreich drei Mal die Höhe der Monatsmiete betragen kann. Ein weiteres Fallbeil sind die Bürgschaften: Viele Eltern versichern, dass sie die Miete zahlen, sollte es einen finanziellen Ausfall von Seiten ihres Kindes geben. Care Leaver, die ihre Situation erklären, werden hingegen oft mit einem „Pech gehabt“ abgefertigt. Damit fallen viele Wohnmöglichkeiten weg. Oftmals bleibt nichts anderes übrig, als eine Untermiete einzugehen, was die meisten Care Leaver aber immer in größere Abhängigkeit zu den Hauptmieter*innen stellt.

Sollten sie umziehen, bekommen viele Studierende meist Unterstützung von der Familie: vom Ausdiskutieren, ob die Wohnung mit Schimmelbefall lieber links liegen gelassen und doch lieber das Studierendenwohnheim bevorzugt wird bis hin zur Besorgung des Umzugswagens. Die Tücken des Mietvertrags können in der Familie durchdiskutiert werden. Auch das soziale Netz ist meistens größer und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass immer irgendwer jemanden kennt, der*die gerade eine Wohnung verlässt oder ein Zimmer anbietet. Auch besteht die Möglichkeit, vertraute Gegenstände mitzunehmen, was wiederum kostensparend sein kann: Viele Care Leaver müssen sich von Grund auf neu einrichten und gleichzeitig vieles im Heim zurücklassen, was ihnen lieb geworden ist.

STUDIENBEIHILFE? NUR MIT ELTERN. Auch die Beantragung der Studienbeihilfe kann zum großen Problem werden. Für die Ausfüllung der Dokumente benötigt es nämlich weiterhin die Eltern, zu denen viele Care Leaver keinen Kontakt haben und die sich sehr oft auch nicht verantwortlich sehen. Eine Ausnahme bildet das Selbsterhalter*innenstipendium: Es gilt für alle, die durchgehend vier Jahre vor Studiumsbeginn Lohn bezogen haben. Für die anderen bedeutet das: Wenn bis zum 18. Geburtstag die Jugendhilfe zuständig war und dann plötzlich trotz Volljährigkeit wieder die häufig entfremdeten Eltern angeschrieben werden müssen, geschieht es nicht selten, dass Care Leaver monatelang auf Antworten warten müssen, weil die Ursprungsfamilie entweder überfordert ist oder ihrer Verantwortung einfach nicht nachgehen will oder kann. Es ist nicht klar, wie mit solchen Fällen umgegangen wird. Oftmals kommt es dabei auf die Nachsicht oder auch Willkür einzelner Beamt*innen an, die mit solchen Fällen konfrontiert werden. Nichtsdestotrotz führt so eine Situation fast immer mindestens zu einer verzögerten Auszahlung der Studienbeihilfe, was für die betroffenen Care Leaver oft Schulden und in einigen Fällen auch den Verlust ihres Wohnsitzes bedeutet.

Menschen, die eine Familie haben, erleben oft Rückhalt, sollte etwas nicht ganz nach Plan verlaufen. Sei es für ein Wochenende, an dem eins sich wieder bei Mama und Papa beziehungsweise Mama und Mama oder Papa und Papa einfindet und beim gemeinsamen Brunch mit ihnen über nervende Vermieter*innen klagt, sich mit ihnen gemeinsam über die viel zu hohen Heizungskosten wundert oder einfach nur mal anruft. Selbst wenn das Verhältnis nicht zum Besten steht, ein Bett oder ein warmes Abendessen helfen schon über manche Hürde. Care Leaver haben diesen „doppelten Boden“ in vielen Fällen nicht.

STIGMA UND AUFSTEIGER*INNENMYTHOS. Care Leaver müssen mit unterschiedlichen Dynamiken kämpfen: einerseits die eigene Biografie, in der physische und emotionale Gewalt und Vernachlässigung oft eine Rolle spielen. Dafür benötigen sie Unterstützung durch Beratung und/oder therapeutische Behandlung, die auf ihre Verhältnisse abgestimmt sein müssen und sie dort abholen, wo sie stehen. Anderseits erleben sie Stigmatisierung aufgrund ihrer Vergangenheit als Heimkinder oder Pflegekinder. Diese führt nicht selten bereits in der Schule zu Mobbing- und Ausschlusserfahrungen. Care Leaver sind dadurch in Gefahr, erneut in manipulative und emotional gewaltvolle Beziehungen zu Menschenzu geraten. Manche verheimlichen ihre Vergangenheit, um solche Situationen zu verhindern. Das führt allerdings nicht selten zu Isolation und erschwert die Anbindung an andere Menschen.

Gerade auch in der Umgebung der Hochschule, wo ein Großteil der Leute aus Akademiker*innenfamilien stammt und sich mit großer Selbstverständlichkeit dort bewegt, weil bereits die eigenen Eltern die Umgangsformen dieses Milieus verinnerlicht haben, erleben Care Leaver ähnliche Ausschlüsse wie etwa Studierende aus der Arbeiter*innenklasse. Die Kehrseite dieser Ausschlüsse ist die Romantisierung einer solchen Vergangenheit, gerade auch im Hochschulsektor. Care Leaver, die „es geschafft haben“, die „es allen gezeigt haben“, müssen als Beispiele für den Aufstiegstraum herhalten. Das vermittelt die Idee, dass der Wert eines Menschen daran gebunden ist, ob er*sie den sozialen Aufstieg geschafft hat. Eine solche Perspektive individualisiert soziale Probleme und überlässt dem*der Einzelnen die Mehr-Arbeit, die eigentlich auf strukturelle Probleme innerhalb einer Gesellschaft zurückzuführen sind, mit denen wir niemanden alleine lassen sollten.

Care Leaver benötigen ausreichende Beratung für die Zeit nach der Jugendhilfe, persönliche Betreuung durch Menschen, die sie selbst auswählen können und die ein fester Bezugspunkt bleiben in den ganzen umwälzenden Ereignissen im Leben der jungen Erwachsenen. Sie brauchen klare Bedingungen, die die Schwierigkeiten ihrer Situation anerkennen, in den Behörden, Ämtern und gerade auch an den Hochschulen. Und darüber hinaus brauchen sie das Zugeständnis, wie alle anderen jungen Erwachsenen Fehler machen zu dürfen, zu lernen, sich weiterzuentwickeln und neue Wege zu gehen.

 

Tuba Alacalı studiert Latein und Bibliotheks- und Informationswissenschaften in Berlin.

Studieren auf der Couch

  • 12.02.2013, 14:27

Freie Bildung im Internet: Mit MOOC können Tausenden von Studierenden auf der ganzen Welt Lehrinhalte vermittelt werden. Bislang gratis.

Freie Bildung im Internet: Mittels MOOC (Massive open online course) können Studierenden auf der ganzen Welt Lehrinhalte vermittelt werden. Bislang gratis.

35.000 Studierende. 14 Kurseinheiten. 10 Wochen. Vergangenen Herbst konnte man zehn Wochen lang einen Modern Poetry-Kurs an der University of Pennsylvania belegen – ohne dafür das Haus verlassen zu müssen: Der Kurs bei Professor Al Filreis fand ausschließlich online statt.

MOOC. „Massive open online course“  nennt sich dieses Unterrichtskonzept. 35.000 Studierende aus der ganzen Welt sind allein im Modern Poetry-Kurs von Al Filreis inskribiert. Coursera ist eine der Plattformen, die MOOC-Kurse verschiedenster Universitäten anbietet, darunter auch Kurse von Elite-Unis wie Princeton, Stanford oder der Brown University. „Wir bieten hochqualitative Kurse der Top-Universitäten an, gratis für jede/n. Wir verändern global das Gesicht der Bildung, und wir laden euch ein, euch uns anzuschließen.“, lässt Coursera auf seiner Homepage wissen. Insgesamt bietet Coursera derzeit 204 Kurse von 33 verschiedenen Universitäten an. Harvard und das MIT findet man auf der Konkurrenz-Plattform EdX. Der große Vorteil von Coursera seiner Konkurrenz gegenüber besteht darin, dass breitgefächerte Kurse angeboten werden. Von Astrobiologie bis Quantenphysik lässt sich fast alles studieren. Und das Beste an diesen Bildungsangeboten: Sie sind vollkommen gratis.

Die Nachfrage ist gewaltig. Seit Coursera vor etwas über einem halben Jahr seinen Betrieb aufgenommen hat, haben sich ca. zwei Millionen MOOC-StudentInnen aus 196 Ländern registriert. Der Großteil kommt aus den USA (38,5 %), gefolgt von Brasilien, Indien, China und Kanada. 1,7 % der Studierenden kommen aus Deutschland, immerhin 0,2 % aus Österreich.

Wenn man in den Foren mitgearbeitet und Essays zu vorgegebenen Aufgabenstellungen verfasst hat, kann man den Kurs abschließen und bekommt ein Zeugnis ausgestellt. Bei Tausenden von Studierenden ist es dem Professor natürlich nicht zumutbar, jeden einzelnen Essay zu korrigieren, deshalb funktioniert auf Coursera die Benotung über das System der peer evaluation: einige StudienkollegInnen bewerten den Essay anhand eines vorgegebenen Bewertungsschemas.

„Wisdom of the crowd“. Al Filreis unterrichtet seit 1985 Modern Poetry an der University of Pennsylvania. Er hat das Internet schon in den 1990er Jahren als Unterrichtsmittel für sich entdeckt. „1994 habe ich an der University of Pennsylvania verlautbart, dass ich jedem zu jeder Zeit Modern Poetry beibringen würde. 150 Leute haben sich daraufhin gemeldet. Ich wollte den Kurs einen Monat lang online halten und es endete damit, dass ich 1 ½ Jahre weiterunterrichtete. Das hat die Art, wie ich unterrichte, wirklich verändert.“

Filreis ist überzeugt davon, dass seine StudentInnen am meisten durch Diskussionen und nicht durch Vorlesungen lernen. Er nutzt die technischen Möglichkeiten unserer Zeit, um die im Kurs zur Verfügung stehende Zeit für Diskussionen frei zu machen. „Ich bin nicht wirklich an der Technologie selbst interessiert, ich nutze sie nur.“, betont er. Seinem Unterrichtsstil entsprechend hält Filreis auch auf Coursera keinen traditionellen Frontalunterricht in Vorlesungsform, sondern stellt Videos von Gruppendiskussionen mit den TutorInnen zur Verfügung. Pro Video wird ein Gedicht besprochen, pro Woche kann man durchschnittlich sieben Videos mit Gedichtinterpretationen ansehen. Dazu gibt es regelmäßig Live-Webcasts, bei denen man über Telefon, Skype oder Twitter Fragen an Al Filreis und die TutorInnen stellen kann. Al Filreis ist begeistert von den Möglichkeiten, die MOOC-Kurse bieten. „Ich habe mehr Spaß daran diese Gedichte in diesem Rahmen zu unterrichten, als ich jemals in einem Klassenraum hatte. Mit 35.000 Menschen, die mitlesen und Tausenden, die in den Foren diskutieren, wurden einige Dinge zu den Gedichten gesagt, über die ich vorher noch nie nachgedacht hatte. Ich glaube nun fest an die `Weisheit der Masse´ (wisdom of the crowd).”

Einen Erfahrungsbericht mit einem "massive open online course" kannst du hier nachlesen.

Links:

Coursera

EdX

 

Mit Apps durch den Unialltag

  • 05.12.2015, 11:34

Für jeden Bereich des Unialltags gibt es mittlerweile mehr oder weniger hilfreiche Apps. Von Zeitmanagementtools, Kreativitätstechniken bis hin zum WG-Assistenten und Lernpausen-Begleiter. progress hat sich für euch durch den App-Dschungel gewühlt.

Für jeden Bereich des Unialltags gibt es mittlerweile mehr oder weniger hilfreiche Apps. Von Zeitmanagementtools, Kreativitätstechniken bis hin zum WG-Assistenten und Lernpausen-Begleiter. progress hat sich für euch durch den App-Dschungel gewühlt.

Längst haben Smartphones und Tablets einen festen Platz im Leben von StudentInnen. Obwohl in regelmäßigen Abständen die Frage diskutiert wird, inwieweit diese Geräte durch die permanente Erreichbarkeit und Kommunikation tatsächlich einen Mehrwert haben, bleibt eines unbestritten: Sie sind unglaublich praktisch – auch für StudentInnen. Insbesondere sind es die kleinen Helferlein – sogenannte Apps – die zur Organisation des Unialltags beitragen. Zahlen dazu, wie viele StudentInnen in Österreich tatsächlich gezielt Apps für diesen Zweck nutzen, gibt es noch keine. Wir geben dennoch einen Überblick zu den hilfreichsten Apps – denn für fast jeden Bereich des Unialltags gibt es mittlerweile eine oder sogar mehrere davon.

VORLESUNGEN: AUDIODATEIEN STATT MITSCHRIFTEN. Wer in einer Vorlesung zwar körperlich anwesend ist, gedanklich aber mit einem Cocktail am Strand sitzt, nimmt die Lehrveranstaltung am besten mit der App „Evernote“ auf, anstatt selbst Mitschriften zu erstellen. Um die Audiodateien später noch einmal wiederzufinden und anhören zu können, lassen sie sich ablegen, verschlagworten und mit anderen Dateien – etwa Vorlesungsskripten – verknüpfen. Die App ist eine echte Allrounderin, wenn es um die effektive Organisation von Arbeiten, Checklisten, Dateien, Notizen und Recherchen geht. Wer beim nochmaligen Anhören der Audiodateien das Gesprochene beschleunigen möchte, greift am besten auf die App „PodSpeed“ zurück, die es ermöglicht, Audiodateien in erhöhter Geschwindigkeit abzuspielen. Zukunftsmusik ist bis heute noch die Möglichkeit, Gesprochenes aufzuzeichnen und automatisch in ein Schriftstück umzuwandeln. Die App dafür gibt es zwar schon und sie nennt sich „Dragon Dictation“ – sie ist aber noch weit davon entfernt, ein schriftliches Skript einer mündlichen Vorlesung zu erstellen.


TERMINPLANUNG: AUF EINEN BLICK. Ein chaotischer Lehrveranstaltungsplan, anstehende Prüfungen und Abgabetermine? Die App „iStudiez“ hilft dabei, alle Lehrveranstaltungen auf einen Blick zu erfassen und erinnert an Prüfungen und Abgabetermine. Darüber hinaus kann die App Noten speichern und den aktuellen Notendurchschnitt errechnen. Einen ähnlich praktischen Kalender bietet auch die App „Studien-Kal“. Ein Vorteil ist, dass sich der eigene Kalender mit denen der StudienkollegInnen synchronisieren lässt. Wer den Überblick über die Noten nicht verlieren möchte, trägt sie einfach in ein Diagramm ein und lässt sich berechnen, welches Ergebnis für die nächste Prüfung notwendig wäre, um am Semesterende die Wunschnote zu erreichen. Die Android-Alternative zu „iStudiez“ und „Studien-Kal“ ist die App „Timetable“, die mit ähnlichen Funktionen aufwarten kann. Ein Pluspunkt der App sind die sogenannten Widgets in Form von Infokästchen, die auf den Desktop geheftet werden können und die wichtigsten Termine des Tages anzeigen.

  • iStudiez: nur für iOS verfügbar (gratis)
  • Studien-Kal: nur für iOS verfügbar (€ 1,99)
  • Timetable: nur für Android verfügbar (gratis)

IDEEN DIGITAL STRUKTURIEREN. Wer es liebt, seine Ideen statt auf Papier digital zu strukturieren und wieder umzustrukturieren, sollte auf das gute alte Mindmapping setzen. Die App „iThoughts“ ermöglicht es StudentInnen, sämtliche Ideen, aber auch komplexen Lehrstoff bildlich darzustellen. Die Maps können in alle gängigen Formate exportiert, direkt per E-Mail verschickt und auf sozialen Netzwerken geteilt werden. Zudem lassen sich Dateien aus anderen Programmen problemlos importieren. Um den Durchblick zu bewahren und den Überblick nicht zu verlieren, ist die App mit einem modernen Design und einer intuitiven Menüführung ausgestattet. Und auch mit der App „Mindjet“ können Ideen und Lehrstoff schnell und einfach in Maps inklusive Unterzweigen und Bildern erfasst werden. Ein bildhaftes Gedankengerüst aus Haupt- und Unterzweigen lässt sich zudem mit der App „SimpleMind“ erstellen. Neben der Möglichkeit Links einzubauen, lassen sich die Maps in alle gängigen Formate exportieren und mit der Dropbox verknüpfen.

  • iThoughts: nur für iOS verfügbar (€ 11,99)
  • Mindjet: iOS und Android (beide gratis)
  • SimpleMind: iOS (€ 5,99) und Android (€ 4,79)


SOZIALE KONTAKTE KNÜPFEN. Mit der App „Jodel“ erfahren StudentInnen durch anonyme Postings in ihrem Nachrichtenfeed zum einen, was gerade in ihrer unmittelbaren Umgebung passiert, und können sich zum anderen durch die anonyme Chatfunktion mit anderen StudentInnen in ihrer Nähe austauschen. Die Kombination aus anonym und lokal erfreut sich besonders auf Unigeländen großer Beliebtheit, wenngleich die App in Österreich noch nicht wirklich Fuß gefasst hat. Sie eignet sich ideal dazu, persönliche Alltagserfahrungen sowie Bilder im Nachrichtenfeed zu teilen oder sich im Chat zum Mittagessen oder gemeinsamen Lernen mit anderen StudentInnen zu verabreden. Eine österreichische Alternative zu „Jodel“ ist die App „Unipocket“. Die App setzt ebenfalls auf Lokalität, aber nicht auf Anonymität. Ziel ist es, StudentInnen die Vernetzung mit ihrer unmittelbaren Umgebung zu vereinfachen, Freunde zu treffen, neue Kontakte zu schließen und StudentInnen in unirelevanten Angelegenheiten auf den neuesten Stand zu bringen. Vernetzung im noch kleineren Stil, nämlich ausschließlich mit den eigenen MitbewohnerInnen,ermöglicht die App „Flatastic“. Ziel der App ist es, die Kommunikation zwischen MitbewohnerInnen zu vereinfachen und das Zusammenleben zu organisieren. Ob Einkaufsliste, Pinnwand oder Putzplan – mit der App lassen sich diese in einer WG wichtigen Elemente nun digitalisieren und sind für alle MitbewohnerInnen jederzeit auf dem Smartphone oder Tablet einsehbar.

  • Jodel: iOS und Android (beide gratis)
  • UniPocket: iOS und Android (beide gratis)
  • Flatastic: iOS und Android (beide gratis)

ABSCHALTEN UND AUFLADEN. Ob Gruppenarbeit, Prüfungsvorbereitung oder Seminararbeit: Lernpausen sind das A und O. Es gibt viele Möglichkeiten, eine Lernpause zu verbringen und gefühlt auch genauso viele Apps. Die App „7 Min Workout“ bietet sich etwa für jene an, die zwischendurch kurze mentale Trainingseinheiten einlegen möchten, um ihre Aufnahmefähigkeit zu verbessern. Die App besteht aus 12 Übungen, die jeweils 30 Sekunden (mit zehn Sekunden Pause) in Anspruch nehmen. Audiodateien, Bilder und Videos erklären, wie die jeweilige Übung funktioniert und machen sie leicht verständlich. All jenen, die sich mit einer Mahlzeit stärken möchten, sei die App „Kochmeister“ ans Herz gelegt, die schmackhafte und preiswerte Rezepte versammelt. Hierbei handelt es sich um kein klassisches Kochbuch, sondern um eine umfassende Rezeptsammlung einer aktiven Community. Ob es nur ein kleiner Snack für den Hunger zwischendurch oder eine warme Mahlzeit für den großen Hunger sein soll – in der Rezeptsammlung findet sich bestimmt etwas Passendes. Und wer auf kurzweilige Spiele setzt, um den Kopf auszulüften, kann das durch das Werfen von Papierbällen in einen Papierkorb tun. Nein, ein Blatt Papier und ein Mistkübel sind dafür nicht notwendig – es reicht ein Smartphone oder Tablet und die App „Paper Toss“. Die digitalen Papierbällchen müssen dann nur noch in den virtuellen Mistkübel geworfen werden.

DREI WEITERE SCHMANKERL. Zum Abschluss stellen wir euch noch drei hilfreiche Apps vor, die keiner bestimmten Kategorie zugeordnet werden. Im heutigen Unialltag darf vor allem eine App zur Selbstorganisation, die alle wichtigen und weniger wichtigen sowie dringlichen und nicht ganz so dringlichen Aufgaben festhält, nicht fehlen. Mit der App „Wunderlist“ lassen sich alle Aufgaben inklusive Deadline organisieren – egal, ob es darum geht, Arbeiten oder Projekte fertigzustellen, einen Urlaub zu planen oder eine Einkaufsliste zu erstellen. Es gibt auch die Möglichkeit, besonders wichtige Aufgaben mit einem Stern zu markieren und sich an bevorstehende Aufgaben per E-Mail erinnern zu lassen. Eine Aufgabe könnte auch sein, ein Dokument einzuscannen – und bestimmt wart ihr dann schon einmal mit dieser Situation konfrontiert: Ihr möchtet ein Dokument einscannen, habt aber keinen Scanner zur Verfügung. Mit der App „Scanbot“ können Dokumente nun in guter Qualität eingescannt, in der Cloud abgespeichert oder per E-Mail verschickt werden – sowohl als JPG als auch als PDF. Weil es vor dem Abschluss einer Seminararbeit für viele der letzte und gleichzeitig auch mühsamste Schritt ist, ein Literaturverzeichnis zu erstellen, gibt es mittlerweile auch dafür eine App. „RefME“ übernimmt dabei den Großteil der Arbeit. Es müssen lediglich die Barcodes der Bücher, die für die Seminararbeit verwendet wurden, eingescannt oder alternativ die ISBN-Nummern eingegeben werden. Danach erstellt die App das Literaturverzeichnis und stellt euch die gängigsten Zitierstile zur Auswahl. Für diverse andere Quellentypen – wie etwa Webseiten oder Zeitungsartikel – ist die App ebenfalls gerüstet.

  • Wunderlist: iOS und Android (beide gratis)
  • Scanbot: iOS und Android (beide gratis)
  • RefME: iOS und Android (beide gratis)

DATENMEERE. Wer sich solche Apps zunutze macht, sollte in jedem Fall auch das Thema „Datensicherheit“ im Hinterkopf behalten. Denn aus Daten, die sich bei der Nutzung einer App zweifelsohne ansammeln, lassen sich umfassende Informationen zu unibezogenen Aktivitäten gewinnen. Die Kombination der erfassten Aktivitätsdaten (habe ich eine Vorlesung besucht oder eine Lernpause gemacht) mit den Metadaten (an welchem Ort und zu welcher Zeit) ergibt ein detailreiches Profil von StudentInnen. „Es ist oft nicht einmal wichtig, was ich genau mache, es ist wichtig, von wo und zu welchem Zeitpunkt ich es mache“, sagt der Wiener Datenschützer Georg Markus Kainz. Er engagiert sich bei „quintessenz“, einem Verein zur Wiederherstellung der BürgerInnenrechte im Informationszeitalter, und betrachtet diesen Trend besonders kritisch. Dass ein App-Anbieter von vornherein die Absicht hat, durch die Entwicklung einer App an Informationen von StudentInnen heranzukommen, glaubt er nicht. Doch sobald eine App am Markt erfolgreich ist, sei es nur logisch, dass der Geschäftsführer versucht, neue Geschäftsmodelle zu erschließen.

„Plötzlich stehen ihm eine Masse an Daten zu Verfügung. Diese Daten sind wie ein Rohdiamant. Natürlich beginnt man hier zu überlegen, wie man damit ein Zusatzgeschäft entwickeln könnte“, erklärt Kainz. Bildung ist ein Bereich, in dem Ökonomisierung auch in Zukunft eine untergeordnete Rolle spielen soll, und darum geht es um eine bewusste Nutzung solcher Anwendungen. Denn auch laut einem Bericht der Hochschule St. Gallen sind Apps für StudentInnen ein Trend mit „voraussichtlich revolutionären Folgen“. Während sie heute lediglich als Organisationshilfen für den Unialltag dienen, könnten sie in Zukunft auch gezielt in Lehrveranstaltungen (z.B. für Terminabstimmungen) und zur Prüfungsvorbereitung (z.B. Multiple Choice) eingesetzt werden. Apps werden den Unialltag also verändern – wie weitreichend diese Veränderungen sind, weiß vielleicht bald schon eine App.

Sandra Schieder studiert Globalgeschichte und Global Studies an der Universität Wien.

Unversichertes Amerika

  • 22.01.2014, 16:37

Obamacare sollte das marode Gesundheitssystem der USA aufpäppeln. Die neue Krankenversicherung hat jedoch noch einige Kin- derkrankheiten und zeigt die ideologischen Gräben in den Staaten.

 

Obamacare sollte das marode Gesundheitssystem der USA aufpäppeln. Die neue Krankenversicherung hat jedoch noch einige Kin- derkrankheiten und zeigt die ideologischen Gräben in den Staaten.

Seit Oktober 2011 ist Tobias Salinger nicht mehr krankenversichert. Über zwei Jahre sind seit seinem letzten Arztbesuch vergangen – keine Zahnärztin, keine Vorsorgeuntersuchung. Wenn seine Allergien unerträglich werden, holt er sich Medikamente aus der Apotheke. „Ich weiß, es ist nicht gut, solange nicht zum Arzt zu gehen“, sagt der Amerikaner, der Journalismus studiert und in Brooklyn wohnt.

Doch nun soll sich das ändern. Seit 1. Oktober ist das Kernstück des Affordable Care Act – auch Obamacare genannt – in Kraft: Alle 48 Millionen unversicherten Amerikaner_innen sollen bald eine Krankenversicherung haben. Das Gesetz schreibt den privaten Versicherungsanbietern Mindeststandards vor und verpflichtet Amerikaner_innen bis 31. März 2014 eine Krankenversicherung beim Anbieter ihrer Wahl abzuschließen. Ansonsten ist eine Strafgebühr von ein Prozent des Einkommens fällig. Ganz im Sinn der Marktlogik soll der Wettbewerb zwischen den priva- ten Versicherungsanbietern Krankenversicherungen günstiger machen.

Obamacare räumt mit den schlimmsten Ungerechtig- keiten im amerikanischen Gesundheitssystem auf. Mehr Menschen mit geringem Einkommen haben
in Zukunft Anspruch auf die staatliche Gratiskran- kenversicherung Medicaid. Eine gesetzlich geregelte Mutterschaftskarenz oder Krankenstand treten zwar auch mit der Reform noch immer nicht in Kraft, aber die Versicherungen dürfen Patient_innen nicht mehr wegen früherer Erkrankungen ablehnen, höhere Prämien für Frauen verlangen oder eine Obergrenze für bezahlte Leistungen einziehen. Bisher blieben Patient_innen trotz bestehender Krankenversicherung oft auf sechsstelligen Krankenhausrechnungen sitzen, weil ihre Versicherungspolizze nur Behandlungskosten bis maximal 150.000 Dollar pro Jahr deckte. Dementsprechend waren horrende Behandlungskosten für 62 Prozent der Privatkonkurse in den USA verantwortlich.

Tobias hat seine Krankenversicherung verloren, als er seine Stelle im Büro der Kongressabgeordneten Claire McCaskill aufgab. Als der Kongress im März 2010 mit einer knappen Mehrheit für den Affordable Care Act stimmte, arbeitete er gerade für die Demokratin aus Missouri. An den Tag erinnert sich der Student noch gut: „Für mich war es ein Grund zu feiern“, sagt Salinger: „Doch niemand organisierte eine Party.“ Den 900 Seiten langen Gesetzestext, den damals alle Kongressmitarbeiter_innen ausgehändigt bekamen, hat sich Salinger aufgehoben. Über drei Jahre später kann sich der Student nun endlich für Obamacare anmelden.

Craig Giammona hingegen ist sauer. Für ihn und viele andere bedeutet der Affordable Care Act in erster Linie höhere Kosten. Anders als der Name vermuten lässt, wird eine Krankenversicherung für viele durch das Gesetz weniger „affordable“. Der Student hatte bisher eine sogenannte Katastrophenkrankenversicherung („catastrophic health insurance“). Das bedeutet: Alles unter 10.000 Dollar muss Giammona selbst bezahlen, erst bei höheren Kosten setzt seine Versicherung ein. „Das ist mein Plan: Ich versuche gesund zu bleiben“, sagt er. Doch eine solche Minimalversicherung ist unter dem neuen Gesetz nicht mehr zulässig und Giammonas Versicherung musste ihn kündigen. Statt 185 Dollar im Monat wird er nun 307 Dollar monatlich zahlen müssen. „Es ist ein schlechtes Gesetz. Eine umfassendere Reform würde ich jedoch unterstützen“, sagt Giammona. Gerade junge, gesunde Menschen wie Craig sind jedoch für den Erfolg der Versicherungsreform entscheidend. Jede Versicherung funktioniert nach dem gleichen Prinzip: Je größer die Masse der Versicherten, desto stärker verteilt sich das Risiko und umso niedriger ist die Versicherungsprämie. Nur wenn sich genug gesunde Menschen anmelden, kann das System auch für Kranke kostendeckend sein.

Kritik von allen Seiten. Obamas Gesundheitsreform wurde von Anfang an von lautstarker Kritik von rechts begleitet. 47 Mal hat die republikanische Mehrheit im Repräsentant_innenhaus für eine Aufhebung des Gesetzes gestimmt. Und 47 Mal hat Präsident Obama dagegen sein Veto eingelegt. Schon jetzt ist klar, dass die republikanische Partei versuchen wird, Obamacare zum Hauptthema bei den Parlamentswahlen im November 2014 zu machen. Endgültig entschieden wird die Debatte aber wohl erst 2016, wenn ein neuer Präsident oder eine neue Präsidentin gewählt wird.

Die konservative Vereinigung der Kleinunternehmer_innen National Federation of Independent Business (NFIB) ist eine jener Gruppen, die in Washington massiv für eine Gesetzesänderung lobbyiert. Sie befürchtet beträchtliche Mehrkosten für ihre Mitglieder. Traditionell beziehen die meisten Amerikaner_innen ihre Krankenversicherung über ihre Arbeitgeber_innen. Wichtiges Kriterium für die Jobwahl sind neben dem Gehalt immer auch die sogenannten „benefits“. Dabei verhandeln Arbeitgeber_innen mit Versicherungen über die Bedingungen für ihre Arbeitnehmer_innen. Waren erstere bisher nicht dazu verpflichtet, ihre Angestellten zu versi- chern, ändert Obamacare diesen Umstand ab 2015. Firmen mit mehr als 49 Vollzeitangestellten müssen von nun an eine Krankenversicherung für jede_n vollbeschäftigte_n Mitarbeiter_in abschließen oder 2.000 Dollar Strafe pro Angestelltem_r zahlen. „Viele Arbeitgeber kürzen deshalb die Arbeitsstunden von Angestellten, um so Vollzeit- in Teilzeitstellen umzuwandeln“, sagt der Sprecher von NFIB Jack Mozloom. So können sie die Strafgebühren und die Kosten für Krankenversicherungen umgehen. An die komplette Rücknahme des Gesetzes glauben jedoch selbst die Gegner_innen nicht mehr wirklich. „Wir erkennen an, dass eine volle Aufhebung vorerst unwahrscheinlich ist“, schätzt Cynthia Magnuson von NFIB die Situation ein.

Die Diskussion um Obamacare spiegelt die tiefen ideologischen Spaltungen in den USA wider. Vor allem in den republikanisch dominierten Bundesstaaten im Süden und im Mittleren Westen ist ein Großteil der Bevölkerung skeptisch gegenüber allen staatlichen Regelungen und denkt, dass der oder die Einzelne für sein Schicksal selbst verantwortlich sei, nicht der Staat. Das bedeutet, niemand solle verpflichtet werden, eine Krankenversicherung abzuschließen. Kostensenkungen im Gesundheitssektor wären demnach am besten durch einen entfesselten Markt erreichbar.

Seit dem Anlauf von Obamacare im Oktober, reißt aber auch die Kritik von linker Seite nicht mehr ab: Das Gesetz gehe nicht weit genug. Wie in vielen anderen Ländern solle der Staat die Krankenversicherung übernehmen. Dadurch würde sich das Kostenrisiko tatsächlich auf viele verteilen und die Kosten für Behandlungen und Medikamente könnten gesenkt werden. Der eigentliche Hintergrund der Reform sind nämlich die horrenden Kosten der medizinischen Versorgung in den USA. Während in Österreich im Jahr 2011 pro Kopf umgerechnet 4.546 Dollar für Gesundheitsleistungen aufgewendet wurden, waren es in den USA laut OECD 8.508 Dollar. Dabei gehen die Österreicher_innen im Schnitt 6,9 mal im Jahr zum Arzt, während Amerikaner_innen nur auf 4,1 Arztbesuche kommen.

Teurere, bittere Pillen. Richtig zufrieden mit dem Gesetz ist eigentlich nur die Versicherungsbranche. Viele der 48 Millionen Amerikaner_innen ohne Krankenversicherung (bei einer Gesamtbevölkerung von 311 Millionen) werden demnächst zu ihren Kund_innen. Die günstigste und gleichzeitig populärste Versicherungsvariante, der sogenannte „Bronze Plan“, kostet laut marketwatch.com im Schnitt 249 Dollar pro Monat. Doch bisher ist der Andrang auf Obamacare „bescheiden“, wie Susan Millerick vom Versicherungsriesen Aetna sagt. Obamacare ist für viele schlichtweg zu teuer. Die Wirtschaftskrise und die hohe Arbeitslosigkeit haben die Mittelklasse schwer getroffen – die Reallöhne stagnieren seit Jahren.

Tatsächlich tut das Gesetz auch wenig, um die hohen Kosten für Gesundheitsleistungen einzudämmen. Wie das Time-Magazin mit der Titelgeschichte „Bitter Pill“ im März gezeigt hat, verrechnen Krankenhäuser ihren hilflosen Patient_innen Fantasiesummen. Als Teil einer 84.000 Dollar schweren Rechnung für eine Chemotherapie verlangte die Krebsklinik MD Anderson sieben Dollar pro Alkoholtupfer. Online kann man 200 Stück davon um 1,91 Dollar bestellen.

Anders als in Österreich agieren Krankenhäuser in den USA gewinnorientiert. Die Kliniken erwirtschaften riesige Überschüsse und zahlen Millionengehälter an ihre Leiter_innen. In dünn besiedelten Gegenden besitzen die Krankenhäuser oft Monopolstatus und können den Versicherungen und Patient_innen die Preise diktieren. Die Gesundheitsbranche ist in den USA inzwischen bei weitem der größte Wirtschaftssektor.

Überraschend an der großen Krankenversicherungsreform ist vor allem auch die holprige Umsetzung. Die staatliche Website healthcare.gov zur Anmeldung für die Krankenversicherung war so fehlerhaft, dass sie bald wieder offline ging. Im ersten Monat haben gerade einmal 106.000 Amerikaner_innen die Obamacare-Versicherung abgeschlossen.

Auch Tobias Salinger kann sich heute nicht anmelden. Die Homepage des Bundesstaats New York sagt, dass seine Identität nicht festgestellt werden kann. Am Telefon erfährt er, dass er auf einen Brief mit weiteren Instruktionen warten solle. Erst dann wird er erfahren, ob er sich eine Krankenversicherung überhaupt leisten kann. Mehr als 100 Dollar pro Monat könne er nicht zahlen. Immerhin lebt der Student derzeit von Studienkrediten. Als letzte Hoffnung bleibt ihm noch ein Antrag auf Medicaid, die Kran- kenversicherung für Arme.

 

Dominik Wurnig studiert Journalismus an der CUNY Graduate School of Journalism in New York.

 

 

Modern Poetry an der UPenn

  • 12.02.2013, 14:30

Ein Erfahrungsbericht mit einem "massive open online course".

Ein Erfahrungsbericht mit einem "massive open online course".

Letzten September belegte ich den Kurs Modern Poetry an der University of Pennsylvania bei Professor Al Filreis. Zehn Wochen lang habe ich fast jeden Tag mit dem Professor und einigen seiner Studierenden, die uns als TutorInnen unterstützten, verbracht. Ich habe ihnen bei ihren Diskussionen über mehr als 70 Gedichte zugehört und über einen Großteil dieser Gedichte mit meinen StudienkollegInnen diskutiert – ohne einen von ihnen jemals im echten Leben gesehen zu haben.

Ich habe selten so viel in so kurzer Zeit mit so wenig Aufwand gelernt. Und fühle mich dabei von meinem MOOC-Professor besser betreut als in Massenlehrveranstaltungen unserer anonym gewordenen Universitäten. Während viele meiner Uni-ProfessorInnen nur mühsam per E-Mail zu erreichen sind (und schon gar nicht auf diesem Weg meine Fragen beantworten würden), ist mein MOOC-Professor Al Filreis in hunderten Foren des Modern Poetry-Kurses gleichzeitig unterwegs. Gemeinsam mit den TutorInnen beantwortet er Fragen der StudentInnen, regt Diskussionen an und gibt zusätzliche Informationen. Obwohl ich nur eine von 35.000 Studierenden bin, hat er mir auf viele meiner Beiträge persönlich geantwortet. Durch diese unglaubliche Präsenz – mag sie auch nur auf das Internet beschränkt sein – entwickelt sich eine Beziehung zwischen ProfessorInnen und Studierenden, die auf der realen Uni leider immer seltener zu finden ist.

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Studieren gegen die Uhr

  • 13.07.2012, 18:18

Schon vor Jahren wurden fast alle Diplomstudien auf Bachelor und Master umgestellt. Für Studierende, die doch noch im Diplom begonnen haben, tickt nun die Uhr: Ihre Studienpläne laufen jetzt endgültig aus.

Schon vor Jahren wurden fast alle Diplomstudien auf Bachelor und Master umgestellt. Für Studierende, die doch noch im Diplom begonnen haben, tickt nun die Uhr: Ihre Studienpläne laufen jetzt endgültig aus.

Anna Schwab* hat Angst. Angst davor, dass sie mit ihrer fertigen Diplomarbeit ganz am Ende nochmal zurück an den Anfang geworfen wird. Sie ist 25 Jahre alt und studiert Pädagogik „auf Diplom“, also nach dem alten Studienplan, an der Universität Wien. 100 Seiten hat ihre Arbeit bereits, 30 sollen noch dazukommen. In einem Monat will sie die wissenschaftliche Abschlussarbeit abgeben. Bis heute arbeitet sie ins Blaue hinein: „Ich kriege so wenige Rückmeldungen, dass ich nicht weiß, wo ich stehe.“ Ihre Diplomarbeitsbetreuerin ist zwar bemüht, hat aber einfach keine Zeit für intensive Betreuung. Von Anna Schwabs fast fertiger Diplomarbeit hat die Professorin noch keine Zeile gelesen. Es sind zu viele Studierende für zu wenig Lehrende: Alleine auf der Pädagogik wollen heuer noch 650 Studentinnen und Studenten abschließen. Anna Schwab sagt: „Ich fühle mich alleine gelassen. Ich habe Angst, dass das Feedback zu spät kommt und ich die Änderungen nicht mehr rechtzeitig einarbeiten kann.“ Dann müsste sie in den neuen Studienplan umsteigen und noch einige Lehrveranstaltung zusätzlich absolvieren.

Plötzliches Ende? Am 30. November 2012 ist es zu spät. Im neuen Bachelor-Studienplan der Pädagogik heißt es auf amtsdeutsch: „Studierende, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Curriculums in einen vor Erlassung dieses Curriculums gültigen Studienplan unterstellt waren, sind berechtigt, ihr Diplomstudium der Pädagogik bis zum 30.11.2012 abzuschließen.“ Das heißt: Alle Lehrveranstaltungen, die Diplomarbeit sowie die kommissionelle Diplomprüfung müssen bis dahin absolviert sein. Wer die Diplomprüfung beim ersten Mal verhaut, hat eigentlich noch drei weitere Chancen. Anna Schwab darf sich nicht so viele Fehltritte erlauben: Die Universität Wien garantiert die vier Prüfungsantritte nur, wenn die Abschlussarbeit bereits im Jänner 2012 eingereicht wurde.
Prinzipiell ist das Ende des Diplomstudiums schon lange bekannt. Das Ablaufdatum der alten Diplomstudien konnten alle Studierenden in den neuen Bachelorstudienplänen nachlesen: Seit 2007 im Fall der Pädagogik bzw. Bildungswissenschaft. Sie wussten, bis wann sie mit dem Diplom fertig werden müssen und hätten jederzeit in den aktuellen Bachelor- oder Masterstudienplan umsteigen können. Die absolvierten Lehrveranstaltungen werden beim Umstieg meistens kulant für den neuen Studienplan angerechnet. Trotzdem haben es sehr viele Studentinnen und Studenten an der Universität Wien vorgezogen im Diplom zu bleiben. Warum?

Option Umstieg. Raphaela Blaßnig hat es sich nie überlegt. Die Pädagogikstudentin schreibt jeden Tag im Lesesaal der Universitätsbibliothek an ihrer Diplomarbeit. „Ich bin keine Bachelor-Freundin: Es ist mir zu schulisch aufgebaut, zu wenig frei, zu wenig Entscheidungen, zu wenig Bildung um ihrer selbst willen“, sagt die 25 jährige Studentin. Es mache Sinn länger zu studieren – für die Selbsterfahrung und die allgemeine Bildung. Schlussendlich aber auch, um am Arbeitsmarkt bessere Chancen zu haben. In die selbe Kerbe schlägt der baldige Politikwissenschafts-Magister Michael Wögerer. Der 30-jährige war immer nur zur Hälfte Student. Die andere Hälfte der Zeit hat er mit Arbeit und politischem Engagement verbracht. In der kleinen niederösterreichischen Gemeinde Winklarn war er einst der jüngste Gemeinderat. „Gerade bei einem Studium wie Politikwissenschaft sagen sie einem durch die Bank, man solle sich nicht nur auf das Fach konzentrieren. Es ist sicher kein Problem, das Studium in der Frist zu schaffen. Aber du hast keine Chance am Arbeitsmarkt, wenn du dich nicht vorher umgesehen hast“, sagt Wögerer. In Studienrichtungen ohne ein konkretes Berufsbild ist es wichtig, Erfahrungen zu sammeln, eigene Interessen zu entwickeln und sich mit den Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Wer sich rein auf sein Fach konzentriert, tut sich danach noch schwerer im Kampf um die Jobs.

Problemfall Uni Wien. Wie viele Studenten und Studentinnen noch in einem auslaufenden Diplomstudien studieren, weiß man nicht. Die Sprecherin des Rektorats der Universität Wien geht von 15.000 Studierenden aus, die in diesem und dem nächsten Jahr ihr Studium abschließen müssen. Wie viele es genau sind, kann die Universität Wien auch nach mehrmaligem Nachfragen des PROGRESS

nicht sagen. Jedenfalls müssen Diplomstudierende aus 33 Studienrichtungen 2012 und 2013 abschließen. Der große Zeitdruck für die Studierenden und Mehrbelastungen für die Lehrenden sind aber hausgemacht: An keiner anderen Universität oder Hochschule in Österreich gibt es solch massive Probleme. Die Universität Wien hat sich bei der Befristung der Diplomstudien an der Mindeststudienzeit plus zwei Extra-Semestern orientiert – also im Regelfall zehn Semester. Dass der Durchschnitt aber 13,3 Semester bis zum Diplom braucht, wollten die Vorsitzenden der zuständigen Stellen im Senat nicht gelten lassen.

In vielen Studienrichtungen haben Studierende und Lehrende Initiativen gesetzt, um die Frist zur Beendigung des Diplomstudiums zu verlängern. An der Uni Wien bisher stets erfolglos. „Die Leute im Diplomstudium sollen fertig machen dürfen. Ich verstehe überhaupt nicht, wieso man ihnen da Steine in den Weg legt“, fragt sich Michael Wögerer. Sein Vorschlag lautet: „Alle, die den ersten Studienabschnitt abgeschlossen haben, dürfen das Diplomstudium noch fertig machen.“ Die Umsetzung für die Universität wäre ein Leichtes: Alter und neuer Studienplan kosten gleich viel und mittels Äquivalenzlisten – die gleichwertige Lehrveranstaltungen für das BA/MA und das Diplomsystem ausschildern – hat es auch bisher bestens funktioniert, beide Systeme parallel laufen zu lassen. Die Universität für Bodenkultur war jedenfalls toleranter. Insgesamt 16 Semester wurden dort beispielsweise den Diplomstudierenden des Fachs Lebensmittel- und Biotechnologie Zeit gegeben. Auch eine Verlängerung der Frist war dort im Gegensatz zur Uni Wien kein Ding der Unmöglichkeit: Die Auslauffrist des Diplomstudiums Kulturtechnik und Wasserwirtschaft wurde im Nachhinein um ein Jahr verlängert.

Genau weiß die Universität Wien nicht, was in den nächsten Monaten auf sie zukommt. Die Dekanin der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft, Ines Maria Breinbauer, fühlt sich aber organisatorisch gut gerüstet: „Ich versuche, es so gut es geht aufzufangen. Ich kann aber nicht garantieren, dass es gelingt. Probleme gibt es dann, wenn irgendwer krank wird oder ausfällt.“ Allein 650 Studierende der Pädagogik arbeiten daran, noch heuer fertig zu werden. Mit zusätzlichem Geld aus dem Wissenschaftsministerium will die Uni Wien die angespannte Lage verbessern: „In auslaufenden Diplomstudien, in denen noch viele Abschlussarbeiten anstehen, werden Gastprofessuren zur Unterstützung der DiplomandInnen eingesetzt, um Betreuungsengpässen entgegenzuwirken“, sagt eine Sprecherin der Uni Wien.

„Diese Professoren und Pofessorinnen kommen mit März 2012 zu spät“, kritisiert der Studienvertreter der Vergleichenden Literaturwissenschaft Andreas Maier, der eigentlich auch sein Diplomstudium noch abschließen wollte. „Aber ich müsste mein ganzes politisches Engagement in der ÖH sein lassen oder die Diplomarbeit wird nicht fertig“, sagt der Student im elften Semester. Ein halbjähriges Auslandspraktikum in Ankara, die Zusatzausbildung „Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“ und das Engagement als Studienvertreter kosten zu viel Zeit. Statt seine komplette Aufmerksamkeit der Diplomarbeit zu widmen, wird er in das Masterstudium wechseln: Zehn absolvierte Lehrveranstaltungen sind damit quasi umsonst, weil sie nicht anrechenbar sind. Außerdem braucht er dadurch ein Jahr länger bis zum Abschluss.

Während am Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft noch ein Jahr Zeit ist, hat die Politikwissenschaft der Uni Wien den Diplomarbeitsmarathon schon hinter sich. Wer vor dem 30. April – und damit das Diplomstudium – abschließen will, musste am 31. Jänner die Diplomarbeit einreichen. Stundenlanges Warten, überforderte BetreuerInnen, das Versagen der elektronischen Plagiatsprüfung und Frust bei allen Beteiligten waren die Folge. „Den Unmut bekommen die an der Basis zu spüren, nicht die Oberen, die das entschieden haben“, ärgert sich Michael Wögerer. Auch die Ellenbogenmentalität unter den Studierenden habe in den letzten Monaten zugenommen, hat er beobachtet: „Durch den großen Druck hat keiner mehr Ressourcen, um anderen zu helfen.“

Harte Monate.Schon unter normalen Bedingungen ist das Leben für Studierende nicht einfach, in einer solchen Drucksituation geht es aber an das Eingemachte. Ohne die finanzielle Unterstützung der Eltern würde die Studienbeihilfebezieherin Raphaela Blaßnig die Diplomarbeit nicht fristgerecht schaffen. Ihr Arbeitsleben als Outdoortrainerin bei Schulprojektwochen ist im Moment gestrichen. Auch Michael Wögerer hat einige harte Monate hinter sich, aber für ihn persönlich hatte die nahende Frist auch eine positive Auswirkung: Es motivierte. „So kann man die Diplomarbeit nicht mehr hinausschieben. Einen 10-Stunden-Schreib-Marathon macht man ohne Druck einfach nicht“, sagt er, und gibt zu bedenken: „Der enorme Stress war sicher nicht gesund. Ich war noch nie so oft krank wie in diesem Jahr.“

*Da die Diplomprüfung noch bevorsteht, wurde der Name von der Redaktion geändert.