Start-up

Löcher im Rechtssystem stopfen

  • 03.08.2016, 21:08
In der juristischen Ausbildung wird die gesellschaftspolitische Dimension von Recht gerne vernachlässigt. Studentische Rechtsberatung nimmt in Anlehnung an die angloamerikanische Tradition der „Law Clinics“ seit kurzem auch in Österreich soziale Verantwortung wahr.

In der juristischen Ausbildung wird die gesellschaftspolitische Dimension von Recht gerne vernachlässigt. Studentische Rechtsberatung nimmt in Anlehnung an die angloamerikanische Tradition der „Law Clinics“ seit kurzem auch in Österreich soziale Verantwortung wahr.

Vor dem Gesetz sind alle gleich. In der Theorie. In der Praxis haben nicht alle die Ressourcen, bestehende rechtliche Möglichkeiten auszuschöpfen. In den USA schließen an Universitäten angebundene studentische Rechtsberatungsstellen, die so genannten „Legal Clinics“, eine wichtige Lücke im Rechtsschutzsystem. Hierzulande haben solche Institutionen keine Tradition. Felix Kernbichler, David Weixlbraun und Stephan Rihs verorteten vor zwei Jahren dennoch einen Bedarf – auch aufseiten der Studierenden. Sie gründeten nach eigenen Erfahrungen mit „Legal Clinics“ in den Staaten kurzerhand die „Vienna Law Clinics“. Der im Frühjahr mit dem sozialen Innovationspreis SozialMarie ausgezeichnete Verein will mit seiner kostenlosen, niedrigschwelligen Rechtsberatung einen gesellschaftlichen Beitrag für benachteiligte Gruppen leisten.

RECHTSHILFE FÜR START-UPS UND ASLYWERBENDE. Österreich hat grundsätzlich ein gutes Verfahrenshilfesystem. „Grundsätzlich“, wie Anna Wegscheider, die wie viele im „Vienna Law Clinics“-Kernteam ihr Studium längst abgeschlossen hat, extra wiederholt. Das Lieblingswort der Jurist_innen zieht bekanntlich immer ein „Aber“ nach sich: „Die Angebote sind da, aber zum einen ist die Kommunikation schlecht und zum anderen gibt es Menschen, die aufgrund ihrer Position in der Gesellschaft keinen Zugang zu Rechtsschutz haben.“

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Derzeit fokussieren die „Vienna Law Clinics“ ihre Arbeit auf die aus akademischen Rahmenbedingungen und persönlichem Interesse gewachsenen Bereiche Start-ups sowie Asyl- und Fremdenrecht. Die Arbeitsweisen der beiden je 15-köpfigen Teams könnten nicht unterschiedlicher sein: Während die Start-up-Gruppe persönliche Beratungen zu eigenen Bürozeiten anbietet und angehenden Jungunternehmer_innen rechtliche Erstauskünfte über Gesellschaftsform, Immaterialgüterrecht und Co. erteilt, macht die Asyl-Gruppe keine individuelle Beratung. Sie unterstützt NGOs wie den Verein Ute Bock bei rechtlichen Fragen und kooperiert mit dem Netzwerk AsylAnwalt.

WIN-WIN-SITUATION. Die Arbeit der „Vienna Law Clinics“ wird von Partner-Kanzleien gegengeprüft – ein wesentlicher Punkt der Qualitätssicherung. „Wir haben uns zur Unterstützung entschlossen, weil wir die Idee der studentischen Rechtsberatung toll finden. Nicht umsonst ist dieses Modell bereits seit langer Zeit an internationalen Eliteuniversitäten etabliert“, erklärt Rechtsanwalt Florian Steinhart von Herbst-Kinsky das Engagement der Kanzlei.

Speziell das Asyl- und Fremdenrecht ist besonders komplex, wird in der Ausbildung allerdings vernachlässigt. Auch deswegen findet Rechtsanwältin Julia Ecker, eine weitere professionelle Unterstützerin, das Konzept der Law Clinics „genial“. „Das hätte ich selbst als Studentin gerne gehabt“, so die Fremdenrechtsexpertin. Besonders in der Kooperation mit dem Netzwerk AsylAnwalt sieht sie einen Mehrwert für ihren Arbeitsbereich. So haben die Studierenden zuletzt eine umfassende Recherche für eine Verwaltungsgerichtshof-Judikatur zum Asylrecht erledigt. Ecker: „Das ist toll, denn ein einzelner Anwalt kann nicht hunderte Entscheidungen neben der laufenden Arbeit screenen.“

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Über mangelnde ehrenamtliche Bereitschaft von Studierenden können sich die „Vienna Law Clinics“ nicht beschweren. Im Gegenteil: Aufgrund des Erfolges überlegt man die Erweiterung um eine Konsument_innenschutz-Gruppe. Das Wechselspiel aus Gemeinwohl und studentischem Nutzen ist das, was die Philosophie von Law Clinics ausmacht. Deshalb laufen derzeit auch Gespräche mit dem Dekanat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät über Möglichkeiten, die Arbeit der angehenden Jurist_innen formell im Studium anzuerkennen.

UNTERSCHIEDE. Gelänge die Etablierung dieses Konzepts, wären die „Vienna Law Clinics“ Pioniere in Österreich. Weitere Ansätze gibt es an der Karl-Franzens-Universität in Graz, wo Law Clinics in Form von praxisbezogenen Lehrveranstaltungen, ohne eigentliche Rechtsberatung, umgesetzt werden: Die Grazer „Refugee Law Clinic“ zum Beispiel bietet mehrere Lehrveranstaltungen zum Thema Flüchtlings- und Asylrecht in Zusammenarbeit mit Praktiker_innen sowie Basisinformationen als Flüchtlingsrechts-Kurzguide an. Für die von Eva Schulev-Steindl gemeinsam mit Miriam Karl geleitete „Environmental Law Clinic“ wiederum bearbeiten Studierende in Zusammenarbeit mit NGOs wie dem Umweltdachverband aktuelle Umweltrechtsfälle. „Dies bietet den Studierenden die einzigartige Chance, schon während ihres Jus-Studiums reale Lebenssachverhalte zu behandeln“, so die Professorin. „Dafür müssen sie sich aber auch durch wahre ‚Aktenberge’ wühlen – das Material umfasst teilweise mehrere Gigabyte.“ Und auch eine Legal Clinic für öffentliches Recht und Umweltrecht gibt es in Graz. Sie wird in Kooperation mit der Volksanwaltschaft von Georg Eisenberger geführt: „Mein persönliches Ziel ist es, möglichst vielen Studierenden zu zeigen, wie spannend und fordernd Öffentliches Recht in der Praxis sein kann.“

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MIT RECHT SOZIALEN WANDEL BEWIRKEN. Die stärkere Institutionalisierung der „Vienna Law Clinics“ brächte für Gründungsmitglied Weixlbraun auch einen gesellschaftlichen Mehrwert: „Durch die Anbindung an die Universität wäre eine akademische Reflexion möglich.“ Wiederkehrende Fragestellungen könnten Rechtsschutzprobleme sichtbar machen und Basis für politische Arbeit sein. Denn die Möglichkeit von strategischer Prozessführung – also über einen starken Einzelfall hinaus, soziale, politische oder rechtliche Veränderungen in Gang zu setzen – funktioniert in Österreich immer wieder gut. Das hat zuletzt das als verfassungswidrig gekippte Adoptionsverbot für homosexuelle Paare gezeigt. Solche Fälle würden beweisen, dass man mit dem Recht als Machtinstrument auch gesellschaftliche Veränderungen bewirken kann, streicht „Vienna Law Clinics“-Juristin Wegscheider heraus. Ihre Kollegin Teresa Exenberger bringt es auf den Punkt: „Hier sehen wir eine wichtige Schnittstelle für Law Clinics: Wir können Ressourcen anbieten, die Kanzleien nicht haben.“

Cornelia Grobner ist freie Journalistin und Doktoratsstudentin im Fachbereich Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg.

Links:
Vienna Law Clinics
Refugee Law Clinic
Environmental Law Clinic
Legal Clinic für öffentliches Recht und Umweltrecht

Smart Up, Wien!

  • 19.06.2015, 20:44

Smart Cities sind in aller Munde. Zahlreiche Events in Wien drehen sich um dieses Thema, so auch das diesjährige CITYx-Event im Wiener MAK. Doch was bedeutet es eigentlich genau, eine „smarte“ City zu sein?

Smart Cities sind in aller Munde. Zahlreiche Events in Wien drehen sich um dieses Thema, so auch das diesjährige CITYx-Event im Wiener MAK. Doch was bedeutet es eigentlich genau, eine „smarte“ City zu sein?

New York will es, London will es, und Wien will es auch – die Smart City der Zukunft werden. Dieses Schlagwort lässt sofort an eine Stadt denken, in der Menschen von ihren selbstfahrenden Autos von A nach B gebracht werden und die Welt nur noch durch ihre Smart Glasses wahrnehmen, während sie sowohl soziales Leben als auch Kalorienstatus in einer Smart Watch verwalten. Davon ist Wien noch weit entfernt, auch wenn mit der Konzeption der neuen U5 ein erster kleiner Schritt Richtung Stadt der Zukunft getan ist.

Business Insider“ rankt Wien immerhin als Top 8 der 18 innovativsten Städte der Welt. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass Wien 2015 das sechste Mal in Folge von Mercer zur Stadt mit der höchsten Lebensqualität gekürt wurde. Die Reihung hat mit den smarten Vorteilen unserer Hauptstadt vergleichsweise wenig zu tun, obwohl sich in den vergangenen Jahren viel getan hat: Wien hat nicht nur eine wachsende Start-Up-Szene, sondern hostet auch das Start-Up-Festival Pioneers, das jährlich IT-Größen aus ganz Europa anzieht und auch weltweit nicht unbemerkt geblieben ist.

Foto: pioneers.io

TRADITIONELL, ABER NICHT SMART. Wiener Schnitzel, Kaffeehauskultur und Mozart sind gängige Assoziationen, wenn man an Wien denkt. Traditionell? Vielleicht, aber nicht unbedingt smart. Das soll sich in Zukunft ändern. Wien soll künftig auch als smarter Wirtschaftsstandort von sich reden lassen. Der „Digital Economy and Society Index (DESI)“ der Europäischen Union zeigt den Fortschritt der Mitgliedsstaaten auf dem Gebiet des Digitalen. Bis 2020 soll die gesamte Union zu einer digitalen Gesellschaft finden, in der nicht nur das Vertrauen in die digitale Wirtschaft sondern auch die „digital literacy“ der Bevölkerung gestärkt werden soll. Sprich: die Fähigkeit der Bevölkerung mit digitalen Devices umzugehen. Österreich scheint auf diesem Gebiet nach dem DESI-Index Nachholbedarf zu haben: zwar sind digitale Technologien gut in der Gesellschaft integriert, dennoch gehört Österreich zu jenen fünf Mitgliedstaaten, die diese Technologien am wenigsten nützen.

Foto: David Bohmann / digitalcity.wien

Das Projekt Digital City Wien will das ändern. Durch Schaffen eines virtuellen Campus soll unsere Hauptstadt in naher Zukunft zu einer der Start-Up-Hauptstädte Europas werden. Die Initiative will Aufmerksamkeit für die bereits bestehende digitale Industrie schaffen und Wien so zu einer der führenden Smart Cities der Welt machen. Im September wird der virtuelle Campus starten. Statt an Mozart soll ab diesem Zeitpunkt lieber an junge Start-Ups gedacht werden. Doch das verlangt auch die Beteiligung und Unterstützung der Gesellschaft, die gerade in Österreich Digitalem eher misstrauisch gegenübersteht.

CITYx: DAS EVENT FÜR URBANISMUS. Events wie das jährliche CITYx-Event von TEDxVienna versuchen möglichst viele Besucher_innen für den Urbanismus der Zukunft zu begeistern. CITYx bietet Expert_innen auf dem Gebiet der Stadtentwicklung eine Bühne für innovative Ideen rund um die Zukunft der Stadt. Neun Speaker_innen werden im bekannten TED-Format im Wiener MAK zur Smart City der Zukunft sprechen und erklären, wie ihre Einwohner_innen sie jetzt schon mitgestalten können. „Die diesjährigen Sprecher und Sprecherinnen sind so vielseitig in ihrer Art, die Frage nach der Zukunft unserer Städte zu beantworten. Das gibt mir die Hoffnung, dass wir tatsächlich das Morgen noch besser gestalten können als das Heute”, sagt Joshua Grigsby, Kurator von CITYx.

Die Nachfrage ist groß: Das CITYx -Event war innerhalb von drei Wochen ausverkauft. Deswegen wird es am 23. Juni auf der CITYx –Homepage ab 17:00 ein Live-Screening der Vorträge geben. Wer keine Karte mehr bekommen konnte, kann so zumindest von Zuhause aus mitverfolgen, wie das smarte Wien der Zukunft aussehen könnte.

Verena Ehrnberger ist Juristin mit Schwerpunkt Datenschutzrecht und studiert Vergleichende Literaturwissenschaften an der Universität Wien.