Sowjetunion

Jüdische GenossInnen

  • 22.06.2017, 16:43
„Wir müssen Revolution machen, weil Gott es uns befiehlt. Gott will, daß wir Kommunisten sein sollen!“ *

„Wir müssen Revolution machen, weil Gott es uns befiehlt. Gott will, daß wir Kommunisten sein sollen!“ *
Viele der bedeutendsten VertreterInnen der ArbeiterInnenbewegung waren nicht jüdisch. Ebenso waren die meisten RevolutionärInnen, SozialistInnen oder KommunistInnen nicht jüdisch. Und dennoch trugen Juden und Jüdinnen gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil überproportional zur Entwicklung des Marxismus bei. Dies zeigt sich bereits an den Gründerfiguren dieser Bewegung: Karl Marx, Moses Hess, Ferdinand Lassalle, Rosa Luxemburg und Leo Trotzki wurden zu regelrechten Ikonen der internationalen ArbeiterInnenbewegung. Ihre jüdische Herkunft und die „Judenfrage“ beachteten die meisten von ihnen kaum. Antisemitismus war für sie Symptom der kapitalistischen Gesellschaft und würde in einer klassenlosen Gesellschaft nicht mehr existieren. Juden und Jüdinnen hätten sich im Lauf der Zeit assimiliert.

Als Leo Trotzki in seinem Wiener Exil die Oktoberrevolution plante, hätte er auch Vertreter des „Bunds“ oder der „Poale Zion“ treffen können. Beides jüdische Arbeitervereinigungen, die von Assimilation nichts wissen wollten. Sie kämpften explizit für die jüdischen ArbeiterInnen. Mit dem Ausbruch der Oktoberrevolution blickte die ganze Welt auf Russland, die Hoffnung auf eine gerechtere Welt weckte vielerorts große Erwartungen. Der bewusste Bruch der Sowjets mit dem Antisemitismus des Zarenreichs euphorisierte viele Juden und Jüdinnen, die begeistert im neuen Staat und an der Entwicklung eines neuen Menschen mitarbeiteten. Gleichzeitig litt vor allem die jüdische Bevölkerung in den Schtetln unter der neuen Wirtschaftspolitik und der religionsfeindlichen Haltung.

SOWJETISCHES ZION. In Wien verwies die jüdische, liberale Zeitung Dr. Blochs Wochenschrift am 14. Dezember 1917 stolz auf die jüdische Herkunft Trotzkis: „Trotzki hat seine Zugehörigkeit zum Judentum nie verleugnet, und als in einer politischen Diskussion ein Redner auf seine Abstammung die Anspielung machte, erwiderte er, er habe doch nie Ursache gehabt, seine Abstammung zu bedauern, der er ein geschärftes Verständnis für das Menschenelend der Vergangenheit und für die Aufgaben sozialer Gerechtigkeit in der Zukunft vielleicht zu danken habe.“ Kein Jahr später wurde in Wien die Kommunistische Partei Deutsch-Österreich gegründet. Von Beginn an nahmen einige jüdische GenossInnen bedeutende Positionen in der Bewegung ein, andere leisteten ihr Leben lang Parteiarbeit im Hintergrund. So Prive Friedjung, sie stammte aus einem Schtetl in Galizien, in den 20er-Jahren kam sie nach Wien und schloss sich der kommunistischen Partei an. Als es für sie nach dem Verbot der Partei 1933 und dem Februaraufstand 1934 immer schwieriger in Wien wurde, emigrierte sie in die Sowjetunion. In diesem Jahr kam es auch zu der offiziellen Gründung von Birobidschan, das als autonomes Siedlungsgebiet für jüdische SowjetbürgerInnen gedacht war. Das Projekt des sowjetischen Zion scheiterte an den schweren klimatischen Bedingungen und einer mangelnden logistischen Umsetzung, an der der verschwindende Wille an einer Forcierung einer jüdisch-sowjetischen Nation ablesbar war.

PARADIES AUF ERDEN. Bereits in diesen Jahren fanden die ersten Schauprozesse statt, die sich vor allem gegen (vermeintliche) trotzkistische AbweichlerInnen richteten, unter ihnen auch etliche JüdInnen. Zu Kriegszeiten war hingegen das Jüdische Antifaschistische Komitee auf Tour, um für Unterstützung im Krieg gegen Nazi-Deutschland zu werben. 1948 wurde dieses Komitee aufgelöst. Es folgten die sogenannten „Schwarzen Jahre“, in denen zahlreiche jüdische wie nicht-jüdische Personen verurteilt, verschickt und ermordet wurden. Das stalinistische Terrorsystem erreichte in diesen Jahren seinen Höhepunkt. Prive Friedjung befand sich zu dieser Zeit bereits wieder in Wien und arbeitete für sowjet-nahe Betriebe. Zu Zeiten des Kalten Krieges erlebte sie die feindliche Stimmung gegenüber der KPÖ, einer Partei, die in Österreich immer mehr in der politischen Bedeutungslosigkeit versank. Enttäuscht durch den innerparteilichen Umgang mit Mitgliedern und einer fehlenden Auseinandersetzung mit den Ereignissen in Ungarn und Prag, trat sie 1969 aus der Partei aus. 14 Jahre später trat sie ihr wieder bei, in der Hoffnung, die Partei würde die richtigen „Formen finden, die richtigen Wege gehen, um ihre Funktionen zu erfüllen“. Zu dieser Zeit hatte in der Sowjetunion die Refusenik-Bewegung und in Folge die Emigration sowjetischer Juden und Jüdinnen eingesetzt. Die meisten wanderten über Wien aus, einige blieben. Prive Friedjungs Memoiren tragen den Titel „Wir wollten nur das Paradies auf Erden“ und erzählen vom Traum einer jungen Frau aus einem Schtetl von einer gerechteren Welt. Lebensgeschichten, die von diesem Traum und oftmals von dessen Scheitern erzählen, werden in der Ausstellung im Jüdischen Museum Wien die jüdische Geschichte des Kommunismus – auf sowjetischer und auf österreichischer Seite – veranschaulicht.

Ausstellungshinweis: Genosse. Jude. Wir wollten nur das Paradies auf Erden.
6. Dezember 2017 bis 29. April 2018, Jüdisches Museum, Dorotheergasse 11, 1010 Wien

Gabriele Kohlbauer-Fritz ist Kuratorin im Jüdischen Museum Wien und Sammlungsleiterin.
Sabine Bergler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Jüdischen Museum Wien.

Lady Death

  • 20.06.2017, 22:22
More than three hundred nazis fell by your gun.

More than three hundred nazis fell by your gun.

Eine Frau muss geschützt werden, neue Soldaten gebären und von der Heimat aus die Kriegsfront versorgen. Eine Soldatin ist heute wie damals die Ausnahme der männlichen Regel. Krieg, Gewalt und Brutalität stehen im künstlichen Widerspruch zu allen weiblichen Rollenbildern. Wenn wir heute eine Frau in Uniform stecken, ist diese im Normalfall knapp geschnitten und erfüllt keinen weiteren Zweck, als sexuelle Fantasien zu befriedigen. Aber warum eigentlich? Mal ganz abgesehen davon, dass Krieg abzulehnen ist, warum sollte es im Krieg männliche Privilegien geben? Kurz gesagt ist es eine Frage von Macht, denn was bedauerlicherweise immer galt und noch heute gilt: „Politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.“

IN DIE STIEFEL! 1998 durchbrachen hierzulande erstmals neun Frauen diese Männerdomäne und rückten beim österreichischen Bundesheer ein. Bis dahin war es Frauen schlichtweg nicht erlaubt, Soldatin zu werden. Ganz ähnlich wie in vielen anderen Staaten der Welt. Während des Zweiten Weltkriegs waren Frauen keine regulären Soldatinnen, mit Ausnahme in den Sowjet-Republiken. Die Genossen und Genossinnen nahmen die Sache mit den „gleichen Rechten für alle“ (vergleichsweise) richtig ernst und ermöglichten den Bürgerinnen den freiwilligen Militärdienst. Die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter in der Sowjetunion wischte die veralteten Rollenbilder auch im Kommunismus nicht augenblicklich vom Tisch, dennoch waren die Kommunist_innen in Sachen Gleichberechtigung dem Rest der Welt um einiges voraus.

Im Herzen des „friedlichen“ Europas und als Teil einer Generation, welche Kriegsleiden nur vom Sensationsjournalismus kennt, wirkt die Vorstellung vom Kriegsdienst befremdlich. Bittere Realität war die Bedrohung durch einfallende Nazis 1941 für eine junge ukrainische Genossin.

ADLERAUGEN. Ljudmila Pawlitschenko war begeisterte Studentin der Geschichtswissenschaft, als ihr die Nationalsozialist_innen in die Quere kamen. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion unter dem Decknamen „Unternehmen Barbarossa“ meldete sie sich freiwillig zum Militärdienst. Anstatt ihrer Traumberufung weiter nachzugehen, nutzte sie ihr außerordentliches Talent als Präzisionsschützin.

Ihre Zielsicherheit bemerkte sie mehr zufällig. So wie manche ins Kino gingen, amüsierten sich zu jener Zeit die jungen Erwachsenen auch am Schießstand. Als Ljudmila eines Tages gegen ihre Genossen in einem spielerischen Wettkampf eine fast perfekte Serie schoss, ermöglichte ihr der Schießbudenbesitzer eine Ausbildung als Scharfschützin bei der Roten Armee. Sie sollte die beste und gefürchtetste Scharfschützin im Zweiten Weltkrieg werden.

MYTHOS LADY DEATH. Insgesamt 309 Wehrmachtssoldaten, überwiegend Kommandanten und Führungskräfte, wurden von ihr getötet. Sie war einerseits eine wertvolle Soldatin der Sowjetunion, andererseits eine politische Waffe für die Aufrechterhaltung des Kampfgeistes. Stadt für Stadt rückten die Nazis vor und hinterließen nichts als Tod und Zerstörung. Die Wehrmacht ermordete im Ostfeldzug etwa 40 Millionen Sowjetbürger_innen, die Hälfte davon waren Zivilist_ innen. Der Mythos der unverwundbaren Scharfschützin stärkte den Widerstand und die Hoffnung.

NACHTHEXEN. Ljudmila wurde zum Idol kommunistischer Frauen, die sich wie sie nicht ängstlich versteckten, sondern aktiv gegen die Invasoren kämpfen wollten. Sie akzeptierten weder die passive Rolle noch ließen sie sich in den klischeehaften Sanitätsdienst drängen. Sie wollten kämpfen. Ljudmila war nicht die einzige berühmte Soldatin der Roten Armee. Die sogenannten „Nachthexen“ erzielten beachtliche militärische Erfolge bei den unzähligen riskanten Luftangriffen mit umgebauten Flugmaschinen aus der Landwirtschaft.

Auf Feindesseite wurden Ljudmilas Trefferquote und ihr tödlicher Ruf zum Problem. Mittels Propaganda über ihren Tod sollte den Wehrmachtssoldaten die Angst vor ihr genommen werden. Scharfschützen wurden an die Ostfront geschickt, um sie auszuschalten. Kein einziges Duell verlor sie. Insgesamt 36 der besten Wehrmachtsschützen tötete Pawlitschenko. Während die Nazis sie als die „Russische Hure aus der Hölle“ fürchteten, wurde sie in den USA als „Lady Death“ gefeiert:

“Miss Pavilichenko’s well known to fame;
Russia’s your country, fighting is your game;
The whole world will love her for a long time to come,
For more than three hundred nazis fell by your gun.”

Der US-amerikanische Folksänger Woody Guthrie widmete ihr dieses Lied. Sie wurde als Teil der sowjetischen Delegation nach Washington eingeladen, wo sie für den Kriegseintritt der USA werben sollte. Zunächst wurde sie von der US-Presse belächelt und wegen ihres wenig glamourösen Auftretens kritisiert. Ein Reporter fragte sie, ob russische Soldatinnen an der Front Make-up tragen dürften. Sie erwiderte: „Es gibt keine Regel dagegen. Aber wer hat Zeit, über seine glänzende Nase nachzudenken, während ein Kampf tobt?“

Während ihrer Reise traf Ljudmila auf die First Lady. Eleanor Roosevelt war offen von der Soldatin fasziniert und lud sie als erste Sowjetbürgerin ein, im Weißen Haus zu residieren. Die beiden Frauen aus so gegensätzlichen Gesellschaften blieben ein Leben lang befreundet.

Ljudmila war klug, talentiert, mutig und Kommunistin. So wurde sie zum Vorbild sowjetischer Frauen, sich auch in der klaren Männerdomäne Krieg und Militär ihren Platz zu nehmen und gegen den Nationalsozialismus zu kämpfen. 40 Jahre nach ihrem Tod wurde ihre außergewöhnliche Rolle im Zweiten Weltkrieg verfilmt. 2015 feierte die russisch-ukrainischee Produktion „Red Sniper“ Premiere und wurde ein Riesenerfolg.

Christina Müller hat in Potsdam MilitaryStudies studiert und arbeitet im Büro für Sicherheitspolitik.