Sexarbeit

ONLY RIGHTS CAN STOP THE WRONGS!

  • 02.06.2016, 13:54
Anlässlich des Internationalen Hurentages am 2. Juni 2016 erklärt LEFÖ / TAMPEP ein paar grundsätzliche Begrifflichkeiten und stellt die Positionierung von SexarbeiterInnenselbstorganisationen und deren UnterstützerInnen vor.

Anlässlich des Internationalen Hurentages am 2. Juni 2016 erklärt LEFÖ / TAMPEP ein paar grundsätzliche Begrifflichkeiten und stellt die Positionierung von SexarbeiterInnenselbstorganisationen und deren UnterstützerInnen vor.

Dieser Beitrag ist eine gekürzte und leicht veränderte Version des Briefing Papers der TAMPEP International Foundation, die vollständige Version ist unter diesem Link abrufbar.


Was genau bedeutet Entkriminalisierung? Wenn man alle Forderungen von Sexarbeiter_innen mit einem Wort zusammenfassen könnte, wäre dieses Entkriminalisierung. Progressive Regierungen in Neuseeland und New South Wales in Australien haben ein legislatives Entkriminalisierungsmodell eingeführt, um die Situation von Sexarbeiter_innen zu verbessern. Vor kurzem wurde dieses Modell von der neuseeländischen Regierung und dem New Zealand Prostitutes Collective positiv evaluiert. Die Ergebnisse dieser Evaluation zeigen eine signifikante Reduktion der Vulnerabilität von Sexarbeiter_innen und belegen einen verbesserten Zugang zu Menschenrechten.Unter Entkriminalisierung versteht man die Abschaffung aller strafrechtlichen Maßnahmen, die Sexarbeit betreffen und gleichzeitig einen Weg, um sicherzustellen, dass Regierungen die Menschenrechte von Sexarbeiter_innen achten. Die Forderung nach Entkriminalisierung beinhaltet auch die Aufhebung strafrechtlicher Maßnahmen, die in die Sexarbeit involvierte Dritte betreffen. Außerdem soll so sichergestellt werden, dass Sexarbeiter_innen unabhängig oder in Kooperativen arbeiten können. Selbstbestimmung und Autonomie von Sexarbeiter_innen gehören maßgeblich zum Verständnis des Entkriminalisierungsmodells.

Sexarbeiter_innen und ihre Unterstützer_innen treten häufig für die vollständige Entkriminalisierung im Rahmen eines Rechtssystems ein, das auch anderweitige Hürden beseitigt, die gerade migrantische Sexarbeiter_innen vulnerabel gegenüber Gewalt und Menschenhandel machen und gleichen Zugang zu Menschenrechten erschweren. Der Leitgedanke hinter diesem Ansatz ist, dass Regierungen zur Bekämpfung der Vulnerabilität von Sexarbeiter_innen den vollständigen Schutz ihrer Menschenrechte gewährleisten müssen, unabhängig von ihrer Nationalität oder ihrem aufenthaltsrechtlichen Status im Gastland. Diese zu schützenden Rechte umfassen unter anderem das Recht auf Leben, Gesundheit, Migration, Arbeit, Privatsphäre, Vereinigung, Gleichheit vor dem Gesetz und das Recht, frei von Menschenhandel und sklavereiähnlichen Praktiken zu sein.

Trotz der Forderungen nach Entkriminalisierung werden die Gesetze zu Sexarbeit im europäischen Raum immer strenger und repressiver. Sexarbeit wird von Regierungen und der Gesellschaft kaum als Arbeit anerkannt. Das liegt vor allem an dem Stigma, mit dem Sexarbeit behaftet ist, das die mächtigste Waffe gegen die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit darstellt. In der Praxis bedeutet das, dass Entscheidungsträger_innen Maßnahmen entwickeln und einführen, die Würde und Menschenrechte von Sexarbeiter_innen untergraben. So wird weder die Selbstbestimmung und Autonomie von Sexarbeiter_innen gefördert, noch werden ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessert.

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Besonderer Fokus: Migration. Es bestehen deutliche Zusammenhänge zwischen diesem repressiven Trend und der aktuellen Debatte um Menschenhandel. Anti-Prostitutionsgruppen benutzen diese, um auf die Abschaffung der Prostitution zu drängen. Die Anti-Immigrationslobby benutzt den Menschenhandelsdiskurs, um strengere Einwanderungsbeschränkungen zu fordern. Die Stimmen von Sexarbeiter_innen werden dabei von Entscheidungsträger_innen und Massenmedien häufig ignoriert oder missbraucht. Durch diese Unsichtbarkeit und Isolation sind migrantische Sexarbeiter_innen besonders von repressiven Maßnahmen und der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit betroffen.

Die Kriminalisierung von Sexarbeit, Sexarbeiter_innen und ihren Kund_innen wird häufig von Anti-Migrationsgesetzen begleitet, die darauf abzielen, undokumentierte Migrant_innen zu verhaften und abzuschieben. Das führt dazu, dass migrantische Sexarbeiter_innen in den Untergrund und versteckte Arbeitsbereiche gedrängt werden, um der Verfolgung und dem Risiko einer Abschiebung zu entgehen. Dieser Trend verschärft die Gefahr für Sexarbeiter_innen, Opfer von Menschenhandel zu werden, und verringert ihre Zugangsmöglichkeiten zu Unterstützung und Gesundheitsleistungen sowie zu Rechten und Justiz.

Migration muss als entscheidender Faktor für die Analyse von Sexarbeit in Europa berücksichtigt werden. Migrant_innen machen bei Weitem die größte Gruppe von Sexarbeiter_innen in der Region aus. Undokumentierte migrantische Sexarbeiter_innen sind besonders von Strafverfolgungen betroffen und erleben ein hohes Ausmaß an Gewalt und Ausbeutung. Diese Problemlage hat sich durch die Folgen der Finanzkrise, die die EU und den Rest der Welt seit 2008 prägen, durch im Zuge der Terrorismusbekämpfung spontan beschlossene Gesetze zur Bewahrung der nationalen Sicherheit sowie durch Gesetze zur öffentlichen Sicherheit verschlechtert.

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Menschenhandel vs. Sexarbeit. Um gegen Rechtsverstöße und Missbrauch in der Sexindustrie vorzugehen, haben die EU-Mitgliedsstaaten den Kampf gegen den Menschenhandel dazu genutzt, Prostitution und Migration zu bekämpfen. Ein sicheres Umfeld, in dem Sexarbeiter_innen arbeiten und sich selbst organisieren können und in dem gute Arbeitsbedingungen gewährleistet werden, wurde hingegen nicht geschafft. Die Sexindustrie hingegen zu zerstören, bedeutet für Sexarbeiter_innen einen schwerwiegenden Eingriff in ihren Lebens- und Arbeitsalltag und zwingt sie in die Illegalität und Isolation. Gleichzeitig werden Menschenhandelsopfer selten gefunden – und wenn sie gefunden werden, werden ihre Bedürfnisse kaum adäquat gehandhabt. Entscheidungsträger_innen setzen Sexarbeit mit Menschenhandel gleich, was einerseits zu ineffektiven und alle Sexarbeiter_innen betreffenden Gesetzen führt, während andererseits die Bedürfnisse derjenigen Sexarbeiter_innen, die nicht von Menschenhandel betroffen sind, ignoriert werden.

Zieht man eine breite Definition von Menschenhandel heran, wird deutlich, dass Maßnahmen und Gesetze zur Bekämpfung von Menschenhandel das breite Spektrum, in denen Menschen von Menschenhandel betroffen sein können, wie z.B. in der Bauwirtschaft, Landwirtschaft, Nahrungsmittelindustrie, Haus- und Pflegearbeit, widerspiegeln müssen. Obwohl belegt ist, dass Menschenhandel und Zwangsarbeit dadurch angetrieben werden, dass eine steigende Nachfrage nach billigen, unqualifizierten und einfach entbehrlichen Arbeitskräften mit immer restriktiver werdenden Einwanderungsbestimmungen und einem Mangel an arbeitsrechtlichen Absicherungen für migrantische Arbeitskräfte kombiniert wird, wird im Rahmen von Gesetzgebungen gegen diese strukturellen Determinanten von Menschenhandel und Zwangsarbeit nicht vorgegangen.

 

Die Interpretation von Menschenhandel, die die EU Strategien beeinflusst hat, verschleiert sowohl die Verbindungen zwischen Migrationspolitik und „Menschenhandel“ - also auch die Verbindungen zwischen Prostitutionspolitik und Zwangsarbeit in der Sexindustrie. Die Gleichsetzung von Sexarbeit und Menschenhandel hat sowohl in der politischen Debatte als auch in den Medien übertriebene Ausmaße erreicht. Eine verstärkte Sichtbarkeit von Sexarbeiter_innen in diesen Debatten könnte einen Weg darstellen, um Opfermythen zu bekämpfen und ein Bewusstsein für die Situation von Sexarbeiter_innen in Europa zu schaffen. Außerdem ist TAMPEP davon überzeugt, dass Sexarbeiter_innen gute Verbündete im Kampf gegen Menschenhandel sein können, da sie auf tatsächliche Opfer hinweisen könnten, sofern sie nicht selbst häufig kriminalisiert und unterbunden werden würden.

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Das Schwedische Modell. Abolitionistische feministische Lobbygruppen wie die European Women’s Lobby und Equality Now werden immer stärker und einflussreicher. Im Zuge der momentanen Debatten und der damit zusammenhängenden politischen Interessen zum Thema Frauenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und Prostitution haben diese Gruppen finanzielle Unterstützung bekommen. Abolitionistische Feminst_innen und Organisationen unterstützen häufig das sogenannte Schwedische Modell, was sich inzwischen zu einem gefährlichen europäischen und globalen Trend entwickelt hat.

Das Schwedische Modell – ein 1999 in Schweden entwickeltes Gesetzesmodell – zielt darauf ab, das Auftreten der Prostitution zu reduzieren, nicht aber darauf, sichere Arbeitsbedingungen für Sexarbeiter_innen zu gewährleisten. Diese rechtliche Initiative kriminalisiert Kund_innen von Sexarbeiter_innen und begreift alle Menschen in der Sexindustrie als Opfer. In Europa haben mehrere Staaten (Norwegen, Island und Nordirland, zuletzt auch Frankreich) Gesetze eingeführt, die Sexarbeiter_innen oder den Kauf sexueller Dienstleistungen kriminalisieren, ohne dabei Rücksicht auf die negativen Konsequenzen zu nehmen, die das für Sexarbeiter_innen hat. Schwedische Sexarbeiter_innen beobachten, dass ihnen nun weniger Zeit zur Verfügung steht, Arbeitsbedingungen oder sichere Arbeitsplätze auszuhandeln. Sexarbeiter_innen, die in privaten Räumlichkeiten arbeiten, können nicht länger Informationen wie z.B. Name und Telefonnummer ihrer Kund_innen verlangen und haben keine Zeit zu verhandeln, welche Leistungen angeboten werden können, wodurch ihre Sicherheit beeinträchtigt wird.

Sexarbeiterinnen, die im öffentlichen Raum auf der Straße arbeiten, sind am stärksten betroffen: Sie sind gezwungen, an den Rändern der Städte zu arbeiten, in kaum sichtbaren und schlecht zugänglichen Gebieten, in denen die Polizei ihre Kund_innen nicht verhaften kann. Es wird dadurch immer unwahrscheinlicher, dass sie Kontakt zu Beratungsstellen haben. Das Schwedische Modell basiert auf Ideologie und nicht auf Fakten. Wenn Kund_innen sich in der Gefahr sehen, verhaftet zu werden, wird Prostitution automatisch in den Untergrund gedrängt. Die Kriminalisierung von Kund_innen untergräbt die Selbstbestimmung von Sexarbeiter_innen, zwingt sie zudem in den Untergrund und verstärkt außerdem die Stigmatisierung und Diskriminierung, die bereits jetzt zur Marginalisierung von Sexarbeiter_innen führt.

Obwohl die gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen in Ländern wie den Niederlanden und Deutschland nicht frei von Problemen sind, delegitimieren die Ansätze zur Regulierung der Sexindustrie die Sexarbeit nicht und versuchen nicht wie das Schwedische Modell, Sexarbeit abzuschaffen. Befürworter_innen der Kriminalisierung von Kund_innen oder Sexarbeit insgesamt sind bereit, unter dem Vorwand des Schutzes von Frauen die Ansichten und Meinungen derjenigen außer Acht zu lassen, die direkt von dieser Kriminalisierung betroffen sind: Sexarbeiter_innen selbst.

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Verein LEFÖ – Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen
Kettenbrückengasse 15/II/4,
A-1050 Wien
Mail: info@lefoe.at
Web: www.lefoe.at

Schallmoos: Kriminalisierung von Sexarbeiterinnen*

  • 10.03.2016, 17:58
Seit November 2015 läuft die von der ÖVP initiierte Kampagne „Unterm Strich kein Spaß“. Sie verfolgt das Ziel, sowohl Sexarbeiterinnen* als auch deren potentielle Kunden aus dem Gebiet Schallmoos in Salzburg Stadt zu vertreiben. Die Mobilisierung gegen den dortigen Straßenstrich gibt es allerdings schon länger.

Seit November 2015 läuft die von der ÖVP initiierte Kampagne „Unterm Strich kein Spaß“. Sie verfolgt das Ziel, sowohl Sexarbeiterinnen* als auch deren potentielle Kunden aus dem Gebiet Schallmoos in Salzburg Stadt zu vertreiben. Die Mobilisierung gegen den dortigen Straßenstrich gibt es allerdings schon länger.

Der „Kampf“ gegen Sexarbeiterinnen* am Straßenstrich in Schallmoos ist kein neuer. Seit Jahren versuchen sowohl Harald Preuner (Vizebürgermeister von Salzburg, ÖVP) als auch die Polizei dort arbeitende Sexarbeiterinnen* durch wiederholte Kontrollen und Anzeigen zu vertreiben. Diese sogenannten Schwerpunktkontrollen zeigten allerdings mäßigen Erfolg. Frauen*, die bei diesen Kontrollen erwischt wurden, erhielten Verwaltungsstrafen, die sie entweder gleich bezahlten oder abgesessen haben. Danach sind sie wieder ihrer Arbeit nachgegangen. Nachdem aus Sicht mancher Anrainer*innen die Polizei und die Stadt Salzburg nicht imstande waren, den Straßenstrich „unter Kontrolle“ zu bringen, begannen sie sich selbst zu organisieren.

WÜTENDE BÜRGERWEHR. Im Oktober beschlossen Anrainer*innen in Schallmoos im Rahmen ihrer Vereinssitzung, dass sie nun eigenmächtig gegen den Straßenstrich vorgehen würden. Hierfür wollten sie Straßenpatrouillen einrichten und in kleinen Gruppen sogenannte „Kontrollgänge“ durch das Viertel unternehmen, um gezielt Sexarbeiterinnen* und angebliche Kunden und Zuhälter anzusprechen. Im Rahmen dieser bürgerwehrähnlichen Strukturen war weiters auch geplant, Autokennzeichen zu fotografieren und zu veröffentlichen. Es ist nicht das erste Mal, dass derartige Zusammenschlüsse wütender Anrainer*innen äußerst problematische Züge annehmen.

Nach dieser Entwicklung kam auch prompt die Reaktion der ÖVP, welche sich bereits seit Jahren die „Beseitigung„ des Straßenstrichs auf die Fahnen zu schreiben versucht. Peter Harlander (ÖVP-Gemeinderat) nahm sich der wütenden Anrainer*innen an und präsentierte im November die Plakat- Kampagne „Unterm Strich kein Spaß“. Idee der Kampagne ist es, sich große Schilder „umzuschnallen“ und mit diesen durch Schallmoos zu ziehen, um den Straßenstrich zu „säubern“. Auf den Schildern sind so kreative Sprüche zu lesen wie „Schallmoos ist kein Feuchtgebiet“, „Schenke deiner Frau lieber Blumen statt Herpes“ oder „Wahre Frauenhelden müssen nicht bezahlen“ – an Geschmacklosigkeit nur schwer zu übertreffen.

Doch wer denkt, das wäre bereits alles, hat sich getäuscht. In Zusammenarbeit mit der ÖVP, insbesondere mit Harald Preuner, und der Polizei, wurde eine „neue“ Strategie erarbeitet, um sich des „Problems“ der Sexarbeit zu entledigen: Abschiebung. Bei einer Kontrolle durch die Polizei können Sexarbeiterinnen* Strafen aufgrund des Landessicherheitsgesetzes des Geschlechtskrankheitengesetzes, oder nach dem Aidsgesetz bekommen. Nach vier verhängten Strafen wird unter Bezugnahme auf das Fremdenpolizeigesetz davon ausgegangen, dass die Sexarbeiterin* eine „Gefährdung“ für die öffentliche Sicherheit darstellt und somit abgeschoben werden kann, wenn sie nicht die österreichische Staatsbürger*innenschaft besitzt. Daran gekoppelt ist ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot in Österreich.

LÖSUNG BORDELL. In Salzburg ist die Ausübung von Sexarbeit sowohl auf der Straße als auch in Wohnungen illegal – allein in Bordellen ist sie legal. Dort ist es für Frauen* allerdings nicht möglich, selbstständig zu arbeiten. Vielmehr werden sie erst recht in ein Abhängigkeitsverhältnis gezwungen, indem sie beispielsweise hohe Abgaben an Bordellbetreiber*innen zahlen müssen, oder ihnen vorgeschrieben wird, wie und wie lange sie zu arbeiten haben. Bordelle sind für viele Sexarbeiterinnen* deshalb keine Option. Die Forderung der Politik, Sexarbeiterinnen* könnten doch in Bordellen arbeiten, zeugt letztlich also vor allem von dem Wunsch, Sexarbeit unsichtbar und leicht kontrollierbar zu machen. Die Bedürfnisse von jenen, die in der Sexarbeit tätig sind, spielen für sie keine Rolle.

Durch das Verhalten von Polizei und Magistrat verlieren die Frauen* jegliches Vertrauen zu diesen, was wiederum ihre Arbeit erst gefährlich macht. Werden sie um ihr Geld betrogen, bedroht oder missbraucht, ist es für sie keine Option, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Letztlich werden mit einer solchen repressiven Politik also Sexarbeiterinnen* isoliert und ein Kontakt zu ihnen wird verunmöglicht.

Eine andere Lösung schlägt beispielsweise Christine Nagl, die für das gesamte Bundesland Salzburg einzige Streetworkerin für Sexarbeiterinnen* und Leiterin der Beratungsstelle PiA, vor. Sie fordert eine Legalisierung des Straßenstrichs in Form einer betreuten Toleranzzone, für die eine entsprechende Infrastruktur errichtet werden soll. Ziel soll es sein, dass Sexarbeiterinnen* ein selbstständiges Arbeiten möglich ist. Leider steht sie mit ihrer Forderung recht alleine da. Währenddessen beginnt die Polizei erste Sexarbeiterinnen* abzuschieben – eine Praxis, mit der Österreich durchaus vertraut ist.

Brigitte Temel studiert Psychologie an der Universität Wien.

 

Energy & Folklore statt Eros & Amore

  • 08.05.2014, 09:55

Die Erotik-Messe „Eros und Amore“ tingelt alljährlich durch Österreich und Deutschland. Die Veranstaltungs-Website kündigt Niveau, Qualität und die Erfüllung erotischer Träume an. Hehre Versprechungen, die wir einem Realitätscheck unterzogen haben.

Die Erotik-Messe „Eros und Amore“ tingelt alljährlich durch Österreich und Deutschland. Die Veranstaltungs-Website kündigt Niveau, Qualität und die Erfüllung erotischer Träume an. Hehre Versprechungen, die wir einem Realitätscheck unterzogen haben.

Wer sich schon einmal in die Shopping City Süd begeben musste, der/m wird die architektonische Zumutung am Beginn des Einkaufszentrums nicht entgangen sein: die Pyramide Vösendorf. Sonst begegnet man diesem Bauwerk innerhalb der Wiener Stadtgrenze nur beim Anblick etwas schmuddelig wirkender neonfarbener Plakate, die den Gürtel und diverse Autobahnausfahrten säumen. Mindestens zweimal im Jahr bewerben diese in großen Lettern ein Event mit dem schlichten Titel „Erotikmesse“, das eben dort stattfindet. Nach Jahren der plakatförmigen Konfrontation mit dieser Veranstaltung können wir der Versuchung nicht mehr widerstehen. An einem verregneten Sonntag wagen wir uns zu „Eros und Amore“ in die Pyramide. Dort angekommen springen uns als erstes die Käse- und Brezelstände im Eingangsbereich ins Auge. Ihr autochthoner Charme konterkariert das Konzept des Messezentrums, mittels Kunstfelsen und Palmen ein tropisches Ambiente zu schaffen. Vor lauter Käse von Erotik erstmals keine Spur.

National-Pornos und Odenwald-Dildos Die Website der Messe verspricht „Top Qualität durch die speziell ausgewählten internationalen Aussteller, die die gesamte Bandbreite des Erotikmarktes präsentieren“. Nach ein paar Runden ist uns klar, dass sich das nicht bewahrheiten wird. Die meisten Stände bieten das gleiche Repertoire an Sextoys und schlecht verarbeiteten Dessous an. Dazwischen einige Regale mit heimatverbundenen Pornos. Die ProtagonistInnen sind auffallend häufig „potente Lederhosenträger“ und „stramme Dirnen in Tracht“. Die Aussteller mit einem abweichenden Angebot sind überschaubar. Da ist etwa die deplatzierte Holzhütte, in der ein resigniert wirkender Herr handgeschnitzte Holzdildos aus dem Odenwald anbietet. Ein Stand offeriert Absinth, wohl der Annahme folgend, dass diese Veranstaltung nüchtern nicht aushaltbar ist. Auch ein Tätowierer, ein Piercer und ein Hersteller von Massagestühlen sind anzutreffen. Nach dem Probesitzen auf letztgenannten Stühlen, müssen wir feststellen, dass unsere Wirbel sich „Top Qualität“ anders vorstellen.

 

 

Bayern-Pornos, Odenwald-Vibratoren oder ein auf schwarz-rot-goldenem Grund erstrahlendes „Bondage made in Germany“ lassen keine Zweifel an der regionalen Verwurzelung der Veranstaltung aufkommen. Erotik und Pornografie jenseits deutsch-österreichischer Gefilde sind dem Publikum offenbar nicht zumutbar. Ebenso unvorstellbar ist es für die VeranstalterInnen anscheinend, dass „Eros und Amore“ auch ein homosexuelles Publikum ansprechen könnte. Zwar gibt es Artikel zu kaufen, für die Homo- wie Heterosexuelle Verwendung finden können, doch kein einziger Stand oder Programmpunkt richtet sich dezidiert an ein nicht-heterosexuelles Publikum. Dabei sind durchaus einige Paare gleichen Geschlechts unter den MessebesucherInnen.

Es erstaunt, dass die MesseveranstalterInnen diese potentielle Zielgruppe nicht ansprechen. Erscheint es doch in Zeiten des Internets recht unattraktiv, das Produktangebot der Messe in Anspruch zu nehmen. Kaum jemand zückt angesichts der horrenden Preise den Geldbeutel und sogar in der zwanglosen Atmosphäre offen zur Schau gestellter Sexualität scheint niemand sich in der Schmuddelfilmecke sehen lassen zu wollen. Vielleicht liegt das aber auch an dem Pornoverkäufer, der gelangweilt Spaghetti-Bolognese in sich hineinschaufelt, während er lustlos das vorbeiströmende Publikum beäugt.

 

 

Wanderzirkus und Völkerschau Doch das Warenangebot erscheint für den Großteil der Anwesenden ohnehin nur sekundärer Grund für den Messebesuch zu sein. Die Hauptattraktion sind die im Halbstundentakt stattfindenden „neuen erotischen Choreographien in raffinierten Kostümen“, so beschreibt die Website die Performances. Wir müssen rasch feststellen, dass auch hier Dargebotenes und Ankündigungstext wenig miteinander zu tun haben. Die Mehrheit der BesucherInnen verfolgt die Shows aber mit nahezu sakraler Andacht. Moderator Dieter Deutsch (der Name ist Programm) kündigt die Shows an und erinnert dabei an einen etwas obszönen Zirkusdirektor auf Speed. Überhaupt gleicht die ganze Veranstaltung einem Wanderzirkus. Das Publikum wird  routiniert umworben, sichert es doch die gewiss nicht gerade horrenden Gagen der Auftretenden. Gleichzeitig gelingt es kaum einem/einer der DarstellerInnen, die Langeweile, die bei den immer gleichen Darbietungen aufkommen muss, zu verbergen.

 

 

Der Titel des ersten Programmpunkts, den wir verfolgen, ist „Silver Cocks und Edward mit den Scherenhänden“. Eine mit einem mittelalterlichen Kleid aus Vollsynthetik bekleidete Dame betritt die Bühne. Ihr folgt ein muskelbepackter Edward mit selbstgebastelten Scherenhänden aus Alufolie. Die Musik ist laut und gitarrenlastig, die Lichter grell, die Dame schnell entkleidet. In schönster Musical-Manier bewegen beide den Mund zum Gesang. Performance und Kostüme sind offenkundig liebevoll selbst kreiert. Das Publikum honoriert diese Bemühungen mit ehrfürchtigem Staunen. Die für uns schwer verständliche Geschichte scheint eine gewisse Romantik zu transportieren. Auffällig viele Pärchen haben sich vor der Bühne versammelt und schunkeln Arm in Arm. Nachdem der mittlerweile ebenfalls nackte Edward seine Partnerin ein paar Mal durch die Luft gewirbelt hat, ist der Spaß auch schon wieder vorbei. Der nächste Act wird anmoderiert. Mark Miller, so heißt es, werde nun „den Ladies“ etwas bieten. Das Publikum wechselt, bleibt aber überwiegend männlich.

Ganz dem Modell historischer SchaustellerInnen folgend, scheint Miller das Völkerschau-Element des Spektakels erfüllen zu müssen. Als schwarzer Darsteller ist er, mit Kunstafro und Rasseln ausgestattet, ganz auf rassistische Klischees reduziert. Dass sein Strip in einer Fixierung auf den Penis endet, verwundert bei einer solchen Präsentation nicht. Aber Rassismus allein scheint die abgründigen Sehnsüchte der Zuschauenden nicht zu befriedigen. Es bedarf auch noch einer chauvinistischen Pose, um das männliche Publikum bei Stange zu halten. Eine Besucherin wird auf die Bühne gehievt. In der Abschlussszene liegt Millers Penis auf ihrem Kopf. Nach der Performance betritt Dieter Deutsch grinsend die Bühne und vollendet das Ulrich Seidel-Szenario. Während Mark Miller weiter auf der Bühne posiert, wendet sich der Moderator an einen jungen Mann in der ersten Reihe. Er fordert ihn hämisch auf, doch ein paar Nahaufnahmen vom Penis des Strippers zu machen: „So einen schwarzen Rüssel siehst Du sonst nur auf Jamaika.“

Zwischen Hobby und Triebabfuhr Neben der großen Showbühne gibt es noch mehrere kleine Podeste auf denen „traditionell“ gestrippt wird. Hier stechen besonders einige ältere Männer hervor, die sich mit professioneller Kameraausrüstung vor den Bühnen positioniert haben. Verbissen beanspruchen sie ihre Plätze in der ersten Reihe. Ihre Objektive richten sie akribisch auf die sich entkleidenden Frauen. Den routinierten Handbewegungen der Stripperinnen sieht man die Tristesse ihres gleichförmigen Broterwerbs an. Die Hobbyfotografen ähneln mit ihren ernsten Mienen jenen Gestalten, die man auch an Flughäfen und Bahnhöfen antrifft, wo sie an Wochenenden ein- und abfahrende Fahrzeuge ablichten. Von Erotik auch hier keine Spur. Die posierenden Frauen scheinen für sie Sammelkartenmotive zu sein, die rasch ordnungsgemäß archiviert werden müssen. Bei den Einzelshootings beobachten wir dann auch keine ungestümen Annäherungsversuche, sondern bloß zügiges und schüchternes Abfotografieren.

 

 

Betrachtet man dieses Szenario ist es kaum vorstellbar, dass diese Personen auch das Klientel der anwesenden Prostituierten sind. Dass auch derartige Dienstleistungen Teil des Angebots sind, bleibt auf der Website der „EROS & AMORE" gänzlich unerwähnt. Es sei denn, man ist gewillt, dies aus der Formulierung herauszulesen: „Alles wird getan, um die Erotik-Messe zu einem wahren Fest für alle Sinne werden zu lassen.“ Vor dem Zugang zu einem sichtgeschützten Bereich stehen zwei leichtbekleidete Damen. Ihre gelegentlichen „Gangbang“-Rufe verhallen zumeist unerhört in den Weiten der Pyramide. Neben ihnen sitzt ein Herr in einem auffällig blauen Jackett. Würde man seinem Goldschmuck, seinem breiten Grinsen und seiner glänzenden Kopfhaut bei einem Zuhälter aus dem „Tatort“ begegnen, würde man sich über die klischeehafte Darstellung wundern. Geduldig lauschen zwei männliche Muskelberge den Ausführungen von „Video Rudi“. Dieses Gesamtbild verschreckt uns etwas, so dass wir erst bei der nachträglichen Internetrecherche Rudis Imperium bestaunen können. Der ungekrönte König der kommerziellen Wiener Gangbang-Szene veranstaltet regelmäßig „Gruppenfickereien“ zum kleinen Preis, bei denen die Arbeitsbedingungen der Sexarbeiterinnen vermutlich eine genauso große Rolle spielen wie Lust und Erotik.

Bei der Vösendorfer Veranstaltung scheint „Video Rudi“ gut etabliert zu sein. Sein Stand zählt zu den größten auf dem Messeareal und bietet neben einigen Werbezetteln routinierte Sadomaso-Shows. Dass auf den Flyern nicht bloß die „Video Rudi“-nahen Swingerclubs, sondern auch ganz explizit Sexarbeiterinnen beworben werden, ist auf der Messe kein Einzelfall. So stolpern wir auf dem Weg zum Ausgang noch über den Werbestand eines Laufhauses und bekommen zum Abschied Energydrinks in die Hand gedrückt, die mit den Konterfeis der „Engelchen&Teufelchen“ eines „Premium Escorts“ bedruckt sind.

Der versprochene „grenzenlose Basar erotischer Phantasien“ beschränkt sich in Vösendorf auf Menschenverachtung und Billigprodukte. „Prickelnde Überraschungen“ kann einer/m hier allenfalls noch der Inhalt von Getränkedosen verschaffen. Doch traurigerweise ist dies außerhalb der Pyramide kaum anders.

 

 

Theresa Schmidt studiert Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien und erlebt die Verelendung der Erotik lieber in der Literatur als in der Pyramide.

Fridolin Mallmann studiert Psychologie an der Universität Wien und sucht verdrängte Triebregungen lieber in seiner Psychotherapeutenausbildung als an Messeständen.

 

Verhärtete Fronten

  • 22.01.2014, 17:01

Die konfliktgeladene Debatte rund um das Verbot von Sexkauf ist in Österreich und Deutschland neu entflammt. Damit verbunden sind komplexe Fragestellungen zu Menschenrechten, Migrationspolitik und sozialer Sicherheit.
Ein Kommentar von Brigitte Theißl.

 

Die konfliktgeladene Debatte rund um das Verbot von Sexkauf ist in Österreich und Deutschland neu entflammt. Damit verbunden sind komplexe Fragestellungen zu Menschenrechten, Migrationspolitik und sozialer Sicherheit.
Ein Kommentar von Brigitte Theißl.

„Wir fordern: Prostitution abschaffen! Ändert endlich das Zuhälter-Gesetz“, ist auf der Titelseite der aktuellen Emma zu lesen. 90 prominente Persönlichkeiten, die ihren „Appell gegen Prostitution“ unterzeichnet haben – unter ihnen etwa Heiner Geißler, Senta Berger und Sarah Wiener –, hat Alice Schwarzer um sich geschart. Der Appell richtet sich an den Deutschen Bundestag, der 2001 ein Prostitutionsgesetz verabschiedete, das im europäischen Ländervergleich zu den liberalsten zählt. Zeitgleich zum Start der Kampagne veröffentlichte Schwarzer ihr neues Buch „Prostitution – Ein deutscher Skandal“. Wer zum Emma-Jahres-Abo greift, erhält als Geschenk das ebenfalls 2013 erschienene „Es reicht! Gegen Sexismus im Beruf“ – Schwarzer produziert am laufenden Band. Und was Deutschlands berühmteste Feministin sagt, hat Gewicht: Ihre Bestseller werden im Spiegel und in der Bild besprochen, sie ist Dauergast in TV-Talkshows. Feministische Themen, die kaum Eingang in Mainstream-Medien finden, erhalten erst mithilfe von Schwarzer Nachrichtenwert.

Sexkaufverbot. Die in Österreich schon seit einigen Monaten heftig geführte Debatte rund um Prostitution – beziehungsweise Sexarbeit – hingegen wurde bisher vorrangig von feministischen und alternativen Medien abseits des „Malestreams“ aufgegriffen. Auslöser für das erneute Aufflammen der Diskussion war ein Petitionstext: Im April 2013 veröffentlichte der neu gegründete Verein feministischer Diskurs den „Wiener Appell“, der sich am schwedischen Gesetzesmodell orientiert und ein Verbot von Sexkauf fordert. In Schweden ist Sexkauf bereits seit 1999 verboten – unter Strafe gestellt ist dort also nicht das Anbieten der sexuellen Dienstleistung, sondern der Kauf derselben durch die Freier. Was für den Verein feministischer Diskurs und Emma als Vorzeigemodell gilt, wird von vielen Sexarbeiter_innen-Verbänden und NGOs, die sich für die Betroffenen einsetzen, heftig kritisiert. Die feministische Migrantinnen-Organisation LEFÖ pocht etwa auf „eine klare Differenzierung zwischen Frauenhandel, Gewalt in jeglichem Sinn einerseits und (freiwilliger) Sexarbeit andererseits“ und kämpft für die Ausweitung der Rechte von Sexarbeiter_innen in Österreich.

Rund 80 Prozent der Dienstleister_innen, die in Bordellen, Privatwohnungen oder den wenigen erlaubten Zonen am Wiener Straßenstrich, unter zumeist schlechten Bedingungen arbeiten, sind Migrant_innen. Schwarzer und andere Aktivist_innen, die sich für ein Verbot der Prostitution stark machen, sehen Sexarbeiter_innen vorrangig als Opfer von Menschenhandel, als Zwangsprostituierte, die von Zuhältern mit falschen Versprechungen von Ost- nach Westeuropa gelockt wurden. Wie es den zugewanderten Frauen, den wenigen Männern und Transpersonen, die in diesem Sektor arbeiten, tatsächlich geht, darüber gibt es aber – sowohl vonseiten staatlicher Behörden als auch von Wissenschafter_innen – nur wenig aussagekräftiges Datenmaterial. Sexarbeiter_innen sind vielfach von rassistischer und sexistischer Diskriminierung (unter anderem durch Gesetze) betroffen und stehen als eine Art Gegenbild zur bürgerlich-sittsamen Frau im gesellschaftlichen Abseits.

Die Wiener Soziologin Helga Amesberger hat an einer internationalen Studie zu Prostitution mitgear- beitet und dafür mit einer großen Anzahl von Sexar- beiter_innen gesprochen. Amesberger steht Verbots- Modellen äußerst kritisch gegenüber, wie sie unter anderem in einem Interview mit der Tageszeitung Die Presse erzählte. In Schweden etwa sei Prostitution nicht zurückgegangen oder Freier abgeschreckt worden, das Geschäft habe sich vielmehr in die Unsichtbarkeit verlagert. Damit habe sich der Druck auf Sexarbeiter_innen erhöht.

Ausblendungen. Auch wenn sich Sexarbeit als äußerst prekärer Sektor darstellt – der Mythos vom schnell und einfach verdienten Geld entstammt vorrangig Drehbüchern –, kritisieren viele Autor_innen das Ausblenden ermächtigender Aspekte von (migrantischer) Sexarbeit: „Durch die Gleichsetzung von Sexarbeit und Frauenhandel werden Migrant_innen generell als naive Opfer konstruiert und darüber hinaus häufig auf eine sehr sensationalistische Art medial präsentiert. Dass die Migration in die Sexarbeit selbst eine Strategie sein kann, um sich zu wehren, sie eine Möglichkeit sein kann, den patriarchalen Strukturen im Herkunftsland zu entkommen und ökonomische Unabhängigkeit zu erreichen, wird somit völlig ausgeblendet“, schreiben etwa Gergana Mineva, Luzenir Caixeta und Melanie Hamen in der aktuellen Schwerpunkt-Ausgabe des Onlinemagazins Migrazine.at. Die Autorinnen richten ihren Fokus damit auf eine zentrale Perspektive – die ökonomische. Sexarbeit muss vor dem Hintergrund eines wachsenden informellen Dienstleistungssektors und der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen analysiert werden. Es ist die alte feministische Forderung der eigenständigen Existenzsicherung von Frauen, die in Zeiten europäischer Krisenpolitik höchst aktuell ist. Es gilt jedoch auch, sich im Zuge einer berechtigten Abwehr paternalistischer Zuschreibungen nicht im neoliberalen Diskurs der Freiwilligkeit und Selbstbestimmung zu verstricken: Auch Sexarbeiter_innen, die ihren Beruf freiwillig (also ohne Ausübung von Zwang durch andere Personen) gewählt haben, sind in gesellschaftliche Machtverhältnisse, sexistische und rassistische Gewaltstrukturen eingebettet.

Nicht nur in Österreich und Deutschland wird aktuell über Prostitution diskutiert – so wurde etwa auch in Frankreich ein Gesetzesentwurf zum Verbot von Sexkauf vorgelegt. Angesichts der 2014 anstehenden Wahl zum europäischen Parlament könnte sich die Debatte verschärfen. Diese ist derart vielschichtig, dass ihr eine Zuspitzung auf Legalisierung oder Verbot, auf Freiwilligkeit oder patriarchale Ausbeutung keinesfalls gerecht wird. Auch wenn es dringend Öffentlichkeit für feministische Fragestellungen braucht – die Stärke feministischer Wissensproduktion war immer schon die machtkritische Analyse, nicht die medienwirksame Kampagne.

 

Brigitte Theißl ist Redakteurin des feministischen Monatsmagazins an.schläge, betreibt zusammen mit Betina Aumair den Verein Genderraum und bloggt unter www.denkwerkstattblog.net.

 

Globaler Frauenhandel

  • 17.12.2012, 11:11

Um einen gut bezahlten Job in Europa zu bekommen, würden viele Frauen und Mädchen in Uganda alles aufgeben. Eine Reportage über Frauenhandel und Sexarbeit.

Um einen gut bezahlten Job in Europa zu bekommen, würden viele Frauen und Mädchen in Uganda alles aufgeben. Eine Reportage über Menschenhandel und Sexarbeit aus Kampala.

Sarah hat Angst. Die junge Uganderin Mitte zwanzig rutscht unruhig auf dem Sessel herum. Sie sitzt auf der Veranda eines Hauses in Ugandas Hauptstadt Kampala. Sie sieht abgemagert aus, hat Schatten unter den Augen. „Ich weiß, dass sie nach mir suchen“, flüstert sie. Deswegen traut sie sich nicht nach Hause. Sie übernachtet bei Freundinnen. Tagsüber sitzt sie auf dieser sicheren Veranda der Honorarkonsulin Ugandas zu Malaysia, Hajah Noraihan - eine energische Malaysierin und Sarahs Retterin vor einem Leben in Prostitution und Sklaverei in Asien.

Sarah ist nicht ihr richtiger Name. Ihre Geschichte lässt sich nicht bis ins Detail erzählen – aus Schutz, damit ihre MenschenhändlerInnen sie nicht aufspüren. Jedes Detail könnte sie verraten.

Sarah ist erst seit wenigen Wochen zurück in ihrer Heimat – nach einem Horrortrip nach Malaysia. Dabei hatte sie von einem gutbezahlten Job in Europa geträumt. „Man hatte mir eine Stelle als Serviererin in einem Restaurant versprochen“, erzählt sie. „Doch das war eine Lüge!“

Sarahs Geschichte ähnelt der von weiteren 13 Mädchen, die Honorarkonsulin Noraihan in den vergangenen drei Monaten aus Malaysia zurück nach Uganda gebracht hat. „Ich war jahrelang arbeitslos“ - so beginnen fast alle 14 Aussagen. Einige der Mädchen hatten in Kampalas Einkaufszentren ausgehängte Flyer entdeckt, auf welchen mit Jobs in Asien geworben wird. Andere haben wie Sarah den Versprechungen von Bekannten vertraut: „Es war eine ugandische Frau, die mich angeworben hat, warum hätte ich etwas Schlimmes vermuten sollen?“,  berichtet Sarah. Heute weiß sie, dass dies eine Taktik des Schmuggelrings ist. Eine Taktik, harmlos zu wirken, Vertrauen unter Frauen aufzubauen: „Die Frau sagte, ihre Schwester habe ein Restaurant in Europa, in welchem ich arbeiten soll“, erzählt sie. Über 300 Dollar könne sie dort monatlich verdienen. Das überzeugte Sarah. 

Sarah war noch nie im Ausland gewesen. Sie besaß nicht einmal einen Reisepass, für dessen Ausstellung sie sich Geld von Verwandten leihen musste. Die ominöse Uganderin fuhr Sarah zum Flughafen, drückte ihr dort ein Ticket in die Hand. Dann ließ sie das reisefiebrige Mädchen einen Vertrag unterzeichnen: Sie würde alle Reisekosten im Wert von 7000 Dollar abarbeiten. Sarah unterschrieb.

„Als das Flugzeug in Malaysia landete, war ich verwirrt“, gibt Sarah zu. „Ich sollte doch nach Europa“. In ihrer Verzweiflung rief sie die Nummer an, die sie erhalten hatte. Es meldete sich eine ugandische Frauenstimme, die sie mit einem Taxi abholen ließ – die Schwester derjenigen Frau, die sie rekrutiert hatte. Sie steckten Sarah mit zehn weiteren ugandischen Mädchen in ein Apartment in Kuala Lumpur. Sie händigte ihr Miniröcke und bauchfreie Tops aus: „Dein Job im Restaurant ist nicht Essen zu servieren, sondern dich selbst“. Sie nahm Sarah ihren Pass ab. Sarah saß in der Falle - wie so viele andere Mädchen auch. „Die Wohnsiedlung waren voller Mädchen aus Uganda“, berichtet Sarah. Jeden Abend mussten sie ihre Schichten antreten: In Hotels oder Kneipen – oder ihnen wurden die Männer direkt ins Apartment geschickt: „Die Freier waren ausschließlich Nigerianer, die in Malaysia Geschäfte machen“.

Honorarkonsulin Noraihan wurde unfreiwillig in die Geschichte verwickelt. „Eines Tages standen diese  Mädchen vor meiner Tür“, erzählt sie. Höchstpersönlich hat die Konsulin die Mädchen nach Kampala gebracht.

Noraihan zeigt Fotos auf ihrem Computer: Halbnackt liegt ein Mädchen auf dem Bett. Ihr Bauch ist aufgeschnitten. „Wenn sich die Mädchen weigern, werden sie umgebracht“, seufzt Noraihan: Es gebe es nur einen Weg, diese Verbrechen zu stoppen: Aufklärungsarbeit an der Quelle, also in Uganda selbst zu betreiben, sagt sie und greift zum Telefon: Polizeikommandeur Asan Kasingye ist dran, Direktor von Interpol in Uganda, der eine Menschenschmuggel-Einheit einrichten will. Auch er will Sarahs Aussage aufnehmen.

Kasingye sitzt in feiner Uniform hinter seinem ordentlich aufgeräumten Schreibtisch. Der Offizier ist erst seit drei Monaten im Amt – aber er hat den Menschenhandel zur Chefsache erklärt. „Wir müssen verhindern, dass unsere Mädchen dieser modernen Art von Sklaverei zum Opfer fallen“, erklärt er. Eben erst hat er Einheiten entsendet, Verhaftungen durchzuführen. „Wir haben Spuren, wo und von wem die Mädchen rekrutiert werden“, nickt er. Sein Fazit: „Es ist ein globaler Schmuggelring, dem in Kampala einige UganderInnen zuarbeiten“, sagt er „Der Anstieg ist alarmierend“, nickt er: „Wir sprechen von tausenden Mädchen, die monatlich den MenschenhändlerInnen ins Netz gehen“.