Schule

Kann Schule soziale Ungleichheit verringern?

  • 20.06.2017, 20:40
Stefan Hopmann ist international anerkannter Professor für Vergleichende Bildungswissenschaften an der Universität Wien. Mit progress spricht er über Schulkultur, Standardisierung und die Flucht des Mittelstandes.

Stefan Hopmann ist international anerkannter Professor für Vergleichende Bildungswissenschaften an der Universität Wien. Mit progress spricht er über Schulkultur, Standardisierung und die Flucht des Mittelstandes.

progress: Unser Schulsystem ist in vielen Dingen gut, aber schlecht darin, soziale Ungerechtigkeit zu verringern, stimmen Sie zu?
Stefan Hopmann: Ja, da stimme ich zu. Allerdings mit einem Nachsatz: Wieso nehmen wir eigentlich an, dass Schule Ungleichheit verringern kann oder soll? Meiner Meinung nach ist diese Ansicht Teil des großen Kompromisses, auf dem unsere Gesellschaft aufgebaut ist: Wir tauschen Steuern gegen Beteiligung am Risiko geboren zu sein, also Alter, Krankheit, Bildung.

In bürgerlichen Institutionen werden deshalb formal alle gleich behandelt. So auch im österreichischen Schulsystem: Alle sollen gleich behandelt werden, obwohl sie eigentlich verschieden sind. Das bedeutet, dass formal Chancengleichheit besteht, weil ja allen die gleichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Leider geht diese Rechnung in der Praxis aber nicht auf, da die SchülerInnen wie gesagt aus unterschiedlichen Kontexten kommen. Schwächere SchülerInnen bräuchten gezielte Förderungen, um die gleichen Chancen zu haben wie ihre KollegInnen. Reformen wie die Ganztagsschule sind diesem Gedanken widersprüchlich, weil sie eben diese Unterschiede nicht ausgleichen. Wir sprechen deshalb von einem kontrafaktischen Gleichheitsverständnis.

Wer kann Ungleichheit vermindern, wenn nicht die Schule?
Aktuell sind alle westlichen Gesellschaften von einem Anstieg an Ungleichheit gekennzeichnet, die Bildung alleine ist überfordert, wenn die Gesellschaft nicht ebenfalls versucht, Gleichheit zu schaffen. Dass Schule alleine überfordert ist, zeigt sich zum Beispiel an Leistungstests, also an Überprüfungen von SchülerInnenleistung wie PISA: Oft ist hier das Problem, dass sozial schwächere SchülerInnen auch schlechter abschneiden. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, was die Ursache dafür ist: Liegt das schlechtere Ergebnis vor allem an LehrerInnen, SchülerInnen, didaktischen Methoden oder der Schulstruktur? Das Ergebnis ist ernüchternd: Nur 10 bis 15 Prozent der Unterschiede lassen sich überhaupt auf Strukturen in der Schule zurückführen. Viel prägender sind Faktoren wie Herkunft, Muttersprache oder finanzielle Situation und Bildungsgrad der Familie. Wenn man also wirklich weniger Ungleichheit in der Gesellschaft schaffen will, muss man beginnen, auch Vermögen radikaler umzuverteilen.

Was ist das Problem am österreichischen Bildungssystem? Braucht es mehr Budget?
Nein, es braucht sicher kein größeres Budget. Wir haben bereits eines der teuersten Schulsysteme der Welt und geben mehr Geld aus als Länder wie Finnland oder Norwegen. Das Problem in Österreich ist also nicht die Größe, sondern die „gießkannenartige“ Verteilung der finanziellen Mittel. Man versucht, ganz im Sinne des oben beschriebenen Prinzips, allen möglichst gleich viele finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Viel effektiver wäre es meiner Meinung nach, statt großflächigen Reformen wie dem Pflichtkindergarten bedürftige Kinder und Einrichtungen gezielt zu unterstützen.

Sie sind Professor für Vergleichende Bildungsforschung – gibt es ein Land, das es richtig macht?
Ja und nein. Einerseits ist natürlich kein Schulsystem perfekt, andererseits gibt es schon Länder, von denen wir einiges lernen können. So werden zum Beispiel in manchen skandinavischen Ländern die Eltern viel stärker in den Schulbetrieb miteinbezogen. Zudem sind die Gestaltungsspielräume für Schulen viel größer. Oft ist die Schule Mittelpunkt einer Gemeinde und wird als sehr wichtig angesehen – da ist es dann selbstverständlich, dass sich der BürgermeisterInnen um den Sportplatz kümmern.

Natürlich leiden aber alle westlichen Gesellschaften unter dem Problem, dass es zu wenig soziale Durchmischung an Schulen gibt. Wir bezeichnen dies auch als „Flucht des Mittelstandes“. In allen westlichen Gesellschaften, also auch in Österreich, ist zu beobachten, dass Eltern, die es sich leisten können, ihre Kinder privat einschulen. Gesellschaftspolitisch ist das problematisch, man kann es aber nur durch mehr Qualität in den öffentlichen Schulen verhindern.

Wie kann man diesem Phänomen entgegenwirken?
Gezielte Förderungen schwächerer Schulen könnten der „Flucht des Mittelstandes“ entgegenwirken. Weil Bildung sehr wichtig ist, wird darin investiert. In vielen Ländern ist es nicht ungewöhnlich, einen Kredit aufs Haus aufzunehmen, um den Privatschulbesuch des Nachwuchses zu finanzieren. Eltern sind bereit, an allen Rädchen zu drehen, die sie nur irgendwie finden können, damit ihre Kinder auf die „richtige“ Schule kommen – und die ist eben oft privat. Die einzige Art, das zu unterbinden, ist an öffentlichen Schulen eine Qualität zu schaffen, die die „Flucht ins Private“ unnötig macht. Denn letztendlich sind es die Eltern, die die Schulentscheidung treffen und auf jeden Fall das Beste für ihr Kind wollen.

Welche Rolle spielen die LehrerInnen in der Umsetzung neuer Konzepte?
Eine Schlüsselrolle. Das Problem dabei ist, dass LehrerInnen nicht so sehr durch die Universität oder Ausbildung geformt werden wie durch den ersten Arbeitsplatz. Dort werden die neu Dazugekommenen nach dem Motto „Hier machen wir das so“ eingewiesen. Dadurch ändert sich sehr wenig an der Unterrichtsart an Schulen.

Dennoch gibt es auch Positivbeispiele und neue Konzepte wurden angenommen – zum Beispiel in Norwegen. Hier wird nun nicht länger in Klassen unterrichtet, sondern viel freier. Für die LehrerInnen hat das natürlich eine große Umstellung bedeutet: Sie wussten am Anfang eines Tages nicht mehr, was sie erwarten würde, mussten plötzlich viel spontaner sein und sich an neue Situationen anpassen. Anfangs hat das großes Misstrauen erweckt, doch nach einiger Zeit lernten sie die Vorteile schätzen. Allerdings brauchen solche Implementierungsprozesse immer Zeit, um die LehrerInnen von der Umstellung zu überzeugen. Dazwischen liegt ein „Jammertal“, eine Phase der Umgewöhnung und Ablehnung, die zu überwinden man den LehrerInnen helfen muss. Man sollte ihnen also vor Augen führen, warum sich die Umstellungen lohnen könnten und Engagement belohnen.

Hinzu kommt noch ein weiteres Problem: Als beispielsweise die Neue Mittelschule (NMS) eingeführt wurde, gab es viele LehrerInnen, die Initiative ergriffen haben und tolle, neue Konzepte ausgearbeitet haben. Als die NMS dann zur Regelschule erklärt wurde, wurden viele dieser Konzepte verboten. Natürlich ist so etwas sehr frustrierend und hemmt den Willen der LehrerInnen, sich auf Neues einzulassen.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Standardisierung und Chancengleichheit?
Ja, aber einen kontrafaktischen: Die Begründung von Standardisierung ist eigentlich, dass die Besten durchkommen, wenn man allen die gleichen Ressourcen gibt. Wenn also alle einen Standard erfüllen müssen und das gleiche Maß an Unterstützung bekommen, sollte Herkunft kein ausschlaggebender Faktor zum Schulerfolg sein. In der Realität ist das aber oft anders herum.

Grund dafür ist einerseits, dass diejenigen mit mehr Ressourcen auch mehr Ressourcen haben, um auf neue Standards zu reagieren. So können sich SchülerInnen aus reicheren Familien beispielsweise Zusatzmaterialien zu neuen Standards wie der Zentralmatura leisten, die für finanziell weniger starke KollegInnen schwerer zugänglich sind. Außerdem profitieren Kinder aus bildungsnäheren Familien von der längeren Schulerfahrung der Eltern.

Hinzu kommt noch, dass im Zuge der zunehmenden Standardisierung SchülerInnenleistungen immer öfter überprüft werden. Das bedeutet auch, dass von dem, was die SchülerInnen leisten, auf die Leistung von Schule und Lehrenden geschlossen wird. Dass so ein linearer Schluss nicht treffend ist, mag logisch erscheinen, in der Praxis wird aber genau auf diese Weise argumentiert. So stehen Lehrende und Schulen unter Druck – plötzlich müssen sie sich rechtfertigen, wieso ihre Klasse oder ihr Jahrgang etwas kann oder nicht kann. LehrerInnen neigen deshalb dazu, sich auf das mittlere Leistungsfeld zu konzentrieren, denn hier ist es am einfachsten, Zugewinne zu generieren. Dabei geht das Augenmerk auf SchülerInnen, die über- oder unterdurchschnittliche Leistungen erbringen, verloren. VerliererInnen der Standardisierung sind also die sozial Schwachen.

Sie stellen dem das Konzept der starken Schule entgegen.
So ist es. In der Schule gibt es zwei wichtige Pole, zwischen denen den SchülerInnen Wissen vermittelt wird: Einerseits ist das Qualifizieren, also das Erlernen bestimmter Fähigkeiten bzw. Kompetenzen, ein wichtiger Aspekt. Andererseits von großer Bedeutung ist das Kultivieren, also das Sozialisieren, das dazu führt, dass Kinder Teil einer Gemeinschaft und letztlich Mitglieder unserer Gesellschaft werden.

Ich reise aktuell mit einer Vortragsreihe zum Thema „starke Schule“ durchs Land, da ich überzeugt bin, dass der Fehler, der gerade gemacht wird, ist, dass zu viel Fokus auf Qualifizierung gelegt wird. Dabei geht die Schulkultur verloren.

Eine Schule ist stark, wenn sie eine starke Schulkultur hat. Das bedeutet, dass klar ist, warum die SchülerInnen da sind, was sie machen sollen und wie. Meiner Ansicht nach ist das einer der Hauptgründe, warum SchülerInnen an Privatschulen meist gute Ergebnisse erzielen. Solche Schulen haben eine klare Identität, mit der man sich identifizieren kann. Allen Kindern ist klar, was die Schule, die sie besuchen, ausmacht.

Wie profitieren sozial schwächere Kinder von dem Konzept der starken Schule?
So eine starke Schulkultur macht es neuen oder sozial schwächeren SchülerInnen einfacher, sich in die Gemeinschaft einzufügen. Untersuchungen haben ergeben, dass durch starke Schulkultur langfristig alle SchülerInnen bessere Ergebnisse in Leistungstests erzielen. Kinder, die an Schulen wie „die Schotten“ gehen, fühlen sich als Teil eines Ganzen und sind stolz auf ihre Schule. Darum helfen sie sich gegenseitig und sind motivierter, weil man das so macht hier. Solche sozialen Dynamiken sind extrem wirkungsvoll.

Clara Porak studiert Deutsche Philologie und Bildungswissenschaften an der Universität Wien.

Pornos an der Schule

  • 11.05.2017, 20:15
Pornographie hat längst im kulturellen und sozialen Leben von Kindern und Jugendlichen Fuß gefasst. Wieso sollte sie nicht Gegenstand des Sexualunterrichtes sein?

Pornographie hat längst im kulturellen und sozialen Leben von Kindern und Jugendlichen Fuß gefasst. Wieso sollte sie nicht Gegenstand des Sexualunterrichtes sein?

Pornographie ist ein Konsumgut unserer Gesellschaft. Man kann ganz nach eigenem Belieben im Internet darauf zugreifen. Die Suchkategorien sind vielzählig. Die Industrie richtet sich stark nach männlichen Interessen und expandiert, um möglichst viele sexuelle Vorlieben anzusprechen. Etwa 1,5 Milliarden Besucher_innen pro Monat verzeichnen allein die drei beliebtesten Seiten (Pornhub, xHamster und Redtube).

OMNIPRÄSENTES THEMA. Wir beschäftigen uns aktiv mit unserer Sexualität und tauschen uns mit Freund_innen über Erfahrungen aus. Gönnen wir uns kurz eine Pause, konfrontieren uns Medien und Werbung mit dieser Thematik. Pornografische Inhalte umgeben uns somit täglich und der soziale Druck ist da. Diese Einflüsse übertragen sich auch auf Kinder und Jugendliche. Trotzdem wird Pornographie tabuisiert und erscheint als Randthematik in der schulischen Sexualerziehung.

PURE ROMANTIK. An der University of Arkansas ergab eine inhaltliche Analyse der meist konsumiertesten Porno-Filme, dass in 89 % physische Aggression und in 49 % verbale Aggression angewendet wird, die hauptsächlich von Männer ausgeübt und von Frauen mit Vergnügen oder einem neutralen Verhalten geduldet wird. Bringt der offene und in vielen Fällen unkontrollierte Zugang zu Pornographie eine neue Generation kleiner gewaltbereiter Sexist_innen hervor, die von Liebe und Lust nichts wissen möchten?

In „Alles Porno?“ befasst sich Laura Kuhle anhand verschiedener Studien mit dem Sexualverhalten heutiger Kinder und Jugendlicher. Der Erstkontakt mit Pornographie erfolge durchschnittlich im Alter zwischen elf und zwölf Jahren. Etwa die Hälfte der befragten 16 bis 19-Jährigen geben an, mindestens einmal in der Woche Pornos zu konsumieren. Wo Mädchen Neugier, Spaß und Lernen angeben, steht die sexuelle Erregung und Selbstbefriedigung für Buben im Vordergrund. Um Auswirkungen und Einfluss des Pornographiekonsums zufriedenstellend zu erforschen, wären Langzeitstudien nötig. Mit keiner der herangezogenen Studien ließen sich jedoch „schädliche Auswirkungen auf das Sexualleben Jugendlicher und ihrer Lebensgestaltung“ belegen.

ÄNGSTE UND SORGEN. Dieses Differenzieren beherrschen aber nicht alle in gleichem Maße. Zwar lassen die Studien keine Rückschlüsse auf gewalttätige, sexistische oder misogyne Verhaltensweisen, doch stellt Kuhle gleichermaßen fest, dass Kinder durch Pornographie einen Leistungsdruck verspüren und damit überfordert, verunsichert und verängstigt seien. Die entscheidenden Komponenten hinsichtlich einer negativen Beeinflussung der Psyche und des Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen sind „Medienkompetenz, eigene sexuelle Erfahrung, wahrgenommene Realitätsnähe der pornographischen Skripte, sowie das soziale und kulturelle Umfeld der Jugendlichen“. Sind diese Bereiche nicht genug entwickelt, erfolgt keine Differenzierung zwischen diesen Welten. Wo Mädchen sich fragen, ob sie gewisse Praktiken ausführen oder unterwürfig sein müssen, bedienen sich Buben des Porno-Jargons, um an ihrer männlichen Identität zu basteln und beschäftigen sich mit Leistungsfaktoren wie Ausdauer und Penisgröße.

KLARTEXT IN DER SCHULE. Es ist wichtig, dass sich Eltern möglichst früh mit der Aufklärung der Kinder beschäftigen und Fragen beantworten. Laut dem deutschen Sexualberatungsverband ProFamilia gehen diese Fragen mit zunehmendem Alter eher zurück, da dieser intime Thematik als unangenehm empfunden wird. Stattdessen wenden sich Kinder und Jugendliche an Gleichaltrige, um sich auszutauschen. Deswegen sollte die Auseinandersetzung mit Pornographie Teil der Sexualerziehung im schulischen Kontext darstellen.

In Großbritannien versucht man den Zugang zur Pornographie für Minderjährige mittels Gesetzen und Blockaden zu erschweren. Ob dieser Ansatz Früchte tragen wird, ist fraglich, wenn man bedenkt, wie technologieaffin jüngere Generationen sind. Während die dänische Forderung, Porno-Videos als Unterrichtsmaterial zu zeigen, etwas gewagt wirkt, könnten Lehrer_innen zumindest gezielt auf das Halbwissen der Kinder eingehen und damit arbeiten. Ein wesentliches Problem sei, laut dem Sexualwissenschaftler Konrad Weller, die nicht stattfindende frühzeitige Begleitung sexueller Sozialisation. Stattdessen werde eine Verwahrlosungsdebatte geführt, in der Kinder und Jugendliche zu „präsexuellen Wesen verklärt werden“.

M. Liebon studiert Rechtswissenschaften an der Universität Wien.

­Coming Out in der Schule?!

  • 25.05.2016, 23:44
Nicht nur für Schüler*innen, sondern auch für Lehrer*innen ist die Frage nach der sexuellen Orientierung bzw. Identität ein Thema am Arbeitsplatz Schule.

Nicht nur für Schüler*innen, sondern auch für Lehrer*innen ist die Frage nach der sexuellen Orientierung bzw. Identität ein Thema am Arbeitsplatz Schule.

Lesbischen, schwulen, bisexuellen und queeren Lehrer*innen und anderen Bildungsarbeiter*innen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, werden nach wie vor große Vorbehalte entgegengebracht. Obwohl die rechtliche Situation eine einigermaßen große Sicherheit bietet, Beratungsstellen bei Problemen und Mobbingfällen bereitstehen, sind offen queere Lehrer*innen nach wie vor die Ausnahme. Es ist ein Widerspruch, dass es einerseits Projekte für Schüler*innen zu nicht-heteronormativen Lebensweisen gibt, die nicht-hetero oder cissexuelle Lehrkraft in punkto Sichtbarkeit jedoch die große Ausnahme darstellt.

Die Tabuisierung dieser Themen führt auf mehreren Ebenen zu Problemen. Erstens trifft sie Kinder und Jugendliche, die sich in ihrer geschlechtlichen Entwicklung nicht mit den vorhandenen Normen identifizieren, denn sie bleiben mit ihren Fragen und Positionen allein. Nicht selten hat dieses Orientierungsvakuum negative Auswirkungen auf die Identitätsentwicklung der Heranwachsenden. Zweitens bedeutet eine Tabuisierung nicht-heteronormativer Lebensweisen die Vielfalt gesellschaftlicher Wirklichkeit nicht kennen zu lernen und in Folge keinen selbstsicheren Umgang damit zu finden. Verständnis für Differenzen und Anerkennung der realen gesellschaftlichen Diversität wären Teile des staatlichen Bildungsauftrags.

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Schließlich kann die genannte Tabuisierung zu einer erheblichen Belastung von Lehrkräften selbst führen, die homo-, bi-, trans- oder intersexuell leben. Das Coming Out ist nicht nur für Schüler*innen einfacher, wenn sie Unterstützungsstrukturen, Austauschmöglichkeiten und role models zur Verfügung haben. Auch für Eltern, aber vor allem für Lehrer*innen sowie angehende Pädagog*innen ist dies der Fall.

Deshalb wurde in Wien die offene Gruppe „EDUqueer. LGBTIQ Lehrpersonen in Österreich“ gegründet. Im Rahmen der monatlichen Treffen sind einerseits Austausch über Erfahrungen und Strategien möglich, andererseits auch politische Bewusstseinsbildung – etwa im Sinne der Selbstermächtigung.

Die Treffen finden jeweils am dritten Dienstag im Monat um 18 Uhr im Gruppenraum der Türkis Rosa Lila Villa (6., Linke Wienzeile 102, 1. Stock) statt.

Die nächsten Termine vor der Sommerpause sind der 17. Mai und der 28. Juni 2016. Weitere Informationen und Kontaktmöglichkeiten gibt es auf unserer Facebookseite und auf unserer Homepage: www.eduqueer.at

Elftes Gebot: Du sollst kein Tschuschisch sprechen!

  • 18.03.2015, 13:25

Die Rektorin einer Mödlinger Privatschule verhängte am Montag ein Deutsch-Gebot. Das kommt auch an öffentlichen Schulen vor, ist aber illegal.

Die Rektorin einer Mödlinger Privatschule verhängte am Montag ein Deutsch-Gebot. Das kommt auch an öffentlichen Schulen vor, ist aber illegal.

Am 16. März verschickte OStR Mag. Marina Röhrenbacher einen Brief an die SchülerInnen der Vienna Business School Mödling (VBS). Er ist fett mit „Amtssprache Deutsch“ übertitelt. Darin steht, fortan dürfe – abgesehen vom Fremdsprachen-Unterricht – nur noch Deutsch in der Schule gesprochen werden. Jugendliche, deren Eltern kaum Deutsch beherrschen, sollen sich demnach für Telefonate mit ihren Verwandten einen Bereich suchen, wo sie niemanden stören. Grund sei ein „interkultureller Konflikt“ zwischen einer makedonischen Putzkraft und einem albanischen Schüler. Der Brief wurde in sozialen Medien publik, was der Schule einen Shitstorm einbrachte. Anstatt das Schriftstück zurückzunehmen, wurde es als Missverständnis verkauft. Man stehe eh für Vielfalt, so eine Aussendung.

MELEK ÖT (Name von der Redaktion geändert) ist Lehrerin an einer Wiener Volksschule. Sie unterrichtet Kinder mit Muttersprache Türkisch. In jeder Volksschule haben Kinder nämlich das Recht auf einen gewissen Umfang Unterrichtsstunden in ihrer Muttersprache. Das findet meist während des Regelunterrichts in Kleingruppen statt. Öt meint, die Intention der VBS zu verstehen: „Diese Regelung, dass Deutsch gesprochen werden sollte, kann ich für den Unterricht oder die Kommunikation mit dem Lehrpersonal schon nachvollziehen.“ Die Unterrichtssprache ist auch grundsätzlich auch rechtlich geregelt. Problematisch wird es bei der Freizeitgestaltung.

Die Antirassismus-Meldestelle ZARA veranstaltet Workshops mit Jugendlichen, und dem Verein seien Schulen bekannt, welche immer wieder durch solch „krude interne Policies“ hinsichtlich sprachlicher Ge- und Verbote auffielen. Öt bestätigt, dass die Diskussion nicht abreißt: „In meiner Schule wollte eine Lehrerin auch verordnen, dass zwei Kinder in der Pause aufhören, Albanisch miteinander zu sprechen. Ich denke, die Intention ist eher, zum Deutsch-Üben anzuregen. Trotzdem sind solche Regeln, die in die Freiheiten der Kinder eingreifen, sehr problematisch.“ Das muttersprachliche Telefonieverbot in Mödling hält sie für absurd: „Sollen die Kinder also Dolmetscher für die Telefonate mit Eltern zwischenschalten? Oder jedes Mal vorher die Genehmigung der LehrerInnen einholen?“

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) erlaubt Behörden nach §8 (2) den Eingriff in das Privat- und Familienleben nur, wenn dieser gesetzlich vorgesehen ist und etwa den Schutz der Rechte anderer betrifft. ExpertInnen zufolge fällt die Verwendung der Muttersprache darunter. Artikel 66 des Staatsvertrags von St. Germain (StVvStG) erlaubt österreichischen StaatsbürgerInnen den Gebrauch jeder „Sprache im Privat- und Geschäftsverkehr“. Das Schulrecht in Kärnten und dem Burgenland sieht überdies zumindest in der Pflichtschule bilingualen Unterricht für Angehörige autochtoner Minderheiten vor. Der Landesverband NÖ der Elternvertretungen vertritt die Ansicht, "Verhaltensregeln" in der Schule könnten im Rahmen einer erweiterten Hausordnung von allen Schulpartnern gemeinsam (§64 SchUG) zum Thema gemacht und beschlossen werden (§44 SchUG). Landesschulratspräsident Hermann Helm hält dagegen, dass die Pausensprache rechtlich keinen Platz in einer Schulordnung habe.

DIE VBS IST EINE PRIVATSCHULE, was die Handhabe etwas erschwert. Dennoch hält Hermann Helm fest: „Es gibt keine Rechtsgrundlage. Wie in den Pausen gesprochen wird, wie in den Pausen kommuniziert wird, dafür gibt es keine Vorschrift.“ Der Präsident des Landesschulrats Niederösterreich führt aus, dass ein Deutsch-Gebot an öffentlichen Schulen rechtswidrig wäre: „Das müsste ich sofort untersagen. Das hätte disziplinäre Konsequenzen für den Schulleiter.“

Frau Mag. Röhrenbacher war für eine Stellungnahme gegenüber progress ebenso wenig erreichbar wie die zuständige Sektionschefin im Bildungsministerium. Daher ist unklar, welche disziplinären Konsequenzen an der VBS folgen.

 

Zoran Sergievski studiert Publizistik an der Universität Wien.

Links

Ein älteres, aber immer noch spannendes Interview mit İnci Dirim, Professorin für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, über Deutschgebote an Schulen und die Wechselwirkung von Gesellschaft und Universität: Ein Verbot ist keine pädagogische Maßnahme

 

Der geheime Lehrplan

  • 11.08.2014, 15:23

Diskriminierende Darstellungen, einseitige Definitionen, stereotype Repräsentationen – Schulbücher reproduzieren oft Klischees. Anleitungen zum kritischen Umgang mit Begriffen und Konzepten werden selten geboten. Engagierte ForscherInnen und LehrerInnen wollen das ändern.

Diskriminierende Darstellungen, einseitige Definitionen, stereotype Repräsentationen – Schulbücher reproduzieren oft Klischees. Anleitungen zum kritischen Umgang mit Begriffen und Konzepten werden selten geboten. Engagierte ForscherInnen und LehrerInnen wollen das ändern.

Wenn es um Schule ging, war die Zentralmatura in den letzten Monaten das meistdiskutierte Thema. Unfaire Bewertungssysteme, mangelnde Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse individueller SchülerInnen und der jüngste Skandal um einen Text bei der Deutschmatura, der den Holocaust verharmlost – die Zentralmatura sorgt für heftige Diskussionen. Aber nicht nur sie gibt Anlass zur Kritik. Als elementarer Bestandteil des Unterrichts haben Schulbücher einen großen Einfluss auf SchülerInnen. Die meisten Schulbücher regen aber keineswegs zum kritischen Denken an, wie eine Studie des Historikers Christoph Kühberger zeigt. Im Gegenteil: Sie stellen ihre Inhalte meist so dar, als wären sie objektiv und allgemein gültig. Dass dahinter die subjektiven Perspektiven einer/s oder mehrerer AutorInnen stehen und Begriffsdefinitionen häufig einseitig sind, wird selten deutlich. „Die wenigsten Schulbücher beinhalten eine Anleitung, wie man kritisch mit ihnen umgehen kann“, sagt auch Christa Markom, Ethnologin und Sozialpädagogin. Wenn sich die vermittelten Ansichten mit jenen des/r Lehrers/in decken, akzeptieren die SchülerInnen sie als Wahrheit. „Was LehrerIn und Schulbuch sagen, stimmt für die SchülerInnen und wird meist nicht hinterfragt“, so Markom.

In dem Projekt „Migration(en) im Schulbuch“ hat Christa Markom zusammen mit Heidemarie Weinhäupl und Christiane Hintermann analysiert, wie Migration in Schulbüchern verschiedener Fächer repräsentiert wird. Ziel war auch, SchülerInnen Wissenschaft näherzubringen. Im Rahmen von Workshops wurde deshalb gemeinsam mit Schulklassen erarbeitet, wie man im Unterricht kritischer mit Themen und Begriffen umgehen kann. „Das war ein völlig neuer Zugang für die SchülerInnen“, berichtet Herbert Pichler, Lehrer und selbst Schulbuchautor, der mit einer seiner Klassen am Projekt teilnahm. „Die Schulbücher zerpflücken und kritisieren zu dürfen, das kannten sie vorher nicht“, erzählt er. Dabei sei das von enormer Bedeutung.

Undurchsichtig. Bevor ein Schulbuch tatsächlich in die Hände eines Schülers oder einer Schülerin gelangt, durchläuft es einen Prozess, der zwei bis drei Jahre dauert – weshalb jedes Schulbuch zwangsläufig veraltet ist. Zunächst erhalten AutorInnen (meistens in Teams) den Auftrag, ein Schulbuch zu schreiben. Ist das getan, wird es von GutachterInnen des Ministeriums auf Basis bestimmter Richtlinien überprüft. „Dabei spielen durchaus auch Anti-Diskriminierungsrichtlinien oder zum Beispiel Gender-Richtlinien eine Rolle“, erklärt Christa Markom. Trotz dieser Approbation gelangen aber viele Bücher auf die Schulbuchliste, die diskriminierende Inhalte haben. Zwar sind viele GutachterInnen sehr bemüht, dies zu vermeiden, allerdings fehlt teilweise auch Hintergrundwissen zu verschiedenen Diskriminierungsformen. Laut Herbert Pichler sind die MitarbeiterInnen des Ministeriums auch manchmal selbst Teil jener Teams, die Schulbücher verfassen. Außerdem haben einige der Verlage großes Interesse daran, dass ihre Bücher approbiert werden. „Sie üben einen enormen Druck auf das Ministerium aus“, erklärt Herbert Pichler.

LehrerInnen können sich zwar theoretisch aussuchen, welches Schulbuch sie verwenden wollen. In der Realität sieht das aber oft anders aus. „Der Griff zu einem altbekannten Buch ist häufig naheliegend“, sagt Christa Markom. Es kommt also durchaus vor, dass Schulbücher, die einseitige Darstellungen oder diskriminierende Repräsentationen und Stereotype beinhalten, als Unterrichtsmaterial fungieren. Laut einer Umfrage des Projekts „Migration(en) im Schulbuch“ verwenden 80 Prozent der LehrerInnen Schulbücher, um ihren Unterricht zu strukturieren. Dieser wird durch die oft einseitige Aufbereitung von Themen in den Schulbüchern entsprechend beeinflusst.

Repräsentation von Migration. Am Beispiel der Darstellung von Migration beziehungsweise von MigrantInnen in Schulbüchern zeigt sich, wie Stereotype und Vorurteile reproduziert werden. „Eines unserer wichtigsten Ergebnisse war, dass Migrationsthemen in Schulbüchern noch immer hauptsächlich in einem Problemdiskurs abgehandelt werden“, sagt Christa Markom. Einerseits betrifft das die Positionierung des Themas, das in einem Schulbuch zum Beispiel in der Nähe des Themenkomplexes „Terrorismus“ angesiedelt war. Andererseits spielen Überschriften wie „Migration – eines der zentralen Probleme Europas“ hier eine Rolle. Auch darüber hinaus wird Migration meist in einem negativen Kontext dargestellt. „Dadurch entstehen keine positiven Identifikationsmöglichkeiten für SchülerInnen mit Migrationsbiographien“, erklärt Markom. Wird Migration ausnahmsweise nicht als Problem dargestellt, dann wird sie meist in einem Nützlichkeitsdiskurs behandelt, in dem wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Fragen im Mittelpunkt stehen. Dass Migrationsgeschichten aus der Perspektive von MigrantInnen erzählt werden, kommt hingegen kaum vor.

Auch Begriffe werden im Kontext von Migration in Schulbüchern kaum umfassend erklärt. So fehlt beispielsweise eine Auseinandersetzung damit, welche Bedeutungen hinter dem Begriff „Integration“ stecken können, oder damit, warum eine Bezeichnung wie „ZigeunerIn“ beleidigend und abwertend ist. Und das, obwohl SchülerInnen großes Interesse daran haben, wie Begriffe verwendet werden und wie sie Diskriminierungen in ihrer Sprache vermeiden können: „Natürlich interessiert mich das, ich brauch’ das ja täglich“, meint ein Schüler einer BHS: „Wenn ich die Erklärungen dazu nicht in Schulbüchern finde, wo dann?“ Laut Christa Markom würden sich die SchülerInnen auch historische Ableitungen der Begriffe erwarten. Sie wollen wissen, aus welchem historischen Kontext ein Begriff kommt, um seine Verwendung in der Gegenwart zu verstehen. Als Teil der österreichischen Geschichte wird Migration aber ohnehin kaum dargestellt. Im Gegenteil: Schulbücher behandeln Migration meist als neueres Phänomen, das von der österreichischen Geschichte abzugrenzen ist. „Das führt dazu, dass SchülerInnen Migration nicht in die österreichische Wir-Konstruktion miteinbeziehen“, erklärt Christa Markom.

Die Macht der Bilder. Diese Tendenzen spiegeln sich nicht nur in Texten wider. Auch in Bildern wird stark mit Klischees gearbeitet. Ein Aspekt, dem laut Herbert Pichler besondere Beachtung geschenkt werden sollte. Wenn es um Migration geht, sind in Schulbüchern häufig Bilder von Frauen mit Kopftüchern, mit denen meist die Türkei assoziiert wird, abgedruckt. „Warum ist es eigentlich so, dass wir mit ‚Ausländer’ nur die Türken meinen?“, fragte deshalb eine Schülerin im Projekt „Migration(en) im Schulbuch“. Dass Deutsche die größte Migrationsgruppe in Österreich sind, wird durch diesen Fokus verschleiert.

Wenn es um Flucht und Asyl geht, werden wiederum meist AfrikanerInnen dargestellt, die in die „Festung Europa“ wollen. Sowohl auf Bildern, die AfrikanerInnen in überfüllten Booten zeigen, als auch in Texten. In einem Geographiebuch der Sekundarstufe 2 ist dazu Folgendes zu lesen: „Täglich stehen z.B. in Nordafrika tausende Menschen vor den Toren Europas, um in eine bessere Welt zu gelangen. Bilder von Flüchtlingstragödien, z.B. von überfüllten Flüchtlingsschiffen, gelangen in unsere Medien. Auch wenn das überalterte Europa langfristig Einwanderer benötigt, kann es den globalen Migrationsdruck nicht entschärfen. Wird das Bevölkerungswachstum in der Dritten Welt nicht eingeschränkt und werden Arbeitslosigkeit und Hunger und Umweltprobleme nicht nachhaltig bekämpft, wird der Migrationsdruck weiter steigen.“ Problematisch ist das einerseits, weil Afrika durch derartige Darstellungen pauschal mit negativen Bildern verbunden wird. Andererseits wird innerafrikanische Migration nicht thematisiert. „Es wird so dargestellt, als würden alle Flüchtenden und Migrierenden nach Europa kommen, was ja überhaupt nicht der Fall ist“, erklärt Markom: „Wie Migrationsströme tatsächlich verlaufen, wird verschleiert.“

Handlungsoptionen. Selbst das schlechteste Schulbuch kann aber im Unterricht das beste Schulbuch werden, wenn die LehrerInnen gut damit umgehen, ergänzt Markom. Ob entsprechende Kompetenzen in der pädagogischen Ausbildung vermittelt werden, ist jedoch fraglich. Das kritische Hinterfragen der Schulbücher werde in der LehrerInnenausbildung kaum thematisiert. Es sei aber wichtig, einen machtkritischen Blick zu entwickeln, Begriffe zu kritisieren und Lehrmedien nicht als objektiv zu betrachten. Auch die Schulbücher selbst sollten laut Markom stärker dazu anregen, sich kritisch mit Begrifflichkeiten und Inhalten auseinanderzusetzen.

Für den Unterricht wäre es wichtig, mehr Diskussionsräume zu schaffen. Sinnvoll sei deshalb auch, verstärkt Vorträge, Ausstellungen oder Workshops und damit auch Leute von außerhalb der Schule in den Unterricht zu integrieren. Dadurch bringe man neue Dynamiken in eine Klasse und schaffe ein Bewusstsein für verschiedene Themen wie Diskriminierung und Rassismus. Dabei können SchülerInnen abseits von Notendruck und Prüfungsangst lernen, sich ihre eigene Meinung zu bilden. „Durch das Projekt‚ Migration(en) im Schulbuch‘ sind die SchülerInnen jetzt viel kritischer als zuvor“, berichtet auch Herbert Pichler.

Was die Schulbücher betrifft, sieht Christa Markom in der Multiperspektivität großes Potential. „Man sollte möglichst viele Sichtweisen auf ein Thema zeigen. Auch mit lebensgeschichtlichen Zugängen kann man da sehr gut arbeiten.“ Wenn es um Migration geht, hätten sie das Potential, die negativen Konnotationen in Frage zu stellen. Interviews wären zum Beispiel eine Möglichkeit, auch Raum für positive Migrationsgeschichten zu schaffen. Für Herbert Pichler ist vor allem die Positionierung des Schulbuchs im Unterricht wichtig: „Ich selbst verwende Schulbücher als Steinbruch, als eine Sammlung von Materialien, die man in bestimmten Unterrichtssequenzen gezielt verwenden kann.“

Zum Schluss betont Christa Markom auch, dass durchaus eine positive Entwicklung der Schulbücher zu beobachten ist. „Da hat sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren sehr viel getan. Es gibt noch immer Probleme, das ist keine Frage. Aber das ist keineswegs
eine statische Sache.“

Patricia Urban studiert Kultur- und Sozialanthropologie und Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien.
 

Zwischen den Fronten

  • 24.02.2013, 10:07

Christina und Simon gehen in die Maturaklasse. Beide haben sich vorgenommen, nach der Matura ein Studium zu beginnen. Die Entscheidung, welches Studium sie wählen wollen, fällt schwerer als gedacht.

Christina und Simon gehen in die Maturaklasse. Beide haben sich vorgenommen, nach der Matura ein Studium zu beginnen. Die Entscheidung, welches Studium sie wählen wollen, fällt schwerer als gedacht.

Die Studienwahl ist für viele angehende Studierende eine Herausforderung. Was will ich studieren, wo will ich studieren und welche Besonderheiten, wie Studiengebühren, Fristen oder Zulassungsprüfungen, muss ich beachten? Genaue Informationen sind Voraussetzung für die individuell richtige Studienwahlentscheidung.

Internet geht immer. Wenn das Angebot groß ist, fällt die Wahl des Studiums nicht leicht. Das Onlinestudienverzeichnis studienplattform.at zeigt bei der Eingabe „Bachelorstudien“ 826 Treffer an. Hinzu kommen 325 Lehramts- und 86 Diplomstudien. Speziell für die ersten Studieninformationen können Onlineplattformen hilfreich sein. Der 18jährige Simon und die 19jährige Christina nützen sie als erste Anlaufstelle. Aktuelle und zuverlässige Informationen über alle Studiengänge, Studienstandorte und mögliche Zugangsbeschränkungen bieten die ÖH-Seite studien­plattform.at und studienwahl.at vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (bmwf), wobei man als Maturant_in bei letzterer leicht über Begriffe wie „ECTS“, „Master“ und „ÖH-Beitrag“ stolpert.

Begriffe wie „Kompetenzerwerb“, „Prozess- und Qualitätsmanagement“ oder „fachspezifische Methoden“ dominieren die Angaben bezüglich Studieninhalt und werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Das ÖH-Projekt studienplattform.at will dem entgegensteuern. „Es war die Absicht, Fremdworte einfach zu erklären und damit den Zugang zu dieser beängstigenden und verwirrenden neuen Welt zu erleichtern“, sagt Karin Kuchler, Koordinatorin der studienplattform.at. Eine weitere Verfeinerung ist, dass es eine Suchfunktion für Interessen gibt.

Diese soll den MaturantInnen möglichst viele verschiedene Studienrichtungen anbieten, um auch aufzuzeigen, dass es viel differenziertere Studiengänge, abseits der Mainstreamstudien wie Rechtswissenschaften, Humanmedizin und BWL gibt. Wer sich jedoch nicht sicher ist, dem und der empfiehlt Kuchler eine persönliche Beratung. Beratung im Gespräch. Für eine persönliche Beratung stehen MaturantInnen zwei Projekte zur Verfügung: Der Studienchecker und die Maturan­tInnenberatung. Der Studienchecker ist ein Projekt des Wissenschaftsministeriums (BMWF) und des Ministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur, in Kooperation mit der ÖH und der Psychologischen Studen­tenberatung. Es stellt ein Bündel an Maßnahmen für alle SchülerInnen in ganz Österreich dar, um sie im Entscheidungsprozess zu begleiten. Das Projekt reicht von einem Interessensfragebogen,  Kleingruppenberatung mit PsychologInnen der Psychologischen Studen­tenberatung bis zu der MaturantInnenberatung direkt an den Schulen. „Studienchecker soll dazu beitragen die Drop Out Quoten an den Universitäten zu reduzieren. Oft brechen Studienanfänger ihr Studium ab, weil sie sich das vorher nicht genau überlegt haben“, sagt Marion Kern vom BMWF. Neben dem Studien­checker und studienwahl.at bietet das BMWF wenig Zusätzliches an. Den wohl authentischsten Einblick in den Studienalltag bietet das von der ÖH organisierte und vom BMWF finanzierte Projekt Studieren Probie­ren. Hier haben StudienbeginnerInnen die Möglichkeit, Studierende einer Studienrichtung zu Lehrveranstaltungen zu begleiten und ihnen konkrete Fragen zu dem jeweiligen Studiengang zu stellen.

Die MaturantInnenberatung der ÖH bietet außerdem anonyme und kostenfreie Beratung an. Die Mitarbeitenden sind selbst StudentInnen und können mit Erfahrungsberichten direkt auf individuelle Fragen eingehen. Entweder werden Fragen im Rahmen des Studiencheckers, der von Schulen organisiert und angeboten wird, oder auch unabhängig davon in Form  von E-Mail, Telefon- oder persönlichen Gesprächen beantwortet. Mitarbeitende der MaturantInnenberatung haben laut eigenen Angaben in den Jahren 2011 und 2012 knapp 15.000  StudienanfängerInnen in allen Bundesländern, außer in Kärnten, beraten. In einer Presseaussendung von ÖH und BMWF am 3. Jänner diesen Jahres bestätigten diese einen Zuschuss von 40.000 Euro, was das Gesamtbudget der Maturant­Innenberatung auf rund 294.000 Euro pro Jahr erhöht. Damit wird künftig auch den kärntnerischen MaturantInnen eine Beratung an den Schulen ermöglicht. 311 Schulen, das entspricht etwa der Hälfte aller Schulen, haben 2011 am Projekt Studi­enchecker teilgenommen, bis 2014 soll es an allen Schulen Österreichs umgesetzt werden.

Die Qual der Wahl. Die Frage, ob Christina und Simon auch persönliche Beratung in Anspruch nehmen, verneinen beide. Beratungsangebote wie die MaturantInnenberatung, Studieren Probieren und Studienchecker kennen sie nicht. Wie gelangen sie dennoch zu Informationen? „Für mich sind besonders die persönlichen Gespräche mit Studierenden aufschlussreich“, so Christina, die derzeit die Maturaklasse eines Gymnasiums im oberösterreichischen Kirchdorf absolviert. Christina und Simon sind beide der Meinung, dass  Schulen und Hochschulen zu wenig Informationsangebot für MaturantInnen zur Verfügung stellen. „Es ist wichtig, wie viel Eigen­engagement man investiert“, meint Simon, der die Abschlussklasse eines Linzer Sportgymnasiums besucht. Kern weist darauf hin: „Jene, die Eigeninitiative zeigen, sich organisieren können und einen Plan haben, was sie tun wollen,  eignen sich für ein Studium.“ Punkt. Zwischen dem Schulbegriff von Selbstständigkeit und dem der Hochschulen herrscht jedoch eine große Diskrepanz, die von BMWF und den Universitäten weitgehend ignoriert wird. Die Kompetenz wird von der Schule auf die Uni geschoben und umgekehrt – übrig bleiben ratlose Maturan­tInnen. „Wenn man eine Klasse fragt, schätzen sich fast alle SchülerInnen als selbstständig ein. Bei den meisten StudienanfängerInnen aber hinterlässt die Organisation des Studienalltags und die Vorbereitung darauf große Unsicherheit“, schildert Theresa Kases vom Projekt Studieren Probieren. Die Vorbereitung auf ein Studium stellt sich also als ein Probelauf für das  eigentliche Studium heraus.

Die Bürokratisierung und Zugangsbeschränkungen stellen Neulinge vor eine Voraussetzungskette, die sich mit der STEOP fortsetzt. Fristen, Aufnahme- und Eignungsprüfungen setzten MaturantInnen unter großen psychischen Druck, bestätigt Magdalena Hangel, Referentin der MaturantInnenberatung. Auch Christina fühlt sich in der Vorbereitung auf ihr Studium oft allein gelassen. Trotz allem möchte sie Philosophie studieren. „Aber das kann sich noch ändern, ich bin mir noch nicht sicher.“

Linktipps:

ÖH:

www.oeh.ac.at/studienberatung
www.studierenprobieren.at
www.studienplattform.at

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung:
www.studienwahl.at
www.Studienchecker.at
www.studentenberatung.at

Messen, Informationsveranstaltung: http://bestinfo.at

Sodom und Andorra

  • 04.10.2012, 23:44

Was in Schulen gelesen wird und wo dabei das Problem liegt. Ein Kommentar von Simon Sailer.

Was in Schulen gelesen wird und wo dabei das Problem liegt. Ein Kommentar von Simon Sailer.

Seit 1989 gibt es im österreichischen Lehrplan für den Deutschunterricht keine Leselisten mehr. Allerdings sieht er weiterhin vor, für die verschiedenen Epochen der Literaturgeschichte repräsentative Werke zu behandeln. Gerade, wenn es um Antisemitismus und Nationalsozialismus geht, wird jedoch auch ohne Liste immer wieder zu den gleichen Werken gegriffen. Und so arbeitet sich jede  Klasse aufs Neue durch das Tagebuch der Anne Frank, Andorra und Auszüge aus der Blechtrommel. Hin und wieder werden vielleicht auch Thomas Bernhards Heldenplatz oder Passagen aus Karl Kraus’ Die letzten Tage der Menschheit berücksichtigt. Dabei werden diese Werke – das kann aus eigener Erfahrung und den Berichten anderer mit einiger Gewissheit gesagt werden – meist nicht problematisiert, sondern als die Wahrheit über die Zeit, den Antisemitismus und die Menschen im Allgemeinen präsentiert.

Probleme. Zu problematisieren gäbe es an manchen der genannten Schriften aber durchaus einiges. Max Frischs Andorra wurde etwa von dem Kabarettisten Georg Kreisler als „schwach auf der Brust und latent antisemitisch“ angesehen. Ein Urteil, das Kreisler nicht nur so nebenher gegen einen von ihm Ungeliebten losließ. Zusammen mit KünstlerInnen wie Topsy Küppers und Kurt Sowinetz vertonte er sogar eine Parodie, die den plakativen Titel Sodom und Andorra trägt. Frisch versucht in seinem Stück die Funktionsweise von Antisemitismus aufzuzeigen. Die recht durchsichtige These lautet, dass es das antisemitische Vorurteil sei, welches die Juden zu Juden mache. In dem Stück gilt der junge Andri in seinem Dorf im erfundenen Land Andorra als Jude und nimmt aufgrund der Behandlung durch die Bevölkerung schließlich jene Eigenschaften an, die nach Frisch das antisemitische Stereotyp charakterisieren. Der Tischler will die Meisterschaft seiner Arbeit nicht anerkennen und zwingt ihn in den Verkauf, der Pfarrer dagegen will eine besondere Gabe bemerkt haben und empfiehlt ihm, in die Wissenschaft zu gehen. Der derart gegängelte Andri wird schließlich nervös, unruhig, wittert überall Antisemitismus und zieht sich schließlich auf die Position zurück, sich nur  noch um Geld kümmern zu wollen.

Der wohl gut gemeinte Versuch, die Wirkmächtigkeit von Vorurteilen zu demonstrieren, endet, genauer betrachtet, in einer Affirmation der antisemitischen Karikatur, die Andri schließlich darstellt. Fast als wäre Frisch der Ansicht, die Juden – bei ihm ist der archetypische Jude schließlich ein Mann – sind schon so, nur liege dies nicht in ihrem Wesen, sondern die antisemitische Gesellschaft habe sie selbst hervorgebracht. Da wundert es dann wenig, dass in seinem Stück keine Jüdinnen oder Juden in positiven Rollen vorkommen. Andri stellt sich schließlich als Andorraner heraus, positive jüdische Figuren würden das Bild des Juden als manifestierte Projektion nur stören.

Würden solche Probleme im Unterricht behandelt werden, wäre an der Lektüre nichts auszusetzen. Aber in der Praxis werden diese Werke als Lehrstücke behandelt, fast als aus der Wirklichkeit genommene Beispiele. Was will uns der Autor sagen? Was lernen wir daraus?

Textwahl. Darüber hinaus ist bemerkenswert, welche Schriften nie oder nur sehr selten im Unterricht behandelt werden: so beispielsweise Bertolt Brechts Furcht und Elend des Dritten Reichs, ein Stück, das der Autor im Exil in den 1930er-Jahren verfasste. Oder Edgar Hilsenraths Der Nazi und der Friseur, das zunächst nur in der englischen Übersetzung erscheinen konnte, weil im  Deutschland der 1960er niemand bereit war, diesen Roman zu veröffentlichen, der als Anti-Blechtrommel bezeichnet werden könnte. Hilsenrath schildert den Nationalsozialismus aus der ungeschönten Sicht eines Täters in seiner Kontinuität bis in die Gegenwart. Anders als bei den nivellierenden Formulierungen Grass’ handelt es sich um eine wirkliche Groteske: eine, die real bleibt.

Hilsenraths Darstellung spitzt die Brutalität aufs Äußerste zu und steigert sie ins Unmögliche, ohne dabei den Charakter der Realität einzubüßen. In Deutschland konnte dieses Buch erst Ende der 1970er-Jahre erscheinen, obwohl es zuvor bereits in den USA große Erfolge erzielt hatte. Es ist kein Zufall, dass Die Blechtrommel als das Buch der Deutschen bezeichnet werden kann, während sich  ein Autor wie Edgar Hilsenrath erst allmählich etablieren konnte. In Schulen wird er wohl niemals vergleichbar oft gelesen werden wie Grass.

Kritik. Natürlich kann die Konsequenz daraus nicht darin bestehen, die Lektüre dieses oder jenes Werkes anzuempfehlen. Es ist durchaus eine Errungenschaft, dass Lehrern und Lehrerinnen große Freiheit in der Auswahl der behandelten Texte zugestanden und dadurch eine Vielfalt der behandelten Werke begünstigt wird. Das Problem liegt allerdings in der unkritischen Behandlung der schließlich ausgewählten Texte. Literatur, die sich kritisch mit Nationalsozialismus und Antisemitismus befasst, müsste daraufhin untersucht werden, ob sie ihrem Anspruch gerecht wird, welche Vorstellungen von Antisemitismus, von Geschichte und Gesellschaft ihr zugrunde liegen und ob sie womöglich selbst antisemitische Topoi enthält oder Entlastungsangebote macht. Auch diese Aufgabe obliegt schließlich den Lehrenden. Ihre Erfüllung könnte aber von einem gesellschaftlichen Klima gestützt werden, in dem nicht alles, was kritisch daherkommt, zum nicht zu hinterfragenden Nonplusultra erklärt wird – je plakativer desto besser.

Pädagogische Einsteins

  • 28.09.2012, 10:43

LehrerInnen: Sie sind diejenigen, die uns das Leben zumindest neun Jahre lang entweder zur Hölle machen oder unsere Interessen fördern. Um ersteres zu verhindern, braucht es eine qualitativ hochwertige PädagogInnenbildung. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

LehrerInnen: Sie sind diejenigen, die uns das Leben zumindest neun Jahre lang entweder zur Hölle machen oder unsere Interessen fördern. Um ersteres zu verhindern, braucht es eine qualitativ hochwertige PädagogInnenbildung. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Es war 5.30 Uhr an einem Dienstag Morgen, als sich Laura M.* auf den Weg zu einer ihrer ersten Schulstunden seit drei Jahren machte. Der Unterschied zu früher war, dass sie dieses Mal auf keinen Fall zu spät kommen wollte. Die 21jährige Linzerin studiert Russisch und Geschichte auf Lehramt im vierten Semester an der Universität Wien. Als Lehramtsstudentin studiert sie noch im Diplom und muss zwei Unterrichtsfächer kombinieren, für jedes Fach müssen Schulpraktika im Ausmaß von elf ECTS abgelegt werden. Dafür sollen laut Studienplan BetreuungslehrerInnen zur Seite stehen, die bei der Vor- und Nachbereitung helfen sowie für Feedback und Supervision verantwortlich sind. „Ich hab’ das erste Praktikum lange vor mir hergeschoben, weil ich mich nicht drübergetraut hab“, erzählt sie. „Im Endeffekt war aber sowieso alles anders als gedacht.“

Laura wurde gemeinsam mit fünf KollegInnen, die ebenfalls slawische Sprachen studieren, zwei BetreuungslehrerInnen zugeteilt – eine davon unterrichtet in Amstetten Spanisch, einer in St. Pölten Russisch. Für Studierende, die seltene Fächer belegen, kein Einzelfall: „Da kann es schon einmal passieren, dass man sich in eine Spanischstunde setzen oder in die niederösterreichische Pampa fahren muss, um dort fünfzig Minuten Unterrichtserfahrung zu sammeln“, erzählt Laura. Mit einer Studienkollegin sollte sie ihre erste Russisch-Schulstunde in einem St. Pöltner Gymnasium halten. „Da meine Kollegin allerdings Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS) studiert, hat sich die Vorbereitung als etwas schwierig erwiesen.“ Was die Betreuungslehrer dazu sagten? „Lasst euch was einfallen.“

Lücken. Nicht nur die BetreuungslehrerInnen für Lehramtsstudierende an den Schulen sind oft Mangelware, Lehrkräfte schwinden generell aus Österreichs Schulen. 71.500 LehrerInnen arbeiten derzeit an allgemeinbildenden Pflichtschulen, rund 4.900 an Berufsschulen und 41.600 an Bundesschulen, also an Gymnasien oder berufsbildenden mittleren und höheren Schulen. Bis 2025 werden voraussichtlich 50 Prozent aller Lehrpersonen in Pension gehen – der LehrerInnenmangel ist bereits jetzt vorprogrammiert, Lösungen dafür sind jedoch nicht in Sicht. Bereits zum Schulstart diesen Herbst sind in vielen Bundesländern ErsatzlehrerInnen im Einsatz, viele LehrerInnen übernehmen Überstunden und JunglehrerInnen werden bereits im ersten Jahr mit einer vollen Lehrverpflichtung beauftragt.

In diese Richtung soll es laut der Bundesregierung weiter gehen: Die  Lehrverpflichtung im ersten Unterrichtspraktikumsjahr soll von bisher acht auf 22 Unterrichtsstunden erhöht werden. Das würde selbst eine volle Lehrverpflichtung mit einem normalen Dienstvertrag übersteigen. Regina Bösch, angehende Junglehrerin, kann den Plänen zur Erhöhung der Unterrichtszeit bereits am Anfang nicht viel abgewinnen und hat kurzerhand mit einer Kollegin die Initiative für ein faires LehrerInnendienstrecht ins Leben gerufen. „Das ist absurd und gefährlich. Im Unterrichtspraktikum braucht man sehr viel Zeit zur Reflexion, damit man auch wirklich hineinwachsen kann. Das wäre komplett weg“, sagt sie. Das jetzige Unterrichtspraktikumsmodell ist als einjährige Berufseinstiegsphase konzipiert und wird vom Großteil der Studierenden gut angenommen. „Das neue Modell würde bedeuten, dass man sich von Stunde zu Stunde hangelt, und Dienst nach Vorschrift macht – im besten Fall. So brennt man die Leute noch früher aus“, sagt Bösch.

Laura hat ihr erstes Schulpraktikum mit einem Sehr-Gut abgeschlossen, obwohl die vorbereitete Russischstunde mit ihrer BKS-Kollegin nie zustande kam: „Unser Betreuungslehrer hat uns einfach vergessen, und die betreffende Klasse war an dem Tag auf Exkursion.“ Eine volle Lehrverpflichtung bereits direkt nach Abschluss des Studiums oder vielleicht sogar schon davor kann sie sich nicht vorstellen: „Als Lehrerin fühl ich mich wirklich noch kein bisschen.“

Konflikt. Während die Lehramtsstudierenden auf der Universität in der Regel nur mittels zweier Schulpraktika während des Studiums in Berührung mit SchülerInnen kommen, stehen Studierende an Pädagogischen Hochschulen von Anfang an im Klassenzimmer. In Österreich findet die Ausbildung der PflichtschullehrerInnen und BerufsschullehrerInnen an den Pädagogischen Hochschulen statt, angehende LehrerInnen in höheren Schulen müssen die Uni mit einem Diplomstudium abschließen. Die Trennung der Ausbildungen in verschiedene Sektoren ist umstritten.

2008 hat Bildungsministerin Claudia Schmied gemeinsam mit dem damaligen Wissenschaftsminister Johannes Hahn erstmals die ExpertInnengruppe LehrerInnenbildung NEU eingesetzt, und damit beauftragt, Vorschläge für eine Reform der LehrerInnenbildung zu erarbeiten. Seitdem gibt es viele Vorschläge, aber die verschwinden großteils unter dem Tisch. Leidtragende des politischen Stillstands sind nicht nur die Studierenden, sondern auch die SchülerInnen.

Stefan B. studiert im siebten Semester Informatik auf Lehramt an der Linzer Johannes Keppler Universität und kann der Trennung der Lehramtsstudien nichts abgewinnen: „Gerade im Unterstufenbereich, bei den Kindern zwischen zehn und 14 Jahren, unterrichten die LehrerInnen später genau dasselbe.“ Anders als Laura hat er mit seinem Schulpraktikum im Linzer Georg-von-Peuerbach-Gymnasium gute Erfahrungen machen können, auch das Verhältnis zu den BetreuungslehrerInnen war gut. „Aber am Ende des Praktikums waren sich mein Betreuungslehrer und ich einig: Wir hätten viel mehr Zeit miteinander verbringen müssen.“

Pyramide. Umso jünger die Kinder, desto kürzer ist die Ausbildung und schlechter die Bezahlung. So lässt sich die umgedrehte „PädagogInnen-Pyramide“ beschreiben, die in Österreich System hat. Laut Stefan Hopmann, Professor am Institut für Bildungswissenschaften an der Uni Wien, gibt es im Pflichtschulbereich die größten Defizite, vor allem auch, weil es nicht die Möglichkeit gibt, fachliche Schwerpunkte zu setzen: „Wenn alle alles unterrichten können sollen, müssen wir lauter pädagogische Einsteins anstellen.“ Um dies zu ändern, bräuchte es allerdings grundlegende Reformen, und an die hat sich bis jetzt noch niemand herangewagt.

Hopmann, der auch ehemaliges Mitglied der Vorbereitungsgruppe zur Umsetzung der Vorschläge der jüngsten von Bildungsministerin Schmied und Wissenschaftsminister Töchterle eingesetzten ExpertInnengruppe ist, kritisiert den mangelnden politischen Gestaltungswillen: „Da war die Tinte am Papier noch nicht einmal trocken, da war schon klar, dass das Erarbeitete nicht mitgetragen wird.“ Der Bildungswissenschafter meint damit vor allem die Kernidee, dass es eine akademische Aufwertung der PflichtschulpädagogInnen brauche. „Das Problem ist, dass man Reformen haben will, die nichts an den Machtstrukturen verändern sollen, man wurschtelt vor sich hin. Ein bisschen Reform funktioniert aber genauso wenig wie ein bisschen schwanger sein.“ Klar ist, dass sich nach einer Aufwertung der Ausbildung auch das Gehaltsschema ändern müsste.

Beschränkung. Die besten für den Lehrberuf zu finden – das wird sowohl von SchülerInnen-, Eltern-, als auch DirektorInnenseite immer wieder gefordert. Wie man diesem Wunsch nachkommen kann, darüber gibt es jedoch verschiedene Ansichten. Seit dem Wintersemester 2011 wurde mit der Einführung der Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP) auch eine Beschränkung für Lehramtsstudien beschlossen. Besonders an der Universität Wien waren die Folgen drastisch: Wer die – von vielen Studierenden als überdurchschnittlich schwierig definierte – Pädagogik-Prüfung nicht schafft, ist jetzt für den Lehrberuf gesperrt. Auf Lebenszeit. Keine versteckten, sondern offensichtliche Zugangsbeschränkungen für Lehramtsstudien gibt es im oft zum Vergleich zitierten Finnland: Dort wird durchschnittlich nur einE BewerberIn von zehn genommen. Hopmann bestreitet, dass dieses Modell zum gewünschten Ziel führt: „Wir könnten auch in Österreich die Studienplätze halbieren, dann hätten wir auch ein Gedränge. Aber nicht die besten LehrerInnen.“

Andere Ansätze  gehen in Richtung Beratung und Evaluierung vor und während des Studiums; Reflexionsgespräche mit den ProfessorInnen, regelmäßiges Feedback und mehr Praxis von Anfang an. Gerade durch die de facto nicht vorhandenen Umstiegsmöglichkeiten im LehrerInnenberuf ergibt sich der Zwang für viele LehrerInnen, in ihrem Beruf zu bleiben. Für den angehenden Lehrer Stefan stellt das ein großes Problem dar: „Ich habe ein Lehramtsstudium begonnen, weil ich gerne mit Kindern und Jugendlichen arbeite, aber ich weiß nicht, wie das in dreißig Jahren sein wird. Nur wenn man hier Lösungen findet, kann man das Beste für die SchülerInnen rausholen.“

Ausblick. Sowohl die ExpertInnengruppe der Ministerien als auch die Österreichische HochschülerInnenschaft sprechen sich seit längerem für die Einführung einer gemeinsamen PädagogInnenbildung aus. Die  Grundüberlegungen gehen in dieselbe Richtung: Ein gemeinsamer Grundstock am Anfang, eine Spezialisierung mit Umstiegsmöglichkeiten im Anschluss. Ob die LehrerInnenausbildung an den Universitäten, an den Pädagogischen Hochschulen oder an neuen Schools of Education stattfinden soll, ist eigentlich nur ein Nebenschauplatz der Debatte, der allerdings ins Zentrum gerückt wird. Solange die bildungspolitischen Agenden jedoch auf zwei Ministerien geteilt sind, wird sich an dem Stillstand nicht viel ändern. Denn dumm wäre jene Partei,  die freiwillig Kompetenzen abgibt.

*Name von der Redaktion geändert.

Lernts Deutsch!

  • 18.09.2012, 21:02

Eine aktuelle Studie bringt brisante Ergebnisse über den Zusammenhang von Sprachenvielfalt und sozialer Durchlässigkeit in Schulen. progress traf sich mit Studienkoordinatorin Katharina Brizic.

Eine aktuelle Studie bringt brisante Ergebnisse über den Zusammenhang von Sprachenvielfalt und sozialer Durchlässigkeit in Schulen. progress traf sich mit Studienkoordinatorin Katharina Brizic.

progress: 2008 haben Sie mit der quantitativen Erhebung ihrer Studie zu Sprachenvielfalt und sozialer Durchlässigkeit begonnen. Dabei nahmen 19.453 Kinder aus 234 Wiener Volksschulen teil – das entspricht 85 Prozent aller Volksschulkinder in Wien. Der zweite, qualitative Teil der Erhebung steht noch aus. Was kann man davon erwarten?

Katharina Brizic: Insgesamt haben rund 180 Familien und Kinder an der qualitativen Erhebung teilgenommen, die auch Teil der quantitativen Untersuchung waren. Das Tolle ist, dass die qualitativen Daten dieser Familien mit dem quantitativen Teil in Verbindung gebracht werden können, und wir so überprüfen können, wie weit überhaupt ein quantitatives Instrument, also
der Fragebogen, die sprachliche Situation der Familie widerspiegelt. Denn wir wissen, dass bei einer quantitativen Erhebung stigmatisierte Sprachen wie zum Beispiel Kurdisch oder Romanes fast nicht vorkommen. Deswegen haben wir besonders viel Wert darauf gelegt. Theoretisch wird es für uns auch möglich sein, den Bildungserfolg der Kinder nachzuvollziehen – wer ist mit welcher Sprache in eine AHS, eine Hauptschule oder in eine Sonderschule gekommen.

Wie kann soziale Ungleichheit mit Sprache erfasst werden?

Immerhin gab es keine Indikatoren wie Einkommen oder Jobs der Eltern. Wir finden zum Beispiel eine Konzentrationen von SchülerInnen mit Kurdisch, Romanes und Türkisch in jenen Schulen, in denen wir keine Konzentration von französisch- und englischsprachigen Familien finden. Das trifft eine Aussage über die ethnische Schichtung im Bildungssystem. Die „Ethnie“ wird in Mitteleuropa auch nicht erhoben, und das mit gutem Grund. Wir müssen über die Sprachen gehen, wenn wir erfahren wollen, wie weit das Schulsystem die Kinder tatsächlich ethnisch schichtet. Die Durchmischung müsste schon längst stattfinden, wenn das Schulsystem sie begünstigen würde. Das tut es ja nicht, und das sagt uns die Sprache.

Was halten sie von Quoten für nicht-muttersprachlich deutsche Kinder an Schulen?

Erstens: Ich halte etwas von der Durchmischung, weil ein Kind lernt Sprache im Kontakt mit anderen Kindern am leichtesten. Kinder haben einen leichten Spracherwerb – sie müssten absichtlich daran gehindert werden, nicht zu lernen. Die zweite Frage ist: Wie stellen wir das her? Ich halte nichts davon, Kinder mit Bussen durch ganz Wien zu karren, weil sie ihre FreundInnen dann nicht in der Nähe haben, weil die Wege weit werden für die Kinder, und weil die Kinder eh schon belastet sind. Ein Mittel wäre, die Lebensbedingungen gleicher zu gestalten – zum Beispiel den Wohnungsmarkt und den Arbeitsmarkt –, das sind beides Faktoren, die das elterliche Einkommen und den finanziellen Spielraum bestimmen.

Was haben Sie über das Sprachverhalten der Kinder rausgefunden?

Erstaunlich war, wie wenige türkische Kinder wirklich nur Türkisch zu Hause sprechen. Mir war klar, dass es wenige sein würden, aber das Ausmaß hat mich überrascht. Kinder übernehmen immer das Deutsche, die Mehrheitssprache. Sprachen werden dann teilweise sogar von der Kindergeneration aufgegeben, wenn sie wenig Prestige genießen. Das sieht man vor allem bei Kurdisch und Romanes. Bei Türkisch, Bosnisch – Kroatisch – Serbisch und Russisch ist das nicht so. Viel schwerer zu erfragen sind starke Sprachwechsel über die Generationengrenze hinweg.

Das bedeutet, die gesellschaftlichen Einflüsse bewegen die Kinder zur Aufgabe der Sprache?

Sprachwechsel ist ein ausgesprochen interessanter Indikator für soziale Ungleichheit. Ein Mensch, der gebildet ist und beispielsweise aus einer spanischen Familie kommt, würde nie auf die Idee kommen, dem Kind nicht Spanisch beizubringen. Das würde eher als Nachteil empfunden werden. Bei Romanes sagen die Menschen: „Wozu braucht das Kind das?“

Deutsch hat einen hohen Stellenwert. Muss man dann nicht die Integrationsdebatte neu starten, wenn, wie aus der Studie ersichtlich, 80 Prozent der Kinder gerne Deutsch sprechen?

Ja, man muss die Diskussion sicherlich neu starten – das ist das, was die Wissenschaft eh schon seit geraumer Zeit empfiehlt, und zwar auf mehreren Ebenen. Symptomatisch für unser Schulsystem ist, dass es die Kompetenzen nach Maßstäben einschätzt, die nicht dem gerecht werden, was diese Kinder tatsächlich können. Die können zwar zu Hause Türkisch reden, aber tatsächlich ist nach vier Jahren Schule ihre stärkste Sprache Deutsch. Gerade wenn es um das Schriftliche geht, können diese Kinder Deutsch am besten. Der Punkt ist, sie brauchen natürlich länger, wenn sie mehrere Sprachen erlernen. Würde man das Schulsystem nicht ab den Zehn-Jährigen aufspalten, dann wäre da viel mehr Möglichkeit für die Kinder, aufzuholen. Aber letztendlich sind vier Jahre zu wenig, und ich spreche noch gar nicht von SeiteneinsteigerInnen, die erst mit zehn Jahren kommen. Diese Trennung wird schon österreichischen Kindern aus unterschiedlichen sozialen Schichten zum Verhängnis.

Eine Deutschpflicht in Schulen macht also keinen Sinn?

Nein. Es ist immer die Frage, was ich vermitteln will: „Wir reden jetzt alle Deutsch“ oder „Wir reden jedenfalls nicht das depperte Türkisch“. Es scheint so, als würde die wienweite Spracherhebung zeigen, dass die gesellschaftliche Stimmung bei den Kindern angekommen ist – „Lernts Deutsch!“.

Vor einiger Zeit wurde über die Matura auf Türkisch diskutiert.

Als würde sich die Zunge sofort verknoten, nur weil man Türkisch redet! Ich bin total dafür, meine Befürchtung ist nur, dass die Kinder, von denen wir hier reden, also die sozial Benachteiligten, niemals zur Matura kommen. Vorher wäre es besser, sich eine gemeinsame Schule für Sechs- bis 14Jährige oder darüber hinaus zu überlegen. Man kann zwar die Matura anbieten, aber wer kommt dort hin?

Bei der Untersuchung wurde unterschieden, welche Sprache das Kind mit der Mutter und welche das Kind mit dem Vater spricht.

In der Realität besteht oft ein Unterschied. Das heißt, das Kind spricht zum Beispiel mit dem Vater beide Sprachen und mit der Mutter nur eine. Die Frauen sind auch jene, die auf Grund der meist kürzeren Bildungsdauer eher dazu neigen, die stigmatisierte Sprache weiterzuverwenden, während die Väter durch den Kontakt mit der Mehrheitssprache im Arbeitsleben die Sprache des Herkunftslandes ablegen. In den 1980er-Jahren gab es eine Untersuchung in Sardinien, weil die Mütter plötzlich nicht mehr Sardisch, sondern Italienisch sprachen. Diesen  gesellschaftlichen Druck muss man sich erstmal vorstellen – wie stark der Wunsch nach sozialem Aufstieg ist.

Schule neu gedacht

  • 13.07.2012, 18:18
Die Diskussionen über Schulreformen beschränken sich meist darauf, welche Inhalte gelehrt werden sollen. Die Reduzierung der Schule auf reine Wissensvermittlung wird jedoch in unserer Informationsgesellschaft ad absurdum geführt.
Die Diskussionen über Schulreformen beschränken sich meist darauf, welche Inhalte gelehrt werden sollen. Die Reduzierung der Schule auf reine Wissensvermittlung wird jedoch in unserer Informationsgesellschaft ad absurdum geführt.

Die Diskussionen über Schulreformen beschränken sich meist darauf, welche Inhalte gelehrt werden sollen. Die Reduzierung der Schule auf reine Wissensvermittlung wird jedoch in unserer Informationsgesellschaft ad absurdum geführt.

Schule ist immer ein Produkt ihrer Zeit, in Österreich ist sie jedoch das Produkt einer längst vergangenen Zeit. Ihr Grundkonzept stammt aus der Monarchie, ihre Rituale haben sich seither nicht maßgeblich weiterentwickelt. Doch unsere Gesellschaft ist längst eine andere.
1774 führte Maria Theresia die Allgemeine Schulordnung und mit ihr die Schulpflicht ein. Die ersten Lehrer waren häufig ausgemusterte Unteroffiziere der Armee, der Unterricht wurde daher stark von den Disziplinvorstellungen des Militärs geprägt und Gehorsam war oberstes Bildungsziel. Ausgehend von Großbritannien entwickelten sich im Zeitalter der Industrialisierung neue Prioritäten: Die Schule sollte möglichst viele normierte Arbeitskräfte für den Einsatz am Fließband hervorbringen.

Schule neu definieren. In unserer „globalisierten Wissensgesellschaft“ sind diese Bildungsziele längst überholt. Wissensvermittlung ist in dieser Informationsgesellschaft durch den fast unbeschränkten Zugang zu Informations- und Wissensbeständen per Medien, unter anderem durch Internet und Bücher, dynamischer und vielfältiger als damals. Nicht nur deshalb muss Schule neu gedacht werden. Das Konzept einer homogenen Gesellschaft entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen, multikulturelle Vielfalt muss als Bereicherung wahrgenommen werden. Individualität und Selbstverantwortung sind die Schlagworte unserer Zeit und die Basis für einen innovativen und richtungweisenden Denkansatz. Dafür braucht es eine Neudefinition und vor allem Weiterentwicklung von Schule.
Bildung ist als öffentliches Gut vom Staat allen zu garantieren. Soziale Chancengleichheit kann nur durch staatlich garantierten Bildungszugang sowie durch ein öffentliches Bildungssystem hergestellt werden. Damit verbunden ist die Verantwortung des Staates, durch öffentliche, kostenlose Bildungseinrichtungen vom Kindergarten bis zur Hochschule jeder Person qualitätsorientierte Bildung zugänglich zu machen.

Neue Anforderungen. Neue Anforderungen an die Schule, aber auch an Kinder und Jugendliche, lassen die Frage aufkommen, ob die halbtägig organisierte Schule den veränderten Bedingungen von Familie einerseits, als auch den zunehmenden Wissensanforderungen an die Kinder andererseits gerecht wird.
Die konventionellen Schulstunden sowie die ständig steigenden Leistungsanforderungen bieten Kindern oft zu wenig Raum, um den entsprechenden Lernprozessen ausreichend Zeit zu geben. Ein erweitertes Zeitbudget durch eine ganztägige Schulform macht eine flexible Unterrichtsplanung möglich. Die Rhythmisierung des Schulalltages ermöglicht, der physiologisch schwankenden Leistungsbereitschaft der Kinder entgegenzukommen.

Lebensraum Schule. Schule ist einer der wichtigsten Lebensbereiche. Schule braucht eine Organisation, die für Kinder konzipiert und an ihren Lern- und Lebensbedürfnissen orientiert ist. Die Ganztagsschule kann in einem reformpädagogischen Sinn die Gesamtpersönlichkeit des Kindes wahrnehmen und fördern. Je vielfältiger die eingesetzten Lehr- und Lernmethoden sind und je mehr Sinne dabei angesprochen werden, desto nachhaltiger sind Lernprozesse. Ganztägige Schulformen bieten die Möglichkeit, neuere Lehr- und Lernmethoden effizienter einzusetzen und über den ganzen Tag zu verteilen.
Die Förderung von Kindern – sowohl leistungsstarker als auch leistungsschwacher Kinder – bedarf der Individualisierung.  anztagesschulen können diese individuelle Förderung besser leisten als Halbtagesschulen, die den Schwerpunkt im Vermitteln der Lerninhalte haben und weniger Wert auf das Üben, Festigen und Vertiefen des Gelernten legen. Viele Familien erleben Hausaufgaben und die Vorbereitung auf Schularbeiten und Tests als Stress. Im Konzept der Ganztagesschule kann eine Synthese von Unterricht, Fördermaßnahmen und Schul- bzw. Hausaufgaben so gelingen und darüber hinaus verhindern, dass Schulstress nach Hause transferiert wird.
Sich selbst ausdrücken zu können, seine Bedürfnisse wahrzunehmen und in einem sozialen Kontext zu artikulieren, respektvoll miteinander umzugehen und Meinungsverschiedenheiten und Konflikte austragen zu können, gehören zu den grundlegenden Fähigkeiten eines jeden Menschen. Schule soll eine Gesellschaft im Kleinen sein, in der demokratisches Verhalten und die Mitwirkung an demokratischen Entscheidungsprozessen möglich ist.

Freizeitgestaltung in der Schule. Eine ganztägigeSchule bietet im Bereich der Freizeitgestaltung vielfältige Chancen für Kinder. Freizeitpädagogik wird zur Lebens- und Kulturhilfe, wenn es nicht nur um Erholung, Entspannung und Spaß, sondern auch um den Aufbau und die Pflege sozialer Beziehungen und um Lebensplanung und Bildung im ganzheitlichen Sinn geht.

Lernumwelten. Dem „Wie“ des Lernens, den Rahmenbedingungen schulischen Lernens – beginnend von der Architektur der Schule bis hin zum konkreten Lernen lernen – wird kaum Beachtung geschenkt. Die zentrale Frage der Weiterentwicklung von Schule und Unterricht wird sein, wie Lehrerinnen und Lehrer zukünftig Lernumgebungen schaffen können, in denen mehrdimensionale Lernprozesse stattfinden können. Solche förderlichen Lernumwelten werden offene, kooperative und reformpädagogisch orientierte Lernformen mit Betonung auf Selbständigkeit und aktivem, selbstverantwortlichen Lernen ermöglichen.
All jene Punkte müssen bei einer Neuorientierung der „LehrerInnenausbildung Neu“ berücksichtigt werden und bilden die Basis, um den Herausforderungen unserer multikulturellen Gesellschaft im ausgehenden 21. Jahrhundert gerecht zu werden. In das Schulsystem der Zukunft bringt jedes Kind seine kulturellen und individuellen Stärken mit, die das Schulleben sozial und emotional bereichern und globales Lernen unterstützen.

Schule ist immer ein Produkt ihrer Zeit, in Österreich ist sie jedoch das Produkt einer längst vergangenen Zeit. Ihr Grundkonzept stammt aus der Monarchie, ihre Rituale haben sich seither nicht maßgeblich weiterentwickelt. Doch unsere Gesellschaft ist längst eine andere.
1774 führte Maria Theresia die Allgemeine Schulordnung und mit ihr die Schulpflicht ein. Die ersten Lehrer waren häufig ausgemusterte Unteroffiziere der Armee, der Unterricht wurde daher stark von den Disziplinvorstellungen des Militärs geprägt und Gehorsam war oberstes Bildungsziel. Ausgehend von Großbritannien entwickelten sich im Zeitalter der Industrialisierung neue Prioritäten: Die Schule sollte möglichst viele normierte Arbeitskräfte für den Einsatz am Fließband hervorbringen.

Schule neu definieren. In unserer „globalisierten Wissensgesellschaft“ sind diese Bildungsziele längst überholt. Wissensvermittlung ist in dieser Informationsgesellschaft durch den fast unbeschränkten Zugang zu Informations- und Wissensbeständen per Medien, unter anderem durch Internet und Bücher, dynamischer und vielfältiger als damals. Nicht nur deshalb muss Schule neu gedacht werden. Das Konzept einer homogenen Gesellschaft entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen, multikulturelle Vielfalt muss als Bereicherung wahrgenommen werden. Individualität und Selbstverantwortung sind die Schlagworte unserer Zeit und die Basis für einen innovativen und richtungweisenden Denkansatz. Dafür braucht es eine Neudefinition und vor allem Weiterentwicklung von Schule.
Bildung ist als öffentliches Gut vom Staat allen zu garantieren. Soziale Chancengleichheit kann nur durch staatlich garantierten Bildungszugang sowie durch ein öffentliches Bildungssystem hergestellt werden. Damit verbunden ist die Verantwortung des Staates, durch öffentliche, kostenlose Bildungseinrichtungen vom Kindergarten bis zur Hochschule jeder Person qualitätsorientierte Bildung zugänglich zu machen.

Neue Anforderungen. Neue Anforderungen an die Schule, aber auch an Kinder und Jugendliche, lassen die Frage aufkommen, ob die halbtägig organisierte Schule den veränderten Bedingungen von Familie einerseits, als auch den zunehmenden Wissensanforderungen an die Kinder andererseits gerecht wird.
Die konventionellen Schulstunden sowie die ständig steigenden Leistungsanforderungen bieten Kindern oft zu wenig Raum, um den entsprechenden Lernprozessen ausreichend Zeit zu geben. Ein erweitertes Zeitbudget durch eine ganztägige Schulform macht eine flexible Unterrichtsplanung möglich. Die Rhythmisierung des Schulalltages ermöglicht, der physiologisch schwankenden Leistungsbereitschaft der Kinder entgegenzukommen.

Lebensraum Schule. Schule ist einer der wichtigsten Lebensbereiche. Schule braucht eine Organisation, die für Kinder konzipiert und an ihren Lern- und Lebensbedürfnissen orientiert ist. Die Ganztagsschule kann in einem reformpädagogischen Sinn die Gesamtpersönlichkeit des Kindes wahrnehmen und fördern. Je vielfältiger die eingesetzten Lehr- und Lernmethoden sind und je mehr Sinne dabei angesprochen werden, desto nachhaltiger sind Lernprozesse. Ganztägige Schulformen bieten die Möglichkeit, neuere Lehr- und Lernmethoden effizienter einzusetzen und über den ganzen Tag zu verteilen.
Die Förderung von Kindern – sowohl leistungsstarker als auch leistungsschwacher Kinder – bedarf der Individualisierung.  anztagesschulen können diese individuelle Förderung besser leisten als Halbtagesschulen, die den Schwerpunkt im Vermitteln der Lerninhalte haben und weniger Wert auf das Üben, Festigen und Vertiefen des Gelernten legen. Viele Familien erleben Hausaufgaben und die Vorbereitung auf Schularbeiten und Tests als Stress. Im Konzept der Ganztagesschule kann eine Synthese von Unterricht, Fördermaßnahmen und Schul- bzw. Hausaufgaben so gelingen und darüber hinaus verhindern, dass Schulstress nach Hause transferiert wird.
Sich selbst ausdrücken zu können, seine Bedürfnisse wahrzunehmen und in einem sozialen Kontext zu artikulieren, respektvoll miteinander umzugehen und Meinungsverschiedenheiten und Konflikte austragen zu können, gehören zu den grundlegenden Fähigkeiten eines jeden Menschen. Schule soll eine Gesellschaft im Kleinen sein, in der demokratisches Verhalten und die Mitwirkung an demokratischen Entscheidungsprozessen möglich ist.

Freizeitgestaltung in der Schule. Eine ganztägigeSchule bietet im Bereich der Freizeitgestaltung vielfältige Chancen für Kinder. Freizeitpädagogik wird zur Lebens- und Kulturhilfe, wenn es nicht nur um Erholung, Entspannung und Spaß, sondern auch um den Aufbau und die Pflege sozialer Beziehungen und um Lebensplanung und Bildung im ganzheitlichen Sinn geht.

Lernumwelten. Dem „Wie“ des Lernens, den Rahmenbedingungen schulischen Lernens – beginnend von der Architektur der Schule bis hin zum konkreten Lernen lernen – wird kaum Beachtung geschenkt. Die zentrale Frage der Weiterentwicklung von Schule und Unterricht wird sein, wie Lehrerinnen und Lehrer zukünftig Lernumgebungen schaffen können, in denen mehrdimensionale Lernprozesse stattfinden können. Solche förderlichen Lernumwelten werden offene, kooperative und reformpädagogisch orientierte Lernformen mit Betonung auf Selbständigkeit und aktivem, selbstverantwortlichen Lernen ermöglichen.
All jene Punkte müssen bei einer Neuorientierung der „LehrerInnenausbildung Neu“ berücksichtigt werden und bilden die Basis, um den Herausforderungen unserer multikulturellen Gesellschaft im ausgehenden 21. Jahrhundert gerecht zu werden. In das Schulsystem der Zukunft bringt jedes Kind seine kulturellen und individuellen Stärken mit, die das Schulleben sozial und emotional bereichern und globales Lernen unterstützen.