Südamerika

Jenseits des elektrischen Stacheldrahtzauns

  • 01.04.2017, 17:12
Ein Spielfilm von dem österreichischen Regisseur Lukas Valenta Rinner mit Geldern des südkoreanischen Jeonju Digital Cinema Projekt über eine argentinische Putzfrau klingt erstmal spannend.

Ein Spielfilm von dem österreichischen Regisseur Lukas Valenta Rinner mit Geldern des südkoreanischen Jeonju Digital Cinema Projekt über eine argentinische Putzfrau klingt erstmal spannend. Das Leben von Hauptfigur Belens (Iride Mockert) dagegen ist trist. So trist, dass es ihr scheinbar selbst die Sprache verschlagen hat. Durch eine Agentur vermittelt, wird sie Teil der vielen unsichtbaren Arbeiter*innen in einer Gated Community in Argentinen. Sie schrubbt, putzt und wäscht in einer riesigen Villa, wo für sie selbst nur Platz in einem kleinen Kämmerchen hinter der Waschküche bleibt. Vom Sohn des Hauses wie ein Gegenstand, und von dessen Mutter wie ein kleines Kind behandelt, beschwert sie sich nicht und verharrt in ihrer gehorsamen Sprachlosigkeit. Belen bleibt isoliert, nie sind im Film Interaktionen mit den anderen unzähligen Care-Arbeiter*innen der Community zu sehen. So wie deren Arbeit sind auch sie im Film bis auf eine Ausnahme unsichtbar gemacht.

Die Kamera nimmt sich Zeit, die Gated Community als Ort der Sterilität zu zeigen, deren künstliche Aufgeräumtheit sich in englischem Rasen, Golf- und Tennisplätzen manifestiert. Doch jenseits des surrenden elektrischen Stacheldrahtzauns tut sich für Belen schon bald eine spannende neue Welt auf, die es jedoch erst nach und nach zu erkunden gilt.

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Die Gewalt des Bürgertums blitzt immer wieder auf, etwa wenn Belens Arbeitgeberin von ihrem Sohn angeschrien und gedemütigt wird, weil er mit dem Erfolgsdruck als Nachwuchstennisspieler nicht zurecht kommt. Die anbiederische Freundlichkeit der Hausherrin Belen gegenüber, lässt das hierarchische Machtverhältnis nur noch deutlicher zutage treten. Als die Hausherrin wegen des Krachs jenseits des Elektrozauns nicht schlafen kann, weckt sie ihre Untergebene mitten in der Nacht und bittet sie mit ihr Tee zu trinken und sich Videos ihres Sohnes anzusehen. Belen bleibt nicht viel anderes übrig und muss spätnachts die Hand ihrer Arbeitgeberin halten, bis diese eingeschlafen ist.

Die Neugier treibt Belen schon bald zur Quelle des Lärms jenseits des Zauns, wo sie lauter nackte Menschen vorfindet, die ihre Wochenenden mit Tantraworkshops und Naturverbundenheit füllen. Die erst komplett Verschreckte wagt sich mit jedem Wochenende weiter vor, bis sie schließlich Eingang in die Community findet. Der Kontrast von Nudist*innen-Camp und Gated Community könnte nicht größer sein. Die Nudist*innen scheinen im Garten Eden zu residieren: mit Gebäuden, die halbverfallen wie Schlösser aus der dichten Vegetation hervorlugen, mit weißen Pferden und von Vogelgezwitscher untermalter Geräuschkulisse. Am Anfang vor jeder körperlichen Berührung zurückschreckend, findet Belen zu sich selbst und auch wieder ihre Sprache. Sie singt, reimt und ist vergnügt, immer wieder unterbrochen von der Rückkehr in das kapitalistische Ausbeutungsverhältnis. Sind es erst noch Momentaufnahmen des Nudist*innen-Camps und lange establishing shots der Gated Community, kehrt es sich irgendwann um und die Bilder der sterilen Bürgerlichkeit unterbrechen nur noch kurz wie unangenehme Insektenstiche das Paradies der selbst gewählten Befreiung.

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Doch ist dem Paradies die Vertreibung eingeschrieben und je paradiesischer es wird, desto mehr wächst die Angst vor dem unausweichlichen Unheil. Schließlich entpuppt sich der Elektrozaun als Schlange, die keine Erkenntnis, sondern nur den Tod bringt. Die Gewalt der bürgerlichen Gesellschaft dringt ein, als einer der Nudist*innen zu Tode gegrillt wird. Doch anstatt für den überladenen Zaun bestraft zu werden, schließt die Exekutive in einer real allzuoft erlebten Umkehr das Camp. Der Traum ist aus.

Doch so viel sei gespoilert: Belen lässt sich nicht mehr in die fremdbestimmte Unmündigkeit zurückführen und kehrt die Spirale der Gewalt in einem fulminanten Finale um.


Anne Marie Faisst schreibt (nicht) ihre Masterarbeit in Internationale Entwicklung sondern stattdessen Filmkritiken von der #Diagonale17 in Graz.


 

Bis zum Atlantik und noch viel weiter

  • 23.05.2014, 16:29

Der Musiker Matthias Frey alias Sweet Sweet Moon wurde mit einem Youtube-Hit weltweit bekannt. Am Boden geblieben ist er dennoch – an einem Vormittag hat er uns zum Bocciaspiel eingeladen und uns dabei Geschichten aus seinem abenteuerlichen Leben als Musiker erzählt.

 

Der Musiker Matthias Frey alias Sweet Sweet Moon wurde mit einem Youtube-Hit weltweit bekannt. Am Boden geblieben ist er dennoch – an einem Vormittag hat er uns zum Bocciaspiel eingeladen und dabei Geschichten aus seinem abenteuerlichen Leben als Musiker erzählt.

Ein junger Mann mit blondem Pilzkopf kommt uns auf einem Retro-Rad entgegengefahren. Er trägt ein weißes Champion-T-Shirt, wie man es noch aus den 90ern kennt, eine ausgebeulte Jeans, Wanderschuhe und einen dichten Bart. In seiner rechten Hand hält er einen kleinen Holzkoffer: „Ich hab’ die Bocciakugeln von meiner Mitbewohnerin mitgebracht, dachte wir könnten eine Runde spielen“, sagt er und grinst. Matthias Frey, Jahrgang 1988, ist viel unterwegs, aber heute hat er sich Zeit genommen, um uns Geschichten von seinen Reisen zu erzählen. Davon gibt es einige. Vor ein paar Monaten war Sweet Sweet Moon mit seinem Kollegen, dem Chellisten Lukas, auf Tour in Italien. Dafür haben sich die zwei jungen Männer einen alten VW-Bus ausgeliehen, der alle paar Kilometer eine Panne hatte: „Wir wurden dauernd von der Polizei angehalten, weil wir nicht schneller als 50 fahren konnten“, erzählt Frey amüsiert. Ein anderes Mal mussten sie mitten in Sizilien an einem Hang den Bus stehen lassen, weil er die Steigung nicht mehr schaffte. Die beiden haben dann einfach ihre Instrumente gepackt und sind die restliche Strecke zum Veranstaltungsort zu Fuß gegangen. Frey packt Lebkuchen aus und bietet sie uns an – ein Mitbringsel aus Basel, wo er erst kürzlich war. „Mir gefällt das langsame Reisen, es ist zwar anstrengend, aber man sieht und erlebt einfach viel mehr.“ Eilig hat es der niederösterreichische Sänger und Geiger offenbar nicht. Bekanntlich hat man ja auch die besten Einfälle, wenn man einfach entspannt. Womöglich hat Sweet Sweet Moon deswegen so viele ausgefallene Ideen. Die braucht man heute definitiv, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu lenken. Sweet Sweet Moon ist das gelungen.

Fuck the Atlantic Ocean. 2011 landete er einen Youtube-Hit mit über 650.000 Klicks. In dem Video sieht man ihn und Lukas mit Violine und Chello auf der Rahlstiege im 6. Wiener Gemeindebezirk ein Konzert spielen. Gefilmt wurde das ganze vom Wiener Filmteam They shoot Music. Dass das Video plötzlich viral ging, war für sie überraschend. Noch viel erstaunlicher war, dass die meisten Klicks, laut Youtube-Statistik, unerklärlicherweise von Mittzwanzigern aus Chile und Argentinien kamen. Gemeinsam beschlossen sie, der Sache auf den Grund zu gehen und den Atlantik zu überqueren, um herauszufinden, warum es dort zum großen Erfolg kam. They shoot Music hatten außerdem die Idee, einen Dokumentarfilm über die Reise zu machen, also sammelten sie über eine Kickstarter-Aktion Geld und beantragten Kulturförderungen, um das Projekt zu finanzieren. 2013 flogen die Musiker nach Lateinamerika und kamen mit dem Film „Fuck the Atlantic Ocean“, in dem die ausgefallenen Konzerte auf der Reise dokumentiert wurden, zurück. Die Doku feierte Anfang März auf der Poolinale, dem Festival für Musikfilm, Premiere und ist nach wie vor auf einigen österreichischen Filmfesten und in Kinos zu sehen. Auf die Frage, ob sie letztendlich herausfinden konnten, wieso das Video gerade in Südamerika so beliebt war, zuckt Frey nur mit den Schultern: „Die Leute sind ja letztendlich doch überall gleich.“ Also bloßer Zufall? Frey nickt.

Geräuschkulissen. Matthias Frey gibt nicht unbedingt die Antworten, die man sich von einem Künstler erwartet. Anzugeben, das scheint ihn nicht sonderlich zu interessieren. Anstatt über vermeintlich große Dinge zu reden, erzählt er lieber von den Kleinigkeiten des Alltags, zum Beispiel von seiner Arbeit in der Oper, wo er als Orchesterwart tätig ist. Frey setzt sich manchmal in die Orchesterproben und hört den MusikerInnen dabei zu, wie sie die Stücke des Impressionisten Claude Debussy spielen. Manchmal nimmt er das chaotische Einspielen der MusikerInnen oder die Geräusche der BalletttänzerInnen, wenn ihre Füße graziös auf dem Boden landen, auch auf. Die Aufnahmen arrangiert Frey dann im Studio und macht daraus spannende Geräuschkulissen. Die Liebe und Faszination für die klassische Musik scheint immer schon Teil seines Lebens gewesen zu sein: Bei der Arbeit in der Oper, in seiner Kindheit in der Musikschule, im Studium der Musikwissenschaft, aber auch während der Zeit beim Bundesheer, wo er seinen Chellisten „am Schießstand“ kennengelernt hat, wie Frey mit verzogener Mine erzählt. „Begegnet sind wir uns bei der Heereskapelle. Da haben wir gemeinsam Strauß-Walzer für Heinz Fischer am Nationalfeiertag und Märsche für die Offiziere gespielt.“ Militärisch klingt der Sound, den Sweet Sweet Moon macht, zwar nicht, aber der klassische Einschlag ist dafür sofort erkennbar: Er macht Musik, die man sich zusammen mit seinen Eltern auf der Couch anhören kann, ohne ihnen erklären zu müssen, wieso dieser Krach gut sein soll. In einer Zeit, die von epileptisch-hysterischen Klangwelten à la Skrillex geprägt ist, ist das die Ausnahme.

Es ist vor allem die manchmal fast schreiende, emotionsgeladene Stimme von Frey, die einen Kontrast zu den sonst glatten, schön arrangierten Streichakkorden bietet. Sein Gesang zeigt sich oft in Form von unbestimmbaren Lauten, die ganz natürlich aus Freys Mund herauszupurzeln scheinen. Alle Texte von Sweet Sweet Moon werden improvisiert und variieren von Konzert zu Konzert: „Bei dem einen Youtube-Video fragten mich die Leute oft nach den Lyrics, aber es gibt keine, zumindest keine sinnvollen, vielleicht sollt’ ich ihnen das mal sagen“, sagt Frey lachend. Der Gesang und die spontanen Texte sind vielleicht auch der einzige Hinweis darauf, dass er nicht nur Klassik hört, sondern eigentlich aus einem noisigen, punkigen Umfeld kommt, was sich auch mit Blick auf sein Label Siluh Records erahnen lässt. „Ich hab’ schon in der Schulzeit in einer Fun-Punk-Band gespielt. Wir waren einmal in Malaysien und Singapur auf Tour unterwegs. In Singapur wollte mich die Polizei mitnehmen. Die sind extra gekommen, um alle Leute, die zu jung für das Konzert waren, abzuführen. Irgendwie hab’ ich mich dann aber doch reingeschlichen“, erzählt er grinsend.

Boccia und Elektrobeats. Inzwischen sind wir aufgestanden, um Boccia zu spielen. Matthias sucht eine Stelle aus, wo sich der Kies „besonders gut“ zum Spielen eignet. Er kramt einen uralten tragbaren Kassettenrecorder mit eingebauten Lautsprechern aus seiner Tasche, stellt ihn auf den Boden und drückt auf Play. Experimentelle Elektrobeats dringen dumpf aus den Boxen. Er schmeißt die rote Kugel, auch „Schweinchen“ genannt, nach vorne und erklärt die Spielregeln. Konzentriert wirft er eine Metallkugel nach der anderen, vom Fotografen lässt er sich dabei nicht im Geringsten stören.

Man kann sich nur schwer vorstellen, dass den – aus einem kleinen Ort in der Nähe von Hollabrunn stammenden – Singer-Songwriter etwas aus der Ruhe bringen kann. Aber der Schein trügt: Frey ist zwar ein ruhiger Typ, aber er liebt die Ekstase. Zumindest in der Musik und bei Konzerten. Ihn stört es etwa, wenn das Publikum bei Auftritten zu verklemmt ist. Das sei vor allem hier in Österreich oft so, sagt er. Deswegen hat er zur Zeit ein Faible für arabische Musik und schaut sich Videos von Konzerten, etwa von der kultigen ägyptischen Sängerin Umm Kulthum auf Youtube, an: „Die spielte vor tausenden Leuten mit einem riesigen Orchester, die Leute applaudierten und schrien. Die grölten dann auf einmal alle los, weil sie die Bedeutung der Töne einfach verstanden haben. Das ist eigentlich richtig punkig, so wie früher im Jazz eben.“ Die Begeisterung in Matthias Freys Stimme ist deutlich hörbar. Das Publikum aus sich herauszulocken, das sei die Aufgabe der MusikerInnen, meint er. Überhaupt scheint ihm die klare Rollenaufteilung bei Auftritten wichtig zu sein: „Ich spiele eigentlich gar nicht so gerne auf der Straße, das ist oft so aufdringlich, die Leute wissen nicht, wie sie darauf reagieren sollen. Ich spiele lieber in großen Theatern oder Kirchen. Da sind die Rollen klarer.“

 

Matthias Frey hat mit 5:1 das kurze Bocciaspiel klar gewonnen. Es ist der erste Moment heute, in dem er ein bisschen stolz wirkt: „Ich hab das zwar erst einmal gespielt, aber ich kann das richtig gut“, stellt er zufrieden fest. Wir verabschieden uns und er macht sich auf den Weg in die Oper. In den nächsten Tagen wird er nicht erreichbar sein, fügt er noch schnell hinzu, bevor er sich auf sein Rad schwingt und davonfährt. Er sei irgendwo in den Bergen. Wahrscheinlich kommt er mit einer Menge ausgefallener Ideen und Lebkuchenherzen wieder zurück.

Mehr zu Sweet Sweet Moon: http://sweetsweetmoon.bandcamp.com/

(das "eine" Video findet ihr hier: https://www.youtube.com/watch?v=lFpFUhQfBfo)

 

Fotos:  Christopher Glanzl