Steve Bannon

„2017 entscheidet sich das Schicksal Europas!“

  • 16.03.2017, 19:29
In seiner Jugend war er eurasischer Nationalist und glorifizierte autoritäre Ideale. Heute forscht er am Institut für die Wissenschaft vom Menschen (IWM) zu Rechtsextremismus und engagiert sich gegen russische Propaganda. progress hat mit Anton Shekhovtsov über den Ausstieg aus der Szene, Donald Trump und die Flüchtlingskrise gesprochen.

In seiner Jugend war er eurasischer Nationalist und glorifizierte autoritäre Ideale. Mittlerweile forscht er über Rechtsextremismus und untersucht zudem die Beziehungen zwischen der extremen Rechten Europas und Putins Russland am Institut für die Wissenschaft vom Menschen. progress hat mit Anton Shekhovtsov über den Ausstieg aus der Szene, Donald Trump und die Flüchtlingskrise gesprochen.


progress: Anton, du hast ein sehr persönliches Verhältnis zu deinem Forschungsgegenstand. Du warst früher selbst in der eurasischen Szene unterwegs. Woraus setzt sich diese Ideologie zusammen und wie bist du da hineingeraten?
Anton S.: Ich bin in Sewastopol, der größten Stadt der Halbinsel Krim aufgewachsen. Die Krim war damals in zwei politische Lager gespalten. Eines davon setzte sich aus AnhängerInnen der „Partei der Regionen“ zusammen, welche innenpolitisch und außenpolitisch pro-russisch ausgerichtet war und eine eher liberalere Wirtschaftspolitik verfolgte. Das kleinere Lager setzte sich aus großrussischen NationalistInnen zusammen. Dadurch, dass die Krim vom Rest der Ukraine isoliert worden war, galt russischer Nationalismus als „Common-Sense“. Im Jahr 2000 machte ich Bekanntschaft mit dem Eurasismus und wurde zu einem Verfechter dieser imperialistischen Ideologie. Als ich im Zuge meines späteren Studiums der Politikwissenschaft bemerkte, wie faschistoid und autoritär diese Bewegung ist, reflektierte ich meine politischen Ansichten. Seitdem schreibe ich Artikel über Alexander Dugin, einer der GründerInnen der eurasischen Bewegung, und forsche über Rechtsextremismus in Russland und der Ukraine – auch auf Basis meiner persönlichen Erfahrungen mit der Szene.

Vielen Jugendlichen fällt der Ausstieg aus der rechtsextremen Szene oftmals sehr schwer. Wie erging es dir dabei? Und wie kann man Jugendlichen dabei helfen?
Mir persönlich fiel es relativ leicht, da sich mein Engagement auf kleinere Demonstrationen und Internet-Aktivismus beschränkte und ich nicht viele FreundInnen in der Szene hatte. Ich war also kein vollkommen überzeugter Aktivist. Die eurasische Bewegung liebäugelt mit einer Spielart des nationalen Bolschewismus: Auch mein Interesse galt primär den sozialistischen Ideen, welche ich sympathisch fand. Zudem spielt der Antiamerikanismus hier eine große Rolle. Seit 2007 ist die eurasische Bewegung in der Ukraine ziemlich schwach, da die großrussische Agenda für viele junge UkrainerInnen zu offensichtlich wurde. Seit der 2014 stattgefundenen russischen Invasion auf der Krim hat die eurasische Bewegung aufgrund der anti-ukrainischen Doktrin weiter an Popularität eingebüßt. Konträr dazu finden rechtsextreme Weltbilder in Österreich oder Deutschland immer mehr Zuspruch. Daran tragen auch die etablierten Parteien eine Teilschuld, welche keine attraktiven Krisenlösungsmodelle mehr anbieten können und die Probleme der Jugendlichen, aber auch der Mehrheitsgesellschaft aus den Augen verloren haben. Grundsätzlich befindet sich die liberale Demokratie heute in einer schweren Krise, da sie primär mit Bürokratie assoziiert wird. Der Rechtsextremismus gewinnt an Zulauf, weil demokratische Kräfte schwächer werden, nicht weil rechtsextreme Kräfte so überzeugend sind.

Vor ein paar Wochen hast du bei einer Buchpräsentation über „Putins rechte Freunde“ mitgewirkt. Wer zählt zu Putins Verbündeten in Europa?
In Frankreich ist es der Front National, in Italien die Lega Nord, in Ungarn die Jobbik, Bulgarien hat die Ataka und in Österreich die FPÖ. Es ist auch die FPÖ, welche seit der Unterzeichnung des Kooperationsübereinkommens mit Putins Partei „Einiges Russland“ über die intensivsten Kontakte nach Russland verfügt. Die FPÖ verbindet mit Russland vor allem ein ideologisches Interesse. Die Freiheitlichen sehen in Putins Russland einen natürlichen Verbündeten: Putin erscheint als Vertreter eines traditionalistischen, konservativen Bollwerks gegen Globalisierung und Überfremdung. Putin strebt danach, sich als Staatsoberhaupt eines konservativen Volks zu porträtieren: Soziologische Untersuchungen beweisen jedoch das Gegenteil. Die Mehrheit der RussInnen ist weder besonders religiös, noch besonders konservativ. Die russische Elite hingegen versucht die Bevölkerung durch die vom Kreml kontrollierten Medien verstärkt zum Traditionalismus zu bewegen. Mit mäßigem Erfolg. Russland wird von den Rechtsextremen als konservative Einheit gesehen, tatsächlich ist die Zahl der RussInnen, die sonntags in die Kirche gehen, sehr gering. Die Elite gibt sich konservativ und anti-amerikanisch, gleichzeitig führt man ein Leben in Luxus und Hedonismus und schickt die Kinder auf US-amerikanische Schulen. Das russische Interesse an rechtsextremen Parteien in Europa ist dahingehend eher pragmatischer Natur. Russland kann gegen ein geeintes Europa nicht konkurrieren, weder ökonomisch, noch militärisch. Man ist daher auf europäische Verbündete, die ich „Putin-VersteherInnen“ nenne, angewiesen, um liberale Diskurse und transatlantische Ideen in Europa zu schwächen und die europäischen Einzelstaaten gegeneinander ausspielen zu können. Dies geschieht auch über Desinformation und das Verbreiten von „Fake-News“, was durch soziale Medien einfacher denn je geworden ist.

Seit dem Wahlsieg des US-Republikaners Donald J. Trump wird sehr viel über sein Verhältnis zu Putin diskutiert. Gehört auch Trump zum Lager der „Putin-Versteher“?
Hier muss man differenzieren. Einerseits gibt es in der Trump-Administration mehrere MinisterInnen, die ein ökonomisches Interesse an Russland haben – dazu gehört der Außenminister Rex Tillerson. Andererseits denken einige, dass Russland ein Bündnispartner im Kampf gegen den Islamismus sein könne. Ein Blick auf die russischen Aktivitäten in Syrien zeigen jedoch, dass Putin selbst eine Schuld am Erstarken des jihadistischen Terrors hat. Russland kämpft nicht gegen den Islamischen Staat, sondern hat Assad geholfen, die syrische Opposition niederzuschlagen. Momentan ist Trump gezwungen, sich von seinem pro-russischen Image zu distanzieren. Das zeigt sich etwa daran, dass sein Nationaler Sicherheitsberater Michael Flynn zurücktreten musste. Entgegen weitverbreiteter Meinungen denke ich übrigens nicht, dass Trumps Administration faschistisch ist. Bei seinem wichtigsten Berater, Steve Bannon, bin ich mir allerdings nicht so sicher. Zwar hat Bannon Putin als „Kleptokraten“ bezeichnet. Jedoch begreift auch er ihn als taktischen Bündnispartner gegen den Islamischen Staat. Putin, Trump und Bannon vereint letztlich der isolationistische Wunsch nach einem Rückzug der USA aus dem Nahen Osten und Europa.

Wie werden sich Trumps Pläne auf Europa auswirken?
2017 entscheidet sich das Schicksal Europas. Wenn sich liberale Kräfte in Deutschland und Frankreich durchsetzen können, hat Europa noch eine Chance. Trumps Administration könnte auch dazu führen, dass die EU wieder zueinander findet. Die momentan stattfindenden Debatten über den Aufbau einer europäischen Armee werden zu einem interessanten Faktor werden, sollte sich die USA aus der NATO zurückziehen. Grundsätzlich wird Europa eine proaktivere Rolle spielen müssen. Als Assad begann, seinen Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu führen, hat die EU tatenlos zugesehen. Als Präsident Obama seine „roten Linien“ gezogen hat, musste sich Europa darauf verlassen. Auch als Russland in Syrien intervenierte, hat die EU keine glaubwürdigen Schritte unternommen. Die ultimative Konsequenz bekam Europa am eigenen Leibe zu spüren: der bis heute andauernde syrische Massenexodus. Auch der Türkei-Deal stellt keine langfristige Lösung der Flüchtlingskrise dar. Wir müssen begreifen, dass Konflikte im Nahen Osten unmittelbare Implikationen für Europa mit sich bringen. Stell dir vor, du wohnst in einer Wohnung und hörst, wie der Nachbar seine Frau verprügelt. Hörst du dann einfach zu? Tolerierst du dieses Verhalten? Nein. Du musst zumindest an seine Tür klopfen und androhen, dass du die Polizei rufst. Wenn du dieses Verhalten ignorierst, trägst du eine Mitschuld an diesem Verbrechen und den Konsequenzen.

David Kirsch studiert Politikwissenschaften und Rechtswissenschaften in Wien und Linz und veröffentlicht auf seinem Blog exsuperabilis.blogspot.com regelmäßig Analysen und Interviews zu Migration, Naher Osten und Europa.